“ 1“ 88 “ 6 8 größer ist, als die über Brindisi und daß bei der erste⸗ ren Route die gefährlichen Passagen zu Überwinden sind: der Straßen San Bonifacio und der Meerenge von Messina, dann ist es mit der Sicherheit eigenthümlich bestellt; und wenn ich ein italienischer Staatsmann wäre, so würde ich diesen Gesichtspunkt in die erste Linie stellen.
Das war es, was ich gegenüber den Bemerkungen des Herrn Vorredners sagen wollte.
Abg. Dr. Förster⸗Neustettin (Reform⸗P.): Herr Singer lehnt die Vorlage im Interesse der Steuerzahler ab, ich nehme sie an erade im Interesse der Steuerzahler, im Interesse des Volkes. Ich 8 hier nur persönlich. Meine Partei ist in dieser Frage, wie verschiedene andere Parteien, selbst die sonst so freisinnige Partei, nicht geschlossen. Die Furcht vor der Konkurrenz der australischen Wolle oder des indischen Weizens ist nach meiner
Meinung unbegründet; ist sie begründet, dann schütze man die deutsche Wollproduktion durch einen Wollzoll und erhöhe die Schutzzölle auf Getreide. Jedenfalls soll man den sich entwickelnden Verkehr nicht künstlich ausdehnen. Die Vorlage soll den Verkehr mit Ost⸗Asien ördern und beleben; damit dient dieser Verkehr auch dem deutschen Gewerbefleiß überhaupt. Die gesteigerte und erleichterte Ausfuhr wird dazu führen, daß die Handelsbeziehungen vermehrt und ge⸗ stärkt werden, und so wird auch der Deutsche im Auslande fester mit dem Heimathlande zusammengehalten werden. In Ost⸗Asi augenblicklich und für lange Zeit hinaus ein gutes Geschäft zu machen. In solchen Ländern, wie Ching und Japan, die erst eröffnet werden, muß der Handel sofort zur Stelle sein, er darf nicht erst nachkommen. Es ist ganz richtig, daß der Handel auch ohne solche Subvention sich entwickeln wird; aber er wird sich langsamer und träger entwickeln. Sollte übrigens die Bilanz des Lloyd eine günstigere werden, so wird ja auch für das Reich ein entsprechender Antheil abfallen. Man muß etwas hineinstecken auf Risiko; das Reich darf hier nicht bloß den Krämerstandpunkt hervorkehren. Ich hoffe, daß in diesem Hause für die von der Vorlage empfohlene Politik eine Mehrheit vorhanden sein wird. Einige Bedenken habe auch ich. In der Subvention des Lloyd liegt unzweifelhaft eine Zurücksetzung Hamburgs, und es wäre doch zu erwägen, ob nicht auch für Hamburg etwas herauszuschlagen wäre, welches sonst in das Hintertreffen kommen würde. Der Lloyd sollte vielleicht Feneburger Waaren ohne Frachterhöhung nach Bremerhaven heranführen. Das Reich gewinnt durch die Vorlage schon hinsichtlich seines verbesserten und gesicherten Postverkehrs so viel, daß man richtiger von einer Konventions⸗, nicht von einer Subventionsvorlage sprechen sollte. Wir empfehlen ebenfalls Kommissionsberathung. Ungewöhnlich war ja der Vorgang, daß die Begründung einer Vorlage einfach preiegegeben wird; da es aber einmal geschehen ist, lasse ich mich darauf nicht weiter ein. Die Bedeutung der Vorlage für die Marine ist von verschiedenen Seiten doch sehr unterschätzt worden. Bedenklich eerscheint mir, für die lange Zeit von 15 Jahren die Höchst⸗ geschwindigkeit ein⸗ für allemal festzustellen. Die Frist muß ent⸗ weder verkürzt oder der Lloyd verpflichtet werden, mit der Geschwindigkeit seiner Schiffe immer auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Die vre. auf den deutschen Postdampfern müssen nach Möglichkeit verbessert werden. Ueber die Lage der Heizer, die Anwerbung und Unterkunft der Seeleute haben wir nur zu berechtigte Klagen gehört. Diesen mu abgeholfen werden. Auf ausländischen Werften darf kein Lloydschiff mehr gebaut werden. Den Offizieren auf den Lloyd⸗ schiffen wird eine ganz gefährliche Ueberlastung mit dienstlichen Funktionen zugemuthet. Die ununterbrochene Dienstzeit der zwei ersten Offiziere eines nach Shanghai bestimmten Dampfers betrug in Bremerhaven 26 Stunden und ähnlich anstrengend ist der Wachtdienst auf der Nordsee; nicht viel besser steht es damit auf der hohben See; in Singapore, wo das Schiff 30 Stunden bleibt, haben die Offiziere während dieser Zeit ununterbrochen Dienst. Es wäre nicht unmöglich, daß der Untergang des „Salier“ auf diese Ueber⸗ anstrengung der Offiziere zurüchzaführen ist. Der Schluß des Herrn Singer, daß es den Mannschaften auf den Schiffen besonders schlecht gehen müßte, wenn es den Offizieren schon so schlimm ginge, ist aber keineswegs zutreffend; die Arbeiter haben es thatsächlich leichter. Die Herren Sozialdemokraten erheben den Anspruch auf das Monopol des warmen Herzens für die deutschen Arbeiter. Merkwürdig und sehr interessant war, daß der Abg. Metzger als Kernpunkt des Hamburger Strikes den Wettbewerb des gelben Mannes hingestellt hat. 5 bleibt da das Programm der Partei mit dem Allerweltsmann, mit der Freiheit alles dessen, was Menschenantli trägt? Wider Willen erkennen hier die Herren Sozialdemokraten die Superiorität der weißen Rasse an. Wenn Sie so verfahren, werden Sie auch allmählich begreifen, daß das ganze deutsche Volk von einem gewissen schwarzen Manne auf das bedenklichste bedroht ist, und die Bestrebungen, ihn los zu werden, berechtigt sind. Was die vorgetragene Lohnliste betrifft, so begegnen wir in den Zeitungen doch gewissen Aufklärungen, welche die angegebene Lohnhöhe in wesentlich anderem Lichte erscheinen lassen. In den als unglaublich hoch be⸗ zeichneten Jahrekeinnahmen der Schauerleute steckten nicht nur die zahlreich gemachten Ueberstunden, sondern auch die Bezahlung für die z. Z. großen Verkehrs seitens des Schauermanns angenommene Hllfs⸗ kraft. Es sollte eine gemischte Reichskommission zur Untersuchung der benaang⸗ durch den Strike zur Diskussion gestellten Verhältnisse nach
mburg entsendet werden. Kommt dieser Vorschlag für den Ham⸗
urger Strike zu svath so mag man ihn für künftige ähnliche Vor⸗
fälle berücksichtigen. Die Sozialdemokraten verlachen das nationale Empfinden, welches für die Vorlage ins Feld geführt wurde; aber einstweilen wird über die Reichsinteressen nicht einseitig nach wirth⸗ 8 schaftlichen Gesichtspunkten entschieden. Sctaatssekretär des Reichs⸗Postamts Dr. von Stephan: Esé möchte wohl nicht ganz unangebracht sein, den Ausführungen des Herrn Vorredners gegenüber wieder einmal auf das eigentliche Thema unserer Berathung, nämlich auf die Dampfervorlage, zu kommen. (Heiterkeit.) Ich thue das zunächst, indem ich dem Herrn Vorredner meinen Dank ausspreche für die Sympathie, welche er der Vorlage der verbündeten Regierungen entgegengebracht hat. Er hat das zwar nur für seine Person gethan, aber diese ist mir schon ein werthvolles Unterpfand, eine Art Abschlagszahlung dafür, daß vielleicht auch seine Fraktion, wenigstens zu einem größeren Theile, nach den Berathungen der Kommission sich dafür aussprechen wird.
Einen Punkt aber in seinen Ausführungen sehe ich mich genöthigt, zu berichtigen. Der Herr Vorredner hat, wenn auch nicht mit ganz deutlichen Worten ausgesprochen, so doch durchblicken lassen, daß eine Anzahl der Schiffe, die für diese Dampferlinien neu gebaut sind, auf englischen Werften gebaut worden seien. Das würde be⸗ deuten, daß der Norddeutsche Lloyd Verpflichtungen, die er im Vertrage von 1885 eingegangen ist, nicht erfüllt
hätte. Gegen diese Unterstellung muß ich den Lloyd verwahren. Es steht ausdrücklich in dem Punkt 5 der Hauptbedingungen, die die Anlage bilden zu dem Gesetz von 1885, daß alle in die Linie einzu⸗ stellenden neuen Schiffe auf deutschen Werften gebaut sein müssen. Ich kann dem geehrten Herrn Vorredner bestätigen, daß der Lloyd ganz getreulich dieser Verpflichtung nachgekommen ist, denn alle neuen Schhiffe für diese Linien sind auf deutschen Werften gebaut worden.
Endlich habe ich noch einen weiteren Punkt zu erwähnen. Der Herr Vorredner hat mit einem besonderen Nachdruck hervorgehoben, daß Hamburg eigentlich schlechter wegkomme bei diesem ganzen Arrangement, und er hat sich bemüht, einen Vorschlag zu machen, wonach eine gewisse Parität in den Frachtbedingungen für die Waaren,
die von Hamburg ausgehen, mit denen von Bremen aus hergestellt
gilt das Wort von den reichen Leuten, die es schon
lich ist die knappe Mehrheit von 1885 nur dadurch zu stande ge⸗
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werden soll. Ich erlaube mir dem geehrten Herrn Vorredner den Art. 18 des Vertrags von 1885 vorzulesen. Er lautet: s Der Tarif für die Güterbeförderung von und nach Hamburg soll mit demjenigen von und nach Bremen böllig gleich gehalten werden. Demgemäß hat der Norddeutsche Lloyd die Beförderung der von und nach Hamburg aufgegebenen Güter zwischen Hamburg und Bremerhaven auf dem Wasserwege kostenfrei zu bewirken und für diese Beförderung alle erforderlichen Einrichtungen zu treffen, damit im Versand der von und nach Hamburg zu überführenden Transporte keine Verzögerung oder Benachtheiligung gegenüber den in Bremen direkt aufgegebenen vorkomme.
Es gereicht mir zur besonderen Genugthuung, daß wir dem von dem Herrn Vorredner geäußerten Wunsche bereits vor ca. 12 Jahren nachgekommen sind. (Große Heiterkeit.) Ich werde mich immer freuen, wenn das auch bei Ihnen der Fall ist.
Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.): Der Zusammenhang der Vorlage mit dem Strike in Hamburg ’Z zwar ein etwas gewaltsamer, aber nach der Rednerliste wird dieser Strike noch weiter in der Verhand⸗ lung seine Rolle spielen. Die von dem Abg. Förster vorgeschlagene Exekutivkommission, die aus Bundesraths⸗ und Reichstagsmitgliedern zusammengesetzt wäre, um den Hamburger Strike zu applanieren, würde das unpraktischeste Auskunftsmittel sein, das sich denken läßt. Im allgemeinen ist bei solchen Arbeitseinstellungen ein magerer Vergleich einem fetten Pralch auf alle Fälle vorzuziehen, selbst dann, wenn die eine Partei die Aussicht hat, in einem solchen Strike die andere unter ihre Botmäßigkeit zu zwingen. Arbeitgeber und Arbeit⸗ nehmer sind auf einander angewiesen; die gewaltsame Herbeiführung einer Niederlage würde stets den Keim neuer Verwicklungen in sich tragen. Der Gedanke des Schiedsgerichts wurde in Hamburg von Leuten aufgenommen, welche nicht gerade zur Sozialdemokratie ge⸗ hörten; wenigstens pflegt man bei uns zur Zeit Polizei⸗Senatoren nicht dazu zu. rechnen. Es ist ja sehr gut möglich, daß die Arbeitgeber die Arbeiter zwingen, zu den alten 1 die Arbeit wieder aufzunehmen, aber mit solcher gewaltthät gen Lösung ist nichts gewonnen. Andererseits muß noch auf den einen Umstand hingewiesen werden, daf das Rhedereigewerbe lange nicht so blühend dasteht, wie es dargestellt wird. Gerade die Rhederei macht seit einigen Jahren wieder die ungeheuersten Krisen durch, gegen welche diejenige der nothleidenden Landwirthschaft ganz verschwindet. Das in der deutschen Rhederei interessierte Kapital ist in den letzten zehn Jahren noch nicht auf eine Verzinsung von 3 % Da ezahlen können,
also nicht ohne weiteres. Daß die englischen Rheder sich über den Hamburger Strike freuen sollten, wie Herr Paasche meinte, ist eine wunderbare Behauptung; welche Thoren müßten die englischen Rheder sein, wenn sie über eine Niederlage der Ham⸗ burger Rheder freuten; würde dech der Strike, sobald die amburger Arbeiter siegreich geblieben, nach England über⸗
pringen! Aehnlich eigenthümlich steht es um die Behauptung der „Hamburger Nachrichten“ von den englischen Brandstiftungen. Was nun die Sozialdemokratie betrifft, so sticht ihr heutiges Auf⸗ treten mehr als seltsam ab von ihrem Verhalten 1885. Gerade ihr rednerischer Vertreter, der Abg. Dietz, hat damals das Prinzip der Subvention mit dem größten Feuer und mit viel größerer Lebhaftig⸗ keit als irgend ein anderes Mitglied des Hauses vecocn. Bekannt⸗
kommen, daß die Sozialdemokraten für die Vorlage stimmten; und aus den anderen Parteien, die diese Mehrheit bilden halfen, haben es schließlich aus dem Grunde gethan, weil 8 sich sagten: Ja, wenn selbst die Sozialdemokraten an der Sache so viel Gutes finden, muß doch wohl etwas daran sein. Hiernach kann die Sozialdemokratie die intellektuelle Urheberschaft für die Postdampfer⸗ subvention nicht ablehnen. Ich bin solchen Subventionen immer ablehnend gegenübergetreten. Ist sie aber einmal Thatsache q. worden, hat sich eine neue seaneegang daran geschlossen, sind weit⸗ verzweigte nationale und internationale Interessen damit verknüpft, so läßt sich die Sache nicht plötzlich mit einem nassen Schwamm weg⸗ wischen. Ich muß anerkennen: nachdem diese großen Linien zehn Jahre lang bestehen, wäre es für uns als Nation politisch unbequem, sie einfach wieder aufzugeben. Im Jahre 1885 waren die Konservativen 15 und Flamme für die Subvention. Bis zu einem gewissen rade haben es damals alle Parteien auf ihr Gewissen genommen, das Subventionswesen einzuführen; heute hat der Reichstag also um so ernsthafter zu prüfen, ob er das, was er damals eingeführt hat, jetzt wieder fallen lassen will. Für die Vermuthung, daß der Verkehr wachsen wird, wenn die Fahrten häufiger und schneller gemacht werden, sprechen viele ähnliche Vorgänge. Ob der Lloyd auf eigene Rechnung damit vorgehen soll oder ob man mit den Mitteln des Reiches einzuspringen hat, ist eine andere Frage. Aber nachdem das Unternehmen mit Reichssubvention in diesen zehn Jahren 2 als wirthschaftlich vernünftig erkannt worden ist, haben wir au von Reichswegen das größte Interesse, es zu fördern. Die Einrichtung einer neuen festen Verkehrslinie wirkt befruchtend auch auf den Verkehr der daneben laufenden nicht festen Linien; das⸗ selbe wird sich bei der Einrichtung der 14 tägigen Fahrten nach Ost⸗ Asien erwarten lassen. Der Lleyd verwendet thatsächlich gelbe Leute als Feuerleute und Heizer auf seinen Dampfern. Diese gelben Kon⸗ kurrenten der deutschen Arbeiter sind an Zahl nur hundert; sollten diese irgend welchen Einfluß auf die Lohnhöhe der deutschen Arbeiter ausüben? Der mühselige und armselige Dienst dieser Feuerleute wird von den deutschen Arbeitern gewiß nicht umworben. Auf den Dampfern der englischen P. and 0-Linie werden diese gelben Matrosen seit Menschengedenken verwendet. Wenn man sich entschließt, Sub⸗ ventionen zu geben, hat man kein Interesse daran, daß diese be⸗ treffende Linie nicht wirthschaftlich richtig und zweckmäßig geleitet wird. Wir werden unser Urtheil ganz von dem Ergebniß der Kom⸗ missionsberathung abhängig machen. „Abg. Molkenbuhr (Snah: Diejenigen von uns, welche 1885 für die Vorlage eintraten, glaubten damals, daß ein solches Gesetz die roßen Linien zwingen könnte, ihre Schiffe in Deutschland bauen zu assen. Bis dahin waren 8 englische Werften die Lieferanten des so patriotischen und gefeierten Lloyd. Diese unsere Ausfassung war damals ein Irrthum gewesen. Man hatte nicht wissen können, welche schlimmen Folgen die Subventionsdampfer für das deutsche Gewerbe und für die Arbeiter haben würden. In den Zeiten des Niederganges hat gerade der Lloyd die Frachtsätze gedrückt in Ost⸗Asien wie in Australien, und die Folgen davon für die Arbeiter blieben nicht aus. Trotz der Krise werden nach wie vor recht hohe Dividenden gezahlt, ein Beweis, daß sie nicht eine so allgemeine ist, wie der Vor⸗ redner behauptet. Die Konkurrenzlinien suchen sich in anderer Weise schadlos zu halten; sie drücken auf die Löhne der Arbeiter und schaffen dadurch Zustände, wie wir sie gegenwärtig in Hamburg haben. Nicht aus Rassenhaß bekämpfen wir die Verwendung gelber Heizer, sondern wir bekämpfen die Lohndrückerei. Ob es nur hundert sind, ist gleich⸗ gültig; der Lohndruck ist da. Es wäre doch sehr schön, wenn die gelben Arbeiter die schwere Arbeit des Kohlenziehens und Heizens verrichten, wenn nur die deutschen Hafen⸗ und Schiffsarbeiter etwas zu hen hätten. Die Löhne der Heizer und Kohlenzieher sind seit 1889 fast bis auf die Hälfte heruntergegangen, ihre Arbeit ist aber schwerer geworden. Der Kohlenzieher bekommt nur noch 40 bis 50 ℳ monat⸗ lich, einen Hungerlohn! Gleichwohl bezeichnet Herr von Boetticher den Strike als ungerechtfertigt. Die Fraelib⸗ sind dagegen in der letzten Zeit ganz erheblich gestiegen; die Mittheilungen der Kosmos⸗ linie ergeben eine Frböbunf bis zu 50 v. H. Da haben doch die Arbeiter auch ein Recht, wenigstens diejenigen Löhne zu erhalten, die sie früher erhalten haben. Daß rr von Boetticher den Strike für berechtigt erklären würde, habe ich allerdings nicht erwartet. Die Lohnlisten weisen Löhne bis uüber 3000 ℳ auf. Es wäre ja ein Wunder, wenn unter 20 000 Arbeitern nicht ein paar Hundert wären, die höhere Löhne verdienen. Vielfach thun
sich bei Accordarbeiten Mehrere zusammen, nur an einen
2
dieser Kolonne aber wird dieser Lohn gezahlt für diese
nur dieser eine figuriert in den Lohnlisten. Bei der neeernzun es Usus, daß die festen Arbeiter sich Ersatzmänner halten; die Löhn für diese Ersatzleute stehen auf dem Lohnkonto des uermanns. Ir Zukunft soll ja diesem „Unfug“, wie die Feüschaft es jetzt Feld nennt, gesteuert werden; aber heute wird das Ergehniß dieses Unfu doch gegen die Arbeiter ausgefpielt. Verdienten bie Arbeiter wirklich so bohe Löhne, so würden sie ja jetzt um die Erlangung eines nie drigeren striken. Auch die Erhöhung auf 5 ℳ exreicht ja n ge nicht die in den Lohnlisten angegebene Höhe. Das Zugeständniß der Erhöhung von 4,20 auf 4,50 ℳ stellt sich ungefähr ebenso dar wie s. Z. die Erhöhung des Gehalts für die Weichensteller; fie erhielten nachher weniger als vorher. Dieser angeblichen Erhöh sollte nämlich der Wegfall des bisher für schwere Löschungsarbeiten üblichen Zuschlags von 60 ₰ täglich zur Seite treten. Wir haben Erkundigungen unter den Schauerleuten der Amerika⸗Linie eingezogen und keinen Mann gefunden, der mehr als 168 Tage gearbeitet bätte und mehr als tausend Mark bezogen hätte. Tausend Mark ist aber nicht soviel, daß diese Arbeiter, die so schwere Arbeit verrichten und ihren Körper leistungsfähig erhalten müssen, in Hamburg gut auskommen könnten. Hunderttausende deutscher Arbeiter sollen sich nach einer solchen Einnahme sehnen, sagt der Staatssekretär; mit welchem Rechte aber fordert denn die Regierung die Aufbesserung der Gehälter der hohen Beamten? Ein armer schlesischer Weber würde ja gewiß sehr erfreut sein, wenn er auch einmal an einem einzigen Tage 4,20 ℳ verdiente, dann würde er auch gewiß einmal etwas Fleischernes essen. Aber wie steht der schlesische Weber den Anforderungen gegenüber, welche die Hafenarbeit an ihn stellt? Mit Recht verlangen die Schauerleut⸗ aber nicht bloß Lohnerhöhung, sondern auch Regelung der Lohnzahlung. Thatsächlich werden in Hamburg Hungerlöhne gezahlt, so für die Kohlenzieher und die Kesselreiniger, welch letztere täglich nur 2 ℳ erhalten. (Präsident Freiherr von Buo Lesane den Redner, doch wieder von Hamburg nach Bremen zurückzukehren.) Bewilligen wir die Erhöhung der Subvention, dann werden sich diese Verhaltnint noch viel schlimmer gestalten. Redner kritisiert zum Saech die Schwierigkeit der Beilegung des Strikes, weil die Rheder dem rbeit⸗ geberverbande angehörten. Die Hamburger Rheder würden eher nachgeben, aber der Arbeitgeberverband wolle nicht. Er habe das Schiedsgericht abgelehnt. Jetzt würden ungeeignete Arbeitskräfte zur Aushilfe herangezogen; die Folgen lägen im Untergang des „Salier⸗ bereits vor und würden sich no—h weiter äußern.
Staatssekretür des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:
Herr Präsident! Ich muß um Entschuldigung bitten, daß ich noch⸗ mals zur Dampfervorlage das Wort ergreife. (Heiterkeit.) Meinem Gefühl hätte es mehr entsprochen, wenn es mir erspart geblieben wäre, noch einmal auf das Hauptthema der Rede des Herrn Vorredners einzugehen; aber da er mir den Vorwurf gemacht hat, daß ich neulich falsche Zahlen gebracht habe, und da ich nicht wünschen kann, daß dieser Vorwurf ohne jede Beleuchtung von meiner Seite bleibt — sonst würde er ja draußen am Ende haften bleiben —, so muß ich schon um Entschuldigung bitten, wenn ich für wenige Minuten die Geduld des Hauses in Anspruch nehme; ich werde mich so kurz fassen wie irgend möglich.
Der Herr Vorredner hat zunächst auch zur Dampfersubventions⸗ Vorlage gesprochen und gemeint, daß der Norddeutsche Lloyd durch seine Geschäftsgebarung dazu beigetragen habe, die Frachten zu drücken. Ich werde die Ehre haben, in der Kommission des Näheren nach zuweisen, daß der Norddeutsche Lloyd sich im Gegensatz zu anderen überseeischen Linien in der Frachtfrage durchaus korrekt gehalten und bemüht hat, jeden Druck auf die Frachten, der von anderer Seite versucht worden ist, abzuhalten. Auch hat der Norddeutsche Lloyd keine Reduktion der Löhne vorgenommen, die sich nicht aus der Natur des Geschäfts von selbst ergiebt. (Widerspruch bei den Sozial⸗ demokraten.) Ja, meine Herren, verlangen Sie denn, daß ein Unter⸗ nehmer mehr zahlen soll, als er kann? Das ist doch nicht möglich; wenn bei einem Unternehmen nichts verdient wird, dann kann auch nichts gezahlt werden. (Zuruf bei den Sozlaldemokraten.) — Das ist mir nicht bekannt, ich werde mich aber in Bremen danach erkundigen. (Heiterkeit.) Wenn übrigens der Vorwurf gegen den Norddeutschen Lloyd erhoben worden ist, daß er über die Gebühr die deutschen Arbeiter schädige, daß er chinesische Arbeiter auf seinen Schiffen ver⸗ wende, so ist auch dieser Vorwurf cum grano salis zu nehmen. Herr Dr. Barth hat schon mit großem Recht darauf hingewiesen, daß der chinesische Arbeiter zur Schonung und im Interesse der deutschen Arbeiter auf den Schiffen des Norddeutschen Lloyd verwendet wird. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)
Da aber dem Norddeutschen Lloyd die von sozialdemokratischer Seite hervorgehobenen Klagen über die Verwendung chinesischer Arbeiter zu Ohren gekommen sind, so hat er sich gerade im nationalen Interesse, und das werden wohl die Herren an⸗ erkennen, seit längerer Zeit bemüht, die chinesischen Arbeiter los zu werden; der gegenwärtige Zustand ist der, daß auf etwa 2100 See⸗ leute, die auf den Schiffen des Norddeutschen Lloyd beschäftigt werden, 120 Farbige sich befinden, und auch diese 120 Farbigen, die nur auf drei Schiffen noch vorhanden sind, sollen demnächst abgelohnt werden. Dann wird auch die sozialdemokratifche Partei in dleser Hinsicht wohl Ruhe haben. ; 1
Nun, meine Herren, hat der Herr Vorredner mir in Bezug auf den Strike vorgehalten, es sei doch ein eigenthümlicher Widerspruch, in dem ich mich befinde, und der erkläre sich nur daraus, daß ich entweder nicht gelesen habe — oder daß ich nicht habe lesen wollen —, wenn ich annähme, daß jemand, der bereits einen Durchschnittslohn von 8 ℳ bezieht, sich noch bemüht, den Durchschnittslohn von 4,20 auf 5 ℳ zu erhöhen. Nein, meine Herren, dieser Widerspruch liegt nicht vor; ich habe das eben so gut gewußt, wie Sie, daß es Ar⸗ beiter giebt, die nicht so viel verdienen, wie die in den Lohnlisten aufgeführten. Aber aus meinen Ausführungen ergiebt sich, daß die Thätigkeit der Hamburger Schauerleute eine so hochgelohnte ist, daß auch der niedriger gelohnte Arbeiter aufsteigen kann zu hohen Löhnen, wie es sonst in der deutschen Arbeiterschaft kaum wieder vorkommt. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)
Nun, meine Herren, eben das, was heute an Zahlenmaterial vorgebracht ist, das schlägt mich in keiner Weise. Ich nenne meine Gewährsleute, ich sage Ihnen, von wem die Berichte, die ein⸗ gegangen sind, erstattet sind; nennen Sie auch Ihre Gewährsleute, dann werden wir vielleicht zu einer Einigung der beiden einander widerstreitenden Angaben kommen. Es ist mir zugegangen, ich nehme keinen Anstand, die Firma zu nennen, von der Firma H. W. Heidmann eine Lohnliste, aus welcher sich wiederum ergiebt, daß die Schauerleute im Jahre 1895 in maximo und zwar bei einer zwölfmonatlichen Beschäftigung und bei einer Beschäftigung, die in der. Woche nur 42 Arbeitsstunden erfordert hat (hört, hört! rechts), 2341,73 ℳ verdient haben, und derjenige, der bei einer zwöͤlf⸗
monatlichen Beschäftigung am wenigsten verdient hat, hat doch einen
Verdienst zu verzeichnen von 1911,98 ℳ (hört, hört! inder Mitte). Nun, meine Herren, gewinnen diese Angaben der Firma Heidmann noch dadurch an Sicherheit der Aufstellung, daß sie gemacht sind von der Firma für die See⸗Berufsgenossenschaft zum Zwecke der Berechnung ihrer Beiträge für die Unfallversicherung. Da wird man doch nicht an⸗ nehmen können, daß die Firma Heidmann diese Angaben zu hoch ge⸗ griffen hätte; denn sie würde dadurch ihre eigenen Interessen ge⸗ schädigt haben. Ich glaube auch nicht daran, vorläufig bis zum besseren Beweise, daß die Löhne in Hamburg früher sehr viel höher gewesen sind als jetzt; denn aus den Nachweisungen über die Lohn⸗ böhe innerhalb der See⸗Berufsgenossenschaft, welche das Reichs⸗Ver⸗ sicherungsamt aufgestellt hat, ergiebt sich, daß seit dem Jahre 1888 die Lohnbeträge innerhalb der See⸗Berufsgenossenschaft von 21 auf 24 Millionen Mark gestiegen sind.
Nun, meine Herren, ist aber höchst interessant, was die Firma Heidmann — und ihre Ausführungen liegen ja gedruckt vor im „Hamburger Korrespondenten“, und ich darf deshalb darauf hinweisen — zu diesen Lohnlisten noch besonders hervorhebt; sie sagt:
Die ganzen Summen sind von den einzelnen Leuten selbst verdient
(bört! hört, rechts.) — Damit erledigt sich die Frage der sogenannten
Gehilfen, auf die der Herr Abg. Molkenbuhr hingewiesen hat — und nicht unter Zuhilfenahme von Ersatzleuten; hierzu war auch keine Veranlassung, da meine Schauerleute im Jahre 1895 im Durchschnitt nur 42 Arbeitsstunden per Woche gearbeitet haben.
Ja, meine Herren, was sagen Sie dazu? 42 Stunden Arbeitszeit in der Woche, das ist noch nicht einmal Ihr berühmter Normal⸗ arbeitstag von acht Stunden (Zuruf und Unruhe bei den Sozial⸗ demokraten) — ich komme auf die anderen Sachen noch weiter — und daneben noch ein so hoher Verdienst, wie ihn der deutsche Arbeiter, wie gesagt, sonst nicht hat!
Und unter welchen sonstigen Bedingungen arbeiten die Leute? Da sagt die Firma Heidmann:
Den Platzarbeitern wurde im April dieses Jahres, ohne daß sie irgendwelche dahingehende Wünsche geäußert haben, der Tagelohn erhöht, und zwar bei Leuten, die länger als zwei Jahre bei mir arbeiten, um 50 ₰ per Tag, bei den übrigen um 30 ₰ per Tag. Folglich sind die Verdienste in diesem Jahre wesentlich höher als die in der untenstehenden Liste angeführten.
Dann, meine Herren, noch etwas. Diese Firma Heidmann hat eine Sparkasse für ihre Arbeiter gegründet. Zu dieser Sparkasse trägt die Firma selber bei; und was ist der heutige Stand dieser Spar⸗ kasse? Der heutige Stand der Sparkasse ergiebt, daß jeder ihrer Arbeiter mit einem Durchschnittsbetrage von 700 ℳ bei dem Spar⸗ unternehmen betheiligt ist. (Hört, hört! rechts.) Also, meine Herren, ich habe meine Gewährsleute genannt. Ich kann Ihnen weiter über den Geschäftsbetrieb bei der Firma Heidmann sagen, daß auch die Frage, die der Herr Vorredner berührt hat, mit der Abrech⸗ nung des Anbordfahrens und Vonbordfahrens im Heidmann'’schen Geschäftsbetriebe keine Rolle spielt. Es heißt in dem an mich ge⸗ richteten Briefe:
Sie gestatten mir, noch ferner zu bemerken, daß die von mir in den beigefügten Lohnlisten angeführten Arbeitszeiten der Schauer⸗ leute die Zeit von Land an Land in Anrechnung gebracht ist; sie inkludieren also „das an und von Bord Fahren“, sowie das Aufbringen des Geschirrs, aber nicht die übliche Frühstücks⸗, Mittags⸗ und Vesperpause von im Ganzen zwei Stunden.
Also die übliche Mittags⸗, Vesper⸗ und Frühstückspause muß doch in diesem Geschäft bestehen, und danach muß man annehmen, daß der Herr Abg. Molkenbuhr wenigstens keine Veranlassung hat, den dort beschäftigten Leuten kaltes und verdorbenes Essen zuzumuthen.
Nun, meine Herren, habe ich noch einige weitere Worte zu sagen. Der Herr Abg. Molkenbuhr hat auch heute wieder geklagt über das Verhalten der Hamburger Rheder und hat gemeint, es sei un⸗ gerechtfertigt, daß die Hamburger Rheder auf einen Einigungsversuch, der unternommen worden ist, nicht eingegangen sind. Meine Herren,
ich wiederhole, was ich neulich gesagt habe: die Sache hat sich hiftorisch so entwickelt: Die Schauerleute haben eine Lohn⸗ forderung gestellt, die Rheder haben diese Lohnforderung zum theil bewilligt, und darauf ist ihnen mit einer präklusivischen kurzen Frist das Ansinnen gestellt, die Forderung voll zu bewilligen, widrigen⸗ falls — und ich glaube noch an demselben Tage — der Strike in Seene gesetzt werden würde. Daß die Rheder, die ihren guten Willen gezeigt haben, indem sie einen Theil der geforderten Lohn⸗ erhöhung bewilligt haben, nicht in eine solche Zwangslage sich ver⸗ setzen lassen wollten, wer will ihnen das verdenken? Und dann, wenn gegen diese Hamburger Rheder — ich hoffe, nicht von den Hamburger Arbeitern, sondern von anderer Seite — mit solchen Worten, wie ich mich eigentlich scheuen sollte, sie im Reichstage wiederzugeben, vor⸗ gegangen wird, so kann man ihnen wirklich nicht verdenken, wenn sie zunächst wünschen, daß der Strike durch die Wiederaufnahme der Arbeit von seiten der Arbeiter beendet wird. Es heißt hier in dem Flugblatt: Das Unternehmerthum hat auf Eure heutige großartige Kund⸗ gebung für die von Herrn Senator Dr. Hachmann in so an⸗ erkennenswerther Weise vorgeschlagene schiedsgerichtliche Ver⸗ mittlung zwecks Beilegung des Strikes seine Antwort gegeben. Diese Antwort ist der Ausdruck der denkbar brutalsten, protzenhaften Infamie! (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) — Ja, ich habe bisher angenommen, daß eine solche Sprache im Deutschen Reichstage nicht als eine zutreffende bezeichnet worden wäre.
Das koalierte Unternehmerthum hat die Stirn gehabt, die schiedsgerichtliche Vermittelung abzulehnen und damit Euch und die übrige Arbeiterschaft vor die Nothwendigkeit gestellt, den Kampf für
Eure berechtigten Forderungen unter Aufwand aller Entschlossenheit und Energie, deren Ihr fähig seid, fortzusetzen.
h he richtig! bei den Sozialdemokraten.) — In einem anderen Flugblatt seißt es: 8 Sie protzen und pochen auf ihren Geldsack und wünschen einen Kampf bis zur Ermattung. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.D) Sie wünschen, Eure Männer noch mehr zu knechten und zu ge⸗ fügigen und willenlosen Werkzeugen zu zwingen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Hierzu erscheint ihnen der Hunger der Familie als das geeignete Mittel. (Sehr richtig! bei den
Sczialdemokraten.)
Sa, meine Herren, glauben Sie doch nicht, daß jemand außerhalb
Ihres Kreises eine solche Sprache für berechtigt halten würde.
dazu beglückwünschen.
Meine Herren, der Herr Abg. Dr. Barth hat Ihnen ja schon gesagt, wie wenig rentabel die Rhederei⸗Unternehmungen sind, und
wenn Sie diese geringe Rentabilität, der gegenüber Sie den Beweis
größerer Rentabilität schwerlich unternehmen werden — wenn Sie die in Anschlag bringen, so müssen Sie so billig und objektiv sein, daß Sie auch den Rhedern zugestehen: sie können nicht mehr geben, als sie leisten können.
Nun, meine Herren, der Strike ist ja in der Abnahme begriffen. Ich freue mich, daß mir heute die Mittheilung zugegangen ist über den Stand der Sache, den ich ja hier mittheilen kann, daß von den durch⸗ schnittlich 1600 Quaiarbeitern 1170 die Arbeit niedergelegt hatten, während 430 Arbeiter ihre Stellung behalten haben. Die Zahl der Quaiarbeiter ist inzwischen wieder auf 1237 gestiegen. Es berichtet die Verwaltung, daß binnen wenigen Tagen die Arbeit in vollem Umfange wieder aufgenommen sein wird. Im Hafen wurde nach Ausbruch des Strikes am 23. November von 210 großen Dampf⸗ und Segel⸗ schiffen am ersten Tage nur auf 110 Schiffen zur Hälfte mit eigener Mannschaft, zur anderen Hälfte mit sonstigen Leuten gearbeitet. Am 10. Dezember lagen 254 große Dampf⸗ und Segelschiffe im Hafen; von diesen arbeiteten 174 Schiffe mit 366 Gängen, jeder
Gang bestehend aus 50 bis 70.
Ich kann nur wünschen, daß der Zeitpunkt nicht fern ist, wo die Arbeit im Hamburger Hafen voll wieder aufgenommen wird, und je eher dieser Zeitpunkt eintritt, um so mehr werde ich beide Theile Die Lage ist nicht — das muß ich ablehnen — durch die Rheder veranlaßt; die Lage ist durch die kategorischen For⸗ derungen der Arbeiter herbeigeführt. Ich kann nur⸗ wünschen, daß die Arbeiter, die schwer unter diesem Strike zu leiden haben und nicht bloß gelitten haben in den vergangenen Wochen, sondern die die Nachwirkung dieses Strikes auch noch feiner fühlen werden (sehr richtig! rechts), sich frei machen von den Einflüssen, von denen ich behaupte, daß sie gegen ihr Interesse wirthschaften. (Sehr richtig! rechts; Unruhe links.)
Meine Herren, ich weiß, und habe die Zusicherung aus Rhederei⸗ kreisen, daß, wenn der Moment eingetreten sein wird, in dem die Arbeiter die Arbeit wieder aufgenommen haben, auch die Rheder mit sich reden lassen werden (Widerspruch links), und wenn das geschehen sein wird, dann hoffe ich, daß sich nicht wieder solche Einflüsse geltend machen, die den Frieden, und vor allen Dingen das Interesse der deutschen Arbeiter schädigen. (Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und links; lebhafter Widerspruch links.)
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Der Abg. Molkenbuhr hat den Beweis nicht erbracht, daß die Hamburger Arbeiter, wie zuerst behauptet worden ist, nur 800 ℳ jährlich im Durchschnitt ver⸗ dienen. Wenn die Sozialdemokraten zugeben, daß der Lohn von 4,50 ℳ ausreicht bei regelmäßiger Arbeit durch das ganze Jahr und nur dann ein Hungerlohn wird, wenn Arbeitsunterbrechung erfolgt, so sind sie doch dafür mit verantwortlich, wenn nun infolge des Strikes aus allen Theilen Deutschlands die Arbeiter, um diesen auskömm⸗ lichen Lohn zu erhalten, in Massen nach Hamburg strömen, und es den Rhedern ganz unmöglich wird, allen diesen Leuten dauernde Arbeits⸗ gelegenheit zu geben. die Artikel des Hamburger „Echo“ beweisen, daß es sich garnicht um eine Lohn⸗, sondern lediglich um eine Machtfrage handelt. Eine besondere Organisation war zur Hervorrufung des Strikes garnicht nöthig. Der Kampf der organisierten Arbeiter und Arbeitgeber muß stets zu Ungunsten der ersteren ausschlagen, während bei dem rein persönlichen Verhältnis des Arbeitgebers zu seinen Arbeitern nicht der Kampf, sondern der Friede die Regel ist. Deutschland verdankt seine Fortschritte in technischer und industrieller Beziehung der noch vorhandenen Disziplin der Arbeiter, also dem Umstande, daß noch keine Organisation, wie sie von gewisser Seite immer ewünscht wird, besteht. Die Soözialdemokraten werden diese rganisation allein zu ihrem Vortheil lenken und zu ihren Zwecken mißbrauchen, und das ist für das Reich um so verdexblicher, als die Herren, die man schon in eine radikale Reformpartei verwandelt sieht, doch nach wie vor zur Diktatur des Feal aesas schwören. Herr üpeden hat gestern einen heftigen Angriff auf mich gerichtet. (Prä⸗ dent Freiherr von Buol ersucht den Redner, beim Gegenstande der heutigen Verhandlung zu bleiben.) Wenn Herr Hüpeden gestern gesagt hat, die Sozialdemokratie sei nicht vom Himmel gefallen, so unterschreibe ich das; sie ist aus der Hölle hervorgekommen.
Abg. Jebsen (nl.) verwahrt sich als Hamburger Rheder gegen die von dem Abg. Molkenbuhr auf die Hamburger Rhederei ge⸗ richteten Angriffe. Die Löhne seien 1889, wo die Rhederei florierte, erheblich höhere gewesen, mit der Krise hätten sie heruntergehen müssen. Ein kleiner Aufschwung des Frachtenverkehrs sei jetzt zu spüren. Um für die Arbeiter dabei etwas herauszuschlagen, dazu sei der gegenwärtige Zeitpunkt der ungeeignetste. Nähmen die Arbeiter ihre Arbeit wieder auf, oder halte der Aufschwung an, dann würden die Rheder selbst mit ihren Leuten über eine Lohnerhöhung sich ver⸗
ständigen. .
Abg. Legien (Soz.), Die von den Rhedern veröffentlichten Lohnlisten sind sehr verdächtig. Durch persönliche Prüfung haben wir festgestellt, daß in hunderten und aberhunderten von Fällen die Löhne nicht dem einzelnen Schauermann, sondern auch seinem Ersatz⸗ mann gezahlt sind. Mehr als tausend Mark entfallen auf keinen der betreffenden Schauerleute. An einzelnen Beispielen sucht Redner nachzuweisen, welche Riesenarbeit diese Leute zu bewältigen hätten, und fragt, ob gegenüber diesen Leistungen ein Lohn von 700 — 1000 ℳ ein ausreichendes Aequivalent sei. Die Packetfahrtgesellschaft, fährt Redner fort, sei vollständig davon unterrichtet, daß die sämmtlichen Schauermänner Ersatz⸗ männer und Hilfskräfte haben, daß die Lohnlisten also eine Täuschung hervorrufen müssen, wenn sie dieses Umstandes nicht Er⸗ wähnung thun. Unter den Hilfsarbeitern befinden sich solche, die mit 500 — 1200, einer sogar mit 1800 ℳ entlohnt wurden. Wen will man also mit diesen Lohnlisten täuschen? Aus den Listen, welche die Zahl der Arbeitswochen angeben, läßt sich ganz genau das wirkliche Arbeitseinkommen der Leute nachweisen, und darum haben die Stauer, als davon Gebrauch gemocht wurde, in ihren späteren Listenaufstellungen die Zahl der Arbeitswochen weggelassen. Die Angaben der Stauer und Rheder entsprechen 8 keinesfalls der wahren Sachlage. Der Strike in Hamburg ist so begründet wie jeder andere; es giebt überhaupt keinen unbegründeten Strike. Das Hamburger „Echo“ hat nicht zum Strike gebett, sondern von An⸗ beginn an gefordert, daß der Friede geschlossen werden soll. Aber um die Lohnhöhe allein handelt es sich in Hamburg allerdings nicht, sondern auch um Regulierung der Arbeitszeit. In dem neuen Tarif der Arbeiter wird verlangt, daß die Arbeitszeit nicht länger als 36 Stunden hintereinander dauern soll: daraus allein können Sie sich wohl ein Bild von den Zuständen machen, wie sie jetzt bestehen. Die Partei als solche hatte nicht die geringste Kenntniß davon, daß es hier zu einem Lohnkampfe kommen sollte; die Führer waren davon aufs Aeußerste überrascht. Beim Vorhandensein einer Organisation wäre der Strike nicht ausgebrochen. Aber die Anfänge einer Organisation haben gerade die Arbeitgeber 1890 zu vernichten sich bemüht, und derselbe Arbeitgeberverband ist es, der auch heute wieder in Aktion tritt. Systematisch hat er die Arbeiter zu drangsalieren versucht, jeder organisierte Arbeiter wird von der Arbeit ausgeschlossen durch die besonderen Arbeitsnachweise, welche die Eüte.eeng eingerichtet hat. Suchen Sie nach einem Grunde für den Strike, so
nden Sie ihn vielleicht bei diesen Arbeitsnachweisen. Mit dem 85 8
Hinweis auf die Sozlaldemokratie als Urheberin des Strikes ka man doch nur beabsichtigen, die Strikenden beim Publikum in Miß⸗ kredit zu bringen. v. Elm, Molkenbuhr und ich, wir haben durch das
Reichstagsmandat nicht etwa aufgebört, Arbeiter zu sein; brauchen uns
die Arbeiter, so stehen wir ihnen zur Verfügung, auch wenn Herr von Boetticher uns dann hier im Reichstage vermißt. Es sist kein wahres Wort daran, daß ich in einem Schiffe der Packet⸗ fahrtgesellschaft die Strikenden haranguiert habe. Ich hätte mich auch nicht entfernt, wenn mich nicht ein Polizist, der dort ebensowenig zu suchen hatte wie ich, zum Weggehen aufgefordert hätte. von Boetticher sieht das Ende des Strikes nahen; ich kann mittheilen, daß heute die Strikeunterstützung um 1 ℳ erhöht worden ist. Die Strikenden sind durchaus für Vermittelung und werden jedes Schiedsgericht annehmen, und nicht aus Mangel an Mitteln, sondern weil sie sich der Erkenntniß nicht verschließen, was bei längerer Dauer aus den Zuständen in Hamburg werden soll. Man zieht elende, kranke, hinfällige Arbeiter als Strikebrecher nach Hamburg und schafft dadurch Uebel, welche nothwendigerweise zu einem Zustande zurückführen müssen, wie sie das Epidemiejahr 1892 für Hamburg gezeitigt hat. Die Hamburger Arbeiter wollen den Frieden und bieten die Hand dazu, sobald ihre Interessen nur die geringste Berücksichtigung erfahren. Aus den Erklärungen des Staatssekretärs selb ergiebt sich, daß der Lloyd nicht erfüllt hat, was er versprochen, daß er Lohnreduktion hat eintreten lassen; wir sind also sehr im Recht, wenn wir unsererseits unsere Stellung zu dem Lloyd verändern. Warum schont man die Leute bei der deutschen Marine in den Tropengewässern nicht, warum werden da nicht gelbe Matrosen einge⸗ stellt, wie beim Lloyd? Sobald der Lloyd so vorging, folgten die Hamburger Rheder, und so sanken die Löhne bis auf 50 ℳ, ja auf 40 ℳ, wovon kein Mensch auch nur noth⸗ dürftig leben kann. Jetzt will man die gelben Leute beseitigen; jetzt, nachdem das Unglück einmal geschehen ist. Herrn von Stumm will ich gern bei seinem Glauben lassen, daß die Sozialdemokratie aus der Hölle gekommen ist; sie ist aber weder aus dem Himmel, noch aus der Hölle gekommen, sondern ein Produkt der Verhältnisse. Auch wenn der Strike verloren geht, wird die Sozialdemokratie nicht in ihrer Fortentwicklung gehemmt werden. Sie wird sich nicht und kann sich nicht zu einer Reformpartei entwickeln.
Abg. Dr. Hahn (b. k. F.) tritt den Schlußausführungen des Abg. Legien entgegen. Er wolle nicht die Revolution, sondern die Reform. Er freue sich, daß die leßten 120 Farbigen auch noch abgeschafft werden sollen. Die Besoldung der Schiffsoffiziere des Lloyd sei durchaus nicht hinreichend. Dennoch schreie der dem Mittelstande angehörige Schiffsoffizier nicht wie der Arbeiter nach Lohnerhöhung. Daran könne sich die deutsche Arbeiterschaft vielfach ein Muster nehmen. Nach den Informationen des Redners werde der Lloyd seßt ausschließlich deutsches Fleisch auf seinen Schiffen zum Konsum ringen.
Abg. von Elm (Soz.) nimmt kurz vor 6 Uhr noch das Wort, um ebenfalls, gestützt auf ein umfangreiches, ihm vorliegendes Zahlen⸗ material, den Nachweis zu versuchen, daß der Inhalt der amtlicherseits und von den Rhedern vorgeführten Lohnlisten unrichtig sei und zu Irrthümern verleiten müsse. Redner sucht dies u. a. an der Lohnliste von Sloman klarzulegen. Diese Listen seien eben ganz tendenziös zu⸗ sammengestellt, um die Welt glauben zu machen, daß der ein⸗ zelne Mann jene horrenden Löhne von ℳ und darüber beziehe. Von Nebenverdienst könne bei den Schauerleuten schon deswegen keine Rede sein, weil sie sich stets zur Verfügung des Stauers halten müßten, auch wenn dieser keine Arbeit für sie habe. Die Einnahmen der Stauer, auch der ganz kleinen, die nur mit 6 Schauerleuten arbeiteten, bezifferten sich dagegen auf mindestens 20 000 ℳ jährlich, bei der Löschung großer Dampfer aber noch weit höher. Wenn die Stauer nur wollten, würde der Strike bald vorbei sein; diese würden alle in kurzem Millionäre. Vor der strikenden Arbeiterschaft, die sich so, musterhaft ruhig benehme, könne man nur Achtung haben.
Damit schließt die Diskussion. Die Vorlage geht an die Budgetkommission.
Schluß gegen ½ 7 Uhr. Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. (Dritte Lesung der Justizgesetznovelle.) 11¹“
Prenßischer Landtag Haus der Abgeordneten.
“ 8 “ Sitzung vom 12. Dezember 1896.
.8 den Beginn der Sitzung ist vorgestern berichtet worden.
Auf der Tagesordnung steht die der An⸗ träge der Abgg. Weyerbusch (fr. kons.) und Dr. Bachem (Zentr.) auf eines Gesetzentwurfs, be⸗ treffend die Abänderung des Kommunalabgaben⸗ gesetzes.
Minister des Innern Freiherr von der Recke: 8
Meine Herren! Wenn ich mir erlaube, zu dem hier vorliegenden Antrag des Herrn Weyerbusch einige kurze Bemerkungen zu machen, so muß ich freilich vorausschicken, daß das Königliche Staats⸗ Ministerium noch keine Veranlassung gefunden hat, zu diesem Antrage Stellung zu nehmen. Ich glaube aber, in der Annahme nicht fehl zu gehen, daß meine Auffassung sich im wesentlichen mit der des Königlichen Staats⸗Ministeriums deckt. Meine Meinung geht dahin, daß es sich nicht empfiehlt, diesem Antrage des Herrn Abg. Weyerbusch statt zu geben; ich glaubenicht, daß für den Fall der Annahme dieser Antrag Gesetz werden würde. Er bezweckt in seinem Hauptziele eine wesentliche Verschiebung der Prozentsätze, nach welchen die Real⸗ bezw. Einkommensteuern zur Aufbringung der kommunalen Bedürfnisse herangezogen werden können. 8
Der Herr Abg. Weyerbusch hat bereits darauf hingewiesen — ich erlaube mir, eben diesen Umstand ebenfalls noch in das Gedächt niß des hohen Hauses zurückzurufen —, daß im vorigen und in diesem Jahre eine wahre Fluth von Petitionen von Grund⸗ und Haus⸗ besitzern hierher gelangt ist, die in ihrer Fassung zum theil so weit über das Erlaubte hinausgingen, daß das geflügelte Wort von der gemeingefährlichen Agitation der Grund⸗ und Hausbesitzer⸗Vereine aufkam. Diese Petitionen scheuten sich nicht, der Königlichen Staats⸗ regierung ein direkt ungesetzliches Verfahren bei der Ausführung des Gesetzes zum Vorwurf zu machen. Nachdem der Herr Finanz ⸗Minister und ich in einer ausführlichen Denkschrift 8 nachgewiesen haben, daß davon gar keine Rede sein könnte und die Königliche Staatsregierung durchaus loyal dieses Gesetz ausgeführt hätte, ist das hohe Haus, ebenso wie auch das Herrenhaus, diesen Ausführungen vollständig beigetreten. — Wenn der Herr Abg. Weyerbusch nun versucht, die angeblichen Mißstände auf dem Wege der Gesetzgebung abzuschaffen, so ist das an sich gewiß ein legitimer Weg, aber materiell halte ich, wie gesagt, diesen Antrag nicht für empfehlenswerth. Zu welchen Konsequenzen er führt und welche Be⸗ deutung er hat, möchte ich Ihnen, meine Herren, nur an einigen wenigen Zahlen vor Augen führen. Während jetzt bei einer Realsteuerbelastung von 110 %, die Einkommensteuer mit 110 % belastetet werden darf, würde sie nach dem Antrage Weyerbusch schon auf 130 % steigen können; bei
120 % Realsteuerbelastung auf 160 %, bei 150 % Realsteuern auf