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Also eine gute Seite 5 die Vorlage von 1893 doch Heers; um n
der zweijährigen Dienstzeit willen haben wir die Vorlage an⸗ genommen. ie kommt Herr Richter dazu, zu behaupten, daß ohne die Opfer die mecüäbrige Dienstzeit zu haben gewesen wäre? Wir allein haben allerdings nicht die Fürsorge für die zweijährige Dienst⸗ zeit gehabt; das habe ich nicht behauptet. Ich wollte nur den zurückweisen, als ob wir leichtfertig dieses große Gut hergeben wollten.
Abg. Richter: Die anderen Parteien waren der Meinung, daß die Militär⸗Strafprozeßordnung 288 mit der Vorlage in Ver⸗ bindung stehe und daß nur deshalb der Reichskanzler seine entgegen⸗ kommende Erklärung abgegeben habe.
Der Antrag Richter wird gegen die Stimmen der Sozial⸗ demokraten, der freisinnigen und der deutschen Volkspartei, einiger Mitglieder der Reformpartei und Polen abgelehnt.
Die eigentliche Vorlage wird ohne Debatte genehmigt.
Es folgt die Berathung des Nachtrags zum Reichs⸗ E der eine Folge der eben angenommenen orlage ist, aber auch einige weitere Positionen enthält. In Bezug auf Neu⸗Guinea sollen 180 000 ℳ zur Bestreitung der Verwaltungskosten eingestellt werden; dagegen kommen 11 600 ℳ für einen richterlichen Beamten im
Bismarck⸗Archipel in Wegfall. G Die Kommission beantragt Ablehnung dieser Vorschläge.
Berichterstatter Abg. Dr. Hasse macht über die Kommissions⸗ verhandlungen eingehende Mittheilungen und hebt namentlich hervor: gewisse Gerüchte hätten dem Reichs⸗Schatzsekretär Veranlassung ge⸗
eeben zu einem Schreiben an den Vorsitzenden der C baß keinerlei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reichsschatzamt und der Kolonialabtheilung vorlägen.
Abg. Werner (Reform⸗P.) erklärt, daß er in jener Sitzung der Kommission Protokollführer gewesen sei und die Auffassung gehabt habe, als ob der Staatssekretär Graf Posadowsky sich für die damals vorgeschlagene Resolution ausgesprochen und sich damit in Gegensatz zu dem Direktor der Kolonialabtheilung Kayser gestellt habe. Redner fügt hinzu, daß er nicht in der Lage sei, an seinem Pro⸗ rokoll etwas zu ändern, und spricht schließlich seine Freude darüber aus, daß der Vertrag einstimmig abgelehnt sei, weil er die Rechte des Deutschen Reiches erheblich beeinträchtigt hätte.
Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von
Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich glaube, es ist auch in dem hohen Hause die
Ueberzeugung verbreitet, daß die Protokolle der Budgetkommission icht immer ein vollkommen zutreffendes und klares Bild von den Debatten daselbst geben. Diese Debatten sind viel zu umfang⸗ reich und zum theil viel zu schwierig, als daß die Herren Schrift⸗ führer in der Lage wären, dieselben vollkommen treu wiederzugeben. Ich habe zuerst auf Anregung des Auswärtigen Amts von dem Artikel Kenntniß genommen, der in der Nummer der „Staatsbürger⸗ Zeitung“ vom 10. Juni über die Vorgänge in der Budgetkommission ei Verhandlung des Neu⸗Guinea⸗Vertrages abgedruckt ist. Ich muß sagen, daß ich über diesen Artikel sehr überrascht gewesen bin, welchem es heißt:
„Graf Posadowsky erklärte nämlich, daß der vom Ministerial⸗ Direktor Dr. Kayser mit der Neu⸗Guinea⸗Kompagnie ab⸗ geschlossene Vertrag die Interessen des Deutschen Reichs nicht genügend wahre, und er einer dahin gehenden Resolution seine Zu⸗ stimmung geben müsse.“
Das ist doch zunächst völlig klar, daß ich nicht eine Erklärung abgeben konnte, die über einen Vertrag, der die Unterschrift meines Vorgesetzten, des Herrn Reichskanzlers, trägt, eine Kritik übt, dahin gehend, „dieser Vertrag wahre nicht genügend die Interessen des Deutschen Reichs“.
Meine Herren, wie lag die Sache? Nach dem Inhalt der Ver⸗ handlungen war es ganz unzweifelhaft, daß dieser Vertrag, nachdem sämmtliche Führer der Parteien ihre Erklärung in der Budgetkommission abgegeben hatten, die Genehmigung der Kommission nicht finden würde. Inzwischen ging der Antrag von Podbielski ein, der zwei Absätze hatte: als ersten Absatz, diesen Vertrag nicht zu genehmigen, weil er den Interessen des Deutschen Reichs nicht entspräche; und als zweiten Absatz, den Reichskanzler aufzufordern, mit der Vorlegung des nächstjährigen ordentlichen Etats auch einen anderen Vertrag über Neu⸗Guinea vorzulegen, der den Aeußerungen und Wünschen der Budgetkommission entspräche. Erst dann habe ich überhaupt das Wort genommen, und ich könnte noch heute wörtlich wieder⸗ holen, was ich damals gesagt habe. Ich habe ausgeführt: nach den Erklärungen der Mitglieder der Budgetkommission schiene es unzweifelhaft, daß der vorliegende Vertrag nicht die Genehmigung der Kommission und damit wahrscheinlich auch nicht die des hohen Hauses finden würde; wolle man aber einen neuen Vertrag, so wäre es meines Erachtens ein taktischer Fehler, den Reichs⸗ kanzler aufzufordern, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einen solchen neuen Vertrag mit der Neu⸗Guinea⸗Kompagnie vorzulegen, denn dadurch würde nur der Kontrahent, der bei dem Vertrage angeblich zu gut fortgekommen wäre, gestärkt und die taktische Position des anderen Kontrahenten, des Reichs, entsprechend geschwächt; daraufhin
5 habe ich gebeten, den zweiten Absatz des Antrags Podbielski zu
streichen. (Sehr wahr! links.) Der Herr Schriftführer hat daraus im Protokoll der Kommission irrthümlich deduziert, daß ich den ersten Absatz befürwortet hätte, der dahin geht, die Interessen des Deutschen Reichs würden durch den Vertrag nicht genügend gewahrt, und der Vertrag müsse deshalb abgelehnt werden. Die „Staatsbürger⸗Zeitung“ brachte, wie oben angeführt, in ihrem Artikel vom 10. Juni, offenbar auf falsche Gerüchte hin, sogar die Behauptung, ich hätte erklärt, durch den Vertrag würden die Interessen des Deutschen Reichs nicht genügend gewahrt. Meine Herren, hier liegt ein Irrthum des Herrn Schriftführers vor, gegen den ich mit aller Entschiedenheit Einspruch erhebe, namentlich Einspruch erhebe mit Rücksicht auf die Benutzung, die diese Darstellung in der Presse gefunden hat. Ich glaube, ich kann für mich einen Zeugen anführen, den Sie in dem Falle als klassisch anerkennen müssen. Die „Freisinnige Zeitung“ hat in einem Artikel vom 12. Juni über die „Neu⸗ Guinea⸗Frage“ — und ich glaube, der Herr Abg. Richter, der Mitglied der Budgetkommission ist, wird wohl diesem Artikel nicht fern stehen — eine Darstellung der Vorgänge in der Budgetkommission gegeben. In diesem Artikel heißt es:
„Schatzsekretär Graf Posadowsky legte in den Verhandlungen entschiedenes Gewicht darauf, daß nicht etwa durch eine Resolution der Regierung die Verpflichtung auferlegt werde, unter allen Um⸗ ständen einen neuen Vertrag mit der Neu⸗Guinea⸗Kompagnie ab⸗ zuschließen.“
Meine Herren, das ist die richtige Darstellung des Vorgangs in der Budgetkommission. Ich habe mit Rücksicht auf die Darstellung des ganzen Sachverhalts in einzelnen Preßorganen, die ich als falsch und
tendenziös zurechtgestutzt bezeichnen muß, mich gezwungen gesehen, Verwahrung gegen das Protokoll, das ich vor dem Druck nicht gesehen hatte, bei dem Herrn Vorsitzenden der Budgetkommission ein⸗ zulegen.
Abg. Müller⸗Fulda (Zentr.) bestätigt, daß der Vorgang so gewesen, wie der Staatssekretär soeben dargelegt habe.
bg. von Podbielski (d. kons.) bestätigt ebenfalls die Richtig⸗ keit der Behauptung des Staatssekretärs Grafen Posadowsky.
Abg. Werner bestreitet, daß er eine tendenziöse Absicht gehabt habe. (Vizepräsident Schmidt: Der Staatssekretair hat nur von der Presse gesprochen.)
Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Ich erkläre zunächst, daß es mir völlig fern gelegen hat, zu be⸗ haupten oder nur zu denken, daß der Herr Abg. Werner in irgend einer Verbindung stehe mit der tendenziösen Darstellung des Vor⸗ gangs in der Budgetkommission, wie er sich in der Presse gefunden hat. Ich glaube, der Herr Abg. Werner wird von dieser Erklärung nunmehr vollkommen befriedigt sein. Er macht aber jetzt wieder den falschen Schluß, den er im Protokoll gemacht hat, indem er sagt: weil ich nur den zweiten Theil der Resolution des Herrn Abg. von Podbielski bekämpft habe, müßte ich wohl für den ersten Theil eingetreten sein, denn diesen ersten Theil hätte ich nicht bekämpft. Meine Herren, den ersten Theil zu bekämpfen, war nicht meine Sache, nachdem der Herr Direktor der Kolonialverwaltung ausführlich den Vertrag vertheidigt hatte; das war seine Sache. Aber den zweiten Theil zu bekämpfen, das war allerdings auch meine Sache, weil der zweite Theil gerade die Wirkungen berührt, die der be⸗ treffende Vertrag für die Finanzen des Reichs haben sollte, und darum hielt ich mich für verpflichtet, auf den taktischen Gesichtspunkt einzugehen, diesen zweiten Theil der Resolution des Herrn Abg. von Podbielski zu streichen. Ich gestehe allerdings: meine gute Ab⸗ sicht ist leider vollkommen verloren gegangen; denn dadurch, daß diese Absicht der Streichung in die Presse gekommen, ist der ganze Zweck meines Vorschlags verfehlt, denn jetzt weiß der andere Kon⸗ trahent ganz genau, wie die Sache liegt. Ich hatte geglaubt, daß mein Motiv durch die Kommissionsberathung hindurchfließen würde, ohne Gegenstand der öffentlichen Erörterung zu werden.
Abg. Bebel: Um die Neu⸗Guinea⸗Gesellschaft habe ich mich nicht Feünwnert. weil das Reich für sie kein Geld aufzuwenden brauchte.
er Vertrag mit der Neu⸗Guinea⸗Gesehsschaft ist bereits in erster Lesung verurtheilt worden, und die einstimmige Ablehnung seitens der Kommission ist die stärkste Verurtheilung. Man muß fragen, wie die Reichs⸗Regierung zum Abschluß eines solchen Vertrages kommen konnte. Die Kapitalistenkreise üben allerdings einen großen Einfluß auf die Gesetzgebung aus; aber dieser Vertrag sieht so aus, als wenn die Gesellschaft jede Bedingung ohne Widerspruch vorschreiben könnte
und das Reich sich fügen müsse. Bezüglich des Abg. Hammacher habe ich nach einer persönlichen Unterhaltung mit ihm zu erklären,
daß er persönlich große Opfer gebracht hat zur Förderung der Kolonial⸗
politik, daß er auch an diesem Vertrage kein direktes Interesse hat. Im Interesse der Ehre der Reichsbeamten wünsche ich, daß der 1. niemals mehr in die Lage kommen möge, solche Verträge zu berathen. Direktor der Kolonial⸗Abtheilung im Auswärtigen Amt Dr. Kayser: Ebenso wie in der Kommission muß ich hier im lenum die letzten Worte des Herrn Abg. Bebel mit aller Ent⸗ chiedenheit zurückweisen. Die Reichsbeamten werden ihre Ehre stets selber zu vertheidigen wissen. Wenn ich in dieser Stunde nicht mehr ver⸗ suche, für den Vertrag irgend ein Wort zu sprechen, so peschiebt das mit Rücksicht auf das be. Haus, welches den Vertrag in der ersten Lesung bereits nicht hat acceptieren wollen und in der Budget⸗ kommision verworfen hat. Ich glaube, es würde geradezu eine Pro⸗ vokation sein, wenn ich jetzt noch bei dieser mir bekannten Stimmung für den Vertrag eintreten wollte. Ich kann nur noch wiederholen, daß in diesem Vertrag die Rechte, die der Regierung durch ihr volles Besteuerungsrecht, durch ihre Abgabenhoheit, durch die Möglichkeit, von dem Bergwerks⸗ betrieb sowie von allen Verkäufen und ecen eeno der Kompagnie eine möglichst hohe Quote für sich in Anspruch zu nehmen, zustehen, viel mehr gewahrt sind, als die Herren, die dem Vertrag entgegen nd, annehmen. Ich will auch nicht auf den Irrthum hinweisen, der in der Kommission und auch heute noch in Bezug auf Art. 9 des Vertrages zu Tage getreten ist. Es is⸗ ein vollkommenes Miß⸗ verständniß und eine Verkennung der Ver ältnisse, wenn behauptet wird, daß durch den Vertrag der Neu⸗Guinea⸗Kompagnie ein besonderes Hoheitsrecht in Bezug auf die Arbeiteranwerbung ge eben ist, und wenn man sich insbesondere so weit verstiegen hat, in Bezug auf diesen Artikel von den „Sklaven des Herrn von Hansemann“ zu reden. Meine rren, die Anwerbung der Arbeiter im Schutzgebiet der Neu⸗Guinea⸗Kompagnie ist sehr schwierig, mühevoll und kostspielig; sie darf nicht von jedem Be⸗ liebigen in die Hände genommen werden. Die Kompagnie war erst nach einer Reihe von Jahren in der Lage, allmählich Arbeiter heran⸗ zuziehen. Wir haben das Vertrauen zur Kompagnie, daß sie auch später sich dieser Pflicht besser unterziehen wird als beliebige dritte
Ansiedler, von denen wir noch nicht einmal wissen, wer 5 sein
werden. Dann sagte man, die Kompagnie schaffe sich ein besonderes Monopol: wem sie keine Arbeiter abtreten wolle, der könne auch nicht ins Land gehen. Wenn man davon ausginge, daß die Kompagnie sich mit dem Midasreichthum begnügen will, das Land zu erwerben, hätte man ein Recht, das anzunehmen; aber es liegt im Interesse der Kompagnie, das Land möglichst zu verwerthen; da wird sie auch denen enkgegenkommen müssen, die Arbeiter brauchen. Ich habe aber keine Neigung, auf den Inhalt des Vertrags noch⸗ mals einzugehen angesichts der ablehnenden 1een; des Hauses. Nur noch ein Wort zu Gunsten der Mitglieder der Direktion, die Herr Bebel ausdrücklich ausnahm, also als diejenigen hinstellte, deren
atriotismus anzuzweifeln er sich auch heute in der Lage glaubt.
ie erste Aufforderung, das geeaeeise von Neu⸗Guinea für das Reich zu erwerben, ging nicht von einem Mitglied der Direktion aus, sondern vom damaligen Herrn Reichskanzler; Herr von Hansemann glaubte, zunächst dies Anerbieten ablehnen zu müssen, weil er sich nicht in der Lage fühlte, eine so schwere Verantwortlichkeit zu über⸗ nehmen; erst auf wiederholtes Drängen der Regierung erklärte er sich zu diesem Schritt bereit, der ihm bis heute eigentlich nur Opfer brachte. Man mag ja über den Vertrag denken, was man will, mag ein sehr hartes Urtheil darüber haben und glauben, er sei mehr zu Gunsten der Kompagnie als des Reichs chacsalese — aber man sollte nicht den Patriotismus und die anständige Ge⸗ sinnung von Männern anzweifeln, die dem Reich in seinem Bestreben, 87. S Kolonie zu erwerben und zu erhalten, zu Hilfe ge⸗ ommen sind.
Abg. Graf von Arnim: Die Thätigkeit der Gesellschaft, welche Jahre lang Opfer an Zeit, Geld und Arbeit aufgewendet hat, verdient dennoch Anerkennung; denn ihr verdanken wir es, daß wir noch in Neu⸗Guinea sitzen, sonst würde es längst in die Hände der Engländer und Holländer übergegangen sein. Das hindert uns aber nicht, den Vertrag abzulehnen, wenn anch aus anderen Gründen als der Abg. Bebel. Neu⸗Guinea ist etwas werth. Es sind Gold⸗ funde gemacht worden, so daß es zu einem zweiten Transvaal werden kann. Ich hoffe von dem Patriotismus ider Gesellschaft, da sie bessere Bedingungen gewähren und daß sie nicht an fremde esell⸗ schaften die Ausbeutung ihrer Länder abtreten werde.
Abg. Bebel: Die Weitsichtigen in der Kolonialpolitik haben Unrecht erhalten, während die Kurzsichtigen mehr, als ihnen lieb ist, Recht behalten haben. Das beweist die stetige Steigerung
der Aufwendungen für die en, deren möglichst schnell gabe 88 das Reich das beste wäre, auch wenn uch agf ge- gemachten Aufwendungen verzichten müßten. Wenn in Neu⸗Guine etwas zu holen wäre, hätten die Engländer oder Holländer nch des Landes schg⸗ längst bemächtigt. Goldfunde sind auch von Ost⸗Afrika und Südwest⸗Afrika behauptet worden, aber sie zeigten sich nicht alg lohnend. Die Herren von der hohen Finanz haben Opfer genug ge⸗ bracht und wollen das weitere dem Reiche überlassen. Das nehme 8 ihnen 2 übel; aber wir haben keine Ursache, auf solche Vorschläge einzugehen.
Nach Schluß der Debatte bittet
Abg. Dr. Hammacher (nl.) den Präsidenten, zum steno⸗ raphischen Bericht festzustellen, va er sich bezüglich dieser ganzen 8g der Betheiligung an den Verhandlungen und Abstimmungen enthalte, da er es für Pflicht jedes “ erachte, sich nfcn zu betheiligen bei der Abstimmung über solche Dinge, die ihn felbft angehen. Die Erklärung des Herrn Bebel ihm gegenüber ei durchaus loyal gewesen; er wolle nur hinzufügen, daß er von dem ganzen Vertrage erst Kenntniß erhalten habe, als derselbe dem Reichstage vorgelegt worden sei.
Die 8 Neu⸗Guinea bezüglichen Titel werden darauf einstimmig abgelehnt. Im übrigen werden die für den Etat des Auswärtigen Amts nachgeforderten Ausgaben genehmigt.
Um 6 Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag 1 Uhr vertagt. Auf der Tagesordnung stehen außerdem Rechnungsvorlagen und die dritte Berathung der Militär⸗ vorlage.
Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 80. Sitzung vom 15. Juni 1896.
worden.
Das Haus geht zur ersten Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Erweiterung des Stadtkreises Breslau, über. Danach sollen die Landgemeinden Kleinburg und Pöpelwitz sowie der Gutsbezirk Pöpelwitz mit der Stadt⸗ gemeinde und dem Stadtkreise Breslau vereinigt werden.
Abg. Graf Harrach (kons.) ist mit der Eingemeindung von Pöpelwitz einverstanden, erklärt sich aber entschieden gegen die Ein⸗
age an die Gemeindekommission.
Meine Herren! Es liegt mir gänzlich fern, mich in Ihre häut⸗ lichen Angelegenheiten — und dazu rechne ich in erster Linie die Ge⸗ schäftsordnungsfragen — meinerseits zu mischen. Wenn also das hohe Haus der Meinung sein sollte, diese Vorlage nicht ohne eine eingehende Prüfung in der Kommission verabschieden zu können, so kann ich nur ganz ergebenst anheimstellen, in diesem Sinne einen Beschluß zu fassen. Ich und meine Kommissare werden uns bemühen, jede irgend wie wünschenswerthe Auskunft in dieser Beziehung zu geben, und ich glaube, daß es uns nicht sehr schwer fallen wird, die Bedenken, die etwa gegen die Vorlage noch obwalten sollten, zu zerstreuen. Jedenfalls haben wir eine eingehende Prüfung der Vorlage nicht zu scheuen.
Ich möchte aber für alle Fälle schon jetzt einige Worte an die Ausführungen des Herrn Vorredners knüpfen, indem ich mir weitern Bemerkungen für den Fall vorbehalte, daß die Gesetzesvorlage erst an die Kommission verwiesen werden sollte. Meine Herren, der Geset⸗ entwurf bezweckt, zwei Landgemeinden und einen Gutsbezirk mit der Stadt Breslau zu vereinigen, weil wir auf Grund lang⸗ jähriger Verhandlungen zu der Meinung gekommen sind, daß die Unzuträglichkeiten, welche sich dort entwickelt haben, und die darin bestehen, daß diese Gemeinden einen ganz städtischen Charakter angenommen haben und in die engsten Beziehungen zu der Stadt Breslau getreten sind, in anderer Weise als durch Einverleibung nicht wohl gehoben werden können. Ich nehme nun keinen Anstand, hier vorweg zu erklären, daß auch nach meiner Auffassung derartige Vorlagen mit großer Vorsicht zu prüfen sind, und zwar namentlich von dem Gesichtspunkt aus, daß es angesichts der Massierung der Bevölkerung in den Städten und der rapiden Zunahme der Stadt⸗ kreise nicht wohlgethan ist, ohne dringende Veranlassung Land⸗ gemeinden zu zerschlagen und Landkreise zu schwächen. Wenn ich mich gleichwohl zu dieser Vorlage entschlossen habe, so glaube ich, dürfen Sie, meine Herren, angesichts der von mir geäußerten Grundsäte wohl mit ziemlicher Zuversicht annehmen, daß hier erhebliche Be⸗ denken in der That nicht vorliegen.
Ich will mich auf Einzelheiten zunächst nicht einlassen; ich möchte nur in allererster Linie hervorheben, daß hier eine vollständige Einigung sämmtlicher Faktoren vorliegt, mit einer Ausnahme, nämlich des Kreises, auf den ich nachher komme. Also sowohl die Gemeinde⸗ vertretung von Kleinburg und Pöpelwitz als auch der Gutsbesitzer von Pöpelwitz und natürlich auch die Stadt Breslau haben sich mit dieser Einverleibung einverstanden erklärt, und wenn⸗ hier und da wohl geäußert worden ist — ich entsinne mich einiger dahin gehender Preßstimmen —, daß die Gemeinde Kleinberg hierbei nur einem sanften Zwange gefolgt sei, so kann ich dem nicht beitreten. Ich habe von der intelligenten Bevölkerung der Land⸗ gemeinde Kleinburg einen zu hohen Begriff, als daß ich annehmen könnte, sie würde überhaupt einem Zwange weichen; ich nehme viel⸗ mehr an, daß sie sich eines Besseren besonnen und aus Ueberzeugung von der Nützlichkeit der Maßregel zugestimmt hat.
Es läßt sich auch gewiß nicht in Abrede stellen, daß eine ganze Reihe öffentlicher Interessen dafür ins Feld geführt werden können. In der Begründung der Vorlage ist schon darauf hingewiesen, daß es namentlich erwünscht sei, die Baupolzei in geschulte Hände zu bringen; nicht minder liegt es im öffentlichen Interesse, auch die Sicherheitspolizei in staatliche Hände zu nehmen.
Meine Herren, wenn ich vorhin gesagt habe, es wäre nur ein Faktor, der nicht zugestimmt hätte, so bezog sich dies auf den Land⸗ kreis Breslau, dem ein solcher Widerspruch auch nicht verübelt werden darf; denn er verliert, wie ich zugestehen muß, einen recht beträch⸗ lichen Theil seiner Steuerkraft, den ich ungefähr auf ½ berechne. Aber dieser Verlust ist doch nicht so erheblich, daß er meines Er⸗ achtens als durchschlagend anerkannt werden könnte in Anbetracht der von mir vorgetragenen Verhältnisse und namentlich der vo b ständigen Einigkeit der übrigen Faktoren. Der Landkreis hat auch d⸗ Möglichkeit, wie bereits in den Motiven angedeutet ist, seine Wünsche hinsichtlich einer Entschädigung in dem gesetzlich geordneten Verahas zur Durchführung zu bringen. Denn es versteht sich von selbst, da er durch die Annahme dieser Vorlage in seinem Recht, den in 9³
Kreisordnung bezeichneten Weg zu beschreiten, nicht beeinträchtigt werden
Ueber den ersten Theil der Sitzung ist gestern berichtet
eemeindung von Kleinburg und beantragt die Ueberweisung der Vor⸗
Minister des Innern Freiherr von der Recke: .“
kann. Er wird also das dort vorgesehene schiedsrichterliche Verfahren vor den Bezirksausschuß einschlagen können, und wenn auch nach den bisher gefällten Erkenntnissen des Ober⸗Vevwaltungsgerichts der Verlust der Steuerkraft ihm keinen Anspruch auf Entschädigung giebt, so wird er doch voraussichtlich eine Reihe anderer Forderungen gelten machen lönnen, namentlich, wie ich annehme, auch die Forderung der Ueber⸗ nahme eines Theils der Kreisschulden.
Meine Herren, indem ich mich vor der Hand auf diese wenigen Bemerkungen beschränke, empfehle ich den Gesetzentwurf Ihrer wohl⸗ wollenden Prüfung, sei es im Plenum, sei es in der Kommission.
Abg. Schmieder (fr. Volksp.) spricht sich für die Annahme der Vorlage ohne Kommissionsberathung aus.
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (kons.) wünscht die größte Vorsicht bezüglich der Eingemeindung von Landgemeinden in große Städte. Wenn es sich um die Eingemeindung armer Arbeitergemeinden handle, wollten die Herren (links) nichts davon wissen. Eine genaue Prüfung der Vorlage in der Kommission sei nothwendig.
Abg. Gothein (fr. Vgg.) ist für die Vorlage und erwidert dem Varxenen, daß Pöpelwitz eine arme, wenig steuerkräftige Ge⸗ meinde sei.
Nachdem noch Abg. Wetekamp (fr. Volksp.) für die .2 gesprochen hat, wird dieselbe an die Gemeindekommission verwiesen.
Es folgt die Berathung des von den Konservativen und 1 unterstützten Antrags des Abg. Dr.
rendt (fr. kons.): die “ ersuchen, im Bundes⸗ rath dahin wirken st wollen, daß die von demselben unter dem 4 März d. J. erlassenen Bestimmungen, betreffend den Be⸗ trieb von Bäckereien und Konditoreien, nicht in Wirksamkeit treten.
Abg. Hornig (kons.) führt aus, daß die Arbeitszeit in Bäckereien schon die erforderlichen Pausen enthalte und daher die Gesundheit der Gesellen nicht Wenn man die Arbeitszeit, die sie die ganze Woche zusammen zu leisten haben, betrachte, könne man von einer Ueberanstrengung nicht sprechen. Er bitte namens seiner Freunde um die Annahme des Antrags.
Abg. Letocha (Zentr.) hält die Verordnung des Bundesraths für begründet, die daran von anderer Seite geknüpften Befürchtungen dagegen für gegenstandslos. Die Statistik der Arbeitsverhältnisse in den Bäckereien habe gezeigt, daß die kleinen Bäckereien nicht eine Aufsaugung durch die Großbetriebe zu befürchten hätten. Die Bäcker beschwerten sich üher die Härte der polizeilichen Kontrole, diese bestehe aber nur darin, daß sie im Kalender die Tage anstreichen müßten, wo lleberstunden gemacht seien. Nach der Statistik sei die Krankheits⸗ dauer der im Bäckereibetriebe Fefehästgten Arbeiter zwar nicht länger als in anderen Gewerben, aber die Krankheiten seien schwere, und die Nachtarbeit sei in den Bäckereien noch uneingeschränkt, selbst für jugendliche Arbeiter. Die Bäckermeister hätten die Trazgweite der
erordnung des Bundesraths überschätzt, wenn sie von der Be⸗ willigung sozialdemokratischer Forderungen sprächen. Daß die ver⸗ mögenden Baͤckermeister Sozialdemokraten würden, brauche man nicht zu befürchten. Die Mehrheit in der Kommission für Arbeiterstatistik, welche diese Verordnung empfohlen habe, sei nicht sozialdemokratisch. Er beantrage die Ueherweisung des Antrags an eine Kommission von 8 Wbsli ger Zedlitz und Neukirch (f g. Freiherr von Ze un eukirch (fr. kons.): Dieser dilatorische Antrag auf E111 hat angesi 9 des 85 mins, der uns noch für unsere Verhandlungen gesetzt ist, doch nur einen humoristischen Charakter. Wenn auch manche Mißstände im Bäckereibetriebe bestehen, so ist doch der Weg zur Abhilfe, den der Bundesrath einschlägt, nicht zu empfehlen. Nach der Statistik ist die Behauptung, vgß die Arbeitszeit der Bäcker gesundheitsgefährdend sei, nicht haltbar. Im ö sind die Gesundheitsverhältnisse bei den Bäckern besser, als bei anderen Gewerben. Ueber die Aus⸗ führung der Verordnung gehe der Rechtsweg nicht bis zum Reichs⸗ gericht, sondern nur bis zu den Ober⸗Landesgerichten, es könnten daher ganz verschiedene Urtheile in dieser Beziehung ergehen. Statt einer Verordnung des Bundesraths hätte sich empfohlen, die Sache im Wege des Gesetzes zu regeln. Man soll sich hier im Wege der Verordnung mit Hilfe eines hygienischen Arbeitstags einen Maximalarbeitstag aufhalsen lassen. Und die Bedeutung der Sache Pbt daher weit über die Bäckereien hinaus, schließlich sind alle ewerbe, auch die Landwirthschaft, nicht mehr vor der Einführung des Maximalarbeitstags sicher. Daher hat die Einrichtung der Kommission für Arbeiterstatistik eine sehr bedenkliche Seite, und man sollte erwägen, ob man deren an sich guten Zweck nicht in anderer Form verwirklichen kann. Die Verhältnisse im ganzen Reich lassen sich nicht über einen Leisten schlagen. In gewissen Fällen können die Bäcker mit einer zwölfstündigen Arbeitszeit nicht auskommen, oder sie verlieren ihre Kundschaft. Die sozale Gesetzgebung von 1891 hat vielfachen Widerspruch im Publikum gefunden, und zwar hauptsächlich durch die Art der Aus⸗ führung der gesetzlichen Bestimmungen. Die kleineren Bäckerei⸗ betriebe können den Ausfall an Arbeitszeit nicht durch Einstellun einer neuen Arbeitskraft wett machen, sie werden also einen Thei ihrer Kundschaft verlieren müssen, und dieser fällt den Großbetrieben zu. Wir schedißen also mit dieser Verordnung die kleinen hand⸗ werksmäßigen Betriebe zu Gunsten der fabrikmäßigen Großbetriebe. Das gute Verhältniß zwischen den Arbeitgebern und Arbeitern in der Bäckerei wird durch die polizeilichen Kontrolmaßregeln gestört, es wird ein Gegensatz zwischen beiden hervorgerufen, der bisher nicht be⸗ stand. Schließlich ist der schig⸗ Zeitpunkt für diese Verordnung nicht geeignet, es müßte wenigstens noch einige Zeit damit gewartet werden. Und dann müßte die ganze Sache durch die Innungen selbst geregelt werden. Wir wollen die Uebelstände im Bäckereigewerbe aller⸗ dings verbessern, aber nicht im Wege dieser Verordnung, welche der Bundesrath zurückziehen sollte, um das Gewerbe nicht zu schädigen.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Die vom Bundesrath unter dem 4. März d. J. erlassene Bestimmung, betreffend das Bätckereigewerbe, ist, wie den Herren Antragstellern bekannt ist, auf Antrag der preußischen Regierung erlassen worden; Sie werden deshalb kaum erwarten können, daß die preußische Regierung gewillt ist, dahin zu wirken, daß eine Anordnung, die auf ihren Antrag erging, nicht in Wirk⸗ samkeit tritt. Die Königliche Staatsregierung wird daher ganz zweifellos, falls dieser Antrag im Hause Annahme finden sollte, ihm nicht stattgeben. (Sehr gut! im Zentrum. Hört! hört! rechts.)
Meine Herren, der Begründer des Antrags, der Herr Abg. von Zedlitz, hat ih seiner durchaus sachlichen Deduktion das ganze Material, das in dieser Frage zur Beurtheilung vorliegt, erörtert; er ist nicht in der Lage gewesen, etwas hinzuzufügen, was nicht schon im Reichstage zum Ausdruck gekommen wäre, und so werde auch ich nicht in der Lage sein, einen neuen Gesichtspunkt, der seitens der Vertreter der Verordnung nicht schon vorgebracht worden wäre, anzugeben. Er hat sich meines Erachtens auf einen völlig korrekten Standpunkt ge⸗ stellt, wenn er zum Ausgang seiner Deduktionen die Frage gemacht hat: liegen hier die Voraussetzungen des § 120 e der Reichs⸗Gewerbe⸗ ordnung vor oder nicht? Er ist der Meinung, daß diese nicht vor⸗ liegen; er sagt: der Paragraph verlangt, daß erstens eine übermäßig lange Arbeitszeit in dem betreffenden Gewerbe vorhanden ist, und daß weitens damit eine Schädigung der Gesundheitder Arbeiter verbunden sei. Er führt aus: aus dem ganzen statistischen Material der Kommission ür Arbeiterstatistik ergiebt sich nicht ein Moment, das den Beweis
erbrächte für die Behauptung, daß die zweifellos — wie er selbst sagte — übermäßig lange Arbeitszeit im Bäckergewerbe gesundheits⸗ gefährlich sei. Er bemerkte, daß Herr Minister von Boetticher im Reichstage gegenüber diesem Resultat der statistischen Arbeiten eine einzige Thatsache vorgebracht habe, daß nämlich in einem Kranken⸗ hause mehr kranke Bäckerlehrlinge gewesen seien als Lehrlinge anderer Professionen. Der Herr Abg. von Zedlitz irrt sich in dieser Be⸗ ziehung. Der Herr Staatssekretär des Innern hat einen meines Er⸗ achtens sehr wesentlichen und schlagenden Gesichtspunkt hervorgehoben, daß nämlich im Bäckergewerbe 83 % sämmtlicher Arbeiter unter
dreißig Jahre alt sind, ein Moment, welches ins Gewicht fällt.
Wenn beim Bäckergewerbe die Zahl der Erkrankungen sich gerade so stellt wie in anderen Gewerben oder nur wenig ungünstiger, so steigt die. Bedeutung dieser Zahl, wenn man berücksichtigt, daß 83 % sämmt⸗ licher im Bäckereigewerbe beschäftigten Personen unter dreißig Jahre alt sind; wenn man erwägt, daß die Arbeit der Bäcker Nacht für Nacht, Tag für Tag ohne jede Unterbrechung in über⸗ heizten, ungesunden Räumen stattfindet, so spricht die Vermuthung an und für sich schon dafür, daß hier eine Schädigung der Gesunoheit die nothwendige Folge sein muß, und wenn das von mir erwähnte Zahlenmoment noch hinzukommt, so ist der Beweis geführt, daß eine Schädigung der Gesundheit durch übermäßig lange Arbeitszeit vorliegt, und infolge dessen trifft die Voraussetzung des Gesetzes zu, und das Recht des Bundesraths zum Erlaß der Verordnung kann nicht in Frage gezogen werden.
Meine Herren, der Herr Abg. von Zedlitz ist der Meinung ge⸗ wesen, daß, weil hier die Voraussetzung der Gesundheitsschädigung nicht vorliegt, der Glaube entstanden sei, daß es sich um die Ein⸗ führung des allgemeinen Maximalarbeitstags handle. Er sagt: aus diesem Grunde ist die große allgemeine Bewegung entstanden, die sich gegen diese Verordnung richtet. Meine Herren, dann frage ich: wie kommt es denn, daß diese Bewegung nicht schon früher entstand? Diese Bewegung, das Hereinziehen des Maximalarbeitstags mit seinen bedenklichen Konsequenzen, ist eine Erscheinung der neuesten Zeit. Bis dahin war weder in der Presse, noch sonstwo daran gedacht, dieses Argu⸗ ment heranzuziehen. Ich kann Herrn von Zedlitz einen Artikel aus der „Post“ vorlegen, wo gesagt ist: hier fragt es sich, ob es richtig ist, daß die Voraussetzung des § 120e zutrifft, und wenn man das bejahen muß, worüber die „Post“ damals noch kein Urtheil abgab, dann läßt sich gegen diese Verordnung des Bundesraths garnichts sagen. Auf demselben Boden stand und steht heute noch ein Organ der nationalliberalen Partei — von der „Kreuz⸗Zeitung“ habe ich früher schon gesprochen —, sodaß ersichtlich ist, daß die angeblich tief⸗ gehende Beunruhigung jedenfalls nicht zu der Zeit entstanden ist, wo man mit dem Vorschlage des hier in Frage stehenden sanitären Maximalarbeitstags hervorgetreten ist. (Ohol rechts.) Diese Opposition hat sich erst mit dem Augenblick gezeigt, wo die Bäcker⸗ meister lebhaft in die Agitation eingetreten sind und den politischen Parteien gedroht haben, ihnen ihre Kundschaft zu entziehen, wenn sie nicht dafür sorgen, daß diese sie belästigende Verordnung aus der Welt geschafft werde. (Ohol rechts.)
Wenn man sich den Gang der Ereignisse vergegenwärtigt, so kann man nicht zweifelhaft sein, daß die Sache so liegt; denn wenn es sich um so wichtige Fragen handelte, wie die Einführung des Maximal⸗ arbeittags, so hätten doch die politischen Parteien schon früher diese schweren Bedenken gefunden und die Regierungen zu einem Zeitpunkt auf sie auf⸗ merksam gemacht, wo die Zurücknahme dieser Anordnung oder eine Aenderung der noch nicht erlassenen Anordnung denkbar war.
Es handelt sich in diesem Fall meiner Meinung nach gerade so, wie Herr von Kardorff neulich in dankenswerther Offenheit gelegentlich der Diskussion über die Handlungsgehilfen ausgesprochen hat, nicht um einzelne Fragen, sondern um eine Kritik der sozialpolitischen Gesetzgebung überhaupt. (Sehr richtig! im Zentrum.)
Nun, meine Herren, es sind, wie gesagt, die Einzelheiten der Ver⸗ ordnung so eingehend besprochen worden, daß ich nicht in der Lage bin, noch viel hinzuzufügen. Einen Gesichtspunkt aber, der heute noch nicht berührt, aber in der Presse vielfach, auch im Reichstag als ein Moment gegen den Erlaß zur Sprache gebracht worden ist, möchte ich mit einigen Worten erörtern.
Man hat davon gesprochen, daß § 120 e nur gedacht sei gegen den Großbetrieb, daß man an handwerksmäßigen Betrieb, insbesondere an die Bäckerei garnicht gedacht habe. Das ist vollständig unzutreffend. Aus den stenographischen Berichten — sie liegen mir hier zur Seite — erhellt, daß bei der Verhandlung über das Arbeiterschutz⸗Gesetz von 1891 aus⸗ drücklich von dem Vertreter der Regierung auf den Einwurf der Sozialdemokraten, man wolle dem Bäckergewerbe nicht den genügenden Schutz zu theil werden lassen, geantwortet wurde, daß der § 120e derjenige sein würde, mit dem man insbesondere den Mißständen, die beim Bäckereigewerbe bervorgetreten seien, entgegentreten könne. Nebenbei bemerke ich, daß im stenographischen Bericht an dieser Stelle „Bravo!l rechts“ verzeichnet ist. (Heiterkeit.)
Auch bei einer anderen Gelegenheit ist von dem Vertreter der Regierung, als von einem anderen Redner die Bäckerverhältnisse er⸗ wähnt wurden, ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß die Uebelstände, die sich bei dem Böckerbetriebe herausgestellt haben, bekannt seien, daß die Regierung nicht anstehen würde, auf Grund des § 120 e ihnen entgegenzutreten.
Nun, meine Herren, hat Herr von Zedlitz den zweiten Theil seiner Auseinandersetzungen, nämlich daß die Art der Bestimmung nicht zweckmäßig sei, damit begründet, daß ihm Fälle bekannt seien, daß Bäcker, die für eine zahlreiche Landkundschaft zu arbeiten genöthigt seien, künftighin in der Zwangsjacke dieser Bestimmung innerhalb 13 ½ Stunden täglich nicht in der Lage seien, ihre Kundschaft zu befriedigen. Die Verhältnisse auch dieser Bäcker haben eine eingehende Erörterung in der Kommission gefunden, und bei den Vernehmungen der Auskunftspersonen hat sich herausgestellt, daß in gleicher Lage befindliche Bäckereien anderwärts, wenn sie ihre Zeit zu Rathe ziehen und überlegt vorgehen, ohne jede Schwierigkeit ihre Landkundschaft in der gegebenen Zeit von 13 ½ Stunden be⸗ friedigen können. Die Ueberzeugung, daß das, was an vielen Stellen geht, an einzelnen anderen Stellen auch gehen muß, war das Bestimmende dafür, daß man den Einwand, kleine Existenzen würden ruiniert, nicht gelten ließ.
Meine Herren, die Frage der kleinen Existenzen ist ja heute wieder eingehend erörtert worden, sie hat auch im Reichstag ihre Er⸗ örterung erfahren. Ich kann nur wiederholen, daß die verbündeten Regierungen bei Erlaß dieser Bestimmungen der wohlbegründeten Ansicht waren, daß von dieser Verordnung die kleinen Existenzen
allergeringsten Maße getroffen werden, daß sie viel meh die mittleren Existenzen, namentlich diejenigen, die über 6 bis 9 Ge⸗ sellen beschäftigen und länger als 12 Stunden arbeiten, treffe. Meine Herren, dieser Ansicht liegen nicht nur die Erhebungen zu Grunde, die seitens der Arbeiterstatistik⸗Kommission gemacht worden sind, sondern auch diejenigen, die über die Lage des Handwerks und seine Verhältnisse von dem Statistischen Amt auf Veranlassung der Regierung neuerdings angestellt worden sind. Sie ergeben, daß ein Drittel sämmtlicher Betriebe im Bäckereigewerbe überhaupt ohne Gesellen und Gehilfen arbeiten; die scheiden überhaupt bei dieser Frage ganz aus. Dazu kommen nun noch weiter von den übrig bleibenden zwei Dritteln diejenigen 53 %, die heute schon mit der gleichen Arbeitszeit auskommen, und außerdem scheiden aus die Tagesbäckereien und diejenigen Bäckereien, welche nicht mehr als dreimal wöchentlich backen. Also die allergrößte Zahl der Kleinbäckereien fällt überhaupt gar nicht unter diese Verordnung und es steht fest, daß von den vernommenen Kleinmeistern 40 % erklärt haben, sie könnten mit der Arbeitszeit von 12 Stunden vollständig auskommen.
Meine Herren, die Behauptung, daß es wohl möglich sei, mit der doch immerhin recht reichlich bemessenen Zeit von 13 ½ Stunden für die eigentliche Bäckerarbeit auszukommen, ist meines Erachtens durchaus wohlbegründet. Dagegen sprechen nur unerwiesene Klagen und Vermuthungen. Man sollte doch abwarten, ob wirklich die be⸗ haupteten Schäden eintreten.
Meine Herren, bis jetzt ist noch kein Arbeiterschutzgesetz erlassen, wo nicht die Interessenten mit denselben lauten Klagen gekommen sind wie jetzt die Bäcker. Als man an die Ordnung der Verhältnisse im Großbetriebe ging, als man die Frage der Sonntagsarbeit im Großbetriebe regulierte, als man Bestimmungen zur Kontrole der Arbeiterschutz⸗Gesetzgebung, betreffend jugendliche Arbeiter und Frauen, erließ, wurden dieselben Stimmen laut: „Die In⸗ dustrie muß zu Grunde gehen, wenn man sie so in polizeiliche Fesseln schmiedet.“ Gleiche Erfahrungen hat man bei gleicher Gelegen⸗ heit vor Jahren in England gemacht, wo, als man dort die ersten Bestimmungen über Frauen⸗ und Kinderarbeit erließ, die Textil⸗ industrie ihren Untergang in der allerkürzesten Zeit weissagte. Sehen Sie sich heute mal die englische Textilindustrie an, was von diesen Voraus⸗ setzungen wahr geworden ist! So liegt es auch hier. .
Nun hat der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz gesagt: die Klage und Beschwerden, die sich gegen die soziale Gesetzgebung von 1891 richteten, wären wesentlich begründet in der Art ihrer Ausführung er hat namentlich auch die Anweisungen, die in Preußen beziehentlich der Sonntagsruhe erlassen worden sind, als außerordentlich unglücklich bezeichnet.
Meine Herren, daß, als die Bestimmungen über die Sonntags⸗ ruhe in Preußen erlassen waren, allerdings eine große Zahl von sich beschwerenden Stimmen hervortrat, ist vollständig richtig; das war auch gar nicht anders zu erwarten. Wenn eine solche einschneidende Maßregel, wie die möglichst vollständige Betriebsruhe am Sonntag eingeführt wird, so kann das ohne Störungen gar nicht abgehen darüber ist auch kein Mensch zweifelhaft gewesen, der das Gesetz von 1891 mitgemacht hat, noch weniger diejenigen, die die Ausführungsanordnungen erlassen haben. Meine Herren von Jahr zu Jahr sind die darüber erhobenen Beschwerden stiller geworden (sehr richtig! im Zentrum, Widerspruch rechts); heute sind sie fast ganz verschwunden, und wenn sie nicht im Parla⸗ ment hin und wieder hervorgeholt werden, im Lande draußen wird über die Bestimmungen der Sonntagsruhe so gut wie nicht mehr geklagt. (Widerspruch rechts.) 8
Meine Herren, im vorigen Jahre hat die Staatsregierung noch⸗ mals eine Anhörung der Behörden veranlaßt, ob es etwa erforderlich sei, diese Sonntagsbestimmungen einer Revision zu unterziehen, weil hier und da noch Beschwerden darüber laut geworden seien. Die eingegangenen Berichte der preußischen Ober⸗Präsidenten gehen, mit einer einzigen Ausnahme, dahin, daß es nicht gerathen sei, an diesen Verordnungen noch irgend etwas zu ändern, weil, wenn auch im Anfange lebhafte Beschwerden hervor⸗ getreten seien, heute Publikum wie Geschäftsbetriebe sich an die Sach⸗ lage gewöhnt hätten, und es nur aufs neue Unruhe erregen würde, wenn man eine Aenderung der bestehenden Bestimmungen über die Sonntagsruhe vornehmen würde. Meine Herren, in allen solchen Dingen ist Konsequenz unzweifelhaft eine Tugend. Wenn man auf jeden Ruf, auf jede Beschwerde hören und sie zum Anlaß einer Aenderung bestehender Bestimmungen machen will, thut man besser, die Hand über⸗ haupt von diesen Dingen wegzulassen. Die Herren, die im Jahre 1891 an der Arbheiterschutz⸗Gesetzgebung mitgewirkt haben und heute eine Revision der angefochtenen Bestimmungen beanspruchen, machen sich des Vorwurfs schuldig, daß sie diese Bestimmungen im Jahre 1891 überhaupt nicht ernsthaft gewollt haben. (Sehr richtig! im Zentrum.) Wer auf dem Standpunkt steht, eine Arbeiterschutz⸗Gesetzgebung mit Erfolg und Wirksamkeit durchzuführen, der muß mit voller Ueber⸗ zeugung in die Sache hineingehen und darf sich nicht dadurch stören lassen, daß hier und da in einzelnen Geschäftskreisen noch Unzu⸗ friedenheit über die Sache geäußert wird. (Sehr richtig! im Zentrum.) Entweder, meine Herren, muß die Sache ganz oder gar nicht gemacht werden (sehr richtig! im Zentrum), und da ich auf dem Standpunkt stehe, daß eine solche ernste Frage auch ernsthaft behandelt werden muß, so kann ich nicht denjenigen Recht geben, die heute den Antrag stellen, daß man die Bestimmungen über das Bäckereigewerbe wieder zurückziehen solle. (Bravo! im Zentrum, Widerspruch rechts.)
Abg. Trimborn (Zentr.) stimmt den Ausführungen des Ministers zu und meint, daß die Rechte überhaupt keinen Arbeiter⸗ schutz mehr haben wolle. Eine Arbeitszeit von 16 bis 18 Stunden Nacht für Nacht am heißen Ofen sei doch gesundheitsschädlich. Die Regelung im Wege der Verordnung, nicht durch Gesetz, sei gerade empfehlenswerth, denn eine Verordnung könne nach Pele leicht 68 oder ganz wieder aufgehoben werden. Die Sonntagsruhe ei im Großen und Ganzen als ein Segen vom Volke anerkannt worden. Die Gegner der Verordnung nützten der Sozialdemokratie, denn man bekämpfe die Sozialdemokratie am besten dadurch, 5. man offenkundige Mißstände beseitige. Die patriarchalischen Verhältnisse fördere man nicht durch 82 ungefunder Arbeiterverhältnisse. Die Rechte diskreditiere und verleugne den Gedanken des Arbeiter⸗ gleten. während 1890 der konservatipe Abg. von Brauchitsch den
aximalarbeitstag gefordert habe. Er bedauere diese Schwenkung der Konservativen, welche bisher dem Zentrum in der christlichen
Sozialrefom treue Waffenbrüderschaft geleistet hätten. Das Zent werde diese Schwenkung niemals mitmachen. Zentrum
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch: Nur einige kurze Augenblicke möchte ich Ihre Aufmerksamkeit