1897 / 22 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 26 Jan 1897 18:00:01 GMT) scan diff

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reden lassen. Ich will aber doch hier zur Rettung der Ehre der Schiedsgerichte nicht unerwähnt lassen, daß in den Geschäftsberichten des Reichs⸗Versicherungsamts, soweit sie diesen Punkt berühren, immer nur davon die Rede ist, daß die Schiedsgerichte wegen ihrer tüchtigen Leistungen, wegen ihres Eifers und wegen der sachlichen Behandlung der zu ihrer Entscheidung stehenden Prozeßsachen nicht allein An⸗

Perkennung und Vertrauen verdienen, sondern auch das Vertrauen der

Arbeiter gefunden haben. Sollte sich das in neuester Zeit geändert haben, so würde man zu untersuchen haben, worauf das zurückzuführen ist; aber das Reichs⸗Versicherungsamt hat, wie gesagt, den Schieds⸗ gerichten ein durchaus gutes Zeugniß ausgestellt.

Nun, meine Herren, komme ich zu unserer Vorlage und ins⸗ besondere zu den Bemerkungen, die am letzten Sonnabend hier über die Vorlage gemacht worden sind.

Der Herr Abg. Roesscke und die Richtigstellung dieses Punktes liegt mir besonders am Herzen meint, daß doch zwischen dem Reichsamt des Innern und dem Reichs⸗Versicherungsamt nicht alles in Ordnung sein müsse, daß da Kollisionen vorgelommen wären, daß eine Uneinigkeit herrsche, und daß schon aus diesem Grunde Vorlagen, die aus der Schmiede des Reichsamts des Innern hervorgegangen wären, nicht das volle Vertrauen verdienten. Ich habe darauf Folgendes zu erwidern:

Mirr ist von Kollisionen nichts bekannt, mir ist nur bekannt und das halte ich für etwas ganz Natürliches, zumal gegenüber einer Entwicklungsperiode, wie sie das Reichs⸗Versicherungsamt durchzumachen gehabt hat, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reichsamt des Innern und dem Reichs⸗Versicherungsamt rück⸗ sichtlich der Stellung aufgetaucht sind, welche beide Behörden zu ein⸗ ander einzunehmen haben. Abes, was darüber hinausgeht, oder darüber hinaus in der Presse behauptet wird, gehört in das Gebiet der Legende. Meine Herren, ein Organismus wie der des Reichs⸗ Versicherungsamts, neu in Bezug auf die Abgrenzung der Thätigkeit, gestellt vor eine schwierige organisatorische Aufgabe, befaßt mit der Rechtsprechung an der Hand von Gesetzen, die in dieser Beziehung einen vollständig neuen Boden bebauen, stößt natürlich bei seinen Einrichtungen, seiner Ausgestaltung und seiner Thätigkeit innerhalb der erften Jahre auf Zweifel und auf Schwierigkeiten. Ich habe von jeher den Standpunkt eingenommen, daß man einer solchen Behörde, zumal wenn sie unter die Leitung eines vertrauenswürdigen, tüchtigen Be⸗ amten gestellt ist, durchaus freien Spielraum lassen müsse, daß man nur dann einzugreifen habe, wenn ein Uebergreifen in die Sphäre oder in die Interessen anderer Zweige des Staatsorganismus zu Tage tritt. Ich habe noch niemals ex officio in die Thätigkeit des Reichs⸗Versicherungsamts eingegriffen, auch nicht in den Sachen, die unzweifelhaft unter die Aufsicht des Reichsamts des Innern fallen. Ich habe mich nur darauf beschränkt, die Beschwerden zu instruieren, die über die Thätigkeit des Reichs⸗Versicherungsamts an mich ge⸗ langten. Nun, meine Herren, so erklärlich in der ersten Zeit der Ausgestaltung des Reichs⸗Versicherungsamts die Zweifel über die gegenseitige Stellung der beiden Behörden zu einander waren, so haben sie doch aufgehört, erklärlich zu sein, und sind auch, soviel ich weiß, durchaus verschwunden, seitdem in dieser Beziehung eine Entscheidung des Herrn Reichskanzlers, dem die Sache vorgetragen wurde, ergangen ist. Ich nehme keinen Anstand, diese Entscheidung in ihrer Begrün⸗ dung dem Reichstage mitzutheilen, damit daraus ersehen werde, daß die Ordnung des gegenseitigen Verhältnisses durchaus im Einklang mit dem Gesetze und im Einklang mit der Auffassung steht, welche auch

hier im Reichstage die maßgebende gewesen ist. Es heißt in einem

Erlaß des Herrn Reichskanzlers vom 4. März 1893:

„In allgemeiner Beziehung beschränke ich mich für jetzt auf en Hinweis, daß dem Staatssekretär des Innern, dessen Aufsicht as Reichs⸗Versicherungsamt unterliegt, nicht nur eine Ueberwachung

des Geschäftsganges, sondern auf dem Gebiete der eigentlichen Ver⸗ waltung auch eine sachliche Einwirkung auf die Geschäftsführung des Reichs⸗Versicherungsamts zusteht. Die entgegengesetzte Auf⸗ ssung würde mit der dem Reichskanzler verfassungsmäßig ob⸗ egenden Verantwortlichkeit für die Thätigkeit der Reichsverwaltung nd ihrer Organe nicht vereinbar sein. Hätte das Reichs⸗Ver⸗

scherungsamt auf dem Gebiet der ihm übertragenen Verwaltungs⸗

befugnisse einer jeden sachlichen Einwirkung entrückt sein sollen, so hätte eine solche Sonderstellung im Gesetz ausdrücklich ausgesprochen werden müssen. Dies ist nicht geschehen und kann insbesondere auch aus dem als ausnahmeeinschränkend auszulegenden Satze des § 88 des Unfallversicherungsgesetzes: Alle Entscheidungen des Reichs⸗Versicherungsamts sind end⸗ Fültig, soweit in diesem Gesetze nicht ein anderes gesagt wird“ icht gefolgert werden. Dies um so weniger, als in den parla⸗ mentarischen Verhandlungen über das Unfallversicherungsgesetz von den Vertretern der verbündeten Reglerungen, ohne Widerspruch m erfahren, der Grundsatz ausgesprochen worden ist, daß das Auf⸗ sichtsrecht des Staatssekretärs des Innern nach der Seite der

dministrativen Aufgabe des Reichs⸗Versicherungsamts einen positiven Inhalt habe.“

Der verlesene Erlaß beweist, daß die Frage nach der Stellung der beiden Behörden zu einander Gegenstand einer Prüfung des Herrn Reichskanzlers gewesen ist. Zu dieser Prüfung sind auch die Mit⸗ glieder des Reichs⸗Versicherungsamts, welche gleichzeitig dem Bundes⸗ rath angehören, zugezogen, und diese Entscheidung muß nunmehr bis zu etwaiger anderweitiger gesetzlicher Regelung maßgebend bleiben.

Meine Herren, ich habe nicht das Bedürfniß nach Machterweite⸗ rung, im Gegentheil, ich fühle, daß mein Arbeitspensum ein so reich⸗ liches und ausgiebiges ist, daß auch ich wohl nach einer Entlastung streben könnte. Und von diesem Gesichtspunkte aus könnte ich nichts dagegen haben, wenn man dem Reichs⸗Versicherungsamt eine noch selbständigere Stellung geben wollte. Allein, meine Herren, staats⸗ rechtliche Bedenken und die Auffassungen der Regierungen, soweit sie mir bekannt geworden sind, lassen diesen Plan der Erfüllung in naher Zeit nicht entgegenreifen.

Man hat an diese Erörterungen sodann die weitere Bemerkung geknüpft: es sei bedauerlich, daß das Reichs⸗Versicherungsamt bei dieser Novelle nicht gehört worden sei. Auch dies ist nicht richtig. Ich habe hier einen Aktenauszug vor mir, und die betreffenden Akten stehen den Herren, die sich dafür interessiren, zur Einsicht zur Verfügung. Daraus ergiebt sich, daß die ersten Schritte einer Kor⸗ rektur unserer Unfallversicherungs⸗Gesetzgebung und die ersten Ver⸗ handlungen zwischen dem Reichsamt des Innern und dem Reichs⸗ Versicherungsamt bereits im Jahre 1885 begonnen haben. Im

darüber aufgefordert, ob eine Ausdehnung der Unfallversicherung auf alle Betriebe des Handwerks Bedüzfniß sei, svenzuell mit welchen Modifikationen. Im November 1885 berichtet das Reichs⸗Versiche⸗ rungsamt, es empfehle sich, die künftige Einbeziehung aller gewerb⸗ lichen Betriebe als Ziel im Auge zu bebhalten; dagegen sei mit dieser Erweiterung nicht schon jetzt vorzugehen. Im März

1887 kommt eine erneute Anfrage an „das Versicherungs⸗

amt, und im Mai 1887 legt das Versicherungsamt eine Denkschrift über die weitere Ausdehnung der Unfallversicherung vor. Es äußert sich dabei dahin: für die Ausdehnung auf das Handwerk und alle sonstigen Kleinbetriebe, Hausindustrie, Kunst⸗ gewerbe, Gastwirthschaft u. s. w. bestehe ein dringendes Bedürfniß; für Handwerk und Kleingewerhbe wird die Organisation in örtliche Verbände empfohlen, wie sie denn auch in dem vom Reichsamt des Innern ausgearbeiteten, im Jahre 1894 veröffentlichten Erweiterungs⸗ gesetzentwurf vorgesehen wurde. Im Juni 1890, aus Anlaß der Anträge der sozialdemokratischen Partei vom 7. Mai 1890, ist ein neuer Bericht erfordert, nach welchen Richtungen sich das Bedürfniß geltend gemacht habe, die Unfallversicherungsgesetze abzuändern. Dieser Bericht ist im Oktober 1890 eingegangen. Das Reichs⸗Versicherungs⸗ amt berichtet darin nach Anhörung der Berufsgenossenschaften, daß in erster Linie die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Handwerk und Handelsgewerbe erforderlich sei; nur eventuell wird eine Reihe von Abänderungsvorschlägen befürwortet. Ferner sind in einer großen Anzahl von Fällen einzelne, an das Reichsamt des Innern gelangte Eingaben über Erweiterung und Abänderung der Unfallversicherungs⸗ gesetze an das Reichs⸗Versicherungsamt zum Bericht übersandt, und um⸗ gekehrt sind vom Reichs⸗Versicherungkamt in großer Zahl Eingaben unter Bezugnahme auf die bezeichneten generellen und ausführlichen Berichte an das Reichsamt des Innern überreicht worden, sodaß das Reichsamt des Innern über die Anschauungen des Reichs⸗Versicherungsamts bezüglich der Reformbedürftigkeit der Unfallversicherungsgesetze und bezüglich der Frage, nach welcher Richtung die Reform einzutreten habe, keinen Augenblick im Zweifel gewesen ist. Unter Berücksichtigung dieser Anschauungen ist dann im Reichsamt des Innern zuerst im September 1887 der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Weiter⸗ führung der Unfallversicherung, ausgearbeitet worden. Diesem Entwurf wurde damals keine weitere Folge gegeben. Im Mai 1891 sind sodann im Reichsamt des Innern Grundzüge über die Aus⸗ dehnung der Unfallversicherung, wobei gleichzeitig Abänderungen der bestehenden Gesetze vorgesehen waren, aufgestellt und dem Reichs⸗ Versicherungsamt mitgetheilt worden. Am 29. Juni 1892 hat über diese Grundzüge unter Betheiligung des Präsidenten des Reichs⸗ Versicherungsamts und des ständigen Mitgliedes, Geheimen Raths Dr. Zacher eine Konferenz im Reichsamt des Innern stattgefunden. Auf den bei dieser Besprechung gewonnenen Resultaten beruhen die Gesetzentwürfe, betreffend die Erweiterung und die Abänderung der Unfallversicherung, die im Jahre 1894 dem Bundesrath vorgelegt worden sind, und auf denen die jetzige Vorlage beruht.

Also, meine Herren, eine Betheiligung des Reichs⸗Versicherungs⸗ amts beziehungsweise seiner Vertreter hat stattgefunden, und wir haben auch anderweit reichliche Information über die Anschauungen, die dort maßgebend sind, gehabt. Denn einmal standen dem Reichs⸗ amt des Innern verschiedene Arbeitskräfte, die vorher im Reichs⸗ Versicherungsamt als Mitglieder thätig gewesen waren, zur Verfügung, und außerdem besitzen wir in meinen verehrten Herren Kollegen vom Bundesrath, die heute auch zugegen sind, bereitwillige Mitarbeiter, die über die Rechtsanschauungen und die Erfahrungen des Reichs⸗ Versicherungsamts, dem sie als nichtständige Mitglieder angehören, durchaus orientiert sind.

Man hat nun davon gesprochen, daß der gegenwärtige Gesetz⸗ entwurf darauf ausginge, die Stellung des Reichs⸗Versicherungsamts herabzudrücken. Sie werden schon aus den Bemerkungen, die ich vorhin gemacht habe und die nun hoffentlich jeden Zweifel beseitigt haben, ersehen, daß es mir nicht einfallen kann, eine Behörde, deren Thätigkeit ich in hohem Maße schätze, herabdrücken zu wollen. Aber ich werde auch die Ehre haben, an der Hand der Bestimmungen, welche von Herrn Abg. Roesicke, insbesondere und auch von dem Herrn Abg. Grillenberger, zum Beweise dafür herangezogen sind, daß, wenn nicht absichtlich, doch wenigstens thatsächlich eine Herabdrückung des Reichs⸗Versicherungsamts eintrete, den Beweis zu liefern, daß diese Behauptung der Begründung entbehrt.

Meine Herren, das Reichs⸗Versicherungsamt ist eine überaus belastete Behörde; die Thätigkeit, insbesondere auch die Spruchthätigkeit, hat eine Ausdehnung genommen, von der wir, die wir seiner Zeit die Gesetze gemacht haben, doch keine rechte Vorstellung gehabt haben. Das Reichs⸗Versicherungsamt selbst erkennt das Bedürfniß, entlastet zu werden, vollständig an. Noch neuerdings ist ein Bericht einge⸗ gangen, der ein solches Bedürfniß ausdrücklich anerkennt. Uad wenn wir nun bei der Prüfung, wo entlastet werden kann, bei denjenigen Zweigen der Thätigkeit eingesetzt haben, die vorzugsweise diese Be⸗ lastung herbeiführen, so wird man das doch nicht mißbilligen können.

Der erste Paragraph, aus dem eine Herabdrückung des Reichs⸗ Versicherungsamts gefolgert wird, ist der § 46. Da liegt die Sache so, daß, wenn die Schiedsgerichte ihre Thätigkeit über die Gebiete verschiedener Bundesstaaten erstrecken, bisher das Reichs⸗ Versicherungsgamt im Einvernehmen mit den betreffenden Landes⸗ Zentralbehörden den Sitz dieser Schiedsgerichte festzustellen hat, wäh⸗ rend der Entwurf an Stelle des Reichs⸗Versicherungsamts hier den Reichskanzler setzt. Damit nun auch hier nicht etwa eine Bosheit des Reichsamts des Innern vermuthet wird, kann ich den Herren sagen, daß ich an dieser Sache vollständig unschuldig bin; daß diesen Antrag auch nicht Preußen, sondern ein anderer Bundesstaat im Bundesrath gestellt hat, und daß der Bundesrath diesem Antrage um deswillen Folge gegeben hat, weil nach den bestehenden Grundsätzen den all⸗ gemeinen Verkehr unter den Bundesstaaten, namentlich wenn es sich um die Feststellung eines Einvernehmens handelt, der Reichs⸗ kanzler zu besorgen hat. Ich bin fest überzeugt, daß, wenn der Reichstag wünscht, in dieser Beziehung den alten Zustand zu konser⸗ vieren, auch der Bundesrath aus dieser Frage keinen casus belli herleiten wird. Uebrigens hat ja der Bundesrath selber sich einer ähnlichen capitis deminutio, wenn eine solche darin gefunden werden könnte, unterzogen; denn ihm ist die bisherige Zuständigkeit, in solchen Fällen die Zahl der Schiedsgerichte zu bestimmen, genommen.

Nun wird als zweiter Paragraph, welcher unzweifelhaft die Absicht ergeben soll, das Reichs⸗Versicherungsamt herunter⸗ zudrücken, der § 63 angezogen, welcher eine Einschränkung des Re⸗

Juli 1885 wurde das Reichs⸗Versicherungsamt zur Berichterstattung

kurses vorsieht insofern, als er die Rekursfähigkeit derjenigen Fälle

beseitigt, in denen es sich lediglich um die Frage der Verminderung

der Erwerbsfähigkeit und um die Berechnung des Jahres⸗Arbeits⸗

verdienstes handelt. Meine Herren, wenn Sie den Geschäftsbericht des Reichs⸗Versicherungsamts vom vergangenen Jahre, der Ihnen unter Nr. 158 der vorjäbrigen Drucksachen vorgelegt ist, und zwar die vergleichende Uebersicht über die Thätigkeit des Reichs⸗Versiche⸗

rungsamts auf. Seite 15, eines Blickes würdigen wollen, so werden Sie

dort finden, daß eine erstaunliche Vermehrung der Rekursfälle zu ver⸗ zeichnen ist. Während im Jahre 1887 nur 1200 Rekurse vorlagen, weist das Jahr 1888 schon 2300, 1889: 2600, 1890: 3200, 1891: 4500, 1892: 5400, 1893: 6900, 1894: 8700, und 1895: 11 100 Rekurse auf. Meine Herren, das ist eine ganz kolossale Stei⸗ gerung, und die Frage ist doch wohl berechtigt: wo soll das hinaus, wenn wir nicht auf Mittel sinnen, welche die Rekurse beschränken?

Ein solches Mittel glaubt der Bundesrath sentdeckt zu haben und ich meine, er hat Recht —, wenn er, in Anlehnung an Vor⸗ schriften, die auf dem Gebiete der Versicherungsgesetzgebung bereits Rechtens sind, die Rekursfähigkeit gewisser Fälle beschränkt. Wir haben in dem Verfahren auf Grund des Invaliditäts⸗ und Alters⸗ versicherungsgesetzes bekanntlich den Rekurs überhaupt nicht, sondern nur die Revision, und diese kann nur eingelegt werden, wenn es sich entweder um die unrichtige Anwendung eines Rechtssatzes handelt, oder wenn gegen den klaren Inhalt der Akten erkannt ist oder wenn wesentliche Mängel des Verfahrens vorliegen.

Meine Herren, die Revision wurde bei der Invaliditäts⸗ und Altersversicherung anfänglich sehr bedenklich gefunden. Ich weiß, wir haben hier im Reichstage eine lebhafte Diskussion gehabt, ob es sich empfehle, ein Rechtsmittel einzuführen, was nicht für alle diejenigen Fälle wirksam sei, in denen der Arbeiter den Wunsch hat, daß die Sache an die höchste Instanz zum Spruch gebracht werde. Die Revision hat sich aber gut eingelebt, und hat, wie ich höre, auch im Reichs⸗Eisenbahnamt infolge der Erfahrungen, die man bei ihrer Anwendung gemacht hat, durchaus Freunde gefunden. Namenklich hat man auch die früher daran geknüpften Befürchtungen um deswillen fallen lassen, weil sich gezeigt hat, daß die bestehenden Vorschriften völlig aus⸗ reichen, um die Entscheidungen der Schiedsgerichte, soweit erforder⸗ lich, zu berichtigen. Wenn hiernach die Einführung der Revision statt des Rekurses auch bei der Unfallversicherung an sich wohl statt⸗ haft erschienen wäre, so geht doch der vorliegende Entwurf nicht so weit; im Hinblick auf die Verschiedenheit der Rechtsgebiete enthält vielmehr die Vorlage für die Unfallversicherung eine weniger weit⸗ greifende Beschränkung des letztinstanzlichen Rechtsmittels, indem nur einzelne thatsächliche Fragen von der Nachprüfung durch das Reichs⸗ Versicherungsamt ausgeschlossen werden sollen. Wir befinden uns aber dabei, nach meiner Meinung, nicht nur auf einem in der Arbeiterversicherungs⸗Gesetzgebung schon betretenen Wege, sondern es werden auch sachliche Bedenken gegen diese Einschränkung um so weniger aufkommen können, als nach den für die Unfallversicherung geltenden Bestimmungen schon jetzt eine Beschränkung der Rekurs⸗ fähigkeit in ähnlicher Richtung, nämlich in Bezug auf Renten für vorübergehende Erwerbsunfähigkeit, auf Kosten des Heilverfahrens und auf Beerdigungskosten zu Recht besteht. Dazu kommt, daß die Schieds⸗ gerichte nach ihrer Zusammensetzung für die in Frage kommenden thatsächlichen Entscheidungen geeigneter sind als das Reichs⸗Versiche⸗ rungsamt. Denn im Schiedsgericht sitzen 2 Arbeitgeber, 2 Arbeit⸗ nehmer und 1 Vorsitzender; also 4 Laien, die die Feststellung der Thatsache, inwieweit eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, besser vornehmen können als ein Kollegium, welches so zusammen⸗ gesetzt ist wie die Rekursabtheilung des Reichs⸗Versicherungsamts, in dem das Beamtenelement überwiegt. Wenn wir diese Einschränkung vornehmen, dann entziehen wir der Thätigkeit des Reichs⸗Versiche⸗ rungsamts etwa 50 % der Rekursfälle, führen damit also eine wesentliche Entlastung herbei, und diese Entlastung ist es, auf die es ja wesentlich ankommt. 1

Man wendet ein: ja, aber die Einheitlichkeit der Rechtsprechung! Ja, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung kann doch eigentlich nur dann in Frage kommen, wenn es sich um die Auslegung der Gesetze, um Rechtsfragen, handelt; schwerlich aber dann, wenn es sich lediglich um die Feststellung und Würdigung von Thatsachen handelt.

Man hat weiter den § 87 als eine Beschränkung des Reichs⸗ Versicherungsamts beziehungsweise als einen Beweis für die Herab⸗ drückung seiner Stellung angeführt. Dieser § 87 sieht vor, daß an Stelle der vier Mitglieder, die bisher der Bundesrath zu Mitgliedern des Reichs⸗Versicherungsamts zu wählen hatte, künftig sechs gewählt werden sollen, und daß von diesen sechs nur vier dem Bundes⸗ rath anzugehören brauchen. Meine Herren, diese Vorschrift hat der Bundesrath noch in letzter Stunde auf Grund eines Antrags des preußischen Herrn Handels⸗Ministers in den Entwurf aufgenommen, und wenn ich Ihnen die Motivierung dieses Wunsches mittheilen werde, so zweifle ich nicht daran, daß Sie diesen Wunsch für durchaus gerechtfertigt halten werden.

Der preußische Handels⸗Minister hat unter dem 18. Oktober v. J. dem Reichskanzler den Wunsch nahegelegt, es möge die Zahl der vom Bundesrath zu wählenden Mitglieder des Reichs⸗Versicherungsamts erhöht werden. Er nimmt in seiner Begründung Bezug darauf, daß die vier nächst Preußen größten Bundesstaaten ein ihnen angehörendes Mitglied im Reichs⸗Versicherungsamt haben, daß sie dadurch die Fühlung zwischen dem Reichs⸗Versicherungsamt und den Landes⸗ regierungen herstellen können, und daß diesen Vortheil die preußische Regierung entbehre. Der Herr Minister sagt:

Die genannten vier Bundesstaaten sind, da sie von der Be⸗ fugniß zur Errichtung von Landes⸗Versicherungsämtern Gebrauch gemacht haben, an der Rechtsprechung und Verwaltung des Reichs⸗ Versicherungeamts weitaus weniger interessiert als Preußen, das ein Landes⸗Versicherungsamt nicht besitzt. Während jene Bundes⸗ staaten durch ihre Landes⸗Versicherungsämter, welcher ihrer Aufsicht unterstehen, jetzt in der Lage sind, über den Gang der Recht⸗ sprechung und die Zweckmäßigkeit der gesetzlichen Bestimmungen sich eingehend zu unterrichten, fehlt es Preußen an jeder Gelegenheit, die nöthigen Informationen zu erhalten und damit den Ueberblick über die praktische Gestaltunz der Gesetze und die Angemessenheit der Rechtsprechuns zu gewinnen. Der Mangel an jeglicher Fühlung mit dem Reichs⸗ Versicherungsamt tritt gerade in Preußen um so störender herver⸗ als das Reichs⸗Versicherungsamt vielfach in die Verwaltungssphäre⸗

der Landesbehörden eingreifen oder doch auf ihre U terstütans

rechnen muß.

Alfo, meine Herren, Sie sehen: ein rein sachlicher Grund hat zu diesen Vorschlägen geführt. Wenn man sich die Zahlen der Mit⸗ glieder vergegenwärtigt, zu denen sich das Reichs⸗Versicherungsamt außgewachsen hat, wenn man berücksichtigt, daß von anfänglich drei ständigen Mitgliedern es deren 38 geworden sind, und daß die nicht ständigen Mitglieder, soweit sie den Arbeitgeber⸗ und Arbeiterkreisen

angehören, von 4 auf 12 gediehen sind, ungerechnet die zahlreichen

Stellvertreter der letzteren, so werden Sie es an sich ganz begreiflich finden, daß der Bundesrath, gestützt auf die Anregung der Regierung des größten Bundesstaats, auch den Wunsch hat, die Zahl seiner Mitglieder vermehrt zu sehen. (Zuruf.) Der Herr Abg. Roesicke wendet mir ein: „seiner Mitglieder“. Ich könnte ja diese Frage der Kommissionsberathung vorbehalten; ich will ihm aber gleich sagen: dem Herrn Königlich preußischen Handels⸗Minister kommt es wesentlich darauf an, daß jemand gewählt werde, der zu ihm in besonderen Beziehungen steht, über den er verfügen kann, von dem er jeden Tag die Information, die er bezüglich des Reichs⸗Ver⸗ sicherungsamts gebraucht, erhalten kann. Der betreffende Beamte könnte ja auch zum Bundesrathsbevollmächtigten ernannt werden; dann wäre jeder Einwand abgeschnitten.

Nun komme ich auf einen andern, nicht minder stark betonten Paragraphen, den § 90, durch welchen die Besetzung der Spruch⸗ kammer mit 5 statt mit 7 Mitgliedern eingeführt werden soll. Auch das ist eine einfache Fortbildung des bereits gewonnenen Rechtsbodens. In der Invaliditäts⸗ und Altersversicherung haben wir die Vorschrift, daß die Spruchkammern des Reichs⸗Versicherungsamts aus fünf Mit⸗ gliedern bestehen, und es ist ein sachlicher Grund kaum zu finden, der, wenn es sich einmal um die Entlastung des Reichs⸗Versicherungsamts handelt, dafür spräche, bei der Unfallversicherung den stärkeren Kräfteverbrauch auch ferner aufrecht zu erhalten. Daß ein Spruchkollegium, das aus 7 Mitgliedern besteht, um deswillen einen hervorragenderen Ruf genießen sollte als ein Spruchkollegium von 5 Mitgliedern, das wird doch niemand behaupten wollen. Das Spruchkollegium von 5 Mit⸗ gliedern kann unter Umständen durch die Sachlichkeit seiner Leistungen einen viel besseren Ruf verdienen, als cin stärkeres Kollegium. Die Besetzung der Spruchkammern hat sich für die Invaliditäts⸗ und Altersversicherung mit 5 Mitgliedern in der Praxis bewährt. Es ist daher in der That nicht abzusehen, weshalb man den gelungenen Ver⸗ such, den man bieher gemacht hat, bezüglich der Unfallversicherung nicht fortsetzen sollte. Außerdem hat der Entwurf das Korrektiv getroffen, daß dann, wenn von einem Rechtssatz, den eine Spruchkammer schon früher festgestellt hat, abgewichen werden soll, eine erweiterte Spruchkammer in Wirksamkeit tritt, die in der Besetzung von 7 Mitgliedern unter dem Vorsitz des Präsidenten zu entscheiden hat. Ich glaube, daß damit eine ausreichende Rechtsgarantie gegeben ist.

Dann hat man den § 106 angezogen. Man hat gemeint: dadurch, daß man dem Reichs⸗Versicherungsamt die Befugniß, über Straf⸗ beschwerden zu entscheiden, wesentlich einschränke vollständig wird sie ja nicht beseitigt —, trage man dazu bei, diese Behörde in ihrer Geltung herabzudrücken. Auch diesen Einwand kann ich nicht gelten lassen. Bei den Strafbeschwerden, die nicht mehr an das Reichs⸗ Versicherungsamt gehen, sondern von einer durch die Landes⸗ regierung bestellten Behörde entschieden werden sollen, handelt es sich in der Hauptsache um ganz geringfügige Dinge, die wegen des geringen Werthes, den sie haben, garnicht vor einen so hoch⸗ gestellten Gerichtshof, wie es das Reichs⸗Versicherungsamt ist, gehören. Ich behaupte geradezu, daß man, wenn man alle diese kleinen Dinge dem höchsten Richter entzieht, dadurch dazu beiträgt, seine Stellung zu heben.

Ich beschränke mich auf diese Ausführung zu der Frage, ob durch unsere Vorschläge eine Herabsetzung des Reichs⸗Versicherungsamts herbeigeführt wird. Ich bestreite das und bestreite vor allen Dingen, daß an irgend einer Stelle die Absicht vorgelegen hat, auf diesen Gebieten einen Zustand zu schaffen, den ich selbst für durchaus unbe⸗ rechtigt halten würde.

Man hat dann noch die Vorschrift bemängelt, welche im § 91 über die Kosten des Verfahrens getroffen ist Es liegt den verbündeten Regierungen durchaus fern, die Kostenfreiheit der Verhandlungen vor den Gerichten der Unfallversicherungsgesetzgebung aufzuheben; im Gegentheil, die Kostenfreiheit soll aufrecht erhalten werden. Inzwischen hat sich aber das Bedürfniß herausgestellt, wenigstens gegenüber solchen Anträgen einen Riegel vorzuschieben, die als frivole und bewußt unsachliche erkannt worden; man hat daher die Befugniß, nicht etwa die Nöthigung, vorgesehen, in solchen Fällen Kosten aufznerlegen.

Auch in dieser Beziehung enthält der Entwurf nichts Neues. Derselbe Satz gilt bereits für die Invaliditäts⸗ und Altersversicherung, dort allerdings nur für das schiedsgerichtliche Verfahren, weil dort bei dem Verfahren vor dem Reichs⸗Versicherungsamt wegen der allein zugelassenen Revision Anträge auf Beweiserhebung nicht vorkommen. Hier hat man denselben Satz übernommen, nicht in der Absicht wie der Herr Vorredner Grillenberger sagt —, um jeden Renten⸗ bewerber, dessen Anspruch sich als unbegründet herausstellt, damit zu strafen, daß man ihm Kosten auferlegt, sondern nur für den Fall, daß man sich Anträgen gegenüber befindet, von denen der Antragsteller wissen mußte, daß sie nicht zum Ziele führen konnten.

Nachdem ich nun also uns gegen die erhobenen Vorwürfe aus⸗ reichend verwahrt zu haben glaube, verweise ich alles, was sonst noch hier von verschiedenen Herren ausgesprochen ist die Zweifel an der Auslegung, die Klarstellung einzelner Vorschriften —, auf die Kom⸗ missionsberathung, und ich glaube damit auch dem Interesse des Hauses zu dienen. Ich kann nur wünschen, daß dieser Gesetzentwurf, welcher vorgelegt worden ist in dem Bestreben, die Mängel und Lücken abzustellen, die auf dem Gebiete der Unfall⸗ versicherung hervorgetreten sind und deren Erxistenz ja niemandem auffallen kann, der die Entstehung unserer Unfallversiche⸗ rung ab ovo verfolgt hat, ich sage, ich kann nur wünschen, daß dieser Gesetzentwurf zu dem erstrebten Ziele führen möge. Wenn ich aber zu meiner Freude aus den Vorträgen, die bisher zu dem Entwurf zehalten sind, die Ueberzeugung entnehmen darf, daß alle Parteien an dieser Korrektur mitarbeiten wollen, so zweifle ich nicht, daß wir in einem guten Ende kommen werden, und vor allen Dingen dann, wenn wir uns immer gegenwärtig halten, daß die Unfallversicherung ein nationales Werk von eminenter Bedeutung ist, dienend zum

der arbeitenden Klassen. (Bravo!)

Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Die Wohlthaten der anlagvefgcherog

n vom ganzen Volke anerkannt, und die Sozialdemokraten selbt ekennen sie an, denn sie haben ihre ablehnende Abstimmung zu er⸗

angekommen, so wären die Entschädigungen nicht gezahlt worden. Wenn die Sozialdemokraten die Mehrbeit erlangt hackane⸗ so wäre ja vielleicht mehr geschehen; sie haben aber immer ihren Eigensinn be⸗ wahrt, und sogar beim Bürgerlichen ee sind die Herren schließlich zu den Gegnern übergegangen. enn die Gesetze wieder aufgehoben werden sollen, dann stimmen die Sozialdemokrater da⸗

des Invalidenversicherungsgesetzes. Iso muß die Gesetzgebung do gut sein. Die Sozialdemokraten verlangen die Aus ehnung der Unfallversicherung auf das Handwerk, die Kausindustrie ꝛc., also muß die Vorlage doch etwas Gutes enthalten. Vom Stand⸗ punkt der Arbeiter thut man auch wohl, wenn man eine Aner⸗ kennung dafür ausspricht, sonst kommt die Stimmung in den Vordergrund, daß die Arbeiter doch nicht zufrieden zu stellen sind, also Stillstand der Sozialgesetzzebung. Für die Unfall⸗ verhütung ist Manches geschehen; wenn es auch nicht viel ist, so muß man doch dafür dankbar sein. Daß eigentlich die Arbeitgeber versichert sind, ist auch ein Fortschritt, denn dadurch sind die verbitternden Haftpflichtprozesse verschwunden. Die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Handwerk und Handel würde ich gern sehen; aber ich muß den verbündeten Regierungen beitreten: die Kosten der Organisation würden außer Verhältniß stehen zu den sachlichen Leistungen. Das zeigen schon die Schornsteinfeger. Berufsgenossenschaft und einige andere Ge⸗ nossenschaften, die vorzugsweise kleine Betriebe umfassen. Die Sache ist auch nicht mehr so dringend, seitdem wir die Invalidenversicherung haben. Deshalb bin ich für die zweckmäßige Abcundung der Unfall⸗ versicherung, welche die Regierungsvorlage bringt. Die Stellung der Arbeiter in den Berufsgenossenschaften ist noch nicht genügend ge⸗ wahrt, sie könnte verbessert werden. Die Beiträge der Arbeitgeber sind Theile des Arbeitslohnes, sie stellen die Risikoprämie dar. Die Arbeitgeber und die Arbeiter sind gleichberechtigt bei der Unfallunters uchung, bei den Unfallverhütungsvorschriften, bei den Krankenkassen und bei den Schiedsgerichten, sowie beim Reichs⸗Versicherungsamt. Bei der ersten Fecttenune sollten die Arbeiter mitwirken, und die Berufsgenossen⸗ chaften sollten nicht selbständig Festsetzung treffen können, wodurch die Arbeiter an die Schiedsgerichte zu gehen gezwungen sind. Darin erblicken die Berufsgenossenschaften wiederum ein Mißlrauen. Die Mitwirkung der Arbeiter bei der ärztlichen Behandlung und bei den Heilanstalten sollte ebenfalls eingeführt werden. Die Arbeiter lassen nicht gern von den Persönlichkeiten der Berufsgenossenschaften über sich verfügen, wenn auch z. B. bei dem Mißtrauen gegen die Krankenanstalten manches Vorurtheil mitwirkt. Daß die Wieder⸗ herstellung der Arbeitskraft besser ist als eine Rente, haben die Sozial⸗ demokraten oft genug selbst betont. Mitsprechen sollten die Arbeiter auch bei der Herabsetzung der Renten, wobei die Berufsgenossen⸗ schaften oft willkürlich verfahren. Die festgesetzte Rente sollte unverändert bleiben, bis die Berufsgenossenschaft ibrerseits die Klage beim Schiedsgericht durchbringt. Die Gewährung einer Rente von zwei Dritteln des Lohnes an Stelle dessen, was durch den Haftpflichtprozeß erzielt werden konnte, ist ein großer Fortschritt; aber ich möchte doch anheimgeben, ob man nicht die Rente auf drei Viertel erhöhen und überhaupt das Unfallversicherungsgese etwas ausbauen könnte. Allerdings beziehen Arbeiter manchmal 86 Bewilligung einer Rente ihren alten Lohn weiter; aber das sind Aus⸗ nahmen, günstige Fälle; vielfach aber müssen die Leute erst überhaupt eine neue Arbeit suchen und finden sie nicht immer zu dem ent⸗ sprechenden Lohne. 90 % der Zahl der Unfälle fallen den Kranken⸗ kassen zur Last; aber die schweren Unfälle mit dauernder Erwerbs⸗ unfähigkeit fallen den Berufsgenossenschaften zur Last, und dem Geldbetrage nach werden diese 85 % ausmachen, während die Kranken⸗ kassen 15 % tragen. Von der 5. bis zur 13. Woche trägt der Arbeitgeber gewisse Lasten; die Vorlage will diese Kosten der Berufsgenossenschaft auferlegen. Das ist nicht gut durchführbar bei der Schwerfälligkeit der berufsgenossenschaftlichen Organisation, die sich z. B. über ganz Deutschland erstreckt. Mit solchen kleinen Fällen sollte man die Berufsgenossenschaft nicht belasten. Ich erkläre mich gegen iede Einschränkung des Rekursrechts. Es handelt sich hier um eine wohlthäͤtig wirkende Gesetzgebung: da sollte man nicht kleinlich verfahren, sondern dem Arbeiter jeden Schutz gewähren. Daß die Seeberufsgenossenschaft aus der Invalidenversicherung ausscheiden kann, begrüße ich mit Freuden. Es sollte Vorsorge dafür getroffen werden, daß die Berufsgenossenschaften, die es beantragen, ebenfalls aus der Invalidenversicherung ausscheiden können, namentlich wenn sie auch Wittwen⸗ und Waisengelder gewähren wollen. Die Berufs⸗ genossenschaften sollten das Recht erhalten, die Arbeitszeit zu regeln, die Arbeitslosen⸗Versicherung zu übernehmen, das Lehrlingswesen zu ordnen u. s. w. Auf diesem Gebiete sind die Aufgaben der Berufs⸗ genossenschaften noch nicht abgeschlossen.

Ein Vertagungsantrag wird hierauf angenommen.

Persönlich bemerkt der

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Als der Staatssekretär vo Boetticher von der Fürsorge der Arbeiter sprach, rief der Abg. Stadt⸗ hagen dazwischen: „Soweit es Herr von Stumm erlaubt!“ Ich muß bemerken, daß, soweit es auf meine Erlaubniß ankommt, diese Für⸗ sorge einen sehr weiten Raum einnehmen kann. Denn eines der Haupterfordernisse, das ich schon im Jahre 1869 und 1878 wieder verlangt habe, ist bis heute noch nicht erfüllt: ich meine die Wittwen⸗ und Waisenversorgung, und wenn Herr Stadthagen nun den Antrag stellen will, daß dieses Postulat, das wichtiger ist und mehr Geld kostet als das, was Herr Grillenberger verlangt hat, er⸗ füllt wird, so gebe ich ihm schon heute meine Erlaubniß hierzu.

Schluß 5 ¼ Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr. (Fortsetzung der ersten Berathung der Novelle zu den Unfall⸗ versicherungsgesetzen, Wahlprüfungen und erste Berathung der

Konvertierungsvorlage.)

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Reichstag ist folgender Entwurf einer Grund⸗

buchordnung zugegangen: Erster Abschnitt. Allgemeine Vorschriften. § 1.

Die Grundbücher werden von den Grundbuchämtern geführt.

Die Einrichtung der Bücher bestimmt sich noch den Anordnungen der Landes⸗Justiz⸗Verwaltung, soweit sie nicht in diesem Gesetze geregelt ist.

§ 2.

Die Grundbücher sind für Bezirke einzurichten.

Die Bezeichnung der Grundstücke erfolgt in den Büchern nach einem amtlichen Verzeichniß, in welchem die Grundstücke unter Nummern oder Buchstaben aufgeführt sind. Die Einrichtung des Verzeichnisses wird durch landesherrliche Verordnung bestimmt.

§ 3.

Jedes Grundstück erhält im Grundbuch eine besondere Stelle (Grundbuchblatt). Das Grundbuchblatt ist für das Grundstück als das Grundbuch im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzusehen.

Ueber mehrere Grundstücke desselben Eigenthümers, die im Bezirk desselben Grundbuchamts belegen sind, kann ein gemeinschaft⸗ liches Grundbuchlatt geführt werden, solange hiervon Verwirrung nicht zu besorgen ist. 85

Ein Grundstück soll nur dann einem anderen Grundstück als Bestandtbeil zu eschrieben oder mit ihm vereinigt werden, wenn dier⸗ von Verwirrung nicht zu besorgen ist.

§ 6. Soll ein Grundstückstheil mit elnem Rechte belastet werden, se

klären versucht. Wäre es auf die Abstimmung der Sozialdemokraten stück

gegen, z. B. Herr. Grillenberger gegen die beantragte Aufhebung

last, so kann die Abschreibung unterbleib nicht zu besorgen nesch g unterbleiben, wenn hiervon Verwirrung

§ 7.

Ist auf dem Blatte eines Grundstücks ein Erbbaurecht ein⸗ getbtlen, d 1 auf 1 dieses 9* ein NLesenn Grund⸗ bu⸗ nzulegen. ie Anlegung erfolgt von Amtswegen, wenn das Recht veräußert pder belastet 8e cnf 8 8

Die Anlegung wird auf dem üe des Grundstücks vermerkt.

Rechte, die dem jeweiligen Eigenthümer eines Grundstücks zu⸗ stehen, sind auf Antrag auch auf dem Blatte dieses Grundstücks ne vermerken. Antragsberechtigt ist der Eigenthümer des Grundstück, sowie leder, 8 § 876 Satz 2 des Bürgerlichen zu Aufhebung des Rechts erforderlich ist.

„Der Vermerk ist von Amtswegen zu berichtigen, wenn das Recht geändert oder aufgehoben wird.

§ 9. Urkunden, auf die eine Eintragung sich gründet oder B fisge ln Icon ee E“ ren. Dee Heraue abe einer solchen Urkunde darf nur erfolgen, w tatt eine Lehlanbigte Abschrift 11..n . dg E11““ über das einer Eintragungsbewilligung zu Grunde liegende Rechtsgeschäft eine Urkunde errichtet, so können die Bethecligten die Urkunde oder eine beglaubigte Abschrift dem Grundbuchamt zur Auf⸗ bewahrung übergeben. 10

§ 10. Die Einsicht des Grundbuchs ist Jedem gestattet, der ein r liches Interesse darlegt. Das Gleiche gilt von Urkunden, auf eece Grundbuch zur Ergänzung einer Eintragung Bezug genommen ist, sowie von den noch nicht erledigten Eintragungsanträgen.

Soweit die Einsicht des Grundbuchs, der im Abs. 1 bezeichneten Urkunden und der noch nicht erledigten Eintragungsanträge gestattet ist, kann eine Abschrift gefordert werden; die Abschrift ist auf Ver⸗ langen zu beglaubigen.

§ 11.

Verletzt ein Grundbuchbeamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm obliegende mtöpflicht, so trifft den Betheiligten sabrcags die bn § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmte Verantwortlichkeit an Stelle des Beamten den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienste der Beamte steht. Das Recht des Staats oder der Körperschaft, von dem Beamten Ersatz zu verlangen, bleibt unberührt.

Zweiter Abschnitt. Eintragungen in das Grundbuch.

§ 12. Eiine Eintragung soll, soweit nicht das Gesetz ein Anderes vor⸗ schreibt, nur auf Antrag erfolgen.

Antragsberechtigt ist jeder, dessen Recht von der Eintragung be⸗ troffen wird oder zu dessen Gunsten die Eintragung erfolgen soll. Die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung eines Berech⸗ tigten darf auch von demjenigen beantragt werden, welcher auf Grund eines gegen den Berechtigten vollstreckbaren Titels eine Eintra ung in das Grundbuch verlangen kann, sofern die Zulässigkeit dieser Fim⸗ tragung von der vorgängigen Berichtigung des Grundbuchs abhängt.

§ 14.

Ist die zu einer Eintragung erforderliche Erklärung von einem Notar aufgenommen oder beglaubigt, so gilt diefer als ermächtigt, im Namen eines Antragsberechtigten die Eintragung zu beantragen.

§ 15.

Einem Eintragungsantrage, dessen Erledigung an einen Vorbehalt geknüpft wird, soll nicht stattgegeben werden. n Werden mehrere Eintragungen beantragt, so kann von dem Antragsteller bestimmt werden, daß die eine Eintragung nicht ohne die andere erfolgen soll.

§ 16.

Werden mehrere Eintragungen beantragt, durch die dasselbe Recht betroffen wird, so darf die später beantragte Eintragung nicht vor der Erledigung des früher gestellten erfolgen. 2☛4

Steht einer beantragten Eintragung ein Hinderniß entgegen, so hat das Grundbuchamt entweder den Antrag sofort Angabe * Gründe zurückzuweisen oder dem Antragsteller eine Frist zur 9*5 des Hindernisses zu bestimmen. Im letzteren Falle ist der 2 ntrag nach dem Ablaufe der Frist zurückzuweisen, wenn nicht inzwischen die Hebung des Hindernisses heet ist.

Eine Eintragung erfolgt, wenn derjenige sie bewilligt, d Recht von ihr betroffen wird.

§ 19.

Im Falle der Auflassung eines Grundstücks sowie im Falle der Bestellung oder Uebertragung eines Erbbaurechts darf die Eintragung nur erfolgen, wenn die erforderliche Einigung des Berechtigten und des anderen Theils erklärt ist.

§ 20

, § 20.

Steht ein Recht, das durch die Eintragung betroffen wird, dem jeweiligen Eigenthümer eines Grundstücks zu, so bedarf es der Be⸗ willigung derjenigen, deren Zustimmung nach § 876 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Aufhebung des Rechts erforderlich ist, nur dann, wenn das Recht auf dem Blatt des Grundstücks ver⸗ merkt ist.

§ 21.

Zur Berichtigung des Grundbuchs bedarf es der Bewilligung desjenigen, dessen Recht von der Berichtigung betroffen wird, nicht, wenn die Unrichtigkeit nachgewiesen wird. Dies gilt insbesondere für die Eintragung oder Löschung einer Verfügungsbeschränkung.

„Die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung eines Eigen⸗ thümers oder eines Erbbauberechtigten darf, sofern nicht der Fall des § 13 vorliegt, nur mit Zustimmung des Eigenthümers oder des Erbbauberechtigten erfolgen. 8 8

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Ein Recht, das auf die Lebenszeit des Berechtigten beschränkt ist, darf nach dessen Tode, falls Rückstände von Leistungen nicht ans⸗ geschlossen sind, nur mit Bewilligung des Rechtsnachfolgers g werden, wenn die Löschung vor dem Ablauf eines Jahres nach dem Tode des Berechtigten erfolgen soll oder wenn der Rechtsnachfol der Löschung bei dem Grundbuchamt widersprochen hat; der Wider⸗ spruch ist von Amtswegen in das Grundduch einzutragen. Ist der Berechtigte für todt erklärt, so beginnt die cinjädrige Frist mit der Erlassung des die Todeserklärung aussprechenden Urtbeils.

Der im Abs. 1 vorgesehenen Bewillizung des Nechtsnachfolgers bedarf es nicht, wenn im Grundbuch eingetragen ist, daß zur Lö5 des Rechtes der Nachweis des Todes des Berrchtigten genügen

Die Vorschriften des § 22 finden ent prechende Anwendung, wenn das Recht mit der Erreichung cines destimmten Ledensalters des Be⸗ rechtigten oder mit dem Eintritt eines sonstigen destimmten Zeitpunkts oder Ereignisses erlischt.

§ 24

Ist eine Vormerkung oder ein Wrderspruch auf Grund etner cinst⸗ weiligen Verfügung eingetragen, so dedarf es zur Löschung nicht der Bewilligung des Berechtigten. wenn die cinstweilige Verfügung eine vollstreckhare Entscheidung aufgedoden ist. Diese Vorschrift entsprechende Anwendung, wenn auf Grund eines dorlänsig 8 baren Urtheils nach den Vorschriften der Zidilprozeßordnung cine W. merkung oder ein Widersprach —— ist.

Soll die Uedertraonns cinen Fperde! Grendschuld oder Nehe

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ist er von dem Grundstück abzuschreiben und als feldständiges Grund⸗

Deese Vorscheift Fandet entPrechende An à wemn dem Be.