1896 / 152 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 27 Jun 1896 18:00:01 GMT) scan diff

dahin erlassen, daß diese Auffassung, die nicht nur das Ober⸗Appell⸗ gericht in Cassel, sondern auch andere höchste Gerichtshöfe, das sächsische Gericht, das oldenburgische Ober⸗Appellgericht, theilten, daß diese Auffassung auf einer unrichtigen Auslegung des gemeinen Rechts, auf einer Verwechselung zwischen Gewohnheitsrecht und Gerichts⸗ praxis beruhe. Das hat aber, soweit meine Erfahrungen reichen, nicht die Wirkung gehabt, daß nunmehr die Landes⸗ gerichte sich dieser Auffassung des Reichsgerichts angeschlossen haben, und von Hessen wenigstens kann ich es bestätigen, daß die meisten Gerichte trotz dieser reichsgerichtlichen Entscheidung an ihrer früheren Praxis festgehalten haben. In Sachsen ist lange Zeit die Praxis eine schwankende gewesen. Ich habe schon erwähnt, daß die höchsten Gerichte auf dem Standpunkt der Anerkennung dieses Ehescheidungsgrundes standen. Diese herrschende Auffassung theilte auch die juristische Fakultät in Leipzig; ihr hat sich dann angeschlossen das Bürgerliche Gesetzbuch in Sachsen, und seitdem ist die Sache dort geltend geworden. Im Großherzogthum Baden, wo im übrigen das französische Recht gilt, ist schon durch ein Gesetz von 1807 die unheilbare Geisteskrankheit unter die gesetzlichen Ehescheidungsgründe aufgenommen worden, und dieses Gesetz befindet sich unangefochten in Geltung, und ich glaube, daß man in Baden außerordentlich ungern

auf diesen Ehescheidungsgrund verzichten würde. Auf anderen gemein⸗ rechtlichen Gebieten hat die Sache anders gelegen. Entsprechende Gesetze haben nur noch einige kleinere Staaten, Gotha, Altenburg, Schwarzburg⸗Sondershausen; in anderen gemeinrechtlichen Gebieten ist der Ehescheidungsgrund allerdings durch die Gerichtspraxis nicht anerkannt worden, aber, wie hat man sich da geholfen? Durch das landesherrliche Ehescheidungsrecht, was in fast allen gemeinrecht⸗ lichen Gebieten in unbestrittener Geltung bestanden hat. Durch die Ausübung dieses Gnadenrechts ist in einer Reihe von exorbitanten Fällen und wird bis heute eine Hilfe geschaffen, die nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wenn die Anträge der Kommission angenommen würden, für die Zukunft versagen wird. Ich kann Ihnen eine vollständige Statistik in dieser Beziehung nicht geben; aber daß die Fälle, in denen wegen unheilbarer Geisteskrank⸗ heit geschieden ist, zahlreich gewesen sind, beweist die schon gestern er⸗ wähnte Berliner Statistik, aus der sich ergiebt, daß hier in den letzten neun Jahren Wahnsinn in 131 Fällen zur Scheidung geführt hat. Die Fälle, in welchen im Wege der landesherrlichen Gnade die Scheidung ausgesprochen ist wegen unheilbarer Geisteskrankheit ich kann sie allerdings nur aus den letzten Jahren mittheilen sind zwar nicht sehr zahlreich, aber das erklärt sich daraus, daß nur wenige Landestheile dafür in Frage kommen. Es sind im Jahre 1893 zwei Isolcher Fälle vorgekommen, im Jahre 1894 zwei, 1895 zwei, 1896 drei, und zwar aus Vorpommern, Rügen, Hessen⸗Nassau, Schleswig⸗Holstein und Hannover, wo man früher diesen Ehe⸗ scheidungsgrund nicht gekannt hat. Aus Schleswig⸗Holstein sind in diesem Jahre schon zwei derartige Fälle zur Entscheidung ge⸗ kommen, und ich kann hier besonders hervorheben, daß diese Anträge zum weitaus überwiegenden Theile aus bäuerlichen Kreisen stammen, wo das wirthschaftliche Bedürfniß besonders empfunden wird, daß in der Leitung der bäuerlichen Geschäfte nicht auch die Frau fehlt. (Sehr richtig!)

Nun, der erste Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs hatte ja den CEhescheidungsgrund fallen lassen. Diese Bestimmung begegnete aber der allerlebhaftesten Anfechtung in weiten Kreisen, und ich darf hier wohl erwähnen, daß im Jahre 1889 der Juristen⸗ tag in Straßburg sich damit befaßt, und daß dort die entschiedene Mehrheit sich für die Beibehaltung des Ehescheidungsgrundes aus⸗ gesprochen hat. Die beiden Herren, die das Gutachten über die Sache erstattet hatten, die beiden Referenten und die angesehensten Rechtslehrer, die dem Juristentag beiwohnten, sprachen sich für die unbedingte Nothwendigkeit des Ehescheidungsgrundes aus. Ich will hier nicht in Einzelheiten eingehen, aber ich darf wohl erwähnen eine Aeußerung des Professors Zorn aus Königsberg, dessen hoch⸗ konservative und hochkirchliche Richtung wohl von niemand in Zweifel gezogen wird. Derselbe hat sich dahin ausgesprochen: man müsse allerdings zwischen Geisteskrankheit und körperlicher Krankheit unterscheiden. Die könnten niemals gleichgestellt werden. Der Mangel seelischer Gemeinschaft wiege unter allen Umständen viel schwerer als alles Körperliche, und es könne deshalb, wenn man auch immer auf dem Standpunkt des Deliktprinzips, des Schuld⸗ prinzips stehe, doch für diesen Grund eine Abweichung zugelassen werden.

In Elsaß⸗Lothringen gilt französisches Recht, und auch dort ist Geisteskrankheit als Ehescheidungsgrund nicht bekannt; aber gerade aus den Kreisen der Elsaß⸗Lothringer, die an den Verhandlungen des Juristentages sich betheiligten, wurde dies auf das lebhafteste beklagt. Ein elsässischer Ministerialrath, er ist jetzt Reichsgerichts⸗ Rath, hatte sich in Verbindung gesetzt mit den Vorstehern der Landes⸗Irrenanstalt und mit dem Direktor der psvychiatrischen Klinik in Straßburg, und die Direktoren dieser beiden Landes⸗Irrenanstalten zu Stephansfeld und Saargemünd, ebenso der Direktor der psochiatrischen Klinik in Straßburg hatten einstimmig auf Grund der Erfahrungen, die sie in ihren Anstalten gemacht hatten, und auf Grund dessen, was sie darch den Verkehr mit den Angehörigen der Betreffenden aus deren Familienleben erfahren hatten, sich für die Nothwendigkeit ausgesprochen, daß das Bürgerliche Gesetzbuch diesen Scheidungsgrund einführe.

Auf diesem Standpunkt steht, wie ich schon eingangs erwähnt hatte, auch heute noch die preußische Staatsregierung und die Mehrheit der Bundesregierungen. Die Gründe Ihnen dafür weiter auseinanderzusetzen, glaube ich mir ersparen zu können. In den meisten Punkten kann ich mich mit den Ausführungen des Herrn Abg. Lenzmann, die den. Bedürfnissen des praktischen Lebens entsprechen und sich nicht mit den christlichen Geboten in Wider⸗ spruch setzen, einverstanden erklären. Der Standpunkt, der seit länger als 100 Jahren von der preußischen Staatsregierung eingenommen worden ist, kann nicht als ein unchristlicher bezeichnet werden. Wie groß aber das Unglück ist, das über zahlreiche Familien gebracht wird, gerade aus den mittleren und ärmeren Klassen, wenn dieser Ehescheidungsgrund beseitigt wird (sehr wahr!), das ist nach meiner Meinung in überzeugender Weise von dem Herrn Abgeordneten Lenzmann dargestellt worden. Es führt das zum Ruin des Fami⸗ lienlebens gerade da (sehr wahr!), wo die Ehe bessernd und heiligend wirken soll. Die Aufrechterhaltung dieser Bestimmung würde vielfach das Gegentheil dessen erreichen, was man er⸗ reichen will, und deshalb kann ich nur die dringende

1ö1“

Klassengesetz wirken.

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Bitte aussprechen, daß Sie, dem Antrage Lenzmann entsprechend, diese Bestimmung des Entwurfs wiederherstellen. (Bravo!) Abg. Stadthagen (Soz.): Die Herren, welche auf dem Stand⸗ punkt des katholischen Rechts stehen, können nicht anders als gegen 1552 stimmen. Ich bin nicht im stande, sie zu überzeugen. Aber ie sollten für § 1552 in dem Sinne stimmen, daß sie uns nicht nehmen, was wir heute haben. Das protestantische Eherecht hat, wie das Werk des Herrn Gerhardt von Buchka ergiebt, seit 1525. zweifellos den Wahnsinn als Ehescheidungsgrund anerkannt. Redner beruft sich auf Zwingli und die Kommentatoren des protestantischen Eherechts und auch auf das Werk des Abg. von Buchka selbst und fährt dann fort: Die Kommission will das bestehende Recht ändern; wir stehen also auf Seite der beggen Staats⸗ und Rechtsordnung. Bedenken Sie die sozialen und sittlichen Folgen einer solchen Aenderung des Rechtszustandes und nehmen Sie unseren Antrag an! Die Männer und die Frauen, welche auf dem Standpunkt des Zentrums stehen, brauchen ja von dem § 1552 keinen Gebrauch zu machen. Die Streichung würde einen Gewissenszwang ausüben auf diejenigen, welche auf dem Standpunkt der protestantischen Kirche stehen. Der Wohl⸗ habende kann sich neben der Frau, die sich im Irrenhause befindet, eine andere Frau in einem anderen Hausstand halten; der Arme kann das nicht. Die Streichung des § 1552 würde also als ein

Abg. Gröber (Zentr.): Die Ausführungen des Abg. Lenzmann dienen nicht gerade dazu, die sachliche Bäütutto zu fördern. Wir haben in den letzten Wochen ruhig und friedlich diskutiert, aber von vornherein ganze Parteien anzugreifen wegen einer vermeintlichen Haltung und einer vermeintlichen Begründung, die sie noch Sr nicht kundgegeben haben, das ist doch nicht das Richtige. Es steht Herrn Lenzmann nicht zu, zu behaupten, daß wir lediglich aus konfessionellen Gründen entscheiden. Wenn wir uns nur auf den konfessionellen Standpunkt stellten, würden wir zu allen diesen Ehescheidungs⸗ fragen nicht ein Wort sagen, denn von diesem Standpunkt aus giebt es für uns gar keinen Zweifel. Aber wir machen doch ein Gesetzbuch, welches auch für Staatsbürger gilt, die keiner kirch⸗ lichen Gemeinschaft angehören. Ob die Befriedigung des Natur⸗ triebs die Ehescheidung nothwendig macht, darauf will ich nicht eingehen. Es ist würdiger, sachlich zu debattieren und nicht mit solchen Argumenten zu kommen. Der Justiz⸗Minister hat sich auf Baden berufen. Soweit er damit die badische Regierung meinte, mag er Recht so ern. Bei der Abstimmung der badischen Bevölkerung würde er aber etwas anderes erfahren. Herr Stadt⸗ hagen hat vom Standpunkt des kanonischen Rechts anerkannt, daß der Wahnsinn nicht als Chescheidungsgrund gelten kann. Der preußische Justiz⸗Minister hat behauptet, daß der Antrag Lenzmann göttlichen Ordnungen nicht widerspreche, und das habe ich bekämpft. Die Statistik beweist, daß die Zahl der Scheidungsfälle nicht sehr erbeb⸗ lich ist. Praktisch ist die Sache nicht bedeutend, zumal der Zeitraum, fecfssn dessen die Krankheit dauern muß, von einem auf drei Jahre verlängert wird. Es bleibt also nur die prinzipielle Frage. Man mag von der ärztlichen Wissenschaft so hoch denken wie man will, die Gutachten der Aerzte über die Geisteskrankheit weichen sehr von einander ab. Ich erinnere daran, daß jemand von einer Medizinalbehörde als unheilbar geisteskrank erklärt wurde, von einer anderen aber als nicht geisteskrank, der sich heute noch in seinem Amt befindet und von dem niemand zu behaupten wagt, daß er geisteskrank sei. Und der Begriff der Geisteskrankheit selbst ist sehr schwierig zu bestimmen. Geisteskrankheit und Geistesschwäche sind schwer von einander zu unterscheiden. Die Regelung des § 1552 ist vollständig prinziplos; wenn bei Geisteskrankheit die Ehescheidung zugelassen werden soll, warum nicht auch bei ekelhaften Krankheiten u. s. w. Es giebt eben keine Grenze mehr, wenn man von dem Verschulden abweicht. Das zeigt das Landrecht, welches sogar die unüberwindliche Abneigung als Ehescheidungsgrund enthält. Da kommt man schließlich nur zu Liebesverhältnissen und nicht mehr zu wirklichen Ehen. Der erste Entwurf stellte sich daher mit gutem Grund auf den entgegengesetzten Standpunkt. Die Lebensgemeinschaft erfordert, daß man nicht bloß in guten Tagen, sondern auch in schweren Tagen zusammenbleibt und nicht wegläuft, wenn ein Unglücksfall eintritt. Das ist brutal, das ist Verletzung der ehelichen Pflichten. Herr Stadthagen verlangt, daß der Arbeiter, der Hand⸗ werker seine geisteskranke Frau auf das Pflaster werfen kann. Der kleine Mann kann nicht seine geisteskranke Frau und noch eine zweite Frau erhalten. Die geisteskranke Frau wird also der Armenpflege anheim fallen. Wenn nun der geisteskranke Gatte wieder gesund wird? Was dann? Die Kinder gehören ihm nicht mehr, sie gehören dem anderen Ehegatten, welcher ihn in seinem Unglück verlassen hat. Deshalb bleiben Sie bei dem Beschlusse der Kommission stehen!

Justiz⸗Minister Schönstedt:

Meine Herren! Der Herr Abg. Gröber hat sich veranlaßt ge⸗ funden, unter dem Beifall mancher Mitglieder des Hauses seine Ver⸗ wunderung darüber auszusprechen, daß in dieser Frage, wie er sich ausdrückte, der preußische Justiz⸗Minister Arm in Arm mit dem Herrn Abg. Lenzmann gegangen sei. Meine Herren, derartige Bilder kommen zuweilen vor; wir haben das ja gestern auch gehabt, wo die Herren Abgg. Freiherr von Stumm und Bebel Arm in Arm mit einander gegangen sind. (Zuruf.) Damals ist die gleiche Verwunderung nicht ausgesprochen worden von jenen Bänken. Ich weiß nicht, ob der Herr Abg. Gröber von der Ansicht ausgegangen ist, daß Mit⸗ glieder des Bundesraths sachlichen Gründen, die sie für richtig halten, dann entgegenzutreten hätten, wenn sie von einer Seite kommen, die ihnen im übrigen nicht gerade sehr nahe steht. Wenn der Herr Abg. Gröber diese Ansicht haben möchte, ich habe sie jedenfalls nicht. Ich nehme die guten Gründe, woher sie kommen, und werde mich niemals abhalten lassen, meine Zustimmung zu sachlichen Ausführungen zu erklären, wenn sie auch von der alleräußersten Linken dieses Hauses kommen. (Bravol links.)

Meine Herren, der Herr Abg. Gröber hat mir weiter den Vor⸗ wurf gemacht, daß ich durch meine Ausführungen eine Unkenntniß des kanonischen Rechts an den Tag gelegt habe. Ich will mich nicht gerade als einen sehr riefen Kenner des kanonischen Rechts ausgeben (Heiterkeit); aber davon habe ich überhaupt gar nicht gesprochen (sehr wahr!), auch nicht vom katholischen Kirchenrecht. Ich glaube, wenn der Herr Abg. Gröber aufmerksam gewesen wäre, würde er gehört haben, daß ich nur vom protestantischen Kirchenrecht gesprochen habe, das allein die Grundlage des staatlichen Ehescheidungsrechts bildet. Eine Uebereinstimmung zwischen unserem staatlichen und dem katholischen Kirchenrecht haben wir niemals gehabt und nicht erstrebt.

Wenn der Herr Abg. Gröber mir ferner zum Vorwurf macht, daß ich die konservativen Grundsätze verlassen habe, indem ich der Auffassung des Herrn Abg. Lenzmann beigetreten bin, so kann ich auch darin seine Auffassung nicht als richtig zugeben. Ich meine nicht, daß man aufhört, konservativ zu sein, wenn man den Fortbestand eines Rechtszustandes vertritt, der seit länger als hundert Jahren unter konservativen Fürsten und Regierungen bestanden hat und bei dem auch die konservative Bevölkerung sich ganz wohl befunden hat. Ich glaube, mich daher auch nach dieser Richtung nicht den Ausführungen des Herrn Abg. Gröber fügen zu sollen.

In der Sache selbst ist Neues auch von dem Herrn Abg. Gröber nicht vorgebracht worden. (Widerspruch aus der Mitte.) Wenn die Herren mich auf Neues aufmerksam machen sollten, so bin ich gern bereit, darauf zu antworten. (Heiterkeit links.) Bei der knapp be⸗

messenen Zeit des Reichstags glaube ich daher auf die Materie

nicht nochmals eingehen zu sollen. Anerkannt ist von allen Seiten, daß die Möglichkeit ärztlicher Irrungen auf diesem Gebiet vorliegt. Aber ich glaube, der Standpunkt ist durchschlagend, daß derartige ärztliche Irrungen nur in außerordentlich seltenen Fällen vorkommen, und diese seltenen Ausnahmefälle nicht bestimmend sein können und dürfen für das, was die Gesetzgebung als Regel hinstellt. Im übrigen, glaube ich, sagen zu dürfen: wenn die psychiatrische Wissen⸗ schaft auch nicht auf der Höhe stehen mag, die wir alle für sie wünschen müssen, daß doch Irrungen vorkommen mehr in den Grenz⸗ gebieten, wo es sich darum handelt, ob jemand nur im Stadium nervöser Ueberreizung sich befindet oder schon wirklicher Geisteskrankheit ver⸗ fallen ist. So aber, wie hier die Bedingungen für die Ehescheidung formuliert sind, wo eine Geisteskrankheit von dreijähriger Dauer ohne lichte Unterbrechungen vorliegen muß und das Gutachten der Aerzte dahin ausfallen muß, daß eine geistige Gemeinschaft in der Ehe und jede Aussicht auf Wieder⸗ herstellung derselben gänzlich ausgeschlossen sei, da, glaube ich, ist, wenn wir mit gewissenhaften Aerzten rechnen, die Möglichkeit von Irrungen ziemlich ausgeschlossen. Auch mir sind aus meiner Er⸗ fahrung Fälle bekannt, daß Leute, die für geisteskrank, für unheilbar geisteskrank erklärt worden sind, später wieder geistig gesund geworden sind (Widerspruch), gewiß, solche Fälle kommen vor, ebenso wie einer, der für todt erklärt wurde, sich nachher als lebendiger Mann der Welt zeigt (Heiterkeit), und wenn für solche Fälle gerichtlicher Todeserklärungen nicht die Konsequenz gezogen ist, daß alles, was auf Grund der Todeserklärung geschehen ist, als ungeschehen zu betrachten sei, so glaube ich, brauchen wir auch auf diesem Gebiet soweit nicht zu gehen. Wie gesagt, ich will die Gefahr von Irrungen von Sachverständigen nicht in Abrede stellen, aber ich sage: sie können nur in ganz einzelnen Fällen vorkommen, die verschwindend sind gegenüber der Regel der Fälle, und diese sind es allein, die für den Gesetzgeber maßgebend sind.

Abg. Dr. Osann (nl.): Meine politischen Freunde werden für den Antrag Lenzmann stimmen. Daß § 1552 unbestimmte Begriffe ent⸗ halte, wie Herr Gröber behauptet, ist nicht richtig. Wenn das be⸗ züglich des Begriffs der Geisteskrankheit, welche die geistige Gemein⸗ schaft zwischen den Ehegatten aufhebt, zutreffen sollte, dann könnte man überhaupt kein Gesetz mehr machen; denn dann würden schließ⸗ lich alle Worte und Begriffe unbestimmt sein. Die Todeserklärung erfolgt durch einen Einzelrichter gegenüber abwesenden Personen, die nicht erscheinen und ihr Recht vertreten können. Bei ent⸗ scheidet nicht der Einzelrichter, sondern ein Kollegium, welches die volle Wahrheit ermitteln kann. Liegt darin nicht eine größere Garantie, als bei der Todezerklärung vorhanden ist? Das Zentrum ist durch das Dogma der katholischen Kirche gebunden. Es sollte also eigentlich nicht mitstimmen, denn es tritt mit gebundener Marschroute an diese Frage heran. Herr Gröber meinte, die geisteskranke Frau des Arbeiters würde auf das Pflaster ge⸗ worfen. Erstlich giebt es dafür die Armenpflege. Die Streichung des § 1552 würde dahin führen, daß der Arbeiter mit seinen Kindern für sein ganzes Leben verwaist dastehen würde. Wohlhabende Leute können sich für die Kinder Erzieherinnen annehmen; aber wie soll der kleine Beamte und der tleine Geschäftsmann einen solchen Ersatz beschaffen? In diesen Fällen kann die Religion nicht helfen; die Kinder verlangen eine bürgerliche Erziehung und diese würde durch den Kommissionsbeschluß unmöglich gemacht. Herr Gröber meinte, die Zahl der Fälle sei eine sehr kleine. Aber die Geisteskrankheiten nehmen sehr stark zu, und es wäre bedenklich, diese Thatsache außer Acht zu lassen. Wenn die Mehrheit der verbündeten Regierungen, wenn die Juristen gegenüber dem ersten Entwurfe sich für die Bei⸗ behaltung ausgesprochen haben, wenn auch gewichtige Stimmen aus der Bevölkerung dafür laut werden, so wird es kein Bedenken haben, den § 1552 anzunehmen. 1

räsident Freiherr von Buol theilt mit, daß namentliche Abstim⸗ mung beantragt sei.

Labg. Gamp (Rp.): Ich protestiere dagegen, daß Herr Gröber davon gesprochen hat, daß die Rechte ihre konservative Gesinnung ändere. Die Streichung des § 1552 würde vielmehr zur Folge haben, daß die armen Frauen auf die Straße geworfen werden; denn eine Arbeiterfrau, deren Mann geisteskrank ist, kann sich schwerlich von ihrer Hände Arbeit selbst ernähren. In Preußen ist noch nicht ein Fall konstatiert, daß bei einer wegen Wahnsinn geschiedenen Ehe sich nachträglich die geistige Gesundheit des für wahnsinnig erklärten Ehegatten wieder eingestellt hat. Irrthümer sind überall möglich, auch wenn die Ehen aus anderen Gründen geschieden werden.

Abg. Schröder (fr. Vgg.): Die Deduktionen der Gegner des § 1552 sind Uebertreibungen; sie gehen davon aus, daß die Ehe in diesem Falle geschieden werden müsse. Das ist aber nicht der Fall, denn die Scheidung soll nur dann erfolgen, wenn durch die Geistes⸗ krankheit alle Grundlagen 7 Ehelebens zerstört sind, ein Eheleben also nicht mehr vorhanden ist.

nch wehr ven⸗ (fr. Volksp.): Die Vorlage schafft kein neues Recht, bestätigt zum größten Theil das bestehende; denn eine Ehescheidung soll nur möglich sein, wenn der Wahnsinn während der Ehe 3 Jahre bestanden hat und soweit vorgeschritten ist, daß die Ehe⸗ gemeinschaft aufhört und jede Aussicht auf Wiederherstellung aus⸗ geschlossen ist. Bei diesen Erfordernissen kann man nicht nur aus Opportunitätsrücksichten, sondern muß aus sittlichen Gründen ver⸗ langen, daß dieser Ehescheidungsgrund bestehen bleibt. Der Abg. von Buchka meint, es sei zu schwer, Herr Gröber dagegen, es sei unter Umständen zu leicht, den Beweis für das Vorhandensein dieses Zustandes zu führen. Wenn der Beweis zu schwer ist, werden die Fälle wenig praktisch werden. Herr Gröber meint, er sei zu leicht. Nun, ich will zugeben, irren kann die Medizinalbehörde, irren kann auch der Richter. Aber weil der Richter irren kann, kann man doch nicht die Grundlagen des Rechts aufgeben. Aus sitt⸗ lichen Gründen kann man verlangen, daß dieser Ehescheidungsgrund angenommen wird. Das Wort vom geistigen Tod ist vollkommen richtig. Die Natur verlangt in diesem Fall die Scheidung. Mit der dreijährigen Frist ist diese Bestimmung sehr nahe verwandt mit der Bestimmung über die Todeserklärung. Hier ist der geistige Tod eingetreten, und damit ist das ebeliche Hand gelöst. Wenn man auf dm Standpunkt des Abg. von Buchka steht, muß man sagen: Gott schickt den Tod, Gott schickt auch den Wahnsinn. Ziehe man daraus al o die Konsequenzen. Man sagt, es sei unmenschlich, dem unglücklichen kranten Ehegatten noch das Unglück der Scheidung zuzufügen. Unmenschlich kann man doch nur handeln an einem Menschen, der es als unmenschlich em⸗ pfindet. Ein sittliches Band hat aufgehört mit dem Erlöschen -. Geistes. Der Wahnsinnige träst nicht mehr „Leid und Freud * Der Naturtrieb spielt bei der Eheschließung eine große Rolle. Un wenn der Naturtrieb nicht wäre, würden viel weniger Ehen geschlossen und geschieden werden. Kann das Zentrum noch die Ehe e wahnsinnigen Person als eine Ehe ansehen? Das mag sehr⸗ erha sein, aber unmenschlich ist es unter allen Umständen, um den 8 „brutal“ nicht zu gebrauchen. Es ist viel besser, man schafft solc Ehen aus der Welt, um nicht den gesunden Theil auch noch vve zu machen. Das Zentrum thäte genug, wenn es seine Anwesenheit nn⸗ konstatierte und sagte: was geht's uns an? Wir betrachten die Ehe vom 16 fessionellen Standpunkt; was die Anderen machen, sehr uns ni 3 an. VBeim konfessionellen Standpunkt hört Ihre zum Zentruf Unbefangenheit allen anderen Se en.; gegenüber auf. Sie werf uns vor, daß wir mit dem Minister zusammengehen; das

ja selten vor, aber Herr Gröber und seine Partei sind wie

in Gesellschaft mit den Sozialdemokraten gegangen. Wenn unser trag abgelehnt wird, werden wir ihn in der dritten See *⸗ n bringen. Wir sind bereit, Ihre Motive und Ihre ehren, verlan Gleiche und kein abspreche

Wir haben die bürgerliche Ehe, die nur so lange dauert wie

Urtheil. 8 rgerliche Gesetz, d. h. bis zum sozialistischen Staat, wo alles daßt hargehs sittlichen Gründen, nicht aus konfessionellen, müssen

Sie für unseren Antrag stimmen oder schweigen.

bg. Pauli (Rp.) erklärt namens eines Theils seiner Freunde, daß sie für den Kommissionsbeschluß eintreten und gegen den Antrag

Lenzmann stimmen würden. Der Geist sei nach altväterlichem Glauben

unsterblich, mithin sei von einem geistigen Tod nicht die Rede. Des⸗ halb I eine solche Bestimmung nicht in das Bürgerliche Gesetz⸗

aufnehmen.

buch .8 Dr. von Buchka erklärt, er habe in seinem Buche nicht sich dahin ausgesprochen, daß er nach protestantischem Eherecht diesen Ehescheidungsgrund anerkenne, sondern er habe dies in seinem Buch nur referierend von einem älteren Rechtslehrer angeführt.

Damit schließt die Diskussion.

In namentlicher Abstimmung wird der Antrag Lenzmann mit 125 gegen 116 Stimmen abgelehnt.

1. wird in Verbindung mit § 1554 der zurückgestellte § 1336 verhandelt. 1

Nach § 1554 muß die Scheidungsklage binnen sechs Monaten von dem Zeitpunkt an erhoben werden, in dem der Ehegatte von dem Scheidungsgrund Kenntniß erlangt.

Abg. Haußmann (d. Volksp.) beantragt, statt „binnen sechs Monaten“ zu setzen „binnen einem Jahre“.

Nach § 1336 sind die Ehegatten einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Stellt sich das Verlangen eines Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft als Miß⸗ brauch seines Rechts dar, so ist der andere Ehegatte nicht ver⸗ pflichtet, dem Verlangen Folge zu leisten. Das Gleiche gilt, wenn der andere Ehegatte berechtigt ist, auf Scheidung zu klagen.

Die Sozialdemokraten beantragen, diesen § 1336 zu streichen.

Abg. Haußmann befürwortet die Annahme seines Antrags, weil die die Scheidungsklage binnen sechs Monaten einzureichen, lediglich zu übereilten Klagen führen könne, wo die Möglichkeit einer Versöhnung der Eheleute noch vorhanden sei.

Abg. Dr. von Dziembowski (Pole) spricht dem Vorredner seinen Dank aus, daß er seinen bereits in der Kommission gestellten Atrag wiederholt habe. Eine Verlängerung der Frist sei wünschens⸗ werth. 3 3 1

Die beiden Paragraphen werden unverändert genehmigt.

1567 enthält in seinem zweiten Absatz die Bestimmung, daß ein uneheliches Kind und dessen Vater nicht als einander

verwandt gelten sollen. 38

Die Sozialdemokraten beantragen die Streichung dieser Bestimmung.

Abg. Bebel (Soz.): Daß ein uneheliches Kind nicht mit seinem Vater verwandt ist, kann man behaupten; aber es glaubt diese Be⸗ hauptung niemand. Die Kommission hat deshalb auch eine Aenderung der Vorlage vorgenommen, welche ganz apodiktisch behauptete: zwischen einem unehelichen Kinde und seinem Vater besteht keine Verwandt⸗ schaft. Die Bestimmung ist nur getroffen im Interesse der unehelichen Väter, welche sich ihrer Verpflichtung gegen das Kind entschlagen. Unser Antrag hat die Tendenz, die unehelichen Kinder den ehelichen leichzustellen, und diese Tendenz ist eine außerordentlich nützliche. Das unschuldige Kind kann nicht für die Fehler seiner Eltern ver⸗ antwortlich gemacht werden. Nahezu 10 % aller geborenen Kinder sind uneheliche. In den Arbeiterkreisen werden die Kinder häufig durch die fegende Ehe legitimiert, in den höheren Kreisen allerdings nicht. Die Annahme unseres Antrages würde allerdings noch andere Aenderungen nothwendig machen, diese können aber bis zur dritten Lesung herbeigeführt werden.

8 sde niemand das Wort nimmt, wird die Diskussion ge⸗ schlossen. 3

Der Antrag wird abgelehnt. 1

Nach § 1581 sollen Eltern den minderjährigen Kindern gegenüber unterhaltspflichtig sein.

Die Sozialdemokraten beantragen, auch die Kinder den Eltern gegenüber unterhaltspflichtig zu machen.

Abg. Stadthagen befürwortet den Antrag, der lediglich dem Gedanken der Vorlage entspreche.

§ 1581 wird unverändert genehmigt.

Nach § 1598 soll der Vater verpflichtet sein, der Tochter

bei ihrer Verheirathung eine angemessene Aussteuer zu geben.

Die Sozialdemokraten wollen an die Stelle des Vaters

„die Eltern“ gesetzt wissen.

g. Frohme (Soz.) begründet diesen Antrag damit, daß

Vater und Mutter gleichberechtigt seien.

Bundesrathskommissar Professor von Mandry meint, daß die Vorlage sachlich nichts Anderes wolle als der Antrag, der das beab⸗ sichtigte Ergebniß nicht erreichen würde.

Der Antrag wird abgelehnt.

Nach § 1604 erstreckt sich die väterliche Gewalt nur auf die minderjährigen Kinder.

Abg. Dr. Rintelen (Zentr.) will sie darüber hinaus ausge⸗ dehnt wissen, so lange die Kinder die Mittel zu ihrem Lebensunterhalt nicht durch eigene Thätigkeit erwerben.

Abg. Schmidt⸗Warburg (Zentr.) will hinzugefügt haben, daß die päterliche Gewalt erlösche mit vollendetem 25. Lebensjahre und durch ausdrückliche Entlassung aus der väterlichen Gewalt.

7S Dr. Rintelen führt aus, daß die Vorlage an die Stelle des Deutschen Rechts das Französische Recht setzen wolle zum Schaden der väterlichen Autorität, zum Schaden des Zusammen⸗ haltens der Familie. 3

Bundesrathskommissar Prof. von Mandry spricht sich gegen den Antrag aus, weil er nicht zweckmäßig und überflüssig sei; er bestreitet, daß durch die Vorlage die Autorität des Vaters beein⸗ trächtigt werde. Die Ausdehnung der väterlichen Gewalt im Sinne

des Antrages Rintelen sei römisch⸗rechtlichen Ursprunges, entspreche aber nicht dem Deutschen Recht. Wenn der Antrag intelen ange⸗ nommen würde, müßte man auf die erledigten Abschnitte zurück⸗ greifen und die Geschäftsfähigkeit der Kinder beschränken.

„Abg. Freiherr v. Stumm (Rp.): Der Hinausschiebung der Groß⸗ jährigkeit von dem 21. bis zum 25. Jahre würde man zustimmen können, aber der Antrag Rintelen treibt die Kinder geradezu aus der Familie heraus und veranlaßt sie, einen neuen Hausstand zu gründen, um aus der päterlichen Gewalt herauszukommen. Die Annahme des Antrages würde ebenso bedenklich sein, wie die Annahme des An⸗ trages, daß der Konsens zur Verheirathung nur bis zum 21. Lebens⸗ jahr erforderlich ist.

Abg. Schmidt⸗Warburg (Zentr.) tritt für seinen Antrag ein, der das national gewordene Recht darstelle gegenüber dem Französischen Recht. Nothwendig sei die Annahme des Antrages namentlich im Interesse der bäuerlichen Besitzer.

Abg. Dr. v. Cuny (nl.) erklärt, daß die Bestimmung des Fran⸗ zoöͤsischen Rechts sich durchaus bewährt und die Autorität des Vaters nicht geschwäͤcht habe.

Abg. Stadthagen spricht sich ebenfalls gegen die Anträge aus, bestreitet aber, daß die Einwilligung der Eltern zur Eheschließung Deutsches Recht sei; sie sei französischen Ursprungs und widerspreche dem kanonischen Recht.

Abg. Dr. v. Dziembowski erklärt sich für die Anträge.

8 Abg. Spahn 8) erklärt, daß man in der mit em Zustande, wie er jetzt allgemein eingeführt werden solle, zufrieden ci; das sei auch vom rheinischen Bauernverein anerkannt. Mit dem ntrage sei nicht zu wirthschaften.

11,. werden abgelehnt und § 1604 unverändert

handelt von der Zwangserziehung.

Die Sozialdemokraten wollen berwagrlofte Kinder in efsehangeanzaten, nicht in Besserungsanstalten untergebracht wissen.

erner beantragen sie folgenden Zusatz: Nehac ist das Vor⸗ mundschaftsgericht nicht berechtigt, das Verhalten des Vaters in religiöser oder politischer Hinsicht oder die Einwirkung des Vaters auf das Kind nach diesen Richtungen hin als einen Mißbrauch, eine Vernachlässigung oder als ein ehrloses oder unsittliches Verhalten zu erachten.“

Abg. Stadthagen begründet den Antrag damit, daß er be⸗ hauptet, in der Nähe von Hanau habe der Vormundschaftsrichter einen Vater aufgefordert, auf seinen Sohn einzuwirken, daß er aus einem als sozialdemokratisch verdächtigen Turnverein austreie. Da dies nicht geschehen, so sollte dem Vater die Erziehung seines Sohnes entzogen werden, weil der Vater durch Nichtausübung 8,72- Er⸗ ziehungsrechts das letztere Fercthrnae habe. Das Landgericht in Hanau habe die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt; erst die höhere Instanz habe eine Aenderung gebracht. Die Wiederholung solcher Vor⸗ kommnisse müsse verhindert werden, damit die väterliche Gewalt nicht unterminiert werde durch solche mißbräuchliche Rechtsprechung, die dem Grundsatz folge: Wenn Zwei dasselbe thun, ist es doch nicht dasfelbe.

Justiz⸗Minister Schönstedt:

Mur zwei Worte zur Klarstellung. Der Herr Abg. Stadthagen

hat allerdings schon erwähnt, aoer in so leiser und schüchterner Weise, daß es kaum zum Verständniß des Hauses gekommen sein wird, daß der von ihm vorgetragene Beschluß in der Beschwerdeinstanz von dem Ober⸗Landesgericht in Cassel aufgehoben ist. Damit verliert dieser Beschluß jeden Werth als gesetzgeberisches Material. Damit ist die Sache erledigt.

Abg. Stadthagen: Dadurch ist noch keine Garantie gegeben, daß nicht in einem anderen Falle wieder so verfahren wird, daß dann die Richter vom Landgericht, die vielleicht später beim Ober⸗Landes⸗ gericht sitzen, die Entscheidung bestätigen. Gegen solche Richter muß ein Schutz geschaffen werden. Materiell hat der Justiz⸗Minister nichts gegen unseren Antrag vorgebracht.

Ahg Gröber: Es ist allerdings sehr bedauerlich, daß eine solche Entscheidung erst in der dritten Instanz vom Ober⸗Landes⸗ gericht aufgehoben worden ist. Der Antrag geht über das Ziel hinaus. Unter dem Vorwand einer religiösen Bewegung könnten z. B. un⸗ sittliche Dinge getrieben werden, z. B. wenn die Mormonen in Deutschland Propaganda machen wollten. Es wird genügen, wenn it ausdrücklich erklären, daß wir die gerichtliche Entscheidung nicht

illigen.

Der Antrag wird abgelehnt und der § 1643 unverändert angenommen.

Zum § 1646 beantragt Abg. Freiherr von Stumm einen Zusatz, wonach der Vater mit dem Tage seiner Wieder⸗ verheirathung die Nutznießung des Vermögens der Kinder 8. soll. Dadurch würden Mann und Frau gleichgestellt werden.

Die Abgg. Boltz (nl.), Stephan⸗Beuthen (Zentr.) und Lenzmann (fr. Volksp.) sprechen sich für die Ablehnung des Antrages aus.

Der Antrag wird abgelehnt.

Nach § 1673 soll die Mutter bei ihrer Wiederverheirathung die elterliche Gewalt verlieren.

Die Sozialdemokraten beantragen die Streichung, während Abg. Haußmann hinzugefügt wissen will, daß die Mutter die Nutznießung des Vermögens der Kinder behalten soll.

Abg. E““ spricht sich gegen die Anträge aus, während Abg. Freiherr von Stumm die Annahme des Antrags Haußmann empfiehlt, nachdem sein Antrag bei § 1673 abgelehnt sei.

1673 wird unverändert angenommen.

stach § 1682 soll das vrehiche Kind den Namen der Mutter und auch bei Verheirathung derselben behalten.

Die Sozialdemokraten beantragen, daß bei der Ver⸗ heirathung der Mutter auf Antrag des Ehegatten das uneheliche Kind den neuen Familiennamen der Mutter soll erhalten können.

Nachdem Abg. Bebel den Antrag begründet, erklärt

Abg. Dr. von Bennigsen (nl.), 17 der Antrag eine bessere Fäi atanten habe, als ein ähnlicher Antrag in der Kommission, odaß Bedenken dagegen nicht mehr vorlägen.

Bundesrathskommissar Prof. von Mandry glaubt, daß beim Uebereinstimmen von Mutter und Vater die Verwaltungsbehörden gegen die Aenderung des Namens des Kindes auch ohne besondere Vorschrift keine Einwendungen machen würden.

Der Berichterstatter Dr. Bachem (Zentr.) glaubt, daß der An⸗

h in dieser Form in der Kommission hätte auf Zustimmung rechnen önnen.

Der sozialdemokratische Antrag wird, vorbehaltlich⸗einer redaktionellen Aenderung, gegen die Stimmen der Rechten angenommen und in dieser Foffung der § 1682.

§,1683 spricht der Mutter des unehelichen Kindes die elterliche Gewalt über dasselbe und die Vertretung desselben ab z ein Antrag des Abg. Auer will ihr Beides wiedergegeben wissen.

Der Antrag wird trotz Empfehlung der Abgg. Bebel und Frohme abgelehnt.

Abgelehnt wird ferner ein sozialdemokratischer Antrag zu § 1684, wonach der Vater dem unehelichen Kinde bis zum 16. Lebensjahre Unterhalt gemäß dem Stand des Vaters, nicht der Mutter, gewähren soll; angenommen wird dagegen ein Antrag zu § 1694, wonach außer den Kosten der Ent⸗ bindung und des Unterhalts während der ersten sechs Wochen nach derselben auch durch die Schwangerschaft und das Wochen⸗ bett herbeigeführte Nachtheile ersetzt werden sollen.

Erledigt werden noch die §§ 1692 bis 94. Darauf wird um 6 ½ Uhr die weitere Berathung auf Sonnabend 11 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Japan und die Silberentwerthung.

““ In dem neuesten Heft der „Conrad'schen Jahrbücher für National⸗ ökonomie und Statistik“ ist ein Aufsatz unter der Ueberschrift„ Japan und die Silberentwerthung von Dr. Johannes Wernicke veröffent⸗ licht, in welchem unter Beibringung einer Fülle statistischen Materials für Japan die Behauptung einer Prüfung unterzogen wird, daß die Silberentwerthung den Export der Goldländer nach den Silberländern erschwere, daß sie dort in derselben Weise wie die Erhöhung der Einfuhrzölle wirke, aber auch anderer⸗ seits die Ausfuhr aus den Silberländern erleichtere und wie eine Exportprämie wirke. Dadurch bewirke sie einen erheb⸗ lichen Schutz, eine starke Förderung der Industrie in jenen Ländern und mache schließlich unsere Ausfuhr dorthin unmöglich. Der Verfasser bestreitet die Richtigkeit dieser Ohne auf die statistischen Darlegungen über die Entwicklung des japanischen Geldwesens hier einzugehen, da dies ohne eine Wiedergabe eines für den zu Gebote stehenden Raum übergroßen Zahlenwerks nicht thun⸗

lich erscheint und die Thatsache, daß Japan zu den Silberländern

gehört, als bekannt vnnn . ist, soll im nachstehenden nur einiges,

namentlich aus den Mittheilungen über die Ausfuhr und Einfuh Japans, welche der Verfasser gegen obige Behauptung ins Treffen sübe⸗ Seeh behen werden, während im übrigen auf die Quelle selbst verwiesen sei.

Die Ausfuhr Japans hat sich seit 1882, wie folgt, gestaltet.

Es führte aus in Millionen Yen nach 1894 1892 1888 1882 den Vereinigten Staaten 43,3 6 14,3 19 10,3

8

L7276 Englisch⸗Indien ... 1“ Italien..

Canada

0S

D,— S.

SSESEESS S

S 2 S

1u“] zusammen 108,/ 87,3

Wie man sieht bemerkt der Verfasser hierzu ist vor allem die Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten angewachsen. Sie be⸗ trug 1892 von der ganzen Ausfuhr 23,5 %. Weiter hat der Export nach Frankreich und nach China eine bedeutende, nach Hongkong, Indien, Italien eine kleine Steigerung erfahren. Dagegen ist die Ausfuhr nach England und Deutschland ziemlich stabil geblieben. Der Handel mit China entwickelt sich naturgemäß immer mehr, ebenso der mit Amerika.

Ein wesentlich anderes Bild bietet die Einfuhr nach Sehn Hier entfällt der Löwenantheil auf England, im Jahre 1894 beträgt er 36 %. Am meisten ist die Einfuhr aus England, China, Indien, Deutschland und den Vereinigten Staaten beständig gewachsen.

Nachstehende Zahlen geben davon ein Visb.

Millionen Yen 1892 1888 1111““ 28,7

10,4

2 5, 5

Es wurden eingeführt Waaren in 8 189

82

Hongkong WWe“* Deutschland... Vereinigte Staaten.. raneich Korea .

Belgien

Rußland

111““

—22 b0

1

7

7

4, 0

900 SSESU8SSUA 2I000᷑S5ASE

zusammen 107,1 2 857 Der Verfasser glaubt sich durch diese Zahlen zu der Bemerkung

berechtigt: „Demnach ist gerade Japans Export nach den Gold-

währungsländern am wenigsten gestiegen, während seine Ausfuhr aus

denselben die bedeutendste Vermehrung aufzuweisen hat.“

Von allgemeinem Interesse N noch folgende Mittheilungen und Ausführungen des vorliegenden Aufsatzes: Bisher war das Gewerbe in Japan durchaus Hausindustrie, allerdings vielfach schon in kleineren Werkstätten, in denen Zwischenmeister 10 bis 20 Arbeiter oder Arbeiterinnen beschäftigten. Seitdem aber die Produktion sich mehr und mehr für den Weltmarkt einrichtet, ist man auch in Japan allmählich mehr von der Hausindustrie zur Fabrikindustrie übergegangen. Namentlich seitdem die gesellschaftlichen Unternehmungen mehr Eingang gefunden haben, ist eine fortschreitende Konzentration in der Produftiog nicht zu verkennen. Es gab 1886 industrielle Unternehmungen 1097; 1891 bereits 2480.

Das Sparen, überhaupt die Kapitalbildung, ist in Japan nach des Verfassers Wahtnehmungen noch ziemlich geringfügig. „T. seiner Fortschritten sagt er „ist demnach Japan doch noch zurück. Aber es strebt vorwärts, und je mehr es sich entwickelt, um so mehr bedarf es des Imports. Freilich manche einfachen Massen⸗ artikel wird es sich allmählich selbst herstellen, wie jedes andere Land.“

Was im allgemeinen den Einfluß der Währung anbelangt, so sind, wie der Verfasser meint, die angeblichen Vortheile der Silber⸗ entwerthung 8” die „Anpassung“, durch die Erhöhung der Preise in den Silberwährungsländern ausgeglichen. Die Gold⸗ währungsländer würden also nicht mehr durch die Deprekation des Silbers benachtheiligt. vor, den früheren Silberwerth wieder herstellen zu wollen. Im Gegentheil, das würde den Goldwährungsländern nur schaden. Ab⸗ gisehen davon, daß im Falle des Bimetallismus das Gold aus den

isherigen Goldwährungsländern ab⸗, das Silber ihnen zufließen würde, abgesehen von all diesen Kalamitäten des Goldagios, dem die Länder mit entwertheter Valuta so gern entfliehen möchten, von der vielleicht kurze Zeit eintretenden Inflation, der Hausse⸗

spekulation, ihrem Zusammenbruch, den empfindlichen Rück⸗

schlägen, würden bezüglich der Silberwährungsländer folgende b eintreten:

ie Valuta würde sich ohne wieder heben, die Kaufkraft nach Ansicht der Bimetallisten in

an und für sich steigen. Da aber au

Es liege daher auch kein Grund mehr

den bisherigen Goldländern die Preise sich entsprechend heben würden,

so würde die erhöhte Kaufkraft der Silberländer dadurch wieder aus.

geglichen. Es würde also bezüglich des Exports dorthin alles beim alten bleiben. Da nun aber durch den gestiegenen Silberpreis einerseits und durch den nach der Periode der Ueberproduktion und Ueberspekulation eintretenden Preisfall der Waaren das Geld für die Silberländer vertheuert wird, können sie mit der gleichen Waarenmenge nicht mehr soviel Silber kaufen wie bisher nur im Anfang zur Zeit der Hau n. wven nach Zusar

derselben aber werden auch in den Silberländern die Preise wieder sinken. Da ihnen also der Geldbezug vertheuert wird von 2, 3 auf 4. pro Yen —, können sie mit 100 Waarenwerth immer nur 74 Pen anstatt 100 bisher kaufen. Dadurch wird der Gewinn des verringert, er kann im Inland nicht mehr die für die

waaren zahlen, dieselben müssen im Preise ebenso die be⸗ treffenden Löhne. Das pflanzt sich allmählich auf das Demnach würde der Bimetallismus ü- die Silber⸗ länder die umgekehrte Wirkung ausüben w

entwerthung was ja auch natürlich ist. Wollen das die

Bimetallisten? Das wäre aber die nothwendige Kons Die Ent⸗

werthung der Waaren müßte die Konkurrenzfähigkeit der allmählich stärken. Der Bimetallismus würde also gerade die Wirkung

and fert. e die Silber⸗ 8

ausüben, welche man jetzt fälschlicherweise der Silberentwerthung 8

zuschreibt.“

„Es ist ein gefährliches Feuer“ so schließt der Verfasser —, „mit dem man zu auf Aber die v ig säreen e 8 falsche Vorstellungen —. wird auch über eere jur Tagesordnung dann, wenn die Goldproduktion noch so ergiebig der Gegenwart und es liegt gew viel

Zweifellos werden diese seeenh aber sind sie als ein neuer beach o überaus streitigen Währungsfrage zu begrüßen.

Literatur.

Kr. Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wett⸗ bewerbes vom 27. Mai 1896, für die rhliche Praxis von C. Hauß, Kaiserlichem Geheimem R. und vortragendem Rath im Reichsamt des Innern. J. Gutten⸗ tag, Verlagsbuchhandlung. Der Verfasser, welcher an den legiöb⸗

leibt Golh in der Erde⸗

lativen Vorarbeiten von Anfang an betheiligt war, wie es vn Vorwort heißt, dem Gesetz bei seinem Inkrafttreten 8 8

rungen mit auf den wollen, welche der

gewerblichen Praxis den leitenden Gedanken des sollen. Theoretische Erörterungen sind N *

auf die Literatur und namentlich die des nicht eingegangen, was, wenn auch interessant.

eöI g- tenswerther Beitrag zu der