1896 / 285 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 01 Dec 1896 18:00:01 GMT) scan diff

eigenen Wirthschaft des Reichs wird aber zur Begleichung der 8 ½ Millionen ausreichen und mithin wird sich das thatsächliche An⸗ leihekonto für das laufende Jahr nur auf 26 ½ Millionen stellen. Es liegt hiernach die Möglichkeit, ja vielleicht die hohe Wahrscheinlich⸗ keit vor, daß der Betrag, welcher in diesem Jahre gesetzlich zur Schuldentilgung vorgesehen ist, den Betrag des Anleihesolls erreichen wird, und daß wir seit dem Jahre 1875 das erste Etatsjahr er⸗ leben, wo das Reich mit neuen Schulden nicht belastet wird. (Hört, hört!)

Gestatten Sie jetzt nun, auf die Gestaltung des Etats für das Jahr 1897/98 überzugehen. Im Ordinarium des Auswärtigen Amts verlangen die Kolonien einen Mehrzuschuß gegen das Vorjahr von rund einer Million. Würde man in Berechnung ziehen, daß im laufen⸗ den Jahre durch Nachtrags⸗Etat 2 Millionen aufgenommen sind, so würden sogar die Forderungen geringere sein, als im laufenden Jahre; aber, meine Herren, diese 2 Millionen Nachtrags⸗Etat tragen doch den Charakter, wenn ich so sagen darf, einer Kriegsanleihe, während die Zuschüsse für die Kolonien, wenngleich sie in den Ein⸗ maligen Ausgaben des Ordinariums gebucht werden, doch auf nicht absehbare Zeit hinaus den Charakter von fortlaufenden Ausgaben tragen. Ich würde deshalb eine solche Kompensierung nicht für richtig

Iten.

8 Im Reichsamt des Innern sind die Zuschüsse zur Invaliditäts⸗ und Altersversicherung um 3 ½ Millionen höher angesetzt. Wir waren dazu genöthigt, weil im Jahre 1895/96 dieser Titel um 1 ½ Millionen überschritten ist und im Jahre 1896/97 ungefähr in gleicher Höhe überschritten werden wird. An einmaligen Ausgaben weist der Etat des Reichsamts des Innern ¾ Millionen weniger auf. Es hängt das damit zusammen, daß im Großen und Ganzen die Reichsbehörden organisiert sind und damit auch ein gewisser Beharrungszustand in der Ausgabe für Bauten eintritt.

In der Heeresverwaltung finden wir allerdings eine fortdauernde Mehrausgabe von 7 Millionen. Hierunter befinden sich indeß für den höheren Ansatz der Getreidepreise bei der Brotverpflegung und bei der Fourage, einschließlich der bayerischen Quote, 4 Millionen, und aus den Mehrkosten der Umformung der 4. Bataillone über ½ Million, sodaß der größte Theil dieser Mehrforderung an fort⸗ dauernden Ausgaben solche sind, welche theils bereits auf gesetzlichen Verpflichtungen beruhen, oder vollkommen unabwendbar erscheinen. Aus der Heeresverstärkung des Jahres 1893 waren noch 6 Millionen

rückständig, hiervon würde indeß eine Million abzuziehen sein für

die Verstärkung des Offiziers⸗ und Unteroffiziers⸗Etats bei den Spezial⸗ waffen, da das Gesetz, betreffend die Umformung der 4. Bataillone, auf diese Ausgabe nicht mehr zurückkommt. Von diesen 5 Millionen⸗ welche aus der Heeresvorlage des Jahres 1893 noch rückständig sind, wwird für das kommende Jahr eine Million angefordert. An ein⸗ maligen Ausgaben ist aus der Heeresverstärkung des Jahres 1893 nichts mehr rückständig. Aus Anlaß der Umformung der 4. Bataillone werden in dem Etatsentwurf an einmaligen Ausgaben 6 ½ Millionen gefordert und würden für künftig noch 4 ½ Millionen vorbehalten bleiben. Die Belastung der Zukunft nach dem Etat der Heeres⸗ verwaltung, einschließlich der bayerischen Quote, würde im Ordi⸗

. narium fast 88 Millionen und im Extraordinarium etwas über

24 Millionen betragen.

8 Gestatten Sie mir nun, zum Etat der Reichs⸗Marine überzugehen.

Sch will auch hier das Ordinarium und das Extraordinarium gemein⸗

schaftlich behandeln, weil nach dem bekannten Verfahren, nach welchem

die Ausgaben für Schiffe und ihre Armierung gedeckt werden,

Evrxrtraordinarium und Ordinarium im Marine⸗Etat eng zusammen⸗

hängen. Es werden für Schiffsbauten, artilleristische und Torpedo⸗

Armierung im Marine⸗Etat 50 ½ Millionen Mark gefordert. An

neuen Forderungen für den gleichen Zweck enthält der Etat

10 Millionen. Ich gestatte mir aber, darauf hinzuweisen, daß die

Belastung der Zukunft für Schiffsbauten und ihre Armierung

nach dem laufenden Etat 84 ½ Millionen beträgt, während die Zukunfts⸗

belastung für die gleichen Zwecke nach dem Etatsentwurf für 1897/98

nur etwa 81 Millionen beträgt; mithin ist die Zukunftsbelastung für

Schiffsbauten nach diesem Etatsentwurf niedriger als nach dem Etat,

der gegenwärtig gilt. Und ich möchte ferner ausdrücklich hervor⸗

heben gegenüber der Beurtheilung, welche der diesjährige Etat der

Reichs⸗Marine bisher in der Oeffentlichkeit gefunden hat, daß an

neuen Schiffen, abgesehen von einem Aviso, den die Reichs⸗Marine⸗

verwaltung für nöthig hält im Interesse des Seedienstes, und ab⸗ gesehen von den neuen Torpedobooten, nur gefordert werden Ersatz für abgängige oder in Verlust gerathene Schiffe und außerdem zwei

Krreuzer, welche der Denkschrift des Jahres 1889/90 entsprechen.

Warum die Fortsetzungsraten in dieser Höhe gefordert werden mußten, wird der Herr Staatssekretär des Marineamts seinerzeit, gestützt auf die maßgebenden marinetechnischen Erwägungen, näher auseinandersetzen.

Bei der Brennsteuer wenn ich jetzt zu den Einnahmen des Etatsentwurfs übergehen darf hatten wir am Schluß des letzten Betriebsjahres eine Mehreinnahme von 1 ½ Millionen. Die etats⸗ mäßige Einnahme der Brennsteuer in den zukünftigen Jahren würde aber nicht ausreichen, um die Ausfuhrprämie von 6 ℳ, die Entschädigung für denjenigen Branntwein, der zur Essigbereitung ver⸗

eendet wird, mit 6 und die Vergütung von 1,50 für den⸗ jenigen Branntwein, der mit dem allgemeinen Denaturierungsmittel enaturiert wird, in Zukunft zu zahlen. Es ist deshalb in Aus⸗ sicht genommen, diesen Fonds von 1 ½ Millionen, der zwar im Ugemeinen Ueberschusse der Reichseinnahmen erscheint, aber nur zum Besten der Branntweinindustrie verbraucht werden darf, allmählich zuzusetzen, sodaß die Prämien und die Vergütungen in der bis⸗ herigen Höhe bis zum Jahre 1901 fortgezahlt werden können, in welchem Jahre ja bekanntlich die gesetzlichen Bestimmungen über die Auesfuhrprämien ihre Gültigkeit verlieren werden. An Stempelabgaben von Börsengeschäften sind allerdings in den Etat noch ½ Million mehr eingesetzt nach Maßgabe der bekannten Fraktion; es ist aber nach den Einnahmen, die wir aus den Börsen⸗ steuern im laufenden Jahre haben, zweifelhaft, ob der Etatsansatz thatsächlich erreicht werden wird. 1 Bei den Reichs⸗Eisenbahnen finden Sie unter den einmaligen Ausgaben die zweite Rate für die Vermehrung der Betriebsmittel

mmit 3 ½ Millionen. Die letzte Rate wird im Etat des Jahres 1898/99

eerscheinen. 8 Im Post⸗Etat sind zu Bauten überhaupt 8 ½ Millionen eingesetzt. Diese Summe ist zwar ½ Million höher als im vorigen Jahre, aber ‚geringer als im Jahre 1895,/96. Neuforderungen befinden sich unter

der Bausumme in Höhe von 4 ½ Millionen, d. h. 1 ½ Millionen weniger als im Jahre 1896/97 und im Jahre 1895/96, und auch die Belastung für die Zukunft aus diesem Etatsentwurf für Postbauten mit 10 Millionen ist noch ca. ½ Millionen geringer als im laufenden Jahre. Meine Herren, ich gebe mich der Hoffnung hin, daß auch auf dem Gebiete des Postbaues nunmehr ein gewisser Beharrungs⸗ zustand eintritt und daß es möglich sein wird, die Aufwendungen für Postbauten auch in zukünftigen Jahren entsprechend zu ermäßigen. (Sehr richtig!)

In den Einnahmen aus dem Bankwesen finden die Herren eine Aenderung in Bezug auf die etatsmäßige Veranschlagung. Die Einnahme aus dem Bankwesen wurde bisher veranschlagt nach dem 3 jährigen Durchschnitt. Wenngleich wir im Jahre 1894/95 eine Mehreinnahme gegenüber dem Etat von ½ Million und im Jahre 1893/94 eine solche von etwa 1 ½ Millionen gehabt haben, so haben wir doch bekanntlich im Jahre 1895/96 gegenüber dem Etatssoll eine Minder⸗ einnahme von 4 Millionen verzeichnen müssen. Die Vorsicht gebot, bei diesen Verhältnissen auch bei der Einnahme aus der Bank auf eine 2 jährige Fraktion wie bei den übrigen Einnahmen zurückzugehen.

Bei den verschiedenen Verwaltungseinnahmen finden Sie im Etat ein Minus von etwa einer Million. Es hängt das zusammen mit der geringeren Veranschlagung für die Gebühren aus dem Kaiser Wilhelm⸗Kanal, wenngleich das Reichsamt des Innern hofft, daß durch die Herabsetzung des Tarifs in Zukunft die Frequenz des Kanals sich steigern wird.

Das Anleihesoll finden Sie im Etatsentwurf mit 21 ½ Millionen höher eingestellt; um aber ein vollkommen wahrheitsgemäßes und zutreffendes Bild von der Etatslage zu geben, muß ich darauf hin⸗ weisen, daß von dem Anleihesoll des vorigen Jahres in Höhe von über 35 Millionen 8 ½ Millionen im Nachtrags⸗Etat auf den Ueber⸗ schuß aus der Einnahme des Reichs angewiesen sind. Da in der That sich das Anleihesoll des laufenden Jahres um diese 8 ½ Millionen Mark verringern wird, so beträgt das thatsächliche Plus an Anleihen im Etatsentwurf gegenüber dem Vorjahre nicht 21 ½ Millionen, sondern 30 Millionen.

Der Ueberschuß an Münzgewinn ist viel geringer angesetzt. Die Ausprägung der 22 Millionen Reichs⸗Silbermünzen ist beendigt und hat 1 ¾ Millionen Münzgewinn gebracht. 1897/98 sollen nur Kupfer⸗ und Nickelmünzen zur Ausprägung gelangen.

Meine Herren, ich gehe jetzt mit wenigen Worten auf den Etatstitel ein, der die größte neue Ausgabe des Etatsentwurfs enthält, d. h. auf die Verbesserung der Beamtenbesoldungen. Man könnte sich gegenüber der Forderung der Beamten auf Erhöhung ihrer Bezüge auf den formalen Standpunkt stellen, daß keine Ver⸗ anlassung vorliegt, diese Bezüge höher zu bemessen, so lange sich für die erforderlichen staatlichen Verrichtungen noch eine geeignete und ausreichende Zahl von Bewerbern findet. Dieser Standpunkt wäre fiskalisch zwar sehr vortheilhaft, aber aus ethischen Gründen verwerflich und aus dienstpragmatischen Gründen gefährlich. Man würde gegen eine Verbesserung der Beamtenbesoldungen auch den Einwand erheben können, daß in den letzten 20 Jahren ganz unzweifelhaft für eine ganze Anzahl nothwendiger Lebensbedürfnisse die Preise sich niedriger gestaltet haben; wenn man aber näher zusieht, findet man, daß die Senkungen des Preisniveaus mehr in der Statistik der Großhandelspreise zum Ausdruck kommen als in den Preisen, die der Konsument thatsächlich zu zahlen hat. Ferner aber ist es ebenso unzweifelhaft, daß die Preise für eine größere Anzahl nothwendiger Lebensbedürfnisse gestiegen sind. Ich erinnere vor allen Dingen an die Wohnungspreise, wenngleich allerdings auch der An⸗ spruch an das Wohnbedürfniß gestiegen ist und für die bisherigen Miethen an und für sich Besseres gewährt wird. Der Hauptgrund aber für die verbündeten Regierungen, aus dem sie auf die Besoldungs⸗ verbesserung eingingen, war der, daß die Lebenshaltung des deutschen Volkes im allgemeinen sich gehoben hat und daß man dieser wirthschaftlichen Erscheinung auch bei den Besoldungen der Beamten Rechnung tragen muß. Es lag aber auch für die verbündeten Regierungen ein formaler Gund zu der ergriffenen Maßregel vor. Preußen war, allerdings in Uebereinstimmung mit dem Reich, seinerseits entschlossen, seine Beamten besser zu stellen. Es wäre nicht ausführbar, in Preußen eine Gehaltsverbesserung durchzuführen⸗ und bei der nachbarlichen und gleichwerthigen Thätigkeit der Reichs⸗ und preußischen Beamten die Reichsbeamten von der Gehalts⸗ verbesserung auszuschließen. Hierzu kommt, daß die Offiziere des preußischen Kontingents, weil ihre Besoldungen aus Reichsfonds fließen, bei einer Besoldungsverbesserung in Preußen nicht betheiligt sein würden, andererseits aber eine Beamtenbesoldungserhöhung durchzuführen ohne gleichzeitige Besserstellung der parallelen Kate⸗ gorien des Offizierkorps vollkommen ungangbar wäre.

Meine Herren, die Resolution, die der Reichstag in seiner letzten Tagung angenommen hat, ging dahin, die Ungleichheit in den Be⸗ soldungen jener Beamtenkategorien auszugleichen, welche an dem Dienstalterstufen⸗System theilnehmen und beider Besoldungsaufbesserung des Jahres 1890 nicht berücksichtigt worden sind. Auch die ver⸗ bündeten Regierungen stehen, übereinstimmend mit diesem Wortlaut der Resolution, auf dem Standpunkt, mit den Besoldungs⸗ aufbesserungen dort fortzufahren, wo sie im Jahre 1890 aufhörten. Aber wörtlich ließ sich die Resolution des Reichstages nicht ausführen; denn hätte man nur die wirklichen oder angeblichen Ungleichheiten aus⸗ gleichen wollen, die aus der Durchführung des Dienstalterstufen⸗Systems entstanden waren, so hätte man zwar einzelne Beamtenkategorien be⸗ friedigt, aber sofort neue Ungleichheiten gegenüber anderen Beamtenkate⸗ gorien herbeigeführt und dadurch nur neuen Grund zur Mißstimmung gegeben. Die verbündeten Regierungen sind sich darüber klar, daß auch diese Gehaltsverbesserung manche Enttäuschung hervosrrufen und nicht alle Erwartungen erfüllen wird, die an die Maßregel in den be⸗ theiligten Kreisen geknüpft sind. Vom Standpunkte der einzelnen Be⸗ amtenkategorien mag es unter Umständen subjektiv berechtigt sein, wenn dieselben ihre Vorbildung für eine werthvollere halten, wenn sie glauben, daß ihre Beschäftigung eine schwierigere und eine um⸗ fangreichere sei, als die anderer Beamtenklassen. Aber allen diesen feinen Unterschieden, welche in dieser Beziehung bestehen, läßt sich ein etatsmäßiger Ausdruck unmöglich geben, wir müssen im Gegentheil dahin streben, das Besoldungssystem unserer Beamten möglichst zu vereinfachen und deshalb auch die Zahlen der Besoldungsklassen zu verringern. Die verbündeten Regierungen geben sich der Hoffnung hin, daß die betheiligten Kreise anerkennen werden, welch erhebliches

finanzielles Opfer mit dieser dauernden Belastung des Etats ver⸗ bunden ist. Man darf nicht vergessen, daß zu der Summe, die im

Etat jetzt für die Mehrbesoldung steht, noch hinzutritt die Mehr⸗ belastung des Pensionsfonds, welche nach einer allerdings ganz über⸗ schläglichen Berechnung im Beharrungszustande praeter propter 3 ¼ Millionen betragen wird, und ferner die Mehrbelastung der Ver⸗ pflichtungen aus dem Reliktenwesen. Meine Herren, das, was der Staat seinen Beamten giebt, wird ihnen immer nur eine ver⸗ hältnißmäßig bescheidene Lebenshaltung ermöglichen; namentlich wird der Beamte in seiner Lebenshaltung nie konkurrieren können mit 8 derjenigen besonders glücklich situierter Erwerbskreise. Der Beamte muß, wenn er seine Bezüge mit dem Einkommen bürgerlicher Erwerbs⸗ kreise vergleicht, auch nicht außer Rechnung lassen, welche Sicherung seiner Existenz in seiner Pension und der seiner Angehörigen in den Reliktenbezügen liegt, während jeder bürgerliche Erwerb wechselvollen Gefahren der Konjunktur ausgesetzt ist. So viel wird aber der Staat seinen Beamten stets geben müssen, daß der einzelne Beamte der sozialen Schicht erhalten bleibt, welcher er zufolge seines Amtes an⸗ gehört, und daß er in der Lage ist, seine Kinder durch ihre Erziehung ähnlichen oder gleichbewertheten Stellungen, wie er selber bekleidet⸗ zuzuführen.

Meine Herren, ich gestatte mir zum Schluß an das hohe Haus die Bitte, die Vorlage aus den gleichen Gesichtspunkten zu prüfen und ihr seine Genehmigung nicht zu versagen. Der Reichstag wird hierdurch dazu beitragen, daß in die betheiligten Kreise das Gefühl wirthschaftlicher Sicherheit und Beruhigung einkehrt und ihnen eine neue Anregung zu freudiger Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes gegeben wird. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Fritzen (Zentr.): Der Herr Staatssekretär hat nach⸗ gewiesen, daß die Handelsverträge eine gute Wirkung gehabt haben auf unsere Handelsbilanz und darauf, daß die Auefälle infolge derselben beglichen sind. Wenn man an die Emphase denkt, mit welcher die Aus⸗ fälle infolge der Handelsverträge verwendet werden sollten, um neue Steuervorlagen zu begründen, so wird der Reichstag sich beglück⸗ wünschen, daß er damals den Wünschen der Regierungen nicht gefolgt ist. Daß das Reich Ueberweisungen an die Einzelstaaten nur ge⸗ macht hat auf Kosten von Schulden, baben wir bereits im preußischen Abgeordnetenhause festgestellt. Der Etat des Jahres 1897/98 hat sehr verschlechtert gegenüber dem laufenden Etat. Wenn man die Matrikularbeiträge, Ueberweisungen und Aversen gegen einander aufrechnet, so bleiben Matrikularbeiträge in Höhe von 7—8 Millionen Mark; dazu kommen 10 Millionen für die Besoldungsverbesserung und 1 ½ Millionen für die Dampfer⸗Subventionen. Die Veran⸗ schlagung der Einnahmen ist aber nicht ganz vorsichtig gemacht; denn neue Effekten werden nicht in dem Maße emittiert werden, wie im vorigen Jahre, und die Umsatzsteuer wird angesichts der Beseitigung des Termin⸗ geschäfts erheblich weniger als früher ergeben. Die Anleihe ist um so bedenk⸗ licher, als nur Millionen Mark auf die Eisenbahnen, also auf werbende Anlagen, entfallen, während alles Andere auf die unproduktiven Aus⸗ gaben für die Marine und für das Heer kommt. Die Mehbrausgabe für die Invaliditätsversicherung beruht auf Gesetz. Ich möchte dabei betonen, daß wir erwarten, daß die Befürchtung, die Sozialreform werde durch den Rücktritt des Ministers von Berlepsch ins Stocken gerathen, sich nicht erfüllen wird. Es sind noch manche Dinge durch⸗ zuführen, so der Schutz der jugendlichen und weiblichen Arbeiter in der Hausindustrie, die Ausdehnung der Unfallverhütung, die Schaffun der Berufsvereine für die Arbeiter u. s. w. Die Industrie wir sich den Opfern nicht entziehen können, die hierfür erforderlich sind. Eine Minderausgabe ergiebt sich beim Nord⸗Ostsee⸗Kanal, der nicht einmal seine Betriebsausgaben deckt. Wir wollen boffen, daß der Kanal nach Ermäßtgung der Tarife eine bessere Rentabilität gewährt. Erfreulich ist die Bewilligung von 34 000 zur Bekämpfung der Maul⸗ und Klauenseuche, welche aus Dänemark eingeschleppt sein soll, weil die dänische Grenze nicht vollständig abgesperrt ist. Die Einfuhr ge⸗ schlachteten Fleisches aus Holland soll auch dazu beigetragen haben. Auch über die Auesgabe für die Weltansstellung in Paris kann ich mich nur freuen. So wie ich es früher für einen Fehler gehalten habe, daß wir uns an der Pariser Ausstellung früher nicht be⸗ theiligt haben, kann ich es mit Freude begrüßen, daß dieser Fehler jetzt nicht gemacht werden soll. Durch die im vorigen Etat be⸗ schlossene Schuldentilgung haben wir eine Vermehrung der Schulden verhindert. Die Zinsen betragen nicht einmal 10 % der gesammten Nettoausgaben, aber bedenklich wird die Sache deshalb, weil die Schulden von 2 Milliarden innerhalb 20 Jahren entstanden sind, nach⸗ dem an der Wiege des Reichs ein Taufgeschenk von 5 Milliarden niedergelegt war, und weil die Schulden nicht für große produktive Anlagen gemacht sind. Wir haben keine Bergwerke, Domänen und Forsten, sondern nur ein mäßiges Eisenbahnnetz. Durch die Erhöhung der Besoldungen wird auch der Pensions⸗Etat mehr belastet. Bei der Armee müssen die Pensionierungen zahlreicher sein als in der Ver⸗ waltung, weil wir felddienstfähige Offiziere haben müssen. Aber ein gewisses Mißbehagen besteht nicht bloß in der Bevölkerung, sondern auch unter den Militärs darüber, daß mit Pensionierungen in den letzten Jahren so sehr zahlreich vorgegangen ist. Die Mehr⸗ ausgabe des Reichsheeres für Naturalverpflegung kommt der Land⸗ wirthschaft zugute; sie zeigt, daß die Preise steigen. Ersparnisse werden bei den laufenden Ausgaben des Heeresetats nicht gemacht werden können. Wir haben die Pflicht, über die Sanitätsfrage im Heere zu wachen; es ist ein Punkt zurückgeblieben: die Santtätsoffiziere sind nicht so gestellt, wie es der Fall sein sollte, namentlich bezüglich der Ober⸗Stabsärzte. Der Kriegs Minister sollte diese Frage einer wohlwollenden Prüfung unterziehen. Ein Mangel ist die große Restverwaltung bei dem Heere. Der Kriegs⸗Minister sollte der Budgetkommission darüber eine Aufstellung vorlegen, die Reste sollen sich auf mehr als 100 Millionen belaufen. Ich komme nun zum Marineetat, der um 3 ½ Millionen höber dotiert ist, als im laufenden Jahre. Für die Personalvermehrun habe ich mich früher erklärt; wenn wir die Schiffe einmal haben, müssen wir sie auch besetzen. Große Abstriche werden bei dem ordentlichen Etat nicht gemacht werden können. Anders steht es bei den einmaligen Ausgaben. Sie ergeben gegen das Vorjahr ein

lus von nicht weniger als 40 Millionen Mark. Diese rapid Steigerung ist höchst bedenklic. Der Marine⸗Etat betrug im Ganzen 1874 38. 1890 72, 1895 86 Millionen und beträgt jetz 129 Millionen Mark. Da die Ausgaben, welche durch Anleihen gedeckt werden, zwar einmalige, aber stetig wiederkehrende sind, so ist die Finanzgebahrung sehr bedenklich. In diesem guten Jahre müßte das Reich dazu kommen, die einmaligen Ausgaben durch die ordentlichen Einnahmen zu bestreiten; mindestens müßten statt 5 % 10 % der einmaligen Ausgaben auf den ordentlichen Etat über⸗ nommen werden. Es sind nicht nur Abstriche nothwendig, sondern sie müssen sogar in ganz beträchtlichem Maße gemacht werden. Ausgabe für die Marine von 129 Millionen Mark ist größer, als das ganze russische Budget für die Marine, welches sich auf 58 Millionen Rubel stellt. Neben den Schlffsbauten ist auch das Trockendock noch in Aussicht, so daß wir im nächsten Jahre wieder große Ausgaben zu machen haben. Dann wird man schließlich für neue Steuern stimmen müssen, wenn man diese Gelder bewilligt, und man wird diese neuen Steuern bei den Wahlen vor den Wählern vertreten müssen. Die Bier⸗ und Tabackssteuer werden dann wiederkommen. Wenn man nach dem bisherigen Verfahren 10 v. H. des Bauwerthes der Flotte zu ein⸗ maligen Ausgaben verwendet, dann kommt man auf 32 Millionen, und nicht auf 60 Millionen. Entweder hat also das Marineamt seine Grundsätze gewechselt, oder der Etat ist nicht im Marine⸗ amt allein ausgearbeitet worden. Wir haben 8 erste Raten von je 4 Millionen, also 32 Millionen. Das hat man im vorigen Jahre nicht voraussehen können, nachdem wir dem Marineamt so entgegen⸗ gekommen sind. Der Besoldungs⸗Etat hätte im vorigen Jahre wohl ohne weiteres Erfolg gehabt, aber die hohen Ausgaben für die

arine gefährden diesen Etat sehr erheblich. Für „Kaiser Wilhelm“ soll ein Ersatz geschaffen werden, während dieses Schiff doch erst mit großen Kosten repariert wurde. Es scheint also das Schiff doch nicht so gut zu sein, wie man allgemein annahm. Ueber die Be⸗ währung der Schiffe der Brandenburgklasse wurde vor Jahresfrist ein sehr herbes Urtheil gefällt. Trotzdem soll eine dritte Rate be⸗ willigt werden, während noch nicht einmal eines von den anderen zwei Schiffen fertig ist. Da müssen wir stutzig werden. Zwei neue Kreuzer sind etwas zu viel. Unsere Werften sind nicht hinreichend für solche Bauten. Die Kanonenboote wurden vor kurzem schlecht emacht und als Nußschalen bezeichnet. Jetzt kommt man mit neuen orderungen dafür. Für ein Schiff der Sachsenklasse wird eine große Nachforderung verlangt Geduld verlieren. Ein neues Zentralverwaltungs⸗Gebäude soll gebaut werden, während uns beim Bau des Hauses in der Voßstraße gesagt wurde, damit sei der Bedarf für absehbare Zeiten gedeckt. Ich möchte bitten, daß die Abstriche mit einer großen Mehrheit erfolgen. Denn bei einer kleinen Mehrheit werden die Forderungen im nächsten Jahre wiederkommen. Alle Parteien, welche gegen die Marineforderungen sind, müßten sich vereinigen und mit überwiegender Mehrheit 5 oder 6 Positionen absetzen; das ist wirksamer, als wenn wir 7 oder 8. Positionen mit wechselnden Mehrheiten streichen. Wir sind seit Jahren zur Sparsamkeit gemahnt worden, und jetzt sollen wieder so viel Schulden kontrahiert werden. Ich denke, der Reichstag wird die Be⸗ sonnenheit haben und einen miltleren Weg einschlagen. Er wird sich nicht in uferlose Pläne einlassen, wie sie im „Militär⸗Wochenblatt“ von Herrn von Lüttwitz aufgestellt werden, der die deutsche Flotte der englischen gleichmachen will; im Reichs⸗Marineamt werden diese Pläne nicht getheilt, aber sie haben eine starke Strömung hinter sich. Wir, wenigstens meine politischen Freunde, wollen uns nicht bis aufs Blut auspressen lassen; wir wollen nicht Phantomen einer Weltpolitik

nachjagen, welche die Kraft und die Herrlichkeit des alten Reiches zu

Grunde richten können.

Staatssekretär des von Boetticher:

Nur zu einer kurzen Erklärung, meine Herren, habe ich das Wort erbeten, welche sich anschließen soll an die Bemerkungen, welche der Herr Vorredner die Güte gehabt hat, zu dem Etat des Reichs⸗ amts des Innern zu machen. Er hat zunächst der Besorgniß Aus⸗ druck gegeben, die ja auch vielfach in der Presse hervorgetreten ist, daß mit dem Ausscheiden meines verehrten Königlich preußischen Kollegen, des Herrn von Berlepsch, aus seinem Amte ein Stillstand in der sozialpolitischen Gesetzgebung eintreten werde. Meine Herren, ich habe geglaubt, daß diese Besorgniß hier in diesem Hause nicht zum Ausdruck kommen werde angesichts der Vorlagen, die der Reichstag bereits erhalten hat, oder von denen er weiß, daß er sie demnächst er⸗ halten wird. Wenn ich an die Novelle zur Unfallversicherung erinnere, wenn ich auf die Novelle zur Alters⸗ und Invaliditäts⸗ gesetzgebung verweise, so glaube ich sicher zu sein, daß man in diesen beiden Vorlagen einen Stillstand der sozialpolitischen Gesetzgebung nicht wird erkennen können. Ich darf aber weiter versichern, und bin dazu autorisiert, es zu versichern, daß keine der verbündeten Regierungen daran denkt, auf diesem Gebiete die Politik zu verlassen, die das Reich bisher befolgt hat. Wenn wir aber bei der Fortbildung unserer sozialpolitischen Gesetzgebung uns auch ferner von dem Grund⸗ satze leiten lassen, daß ihre Ausgestaltung keine Verletzung der allge⸗ meinen und der wirthschaftlichen Interessen der Nation mit sich führen dürfe, und daß sie vor allen Dingen keine unerträgliche Belastung einzelner Erwerbszweige im Gefolge haben dürfe, so weiß ich mich mit den überwiegend in diesem Hause verbreiteten Anschauungen eins in der Billigung dieses Grundsatzes. Der Herr Vorredner hat dann gesprochen von dem Kaiser Wilhelm⸗Kanal und hat gemeint, daß der Kanal für uns eine große Enttäuschung mit sich gebracht habe. Ich kann dieses Gefühl, wenn es wirklich weitere Kreise erfaßt haben sollte, nicht für berechtigt halten. Meine Herren, Sie wollen sich gütigst vergegenwärtigen, daß der Betrieb auf dem Kaiser Wilhelm⸗Kanal erst seit anderthalb Jahren geführt wird, und, wenn Sie ähnliche Unternehmungen, die wir ja allerdings in Deutschland nicht in Parallele zu setzen haben, im Auslande betrachten, so muß ich sagen, daß der Fortgang der Frequenz auf dem Kaiser Wilhelm⸗Kanal ein durchaus erfreulicher und durchaus hoffnungsvoller ist. Ich habe die Einnahmeziffern nicht

Innern, Staats⸗Minister Dr.

zur Hand; allein ich kann versichern, daß, namentlich seit wir eine

Tarifveränderung vorgenommen haben, also seit dem 1. September

d. J. die Einnahmen der Kanalverwaltung in einer erfreulichen Steigerung begriffen sind. Daß sich immer noch ein großer Theil der Schiffahrt treibenden Kreise, namentlich des Auslandes, die bisher gewohnt gewesen sind, mit ihren Schiffen den Weg um Skagen zu nehmen, nicht dazu verstanden hat, durch den Kanal zu

laufen, ist bedauerlich, führt aber doch nicht nothwendigerweise zu dem Schluß, daß diese Kreise sich auch auf die Dauer von der Be⸗

nutzung des Kanals fernhalten werden. Im Gegentheil, es giebt eine ganze Reihe von Anzeichen dafür, daß wir auch auf die Benutzung des Kanals durch diese Kreise, in näherer oder fernerer Zukunft werden rechnen dürfen.

Wenn endlich der Herr Vorredner es mit Freuden begrüßt hat und dafür bin ich ihm sehr dankbar —, daß in den Etat des Reichsamts des Innern eine Summe eingestellt wird zur Bekämpfung

der Maul⸗ und Klauenseuche, so bin ich mit ihm einverstanden, daß unser ernstes Bestreben darauf gerichtet sein muß, von der heimi⸗

schen Landwirthschaft die Gefahr der Einschleppung von Seuchen mit

allen Mitteln so energisch, wie wir das nur irgend vermögen, fern zu

halten. (Bravo! rechts.) Meine Herren, wir haben aber diese Politik auch bisher befolgt,

und wenn der Herr Vorredner in Bezug auf diese Politik noch einen

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Wunsch ausgesprochen hat, daß nämlich die dänische Grenze gegen

die Vieheinfuhr gesperrt werden möge, so möchte ich ihn doch darauf

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aufmerksam machen, daß, was die Einfuhr von Schweinen anlangt, die Grenze bereits gesperrt ist, und was die Einfuhr von Rindvieh

anlangt, jedes Stück Rindvieh, das über die dänische Grenze

ommt, sei es zu Wasser, sei es zu Lande, in die Quarantäne⸗

anstalten aufgenommen wird, und daß vermöge des Aufenthalts und der

Beobachtung in diesen Quarantänecanstalten eine nahezu vollständige Sicherheit dagegen gegeben ist, daß irgend welcher Ansteckungsstoff ber die dänische Grenze kommt. Außerdem habe ich daran zu er⸗ innern, daß die dänische Regierung, in richtiger Erkenntniß des

eigenen Interesses ihrer Viehzüchter, mit großer Bereitwilligkeit nach dem Auftreten auch nur einzelner Krankheitsfälle die Ausfuhr von

Vieh aus den betreffenden Distrikten sofort untersagt hat. In dieser Beziehung besteht noch zur Zeit ein dänisches Ausfuhrverbot für die nsel Seeland und für die Insel Laaland. Wir werden auch ferner emüht sein, in dieser Beziehung alles zu thun, was den Krankheits⸗

stoff von unseren Herden fernhält, und wir werden dankbar dafür

sein, wenn uns durch die Zustimmung der in den Etat aufgenommenen

Da müssen wir doch schließlich die⸗

Position von seiten des Reichstages eine weitere Förderung unserer

Bestrebungen zu theil wird. (Bravo! rechts.)

Abg. Richter (fr. Volksp.): Wenn bei den günstigen Finanz⸗ verhältnissen noch die geforderten Steuern bewillit 1““ so hätten auf Grund des Automatengesetzes den Einzelstaaten Ueberweisungen von 40 Millionen Mark gemacht werden müssen, während die Einzelstaaten selbst sich in günstigen Finanzverhältnissen befinden. Außerdem hätte man 25 Millionen in den Ausgleichs⸗ fonds legen können. Der Schatzsekretär meinte 1895, daß man durch das Automatengesetz das Schuldbuch des Reiches geschlossen hätte; diese Schließung erfolgt jetzt ohne neue Steuern. Vielleicht giebt das Jahr 1896/97 sogar noch einen Ueberschuß. Selten ist ein Steuerprojekt so gerichtet worden, wie die Tabackssteuer. Trotzdem tritt auch jetzt noch der Reichs⸗Schatzsekretair für den Automaten ein. Der vom Reichstage zum laufenden Etat beschlossenen Schuldentilgung ist es zu danken, daß das Schuldbuch des Reiches geschlossen ist. Trotz dieser guten Bewährung ist der neue Etat nicht danach eingerichtet. Der Anleihebedarf wird nicht vermindert, sondern von 30 auf 60 Millionen gesteigert und die Ueberweisungen werden wie früher den Einzelstaaten gegeben. Die Einnahmen des Reiches aus Zöllen und Verbrauchssteuern sind nur mit 534 Millionen veranschlagt, während schon jetzt 575 Millionen Mark sicher gerechnet werden können. Die Ueberweisungen an die Einzelstaaten werden 70 Millionen mehr betragen. Und da steigert man den Anleihebedarf, obwohl die Einzelstaaten sehr günsti gestellt sind durch die Kon⸗ vertierung ihrer Schulden. Die Freugischen Eisenbahnen ergeben ferner 60 Millionen Mark mehr. Die Einzelstaaten können Schulden tilgen, während das Reich Schulden machen soll, was um so widersinniger ist bei dem unproduktiven Charakter der Schulden des Reiches. Wenn die Regierungen mit so leichtem Herzen die Mehrausgaben für das Heer und die Marine bewilligt haben, dann sollten sie auch opferwillig sein zur Deckung der Ausgaben und auf die Ueberweisungen verzichten. Denn wenn die Wirthschaft so weiter geht wie jetzt, dann wird schließlich die Nothwendigkeit neuer Steuern wieder hervortreten, und das müssen wir verhindern. Die Einnahmen aus dem Stempel von Börsengeschäften haben sich um 40 % vermindert; das ist eine Wirkung des Börsengesetzes, das seine Schatten vorauswirft. Selbst die Agrarier müssen jetzt schon erkennen, daß sie durch die Aufhebung des Termin⸗ handels ihre eigenen Interessen geschädigt haben. Wenn die Berliner Preise nicht so steigen, wie man erwarten sollte, so liegt das an der Unterdrückung der Spekulation. Das Gesetz hat sich als unhaltbar erwiesen. Man muß entweder zurückgehen, oder man muß weiter gehen zur vollständigen Knebelung des ganzen Getreidehandels. Kläg⸗ licher war kein Fiasko als das der Zuckersteuer. Ich habe damals vorausgesagt, daß die Fabrikanten es verwünschen werden, die Hand dafür gerührt zu haben. Jetzt gestehen sie ein, daß die Zuckerindustrie besser gefahren wäre ohne das Gesetz. Der Vorsitzende des Zweig⸗ vereins Halle schrieb an den Abg. Alexander Meyer, daß er nicht mehr auf Wiederwahl rechnen dürfe, wenn er egen das Zuckersteuer⸗ gesetz stimmen würde. Jetzt wettert dieser Herr gegen das Zuckersteuergeset mit seiner ganzen Sachkenntniß. Die Zucker⸗ preise betrugen damals 25 26 ℳ, jetzt nur noch 19 ℳ, und der Zuckerausfuhr wird von allen Seiten Hinderniß auf Hinderniß bereitet. Man ruft nach einem neuen Zuckersteuer⸗ gesetz und bildet inzwischen zur Hebung der Preise Ringe, die zu einer exorbitanten Ausbeutung führen werden. Die Ringe führen entweder zur Schädigung des einheimischen Konsumenten, oder durch Beschränkung des Rübenanbaues zur Schädigung der Landwirthschaft. Vereinigen Sie sich doch mit uns zur Beschränkung oder Aufhebung der Prämien oder zur Fixierung der Einnahmen des Reiches auf 80 Millionen Mark, damit der Inlandsmarkt durch Ermäßigung der Verbrauchsabgabe ausgedehnt werden kann! Die Reichseisenbahnen versprechen mehr, als im Etat angesetzt ist, und wenn die ein⸗ maligen Ausgaben der Post sich beschränken, dann wird der Ueberschuß der Post sich noch höher stellen als jetzt, d. h. es wird dann eine Ver⸗ kehrssteuer erhoben. In Preußen verlangt man eine Reform der Eisenbahntarife, aber im Reich bleibt jede Reform der Post⸗ tarife aus, nicht einmal die Gewichtsgrenze für die Briefe wird von 15 auf 20 g heraufgesetzt. Auch die Telegraphengebühren werden für die kleinen Ortschaften nicht ermäßigt, und trotz der Privatanstalten werden auch die Tarife für Stadtbriefe in Berlin nicht ermäßigt. Die Frage des Postzeitungstarifs bleibt immer noch unent⸗ schieden, trotzdem sie tief einschneidet in das ganze Zeitungswesen. Der frische Reformzug in der Postverwaltung hat längst aufgehört. Daß die Interessenvereine sich über den Zeitungstarif nicht einigen können, darauf kommt es nicht an; der Tarif muß von der Verwaltung aufgestellt werden nach soliden Grundsätzen. Der jetzige Zeitungstarif ist eine Prämie auf die Herausgabe von unpolitischen Zeitungen, die zur Versimplung des Publikums führen. Den Etat der Besoldungs⸗ verbesserungen haben wir noch nicht prüfen können; unsere Stellung bängt ab von der Gesammtlage des Etats. Den Löwenantheil an der Besoldungsaufbesserung haben jedenfalls das Heer und die Marine davongetragen. Mit der Erhöhung der Besoldung der Offiziere ist es nicht abgethan; da kommt auch die Erhöhung der Pensionsauggaben hinzu, namentlich bei den höheren Offizieren. Die Regiments⸗Kommandeure sind nur vier Jahre in ihrer Stellung. Wenn sie jedes Jahr 600 mehr erhalten, so ist das weniger wichtig, als wenn sie nachher 20 Jahre lang eine erhöhte Pension beziehen. Es wird zu prüfen sein, ob die Unterbeamten, welche dieselbe Arbeit thun, bei den verschiedenen Behörden, je nach dem Rang derselben, verschieden behandelt werden, ob man die Aufbesserung nicht lieber an das Anfangsgehalt als an die höheren Dienstaltersstufen anknüpfen soll. erner müssen die Fragen erörtert werden, ob die Reisekosten und Diäten anderweit geregelt und die Kommunalsteuer⸗Privilegien der Beamten und Offiziere beseitigt werden, was scho in den 70er Jahren vom Fürsten Bismarck versprochen wurde; endlich, ob :man dazu übergeben wird, das Gratifikationsunwesen abzuschaffen. Der Kolonial⸗Etat verlangt in diesem Jahre 1 Million Mark mehr für die theil⸗ weise Aufrechterhaltung der Verstärkung der Schutztruppe. Drei Millionen Mark mehr sollen ausgegeben werden für einmalige Aus⸗ gaben. Von den Kolonien haben wir nichts Gutes gehört. Der Ministerial⸗Direktor Kayser deutete auf die Gottesgerichte hin, welche jetzt hereingebrochen sind; er meinte da den Fall Peters und Schröder. Herr von Wissmann geht nicht mehr nach Ost⸗Afrika zurück. Herr von Wissmann verkündigte bei seiner Ankunft in Ost⸗Afrika, daß nunmehr die wirthschaftliche Erschließung der Kolonie in Angriff genommen werden müsse. Es wird wohl ein anderer Offizier hingeschickt werden, der in kostspieligen Gefechten mit den Eingeborenen seine Bravour S wird. Herr von Wissmann beurtheilt 8 t die Sachen etwas kühler, wie sein Vortrag in der Gesellschaft für vergleichende Rechtswissenschaft beweist, wobei er über die Bedürfnißlosigkeit der dortigen Bevpölkerung sprach und von der Unmöglichkeit der Ansiedelung von Deutschen. Das einzige, was noch retten könnte, wäre ein System von direkten Steuern, um die Arbeiter zu zwingen, daß sie für den Steuerexekutor arbeiten. Dieser Weg wäre für uns wenig kostspielig; es wäre jedenfalls angenehmer, wenn die schwarzen Brüder die 13 Millionen bezahlten, die wir jetzt tragen müssen. Es wird sich für die Durchführung allerdings schwerlich jemand finden. Herr von Wissmann warnte davor, zu große Anfor⸗ derungen an die Kolonialverwaltung zu stellen, trotzdem empfiehlt er den Bau von Eisenbahnen. Es hat vielfach überrascht, daß der Direktor Kayser die Flinte ins Korn warf, nicht wegen des parlamentarischen Widerstandes, sondern wegen der Selbst⸗ Eucht und wegen des Ehrgeizes der Betheiligten, wie er in einer Abschiedsrede aussprach. Er führte eine Unterredung an, die 2 Arendt mit ihm gehabt habe, der für Herrn Peters um eine fette

fründe warb, indem er mit dem nen desselben drohte. Phnc sind das für Dinge! Personen, die sich mit ihrer nationalen

Fessüsane Sfh. suchen die Kolonialpolitik durch Erlangung hoch⸗

dotierter Stellen auszubeuten für ihre eigene Persönlichkeit; sie suchen das durch Drohungen zu erlangen. So etwas hat man im Reichs⸗ und Staatsdienst noch nicht wahrgenommen! Was soll eine solche Begünstigung einzelner Personen, die sich garnicht im Amte bewährt

aben, für einen Eindruck machen auf die Beamten, welche Jah ang erst gearbeitet haben müssen, ebe sie in eine so hohe Stellung kommen? Die Ausgaben für das Reichsheer sind um 6 ½ Millionen, die des Marine⸗Etats um 3 ½ Millionen, bei dem Pensionsfonds um 2 Millionen Mark gestiegen; dazu kommen die Besoldungsverbesse⸗ rungen mit 6 Millionen. Der Rücktritt des Kriegs⸗Ministers Bronsart von Schellendorff hat allgemein überrascht. Die Personen sind es nicht, welche die Ueberraschung hervorgerufen haben, sondern die besonderen Umstände. Man glaubte selbst im „RNeichs⸗ Anzeiger“ eine Erklärung darüber abgeben zu müssen. Aus Gesundheits⸗ rücksichten ist damals Delbrück gegangen, ebenso Fürst Bismarck; Gesundheitsrücksichten sollen auch bei Herrn von Bronsart maßgebend gewesen sein. In der Erklärung des „Reichs⸗Anzeigers“ wird das Militärkabinet als eine Kanzlei des Kaisers bezeichnet, der Chef des⸗ selben habe keine selbständige Stellung. Das ist selbstverständlich. Aber der Monarch kann nicht alles selbst bearbeiten, die 2 des Vortragenden wird daher immer von großem Einfluß sein, wenn sich die Arbeiten auch nux auf die Kommandogewalt beschränken. Kommandogewalt ist ein sehr deutungsfähiger Begriff. Jedenfalls hört sie da auf, wo die Geldfrage anfängt, wo der Kriegs⸗Minister allein verantwortlich ist. Wenn das Infanterie⸗Lehrbataillon plötzlich statt nur für den Sommer für das ganze Jahr zusammengehalten wird, so entstehen außeretatsmäßige Mehrausgaben, ebenso bei Gewährung von Unterstützungen und Gnadenbewilligungen, für welche Mittel im Etat nicht ausgeworfen sind. Die Anstellung und Ver⸗ abschiedung der Offiziere hängt mit dem Stellen⸗Etat zu⸗ sammen. Die Pensionierung der Generale von Spitz und von Schlichting, die Versetzung der nächsten Mitarbeiter des Kriegs⸗Ministers in den Frontdienst und ähnliche Dinge kann sich schließlich kein Kriegs⸗Minister gefallen lassen; solche Ernennungen und Entlassungen können nicht ohne Veranlassung des Ministers geschehen. Die Geschichte des preußischen Militärkabinets ist die Geschichte des Doppelspiels und der Intrigue. Lesen Sie doch die Tagebücher des Generals von Gerlach nach, wie er gegen den Minister⸗ Präsidenten auftrat! Das war so schlimm, daß der Minister⸗Präsident sich Spione besorgen mußte, um über das Treiben des Herrn von Gerlach Näheres zu erfahren. Auch die Denkwürdigkeiten das Grafen von Roon geben darüber Aufschluß. Und der gegenwärtige Kriegs⸗Minister befindet sich noch dazu in einem niederen militärischen Range gegenüber dem Chef des Militärkabinets. Von den Mehrausgaben des Heeres entfällt die Hälfte auf die Mehr⸗ ausgaben für Naturalverpflegung. Entsprechen die angesetzten Preise den wirklichen Marktpreisen, oder sind bei dem Bestreben, möglichst von den Produzenten zu kaufen, höhere Preise normiert worden? In welcher Weise die Agrarier vorgehen, haben die Veröffentlichungen aus Pommern gezeigt, wo sogar eine Kontrole über die Preise, welche die Proviantämter gezahlt haben, verlangt wird. Die Intendantur lehnte das ab, und die Herren hatten sogar die Kühnheit, sich über die Geheimnißkrämerei der Militärverwaltung beim Landwirthschafts⸗Minister zu beschweren. Die Mehrausgaben fallen hierbei der Allgemeinheit zur Last. Aber wenn für die Menage die Kartoffeln theurer bezahlt werden, wie das aus Schlesien bezüglich der Artillerie⸗Abtheilungen berichtet wird, so muß das bei anderen Lebensmitteln eingebracht werden, da hierfür nur ein Pauschquantum ausgeworfen ist. Die Kosten der Umformung der vierten Bataillone sind um 800 000 höher angesetzt, weil man 40 neue Musikkorps schafft. Wir haben überhaupt Bedenken gegen die Vermehrung der Militärmusiker wegen der Konkurrenz, welche sie den Zivilmusikern machen, und wegen der Vorgänge, die sich bei der Königsberger Börsengarten⸗Affaire gezeigt haben, wo die Militärmusiker zum Kontraktbruch aufgefordert wurden. Die sachlichen Kosten der Marine erhöhen sich, je komplizierter die Schiffe werden. In der Denkschrift der Marineverwaltung hieß es, es genüge, da die Hälfte der „Panzer für das ganze Jahr in Dienst gestellt seien, während sie früher nur für das Sommer⸗ Halbjahr im Dienst waren. Jetzt werden sämmtliche Panzer 1. Klasse in Dienst gehalten und von den 14 Panzern 2. Klasse werden 9 in Dienst gehalten; das geht weit über die Denkschrift hinaus. Für den auswärtigen Dienst sind aber keine Schiffe vorhanden. Statt der Abtheilung See⸗Infanterie werden Matrosen auf die Schiffe gesetzt; aber man sollte dann die See⸗Infanterie entsprechend vermindern, das geschieht aber nicht. Weiter wird eine neue Kompagnie See⸗Artillerie geschaffen. Beide Maßregeln bedeuten thatsächlich eine Vermehrung des Landheeres. Was der Vorredner über das Steigen des Extra⸗ ordinariums sagte, kann ich nur vollständig unterschreiben. Die 60 Millionen Mark, welche ausgesetzt sind, entfallen mit 50 Millionen auf die früher bewilligten Schiffsbauten. In früheren Jahren ist man zu freigebig gewesen. Ich habe im vorigen Jahre ver⸗ geblich gewarnt; das dicke Ende kommt jetzt nach, und wenn man weitere Raten jetzt hinausschiebt, so ist das nur ein Aufschub bis zum nächsten Etat, und wenn man jetzt neue erste Raten bewilligt, so wird das Ende immer noch dicker werden. Früher wurde gesagt, daß die großen Panzer in Zwischenräumen von zwei Jahren gebaut werden sollten; jetzt wartet man nicht so lange. Jetzt ist man schon so weit gekommen, daß das, was bei der Aufstellung des Etats maßgebend war, bei der Vorlegung desselben nicht mehr gilt. Von den letzten Schießversuchen in Meppen soll eine neue Armierung der Schiffe herrühren. Welche Bedeutung in finanzieller Beziehung hat diese neue Armierung? Es wird eine neue Torpedo⸗Division gefordert; sie ist wohl nur bestimmt, um der parlamentarischen Taktik zum Opfer zu fallen, um die Panzer zu retten. Ursprünglich sollen in dem Etat noch mehr Schiffsbauten gefordert worden sein, als jetzt darin stehen; aber der Bundesrath babe widersprochen. Dann würde es noch gefährlicher sein, denn dann kommen die Forderungen im nächsten Jahre wieder. Bei der Interpellation des Grafen Hompesch erklärte der Staatssekretär von Marschall: Die kontinentalen ächte in Europa hätten im nächsten Jahre gar keine Veranlassung, die Gegensätze gegen einander zu verschärfen; denn es ständen für sie Fragen im Vordergrunde, welche mit der Entwickelung der über⸗ seeischen Interessen zusammenfallen und die ihnen voraussicht⸗ lich in Zukunft Gelegenheit geben würden, mit denjenigen Mächten wieder zusammenzugehen, mit denen sie im vorigen Jahre zusammengegangen seien. Das ist eine Anspielung auf die Intervention mit Frankreich und Rußland gegen Japan. Also die Inscenierung einer überseeischen Dreibundspolitik neben der europäischen! Sollte etwa die überstürzte Vermehrung der Schiffe im Zusammenhang stehen mit diesem Prosekt? Dann müßten uns doch mindestens die Grundlinien dieser Politik näher dargethan werden. Vielleicht kann uns der Herr Staats⸗ sekretär darüber beruhigen. Im „Militär⸗Wochenblatt“ hieß es ja, es komme gar nicht darauf an, ob die Erhebung der deutschen Flotte zur zweiten Seemacht Europas viel Geld koste; denn alles Geld, das für die Flotte ausgegeben werde, sei ja nicht verloren; die Marine behalte es nicht, sondern gebe es wieder aus. Das ist dieselbe Weisheit, welche im konstituierenden Reichs⸗ tage der alte General Steinmetz vorbrachte. Der Militär⸗Etat sei ja nur ein befruchtender Regen, denn das Militär behalte nicht das Geld; je mehr es bekäme, um so mehr gäbe es aus. Das „Militär⸗Wochen⸗ blatt“ ist allerdings kein offizielles Blatt, aber es ist das vornehmste militärische Organ, mit der Publikasion der amtlichen Nachrichten betraut und es würde einen solchen Artikel nicht bringen, wenn er nicht Ansichten widerspiegelte, die in gewissen Kreisen herrschen; das geht daraus hervor, daß man schon jetzt im November damit kommt; wenn man sich nicht so stark glaubte, würde man doch warten, bis der Reichs⸗ tag die Gelder bewilligt hat, ehe man solche Bilder an die Wand malte. Meine Freunde sind angesichts aller dieser Umstände zu dem Ent⸗ schluß gekommen, in diesem Jahre überhaupt keine ersten Raten für den Marine⸗Etat zu bewilligen, weil es nicht gerechtfertigt ist, die Bewilligungen noch zu steigern, ehe nicht die in Angriff genommenen Bauten fertig sind. Dann würden wir etwa 20 Millionen von dem Extraordinarkum des Marine⸗Etats absetzen. Auch der Militär⸗Etat bedarf sehr erheblicher Beschränkungen. Für Festungsbauten, für Militär⸗Eisenbahnen ꝛc. sind noch mehr als 100 Millionen bewilligte Kredite zur Verfügung, und hinter den als erste Raten in diesem Jahre für Bauten geforderten 9 Millionen stecken 79 Millionen