1897 / 32 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 06 Feb 1897 18:00:01 GMT) scan diff

Aichtamtliches.

Dentsches Reich.

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Preußen. Berlin, 6. Fehruar.

heute Vormittag den Vortrag des Chefs des Generalstabes, Generals Grafen von Schlieffen und arbeiteten sodann mit dem Chef des Militärkabinets, General von Hahnke. Um 12 ½ Uhr Mittags empfingen Seine Majestät den Kaiserlich russischen Geheimen „Rath im Ministerium der aus⸗ wärtigen Angelegenheiten von Martens und um 3 ½ Uhr Nachmittags den Kaiserlich russischen Obersten und Flügel⸗ Adjutanten Nepokoitschitzky. Von 4 bis 6 Uhr Nachmittags gedachten Seine Majestät der Sitzung des Landes⸗Oekonomie⸗ Kollegiums beizuwohnen und Abends um 7 Uhr einer Ein⸗ ladung des Ministers für Landwirthschaft, Domänen und Forsten Freiherrn von Hammerstein zum Diner zu entsprechen.

In der am 4. d. M. unter dem Vorsitz des Vize⸗Prä⸗ sidenten des Staats⸗Ministeriums, Staatssekretärs des Innern Dr. von Boetticher abgehaltenen Plenarsitzung des Bun⸗ desraths wurde dem Entwurf eines Gesetzes, be⸗ treffkend die Abänderung von Arbeiterversicherungsgesetzen, ferner dem Entwurf der Verordnung, betreffend Be⸗ schränkungen der Einfuhr aus Asien, sowie dem Entwurf der Verordnung, die Tagegelder und Fuhrkosten von Beamten der Verwaltung des Kaiser Wilhelm⸗Kanals, die Zustimmung ertheilt. Von einer Nach⸗ weisung über die den einzelnen Bundesstaaten und zum ersten Mal den deutschen Schutzgebieten bis Ende v. J. überwiesenen Beträge an Reichs⸗Silber⸗,⸗Nickel⸗ und Kupfer⸗ münzen wurde Kenntniß genommen. Den zuständigen Aus⸗ schüssen wurden überwiesen: der Entwurf eines Gesetzes für Elsaß⸗Lothringen über den Geschäftsbetrieb der öffentlichen Vorschußkassen, die Vorlage, betreffend die Abänderung einiger Bestimmungen der Betriebsordnung für die Haupteisen⸗ bahnen u. s. w., die Vorlage, betreffend den Kuedieie Sgsbetlens zwischen dem Reich und den Niederlanden, sowie ein An⸗ trag, betreffend die Besetzung einer Rathsstelle bei dem Reichs⸗ gericht. Außerdem wurde die Wahl eines Mitglieds der Kom⸗ mission für Arbeiterstatistik vorgenommen und über Eingaben

Beschluß gefaßt. 86— 8

Der hiesige Kaiserlich chinesische Gesandte Shu⸗King⸗ Chen hat sich nach St. Petersburg begeben, wo er gleichfalts beglaubigt ist. Für die Dauer seiner Abwesenheit fungiert der Sekretär bei der hiesigen chinesischen Gesandtschaft Kinginthai als interimistischer Geschäftsträger.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich bayerische Wirkliche Geheime Kriegsrath Habel ist nach München abgereist.

Dem Regierungs⸗Assessor von Rönne ist die inter⸗ imistische Verwaltung des erledigten Landrathsamts im Kreise Ortelsburg übertragen worden. v“

Hannover, 5. Februar. Der Provinzial⸗Landtag nahm in seiner heutigen Sitzung zunächst den Antrag des

Landraths Dr. von Bruenneck und Genossen vom 3. Fe⸗ bruar 1897, betreffend die Abänderung des Gesetzes vom

Februar 1877 über die außerordentliche Wegepflicht in der Provinz Hannover, an. Der Antrag hatte olgenden Wortlaut:

„Der Provinzial⸗Landtag wolle beschließen: die Königliche Staats⸗

Regierung zu ersuchen, im Wege der Gesetzgebung eine Abänderung des Gesetzes vom 26. Februar 1877, betreffend die außerordentliche Wegepflicht in der Provinz Hannover, dahingehend herbeizuführen, daß

er Eingang dieses Gesetzes folgende Fassung erhält: „Werden

Gemeindewege, Landstraßen oder Provinzial⸗Chausseen“.“

Hierauf wurde die Berathung des Haushaltsplans

fortgesetzt. Tit. XIII wurde angenommen, ebenso Tit. XIX

und XX, Tit. XXI wurde ausgesetzt. Tit. XXII und die

olgenden wurden ebenfalls bewilligt. Zum Schluß nahm der

Landtag ohne Debatte nachstehenden Antrag des Schatzraths Lichtenberg an:

„„Der neunundzwanzigste Hannoversche Provinzial⸗Landtag hat be⸗ db schlossen: zu den Kosten des Baues einer Brücke zur Ver⸗ bindung der im Stadtbezirk Harburg und der auf der Insel Wilhelms burg belegenen Theile der Harburg⸗

amburger Chaussee eine Beihilfe von 100 000 ℳ, zahlbar

n vier Jahresraten, zu bewilligen unter der Bedingung, daß die

nterhaltunxg der Brücke anderweit (ohne Betheiligung der

Provinz) sichergestellt wird, und unter der ferneren Be⸗

dingung, daß für die Brücke Brückengeld nur soweit zur

Erhebung kommt, wie zur Deckung der Kosten der Unterhaltung der Brücke nothwendig ist.“ Der Provinzial⸗

Ausschuß beantragt: „Der Provinzial⸗Landtag wolle beschließen, die

zuletzt genannte Bedingung fallen zu lassen.““

Sachsen⸗Meiningen.

Der Landtag hat einstimmig einen Antrag des Abg. Zeitz und Genossen angenommen, welcher dahin lautet; die Regierung möge auf den Erlaß einer gesetzlichen Bestim⸗ mung hinwirken, nach welcher die an die Reichskasse zu zahlenden Matrikularbeiträge die Ueberweisungen aus der Reichskasse nicht übersteigen dürfen.

Oesterreich⸗Ungarn.

Der böhmische Landtag verhandelte gestern über den Antrag des Abgeordneten Dr. Ruß wegen Eröffnung der Debatte über die letzte Erklärung der Regierung, betreffend das Verhältniß der Deutschen und Czechen. An Stelle des erkrankten Abgeordneten Dr. Ruß begründete der Abg. Lippert den Antrag; er besprach die Erklärung der Regierung und führte aus: die Deutschen seien gern erbötig, friedliche Ver⸗ hältnisse herzustellen, allein es müsse vorerst der Standpunkt klargestellt werden bezüglich des geschlossenen deutschen Sprach⸗ gebiets. Redner hob sodann die Kaisertreue und die Loyalität der Deutschen hervor. Der Statthalter Graf von Couden⸗ hove erwiderte, der Weg zum Frieden möge nicht durch Miß⸗ verständniß und hochgesteigertes Mißtrauen getrübt werden. Die Regierungserklärung könne nicht so ausgelegt werden, als ob an der Loyalität des deutsch⸗böhmischen Volkes gezweifelt werde; diese Loyalität sei über jeden Zweifel er⸗ haben. Bezüglich der Geruͤchte über eine Sprachenverordnung

der Statthalter, es entspreche nicht dem Wunsche des

s

Seine Majestät der Kaiser und König hörten

Statthalter erklärte ferner, es werde nichts unternommen, was in kultureller oder in nationaler Hinsicht die Deutschen schädigen könne und es werde auch weiterhin in solchen Fragen nichts geschehen, ohne daß mit den Vertretern beider Nationali⸗ täten Fühlung genommen worden sei. Nachdem noch die Abgg. Prade und Opitz gesprochen hatten, erklärte der Abg. Herold namens der Czechen, er fordere Parität in dem gesammten Lande, darum aber sei es keineswegs schwer, einen Ausgleich fertig zu bringen; für zwei Nationen, die mit einander so eng wirthschaftlich verknüpft, deren Interessen so gleichartig seien, und die auf so gleicher Lutasstaf ständen, sollte es doch möglich sein, sich bezüglich der Sprachenfrage zu verständigen. So lange aber in dem ganzen Königreiche beide Sprachen nicht vollkommen gleiche Geltung hätten, könnten die Czechen kein Zugeständniß machen. Der Frieden könne nur mit dem böhmischen Volke gemacht werden, keine Regierung und kein Statthalter könnten den Frieden machen. Der Abg. Graf Buquoi ersah aus der Regierungserklärung und dem durch dieselbe hervorgerufenen Eindruck gern das ernste Bestreben, friedliche Zustände zu schaffen und alle Mittel zur Herbei⸗ führung solcher in Betracht zu ziehen. Wie gut die Re⸗ ierung gethan haben würde, ihr Vorgehen mehrere

onate aufzuschieben, bewiesen die gehaltenen Reden; das sei nicht eine Atmosphäre, in welcher der Ausgleich zu ermöglichen sei. Der Ausgleich werde und müsse kommen. Die Rede des Abg. Lippert lasse den Eindruck ge⸗ winnen, daß wirklich friedliche Neigungen vorhanden seien. Von dem Augenblick an, wo die Vertreter beider Volks⸗ stämme das Bestreben zeigen würden, sich verständigen zu wollen, werde der Großgrundbesitz fördernd zur Stelle sein. Nach einer weiteren Rede des Abg. Vasaty wurde die Ein⸗ sezung einer Kommission zur Berathung über die Regierungs⸗ erklärung einstimmig beschlossen. Diese einstimmige An⸗ nahme erfolgte, nachdem der Statthalter Graf von Coudenhove erklärt hatte, der Regierung könne eine ruhige objektive Besprechung ihrer Erklärung nur erwünscht sein, nachdem die letztere in der Oeffentlichkeit vielfach eine tendenziöse Behandlung erfahren habe. Die Reg ierung erwarte insbesondere eine Klarstellung der salschen Behauptung, daß die Erklärung von vorn herein mit einer Partei des Hauses vereinbart worden sei. Die Re⸗ gierung werde die Zweifel und Bedenken erledigen, welche bezüglich des Inhalts der Erklärung laut geworden seien, und werde die Versuche zurückweisen, die in der Oeffentlichkeit viel⸗ fach gemacht worden seien, dem Inhalt der Regierungserklärung eine den Thatsachen nicht entsprechende Auslegung zu geben. „Das offizielle Blatt „Osservatore Triestino“ ver⸗ öffentlicht ein Schreiben des Statthalters an den Bürger⸗ meister von Triest Pitteri, demzufolge das Ministerium dem Rücktrittsgesuch des Bürgermeisters keine Folge giebt und den⸗ selben auffordert, die Geschäfte im Sinne des städtischen Statuts fortzuführen. In Bezug auf den Demissionsakt wird darin gesagt, daß, wenn auch der Gemeinderath sich nicht versammeln könne, die Munizipal⸗Delegation ent⸗ sprechend den Bestimmungen des städtischen Statuts in Funktion bleibe. Die Mitglieder der Munizipaldelegation haben sich, dem „W. T. B.“ zufolge, bereit erklärt, ihre amt⸗ lichen Obliegenheiten weiter auszuüben. Infolge dessen wird auch der Bürgermeister in seinem Amt verbleiben.

Großbritannien und Irland.

Der Prinz von Wales hat aus Anlaß des bevorstehenden Jubiläums der Königin einen Aufruf erlassen, worin Höchstderselbe zu Gunsten der Hospitäler Londons zur jähr⸗ lichen Beitragszahlung von 1 Shilling und darüber auffordert. Man hofft, daß jährlich 100 000 bis 150 000 Pfd. Sterl. zu⸗ ammenkommen werden. Der Prinz von Wales wird den Vorsitz in der Verwaltung dieses Fonds übernehmen.

In der gestrigen Sitzung des Unterhauses erklärte der Parlaments⸗Sekretär des Aeußeren Curzon, daß von dem französischen und dem russischen Konsul an die egyptische Re⸗ gierung amtliche Briefe gerichtet worden seien, welche an letztere die Anfrage richteten, ob sie eine pekuniäre Hilfe von Großbritannien nachgesucht habe oder annehmen werde, und welche die Ansicht ausdrückten, daß nach dem Wortlaut früherer Dekrete ein derartiges Gesuch von der Verwaltung der Staatsschuldenkasse an alle Mächte hätte gerichtet werden müssen. Von diesen habe keine der beiden Mächte der britischen Regierung Mit⸗ theilung gemacht. Der Schatzkanzler Sir Michaek Hicks Beach beantragte die Bewilligung von 798 000 Pfund, durch welche der Khedive in den Stand gesetzt werden solle, der egyptischen Schuldenverwaltung den für die Zwecke des letzten Feldzuges geleisteten Vorschuß zurückzuzahlen und die Material⸗ kosten des Bahnbaues von Wady Halfa nach Abu⸗Hamed zu bestreiten. Der Schatzkanzler fuͤhrte, dem „W. T. B.“ zu⸗ folge, 88 sach ich

Die thatsächlichen Kosten der Expedition bezifferten sich auf 733 000 Pfd., worin die Kosten für die Weiterführung der Cin sch und der Telegraphenlinie von Saras bis Wady Halfa und die Kosten der fur die Expedition angekauften Kanonenboote, welche auch für die Zukunft werthvolle Dienste leisten würden, inbegriffen seien. Die beiden letzterrn Punkte nähmen ein Drittel der Gesammtkosten der Expedition in Anspruch. Die Kosten des Feldzuges seien aber auch in einer anderen und wichtigeren Hinsicht geringe, wenn man die erreichten Ergebnisse in Betracht ziehe. Es 8 nur 47 Mann im Gefecht getödtet worden. 235 Mann eien der Cholera, anderen Krankheiten über 100 zum Opfer gefallen. Er glaube, daß keine andere Expedition je einen vollständigeren Er⸗ folg gehabt habe. Die von der Schuldenkasse vorgestreckte Summe von 512 500 Pfund englischer Währung würde es Egypten thatsächlich ermöglicht haben, die gesammten Kosten der Expedition zu bestreiten. Das Urtheil des gemischten Gerichtshofes habe aber der egyptischen Regierung auferlegt, den Vorschuß mit Zinsen zurückzuzahlen, was zu⸗ sammen sich auf 528 000 Pfund belaufe. Als das Ultheil bei der britischen Regierung eingegangen sei, habe die letztere keinen Tag verloren, um der egyptischen Reglerung mitzutheilen, daß sie 1 schadlos halten und beim Parlament die Erstattung der vor⸗ gestreckten Summe beantragen werde. Die durch das Urtheil des ge⸗ mischten Gerichtshofes in Egypten geschaffene Lage sei von bemerkens⸗ werther Eigenart. Die egyptische Regierung stehe in finanziellen An⸗ gelegenheiten in den Hauptzügen unter der Autorität der Großmächte, und diese Autorität werde durch die Kommission der Kassen⸗ verwaltung in weitgehendem Maße ausgeübt. Unter den den Delegierten bei dieser Kommission obliegenden Ver⸗ pflichtungen befinde sich auch die, einen gewissen Theil des jährlichen Ueberschusses in Empfang zu nehmen und denselben dem Reservefonds zu überweisen, hauptsächlich im Interesse der Obligationenbesitzer, doch sei die Kommission er⸗ mächtigt, von Zeit zu Zeit auf Antrag der egyptischen Regierung einen Theil des Fonds für außerordentliche Ausgaben zu bestimmen.

Auf Grund dieser Ermächtigung habe die Mehrheit der Kommission

Fensc, willkürliche Erfindungen der Bläͤtter zu erörtern. Der 8

dahin entschieden, daß die Dongola⸗Expedition unter solchen Arsgaben

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en sein Urtheil on gegen alle

inbegriffen sei. Der gemischte Gerichtshof habe hing dahin abgegeben, daß jedes Mitglied der Kommis übrigen Mitglieder appellieren und daher das Gericht in den Stand setzen könne, einen Beschluß zu annullieren den die Kommission über eine ihr von den Großmächten zugewiesene Angelegenheit gefaßt habe. Die Lage scheine beinahe absurd. Der Fonds sei durch die weise Regierung Egyptens, welche nach dem Rath Großbritanniens gehandelt habe, angesammelt worden und die egyptische Regierung habe die Verwendung eines Theils des fonds für die Dongola⸗Expedition beschlossen. 6 welches ür die Sicherheit Egyptens verantwortlich sei, ha

chauung angeschlossen, desgleichen auch die Mehrheit der Groß⸗ mächte. Er (Redner) müsse sagen: im näch die Frage der zwei im gemischten Gerichtshofe vertretenen Mächte wieder zu erwägen sein werde, müsse sich ein ernster Streit über die Zukunft, die Gewalt und Vollmacht des Gerichts · hofes und über die Frage, ob dem Gerichte gestattet sein solle, eine Autorität zu ufurpieren, welche von den Großmächten mit Bedacht einer anderen Behörde anvertraut worden sei, erheben. Für jetzt habe Egypten keine andere Wahl, als den Vorschuß zurückzuzahlen, und Großbritannien keine andere Wahl, als die Summe Egyppten zu er⸗ statten. Die Regierung habe mit der egyptischen Regierung ein Ab⸗ kommen geschlossen, wonach, während für den in Egypten ausstehenden Geldvorschuß Englands 2 ¼ % Zinsen zu zahlen seien, es den beiden Regierungen überlassen bleibe, sich von Zeit zu Zeit darüber zu einigen, ob die egyptische Regierung im stande sei, das Kapital mittels dur führbarer und passender Ratenzahlungen zurückzuerstatten. Eine Sicherheit für die Rückzahlung bestehe nicht, und es sei richtig, daß die egyptische Regierung nicht im stande sei, eine technische Sicherheit zu geben. „Aber wir haben das Wort Egyptens, welchem wir ver⸗ trauen, und wie die Dinge liegen, halten wir Egypten für occupiert, und der Umstand, daß wir zur Leistung dieses Geldvorschusses durch kein Verschulden oder eine Handlung unsererseits genöthigt worden sind, wird wahrscheinlich unsere Oeccupation eher verlän⸗ gern, als abkürzen. Diese Angelegenbeit ist seit langem über das Gebiet der abstrakten Fragen hinaus, infolge einer langen Kette von Ereignissen. Gladstone und seine Amtsgenossen sind in die Occupation hineingetrieben worden, und von jenem Tage ab bis auf den heutigen ist es Großbritannien, obgleich 8 im Amte gewesen sind, deren führende Mitglieder augenscheinlich das Aufhören der Occupation wünschten, niemals möglich gewesen, in Ehren oder ohne Schaden die Occupation aufzuheben“ Die Haupt⸗ ursache der Verlängerung der Occupation und der Wahrscheinlichkeit einer viel längeren Occupation, als beim ersten Eintrit in dieselbe angenommen worden, sei, daß Frankreich Großbritannien niemals freie Hand in Egypten gestattet habe. (Labouchoͤre warf hier dazwischen: „Warum sollte Frankreich Ihnen freie Hand lassen?*) „Frankreich hat aus freien Stücken abgelehnt, sich uns anzuschließen, und hat uns die alleinige Verantwort⸗ lichkeit für Egyptens Sicherheit gelassen. Wir dürfen nun billiger⸗ weise können, freie Hand zu haben, um diese Verantwort⸗ lichkeit zu erfüllen; aber wir können nicht verstehen, wie irgend jemand, der Einspruch dagegen erhebt, daß Egypten eine halbe Million Pfund von seinem eigenen Ueberschuß verwenden dürfe für keinen anderen Zweck als die Wiedergewinnung seiner eigenen Provinz Dongola, sagen kann, daß die egyptische Regierung fähig sei, allein zu stehen.“ Natürlich sei die Thatsache, daß der egyptisch n Regierung die Ver⸗ wendung ihres Ueberschusses verweigert worden sei, eine wicgtige That⸗ sache, und die britische Regierung habe sorgfältig zu erwägen gehabt, ob sie ein weiter⸗s Fortschreiten in der Politik der letzten Jahre gut⸗ heißen solle oder ob ihre Politik rückgängig gemacht werden solle. Die Regierung habe niemals verhehlt, daß sie ein Weiterschreiten in der gleichen Richtung für nothwendig halte und daß die egyptische Regierung niemals für gesichert gehalten werden könne, so lange sich eine feindliche Macht im Nilthal bis hinauf nach Khartum besinde. Wenn diese Politik mit Bezug auf Epypten für richtig gehalten werde, so werde sich England nicht durch Hindernisse und S wierig⸗ keiten, wie die Verweiserung des in Rede stehenden Vorschusses, gus derselben herausbringen lassen. Die Regierung glaube, daß ihre Politik richtiz sei, und habe vor, dieselbe vorsichtig und stufenweise weiter zu verfolgen, denn sicherlich würde 88 nicht zu Egyptens Vortheil in politischer oder finanzieller Beziehung sein, wenn ihm mehr Gebiet zurückgegeben werde, als es ohne Schwierigkeit verwalten oder genügend vertheidigen könne. Die Re⸗ gierung habe vor, diese Politik in der kommenden Saison vor allem durch den Vormarsch nach einem sehr wichtigen Punkte, nämlich nach Abu Hamed zu verfolgen. Dieser solle, gleichwie der Vormarsch nach Dongola, ein egyptischer Vormörsch sein, zunächst nach Abu Hamed, und dann wahrscheinlich weiter. Wie weit, halte er nicht für richtig zu sagen, aber nach der Meinung der Regierung werde die Hauptaufgabe in der kommenden Saison sein: 1) die Sicherstellung der Verbindung mit dem bereits unter der Herrschaft des Khedive stehenden Gebiete und 2) die Er⸗ werbung wichtiger strategischer Punkte, welche in der Zukunft werth⸗ voll sein könnten. Außer den 270 000 Pfund, welche für eine leichte Eisenbahn von Wady Halfa nach Abu Hamed gefordert würden, sei es nicht beabsichtigt, an das Parlament weitere Forderungen für Aus⸗ gaben in dieser Angelegenheit zu stellen. Die Regierung glaube, durch die angegebene Politik und die beantragte Bewilligung den Wünschen der großen Mehrheit des englischen Volkes zu entsprechen.

Morley wandte sich hierauf gegen die Ausführungen des Schatzkanzlers, welche von Frankreich und Nußland als eine direkte, äußerst unkluge Herausforderung betrachtet werden könnten und zu der Frage Anlaß gäben, ob die Absicht Großbritanniens, Egypten zu verlassen, aufrichtig sei. Er (Redner) wisse wohl, daß das britische Volk durch die gegen den Wunsch der sich dabei interessiert glaubenden Mächte auf⸗ recht erhaltene Besetzung Egyptens gewinne. Das Ergebniß zeige, daß die Voraussetzungen der Opposition betreffs der Kosten der Expedition und der Stimmung Frankreichs gerecht⸗ fertigt gewesen seien. Wie könne Egypten den Vorschuß je zurückzahlen? Nie zuvor sei Geld gegen eine so geringe Sicherheit vorgeschossen worden. Warum wolle die Regierung nicht sofort darin einwilligen, daß Großbritannien die Kosten ahle? Die Regierung habe den denkbar schlechtesten Zeitpunkt für die Expedition semähtt Die gegenwärtige Zeit sei in mehr als einer Hinsicht eine Zeit der Sorge. Frankreichs und Rußlands Protest gegen den Vorschuß deute zur Genüge an, daß deren Stimmung durch die Sprache des Schatzkanzlers nicht werde gebessert werden. Der nächste Redner, Sir William Harcourt, tadelte ebenfalls die herausfordernde Sprache des Schatzkanzlers gegen Frankreich und Rußland, in⸗ dem er sie als unheilvoll und gefährlich bezeichnete. Bei den vom Schatzkanzler aufgeworfenen Fragen dürfte es sich nicht um eine halbe, sondern um viele Millionen handeln, falls die Regierung sich auf diese Frage im Geiste einer Herausforde⸗ rung der großen Militärmächte Europas einlasse. Der Parlaments⸗Sekretär des Aeußern Curzon wies hierauf die Behauptung des Vorredners zurück, daß der Schatzkanzler eine herausfordernde Sprache geführt habe. Aledann be⸗ antragte Knox eine Verminderung des geforderten Kredits um 72 000 Pfund Sterling. Der Antrag Knox wurde mit 139 gegen 29 Stimmen verworfen und der für die Dongola⸗ Expedition geforderte Kredit mit 169 gegen 57 Stimmen an⸗ genommen. 1

Der parlamentarische Ausschuß zur Untersuchung des Einfalles Jameson's in Transvaal trat gestern Nachmittag zu einer Sitzung zusammen. Jackson wurde wiederum zum Vorsitzenden gewählt. In der nächsten Fisaag, welche am Dienstag stattfinden wird, soll über die Geschäftsordnung berathen werden ——

e sich dieser An⸗ sten Jahre, wenn

Vertretern

Senat richtete gestern der Senator Peytral eine an den Minister des Innern Barthou in Betreff weier englischen Schiffe, die in in Quarantäne zurück⸗ 8 lten würden, und verlangte, daß die Quarantäne verlängert und beschlossen werde, hinfort aus Indien kommende Schiffe in französischen Häfen nicht zuzulassen, wenn sie nicht vollständig reine Patente hätten. Der Minister des Innern Barthou erwiderte, es seien alle Maßnahmen getroffen, um falsche Gesundheitserklärungen mit aller Strenge zu verhindern. Eine gründliche Untersuchung der Reisenden und die Desinfektion der Handelsgüter sei nicht nur für Marseille, sondern für alle französischen Häfen angeordnet. Der Minister stellte es entschieden in Abrede, daß ein Pestfall in Marseille vorgekommen sei. Ob die Quarantäne für die beiden englischen Schiffe in Frioul verlängert werden solle, werde der Minister⸗ rath heute entscheiden, aber man könne versichert sein, die Regierung werde nicht zögern, schärfere Maßregeln zu ergreifen, wenn solche nothwendig seien. 1

Der Kontre⸗Admiral Pottier ist angewiesen worden, so⸗ bald als möglich mit dem Kreuzer „Admiral Cherner“ nach Kanea abzugehen. Drei weitere Kriegsschiffe er⸗ hielten ähnliche Befehle. 8

Im Anfrage

Rußland.

Der Verweser des Ministeriums des Auswärtigen Graf Murawjew ist, wie die „St. Petersburger Ztg.“ meldet, nach St. Petersburg zurückgekehrt und hat die Leitung des ihm unterstellten Ministeriums wieder übernommen.

Der Chefredakteur des „Regierungsboten“, Wirklicher Staatsrath, Kammerherr Slutschewoski ist, wie dem „W. T. B.“ aus St. Petersburg berichtet wird, zum Mitglied

7.

des Conseils des Ministers des Innern ernannt worden.

Italien.

Der Papst empfing gestern Abend, wie „W. T. B.“ meldet, den Prinzen Heinrich von Orléans und sodann den den Prinzen begleitenden Grafen dela Salle in Audienz. Der Prinz Heinrich von Orléans stattete später dem Kardinal⸗

Staatssekretär Rampolla einen Besuch ab.

Portugal. Wie die „Times“ aus Lissabon meldet, hat das Mi⸗ nisterium seine Entlassung gegeben. Der König hat dieselbe angenommen und. Luciano de Castro mit der Bildung eines neuen Kabinets beauftragt, in welchem Barros Gomez das Portefeuille des Aeußern erhalten solll.

Belgien. Der Senat berieth gestern den von der Repräsentanten⸗ kammer angenommenen und von dem Justiz⸗Minister Begerem unterstützten Gesetzentwurf über die Anwendung der vlämischen Sprache in amtlichen Bekanntmachungen. Artikel 1, welcher besagt, daß der Wortlaut eines 8 zugleich auch in vlämischer Sprache zur Abstimmung im Parlament vorgelegt werden solle, wurde durch einen Unterantrag Lejeune dahin abge⸗ ändert, daß die Gesetze wie bisher in französischer Sprache zur Abstimmung gelangen sollen, daß aber eine amt⸗ liche Uebertragung ihres Wortlautes in das Vlämische zu geschehen habe. Der so abgeänderte Artikel wurde mit 50 gegen 47 Stimmen angenommen. Das ganze Gesetz wurde darauf mit 51 gegen 23 Stimmen bei 23 Stimmenthaltungen genehmigt. Türkei. Der „Agence Havas“ wird aus Athen gemeldet, daß in Kanea voller Aufruhr herrsche. Nach den letzten Nachrichten schössen die Soldaten in der Gegend der Wälle auf die Christen. Die Mohamedaner hätten die christlichen Stadttheile in Brand gesteckt; das Feuer drohe den erzbischöflichen Palast und die griechischen Schulen zu erreichen, mehrere Personen hätten sich auf die fremden Kriegsschiffe gerettet. Nach einer weiteren Depesche der „Agence Havas“ von gestern Abend seien drei Viertel der christlichen Stadttheile in Brand gesteckt, christliche Familien, welche sich auf die Kriegsschiffe flüchten wollten, von den Türken angegriffen und mehrere Personen dabei getödtet worden; die Zahl der Opfer werde auf 300 geschätzt. Gerüchtweise verlautet, die mohamedanische Bevölkerung habe die zum Schutze der katholischen Kirche und Schule gelandeten französischen Seeleute angegriffen. Die fremden Schiffe begännen, die kretischen lüchtlinge nach Milos zu befördern; 750 Frauen und Kinder seien bereits dort angekommen. Einer späteren De⸗ pesche zufolge hätten die Konsuxln in Kaneca sich an Bord der Schiffe begeben. Die Konsulate seien mit christlichen Familien angefüllt. Aus Rethymon wird ge⸗ meldet, daß 3000 Mohamedaner den Palast des Gouverneurs belagerten und Aufhebung des Befehls verlangten, welcher den türkischen Familien untersage abzureisen; in Herakleion scheine Ruhe zu herrschen. 8 Die „Agenzia Stefani“ berichtet aus Kanea von gestern: Infolge einer später als unrichtig erkannten Nachricht, daß eine bewaffnete Bande von Mohamedanern in Akrotiri 27 Posten der Christen getödtet habe, befahl der Vali am Mittwoch Nachts, gegen diese Bande vorzugehen. Es verlautet, daß 20 Soldaten getödtet seien. Vor⸗ gestern soll ein Scharmützel bei Kaneca stattgefunden und bis zum Abend gedauert haben; an mehreren Punkten sah man Flammen emporschlagen. Mehrere Konsuln und Valis, die in der Nähe des Dorfes Haleppa waren, konnten sich nicht nach Kanea begeben. Die christliche Bevölkerung von Annea flüchtete in die Wohnungen der Konsuln und später an Bord der Kriegsschiffe, der Kampf um Kanea hörte des Nachts auf. Die Feuersbrunst dauert fort. Die Kommandanten der britischen, italienischen und französischen sind an Land gegangen und bemühen sich, dem Feuer Ei zu thun und die Flüchtigen zu sammeln. Griechenlaand. Im Verlauf der gestrigen Sitzung der Deputirten⸗ kammer wurde, nach einer Meldung des „W. T. B.“, seitens der Regierung mitgetheilt, daß die Kriegsschiffe „Hydra“, „Mykah“ und „Miaulis“ sowie drei Torpedoboote Befehl erhalten hätten, zum Schutze der griechischen Unter⸗ thanen nach Kanea abzugehen. Der Deputirte Ralli erklärte im Namen der Opposition, daß diese der Regierung ihre Unterstützung angedeihen lassen werde. Die Sitzung wurde unter begeisterten Beifallsbezeugungen aus dem Saale und von den Tribünen geschlossen. 8 Der Minister des Aeußern Skuzes stattete gestern den der fremden Mächte Besuche ab, um den⸗

selben über die Entsendung der Kriegsschiffe nach Kanea be⸗

8

ruhigende Aufklärungen zu geben. 8 Serbien. 1

Der König Milan ist gestern Abend, wie „W. T. B.“ meldet, mit bc. Orient⸗Expreßzuge von Belgrad nach Wien abgereist. Der Minister⸗Präsident Simitsch wird sich am Dienstag behufs Uebergabe seines nbbernfungeschreiben⸗ nach Wien begeben. Die Lösung der Uesküber Bischofsfrage ist infolge des Streites zwischen dem Patriarchen und der Synode ins Stocken gerathen.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichs⸗ tages befindet sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen (169.) des Reichstages, welcher der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe, der Staats⸗ sekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher und der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staats⸗ Minister Freiherr von Marschall beiwohnten, wurde die zweite Berathung des Reichshaushalts⸗Etats für 1897/98 bei dem Etat des Reichskanzlers und der Reichs⸗ kanzlei und zwar bei dem „Gehalt des Reichskanzlers“ fortgesetzt. 1 8

An der Debatte betheiligten sich bis zum Schluß des Blattes die Abgg. Rickert (fr. Vgg.) und Liebermann von Sonnenberg (Reformp.).

Das Haus der Abgeordneten setzie in der heutigen (28.) Sitzung, in welcher der Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammerstein zugegen war, die Berathung des Antrages der Abgg. Ring Hens) u. Gen., betreffend die Bekämpfung der Viehseuchen, und der dazu gestellten Anträge des Abg. Letocha (Zentr.) (auf Zulassung der Einfuhr russischer Schweine für das oberschlesische Industriegebiet), der Abgg. Hahn und Ring (auf unverzügliche Bildung einer Spezial⸗ kommission von Landwirthen, Veterinärärzten und Bakteriologen ur wissenschaftlichen Feststellung der Inkubationsdauer der

aul⸗ und Klauenseuche) und des Abg. Grafen von und zu Hoensbroech (auf Untersagung der Einfuhr von frischem Fleisch aus den Niederlanden) fort. 8

Abg. Bachmann (nl.): Eine vierwöchentliche Quarantäne würde für den westlichen Theil Schleswigs einer völligen Absperrung der dänischen Vieheinfuhr gleichkommen. Die Zunahnne der Maul⸗ und Klauenseuche steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Einfuhr dänischen Magerviehs. Ich bitte also, dem Antrage, soweit er eine vierwöchentliche Quarantäne verlangt, keine Folge zu geben.

Abg. Gamp (fr. kons.): Die Erklärungen des Ministers waren hier im Hause viel wohlwollender dem Antrag gegenüber als die Erklärungen der Regierung im Reichstage, wo man sich überhaupt nicht so freundlich zur Landwirthschaft verhält. Aber auch der Staatssekretär Dr. von Boetticher hat anerkannt, daß wir gegen das Ausland schärfer vorgehen müssen, und der Land⸗ wirthschafts⸗Minister hat sich hier auf dessen Erklärungen berufen, aber sehr bedauerlicher Weise nicht auf eine Uebereinstimmung mit dem Auswärtigen Amt, das ist doch sehr merk⸗ würdtg. Gesetzlich ist die Staats⸗ und Reichsregierung verpflichtet, die Vieheinfuhr zu verbieten, wenn im Auslande die Seuche herrscht. Die Inkubationsdauer ist auerdings eine Doktorfrage, aber auch der Minister hat zugegeben, daß der Ansteckungsstoff noch nach mehr als 10 Tagen übertragen werden kann; es sind Fälle von mehr als 15 Tagen nachgewiesen. Wenn der Minister bezweifelt, ob 4 Wochen genügen werden, so habe ich nichts dagegen, wenn er die Quarantäne auf 8 Wochen erstrecken will. Er sollte also unsere Bescheidenheit anerkennen, wenn wir nur 4 Wochen fordern. Der Antrag will sowohl für die See⸗ wie die Land⸗ quarantäneanstalten 4 Wochen festsetzen, denn auf welchem Wege das Vieh eingeführt wird, ist doch ganz gleichzültig. Wenn Ostpreußen seiner Zeit eine vierwöchige Quarantäne für Schafe gehabt hätte, wäre es von der Einschleppung der Seuche be⸗ wahrt geblieben. In Schleswig ist nur für drei Kreise die Einfuhr dänischen Viehes nöthig zur Ausnutzung der Sommerweide. Ueber Kopenhagen kommt auch russisches Vieh zu uns. Daß Stein⸗ bruch keine Seuchengefahr für uns bietet, habe ich nie geglaubt, denn bei einer Untersuchung der dortigen Verhält⸗ nisse durch unsere Abgeordneten hat sich der Verdacht bestätigt, daß die Absperrung der Schweine dort nur auf dem Pavpier steht. Die Einfuhr aus Frankreich ist verboten, aber es sind Ausnahmen gestattet, z. B. für die Verproviantierung des Militärs in Metz und Piedenbofen⸗ Wie kommt die Militärverwaltung dazu, ihren Proviant aus Frankreich zu beziehen? Wir bezahlen doch hier die Steuern für das Militär. Die Gänseeinfuhr muß schon aus sanitären Gründen verboten werden. Für den Preis, zu welchem russische Gänse an der Grenze zu haben sind, von 1,80 2 ℳ, kann der kleine Bauer nicht liefern. Bei dem Gänsetransport wird eine Thier⸗ quälerei getrieben, die an sich schon verboten werden müßte. Erfreulicher Weise haben sich die Landwirthschaftskammern für das Verbot der Gänseeinfuhr ausgesprochen. Auch die Kammer in Königsberg ist nur gegen das absolute Verbot gewesen, weil sie gewisse Ausnahmen zugelassen haben wollte. Man kann sich nicht lediglich auf den Standpunkt des Konsumenten stellen, der billige Preise haben will. Soll der Viehzüchter allein den Schaden der Seuchen tragen? Der Konsument muß ihn schließlich mit bezahlen, wie der Staat auch große Summen für die Be⸗ kämpfung der Reblaus hergeben muß. Oherschlesien bedarf keiner besonderen Ausnahme, die Löhne sind dort nicht so ungünstig, daß man besonders billiges Schweinefleisch aus Rußland herein⸗ lassen müßte. Zudem sind die Schweinefleischpreise in Oberschlesien auch ohne die Einfuhr schon niedriger als in anderen Provinzen. Der Abg. Ring hat durchaus kein Unrecht gethan, wenn er selbst einen Thierarzt zur Untersuchung in das Ausland entsandte. Schon früher haben Abgeordnete selbst die Verhältnisse in Steinbruch untersucht und festgestellt, daß die offiziellen Angaben über die Seuchen⸗ freiheit fallch waren. Wenn man sich da erst bei den amtlichen Stellen meldet, erfährt man nicht die Wahrheit. Die Staffeltarife wären nur eine zweckentsprechende Maßregel, wenn sich in Ober⸗ schlesien die Preise noch erhöhen sollten. Die Landwirthschaftskammern sollten ihrerseits Thierärzte zur Ueberwachung der Schlachthäufer und Viehmärkte anstellen; das wäre noch zweckmäßiger als die Beaufsichti⸗ gung der Börse. Zu einer Sperrung der Grenze auch gegen Oester⸗ reich ist die Regierung nicht nur berechtigt, sondern auch ver⸗ pflichtet; für Schafe besteht das Einfuhrverbot bereits zu Recht. Allerdings haben wir die Seuche bei uns nicht nur durch die Einfuhr; aber haß diese dabei mitwirkt, beweisen die Provinzen, die keine Ein⸗ fuhr haben und fast gänzlich seuchenfrei sind. Ich bin gegen den Antrag Hoensbroech, denn wenn man die Einfuhr von Schlachtvieh wegen der unerhörten Verhältnisse an der holländischen Grenze verbietet, muß man auch die Einfuhr frischen Fleisches verhindern. Das Inland behandelt man bei uns dieparitätisch gegenüber dem Ausland. Das Verbot der Einfuhr von Schweinefleisch aus Amerika in den achtziger Jahren hat die Regierung nicht für unge⸗ setzlich gehalten, und seitdem sind die Gesetze nicht geändert worden. Zu Erleichterungen für den Grenzverkehr, wie sie jetzt in sehr umfassen⸗ der Weise bestehen, ist keine Veranlassung, der Grenzverkehr muß anders geregelt werden. Unser Landwirth muß große Lasten für die Sanie⸗ rung seines Viehs tragen und empfindet es hart, wenn alle

seine Mühe vergeblich ist, weil die Seuchen vom Ausland herein⸗

gelassen werden. Daß der Nothstand der Landwirtbschaft ein inter⸗ nationaler ist, bestreite ich dem Minister. Man muß die Produktions⸗ kosten vergleichen, und die Landwirthschaft keines Landes hat so große Lasten für Armenpflege, Schulen, Unfallversicherung, Altersversi rung ꝛc. wie bei uns. Wir müssen nationale Politik treiben, wie wir sie bis 1879 getrieben haben. . 1 . Hierauf nimmt der Minister für Landwirthschaft ꝛc

Fsher von Hammerstein das Wort, dessen Rede am ontag im Wortlaut wiedergegeben werden wird.

Arbeiterbewegung.

Aus Hamburg wird dem „Wolff'schen Bureau“ zum Aus⸗ stande der Hafenarbeiter berichtet: Die Anmusterung der See⸗ leute deckt jetzt täglich das vorhandene Bedürfniß. Kürzlich wurd das ganze Ausstandscomité angemustert. Der Ausstand der Seeleut wird also wohl nur deshalb nicht „offiziell“ für beendet erklärt, weil kein Comité vorhanden ist. Die Fiktion eines Ausstandes im Hafen wird in den Versammlungen der Arbeitsunwilligen von den Führern noch immer aufrecht erhalten; trotzdem mehren si auch in den Kreisen der Arbeiter die Anzeichen, daß sie wieder arbeite wollen. Gleichwohl wurde in der gestrigen Versammlung der Schauer leute die Behauptung aufgestellt, daß keine Veränderung in der Lag des Ausstandes eingetreten sei, und daß nur wenige Ausständige wie⸗ der zur Arbeit zurückkehrten. Ven einem Redner wurde die That⸗ sache mitgetheilt, daß hinter dem Rücken der Allgemeinheit einzelne Ausständige Versammlungen abhielten, um über ei gesonderte Wiederaufnahme der Arbeit zu berathen. Der Re⸗ tadelte dieses Vorgehen in scharsen Worten. eko daß die früher im Stauereibetriebe von Strauß u. Co. beschäftigte Leute beschlossen hätten, sich bei ihrem früheren Arbeitgeber am Mentag wieder zur Arbeit zu melden. Auch die früher im Stauerei betriebe beschäftigt gewesenen Arbeiter sollen beabsichtigen, heute Abend eine Versammlung abzuhalten, in welcher darüber berathen werden soll, ob man die Arbeit wieder aufnehmen wolle.

Aus Weißenfels wird der Berliner „Volks⸗Ztg.“ zum Aus stande der Arbeiter der Schuhfabriken geschrieben: Der Aus stand in den Fabriken der Schuhindustrie nimmt langsam ab. lich mehrt sich die Zahl der Arbeitenden und der Fabriken, wel den Betrieb wieder aufnehmen. Gestern arbeiteten bereits wieder 1128 Personen, unter denen sich allerdings zahlreiche Neulinge be⸗ finden. (Vgl. Nr. 30 d. 892 1“

In Barmen und Cassel haben, einer Mittheilung des „Vor wärts“ zufolge, die Tischler beschlossen, in eine Lohnbewegung ein zutreten. In Barmen wird verlangt: neunstündige Arbeitszeit unter Beibehaltung des jetzt üblichen Wochenlohns und 10 % Aufschlag bei Stunden⸗ und Accordarbeit, 25 % Aufschlag für Ueberstunden, Sonntags⸗ und Feiertagsarbeiten u. s. w. In Cassel wird u. a. ge⸗ fordert: Neunstundentag, Minimallohn von 18 ℳ, Abschaffung der Accordarbeit.

Hier in Berlin ist nach demselben Blatt der Ausstand der Mechaniker und Uhrmacher bei der Gesellschaft „Fahrpreis⸗Anzeiger“ beigelegt worden. (Vgl. Nr. 22 d. Bl.)

In Zürich haben, wie der Berner „Bund“ meldet, die Kamin fegergehilfen beschlossen, in den Ausstand zu treten. 8

Aus St. Petersburg meldet „W. T. B.“: Als in der ersten Hälfte des Januar den bereits ausständigen Arbeitern dreier hiesiger Fabriken sich auch die Arbeiter sechs großer Spinnereien in und um St. Petersburg anschlossen und behördlich festgestell wurde, daß der allgemeine Ausstand aller Fabrikarbeiter völlig geplant und vorbereitet war, beeilte man zuständiger Seite, dem Ausbruch desselben durch schläge in den Fabriken vorzubeugen, laut welchen den Arbeitern amtlich mitgetheilt wurde, 8 ein Gesetzentwurf über die Regelung der Arbeitszeit sofort an den Reichsrath gelangen und voraussichtlich schon im April in Kraft treten werde. Inzwischen setzten die meisten größeren Spinnereien freiwillig unter gleichzeitiger entsprechender Lohnerhöhung die Arbeitszeit auf 10 Stunden fest. Für den Augenblick haben sich die Arbeiter mit dieser Beilegung der Streitfragen ein⸗ verstanden erklärt und die Arbeit allerorts wieder aufgenommen, haben jedoch zugleich die Erwartung ausgesprochen, daß bis zum April die endgültige Regelung der Arbeitszeit stattgefunden haben werde. Der Finanz⸗Minister hat nun einen diesbezüglichen Gesetzentwurf fertig⸗ gestellt, welcher dem Reichsrath in den nächsten Tagen zugehen wird.

Kunst und Wissenschaft.

Die Katakomben des Domes zu Magdeburg.

Unter Leitung des Bauraths Angelroth haben auf private Kosten zu Ende vorigen Jahres im Chor des Magdeburger Domes Nach⸗ forschungen stattgefunden, um festzustellen, ob, wie nach alten Nach⸗ richten zu vermuthen, dort noch eine dem alten Dome zuzu⸗ schreibende Krypta vorhanden sei. Hierbei warde zunäͤchst das Grab des 1367 bestatteten Erzbischofs Dietrich aufgedeckt. Der Zugang wurde nach vorhandenen Urkunden freigelegt. Nach Rußnahme zweier mit Ringen versehenen Steinplatten ohne Inschrift oder sonstige Bezeichnung fand man ein anscheinend unberührtes, aus Steinplatten bestehendes Grab, in dem der im Skelett wohlerhaltene Leichnam eines Bischofs im Ornat lag. Die Leiche war mit einem jetzt rothbraunen seidenen Gewande angethan, die Füße waren mit spitzen Schnürschuhen bekleidet. Der Bestattete trug eine Mitra aus Golebrocat, und an sonstigen Beigaben fanden sich ein silberner, mit Patina überdeckter Kelch, zwei Gewandschließen mit radartigem Muster und dem Lamme Gottes sowie Reste eines golddurchwirkten, vielleicht dem Pallium angehörigen Bandes. Auf der Brust der Leiche lag ein Bleitäfelchen, welches den Namen Theodericus Archiepiscopus mit Sicherheit er⸗ kennen ließ. Dieser Kirchenfürst, der sich in seinem De stament als Verwandter des Hauptmanns Nicolaus von Bismarck, des Begründers dieses Geschlechts, bezeichnet, ist für die Geschichte des Erzstifts als ausgezeichneter Regent und für die des Domes deshalb von besonderem Interesse, weil unter ihm im Jahre 1363 der Dom mit großem Gepränge geweiht wurde. ndachdem die Beigaben abgezeichnet bezw. photographiert und dann wieder in das Grab gelegt worden waren, wurde dasselbe unter Zuziehung der bei der Eröffnung zugegen ge⸗ wesenen Domggeistlichkeit wieder geschlossen.

Die weiseren Nachgrabungen, die, unter dem Hauptaltar be⸗ ginnend, sich nach dem Grabe Kaiser Otto's I. zu erstreckten, er⸗ folgten größtentheils unterirdisch durch Miniergänge, welche in einer Tiefe von etwa 3,70 m unter dem Fußboden der Vierung vor⸗ getrieben wurden. Sie haben aber nur insoweit zu einem Ergebniß geführt, als unter dem Grabe Otto's noch mit Gußgewölben über⸗ deckte Gänge vorgefunden wurden, während die Gewölbe zwischen den vielfach noch festgesteilten rohen Seitenmauern meistens zum theil wohl erst bei der Wiederherstellung des Domes in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts zerstört wurden.

Die ungepflasterte Sohle dieser katakombenartigen, seit⸗ lich vielfach ausgenischte- mit Schutt verfüllten Gänge, welche die Reste menschlicher, von Männern, Frauen und Kindern herrührender Skelette in großer Anzahl, aber bis auf eine Bernsteinperle ohne jede Beigabe enthielten, war überall da, wo sie mit den tiefergehenden, um 1208 begonnenen, durchgehenden Chor⸗Fundamenten zusammenstießen, zerstört, sodaß sie wohl einer vor dem Beginn des üeigen Domes entstandenen Anlage angehören. Vermuthlich sind diese Katakomben die Reste einer alten Begräbnißanlage, die mit dem früheren Moritzkloster in Verbindung stand. Die Kirche des letzteren, welche nur von 937 bis 967 als solche bestanden hat, ist wahrscheinlich späterhin in den ersten Dom, welcher 1207 abbrannte, umgewandelt worden.

Nach einem über die unterirdischen Gänge sich hinziehenden Estrich

zu schließen, der sich etwa 1,0 m unter dem Fußboden der Vierung