Theater und Mufik.
1 Schiller⸗Theater.
Schiller's Geburtstag wurde in dem Theater, welches seinen Namen trägt und welches den moralischen Einfluß auf die breite Masse des Volks zu erstrebt, den dieser idealste deutsche Volksdichter der Schaubühne zuerkannt wissen wollte, mit einer Auf⸗ führung des Demetrius“ begangen. Von diesem letzten und reifsten Werk Schiller's, welches ihn noch in seinen letzten Stunden beschäftigte, liegt leider nur ein Bruchstück von etwa anderthalb Akten und, als beredtes Zeugniß für die Sorgfalt und das Studium, welches der Dichter an seine Aufgaben wandte, der Entwurf sowie eine
ülle zusammengetragenen Materials für die Fortsetzung des Trauer⸗ piels vor. Bei der Großartigkeit des fertig geste ten Theils ist es dein Wunder, daß der allgemein gehegte Wunsch, einerseits das Schiller'sche Bruchstück der Bühne zugänglich zu machen, andererseits dasselbe würdig und thunlichst im Sinne des Dichters zu vollenden, immer und immer wieder nach Erfüllung rang. Schon Goethe trug sich ernstlich mit diesem Plane, brachte ihn aber nicht zur Ausführung. Den frühesten, freilich verunglückten Versuch machte Franz Freiherr von Maltitz (Karlsruhe 1817), den zweiten Gustav Kühne, dessen Arbeit im Jahre 1859 zum 100. Geburtstage Schiller's erschien; der erste indessen, dem es glückte, ein für die Aufführung geeignetes Werk aus dem Vorhandenen aufzubauen, war Heinrich Laube, dessen rein theatralisch wirksame Ergänzung bekanntlich vor einigen Jahren bei Eröffnung des Berliner Theaters in der glänzenden Inscenierung Ludwig Barnay's hier wiedererstand. Das Schiller⸗Theater vermittelte uns die Bekanntschaft mit einer Bearbeitung noch jüngeren
atums, mit derjenigen des im Jahre 1889 als Direktor des Gymnasiums zu Wolfenbüttel verstorbenen, auch als Lyriker bekannten Otto Sie vers. Dieser ist, von der an sich unanfechtbaren Voraussetzung ausgehend, daß Schiller selbst in weiteren Stadien seiner Arbeit den ursprünglichen Entwurf umgemodelt haben würde, in seinem Ergänzungs⸗ werk ziemlich selbständig vorgegangen. Während er das Schiller'sche Bruch⸗ stück, gleich Laube, mit pietätvoller Rücksicht fast unverändert ließ, hat er, um den Helden Demetrius ohne Widerpart in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen, im Gegensatz zu Laube, die Scenen des Zaren Boris ganz ausgeschaltet. Beiden Bearbeitern ist aber wieder die Umformun des Charakters der Axinia in dem Sinne gemeinsam, da den Demetrius liebt, während sie nach Schiller's Angaben dem Romanow — der sich weder bei Laube noch bei Sievers vorfindet — zugethan sein und den Usurpator hassen soll. Gegen Laube's breitere fünfaktige Anlage des Trauer⸗ spiels hat Sievers' Arbeit den Vorzug der Kürze; die Vorgänge drängen sich in vier Akte zusammen. Auch die Diklion erhebt sich zuweilen über die nüchternere Sprache Laube's, ohne freilich den Schiller'schen Schwung zu erreichen; an Reichthum bühnenwirksamer Scenen steht aber die neuere Ergänzung gegen die ältere entschieden zurück, denn aus der Haupt⸗ und Staatsaktion ist bei Sievers mehr ein internes Familiendrama geworden, das des großen historischen Zuges ermangelt. Die Inscenierung, in der das Werk dargeboten wurde, machte dem
Regisseur Pategg alle Ehre. Schon die große Reichstagsscene erweckte
durch ihre Lebendigkeit starken Beifall, der nicht zum wenigsten der packenden Leistung des Herrn Froböse als Sapieha galt. Herr Bach war in der Titelrolle voll edlen Anstands und hinreißenden Tempera⸗ ments. Vortrefflich waren auch die Marfa des Fräulein Detschy und der Odowalski ves Herrn Winterstein. In der Expisodenrolle des Bitjakowsky schuf Herr Pauly eine Gestalt von lebendiger Charakteristik. Die übrigen Personen sind in der zu Grunde gelegten Bearbeitung mit Worten nur karg bedacht worden; sie wurden im Ganzen würdig dargestellt. Die Ausstattung ließ nichts zu wünschen, nament⸗ lich fand ein von Herrn Fischer gemalter, den Kreml darstellender Prospekt ungetheilte Anerkennung. Theater des Westens.
Schiller's Geburtstag gab gestern Abend willkommene Ver⸗ anlassung zur Aufführung des Trauerspiels „Maria Stuart“, welches hier zum ersten Male in Scene ging. Die Titelrolle spielte Fräulein Barkany, die nach jahrelanger Abwesenheit von Berlin fast unverändert mit allen ihren schauspielerischen Vorzügen und Schwächen wieder auf der Bühne erschien. Ihre Kunst stützt sich zumeist auf rein äußerliche Mittel, aber diese sind glänzend und eindrucksvoll. Ihre gefällige Erscheinung in reicher Gewandung verfehlt schon an und für sich nicht die Wirkung auf die Mehrzahl der Zuschauer; dazu kommt ein wohlklingendes, stets in schwungvoller Bewegung befindliches Organ
Wetterbericht vom 11. November,
Ss.
Dichtung von R. Leoncavallo, deutsch von Ludwig r Morgens. Hartmann. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur
und eine klare, deklamatorische Sprache, die freilich nicht die Tiefen der Dichtung schöpft, sich aber den wechselnden Empfindungen geschickt anpaßt; ihre Stimme versteht zu stürmen und zu zittern, auch wenn ihre Seele nicht erbebt. Fräulein Stephanie Salta, welche die Rolle der Königin Elisabeth zu spielen hatte, verfügt nicht über das zur Bewältigung dieser Aufgabe erforderliche künstlerische Vermögen. Der Darstellerin mangelt trotz ihrer stattlichen Erscheinung die Majestät des Wesens und der selbstbewußte, die Umgebung beherrschende Klang der Stimme. Dieser Elisabeth gegenüber, die aus der Enge klein⸗ licher Bosheit und neidischer Mißgunst heraus ihre ver⸗ nichtenden Pfeile zu senden schien, blieb natürlich in der großen Gartenscene Fräulein Barkany in jeder Beziehung Siegerin. Die beste Leistung des Abends bot Herr Bonn als Mortimer; er wußte den religiösen Fanatismus und die Leidenschaft der Sinne in schwärmerischer Exaltation glücklich zu vereinen. Herr Drach als Leicester sprach seine Rolle in nachlässiger, eitler Selbstbespiegelung ohne Ernst und innere Ergriffenheit. Die Herren Kober als Bur⸗ leigh und Firle als Amias Paulet konnten genügen. Herr Haid spielte die Rolle des Melvil verständig und unaufdringlich.
Im Königlichen Opernhause werden morgen Leoncavallo's „Bajazzi“ unter Kapellmeister Sucher's Leitung mit den Herren Sylva, Bulß und Fräulein Egli in den Hauptrollen gegeben. Hierauf folgt das Ballet „Die Puppenfee“, in welchem die Damen dell'Era und Urbanska auftreten.
Im Königlichen Schauspielhause geht morgen Otto von der Pfordten’s Schauspiel „1812“ in Scene.
Im Theater des Westens geht morgen Abend das Schau⸗ spiel „Treue“ von Alexander von Roberts in Scene. Das Stück wird auf vielfaches Verlangen auch am Sonnabend und am nächsten Sonntag Abend wiederholt werden. Am Freitag findet eine Wieder⸗ holung von „Maria Stuart' statt.
Die erste Aufführung der neu gegründeten „Dramatischen Gesellschaft“ im Theater des Westens findet am Sonntag, den 29. November, Mittags 12 Uhr, statt. Gegeben wird die dreiaktige Komödie „Die Fahnenweihe; von dem jungen Münchener Poeten Josef Ruederer. Da die Inscenierung des im oberbayerischen Gebirge spielenden Werks wegen der Eigenart der Dekoration und der großen Personenzahl, die fast das gesammte Ensemble des Theaters des Westens in Anspruch nimmt, schwierig und zeitraubend ist, so konnte der Zeitpunkt der Aufführung nicht früher festgesetzt werden. — Anmeldungen zum Beitritt zur „Dramatischen Gesellschaft“ nimmt nach Maßgabe der noch verfügbaren Plätze Herr Theodor Entsch, Jägerstraße 20, entgegen.
Von den „Mittheilungen für die Mozart⸗Gemeinde in Berlin“ (im Vertrieb der Königlichen Hofbuchhandlung von E. S. Mittler u. Sohn hierselbst) ist soeben das dritte Heft erschienen, welches sich gleich den beiden vorangegangenen Heften durch Reichhaltigkeit des Inhalts auszeichnet. Der erste Aufsatz: „Ueber Mozart's Klaviervariationen“ von Dr. Haase in Nordhausen bringt diese graziösen Schöpfungen Mozart's mit feiner Empfindung und in sehr warmen Worten in Erinnerung. In einem umfangreichen Aufsatz von dem Herausgeber Rudolph Genée wird die jüngste Aufführung des „Don Giovanni“ in München be⸗ sprochen. Die musikalische und dramatische Einrichtung des einzigen Werkes wird lebhaft anerkannt, aber ebenso bestimmt gegen die fort⸗ währenden “ des Textes polemisiert und die alte, seit 1801. populär gewordene Rochlitz'sche Uebersetzung allen neueren Versuchen bei weitem vorangestellt. Ein kleinerer Artikel über Moözart's Schwester Nannerl bildet nur den erläuternden Text zu einem schönen Bildniß derselben, das nach dem Salz⸗ burger Original in sorgfältig ausgeführtem Holzschnitt wieder⸗ gegeben ist. Eine zweite interessante bildliche Beigabe ist die in Lichtdruck ausgeführte Reproduktion eines alten Kupferstichs, auf dem die hübsche Anekdote zur Darstellung gelangt, die sich im Berliner National⸗Theater 1789 bei Anwesenheit Mozart's ereignete. — Diese „Mittheilungen“ werden den Mitgliedern der Berliner Mozart⸗ Gemeinde gratis zugestellt, sind jedoch auch für Nichtmitglieder durch alle Buchhandlungen (Preis des Hefts 1 ℳ 50 ₰) zu beziehen. Wie die am Schluß des Heftes abgedruckte Ergänzungsliste nachweist, sind seit Ende Januar der Berliner Mozart⸗Gemeinde 122 neue Mit⸗ glieder beigetreten, sodaß dieselbe jetzt im Ganzen nahezu 500 Mit⸗ glieder zählt.
Sonnabend: Zum ersten Male: Ehefesseln.
Mannigfaltiges.
Die für heute Mittag angesetzt gewesene Vereidigung der Rekruten der in Berlin, Charlotten burg, Spandau und roß. Lichterfelde garnisonierenden Gardetruppen wurde auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Kaisers und Königs abbestellt.
Hersfeld, 9. November. Das zu Ehren des badischen Oberst⸗ Lieutenants, nachmaligen Generals Lingg hier errichtete Denkmal wurde gestern in Gegenwart der Spitzen der Behörden, von Korpo⸗ rationen und einer großen Menschenmenge in feierlicher Weise ent⸗ hüllt. Das Denkmal, dessen Fertigstellung einem vor drei Jahren gebildeten Ausschuß gelungen ist — hauptsächlich dank der von im In⸗ und Auslande wohnenden Kersfeldern gewordenen Unterstützung —, ist der Ausdruck einer längst fälligen Ehren⸗ schuld. Am 20. Februar 1807 sollte der damals ein badisches Jäger⸗ Bataillon kommandierende Oberst⸗Lieutenant Lingg auf Befehl der französischen Gewalthaber die Stadt Hersfeld plündern und an allen vier Ecken anzünden, weil die Hersfelder gegen die französischen Truppen einen Aufruhr angezettelt und einen Soldaten ermordet hatten. Lingg vermochte jedoch durch sein edles Beispiel die Soldaten von der Plünderung abzuhalten. Die Stadt mußte zwar an allen vier Ecken angezündet werden, doch waren es allein⸗ stehende Häuser, und da Lingg mit seinen Soldaten alsbald abzog, so konnten die Bürger die Stadt vor der Brandzerstörung bewahren. — Das Denkmal zeigt auf granitnem Sockel die von F. Göring⸗ Berlin modellierte und von Gladenbeck in Bronze gegossene Statue des Helden, der, in badische Jäger⸗Offiziers⸗Uniform gekleidet, die Rechte wie zur Ruhe mahnend erhebt und in der Linken den Pallasch hält, während der rechte Fuß eine Brandfackel zertritt. 1“
Leipzig, 10. November. In dem Prozeß gegen Auer und Genossen wegen Vergehens wider das Vereinsgesetz fand heute vor dem Reichsgericht die Verhandlung über die Revision statt, welche von 15 der verurtheilten Angeklagten eingelegt worden war. Letztere wurden von den Rechtsanwalten Wolfgang Heine und Herzfeld aus Berlin vertreten. Der Ober⸗Reichsanwalt beantragte die Ver⸗ werfung der Revision, da die Feststellung der Verbindung zwischen den Wahlvereinen und der Parteileitung, sowie die Feststellung des Bewußtseins von dieser Verbindung nicht rechtsirrthümlich sei. Das Reichsgericht hob indessen das Urtheil der Strafkammer des Land⸗ I in Berlin auf und verwies die Sache zur nochmaligen Verhandlung an die Vorinstanz zurück, weil die nach § 8 des Vereins⸗ esetzes erforderliche Feststellung des Thatbestandsmerkmals, daß die
arteileitung ein Verein sei, welcher politische Erörterungen in Ver⸗ sammlungen bezwecke, zu vermissen sei.
Bremen, 10. November. Der „Bremer Courier“ meldet aus Wilhelmshapen: Nachdem am 25. Oktober bereits zwei Gerettete von der Mannschaft des „Iltis“ hier eingetroffen waren, ist heute hier die Meldung eingelaufen, daß auch die F8e6 gerettete Mannschaft des „Iltis“ am 27. d. M. in Wilhelmshaven an⸗ kommen werde. Für den feierlichen Empfang derselben werden be⸗ sondere Vorkehrungen getroffen.
St. Etienne, 10. November. Durch einen Grubeneinsturz in Talandière wurden, einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge, 4 Bergleute getödtet.
St. Petersburg, 11. November. Auf der Eisenbahnlinie St. Petersburg — Warschau fand, nach einer Meldung des „W. T. B.“, zwischen den Stationen Kusniza und Sokolka ein Zusammenstoß des von St. Petersburg kommenden Schnellzuges mit einem vor⸗ schriftswidrig auf das Gleis des ersteren geleiteten Güterzuge statt. Sechs Personen wurden getödtet und 13 verletzt, dar⸗ unter 7 vom Zugpersonal.
St. Gallen, 10. November. Das Kantonsgericht entschied heute in dem Prozeß wegen des Nachlasses von Johann Orth (Erzherzog Johann von Oesterreich) dahin, daß die Bank in St. Gallen die bei ihr hinterlegte Million zurückzuzahlen
habe.
(Fortsetzung des Nichtamtlichen in
Konzerte.
Stationen. Wetter.
Temperatur in 0 Celsius 5 0 C. = 42 R.
Bar. auf 0 Gr ²[u. d. Meeressp. red. in Millim
bedeckt bedeckt Regen bedeckt wolkenlos bedeckt wolkenlos
Belmullet .. Aberdeen .. Kopenhagen. Stockholm aparanda . t. Petersbg. Moskau.. Cork, Queens⸗ vowwmin .. Cherbourg Helder.. Sylt Hamburg. Swinemünde Neufahrwasser Memel.. Paris.. Münster. wolkig Karlsruhe. 1 bedeckt Wiesbaden 7 bedeckt München.. Nebel Chemnitz bedeckt Berlin ’ 3 Regen Wien ill Nebel Breslau. bedeckt E“ still heiter 1““ heiter ¹) Nachts Regen. 8 Uebersicht der Witterung. 8 Unter der Wechselwirkung eines 770 mm über⸗ steigenden Hochdruckgebietes über Frankreich und eines am Rigaischen Busen liegenden Minimums unter 750 mm wehen im südlichen Ostseegebiet mäßige bis stürmische Westwinde, während im Binnenlande schwache südliche bis westliche Luftströmung vorherrscht. In Deutschland ist das Wetter trübe, an der Küste, wo fast überall Regen gefallen ist, mild, im Süden kalt. Fortdauer wahrscheinlich. Deutsche Seewarte.
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bedeckt bedeckt wolkig bedeckt bedeckt¹) Dunst Regen Regen Nebel
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Theater.
Königliche Schauspiele. Donnerstag: Opern⸗ haus. 223. Vorstellung. Bajazzi. (Pagliacci.) Oper in 2 Akten und einem Prolog. Musik und
Tetzlaff. Dirigent: Kapellmeister Sucher. — Die Puppenfee. Pantomimisches Ballet⸗Divertissement von Haßreiter und Gaul. Musik von Joseph. Bayer. In Scene gesetzt vom Balletmeister Emil Graeb. Dirigent: Herr Bennhsold. Anfang 7 ½ Uhr.
Schauspielhaus. 252. Vorstellung. 1812. Schauspiel in 5 Aufzügen von Otto von der Ffareeg. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Anfang 7 ½ Uhr.
Freitag: Opernhaus. 224. Ferstesgang. Die
ugenotten. Große Oper in 5 Akten von Giacomo Meyerbeer. Text nach dem Französischen des Eugoͤne Scribe, übersetzt von Fünag Castelli. Tanz von Emil Graeb. Anfang 7 Uhr.
Schauspielhaus. 253. Vorstellung. Kehraus. Rö. in 1 Aufzug, nach dem Dänischen des Julius Lehmann, bearbeitet von Hermann Brau⸗ müller. — Eine. Historischer Schwank in 3 Auf⸗ zügen von Max Dreyer. Anfang 7 ½ Uhr.
Dentsches Theater. Donnerstag: Freiwild Anfang 7 ½ Uhr.
Freitag: Morituri. (Teja. Fritzchen. Das Ewig⸗Männliche.)
Sonnabend: Morituri. (Teja. Fritzchen. Das Ewig⸗Männliche.)
Berliner Theater. Donnerstag: Renaissance. Anfang 7 ½ Uhr.
Freitag (10. Abonnements⸗Vorstellung): Die
offizielle Frau. Sonnabend: Renaissance. 88
8
Lessing ⸗ Theater. Donnerstag: Die goldne Eva. (Georg Engels als Gast.) Anfang 7 ½ Uhr.
Freitag: Zum ersten Male: Masken. Drama in 1 Aufzuge von Roberto Bracco. Deutsch von Otto Eisenschütz. — Hierauf: Neu einstudiert: Untreu. (Jenny Groß.)
Sonnabend: Die goldne Eva. (Georg Engels als Gast.)
Residenz-Theater. Direktion: Sigmund Lauten⸗ burg. Donnerstag: Vorletzte Aufführung. Der Stell⸗ vertreter (LeRemplaçant). Lustspiet in 3 Akten von William Busnach und Georges Duval. Deutsch von Max Schönau. — Hierauf: Treptow’s Ab⸗ schied. Berliner Scherzbild mit Gesang in 1 Akt 92 “ Müller (Dr. L. Leipziger). Anfang
r. Freitag: Zum letzten Male: Der Stellvertreter
— Hierauf: Treptow s Abschied.
Schauspiel in 3 Akten von Paul Hervieu.
Neues Theater. Schiffbauerdamm 4a. /5. Direktion: Sigmund Lautenburg. Donnerstag: Bock⸗ sprünge. Schwank in 3 Akten von Paul Hirsch⸗ berger und C. Kraatz. — Vorher: Die sittliche Forderung. Komödie in 1 Akt von Otto Erich Hartleben. Anfang 7 ½ Uhr.
Freitag: Bocksprünge. — Vorher: Die sitt⸗ liche Forderung.
Sonnabend: Bocksprünge. — Vorher: Die sittliche Forderung. 8
Sonntag, Nachmittags 3 Uhr: Zu halben Preisen: Der Hüttenbesitzer. Schauspiel in 4 Akten von Georges Ohnet.
Theater des Westens. Kantstraße 12. (Bahn⸗ hof Zoologischer Garten.) Donnerstag: Treue. Schauspiel in 4 Akten von Alexander von Roberts. Anfang 7 ½ Uhr. 3 3
reitag: Maria Stuart. onnabend: Treue. In Vorbereitung: Schiedsmann Hempel
Theater Unter den Linden. Behrenstr. 55⁄57. Direktion: Julius Fritzsche. Donnerstag: Der Ober⸗ steiger. Operette in 3 Akten von M. West und L. Held. Musik von Carl Zeller. Regie: Herr
anno. Dirigent: Herr Kapellmeister Korolanyi. Anfang 7 ½ Uhr.
Freitag: Die Fledermaus.
Sonnabend: Zum ersten Male: Unter den Linden. Balletphantasie in 3 Akten von Benno Jacobson. Musik von Paul Lincke. Durchaus neue glänzende Ausstattung.
Thalia-Theater (vorm. Adolph Ernst⸗Theater). Dresdenerstraße 72/73. Direktion: W. Hasemann. Donnerstag: Gebildete Menschen. Wiener Volks⸗ stück in 3 Akten von Viktor Léon. Anfang 7 ½ Uhr:
Freitag: Gebildete Menschen.
Sonntag, den 15. November, Nachmittags 3 Uhr: Bei halben Preisen: Prima Ballerina.
Bentral Theater. Alte Jakobstraße 30. Direktion: Richard Schultz. Donnerstag: Emil Thomas a. G. Eine wilde Sache. Große burleske Ausstattungsposse mit Gesang und Tanz in 6 Bildern von Fulius Freund und W. Mann⸗
b Musik von Julius Einödshof
Konzerthaus. Karl Meyder⸗Konzert.
Donnerstag: Ouverturen „Wilhelm Tell“ von Rossini, „Zampa“ von Herold. Prolog aus „Der Bajazzo“ von Leoncavallo. Ungarische Rhapsodie Nr. 1 von Liszt. Walzer „Rosen aus dem Süden“ von Strauß. Potpourri „Allotria“ von Linke. „Zigeunerweisen“ für Violine von Sarasate (Herr Carnier). „Der Liebestraum“ für Cornet⸗à⸗Piston von Hoch (Herr Werner).
Philharmonie. Donnerstag, Anfang 8 Uhr: Konzert der Berliner Liedertafel (Chormeister A. Zander). Mitwirkung: Königliche Hofopern⸗ sängerin Fräulein J. Hiedler. 8
Saal Bechstein. Donnerstag, Anfang 8 Uhr: 8
Lieder⸗Abend von Dr. Ludw. Wüllner. Familien⸗Nachrichten.
Verlobt: Frl. Alice von Wartenberg mit dem
Kammerherrn Leonhard von Kalckreuth (Groß⸗ Lichterfelde — Obergörzig). — Frl. Else von Trotha mit Hrn. Hauptmann Hans von Winterfeld (Magdeburg). — 184 Elisabeth Mantius mit Hrn. Gerichts⸗Assessor Dr. jur. Walter Joel
(Bergedorf) — Frl. Marga Kern mit Hrn. Pro⸗
fessor Dr. Josef Jadassohn (Breslau).
Geboren: Ein Sohn: Hrn. Hauptmann vo der Chevallerie (Berlin). — Hrn. Professor Dr. Preibisch (Ohlau). — Eine Tochter: Hrn. Hauptmann und Flügel⸗Adjutanten B. Frhrn von Gayl (Dessau). — Hrn. Gymnasiallehre Dr. Dietrich (Greiz i. V.). — Hrn. Landgerichts Direktor und Kammerherrn v. d. Decken (Neu strelitz).
Gestorben: Hr. Korps⸗Generalarzt a. D. Dr. Friedrich Schrader (Goslar a. H.). — Verw. Fr. Geheime Ober⸗Hofkammer⸗Rath Agnes von Lentzcke, geb. von Schultz (Gries b. Bozen). — Fr. Prem.⸗Lieut. Annemarie Gräfin von Rothkirch und Trach (Lüben). — Hr. Rechnungs⸗Rath Julius Knothe (Breslau). — Hr. Kämmerei⸗ Kassen⸗Buchhalter Erich Hoerning (Magdeburg).
Verantwortlicher Redakteur: Siemenroth
in Berlin. Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin.
Druck der Norddeutschen Buchdruckerei nnd Verlags⸗ Anstalt Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.
Fünf Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage). 1
1 “ 8
zum Deuts 269.
der in den deutschen Münzstätten bis Ende
Berlin, Mittwoch, den 11. November
Deutsches Reich. UShH e
1) Im Monat Oktober Goldmünzen
Oktober 1896 vorgenommenen Ausprägungen
en Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußische Staat
n Reichsmünze
Silbermünzen
Nickelmünzen Kupfermünzen
1896 sind geprägt Doppel⸗ Kroner. l Fünf⸗ Zwei⸗ Ein⸗ Fünfzig⸗ Zwanzig⸗
ℳ ℳ
Zwanzig⸗ Zehn⸗ Fünf⸗ Zwei⸗ Ein⸗
worden in: kronen Kronen rechnung markstücke markstücke markstücke pfennigstücke pfennig ice pfennigstücke pfennigstücke, pfennigstücke pfennigstücke pfennigstücke ℳ
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7 482 780 3 310 490 München —
Stuttgart . a
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10 793 270% 50 000 100 000
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61 205 40% 27 984 —327 236,77 51 514 üas — 15 744 38 27 100 ü8 ü48 6 940 — 40 443 u“
Summe 1.. 7 482 7800 4 696 710 —
12 179 490 50 000 100 000 — eg
— 139 820 : 68 428 — 59 921 6 213 207 44° 7 047 186
2Vorher waren geprägt⸗) 2 491 411 920,549 672 070,27 969.925,1749484220 92 126 190 118 973 108 188 981 673 21681 024 135717922 801500 860 800 32 156 322 90 16 345 970 3) Gesammt⸗ Ausprägung 2 498 894 8001857 388 78027 989 925175756371092 175 190119 075 1087185 581 6757s 71 6810277 50 ns 717 922 80
4) Hiervon sind wieder eingezogen 5) Bleiben
1 598 540 3 497 530% 12 135 2 497 296 0601550 871 250[27 957795
3 076 125 100 ℳ 1
*) Vergl. den „Reichs⸗Anzeiger“ vom 12. Oktober 1896, Nr. 243.
Berlin, den 10. November 1896.
61 610% ⁰y114 108 14 017 205 346 13 005 353, —
860 8 32 296 1425 016 T7 398
6 2T207 7157157 2 079 20 650 69 04 61
80/80
92 114 580[118 959 000188 967 656 71 775 675
6 213 138 40]% ßy7 107 045
85 494 229 484,30 ℳ
Hanuptbuchhalterei des Reichs⸗Schatzamts. 8 Biester.
EEEem
53 713 591,35 ℳ 13 320 184,30 ℳ
Deutscher Reichstag. 120. Sitzung vom 10. November 1896, 2 Uhr.
Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer des Blattes berichtet.
Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend Aenderungen und Er⸗
änzungen des Gerichtsverfassungs⸗Gesetzes und
er Strafprozeßordnung.
Von den sozialdemokratischen Abgg. Stadthagen und Genossen liegen Anträge vor, welche die Unabhängigkeit der Richter gestärkt wissen wollen. Darnach sollen die Richter nur aus denselben Gründen ihres Amts enthoben werden können, wie die Mitglieder des Reichsgerichts. Ferner sollen 58 Richteramt nicht ernannt werden können diejenigen, welche änger als drei Jahre ein Verwaltungsamt oder das Amt eines Staatsanwalts bekleidet haben; Richter dürfen Orden und Titulaturen nicht annehmen. Die Enthebung der Richter soll nur durch Zweidrittel⸗Mehrheit des Plenums des betreffen⸗ den Disziplinargerichts erfolgen können. Keine Verwaltungs⸗ beas soll in die Entscheidungen der Gerichte ö onnen.
Berichterstatter Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) weist darauf hin, daß die Kommission diese Anträge abgelehnt habe, weil sie durch Annahme derselben nicht das ganze Gesetz gefährden wollte. Die Wiedereinführung der Berufung in Eerüfface und die Einführung der Entschädigung unschuldig Wrurtheilter sei so werthvoll, daß man sich wohl eine gewisse Beschränkung auferlegen könne.
Abg. Stadthagen (Soz.) begründet seinen Antrag mit dem Hinweise auf Disziplinierungen von Richtern in eee Feit namentlich in Preußen, wofür er verschiedene Einzelfälle anzuführen sucht, und fordert, daß wenigstens die Gründe mitgetheilt würden, weswegen die Richter in Deutschland nicht unabhängiger gestellt werden dürften, als es jetzt der Fall sei.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren, der Antrag, den der Herr Abg. Stadthagen eben vertreten hat, war von ihm ja schon in der Kommission gestellt worden. Aus den Bemerkungen des Kommissionsberichts haben Sie ersehen, welches Schicksal der Antrag dort gehabt hat, und nach diesem Schicksal wäre die Annahme wohl nicht unberechtigt gewesen, daß der Antrag hier im Plenum nicht werde wiederholt werden, da er doch irgend welche Aussicht auf Erfolg nicht hat. Ich würde deshalb auch vielleicht darauf verzichten können, hier auf diesen Antrag zu erwidern, wenn nicht einige Einzelheiten in den Ausführungen des Herrn Abg. Stadthagen mich nöthigten, auf einige Minuten Ihre Geduld in An⸗ spruch zu nehmen.
Der Herr Abg. Stadthagen ist davon ausgegangen, daß die Richter sich nicht mehr des allgemeinen Vertrauens erfreuten in ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Er findet für diese Auffassung sogar eine Bestätigung in der Thron⸗ rede, in der gesagt worden sei, daß dies Gesetz auch den Zweck habe, die Gerechtigkeit zu erhöhen. Nun, meine Herren, daß dieser Passus der Thronrede eine solche Spitze habe, wie sie der Herr Abg. Stadthagen darin findet, das ist, glaube ich, noch keinem von den übrigen Herren hier in den Sinn gekommen. Ebenso wenig kann ich zugeben, wenn der Herr Abg. Stadthagen hier angedeutet hat, daß hier von dem Chef der preußischen Justizverwaltung der Ausspruch gethan sei, die Richter hätten nicht mehr das Ver⸗ trauen in ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, dessen sie bedürften. Die Bemerkung, welche ich in dieser Beziehung gemacht habe, hat einen ganz anderen Sinn. Ich habe gesprochen von dem äußeren Ansehen der Richter in Anknüpfung an Ausführungen, welche der Herr Abg. Lenzmann in Bezug auf die gesellschaftliche und soziale Stellung der Richter gethan hatte. Und diese Ausführungen habe ich theilweise zu bestätigen vermocht. Hier irgendwie zu sagen, daß unsere Richter das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit und Un⸗ parteilichkeit, dessen sie bedürfen zur Ausübung ihres Amts, nicht mehr genießen, das ist mir niemals in den Sinn gekommen.
Der Herr Abg. Stadthagen hat es als selbstverständlich und kaum anfechtbar erklärt, wenn er verlangt, daß für alle Richter im Deutschen Reich dieselben disziplinaren Bestimmungen gelten müßten wie für die Mitglieder des Reichsgerichts. Nun, meine Herren, ich glaube, aus der Entstehungsgeschichte des Gerichtsverfassungs⸗ gesetzes wird sich ergeben, daß für diese privilegierte Stellung der Mitglieder des Reichsgerichts doch noch andere Gesichtspunkte maßgebend gewesen sind als die heute von dem Herrn Vorredner hervorgehobenen. Daß für die Mitglieder des höchsten
Gerichtshofes, für die eine Versetzung in eine andere Behörde nach unserer Organisation nicht mehr in Frage kommen kann und bei deren Auswahl die größte Sorgfalt, die größte Vorsicht waltet und walten muß in Bezug auf ihre Persönlichkeit, nicht nothwendig die⸗ selben disziplinaren Bestimmungen geboten sind, die für das Gros, die vielen Tausende von Beamten, die sich in anderen richterlichen Stellungen befinden, erforderlich scheinen, das wird, glaube ich, einer Ausführung nicht bedürfen. Unsere Richter haben nach dem preußischen Disziplinargesetz vollständig diejenige Unabhängigkeit, die das Gerichts⸗ verfassungsgesetz ihnen verbürgt: sie sind keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfen, und nach allen Disziplinargesetzen, die der Herr Abg. Stadthagen aufgehoben haben will, steht es fest, daß sie wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, ihrer Stellung enthoben, in andere Stellen oder in den Ruhestand versetzt werden können. Sie stehen überall unter den ordentlichen Gerichten, und, an der Bemer⸗ kung, die der Herr Abg. Stadthagen heute nicht zum ersten Male gemacht hat, daß eigentlich die Staatsanwaltschaft die Richter überwache und einen Einfluß auszuüben habe in Bezug auf ihre disziplinarische Behandlung, ist doch weiter nichts Wahres, als daß im Disziplinarverfahren, wie überall in unserem ganzen Anklagever⸗ fahren, die Staatsanwaltschaft die Anklage zu vertreten hat und unter Umständen auch den ersten Angriff hat, obgleich der Fall außerordent⸗ lich selten vorkommen wird, daß ein Staatsanwalt gegen einen Richter vorgeht, wenn nicht die Anregung dazu von dem Vorgesetzten des Richters gegeben wurde. Aber an der Entscheidung hat der Staatsanwalt niemals mitzuwirken.
Meine Herren, die Nothwendigkeit einer Abänderung der be⸗ stehenden Disziplinargesetzgebung hat nun der Herr Vorredner aus einer Reihe von ihm heute kurz angeführter Fälle zu entwickeln ge⸗ sucht. Alle diese Fälle waren, soweit sie nicht der weiteren Oeffent⸗ lichkeit angehören, mir unbekannt. Es müssen wohl auch die Herren Regierungsvertreter in der Kommission angenommen haben, daß die Fälle nicht wieder im Plenum zur Sprache kommen würden; mir ist wenigstens Vortrag über einen dieser Fälle nicht gehalten worden. Ich bin deshalb auch nicht in der Lage, auf die Einzelheiten einzu⸗ gehen. Das Eine aber glaube ich doch den eigenen Ausführungen des Herrn Abg. Stadthagen entnehmen zu können, daß die Sachen so nicht überall liegen können, wie er sie uns vorgetragen hat.
Er hat zunächst erwähnt den Fall Kirchmann. Nach seiner Dar⸗ stellung wäre der diszipliniert worden, weil er eine Schrift geschrieben hat unter dem Titel: „Der Kommunismus in der Natur.“ An diesem Titel ist er selbstverständlich nicht gescheitert. Manche der Herren werden sich des Falles erinnern. Man hat in der Schrift — ob mit Recht oder Unrecht, will ich dahingestellt sein lassen — die Vertretung unsittlicher Grundsätze zu erblicken geglaubt und ist auf dieser Grund⸗ lage zu dem Ergebniß gekommen, daß der Verfasser dieser Schrift in seinem Richteramte nicht weiter bleiben könne. Also so einfach hat die Sache nicht gelegen, wie sie von dem Herrn Abg. Stadthagen dar⸗ gestellt worden ist.
Der Fall, den Herr Stadthagen weiter erzählt hat aus dem Jahre 1878 von einem Kreisgerichts⸗Direktor, der deshalb versetzt worden sei, weil er sich die Ungezogenheit eines jungen Offiziers nicht gefallen lassen wollte, kann unmöglich so liegen, und ich bin überzeugt, daß, wenn das Urtheil vorgelegt würde, sich ganz andere Gründe zu dem Disziplinarverfahren ergeben würden.
Bei einer Reihe von Fällen, die der Herr Abgeordnete erwähnt hat, genügen ihm scheinbar die ausgesprochenen Disziplinarstrafen nicht. Das gilt insbesondere von dem Richter in Holstein, der sich eines unlauteren Wahlmanövers schuldig gemacht haben soll. Ja, meine Herren, wenn dem Antrage des Herrn Abgeordneten stattgegeben würde, dann würde ein solcher Richter gar nicht disziplinarisch ver⸗ folgt werden können, dann säße er noch heute in seinem Amt; denn eine strafrechtlich verfolgbare Handlung lag in den ihm vorgeworfenen Manipulationen nicht. Es war nicht etwa eine unter den That⸗ bestand des Strafgesetzbuchs fallende Urkundenfälschung, und, soweit ich den Fall kenne, kam auch irgend ein anderer Paragraph des Strafgesetzbuchs dabei nicht in Frage.
Nun wünscht der Herr Abg. Stadthagen, daß lediglich auf Grund strafrechtlicher Verurtheilung, wie das für Mitglieder des Reichsgerichts vorgeschrieben ist, ein disziplinarisches Vorgehen gegen
Richter gestattet sein soll. Es würde also dahin kommen, daß etwa ein Richter, der, wie ich einmal supponieren will, sich dem Trunke im höchsten Grade ergiebt, ein Richter, der einen höchst unsittlichen Lebenswandel führt, ein Richter, der durch sein ganzes Auftreten und Verhalten alles Vertrauen in seinem Kreise verloren hat, absolut un⸗ anfechtbar sitzen bleiben müßte in seinem Amt. Meine Herren, ob damit das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit des Richterstandes gehoben werden würde, das werden Sie, glaube ich, nicht zu bejahen unternehmen.
Meine Herren, wenn der Herr Abg. Stadthagen, wie es den An⸗ schein hat, als den ausschließlichen Sitz aller richterlichen Tugenden das Rückgrat anzusehen scheint, so erkläre ich: ich würde es auch nicht lieben, einen Richter ohne Rückgrat zu sehen. Aber es kommen doch noch viele andere Tugenden bei einem Richter in Frage, die nicht im Rückgrat ihren Sitz haben.
Der Herr Abg. Stadthagen ist auf dem eben angedeuteten Wege dahin gekommen, daß es absolut unzulässig sei, jemand, der drei Jahre als Staatsanwalt fungiert hat, zum Richter zu machen, weil er nicht das nöthige Vertrauen besitze. Wenn wir ein derartiges Gesetz immer gehabt hätten, würde auch der von dem Herrn Abgeordneten erwähnte Herr von Kirchmann nicht haben Richter werden können, und daß es dem an Rückgrat gefehlt habe, da er lange Zeit nach den eigenen Anführungen des Herrn Vorredners Staatsanwalt gewesen ist, das wird wohl der Herr Abg. Stadthagen nicht behaupten wollen.
Ich darf weiter erinnern an den Fall des Ober⸗Staatsanwalts Schwarck, der im Richterstande eine höchst verdienstliche Stellung eingenommen hat, nachdem er, allerdings gegen seinen Willen, aus der Staatsanwaltschaft in ein Richteramt versetzt war. Ich muß über⸗ haupt für die Richter, die aus der Staatsanwaltschaft hervorgegangenen Richter, auf Grund meiner vielfachen, langjährigen Erfahrungen nach meiner festen Ueberzeugung in Anspruch nehmen, daß sie mit derselben Gewissenhaftigkeit, derselben Zuverlässigkeit und derselben Unabhängig⸗ keit ihres Amtes walten, wie die Richter, die nicht Staatsanwalte waren. Und wenn hier wieder einmal erwähnt wurde — ich glaube, in der Presse war das schon irgendwo der Fall —, daß der Kriminalsenat beim hiesigen Kammergericht, der in vielen Beziehungen die höchste Instanz in Strafsachen in Preußen ist, nicht das Vertrauen besitze in Bezug auf Unparteilichkeit, weil darin 3 Richter sitzen — ich weiß nicht, ob das genau richtig ist —, die früher Staatsanwalte waren, so will ich be⸗ merken, daß die Zusammensetzung dieses Strafsenats auf dem Be⸗ schluß des Präsidiums des Kammergerichts beruht, dem, soviel ich weiß, außer dem Vorsitzenden des Kriminalsenats kein einziger aus der Staatsanwaltschaft hervorgegangener Richter angehört; also die Stelle, welche zunächst berufen ist, das Vertrauen in die Gewissen⸗ haftigkeit, Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit des Kammergerichts aufrecht zu erhalten, hat ein solches Mißtrauen, wie es Herr Stadt⸗ hagen hier zum Ausdruck gebracht hat, gegenüber den Mitgliedern des Strafsenats niemals gehabt und, wie ich hinzusetze, mit Recht. Dieser Senat ist vollständig des Ver⸗ trauens würdig, welches die Herren aus dem Kollegium in seine Mitglieder setzten, als sie ihn so besetzten.
Herr Stadthagen erwähnte dann noch, wie ich hier nachholen will, bezüglich des Richters in Holstein, gegen den auf Strafversetzung erkannt war, daß derselbe in seine Vaterstadt versetzt sei, wohin er seine Versetzung schon lange gewünscht hätte. Mir war der Fall un⸗ bekannt, ich habe mich aber erkundigt, und kann bestätigen, daß das richtig ist: er ist von einem großen Ort an einen ganz kleinen versetzt worden, der der Ort seiner Geburt war. Ob er den Wunsch hatte, dahin zu kommen, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß, nachdem er dorthin gekommen war, er wiederholt den Wunsch gehabt hat, wieder wegzukommen, und dieser Wunsch ihm noch nicht erfüllt worden ist. Ich kann hinzufügen, daß es im Justiz⸗Ministerium völlig unbekannt war, daß er aus jenem kleinen Ort stammte; irgend eine parteiliche Behandlung der Sache liegt also in keiner Weise vor.
Daß die gegen den Grafen B. vom Disziplinargericht erkannte Strafversetzung dem Herrn Abg. Stadthagen nicht als genügende Strafe für das brutale Verhalten, das diesem Richter zum Vorwurf gemacht ist, erscheint, tritt auch in Widerspruch mit der Tendenz seines Antrags: wegen dieses Verhaltens würde der Graf B. nach dem Antrag Stadthagen unanfechtbar sein und noch gegenwärtig in seiner Stelle sitzen.
Meine Herren, ich glaube kaum, daß ich noch mehr Ihnen zu
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