einige Bemerkungen zu machen, die, wie ich hoffe, auch die Anhänger des Antrags davon überzeugen werden, daß doch die Sache nicht so einfach liegt, wie sie für den ersten Anblick zu liegen scheint, und daß es gerade im Interesse derjenigen Rücksichten, die Herr Graf von Holstein vertritt, sein würde, wenn hier nicht in der zweiten Lesung der Antrag einfach so, wie er liegt, ange⸗ nommen würde, und wenn damit, namentlich dann, wenn die dritte Lesung ebenfalls gleich folgen sollte, eine Situation geschaffen werden würde, die die Regierung von ihrem Standpunkte aus nicht wird acceptieren können. Ich meine, meine Herren, bei einer solchen Maß⸗ regel, die doch nicht eine, sondern verschiedene Seiten hat, muß der Gesetzgeber seine desinitive Stellung erst nehmen, wenn er die Wirkungen des Vorschlags nach allen Seiten hin erwogen hat.
Nun, meine Herren, verstehe ich und theile ich die Entrüstung, die den Herrn Antragsteller erfüllte, als er vorhin sprach bei der Berührung der Verhältnisse, die zu diesem Gesetzesvorschlag Veranlassung gegeben haben, vollständig, und ich bin überzeugt, daß die verbündeten Regierungen in dem Wunsche, Abhilfe zu schaffen, eins sind mit dem Herrn Antrag⸗ steller. Allein, man muß sich darüber klar sein, ob die Mittel, die man zu diesem Zweck anwendet, durchschlagend und ob sie rechtlich einwandfrei sind, und in diesem letzteren Punkte, nach der juristischen Seite der Sache hin, halte ich mich doch für verpflichtet, auf einige Erwägungen hinzuweisen, die nach meiner Meinung sorgfältigere Berathung erfordern, als sie hier im Hause in diesem Augenblick möglich sein würde.
Meine Herren, der Antrag will, daß diesen unglücklichen Ge⸗ schöpfen illegitimer Verbindungen die Möglichkeit gegeben werde, den Anspruch, den das Gesetz ihnen gewährt, zwangsweise durchzusetzen ohne Rücksicht auf die Schranken, die das Gesetz über die Beschlagnahme des Arbeits⸗ und Dienstlohns zieht. Hier dürfen wir nun aber doch nicht vergessen, daß die Ansprüche ehelicher Kinder gleichfalls in Betracht kommen. (Sehr richtig! rechts — Widerspruch links.) — Nein, bitte um Verzeihung, die Ansprüche der ehelichen Kinder stehen mit denjenigen der unehelichen auf diesem Gebiet nicht gleich; denn während sowohl nach dem bestehenden Gesetz als auch nach den Bestimmungen des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs die ehe⸗ lichen Kinder in ihren Forderungen gegenüber dem Vater auf das⸗ jenige beschränkt sind, was wir die „Kompetenz“ nennen, also bei der Durchführung ihrer Forderung Rücksicht auf die eigenen Bedürfnisse des Vaters nehmen müssen, steht das uneheliche Kind in dieser Beziehung anders, es ist in seinen Ansprüchen nach dieser Seite hin nicht beschränkt. Nun, meine Herren, was würde die Folge sein? Zu Gunsten eines unehelichen Kindes würde gegen den Vater, soweit er nicht in einem Beamtenverhältniß steht, wo die Zivil⸗ prozeßordnung gewisse Schranken gezogen hat, mit der Beschlagnahme vorgegangen werden bis auf den letzten Heller dessen, was er erwirbt, auf Kosten auch des nothwendigen Lebensbedarfs des Vaters, auch auf Kosten der ehelichen Kinder, die der Vater zu unterhalten hat. Zu Gunsten der ehelichen Kinder würde ein Gleiches nicht möglich sein, d. h. meines Wissens. Sie schaffen hier einen Rechtszustand, welcher die größten Härten für die legitimen Familienverhältnisse enthält zu Gunsten der illegitimen, und, meine Herren, das glaube ich, wird Ihre Absicht nicht sein wollen!
Ein Anderes noch! Auch den Ascendenten das Vaters ist gesetz⸗ lich ein Anspruch auf Alimentation gegeben, nur ist andererseits dieser Anspruch durch das Lohnbeschlagnahmegesetz nicht unter diejenigen auf⸗ genommen, welche derart privilegiert sind, daß sie geltend gemacht werden können auch gegenüber dem Einkommen des Vaters aus dem Arbeits⸗ und Dienstlohn. Was wird nun die Folge dieses Gesetzes⸗ vorschlags sein, wenn er in Anwendung treten sollte, in den Be⸗ ziehungen der unehelichen Kinder des Vaters, die An⸗ sprüche erheben, zu den ebenfalls einen Anspruch erhebenden Ascendenten, also vor allem den Eltern des in Anspruch genommenen Vaters? Die Folge würde sein, daß die legitimen Eltern des betreffenden in Anspruch Genommenen ihre Ansprüche auf Alimentation im Wege der Lohnbeschlagnahme nicht geltend machen können, das illegitime Kind dieses in Anspruch Ge⸗ nommenen aber dies zu thun vermöchte. Auch das, meine Herren, ist eine Folge, die mit der Gerechtigkeit nicht im Einklang steht, und die, wie ich glaube, von dem Herrn Antragsteller nicht gewollt ist.
Drittens, meine Herren, das Gesetz, gegen welches der Vorschlag
des Herrn Grafen Holstein sich richtet, ist neben der Zivilprozeß⸗ ordnung vor allem das Gesetz über die Beschlagnahme des Arbeits⸗ und Dienstlohns. Dieses Gesetz beschränkt zu Gunsten des Arbeiters
eine Inanspruchnahme desjenigen, was der Arbeiter verdient, weil er diesen Verdienst zu seinem täglichen Lebensunterhalt gebraucht. Gewiß mit Recht. Nun hat aber infolge unserer sozial⸗ politischen Gesetzgebung dieser Grundsatz eine Erweiterung erfahren, welche praktisch wichtig, ist und welche nach meiner Meinung hier nicht außer Betracht gelassen werden kann, wenn man die Sache erschöpfend, gleichmäßig, zweckentsprechend regeln will. Durch die sozialpolitischen. Gesetze ist nämlich das⸗ jenige, was das Gesetz von 1869, eingeführt hat zum Schutz des Arbeits⸗ und Dienstlohns, auch eingeführt zum Schutz der Unfallrente und des Krankengeldes. Die Altersrente brauche ich hier nicht in die Diskussion zu ziehen; ein Anspruch auf diese wird hier kaum praktisch werden. Das Krankengeld und die Unfallrente sind beide aus dem gleichen Gesichtspunkt, wie der Arbeits⸗ lohn gegen Pfändung geschützt.. Sie follen erhalten bleiben dem⸗ jenigen, dessen Notbdurft sie befriedigen sollen.
Wat wird nun die Folge sein, wenn der Gesetzentwurf in der Ge⸗ stalt, wie er uns hienvorliegt, Gesetz würde 2 Auf dem Gebiete des Arbeits⸗ lohns würde eine Erweiterung der privilegierten Forderungen ein⸗ treten; auf dem Gebiete der sozialpolitischen Renten, wo die gleichen Gesichtspunkte die Gesetzgebung geleitet haben, würde diese Erwei⸗ terung nicht eintreten. Solche Inkonsequenzen darf eine Gesetzgebung, meine ich, sich nicht zu schulden kommen lassen. Mir scheint, diese Zweifelpunkte lassen denn doch schon erkennen, daß die Sache nicht so einfach liegt, wie man auf den ersten Blick anzunehmen geneigt ist. Dies um so mehr, wenn noch ein Punkt von einiger Tragweite hinzukommt, der vielleicht nicht bei eder sozialpolitischen, Würdigung der Sache ent⸗ scheidend sein kann, den aber doch vermöge seiner rechtlichen Bedeutung der Gesetzgeber nicht unbeachtet lassen darf, wenn er sich nach dieser Richtungenicht einem Vorwurf aussetzen will. Ich meine Folgendes, meine Herren. Der Gesetzentwurf, der hier in Frage steht, hat den Zweck, solche Alimentationsansprüche in größerem Umfoange als bisher zu schützen, die das bestehende Recht zu Gurnsten unehelicher Kinder
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setzungen und Einschrünkungen anerkannt.
noch über den Antrag weit hinausgehen.
Lesung zugestimmt,
die Wanderlehrer zu erhöhen.
gewährt. Nun, meine Herren, ist das bestehende Recht auf diesem
Gebiet zur Zeit in Deutschland leider sehr verschieden. Wir sehen in einzelnen Theilen des Landes derartige Alimentationsansprüche zu Recht be⸗ stehen, in anderen Theilen kennt das Gesetz solche Ansprüche garnicht. Dort, wo sie anerkannt werden, werden sie mit sehr verschiedenen Voraus⸗ Die Wirkungen, die das vorgeschlagene Gesetz haben kann, würden sich in einem Theil von Deutschland überhaupt nicht äußern, in den anderen Gebieten, wo sie sich äußern können, würde das in sehr verschiedener Art der Fall sein. Auch
enach diefer Richtung hin, sollte ich meinen, muß man die Konsequenzen
des Gesetzes verfolgen, bevor man eine definitive Stellung nimmt,
und das kann wohl nur in der Kommission geschehen. Deshalb scheint
es mir nicht unbedenklich zu sein, die Sache hier in zweiter Lesung zu behandeln. Ich glaube, gerade im Interesse derjenigen Gedanken,
die von dem Herrn Antragsteller vertreten sind, deren Bedeutung ich⸗
durchaus würdige und deren Förderung mir am Herzen liegt, zu sprechen, wenn ich dem hohen Hause zur Erwägung stelle, ob es an⸗ gezeigt ist, heute schon in die zweite Lesung einzutreten.
Abg. Stadthagen (Soz.): Der Antrag würde überflüssig sein, wenn die unehelichen Kinder auch im Bürgerlichen Gesetzbuche die gleiche Stellung wie die ehelichen erhalten würden. Das würde Ich empfehle die Ueber⸗ weisung des Antrages an eine Kommission.
Abg. Günther (nl.) erklärt für seine Freunde, daß sie dem Antrag zustimmen; er hätte gern dem Antrage auch in zweiter allein die Bedenken des Staatssekretärs seien nicht zurückzuweisen und es empfehle sich daher eine Kommissions⸗ berathung. Er (Redner) sei durch die schlimmen Erfahrungen der Praxis dazu gekommen, den unehelichen Kindern eine bessere Stellung einzuräumen, weil die Väter unehelicher Kinder, auch wenn sie enns thun könnten, für ihre unehelichen Kinder und deren Mutter nichts thäten.
Abg. Beckh (fr. Volksp.): Die Annahme des Antrages wider⸗ spricht dem, was im Bürgerlichen Gesetzbuch ausgesprochen ist; es müßte also im Bürgerlichen Gesetzbuch eine Aenderung vorgenommen werden. Redner empfiehlt ebenfalls eine kommissarische Berathung.
Abg. Dr. von Cuny inl.): Eine Aenderung des Bürgerlichen Gesetz⸗ buches ist nicht nothwendig. Aber der Antrag bedarf einer kom⸗ hifferic en Berathung. 1
Abg. Dr. Bachem: Es handelt sich nicht um die Schaffung eines 88 9515 um die Exsequterung eines bestehenden npen 8 an den Arbeitslohn. Eine Kommissionsberathung ist nicht noth⸗ wendig, denn es komme baupthächi darauf an, einen Beschluß des Hauses herbeizuführen, damit der Bundesrath sich mit der Frage beschäftigt, und wenn er zur Ablehnung kommt, uns einen besseren Vorschlag macht.
Die Abgg. Dr. Rintelen (Zentr.), Stadthagen und reiherr von Stumm (Rp.) empfehlen die Ueberweisung des ntrags an eine Kommission von 14 Mitgliedern, welchem
Vorschlage das Haus sich anschließt. Darauf werden noch einige Petitionen ohne erhebliches
allgemeines Interesse erledigt.
Schluß 5 Uhr. Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. Rechnungsvorlagen und Vorlagen, betreffend die Schutztruppe, owie zweite Berathung der Militärvorlage.)
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Anspru
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Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
79. Sitzung vom 13. Juni 1896.
Auf der Tagesordnung steht zunächst die Interp ellation der Abgg. Knebel und von Eynern:
„Hat das Königliche Staats⸗Ministerium Kenntniß genommen von der Erklärung des Ministers für Landwirthschaft im Herren⸗ hause vom 26. März 1896, wonach bei der Vectheftung von Stagats⸗ zuschüffen zu landwirthschaftlichen Zwecken künftig diejenigen Pro⸗ vinzen, welche Landwirthschaftskammern 5 haben, besonders Fe werden sollen? und welche Stellung nimmt das König⸗ liche Staats⸗Ministerium dieser Erklärung gegenüber ein??
Der Präsident des Staats⸗Ministeriums Fürst zu Hohen⸗ lohe erklärt sich bereit, die Anfrage sofort zu beantworten.
Abg. Knebel (nl.): Dem rheinischen landwirthschaftlichen Zentralverein wurde der beantragte Zuschuß zu den lichen Winterschulen, die eine erfreuliche Ausdehnung gewonnen haben, abgeschlagen. Der Verein hatte bisher allein mit Zuschüssen der 5 die Winterschulen unterhalten. Der Staat hatte nur die
osten übernommen, die die Verwendung der Winterschul⸗Direktoren als Wanderlehrer erforderte. Der Minister für Landwirthschaft lehnte es ab, bei einer Vermehrung der Schulen die Zuschüsse für Auf eine Anregung des Herrn von Bemberg im Herrenhause erfolgte die bekannte Antwort, daß die Provinzen mit Landwirthschastsrammern besonders berücksichtigt werden müßten bei den Zuschüssen; die anderen müßten zurückstehen. Daß die Landwirthschaftskammer⸗Provinzen aus eigenen Mitteln mehr leisten, als die anderen Provinzen, sei durchaus unrichtig; Rheinland, Hannover und Westfalen leisten mehr als die Provinzen, mit Landwirthschaftskammern, Rheinland giebt für eine Winterschulen allein mehr aus als jede der anderen Pro⸗ vinzen überhaupt. Der Zentralverein zieht die Kreisvereine zu den Lasten heran, die höher sind als die Umlagen der Landwirthschafts⸗ kammern. Dieser Organisation geben wir den Vorzug und werden sie festhalten, auch wenn man uns für das Aufgeben derselben ekuntäre Vortheile in Aussicht stellt. Die Erklärung des Landwirth⸗ chafts⸗Ministers stellt solche Vortheile in Aussicht, sie erweckt daher die ernstesten Bedenken, zumal sie im Widerspruch steht mit den Auslassungen bei Erlaß des Landwirthschaftskammer⸗Gesetzes, wonach die Staatszuschüsse nicht entzogen werden sollten. n M für Landwirthschaft Freiherrn von Hammerstein persönlich ist die Interpellation nicht gerichtet; wir sind im übrigen mit ihm ein⸗ verstanden, hoffen aber in Bezug auf diesen einen Punkt auf eine befriedigende Antwort seitens des Staats⸗Ministeriums.
Präsident des Staats⸗Ministeriums Fürst zu Hohenlohe: Meine Herren! Der Herr Minister für Landwirthschaft bedauert, durch eine Dienstreise verhindert zu soin, der heutigen Sitzung beizu⸗ wohnen; ich habe es daher übernommen, die Interpellation zu beant⸗ worten. Die Herren Interpellanten scheinen von der Auffassung aus⸗ zugehen, daß das Königliche Staats⸗Ministerium berufen sei, die rt der Verwendung der dem Herrn Minister für Landwirthschaft,
Domänen und Forsten durch den Staatshaushalts⸗Etat zu land⸗
wirthschaftlichen Zwecken zur Verfügung gestellten Beträge seiner Er⸗ örterung und Beschlußfassung zu unterziehen.
Eine solche Auffassung würde eine rechtsirrthümliche sein.
Nach preußischem Staats⸗ und Verwaltungsrecht steht jedem Ressort⸗Chef, soweit nicht im Etat selbst oder in den Gesetzen
Einschränkungen vorgesehen sind, die ausschließliche Verfügung über die für sein Ressort bereitgestellten Mittel zu. Solche Einschränkungen
bestehen rücksichtlich der Fonds, welche die Interpellation im Auge bat, nicht. Für das Staats⸗Ministerium hat deshalb auch eine Ver⸗ anlassung zu einer Stellungnahme gegenüber der Erklärung, welche
der Herr Landwirthschafts⸗Minister in der Sitzung des Herrenhauses
vom 26. März d. J. abgegeben hat, nicht vorgelegenn.
Gegen den Minister
Ueberdies aber haben die Herren Interpellanten dieser Erklärung
eine Deutung gegeben, welche weder aus dem Wortlaut noch aus
der ihr zu Grunde liegenden Absicht hergeleitet werden kann. Der Herr Minister Freiherr von Hammerstein hat nicht ausgesprochen, daß diejenigen Provinzen, welche Landwirthschaftskammern eingeführt haben, bei der Vertheilung von Staatszuschüssen zu landwirthschaft⸗ lichen Zwecken besonders berücksichtigt werden sollen. Er hat viel⸗
mehr nur den durchaus zutreffenden Grundsatz aufgestellt, daß bei der Vertheilung die eigenen Leistungen der Betheiligten in Betracht gezogen werden müssen, und hat aus diesem Grundsatz die Folgerung
gezogen, daß die mit Landwirthschaftskammern versehenen Provinzen, in denen im Gegensatz zu den anderen die gesammte Landwirthschaft zu gemeinnützigen Ausgaben herangezogen werden kann, weil sie selbst mehr aufbringen, auch höhere Zuschüsse erhalten werden. Nicht weil sie Landwirthschaftskammern haben, sondern weil sie mehr Beiträge zahlen, erhalten sie auch verhältnißmäßig höhere Zuschüsse. (Sehr richtig! rechts.) Das Staats⸗Ministerium würde diese Erklärung, selbst wenn es dieselbe seiner Kritik hätte unterwerfen können, zu bemängeln keinen Anlaß gehabt haben.
Ich benutze diese Gelegenheit, um noch am Schluß eine kurze
Bemerkung zu machen. Der Herr Abg⸗Graf zu Limburg⸗Stirum
hat in der vorletzten Sitzung meine Nichtbetheiligung an der Be⸗ rathung eines Gesetzentwurfs einer abfälligen Kritik unterzogen. Ich muß diese Kritik als eine unberechtigte entschieden zurückweisen. Es muß dem Minister⸗Präsidenten überlassen bleiben, zu erwägen und zu entscheiden, ob und inwieweit es erforderlich ist, daß er sich wegen der allgemeinen politischen Bedeutung eines Berathungsgegen⸗ standes an der Berathung eines Gesetzentwurfs oder Antrags be⸗ theiligen will oder nicht. —
Ich halte den Entwurf über die Anstellung von Gerichts⸗ Assessoren nicht für einen von solcher politischen Tragweite, daß ich es für nöthig hätte erachten müssen, neben der bewährten Kraft des Herrn Justiz⸗Ministers die Vertretung desselben zu übernehmen.
Wenn der Herr Graf noch die Bemerkung gemacht hat, ich be⸗ trachtete meine Stellung als Minister⸗Präsident als ein Nebenamt, so kann ich, sofern dieser Bemerkung überhaupt ernsthafte Bedeutung beizulegen ist, nur sagen, daß ich mir nicht bewußt bin, in der Er⸗ füllung der mir von Seiner Majestät übertragenen Pflichten einen Unterschied eintreten zu lassen. (Bravo!)
Auf Antrag des Abg. Hobrecht findet die Besprechung der Interpellation statt.
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum: Die letzten Worte des Herrn Minister⸗Präsidenten nöthigen mich zu einer Erwiderung. Gewiß, formell kann der Minister⸗Präsident darüber atscheger. ob
er in einem einzelnen Fall erscheinen will oder nicht. Die Entschei⸗ dung hierüber steht zweifellos ihm allein zu. Auf der anderen
Seite werden wir wohl berechtigt sein, wenn wir das Gefühl haben, daß im Interesse des Staats und der Dinge ein Eintreten des Herrn Minister⸗Präsidenten erwünscht ist, daß wir das sagen. Man kann
nun über die Frage der AÄssessoren⸗Ernennung verschiedener Mei⸗ nung sein. Ursprünglich und an und für sich 8 ien es, als ob die rage der Richtergehälter nur eine finanziell⸗technische Fraß sei. sah dem Gang der Debatte aber war es zweifelhaft, wie weit die Rechte der Krone und der Regierung bei der Ernennung der Richter gehen. (Lebhafter Widerspruch links; Zustimmung rechts.) Schon der heftige Widerspruch, der von jener Seite ausgeht, und die Thatsache, daß von seiten meiner Feunde mir zugestimmt wird, zeigt, daß wesentliche Unterschiede in der Aussafuns der Sache bestehen, und daß dies mehr prinzipielle Unterschiede sind. Mit den Be⸗ merkungen, die ich am vorigen Sonnabend machte, und die übrigens ganz ernst gemeint waren, und nicht ab irato und ex abrupto ohäh waren, sondern meiner wohlüberlegten Nulsaffuns Atwergcher, habe ich dem Herrn Minister⸗Präsidenten persönlich nichts Unangenehmes und Seeege wollen. An den Zuständen, die ich damit be⸗ rührte, mag der Minister⸗Präsident nicht schuld sein; sie liegen wohl tiefer; ich habe aber doch nicht die in weiten Kreisen perbreitete Stimmung verschweigen wollen. Ich halte es für meine Pflicht, wenn ich auch die Sachen nicht unmittelbar ändern kann, daß, wenn sch denke es könnten Schwierigkeiten entsteben, welche dem Reich nicht förderlich
sind, ich meine warnende Stimme erhebe, um so mehr, wenn ich das B-e. wußtsein habe, daß das, was ich sage, in weiten Kreisen im Lande, welche
für die Monarchie und die Stärke der Regierung eintreten, getheilt wird. Denn darüber ist kein Zweifel, wenn nun Zustände sich herausbilden sollten, daß — was augenblicklich 4ch nicht vollendet ist, wozu aber ee sich zeigen — die preußischen Interessen im Reich nicht mehr denjenigen Einfluß haben, der ihnen durch die Verfassung und durch die Stellung Flenens gebührt, daß dann überhaupt eine Gefährdung der Reichsinstitution eintritt.
ich den Herrn Minister⸗ Fpesken und die Staatsregierung, meine Aeußerung aufzufassen. Es ist eine Warnung (Unruhe links und im
Der Herr, der mir Oho! zurief,
ehen, die gefährlich erscheinen. zu verwechseln.
cheint das ort „Warnung“ mit Von Drohungen ist keine Rede, aber
gegen eine wohlgemeinte Warnung kann man doch nichts einwenden. In diesem Sinne bitte ich die Sache aufzufassen.
Abg. Herold ehen⸗)⸗ ür die Zuschüsse sollte das Bedürfniß allein bern sein. Die g Fr di des Landwirthschafts⸗Ministers ing aber dahin, daß die Provinzen, welche keine Kammern haben, ch Abstriche gefallen lassen müssen. Das ist ungerecht gegenüber diesen Provinzen, welche Föhr hohe Mittel aufwenden, was Redner besonders bezüglich Westfalens nachweist.
Präsident des Staats⸗Ministeriums Fürst zu Hohenlohe:
Meine Herren! Der Herr Graf zu Limburg⸗Stirum hat seine neuliche Aeußerung in so fern richtig gestellt, als ihm eine persönliche, verletzende Absicht ferngelegen habe. Davon nehme ich Akt.
Er hat aber zu gleicher Zeit betont, daß er seine Erklärung wohl⸗ überlegt deshalb abgegeben habe, weil bei ihm und in weiten Kreisen die Ueberzeugung herrsche, daß die preußischen Interessen den Reichs⸗ interessen gegenüber zur Zeit nicht genügend gewahrt würden. Der Herr Graf hat wohl kaum geahnt, welchen schweren Vorwurf er damit der preußischen Regierung im allgemeinen gemacht hat. (Sehr wahr! im Zentrum und links.) Ich bin mir nicht bewußt, daß wir es an der Förderung der speziell preußischen Interessen je haben fehlen lassen. (Bravot im Zentrum und links.)
Abg. Eckels (nl.) führt für die Provinz Hannover ebenso, wie der Abg. Herold für die Provinz Westfalen, aus, daß die dortigen landwirthschaftlichen Vereine mehr Aufwendungen machen als die⸗ enigen Provinzen, in welchen Landwirthschaftskammern bestehen. Die
rovinz Hannover lege auf ihre landwixthschaftlichen Vereine ein ganz
erhebliches Gewicht. Eine Doppelbesteuerung für die Landwirth⸗
schaftskammern und für die landwirthschaftlichen Vereine könne auf
die Dauer nicht fortbestehen. Was man durch die Landwrthschafts⸗ kammern im günstigsten Falle machen kann, wird lange nicht an das heranreichen, was wir durch unsere freie Vereinsthätigkeit erzielen. Vize⸗Präsident des Staais⸗Ministeriums Dr. von Boetticher: — Meine Herren! Ich habe ums Wort gebeten auf Grund des Ersuchens meines verehrten Herrn Kollegen, des Landwirthschafts⸗ Mintfters, der an mich die Aufforderung gerichtet hat, die Bebeu tung
feiat Ruf: Oho!)... warnen darf ich doch, wenn Zustände ent⸗ e
„Drohung“
In diesem Sinne bitte
der Erklärung, die er in der Sitzung des Herrenhauses vom 26. März 3. abgegeben hat, sofern das Bedürfniß hierzu hervortreten sollte, noch besonders klarzustellen. Dieses Bedürfniß scheint mir vor⸗ handen zu sein; denn ich entnehme aus den Aeußerungen der Herren Vorredner, daß in der That diese Erklärung nicht so auf⸗ gefaßt ist, wie es der Wortlaut ergiebt und wie es allein die Absicht des Herrn Landwirthschafts⸗Ministers sein konnte. Ich erinnere, um dies klarzustellen, einfach an den Hergang.
Der landwirthschaftliche Zentralverein für die Rheinprovinz hatte von dem Herrn Landwirthschafts⸗Minister eine Erhöhung des Zu⸗ schusses zur Unterhaltung der Winterschulen erbeten. Der Herr Minister war nicht mehr in der Lage, für das laufende Jahr diese Erböhung zu bewilligen; er war genöthigt, auch auf wiederholte Vor⸗ stellungen die Bitte des landwirthschaftlichen Vereins für Rhein⸗ preußen abzulehnen. Als die Sache nun im Herrenhaus zur Sprache lam, und der Herr Minister den Grund, weshalb er einen ablehnen⸗ den Bescheid habe erlassen müssen, dargelegt hatte, kam er weiter darauf zu sprechen, wie sich aller Voraussicht nach die Vertheilung der Zuschüsse auf die einzelnen Provinzen stellen würde. Er ging dabei von dem Satze aus, daß die Staatsregierung die Verpflichtung habe, bei der Vertheilung der Zuschüsse vorzugsweise auch die eigenen Leistungen der Provinzen in Betracht zu ziehen. Und, meine Herren, dieser Grundsatz wurde von dem Nächstbetheiligten, von dem Vor⸗ sitzenden des landwirthschaftlichen Vereins für Rheinpreußen, als ein durchaus berechtigter anerkannt. Ich erlaube mir, in dieser Beziehung die Worte zu verlesen, die un⸗ mittelbar, nachbdem der Herr Minister Freiherr von Hammerstein seine Erklärung abgegeben hatte, von Herrn von Bemberg⸗Flamers⸗ heim gesprochen worden sind. Herr von Bemberg sagte:
Ich erkenne den Grundsatz des Herrn Landwirthschafts⸗ Ministers für vollkommen richtig an, daß als Grundlage für die erbetenen Unterstützungen des Staats ein eigenes Eintreten und eine möglichste Anstrengung der eigenen Kraft Vorbedingung sein soll.
Nun hat der Herr Minister im Anschluß an die Proklamierung dieses Grundsatzes ausgeführt, daß er annehmen müsse, daß in Zukunft die eigenen Leistungen derjenigen Provinzen, welche das Institut der Landwirthschaftskammern eingeführt haben, höher sein werden als die⸗ jenigen Leistungen, welche die Provinzen machen, die keine Landwirth⸗ schaftkammern haben. Er hat das damit begründet, daß die Land⸗ wirthschaftskammern nach dem Gesetz das Recht der Besteuerung der gesammten Landwirthschaft in ihren Bezirken besitzen, daß sie also in jedem Falle, in welchem es sich um die Förderung landwirthschaft⸗ licher Interessen handelt, auch in der Lage sind, zur Erfüllung dieses Zweckes Beiträge auf die Landwirthschaft ihres Bezirks auszuschreiben. Daraus ergiebt sich doch ganz zweifellos, daß der Minister durchaus fern davon gewesen ist, zu erklären: die Provinzen, in denen Land⸗ wirthschaftskammern existieren, müssen absolut mehr bekommen als die Provinzen, die keine Landwirthschaftskammern haben —, sondern er hat nur sagen wollen und hat auch nur gesagt: die Dinge werden möglicherweise dahin führen, daß, wenn die Pro⸗ vinzen mit Landwirthschaftskammern ihre Leistungen erhöhen, auch die Staatszuschüsse, die sie bekommen, gegenüber den anderen Provinzen sich steigern werden. Aus den Erklärungen des Herrn Ministers ergiebt sich zweifellos, daß es die Absicht ist, nicht nur die Leistung, welche die Provinz infolge von Ausschreibungen von seiten der Landwirthschaftskammern aufbringen, bei der Vertheilung der Staatszuschüsse in Anschlag zu bringen, sondern die Gesammtleistung, gleichviel ob sie von Landwirthschaftskammern ausgeschrieben werden ider von wo sie sonst kommen mögen, bei der Vertheilung in Betracht zu ziehen.
Und, meine Herren, demgemäß ist auch bisher verfahren worden; und es sind noch keiner Provinz, auch nicht der Rheinprovinz gegen⸗ über die früheren Bezüge in irgend welchem Betrage geschmälert oder vermindert worden, und es ist ganz klar, daß auch bei künftigen Ver⸗ theilungen diejenigen Beiträge, die die Provinzen, die keine Land⸗ wirthschaftskammer haben, auf anderem Wege aufbringen, bei der Vertheilung der Staatszuschüsse in Betracht werden gezogen werden.
Meine Herren, das ist die Bedeutung der Erklärung des Herrn Landwirthschafts⸗Ministers, und ich kann nur bedauern, daß diese Be⸗ deutung so, wie es geschehen, verkannt worden ist. Unverkennbar hat die Erklärung im Herrenhause durch die Deutung, die sie erfahren hat, eine gewisse Unruhe in den Provinzen erregt, die keine Landwirthschaftskammern haben, und es ist ja dankens⸗ werth, daß uns durch die Interpellation eine Gelegenheit gegeben ist, in dieser Beziehung aufklärend und beruhigend zu wirken. Bisher sind, wie gesagt, noch keiner Provinz die Zuschüsse entzogen oder gemindert, und ebensowenig ist — worauf die letzten Worte des Herrn Vorredners schließen lassen könnten — durch die Drohung einer Minderung oder Entziehung irgend welcher Zwang auf eine Provinz zu dem Zwecke ausgeübt worden, um sie zur Einführung des Instituts der Landwirthschaftskammern zu veranlassen. Auch durch andere Mittel ist ein solcher Zwang bisher nicht versucht oder auch nur bei dem Landwirthschafts⸗Ministerium in Betracht gezogen wor⸗ den; ich darf vielmehr annehmen, daß man in dieser Beziehung zu⸗ nächst die freie Entschließung der Provinzen abwarten will.
Nun, meine Herren, gestatten Sie mir noch ein Wort über die Kompetenz des Staats⸗Ministeriums! In dieser Beziehung geben mir ja auch die Ausführungen des letzten Herrn Vorredners Anlaß zu einigen Bemerkungen.
Es ist ganz unzweifelhaft, daß in Preußen jeder Ressort⸗Minister ber diejenigen Fonds, die ihm etatsmäßig bewilligt sind, die aus⸗ schließliche Verfügung hat, sofern nicht im Etat oder Gesetz irgend eine Einschränkung enthalten ist. Rücksichtlich dieser Fonds, um die es sich hier handelt, ist eine solche Einschränkung nicht vorgesehen, weder im Etat noch im Gesetz. Der Herr Landwirthschafts⸗ Minister ist deshalb vollständig in seinem Recht, wenn 8 sich die ausschließliche Verfügung über diese Fonds -n und wenn er sich, sofern das Staats⸗Ministerium in
se Verwendung hineinsprechen wollte, das ernstlich verbittet. 8 n sagt der Herr Vorredner: ja, die Art der Verwendung wollen ve e dem Landwirthschafts⸗Minister gestatten; aber weil es sich 8 arum handelt, eine falsche Konsequenz des Landwirthschafts⸗ Ks mergesetzes abzuwehren, deshalb haben wir unsern Antrag an das
nigliche Staats⸗Ministerum gerichtet. die feg. Herren, als ich die Interpellation las, habe ich mir gleich Die ece vorgelegt: was soll das Staats⸗Ministerium damit machen?
Interpellation bezieht sich dem Wortlaut nach auf einen Grund⸗
satz, den angeblich der Herr Landwirthschafts⸗Minister im Herrenhause aufgestellt hat, und von dem ich glaube, daß er nunmehr in der Deutung, welche ich dargelegt habe, aufgefaßt werden Es wird verlangt, das Staats⸗Ministerium möge dem hohen Hause Mittheilung darüber machen, wie es zu diesem Grundsat dihr Ja, meine Herren, wenn das Staats⸗Ministerium in dieser Be⸗ ziehung einen Beschluß fassen wollte, so würde das eben in die von mir betonten diskretionären Befugnisse des einzelnen Verwaltungs⸗ chefs eingreifen. Man kann sich darüber unterhalten, gewiß; man kann seine Bemühungen darauf richten, daß ein für nicht richtig erkannter Grundsatz verlassen werde; aber eine förmliche Stellung⸗ nahme zu dem Verfahren eines einzelnen Ressortchefs in Form eines Beschlusses würde dem Staats⸗Ministerium nach unserem Verwal⸗ tungs⸗ und Staatsrecht nicht zustehen. Es wäre deshalb richtiger ge⸗ wesen, wenn die Herren Interpellanten die Anfrage nicht auf eine Stellungnahme des Staats⸗Ministeriums gerichtet hätten, sondern dahin: wie rechtfertigt der Herr Landwirthschafts⸗Minister die Er⸗ klärung, die er abgegeben hat, und die wir so deuten, wie wir es aus⸗ geführt haben? Meine Herren, das ist das, was ich zu sagen habe. Ich glaube Sie werden nunmehr aufgeklärt sein über die Bedeutung der Er⸗ klärung, und ich kann mit dem Herrn Landwirthschafts⸗Minister nur wünschen, daß es in Zukunft möglich werden möchte, auch der Rhein⸗ provinz die Zuschüsse von seiten des Staats zu gewähren, deren sie bedarf, um die sehr heilsame Einrichtung ihrer Winterschulen zu erhalten und zu fördern. (Bravo!l bei den Nationalliberalen.) Abg. Freiherr von Erffa (kons.) al⸗ r inz, die eine Landwirthse dtsgr r anh⸗ bl. hertret Sö ohne Kammern mehr leisteten; es seien dabei alle Kreis⸗ und Provinzialbeiträge eingerechnet, die auch in allen anderen Provinzen angerechnet werden müßten. Dann komme man in Sachsen auf 88 viel höbere Summe. Man könne doch den Provinzen, die für die Landwirthschaftskammern erhebliche Mittel nPron nicht sagen: ihr bringt viel auf, folglich braucht ihr keine Staatszuschüsse. Die rovinzen ohne Kammern hätten eine Vertretung zweiter Klasse; sie önnen sich nicht an der Beaufsichtigung der Prbduktenbörsen nach dem neuen n betheiligen, sie hätten keine vollberechtigte land⸗ wirthschaftliche Vertretung und kein Besteuerungsrecht. Deshalb hätten sie auch kein Recht auf vermehrte Staatszuschüsse. Abg. von Plettenberg (kons.) verwahrt du dagegen, daß
die Rheinprovinz niemals eine Landwirthschaftskammer erhalten werde; man habe sie vorläufig abgelehnt, weil man noch nicht gewußt,
was eine solche Kammer zu bedeuten habe.
Abg. Knebel (nl.) spricht seine Freude darüber aus, daß die Erklärung des Landwirthschafts⸗Ministers eine Auslegung erfahren hat, die allerdings mit dem Wortlaut nicht ganz übereinstimmt, die aber beweist, daß die Interpellation nothwendig war, aber auch ihren weck erreicht hat. Die Ausführungen des Herrn von Erffa bezüglich der Leistungen der 1n. ohne Landwirthschaftskammern seien irrige 1n8,a8 vr Zukunftsmusik des Herrn von Plettenberg wolle er stch nicht einlassen.
Abg. Herold (Zentr.) bestreitet nochmals an der Hand von Zahlen, daß die Provinzen mit Landwirthschaftskammern mehr leisten als die anderen. 8
Finanz⸗Minister Dr. Miquel: u“
Meine Herren! Damit aus den verschiedenen Statistiken, die von der einen oder anderen Seite hier vorgeführt werden, über das Verhältniß der Zuschüsse aus Staatsmitteln zu den Leistungen der Provinzen kein Irrthum erwächst, möchte ich mir noch zwei Worte gestatten.
Meine Herren, aus solchen Aufstellungen, welche vergleichen, welche Leistungen der Staat aus seinen Mitteln in den einzelnen Provinzen macht, kann man nach meiner Meinung auch nicht den ge⸗ ringsten Schluß ziehen. Es ist auch nicht zutreffend, wenn ganz ein⸗ seitig und ausschließlich behauptet wird, es müßten die Staatszuschüsse vertheilt werden für die einzelnen Provinzen nach dem arithmetischen Verhältniß deren Leistungen. Nein, meine Herren, Sie wissen aus den verschiedensten Verhandlungen hier im Hause, nicht bloß auf dem Gebiet der landwirthschaftlichen Zuschüsse, sondern beispielsweise bei den Schulen, daß die Thatsache, daß eine Provinz mehr leistet als die andere, noch keineswegs folgern läßt, daß der Staat nun dieser Provinz auch seiner⸗ seits mehr geben muß.
Die Frage, wie diese Zuschüsse aus dem landwirthschaftlichen Ministerium zur Hebung der Landwirthschaft zu vertheilen sind, hängt nicht ausschließlich von den eigenen Leistungen der Provinz ab, wenn sie natür⸗ lich auch sehr erheblich dabei in Frage kommen, sondern auch von der Leistungsfähigkeit, von dem Grade des Bedürfnisses, von der Möglich⸗ keit der einzelnen Landestheile, sich selbst ohne die Unterstützung des Staats zu helfen, von der Art und Weise der Verwendung, von den Zwecken, für welche diese Zuschüsse geleistet werden, von einer Reihe von Ge⸗ sichtspunkten also, die sich keineswegs allein decken mit dem arithmetischen Verhältniß der Stlaatsleistungen zu den eigenen Leistungen der Provinz. Wollten Sie andere Grund⸗ sätze aufstellen, so würden Sie zu einer Abrechnung der einen Provinz gegen die andere, mehr oder weniger zu einer Ne⸗ gierung des Staatsprinzips kommen. So ist auch nie verfahren, so kann auch nicht verfahren werden. Aber das ist vollkommen richtig, was aus der Erklärung des Herrn Landwirthschafts⸗Ministers hervor⸗ geht, daß die Anstrengungen und die Opfer, die die einzelnen Pro⸗ vinzen sich auferlegen, sehr erheblich mit in Betracht kommen für die Frage: was soll der Staat leisten? Und die Provinzen verfahren bei ihren Verwendungen beispielsweise für den Wegebau genau so. Der Herr Abg. Dr. Eckels wird genau wissen, daß die glückliche Ent⸗ wickelung des Wegebaues in der Provinz Hannover gerade auf diesem System beruht, daß die Provinz ihre Zuschüsse für den Wegebau der Kreise wesentlich entsprechend den Opfern, die die einzelnen Kreise sich auferlegten, bemaß.
Nun, glaube ich, sind wir darin einig geworden durch diese Debatte, daß die Staatsregierung nicht beabsichtigt und auch nicht nach meiner Meinung beabsichtigen darf — ich will diesen Ausdruck gebrauchen —, nach dem mal der Beschlußfassung der Provinzen über⸗ lassen ist, ob sie Landwirthschaftskammern einführen wollen oder nicht, durch eine im übrigen unberechtigte Vorenthaltung von Beihilfen einen indirekten Zwang auf die Provinzen auszuüben. Darüher sind wir einig; aber es bleibt der andere Gesichtspunkt: wenn in Zukunft sich zeigen sollte, daß mittels des Organs der Landwirth⸗ schaftskammern, mittels des dadurch gegebenen Besteuerungsrechts die Provinzen mit Landwirthschaftskammern mehr leisten, aus eigenen Mitteln größere Opfer bringen, daß der Staat auch seinerseits dann für sie mehr leistet.
Herr Abg. Knebel hat mit vollem Recht gesagt, daß das Zu⸗ kunftsmusik sei. Ich bin genau seiner Ansicht; es wird sich zeigen,
wie die Landwirthschaft gedeiht, wie ihr Hilfe kommt in den Pro⸗ vinzen, wo die Landwirthschaftskammern bestehen, durch diese. Es wird sich zeigen, ob das freie Vereinsleben in Zukunft allein ausreicht in den Provinzen, wo Landwirthschaftskammern nicht vorhanden sind, und dadurch wird sich von selbst der Ausgleich ergeben. Würden die
Landwirthschaftskammern sich als leistungsunfähig und bedeu⸗ tungslos in den östlichen Provinzen erweisen, so werden sie keine Propaganda machen in den westlichen Provinzen; werden die westlichen Provinzen aber sehen, daß allerdings mittels der Organisation der Landwirthschaftskammern, mittels des Besteuerungsrechts in diesen Provinzen für die Landwirthschaft mehr geleistet wird, so wird diese Propaganda von selbst kommen. Das muß die Zukunft zeigen. Ich bin allerdings überzeugt, daß in den westlichen Landestheilen man sich vielfach einen verkehrten Begriff von den Landwirthschaftskammern macht und daß die Erfahrung lehren wird, daß diese Befürchtungen, die man an die Bildung der Landwirthschaftskammern knüpft, in den westlichen Provinzen zumeist nicht zutreffen. Namentlich bin ich überzeugt, daß das lokale landwirthschaftliche Vereinswesen unter der Einführung der Land⸗ wirthschaftskammern in keiner Weise zu leiden braucht. Ich würde das selbst allerdings auf das alleräußerste bedauern — und ich weiß das aus Erfahrung; ich bin z. B. felbst seit 30 Jahren Mitglied des landwirthschaftlichen Vereins, von dem der Abg. Eckels sprach — wenn die lokalen landwirthschaftlichen Vereine unter der Landwirthschaftskammer leiden würden. Es wird sich aber bald zeigen, daß das nicht der Fall ist. Ich glaube, die Befürchtungen, die Sie an die Erklärung des Herrn Landwirthschafts⸗ Ministers geknüpft haben, waren ursprünglich nicht begründet; aber jedenfalls sind sie jetzt zerstreut, und wir können also irgend welchen Streit über diese Frage gegenwärtig als geschlossen erachten.
Nachdem Abg. Knebel erklärt hat, daß die Ausla sung des Finanz⸗Ministers jede Beunruhigung zerstreut habe, schließ die Besprechung.
Damit ist die Ieteragatge erledigt.
sG Es folgt die Berathung des Antrags Albers und Ge⸗ nossen: Das Abgeordnetenhaus wolle erklären, daß das Schwanken des Werthverhältnisses der beiden Edelmetalle seit der Aufhebung der französischen Doppelwährung im Jahre 1873 sich als eine i⸗ gung der ee Deutschlands erwiesen hat, und die Regierung ff edern im Bundesrath alles zu thun, was in ihren Kräften 8 t, um durch ein internationales Uebereinkommen ein festes 1 R zwischen Silber und Gold herzustellen und zu ern.
Fiörczu beantragen die Abgg. Dr. Arendt und von Kar⸗ dorf hinzuzufü en:
Für die hierzu erforderlichen internationalen Verhandlungen ist nach den Erklärungen des englischen Kabinets vom 17. März 1896 die Initiative Englands abzuwarten.
Abg. Dr. Arendt (fr. kons.) giebt eine eingehende Darstellung der Entwickelung der Währungsfrage in dem letzten Jahre seit An⸗ nahme des bimetallistischen Antrags im Reichstage. Seitdem hat führt Redner aus, nur die württembergische Kammer, die einzige mit einer demokratischen Spitze, sich für die Goldwährung ausgesprochen. Die Zeit der berathenden Münzkonferenzen ist vorüber; die Sache ist in das Stadium der praktischen Diplomatie eingetreten. Man hat Balfour's Aeußerungen gegen die Münzkonferenzen benutzt, um den Reichskanzler abzuschrecken. Es war überhaupt ein falscher Weg, sich an England direkt zu wenden; man hätte sich an die Länder wenden sollen, mit denen man sich leichter verständigen kann. Die Vorschläge des Grafen Mirbach zeigen diesen Weg einer Vorkonferenz mit Frankreich und Amerika. Aber man knüpfte an die Wieder⸗ eröffnung der indischen Münzstätten, die Graf Mirbach auch als späteren Schritt angeregt hatte, an, um eine Ausrede zu finden und aus der unangenehmen Situation herauszukommen. Die ablehnende Antwort wegen der indischen Münzstätten war keine Ablehnung der Konferenz, sondern nur eine Art motivierter Tagesordnung. England und seine Kolonien haben sich zu Maßregeln zur Hebung des Silberwerthes bereit erklärt, und es liegen daher programmatische Vorschläge im Sinne der Erklärung des Reichskanzlers vor. Wenn wir uns uss den ausländischen Bimetallisten in Verhindung setzen, dann nennt man uns Vaterlandsverräͤther und die silberne Internationale! Dadu lassen wir uns nicht beirren. Der Zeitpunkt, wo jetzt der Bimetalli
öline an der Spitze der französischen Regierung steht, wäre geeignet, die große wirthschaftliche Frage des Bimetallismus zur Lösung zu bringen, wenn in Deutschland eine weitblickende Staatsleitung vorhanden wäre. Im Dezember 1895 vereinbarten die Bimetallisten in Paris eine Resolution, die auch im englischen — ein⸗ gebracht werden sollte; man ließ das Wort „Bimetallismus“ heraus, um eine Ministerkrisis zu vermeiden, denn Balfour hätte aus dem Ministerium ausscheiden müssen. Gegenühber der Goldwährungsrede des Ministers Hicksbeach steht die bimetallistische Rede Balfours, wie wir sie in Deutschland noch nicht von der Ministerbank gehört haben, trotzdem es unter den Ministern bei uns auch Bimetallisten giebt. Durch Annahme des gestellten Antrags kapitulierte die Goldwährungs⸗ barte Englands vor den Bimetallisten. In Frankreich und Belgien at sich die Mehrheit des Parlaments für die Doppelwährung aus⸗ eesprochen; in Holland hat man einen Antrag garnicht mehr r nöthig gehalten. Da kann man den Bimetallismus doch nicht er eine Erfindung der ihre Gläubiger hintergehenden ostelbischen inker ausgeben?? Auf dem Umweg über die Goldwährung wird zußland seine Valuta regulieren, da der Bimetallismus nur inter⸗ national möglich ist. Aufgabe der englischen Regierung ist es, die Initiative zu ergreifen. Deswegen haben wir den Antrag gestellt, um sü bekunden, daß die enalische Inttlative dei uns eine wohlwollende ufnahme findet. Die amerikanischen Silberminenbesitzer sollen die sein⸗ Silberagitation bezahlen; sind denn diese inen er schlechter als die Goldminenbesitzer in “ wir nicht gerade von der besten Seite kennen gelernt haben? Wenn in Am das Silber wieder frei geprägt wird, dann steigt der Silberwerth, ob wir wollen oder nicht; deshalb follten wir uns an der Feststellung der Relation betheiligen. Der Bimetallismus ist keine besonders irtsch⸗ Frage; er kommt allen Klassen der ganzen
It zu gute. Wir hoffen, daß die Annahme unseres An die
Sache fördern wird. 8
Finanz⸗Minister Dr. Miquel: 8n h“
Meine Herren! Gestatten Sie mir, da ich zu meinem Bedauern das Haus demnächst wegen der Nothwendigkeit, an einer Sitzung im Staats⸗Ministerium theilzunehmen, verlassen muß, eine kurze Er⸗ klärung in Bezug auf den Antrag der Herren von Kardorff und Dr. Arendt und auf die ausführliche Motivierung desselben abzugeben. Die von dem Herrn Vorredner berührte Frage gehört an sich zur Kompetenz des Reichs. Ueber die Stellung der Reichsregierung zu den in Betracht kommenden Fragen hat der Reichskanzler mehrfach im Reichstag Erklärungen abgegeben, aus welchen die Besprechungen, die seitens des Herrn Reichskanzlers mit der englischen Regierung stattgefunden haben, und deren Ausgang ja genügend bekannt geworden sind. Die Herren Antragfteller selbst sind nun der Ansicht, daß, wie gegenwärtig die Lage heschaffen ist, die Initiative zu einer Weiterführung der Bestrehungen für Hebung des Silberpreises und anderweiter Regelung der Währungsfrage auf Grund einer internationalen Vereinigung dei England stehe. Sie