1896 / 139 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 Jun 1896 18:00:01 GMT) scan diff

88 sich beantr äßt unter er 8 die gestellten An⸗ ngehen, ohne die

andere Industrien eine solche Ausnahme Vorbringung übertriebener Behauptungen. A träge wegen weiterer Ausnahmen kann man nicht e Wirkung des ganzen Gesetzes zu verhindern.

Abg. Hilpert (b. k. F.) weist darauf hin, daß der Gewerbeverein in seiner Heimath sich für das gänzliche Verbot des Detailreisens und des Hausierens ausgesprochen habe, obgleich die Mitglieder desselben meist freisinnig seien. Redner erklärt sich für die Annahme des Art. 8.

Abg. Kühn (Soz.) weist auf die Petition hin, welche aus seinem Wahlkreise Reichenbach⸗Neurode gegen das Verbot des Detailreisens eingegangen sei; es gebe dort gewisse Industriezweige, welche ohne Hausieren und Detailreisen gar nicht bestehen könnten. Maßregeln gegen den kleinen Zwischenhandel würden nicht helfen; helfen würde alein das Verbot der Produktion im Großen.

Darauf wird gegen 5 ¾ Uhr die Debeatte geschlossen.

Der Antrag Hasse⸗Krüger wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der beiden freisinnigen Gruppen, der Volkspartei und der meisten Nationalliberalen abgelehnt.

Der Antrag Richter im Antrag Stumm „Gegenstände der Textilindustrie und Bekleidungsstücke aller Art“ als Aus⸗ nahme einzufügen, wird mit großer Mehrheit abgelehnt.

In namentlicher Abstimmung wird ferner abgelehnt die Einfügung der „Gegenstände der Leinen⸗ und asche⸗ fabrikation“ als Ausnahme, und zwar mit 144 gegen 113 Stimmen. 1

Die einzelnen Nummern des Sammelantrags Richter werden abgelehnt gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der eehe en, der Volkspartei und der Mehrheit der Nationalliberalen.

Schließlich gelangt nur der Antrag Placke zur Annahme:

das Detailreisen verboten sein soll, „soweit nicht der

Bundesrath noch für andere Waaren oder Gegenden oder

ewerbetreibenden Ausnahmen zu Feas üt

stimmen außer den Sozialdemokraten, den beiden

freisinnigen Gruppen und der Volkspartei, auch die National⸗

iberalen, die Deutschkonservativen und die Reichspartei; da⸗ gegen: das Zentrum, die Reformpartei und die Polen.

Der Antrag Stumm mit diesem Antrag Placke wird

arauf in namentlicher Abstimmung mit 147 gegen 98 Stim⸗ men angenommen. 1

Ohne Debatte werden die Artikel 9 und 10 genehmigt.

Darauf wird die weitere Berathung nach 7 Uhr bis Frei⸗ ag 2 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. G Haus der Abgeordneten.

77. Sitzung vom 11. Juni 1896.

Auf der Tagesordnung steht die Berathung des vom Herren⸗ hause in abgeänderter Fassung zurückgelangten Gesetzent⸗ wurfs, betreffend die Regelung der Richtergehälter und die Beschäftigung der Gerichts⸗Assessoren.

In der Generaldiskussion erhält zunächst das Wort:

Abg. Hobrecht (nl.), der nach dem gestern mitgetheilten ersten Theil seiner Rede noch Folgendes ausführt: Der § 8 2 dem Justiz⸗ Minister keinen einzigen neuen Anhaltspunkt für die Beurtheilung der Assessoren. Takt, gesellschaftliche Uebung sind gewiß beachtens⸗ werth. Hat man aber keinen bestimmten Anhaltspunkt, keinen be⸗ stimmten so werden Sie mir zugeben, daß es sich da um inkommensurable Größen handelt. Wir haben Beispiele vor Augen, welche beweisen, daß bis in die Allerhöchsten Kreise die An⸗ 5 darüber auseinander gehen, was Takt ist und was nicht. Der

Kinister hat das Recht, auch weiterhin ungeeignete Elemente aus⸗ zuscheiden, tüchtige zu bevorzugen; und die bisherigen Verhandlungen geben ihm die Deckung dafür, was er im redlichen Bewußtsein verlangen kann. Aber darüber hinaus verlangt man Unmögliches von ihm, und wenn man dieses thut, so nöthigt man ihn 5

Willkür, und für die Willkür sind wir dann mit verantwortlich. Der Justiz⸗Minister wird sich an das Urtheil von Männern halten müssen, deren er kennt, also an die Prä⸗ sidenten, und es ist besser, daß er danach seine Entscheidung trifft, als nach dem äußeren Bekenntniß irgend einer Gesinnung oder dergleichen, was auch geschehen ist. Der Justiz⸗Minister wolle in unserem Votum nicht den Ausdruck irgend eines Miß⸗ trauens erblicken; wir haben das Vertrauen, daß er gewissenhaft nach Recht und Gerechtigkeit handelt. Wir unsererseits glauben die Verantwortung für eine solche Bestimmung nicht übernehmen zu

können. Das Herrenhaus hat die Aufgabe dem Minister etwas erleichtert, aber auf Kosten der Aspiranten in einer meiner Meinung nach bis zur Grausamkeit gesteigerten Härte. Wenn die Ablehnung des § 8 auch die Gehaltsregulierung für den Richterstand, die wir

4 dringend wünschenswerth halten, zum Scheitern bringen sollte, o würden wir das auf das lebhafteste bedauern. Man bötte diese beiden Fragen nicht miteinander verbinden sollen; wir hoffen aber, daß in der nächsten Session diese Angelegenheit zum Abschluß ge⸗ bracht werden kann, denn die Verschiedenheit des Aufrückens im Ge⸗ halt in den verschiedenen wird als eine vngerecgnigheh auf das tiefste empfunden. Alles das kann uns aber nicht hindern, kunserer Ueberzeugung gemäß den § 8 abzulehnen, und ich bitte Sie, sich unserem Votum anzuschließen.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.): Wenn wir auch nicht Personen, die aus ihrer e aus ihrem veu⸗ einen Erbschatz von patriotischer Gesinnung, Ehre und Pflicht⸗ gefübl mitbringen, von der Richtercarribre ausschließen dürfen, so müssen wir doch dem Eindringen ungeeigneter Elemente vorbeugen. Der § 8 ist im wesentlichen nichts Anderes, als eine Reproduktion des geltenden Rechts. Ich bin mit Herrn Hobrecht darin einver⸗ standen, daß es sehr zweifelhaft ist, ob an Stelle des § 8 sich eine bloße Erklärung des Ministers im Parlament empfohlen hätte, daß in Zukunft von dem Recht der Krone, gewisse Bewerber von dem Richteramt g. ausgiebiger als bisher Gebrauch gemacht werden solle. Nachdem aber ein solcher Vorschlag einmal gemacht ist, kann man das Gesetz nicht ohne eine solche positive Bestimmun die das geltende Recht 8⸗2 llerdings können Kronrechte nicht verdunkelt werden, und in beiden S des Landtags ist das volle Recht der Krone anerkannt, einen Bewerber nicht zum Richter zu er⸗ nennen, der die moralische Qualifikation nicht hat. Aber gegenwärtig werden Alle, welche das Assessorenexamen gemacht haben, zu Gerichts⸗ Assessoren ernannt, wenn sie sich nicht grobe Verfehlungen zu schulden kommen lassen. Wenn wir hiergegen nicht eine positive gesetzliche Bestimmung festsetzen, dann wird allerdings eine Verdunkelung des Fesmnecht⸗ berbesgefäggt. und die Justizverwaltung, welche von dem Kronrecht nunmehr Gebrauch macht, wird nach der bffentlichen Meinung das geltende Recht verletzen. Es müßte sich noch eine mittlere Linie finden lassen, auf welcher 8 % die entgegenstehenden Ansichten vereinigen können. Der Antrag Schmieding in der zweiten Lesung wegen der Kontingentierung der Anwärterzahl bei den Referen⸗ daren ist von der Rechten nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern weil seine deRäsmeabas nicht ausreichend war, denn es sollten nur nach

lassen,

Bedarf Referendare angenommen werden, und der Begriff des Be⸗ darfs ist sehr allgemein. In der Verwaltung des Innern ist die Zahl der Referendare für jeden Regierungsbezirk genau festgesetzt, ebenso müßte für die Justizverwaltung die Fat der anzunehmenden Referen⸗ dare genau bestimmt werden. eute ist bei allen Gerichten die 88 der Referendare so gr. daß sie nicht ausreichend be⸗ chäftigt und daher nicht genügend ausgebildet werden können. Bei einer Beschränkung der Fahr werden sie eine bessere Vorbildun erhalten. Tritt dazu die Bestimmung det Antrags Schmieding, da die Referendare in der Regel nach dem Dat Meld 88 1“ 218

dem Examen angenommen werden sollen, so könnten immerhin besonders geeignete außer der Tour einberufen und ungeeignete zurück⸗ esetzt werden. Dasselbe Verfahren müßte dann auch bei den sesern zur Anwendung kommen. Damit ist Alles erreicht, was zweckmäßig erreicht werden kann. Für einen solchen Gedanken wäre eine Kommissionsberathung nothwendig, die aber am 11. Juni bei der Hitze des Tages wohl kein geneigtes Gehör finden wird. Ich empfehle daher diesen Gedanken für die Ausarbeitung einer neuen Vorlage. Eine Trennung dieser Frage von der Richterbesoldung ist nicht möglich. Wir werden eventuell unseren Antrag wiederholen, und wird er ab⸗ gelehnt, segen das sons⸗ Gesetz stimmen in der Hoffnung, daß eine neue Vorlage gemacht wird. b Abg. vrei err von Heereman (Fentr.): Wir werden einmüthig ohne sh usnahme stimmen wie bisher. In dieser Frage dürfen nicht bloß Juristen sprechen, sondern auch Vertreter des Volks, das bei den Juristen Recht nehmen soll. Das allgemeine Rechts⸗ bewußtsein ist neben der Religion das höchste Zeichen der Kultur. Das allgemeine Rechtsbewußtsein zu entwickeln, ist eine der höchsten Aufgaben des Staats. Wir können nur gute, uneigennützige und SSeveee Richter haben, wenn im Volke selbst das Rechts⸗ bewußtsein lebendig ist. Der § 8 ist für uns absolut unannehmbar. Die Verantwortung, die damit den Vorgesetzten der Richter zu⸗ ällt, würde ein einzelner garnicht übernehmen können. as Ge⸗ ühl der Uasicherheit, welches dadurch in den jungen Leuten erweckt wird, Eutsgeüch nicht dem Bewußtsein von Recht und Gerechtigkeit. Die Unabhängigkeit des Richterstandes darf durch ein solches Gefühl nicht beeinträchtigt werden. Das Bewußtsein des Volkes von der Unabhängigkeit des Richterstandes ist die Hauptgrundlage einer guten Rechtspflege. Wird der § 8 angenommen, so stimmen wir gegen das ganze Fes. Aba⸗ Im Walle (Zentr.) empfiehlt seinen zu § 2 gestellten An⸗ trag, nach welchem den zu Land⸗ und Amtsrichtern sowie zu Staats⸗ anwalten zu ernennenden Gerichts⸗Assessoren auf das Besoldungs⸗

dienstalter der drei Jahre übersteigende Theil desjenigen Zeitraumes

angerechnet werden soll, der Föe een dem Tage ihres richterlichen

Dienstalters und ihrer etatsmäßigen Anstellung im höheren Justizdienst liegt. Von der Annahme dieses Antrages müsse das Zentrum seine Zustimmung zu dem ganzen Feseh abhängig machen.

Abg. Dr. Mizerski erklärt sich namens der Polen gegen den § 8 auch in der vom Herrenhause vorgeschlagenen Fassung.

Abg. Schettler (kons.): Wir meinen, daß das d. ohne den § 8 nicht marschieren kann. Auf den Vorschlag des Abg. Im Walle können wir nicht eingehen. Wenn Sie den § 8 ablehnen, so setzen Sie sich dem Verdacht aus, daß Sie das Recht der Krone ver⸗ dunkeln und schmälern wollen. Durch ihn wird nichts Neues ge⸗ schaffen; nur das schon Bestehende wird bestätigt. Wenn der Zustand der letzten zehn Jahre, in denen die Zahl der Juristen um 10 % gestiegen ist, andauern sollte, wo sollen wir alle diese Leute lassen? Freilich kann der Minister schon heute frei aus der Labl der Aspiranten auswählen; aber es ist ihm hierfür gar keine Direktive gegeben. Unsere Stellungnahme dem Entswur wird durch rein fa liche Gründe bestimmt. ir werden für die Fassung des Herrenhauses stimmen. Wird der § 8 abgelehnt, so sind wir für die übrigen 5 des Gesetzes nicht zu haben. Sie mögen sden 15 K. lehnen, sehr stolz werden Sie über Ihren Sieg nicht e 1

Abg. Rickert: Ich widerstehe der Versuchung, auf die Frage des Kronrechts einzugehen, es ist aber eine Urwabrheft, daß die Gegner des § 8 das Kronrecht antasten wollen. Wir wollen nur die rühm⸗ lichen Traditionen der preußischen Justizverwaltung aufrechterhalten. Die Kronrechte finden ihre Begrenzung in der von der Krone be⸗ schworenen Verfassung. Ich stehe davon ab, die Herrenhaus⸗ verhandlungen zu ritcsieren⸗ aber protestieren muß ich gegen die Rede des Herrn Drenckmann, obwohl wir uns seiner offenen Aussprache nur freuen können, da sie die Gegner der Vorlage vermehrt hat. Wir stimmen sowohl gegen den Antrag Krause⸗Waldenburg wie gegen die Beschlüsse des Herrenhauses.

Justiz⸗Minister Schönstedt:

Meine Herren! Da ich in den Eingangsworten des Herrn Abg. Rickert einen indirekten Vorwurf erblicken darf, daß der Regierungs⸗ tisch sich in vollständiges Schweigen gehüllt habe, so glaube ich mich der Verpflichtung nicht entziehen zu können, noch einige Worte zu der uns heute beschäftigenden Vorlage zu sagen. Ich würde ja vielleicht darauf haben verzichten können, da allem Anschein nach, ins⸗ besondere auch nach den Erklärungen des Herrn Abg. Freiherrn von Zedlitz, nicht anzunehmen ist, daß der § 8 in der Ihnen heute vorgelegten Gestalt zur Annahme gelangen wird, und da auch wohl die anderen gestellten Anträge, die hier vorliegen, eine Aussicht auf Annahme nicht haben. Nichtsdestoweniger glaube ich, meine Herren, über die Bedeutung des Herrenhausbeschlusses einige Worte Ihnen sagen zu müssen.

Ich habe mich zeitweise der Hoffnung hingegeben, daß der Auf⸗ enthalt der Herren in den Ferien, insbesondere auch die Berührung mit Richterkreisen und den sonst zunächst Interessierten, eine An⸗ näherung der verschiedenen Meinungen zur Folge haben werde. In dieser Auffassung bin ich einigermaßen bestärkt worden durch die Ein⸗ drücke, welche ich selbst auf einer achttägigen Dienstreise in den östlichen Provinzen gewonnen habe. Während dieser 8 Tage war es mir vergönnt, fast ausschließlich in Richterkreisen zu verkehren, keine Zeitungen zu lesen und die öffentliche Meinung unmittelbar von den Betheiligten selbst zu erfahren, und da, meine Herren, bin ich nirgendwo, auch nirgendwo in Richterkreisen, derjenigen Ablehnung, demjenigen Widerstande gegen den vorgelegten § 8 be⸗ gegnet, wie er sich hier im Hause und in der Presse gezeigt hat. (Hört! hört! Lachen links.) Ich kann sogar konstatieren, daß mir von einem Landgericht in der allerunbefangensten Weise die nicht von mir provozierte Erklärung ich habe nirgendwo derartige Erklärungen provoziert abgegeben wurde, daß sämmtliche Mitglieder des Landgerichts wesentlich auf dem Boden der Vorlage stehen. (Hört! hört! rechts.) Meine Herren, demgegen⸗ über glaubte ich, mich einigermaßen der Hoffnung hingeben zu können, es werde sich ein Umschlag in der Stimmung der maßgebenden Kreise vollziehen. Leider mußte ich mich bei meiner Rückkehr hierher bald überzeugen, daß ich mich in einer bedauerlichen Täuschung befunden hatte. Denn als ich auf meinem Tisch einen Haufen von Zeitungsausschnitten, etwa von dieser Stärke, vorfand, die sich fast ausschließlich mit den Herrenhausverhandlungen befaßten und in einer noch entschiedeneren und noch heftigeren Weise den § 8 und das Gesetz bekämpften, als das früher der Fall war, da konnte ich nur die Erwartung, die ich vorher gehegt hatte, sofort ganz erheblich herabstimmen. Allerdings hatten die Ausführungen in der Presse sich im wesentlichen ein anderes Angriffsfeld gewählt; sie richteten sich in der Hauptsache gegen eine im Herrenhaus gehaltene Rede, die, parlamentarischem Brauch entsprechend, heute hier kaum gestreift ist. Der § 8 des Gesetzes selbst kam dabei entschieden zu kurz, und deshalb glaube ich auf den § 8 und seine Entstehung noch einmal eingehen zu sollen.

Es ist gesagt worden, ich glaube von dem Herrn Abg. Im Walle es sei unbegreiflich, weshalb das Herrenhaus nicht auf die Regierungsvorlage oder aber auf den hier im Hause gestellten Antrag Busch sickgekommen sei zeigentl

*

rücksichtsvoller gewesen. Nun, meine Herren, ich kann ja nicht auß der Seele des Herrenhauses heraus sprechen. Aber ich bin bei der Entstehung des Beschlusses mit betheiligt gewesen, habe insbesondere den Kommissionsverhandlungen selbst beigewohnt und kann deshalb sagen, wie das gekommen ist. Etz hat das seinen ganz guten Grund gehabt. Im Herrenhause war man der Ansicht, daß die hier bereits einmal abgelehnten Anträge absolut keine Aussicht haben würden, wenn sie im Herrenhause wieder aufgenommen würden, hier im Hause zur Annahme zu gelangen. Deshalb mußte man nach einem anderen Wege suchen, Wum die Möglichkeit einer Verständigung zu haben. Einen solchen Weg glaubte man in der jetzt gewählten Fassung des § 8 gefunden zu haben. Ich selbst theile die Auffassung, die in der Herrenhaus⸗Kommission zum Ausdruck gekommen ist, und die nach⸗ her die Zustimmung des Herrenhauses selbst gefunden hat. Ich halte den § 8 in der dort beschlossenen Fassung nicht, wie vielfach in den Zeitungen behauptet worden ist, für eine Verschlechterung, eine Ver⸗ schärfung der Vorlage, sondern ich halte ihn für eine wesentliche Ver⸗ besserung. Der jetzige § 8 bewegt sich in der Richtung, die schon hier in der ersten Lesung durch den Abg. Eckels angedeutet wurde; er vermeidet eine Reihe von Schärfen, die der Regierungsvorlage hauptsächlich zum Vorwurf gemacht worden waren. Er statuiert nicht zwei Klassen von Assessoren: von vollwerthigen und von minderwerthigen. Er bricht den Angriffen aus den Kreisen der Rechtsanwaltschaft die Spitze ab. Auf der anderen Seite setzt er gerade da ein, wo nach meinen früheren wiederholten Ausführungen eingesetzt werden muß, nämlich bei dem gesetzlich der Verwaltung hinsichtlich der Assessoren auferlegten Beschäftigungs⸗ zwange. Ich habe schon früher ich meine auch hier ausgeführt, daß in diesen Bestimmungen die Quelle der vorhandenen Uebelstände zu suchen ist. Ich darf hinzusetzen: diese Bestimmung, die Vor⸗ schrift des Ausführungsgesetzes zum deutschen Gerichtsverfassungs⸗ gesetz, welche dahin geht, daß jeder Assessor einem Ge⸗ richt zur unentgeltlichen Beschäftigung überwiesen werden müsse, entbehrt nach meiner Auffassung jeder inneren Be⸗ rechtigung. Ich glaube nicht, daß in irgend einem anderen Staat eine solche Bestimmung besteht. Wir haben das früher auch nicht ge⸗ kannt. Bis zum Jahre 1879 war die Vorschrift, die den Herren zum großen Theil bekannt sein wird, eine ganz andere. Die Herren, die ihr Examen gemacht hatten, wurden einem Gericht überwiesen mit beschränktem Stimmrecht. Es lag lediglich in der Hand der Verwaltung, wann ihnen ein unbeschränktes Stimmrecht beigelegt werden sollte. Die Verord⸗ nung, vom Jahre 1849 fügte noch ausdrücklich hinzu: die Zahl der Assessoren mit unbeschränktem Stimmrecht dürfe niemals die Hälfte der bei der betreffenden Behörde angestellten etatsmäßigen Richter erreichen. Das ist eine Bestimmung, mit der sich arbeiten läßt, mit den gegenwärtigen Bestimmungen läßt sich nicht in zweckmäßiger Weise arbeiten.

Was bedeutet denn diese mechanische Zwangsbestimmung? Jeder, der eine gewisse Summe von Kenntnissen bewiesen hat in der Prüfung, ohne daß auch die Ueberzeugung besteht, er sei zur selbst⸗ ständigen Verwaltung eines richterlichen Amts nach seiner gesammten Bildung und Persönlichkeit geeignet, soll ohne weiteres in eine Richter⸗ stellung gebracht werden. So liegt die Sache. Die Assessoren, die jetzt den Gerichten zur unentgeltlichen Beschäftigung überwiesen werden, sind in der That vollberechtigte Richter, sie üben die richterlichen Funktionen ebenso aus, wie jeder angestellte Richter.

Dieser Paragraph hat zu dem eigenthümlichen Resultat geführt, daß wir gegenwärtig auf etwa 4000 Richterstellen gegen 6000 Richter im Staate haben. (Hört! hört! rechts.) Die Assessoren müssen alz Richter beschäftigt werden, und zwar nicht nach den Anweisungen der Verwaltung, sondern nach den von dem Einfluß der Ver⸗ waltung befreiten Beschlüssen des Präsidiums, sodaß sie in jedem Zweige der Rechtsprechung thätig werden können. Darin liegt gewissermaßen ein Zwang, diese Herren auch demnächst anzustellen. Man kann ihnen, wenn sie sich als Assessoren unangefochten Jahre lang mehr oder weniger bewährt haben, unmöglich sagen, daß sie zur definitiven Anstellung ungeeignet seien.

Nun, meine Herren, das Herrenhaus war also der Ansicht, daß hier eingesetzt werden müsse, und ich habe aus voller Ueberzeugung dem Antrag zugestimmt, weil ich der Meinung bin, daß die Auf⸗ hebung dieses Zwanges eine wesentliche Besserung der bestehenden Rechtslage zur nothwendigen Folge hat.

Nun ist allerdings in das Gesetz etwas hineingebracht worden, dessen Bedeutung hier scheinbar, wenigstens von dem Herrn Abg. In Walle nicht verstanden worden ist, weil die Verhandlungen des Herren⸗ hauses keinen Aufschluß darüber geben. jeder Assessor soll seine Beschäftigung beim Gericht be⸗ antragen. Es hängt von seinem freien Willen ab, ob er dal thun will oder nicht. Thut er es nicht, so kann a. über seine freie Zeit anderweit verfügen. Er bleibt Beamter, aber nicht richterlicher Beamter. Wenn der Assessor innerhalb eines Zeit⸗ raumes von 4 Jahren eine solche Beschäftigung nicht beantragt oder

nicht erlangt hat denn es muß der Justizverwaltung das Recht

zustehen, ihn zurückzuweisen —, dann muß er ausscheiden.

Ja, aber woher kommen die 4 Jahre? fragt der Hen Abg. Im Walle. Das ist gewissermaßen eine Gefühlssache gewesen, daß diese 4 Jahre hineingekommen sind, und zwar hängt es nach den Kommissionsverhandlungen damit zusammen, daß das Gesetz auf der Voraussetzung beruht, daß innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren jeder Assessor zur definitiven Anstellung kommen müsse, und daß daher eine längere Wartezeit auch für diejenigen Assessoren, die ohne eigentliche Verbindung mit der Justizverwaltung stehen, nicht gerechtfertigt sei. Diese Erwägung hat dazu geführt, daß die Beziehung dieser Assessoren zur Justizverwaltung doch einmal gelöst werden müsse, und daß man es nicht dahin kom⸗ men lassen dürfe, daß diese im Justizdienst gar nicht mehr beschäf⸗ tigten Personen etwa noch ihr Jubiläum als Justizbeamte feiern. Das ist der Grund gewesen, ein wohlwollender Grund. Es hat nicht eine Verschärfung sein sollen, wie hier behauptet worden ist; man hat keineswegs beabsichtigt, die Herren noch länger in hangender Pein zu⸗ lassen. Die Regierung legt auch absolut keinen Werth darauf, daß es gerade bei den 4 Jahren bleibt; sie würde mit einer Verkürzung dieser Frist vollkommen einverstanden sein. Und wenn die Frist Ihnen zu lang ist und Sie den Antrag stellen sollten, sie zu verkürzen, Sie werden bei der Staatsregierung irgend einen Widerstand gegen einen solchen Antrag nicht finden.

Meine Herren, das war die Auffassung des Herrenhauses. Ich

denke, sie wird Ihnen jetzt genügend verständlich geworden sein. 1

Es ist bestimmt worden:

Ueber die Frage, wieweit ein Zusammenhang bestehe zwischen § 8 und dem sonstigen Inhalt des Gesetzes, ist bereits so viel ge⸗ sprochen worden, daß Sie mir verzeihen werden, wenn ich nicht noch einmal das wiederhole, was ich auch selbst nun schon in den ver⸗ schiedensten Fassungen gesagt habe. Hier noch den Versuch zu machen, zu überzeugen, meine Herren, darauf lasse ich mich nicht ein. In parlamentarischen Versammlungen überzeugt man sich überhaupt nicht mehr, sondern man stimmt ab. (Sehr richtig! rechts. Unruhe links und im Zentrum. Glocke des Präsidenten.) Maßgebend sind die Fraktionsbeschlüsse. (Unruhe links und im Zentrum.)

Meine Herren, der Grund, aus dem die Regierung ent⸗ scheidenden Werth darauf legen muß, daß § 8, und zwar zunächst in der vom Herrenhause beschlossenen Gestalt, zur Annahme gelange, liegt in der Ueberzeugung von dem untrennbaren Zusammenhang des Paragraphen mit den übrigen Bestimmungen des Gesetzes. Diese Ueberzeugung ist verstärkt worden durch den Verlauf der Verhandlungen, und ich glaube, hier zurückkommen zu müssen auf die Bemerkungen des Herrn Abg. Hobrecht über die vielfach angeregte Frage, ob hier eine Verdunkelung von Kronrechten vorliegt. Ja, meine Herren, man muß sich zunächst darüber klar werden, was es heißt: Kronrechte können nicht verdunkelt werden. Der Satz ist richtig, wenn er in dem Sinne aufgefaßt wird,

Kronrechte nicht durch Verdunkelung aufgehoben werden können.

Etwas ganz Anderes aber ist es, ob in der öffentlichen Meinung eine olche Verdunkelung sich bilden könne. (Sehr richtig! rechts.) Und n diesem Sinne ist allerdings eine Verdunkelung vorhanden, und iese Verdunkelung hat sich durch die Ausführungen der Tagespresse och verstärkt. (Sehr richtig! rechts. Widerspruch links.) Wenn ie Herren mir das nicht glauben wollen, so kann ich Ihnen einen Artikel vorlesen, den ich in einem Zeitungsausschnitt aus einer der gelesensten Zeitungen vorfand. Ich habe ihn hier liegen. Da wird ausgeführt, daß verfassungsmäßig allerdings bei Ernennung von Verwaltungsbeamten ein Auswahlrecht gegeben sei; bei Ernennung on Justizbeamten aber bestehe ein solches Vorrecht nicht. (Hört! ört! rechts.) Und dieser Satz wird gefolgert aus der Gegenüber⸗ stellung der Art. 86 und 87 der preußischen Ver⸗ fas2sung mit Art. 98. Ja, meine Herren, ich habe meinen Augen nicht getraut, wie ich den Artikel las, und es ist mir nicht gelungen, dafür ein Verständniß zu gewinnen. Trotz alledem bin ich derselben Ausführung wenige Tage später in einem angesehenen Provinzialblatt begegnet und auch die Behauptung, daß der in § 8 ausgesprochene Satz, der doch nach der einstimmigen Auf⸗ fassung des ganzen Hauses ich glaube, auch der Herr Abg. Rickert hat eine Beschränkung nicht aussprechen wollen eigentlich nur be⸗ stehendes Recht klarstellt, also auch da bin ich der Auffassung begegnet, daß dieser § 8 etwos Verfassungswidriges enthalte, wenn er dahin führen solle, daß die Anstellung nicht nach der Anciennität erfolge.

Dann hat man weiter ausgeführt, die Unabhängigkeit der Ge⸗ richte erfordere eine Anstellung der Richter nach der Anciennität. Nun, meine Herren, habe ich mich gefragt: ist es denn das Ideal einer gerechten Verwaltung, nach mechanischen Grundsätzen die Stellen zu besetzen? und je höher von allen Seiten die Aufgabe, die Verant⸗ wortlichkeit des Richterstandes gestellt ist, ist es da richtig zu sagen: für die Verwaltung mag eine Auswahl zulässig sein, aber für den Richterstand nicht, das widerspricht seiner Unabhängigkeit? Liegt denn die Garantie der Unabhängigkeit darin, daß jemand, der die formelle äußerliche Qualifikation errungen hat, nach der Reihenfolge, nach dem Alphabet, oder vielleicht nach dem Loose zum Richter ernannt wird? Erfordert nicht gerade die schwere, hoch⸗ verantwortliche Aufgabe des Richteramts, der Anspruch, den man an die Gerichte erhebt, daß sie frei und unabhängig von jedem Einfluß von oben und unten ihr Amt ausüben, erfordert das nicht die sorg⸗ fältigste Auswahl bei der Ernennung der Richter? Und da gerade soll dies Verfahren verfassungswidrig sein?

Meine Herren, ich verstehe es nicht, und jedenfalls sage ich, daß das nicht der Weg ist, unsere Justiz zu heben, (sehr richtig! rechts), und daß sie nur gehoben werden kann, wenn eine Prüfung derjenigen Herren stattfindet, die zu diesem hochedlen, vornehmen, heiligen Beruf bestellt werden. (Lebhaftes Bravo rechts.)

Meine Herren, die Frage des Mißtrauens ist ja heute kaum noch berührt worden, ich will darauf auch nicht eingehen; auch das Streberthum hat heute kaum noch eine Erwähnung gefunden. Mir ist aber ein persönliches Vertrauen ausgesprochen durch den Herrn Abg. Hobrecht. Ich bin ihm dafür natürlich sehr dankbar, aber ich erinnere mich dabei eines verständigen Worts, das in voriger Woche Herr Abg. Rickert im Reichstag ausgesprochen hat. Damals handelte es sich um die Frage es waren Zweifel angeregt —, ob es infolge des vorgelegten Militärgesetzes zu einer Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit kommen könne, und es wurdedabei hingewiesen auf daspersönliche Vertrauen zu der Person des Herrn Kriegs⸗Ministers; da hat der Abg. Rickert das treffende Wort ausgesprochen: mit einem persönlichen Vertrauen sei überhaupt nichts gemacht, die Personen wechselten überall, das würde auch beim Kriegs⸗Minister so sein und so ist es auch in der Justiz —; aber das Vertrauen auf die Schwerkraft der Thatsachen, das schlage durch. Ich würde mich gefreut haben, wenn Herr Rickert seine kurze Rede von heute dadurch verlängert hätte, daß er diesen Satz auch hier ausgesprochen hätte, daß die Schwerkraft der Thatsachen jedem Justiz⸗Minister gegenüber stark genug sein würde, um ihn zu nöthigen, die Ernennung der Richter vorzunehmen nicht nach Gunst und Empfehlungen, nicht nach Familienbeziehungen und dergleichen, sondern nach der Tüchtigkeit der Persönlichkeit. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, das ist es, was ich Ihnen zu sagen habe. Viel Hoffnung, daß meine Worte noch Erfolg haben werden, habe ich selbstverständlich nicht. (Oho!) rechts.) Möge aber der Erfolg, die Entscheidung ausfallen, wie sie wolle, das Bewußtsein nehme ich mit, daß ich für eine gute Sache gekämpft habe. (Lebhaftes Bravo! rechts.)

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (kons.): In dieser wich⸗ tigen Frage hätte ich auch die Anwesenheit des Minjster⸗Präsidenten

er erwartet, um einer Verdunkelung der Kronrechte entgegenzutreten. err Rickert sagt, das Kronrecht 9* nicht angetaftet, der König aann ernennen, wen er will, aber dann sagen die Herren doch, das Kronrecht -. beschränkt durch das Gesetz. Aus Art. IV der Ver⸗ fassung (Gleichheit vor dem Gesetz) kann man nur mit einem doflschen Sprung, den wir nicht vitmachen können, folgern, daß Alle, welche das hissefsorexamen gemacht haben, zu Richtern ernannt werden müssen. Sie können dazu ernannt veeeg müssen aber nicht

ernannt werden. Man befürchtet eine Auswahl nach Standesvor⸗ urtheilen. Wir haben die bedeutendsten Männer aus kleinen Ver⸗

hältnissen heraus erstehen sehen, und a us her Fa⸗ milien haben nichts erreicht. Angesichts 8179n Vergangenheit sind die Motive, die man uns unterschiebt, nicht begründet. Wir sind an dieses Gesetz mit Wohlwollen für den Richterstand herangegangen. Wollen Sie die Regelung der Richtergehälter nicht, so mögen Sie es verantworten. Die Regierung ist von der Verantwortung ent⸗ lastet, wenn das Gesetz abgelehnt wird. Die Richter hier im Hause, welche es ablehnen, werden sich nicht den Dank ihrer Kollegen im Lande verdienen. Ich bitte Sie, den § 8 anzunehmen. Wenn er nicht angenommen wird, hat das ganze Gesetz für uns keinen Werth mehr. 9

Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Der Assesso nicht dos Nahtn a7 N. Süntr. 818 Rianleff 8 8 elgdinge sn 1;- Kronrecht unzweifelhaft; aber nach Königlicher Verordnung sollen Alle, welche die große Staatsprüfung haben, zu Afslessoren bestellt und beschäftigt werden. Eine beliebige Auswahl unter diesen 78 dem Minister nicht zu. Das hat die Regierung selbst als estehendes Recht anerkannt in der Be⸗ ründung hes Gesetes vom 6. Mai 1869. Der ernannte Assessor hat auch ein Recht auf Be⸗ schäftigung, aber nicht auf Anstellung als Richter. Die Praxis ist aber auch immer die gewesen, daß alle ernannten vhrepran als Richter angestellt wurden. Die Ernennung zum Richter liegt im freien . der Krone. Etwas Anderes habe ich auch nicht in der zweiten Lesung gesagt. Gegenüber der Ausübung des Kronrechts haben wir aber das Recht der Interpellation an den Justiz⸗Minister, denn unter dessen Verantwortung vollzieht die Krone die Er⸗ nennungen. Wir haben nicht gesagt, daß ganze Klassen der Bevölkerung ausgeschlossen werden sollen, sondern nur, daß, wenn das einmal geschehen sollte, wir das Recht der Inter⸗ pellation haben. Wenn § 8 abgelehnt werden sollte, ist das geltende Recht gar nicht zweifelhaft. Nicht richtig ist, daß durch unsere Diskussion eine Verdunkelung des Kronrechts in der öffentlichen Meinung herbeigeführt sei. Herr Schettler meint, wir könnten ru ig sein, die Konservativen beabsichtigten keinen Ausschluß ganzer Be⸗ völkerungsklassen. Aber die Konservativen haben doch das Gesetz nicht auszuführen. Wir Abgeordneten hören auf unseren Reisen die allge⸗ meine Meinung besser als der Minister bei seinen Dienstreisen, und nach meiner Erfahrung kann ich sagen, daß die Stimmung gegen das Gesetz durch die Rede des Herrn Drenckmann im Herre . noch stärker geworden ist. Befremdend war die Aeußerung des Herrn Ministers, daß man sich im Parlament nicht überzeuge, sondern abstimme. Das Parlament hat nicht den Zweck, sich zu überzeugen, sondern der Oeffentlichkeit die Gründe für die Ueberzeugung, die man hat, darzulegen. Wohl aber kann man sich auch im Parlament durch Gründe überzeugen bse Wir verlassen das Haus mit gutem Ge⸗ wissen, wenn die Entscheidung in unserem Sinne ausfällt.

Justiz⸗Minister Schönstedt:

Meine Herren! Auf die Frage des Sich⸗Ueberzeugens in diesem Hause will ich nicht weiter eingehen, schon um das gute Einvernehmen mit dem Hause, worauf ich den größten Werth lege, nicht zu stören; ich müßte sonst möglicherweise indiskret werden. (Oho! links und im Zentrum.)

Ich will auch mit dem Herrn Abg. Dr. Porsch nicht streiten über die Stimmung im Lande. Ich habe nicht behauptet, daß mir überall Zustimmung zu dem Gesetz begegnet sei; ich habe nur gesagt, daß mir bei einigen Gerichten solche Zustimmung begegnet sei und wenigstens nirgendwo eine solche Ablehnung wie hier und in der Presse. Daß der Herr Abg. Porsch andere Eindrücke gewonnen hat, und ihm andere Aeußerungen entgegengetreten sind, finde ich vollkommen begreiflich; wenn harmlose Gemüther jeden Morgen zum Frühstück einen solchen Auf⸗ wand von moralischer Entrüstung in sich aufnehmen müssen, wie er in letzter Zeit in vielen Zeitungsartikeln zum Ausdruck gekommen ist (ohol links und im Zentrum; sehr richtig! rechts), dann ist es be⸗ greiflich, daß der unbefangene Blick sich einigermaßen trübt und daß auch in der früher gehegten Auffassung von der Sache Schwankungen eintreten.

Zugestehen will ich dem Herrn Abg. Porsch hiermit ganz aus⸗ drücklich, daß der Justiz⸗Minister jetzt, wie in dem Falle, daß der § 8 angenommen würde, die Verantwortlichkeit für die Ausübung des ihm delegirten Ernennungsrechts hat, und daß er wird Rede stehen müssen, falls er von dieser Befugniß unangemessenen Gebrauch macht. Der Justiz⸗Minister wird sich dieser Verantwortung niemals entziehen können, noch wollen.

Im übrigen sind wir doch durch die Ausführungen des Herrn Abg. Porsch wiederum auf das Gebiet der Verdunkelung gekommen, und ich muß im Interesse der Krone und der Staatsregierung zur Wahrung ihrer künftigen Rechte doch hier noch einmal aus⸗ drücklich meinen abweichenden Standpunkt bezüglich der Frage fixieren, ob eine Verpflichtung der Regierunng besteht, die Re⸗ ferendare, die die große Prüsung bestanden haben, zu Assessoren zu ernennen. Es ist das, glaube ich, die einzige Differenz, die zwischen dem Herrn Abg. Porsch und mir in der Frage der An⸗ stellungspflicht besteht. Der Herr Abg. Porsch deduziert eine solche Verpflichtung, während ich sie bestritten habe und noch heute bestreite.

Es ist ganz richtig über die Thatsachen besteht gar kein Streit —, daß in der Verordnung vom Jahre 1849 gesagt war: die in der großen Prüfung Bestandenen werden zu Gerichts⸗Assessoren ernannt. Ich habe im Herrenhause ausgeführt und kann hier nur wiederholen, daß diese Bestimmung nicht den Zweck hat haben sollen, damit eine Verpflichtung zur Ernennung dieser Herren zu statuieren. Ursprünglich war beabsichtigt gewesen, den Referen⸗ daren nach bestandener Prüfung nur ein Befähigungszeugniß zu geben. Bei weiterer Erwägung aber fand man, wie die Motive darlegen, es nicht angemessen, daß die Herren nur mit einem solchen Befähigungszeugniß ausgerüstet werden sollten, und war der Ansicht, es sei richtiger, ihnen einen höheren Titel zu geben. So ist dieser Paragraph entstanden. (Hört, hört! Zurufe.) Nur als Titel, meine Herren. (Lachen im Zentrum.)

Wörtlich ist diese Bestimmung dann übergegangen in das Prüfungsgesetz vom Jahre 1869, das gegenwärtig diese Materie regelt. Allerdings ist das gesagt worden, daß damit nur der be⸗ stehende Rechtszustand aufrecht erhalten werde. Das Buch eines Beamten aus dem Justiz⸗Ministerium, das der Herr Abg. Porsch vorhin erwähnte, ist mir nicht näher bekannt. Der Beamte ist ein sehr tüchtiger Bureaubeamter, ein durchaus zuverlässiger Herr, und wenn der gesagt hat, es werde kein Amt verliehen durch die Er⸗ nennung zum Assessor, sondern das sei nur ein Titel, so ist das ganz richtig. (Zuruf: Anwartschaft.) Ich habe verstanden aus der Verlesung, daß auch darin stände, es sei nicht ein Amt, sondern ein Titel. Also Antwartschaft. Meine Herren, das war möglicherweise damals richtig. Ich habe vorhin schon den Unterschied auseinander⸗ gesetzt zwischen den früheren und den jetzigen Gerichts⸗Assessoren. Die damaligen Gerichts⸗Assessoren, die auf Grund der Verordnung vom Jahre 1849 und der Prüfungsordnung vom Jahre 1869 ernannt wurden, waren keine richterlichen Beamten. Jetzt sind sie nach dem Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungs⸗ gesetz richterliche Beamte geworden. Und darin würde schon

finden sein, wenn jetzt der Zwang bestände, jeden Referendar, der das große Examen bestanden hat, zum Gerichts⸗Assessor zu ernennen; es läge darin ein Zwang für die Regierung, ihm ein Amt zu verleihen. Denn jetzt hat der Assessor ein selbständiges Amt, wenn auch ein unbesoldetes. Hiernach würde also das Einführungs⸗ gesetz zum Gerichtsverfassungsgesez im Widerspruch stehen mit unseren verfassungsmäßigen Bestimmungen. Ein solcher Widerspruch ist aber nicht beabsichtigt, konnte auch nicht beabsichtigt werden; es sind auch die Formen einer Verfassungsänderung bei der Berathung nicht beobachtet, weil niemand daran gedacht hat, daß eine solche Verpflichtung statuiert werden solle. Das ist der Standpunkt der Regierung und die Rechtslage, die ich für die Krone wahren muß. (Bravol rechts.)

Damit schließt die Generaldiskussion.

In der Spezialdiskussion wird zunächst § 8 zur Debatte gestelt Das Herrenhaus hat denselben dahin gestaltet, daß as Fusfggr Zeges⸗ um deutschen Gerichtsverfassungsgesetz dahin abgeaͤndert wird, daß Gerichts⸗Assessoren, welche in vier Jahren feit ihrer Ernennung eine Ueberweisung zur unent⸗ geltlichen Beshssigung nicht beantragen oder nicht erlangen, aus dem Justizdienst ausscheiden.

Die Abgg. Krause⸗Waldenburg (frk.) und Freiherr von Richthofen⸗Mertschütz (kons.) haben den früͤheren An⸗ trag wicderboll wonach die Justizverwaltung uͤber die Zu⸗ lassung der Referendare nach Maßgabe des Bedarfs ent⸗ cheidet, die Referendare, welche die große Staatsprüfung be⸗ ttanden haben, mit dem Titel ,Gerichts⸗Assessor“ aus dem Justizdienst ausscheiden und diejenigen, welche in den höheren Justizdienst eintreten wollen, ihre Annahme bei dem Justiz⸗ Minister zu beantragen haben.

Ohne weitere Debatte wird in namentlicher Abstimmung der Antrag Krause⸗Waldenburg mit 201 gegen 170 Stimmen abgelehnt.

Darauf wird auch § 8 der Vorlage (Herrenhausfassung) abgelehnt.

1 wird ohne Debatte angenommen. Zum 8 2 liegt ein Antrag Im Walle (Zentr.) auf günstigere Berechnung des Besoldungsdienstalters vor.

Justiz⸗Minister Schönstedt:

Meine Herren! Ich will über die Stellung der Staatsregierung zu dem Antrag des Abg. Im Walle, der ja, wie ich glaube, zur Diskussion steht, keinen Zweifel lassen; er erscheint der Staats⸗ regierung finanziell und politisch unannehmbar, weil er sich in der direkt entgegengesetzten Richtung bewegt wie die Vorlage, und zur unausbleiblichen Folge haben würde, daß die Minderung des Andrangs zum höheren Justizdienst, die in der Vorlage erstrebt wurde, sich in das Gegentheil verwandeln würde. Es würde ein un⸗ gemessener Zudrang stattfinden, und es würde der Mittelstand aus⸗ geschlossen werden, der nicht die Chancen für sich ausnutzen kann, daß er nach Ueberschreitung der Wartezeit, die der Antrag zu Grunde legt, noch jahrelang warten kann, in der Voraussicht, daß die Nach⸗ theile sich mehr oder weniger später für ihn ausgleichen werden durch Einrücken in eine höhere Gehaltsstufe.

Ueber die finanzielle Frage mich zu äußern, wird kaum erforder⸗ lich sein. Es würde zweifellos eine erhebliche finanzielle Mehr⸗ aufwendung bei dem ungemessenen Andrang, der nach Ablehnung des § 8 erfolgen wird, entstehen; und zur Uebernahme dieses Mehr⸗ aufwands auf die Staatskasse liegt eine sachliche Veranlassung nicht vor.

Abg. Kraufe (Waldenburg) erklärt, daß seine Freunde nach Jb des § 8 gegen alle weiteren Paragraphen und Abänderungs⸗ anträge stimmen werden.

Abg. Schmieding (nl.): Wir wollen das Gesetz nicht prinziviell beschweren und werden deshalb nur für den Antrag Hodler zu 5 .“ welcher die Abgeordnetenhaus⸗ Beschlüffe wieder⸗

erstellt.

Der Antra 8* Walle wird abgelehnt und § 2 an⸗ genommen h. ie §§ 3— 4 ohne Debatte.

e §§ 5 und 6 enthalten die Bestimmungen über die Berechnung des Besoldungs⸗Dienstalters der beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits angestellten richterlichen Beamten.

Abg. Kirsch (Zentr.) beantragt, das ihnen durch Verordnung vom 16. April 1879 beigelegte Dienstalter als Befoldungsdienstalter zu Grunde zu legen.

Abg. Hodler (Zentr.) beantragt für den Fall der Ablehnung des Antrags Kirsch, daß der 3 Jahre übersteigende Zeitraum des angerechnet werde, während das Herrenhaus 4 Jahre bestimmt hat.

Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Lehnert macht darauf aufmerksam, daß der Antrag Kirsch der Staatskasse jährlich 1 ½ Millionen mehr als die Regierungsvorlage und 1 800 000 mehr als nach dem jeßigen Etat und der Antrag Hodler ½ Million mehr jährlich kosten würde.

Der Antrag Kirsch wird abgelehnt, und die §§ 5 und 6 werden in der Fassung des Antrags Hodler angenommen.

Die §88 7 bis 10 werden ohne Debatte erledigt. § 11, welcher die Anwendung des * auf die jetzt im Dienste befindlichen Referendare ausschließt, wird in Konsequenz der Ablehnung des § 8 gestrichen.

In definitiver Abstimmung wird endlich das ganze Gesetz gegen die Stimmen der Rechten angenommen. —— 3 ½ Uhr. Nächste Sitzung 111 Uhr. (Kleinere Vorlagen; Antrag Broemel wegen Ueberfüllung der Stadtbahnwagen.)

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Nach § 212 a Th. II Tit. 2 des Preuß. Allg. Landrechts ist ein großjähriger Sohn, wenn er ein Gewerbe treibt oder ein öffentliches Amt bekleidet, für entlassen aus der väter⸗ lichen Gewalt anzusehen. In Bezug auf diese 28—— hat das Reichsgericht, IV. Zivilsenat, durch Urtheil vom 23. März 1896 aus⸗ gesprochen, daß die Stellung eines Wirthschafts⸗Inspektors als eigener erbebetrieb im Sinne des § 212 a II. 2 A. L.⸗R. anzusehen ist, auch wenn der Sohn diese Stellung bei seinem Vater einnimmt. „Die Beurtheilung, ob ein groffäͤheiger Sohn ein eigenes Gewerbe treibt, hat nach den jedesmaligen konkreten Verhältnissen zu erfolgen; Betrieb auf eigene Rechnung oder selbständiger Gewerbe⸗ betrieb ist dabet nicht erforderlich. * (333/96.)

Die Aufführung eines Baues für private Zwecke oder seitens des Fiskus zu öffentlichen Zwecken, welcher zum theil in einen der Stadtgemeinde gehörigen öffentlichen Platz hineinragt, kann, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, V. Zivilsenats, vom 11. April 896, im Gebiet des Preuß. Allgem. Landrechts ab esehen von einer Enteignung nach Maßgabe der Bestimmungen des Preuß. Enteignungsgesetzes nur mit Genehmigun er Stadt⸗

emeinde eige. ein ohne diese Genehmigung errichteter

Bau ist au erlangen der Stadtgemeinde, soweit er auf