erfüllen. Wenn die Sozialdemokratie die Feindin der Armee ist, welche dieselbe zerstören möchte, weil ihre Disziplin das größte Hinder⸗ niß für die sozialdemokratischen Bestrebungen ist, wie kann sie der⸗ selben noch mit Vorschlägen kommen und so naiv sein, auf eine Be⸗ folgung dieser Rathschläge zu rechnen! Die Logik würde damit an⸗ fangen, daß die Herren, die nicht auf dem Boden der Gesellschafts⸗ ordnung stehen, keine Mandate annehmen; oder man müßte die Gesetzgebung dahin ändern, daß denjenigen, welche die Staatsordnung nicht anerkennen, die Mandate aberkannt werden. Ich wünsche nur den Tag zu erleben, wo die Herren (Sozialdemokraten) von ihren Plätzen ausgeschlossen werden durch gesetzliche Bestimmung oder durch die Einsicht der Bevölkerung. Wir befinden uns mitten in der Revolution seit dem Tage, wo Sie (zu den Sozialdemokraten) Ihre Plätze eingenommen haben. Man verlangt von der Militärverwaltung immerfort Reformen. Hat sich die Armee denn nicht in drei glorreichen Kriegen außerordentlich bewährt? Die Ver⸗ pflegung soll zu schlecht sein. Sehen Sie sich doch unsere lieben blauen Jungen an, sehen die nicht ganz gut aus? Sie verlangen die warme Abendkost u. s. w., aber das Geld dazu bewilligen Sie nicht. Wir würden es gern bewilligen. Ob die Sozialdemokraten gekenn⸗ zeichnet werden, weiß ich nicht; aber wenn sie in der Armee sind, werden sie ebenso behandelt wie die anderen Leute. Sie werden natür⸗ lich beobachtet, und jeder Hauptmaun freut sich, wenn ein solcher Mann sich gut führt, wenn sich zeigt, daß die militärische Erziehung auch wirkt bei solchen Leuten, die aus nicht loyalen Kreisen kommen. Ueber die Militär⸗Strafprozeßordnung können wir noch nicht urtheilen, weil wir sie noch nicht kennen und uns auf unbegründete Zeitungs⸗ nachrichten nicht einlassen. Redner tritt dann für die Gehaltsaufbesse⸗ rung der Musikmeister, der Zahlmeister und der Militär⸗Geistlichen beider Konfessionen ein und empfiehlt eine bessere Regelung der Entschädigung für Vorspann⸗ und Quartierleistungen.
Kriegs⸗Minister General⸗Lieutenant von Goßler:
Ich hatte mich bereitis zum Worte gemeldet, habe aber gern darauf verzichtet, um den Vertretern der größeren Parteien zu ihren Aeußerungen Zeit zu lassen. Ich muß daher zurückkehren zu der Rede des Herrn Abg. Dr. Lieber. Er hat die mildernden Umstände im Prozeß Brüsewitz zur Sprache gebracht, und ich glaube aus seinen Ausführungen entnommen zu haben, daß unsere Anschauungen gar⸗ nicht so weit voneinander entfernt sind. Denn die mildernden Um⸗ stände sind nicht bewilligt, weil die Ehre des Brüsewitz besonders hoch geschätzt wurde, sondern weil das Benehmen des getödteten Siepmann, wie in dem Erkenntniß steht, provokatorisch war. Hieraus sind die mildernden Umstände konstruiert worden. Ich bin übrigens gern bereit, dem Herrn Abgeordneten einen Einblick in das Urtheil zu gewähren, um ihm die Ueberzeugung zu verschaffen, daß nicht eine einseitige, militärische Beurtheilung stattgefunden hat. Seine Aus⸗ führungen in Bezug auf die Allerhöchste Ordre vom 1. Januar d. J. haben meine volle Sympathie. Man kann sich nichts Schöneres denken, als daß man zu seinem Landesherrn das volle Vertrauen aus⸗ spricht. Der Herr Abg. Dr. Lieber steht somit ganz auf meinem Standpunkt.
Ueber die Ehre hier im Reichstage zu diskutieren, hat meines Erachtens keinen Zweck. Ich glaube, daß jeder Stand seine Ehre hat, wie ich früher bereits ausgeführt habe, und daß die Ehre des Standes am höchsten steht, der sie am reinsten erhält.
Ich wende mich nun zum Vertreter der sozialdemokratischen Partei, der mir den Rath ertheilt hat, ich möchte die Prozesse doch einstellen, die aus Anlaß des Falles Brüsewitz und anderer Fälle von mir eingeleitet worden seien. Zu meinem Vergnügen führe ich keine Prozesse; aber daß ich Beleidigungen auf der Armee sitzen lassen soll, ist nicht meine Aufgabe; im Gegentheil, es ist meine Pflicht, alle Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten auf mich zu nehmen, um Beleidigungen, die gegen die Offiziere oder die Armee überhaupt an die Oeffentlichkeit gelangen, zu verfolgen. Und zu meiner großen Freude ist es mir gelungen, in fast allen Fällen eine Verurtheilung zu erzielen.
Der Herr Vertreter der Sozialdemokratie hat seiner Partei ge⸗ glaubt ein Verdienst beimessen zu können, daß die Mißhandlungen in der Armee abgenommen haben. Auf diesem Standpunkt stehe ich nicht, sondern im Gegentheil, ich glaube, daß die Verbreitung der sozialdemokratischen Ideen eine große Schwierigkeit für uns in der richtigen Erziehung unserer Leute ist. Sie können hierauf schon schließen aus den mannigfachen Verbrechen und zum theil so blutigen Affairen, welche die Zeitungen füllen; denn es ergiebt sich hieraus, daß eine viel größere Verrohung der Jugend eingetreten ist, seitdem die Sozialdemokraten ihre Ideen verbreiten. (Lachen links, Bravol rechts und in der Mitte.) Wir können das insofern nachweisen, als die Zahl der Vorstrafen der neu Eingestellten in einem ganz ungewöhnlichen Maße zugenommen hat. Noch vor zehn Jahren war der durchschnittliche Prozentsatz der Vor⸗ bestraften 10 %. Ich will einzelne Armee⸗Korps anführen. Ich habe die Nachweisungen aus dem letzten Jahre hier. Beim IX. Armee⸗Korps waren 17,3 % der Eingestellten vorbestraft (hört! hört! rechts und in der Mitte), beim XV. Armee⸗Korps 19,8, beim XVI. Armee⸗Korps 19,8 %. Also, meine Herren, daß die Sozialdemokratie mit ihren Anschauungen nicht eine Veredelung der Bevölkerung herbeiführt, ist hiernach zweifellos. (Sebr richtig!)
Es ist dann der Herr Abgeordnete übergegangen auf Details, die sich in Dessau abgespielt haben sollen. Ich bin zu meinem Bedauern darüber nicht genau orientiert; ich würde aber den betreffenden Gast⸗ wirthen gerathen haben, wenn ihre Wirthschaften als Schweinebuden bezeichnet worden sind, den Weg der Klage zu beschreiten. Das ist doch die einfachste Folge, die daraus gezogen werden kann. Aber beim Gehalt des Kriegs⸗Ministers auszuführen, ein Lieutenant in Dessau hätte die Wirthschaften als „Schweinebuden“ bezeichnet, das gehört doch nicht vor den Reichstag. (Sehr richtig!)
Daß die Leute nicht mit „Du“ angeredet werden dürfen, ist eine uralte Bestimmung, die schon seit den Befreiungskriegen besteht.
Ferner ist von einem von Offizieren besuchten Lokal in Dessau gesprochen worden, in dem sich dieselben mit Seideln geworfen haben sollen. Auch hierüber ist mir nichts bekannt, und kann ich daher diese Nachricht, bis der Beweis der Wahrheit erbracht, nur für Klatsch erklären.
Dasselbe ist der Fall bezüglich der Rede des Herrn Obersten Vollard von Bockelberg, von der ich ebenfalls nichts gehört habe.
Es ist dann noch erwähnt worden, daß zwei Sozialdemokraten oder Anarchisten kriegsgerichtlich mit einer längeren Freiheitsstrafe bestraft worden seien. Das ist vollkommen richtig. Ich habe die Akten hier. Die Leute waren Arbeitssoldaten, befanden sich beide in der zweiten Klasse des Soldatenstandes und haben ein recht be⸗ trächtliches Strafverzeichniß hinter sich; es nimmt fast zwei Seiten ein; ich stehe davon ab, es hier zu verlesen. Diese beiden Leute haben die Frechheit gehabt, bei einem militärischen Transport nach ihrem Uebungsort laut zu schreien, der eine:
ich bin Sozialdemokrat, —
der andere: ich bin Anarchist, und sind infolge dessen wegen schwerer Verletzung der Disziplin und, meines Erachtens, mit vollem Recht exemplarisch bestraft worden.
Von meinem Standpunkt aus kann ich das nur im höchsten Grade billigen. (Sehr richtig)) Die Herren haben mir dann an⸗ gerathen, wir sollten doch der Verbreitung sozialdemokratischer Zeitungen in der Armee fernerhin keine Schwierigkeiten mehr in den Weg legen. Da muß ich doch dringend bitten, sich zunächst erst einmal Ihre eigenen Verhandlungen in Gotha anzusehen. Hier liegt die Broschüre, die ich zu meinem Bedauern habe durchsehen müssen. (Heiterkeit rechts.) In derselben wird unter anderem auch Ihre eigene Presse einer sehr eingehenden Kritik unterzogen. So ist z. B. die Wahrheitsliebe und die Redaktion des „Vorwärts“ in einer Weise kritisiert worden, die diese Zeitung in meinen Augen noch mehr herabgesetzt hat; hatte ich sie doch immer noch für besser ge⸗ halten, als sie von den eigenen Genossen bei dieser Gelegenheit ge⸗ schildert wird. (Große Heiterkeit.) Außerdem giebt es noch eine Beilage des „Vorwärts“, „Die neue Welt“, die ich bis dahin aller⸗ dings noch nicht kannte. Auch die Verhandlungen über dieses Blatt gaben einen interessanten Ueberblick über den Inhalt der in demselben gebotenen Unterhaltungslektüre, die von den eigenen Ge⸗ nossen als „stinkende Schweinerei“ bezeichnet wird. (Große Heiterkeit.) Es ist dieses von besonderer Bedeutung, wenn man bedenkt, daß die „Neue Welt“ in 200 000 Exemplaren mit einem jährlichen Zuschuß von 48 000 ℳ aus der Parteikasse verbreitet wird, um als Unter⸗ haltungsblatt für die Arbeiterfamilien zu dienen. (Große Heiterkeit.) Ich will dieses Thema nicht näher ausführen; es ist zum theil nicht gerade appetitlich und sind sexuell gemeine Sachen mit Vorliebe behandelt und trotzdem ist beim Schluß der Debatte über diese Aus⸗ führungen in Gotha gesagt worden, die Diskussion über die „Neue Welt“ hätte gezeigt, daß die sozialdemokratische Partei auf den Höhen der Menschheit wandele. Nun, der Geschmack ist verschieden; ich halte das für die Tiefen der Menschheit. (Bravo! rechts.)
Daß wir aber jemals die Prinzipien der Sozialdemokratie im Heere anerkennen werden, ist völlig ausgeschlossen, wie ich das bei meiner gestrigen Rede schon näher ausgeführt habe. Die Beschlüsse, die in London gefaßt worden sind, lassen gar keinen Zweifel, daß es sich um eine Partei handelt, die antinational ist. Ich will die hierauf bezüglichen Stellen aus dem Bericht vorlesen:
Dieser Kongreß versteht unter politischer Aktion alle Formen des organisierten Kampfes zur Eroberung der politischen Macht und die Ausnützung der Gesetzgebungs⸗ und Verwaltungseinrichtungen in Staat und Gemeinde durch die Arbeiterklasse zum Zwecke ihrer Emanzipation, — . und weiter: 1 Der Kongreß erklärt, daß er für volles Selbstbestimmungsrecht aller Nationen eintritt und mit den Arbeitern jeden Landes sympathisiert, das gegenwärtig unter dem Joche des militärischen, nationalen oder anderen Despotismus leidet. — (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Mit anderen Worten: die ganze Bewegung ist eine antinationale und eine internationale. Wie man unter diesen Umständen, wenn man die Grundlagen unserer Reichsverfassung leugnet, die Staatsform eventuell völlig umändern will, die Person des Königs nicht mehr achtet, kurzum alles, was wir in dieser Beziehung in Deutschland heilig halten, vollkommen auf⸗ geben will, verlangen kann, daß derartige Ansichten in der Armee, die zum Schutze dieser Einrichtungen da ist, verbreitet werden, das ist mir unverständlich. (Bravo! rechts.)
Meine Herren, auf die Charakterisierung des Offizierstandes gehe ich nicht näher ein. Doch ist das hier mit einer solchen Einseitigkeit und mit einem so vollständigen Mangel an Kenntniß der Pflichten des Offiziers geschehen, daß ich diese Ausführungen nur auf das lebhafteste bedauern kann. Der Versuch, die Politik in die Armee zu tragen, wie es der Herr Vorredner empfohlen hat, ist ein sehr ernster. Unser ganzes Bestreben geht im Gegentheil dahin, die Politik von der Armee fern zu halten. (Sehr richtig!) Ich glaube, keine Partei würde empfehlen können, eine solche gewaltige Macht, wie sie unsere Armee darstellt, in das Treiben der Politik hinein zu werfen.
Die Lage der Musikmeister und Zahlmeister wird im Auge be⸗ halten werden. In Betreff der Entschädigung für Vorspann schweben Erörterungen, und in Betreff der Manöver bin ich gern bereit, die Erfahrungen, die wir beim vorjährigen Kaisermanöver gemacht haben, zu verwerthen. (Bravo!) 8
Abg. Dr. Hasse (nl.): Die dentsche Sozialdemokratie unter⸗ scheidet sich von der französischen und englischen unvortheilhaft dadurch, daß sie antinational ist. Die Kasernenagitation soll ja jetzt unterbleiben, sagen die Scozialdemokraten, weil die Betheiligten dadurch geschädigt werden. Das ist so, als wenn man den Diebstahl nur deswegen verurtheilt, weil man bestraft wird, wenn man erwischt wird. Daß Sozialdemokraten im Heere sind, ist begreiflich, da sie einen großen Theil der Bevölkerung ausmachen. Der englische Staatssekretär des Krieges hat gesagt, daß die englische Armee keine Rekruten bekommen würde, wenn sie der Sklaverei unterworfen würden, die in der deutschen Armee herrsche. (Zuruf: das ist ein Sozialdemokrat!) Nein, das ist kein Sozialdemokrat; den würde ich nicht erwähnen. Eine solche Aeußerung ist eine Unverschämtheit und eine Lächerlichkeit. Ehe Jemand so etwas ausspricht, sollte er erst unsere Verhältnisse kennen lernen.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Auch jedes bürgerliche Gericht hätte demjenigen, der so wie Herr von Brüsewitz provo⸗ ziert wurde, mildernde Umstände bewilligt; die Frage, ob die bürger⸗ liche oder die militärische Ehre mehr verletzt werden kann, bleibt dabei ganz außer Betracht. Die Geschworenengerichte nehmen in weit weniger milden Fällen, z. B. bei Nothzucht, sehr oft mildernde Umstände an. Wenn Herr Peus behauptet hat, die Sozialdemo⸗ kraten verhängen nicht den Boykott wegen der politischen Gesinnung, so schlägt das den Thatsachen ins Gesicht. Hier in Berlin kann kein nichtsozialdemokratischer Maurer irgendwo mehr Arbeit finden. Die Sozialdemokraten verlangen, daß black legs nicht beschäftigt werden. In Hamburg sind die arbeitswilligen Leute derart belästigt worden, daß die Polizei sie beschützen muszte. Die Wohnungen der Strike⸗ brecher wurden bezeichnet. Die Arbeitswilligen wurden so belästigt, daß einer sich nicht anders helfen konnte, als einen Revolver zu ziehen und einen der Gegner todtzuschießen. Nach Beendigung des Strikes sind die Arbeitgeber bereit, und das ist ein großes Zugeständniß, so weit Platz ist, die Strikenden einzustellen. Aber diese verlangen, daß die Arbeitswilligen entlassen werden. Und das geschieht in einem Moment, wo die Strikenden alle Ursache hätten.. (Vize⸗Präsident Spabn: Ich vermisse den Zusammenhang dieser Ausführungen mit dem Gehalt des Kriegs⸗Ministers.) Der Abg. Peus hat davon ge⸗ sprochen, daß die Sozialdemokroten den Boykott nicht wegen der Gesinnung verhängen. (Vize⸗Präsident Spahn: Ich babe die Aus⸗ führungen des Abg. Peus nicht gehört, meine aber, daß diese auch nicht hierher gehörten.) Ich werde bei der Berathung des Achtstunden⸗ tages darauf zurückkommen. Wie kann man Anerkennung
gleichberechtigte Partei verlangen, wo man selbst sagt: Das König⸗ thum ist nicht die letzte Spitze der Entwickelung! Deshalb muß unter allen Umständen verhindert werden, daß das sozialdemokratische Gift in die Armee eindringt. Herr Bebel hat zwar eine unter den Soldaten verbreitete Broschüre für Blödsinn erklärt; aber auf die Gefahr hin, auch für blödsinnig gehalten zu werden, erkläre ich, daß ich jedes Wort der Broschüre unterschreibe. Wenn man irgend ein sozialdemokratisches Machwerk angreift, dann heißt es: es ist nicht Parteisache. Was ist denn parteioffiziell? Etwa bloß der „Vorwärts“? Herr Bebel glaubt berechtigt zu sein, Alles, was ihm ein Anderer mittheilt, auch wenn er keine Beweise dafür hat, öffentlich aussprechen zu können, auch wenn es Beleidigungen und Verleumdungen sind. Berichtigungen werden von den sozialdemokratischen Zeitungen gar nicht aufgenommen. Herr Peus bat ja uns alle als theilweise Atheisten bezeichnet. Dagegen muß ich doch energisch protestieren. Der rothe Kalender ist wieder erschienen; er enthält nichts als ein Sammel⸗ surium von Gedächtnißtagen von Blutthaten. Es ist schwer, etwas Neues zu sagen. Das Buch Bebel'’'s über die Frau ist nicht offtziell, aber es ist auch nicht verboten. Das Buch proklamiert die freie Liebe, die ja auch in sozialdemokratischen Kreisen geübt wird. Ein Führer der Sozialdemokratie in Ostpreußen hat sich erschossen, weil er ein vierzehnjähriges Mädchen verführt hat. Das Parteiblatt spricht davon, daß er gegen den Sittenkodex derer von der zahlungsfähigen Moral verstoßen habe. Der Vater des Mädchens, der am meisten zu dem Entschluß des Selbstmordes beigetragen hat, habe selber im Zucht⸗ hause gesessen. Also deshalb ist das Mädchen den Verführungen eines Wüstlings preisgegeben. Es ist selbstverständlich, daß die Heeres⸗ verwaltung dafür sorgt, daß solche Gesinnungen von der Armee fern gehalten werden.
Abg. von Vollmar (Soz.): Man kann eine Debatte so sachlich beginnen, wie man will, — von mir hat das Graf Arnim an⸗ erkannt —, so bringen Sie es immer kunstvoll dahin, daß daraus eine Sozialistendebatte wird. Glauben Sie uns dadurch zu schaden außer⸗ halb des Hauses? Sie koöͤnnen noch schönere Lesefrüchte vortragen, und wenn wir uns garnicht daran betheiligen, wir werden den Nutzen davon haben. Graf Roon ist der richtige Reaktionär, von keiner konstitutionellen Idee angekränkelt; er steht auf dem Stand⸗ punkte, auf dem der vollgewichtige Russe steht. Er glaubt, durch Unterdrückung sozialistischer Anschauungen die Grundlage der Sozial⸗ demokratie beseitigen zu können. Der Kriegs⸗Minister sprach von der Verrohung der Jugend und von anderen Dingen, die nicht in sein Ressort einschlagen. Ueber solche staatsrechtlichen und politischen Din wollen wir doch lieber mit den andern Ressorts verhandeln. Ich 2 nicht behauptet, daß der Straßburger Proviantbeamten⸗Prozeß erst durch die öffentliche Diskussion veranlaßt sei, sondern nur, daß dieses öffentliche Verfahren manches zu Tage gefördert habe, was im Disziplinarverfahren nicht offenbar geworden wäre. Wenn in die Armee die Politik eingeführt wird, so ist das bedenklich; aber wer bringt die Politik in die Armee anders als derjenige, der von allen politischen Anschauungen allein die sozialdemokratischen aus der Armee ausschließt! Wir verlangen allgemeine Rechtsgleichheit; das Gesetz kennt keine strafbare sozialdemokratische Gesinnung. Strafen Sie Thaten, aber verfolgen Sie nicht die bloße Gesinnung! Der Kriegs⸗Minister macht es sich dech allzu leicht, politisch zu debattieren. Die Literatur über Sozialismus und Arbeiter⸗ bewegung ist eine große und beansprucht ein Studium für sich, zu welchem die anderweitig beschäftigten Herren von der Heeresverwaltung kaum Zeit haben. Sie sollten eine flüchtige Lektüre nicht für hinreichend halten zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. Was bedeutet die Aeußerung eines Einzelnen auf einem Kongreß für die ganze Sozial⸗ demokratie? Theilt die Armee etwa alle Ansichten des Generals von Boguslawski? Die Offiziere stehen unter derselben Disziplin, kommen also in ihren Ansichten ziemlich überein. In der Sozial⸗ demokratie fehlt es an solcher Disziplin. Keine Partei ist verant⸗ wortlich für alles das, was ein Einzelner sagt. Ich habe von den nationalen Auffassungen der Sozialdemokratie gestern gesprochen. Der Kriegs⸗Minister bezeichnete sie als vaterlandslos. Damit hat er auch mich der Unwahrheit geziehen. Was würde der Kriegs⸗Minister er⸗ widern, wenn ich ohne Beweis seine Behauptung als unwahr bezeichnen würde? Ich bin jedenfalls ein besserer Interpret der Meinungen über Bestrebungen meiner Partei, als der Kriegs⸗ Minister, und es bringt nicht nur der parlamentarische Brauch mit sich, sondern ich habe auch ein persönliches Recht darauf, daß man meine Worte nicht in Zweifel zieht.
General⸗Auditeur Ittenbach: Der Vorredner hat gestern bereits behauptet, daß ein Gnadengesuch nicht weiter befördert worden sei. Ich kann die ganze Geschichte als ein Märchen bezeichnen. Das Urtheil, durch welches der Lieutenant von Köster wegen Zweikampfs mit zwei Jahren Gefängniß bestraft ist, erging Dezember 1880; die Akten wurden übersendet mit dem Gnadengesuch. Das Erkenntniß ist mit dem Gnadengesuch Seiner Majestaàt vorgelegt worden. Das General⸗Auditoriat hat sich für das Gnadengesuch ausgesprochen, und Seine Majestät hat das Urtheil gemildert. Der Herr von Köster hat aber die Ansicht gehabt, daß er eine größere Milde ver⸗ dient hätte. Ueber solche Gnadengesuche hat lediglich Seine Majestät zu entscheiden, und jeder Kommandeur, der ein solches Gnadengesuch zurückhalten würde, würde nicht lange mehr Gerichtsherr bleiben. Herr Bebel hat zwei Fälle angeführt, in welchen Angeklagte, die im kriegsgerichtlichen Verfahren verurtheilt waren, von den Zivil⸗ gerichten freigesprochen wurden. Es handelte sich um die Fälle Noack und Strehlau. Im Falle Noack sind im Zivilverfahren Miß⸗ handlungen ermittelt worden, aber sie lagen vor der Zeit, wo Noack Mißhandlungen gesehen haben wollte. Der Unteroffi ier ist bestraft worden. Strehlau klagte nach seiner Entlassung über Mißhandlungen. Die Akten wurden sofort an die Staatsanwalt abgegeben, die Sache sollte nicht rertuscht werden. Das Verfahren vor dem Zivilgericht fand nach 10 Jahren statt, die Sache muß also nicht so einfach gelegen haben. Die Bestrafung der Schultigen ist erfolgt.
Abg. Dr. Förster⸗Neustettin wendet sich gegen die Ausführungen des Kriegs⸗Ministers und des General⸗Majors Freiherrn von Gem⸗ mingen, die ihn mehrfach falsch verstanden hätten.
Darauf wird ein Vertagungsantrag angenommen.
Persönlich bemerkt
Abg. Graf von Roon: Wenn mich der Abg. Vollmar ft⸗ einen Russen erklärt hat, so versichere ich, daß ich ein sehr guten Deutscher und Preuße bin und noch dazu als Deutscher und Preute auf dem Boden stehe, den diese Länder in ihrer Verfassung haben das schließt aber nicht aus, daß ich unter Umständen Abänderungen dieser Verfassung wünsche und unter anderem wünsche, daß die Herren mir nicht gegenüberstehen.
Schluß 5 ¼ Uhr. setzung der Berathung des Militär⸗Etate).
Preußischer Landtag. -
Heaus der Abgeordneten.
3 32. Sitzung vom 13. Februar 1897.
Ueber den ersten Theil der Sitzung ist vorgestern berichten worden.
Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats
für 1897,98, und zwar des Etats des Ministeriums des
Innern, wird fortgesetzt.
Bei dem Kapitel der Landgendarmerie befürwortet
Abg von Riepenhausen⸗Crangen k(kons.) eine Aufbesserung des Einkommens der Gendarmerie, deren Aufgaben durch die bewegungen immer schwerer würden.
Abg. Mooren (Zentr.) beklagt sich darüber, daß die Gendarmen zu scharf mit dem Verlangen vorgingen, bei jeder Gelegenheit der
Jagdschein vorzuzeigen.
Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. (Fort⸗
₰
Minister des Innern Freiherr von der Recke: Meine Herren! Ich bin den verschiedenen Herren Vorrednern
nd, da sie sich einstimmig in dem leichen Sinne geäußert baben,
dem hohen Hause sehr dankbar für die freundlichen Worte, die der Gendarmerie gewidmet sind. Ich kann versichern, daß die Königliche Staatsregierung in der Hochschätzung dieses vorzüglichen Korps mit dem hohen Hause vollständig sympathisiert. Auch sie ist der Meinung, daß den Gendarmen vollständig ausreichende Bezüge gewährt werden müssen, schon aus dem Grunde, weil es erforderlich ist, die Gendarmen vor allen möglichen Anfechtungen zu sichern und zu schützen.
Ich muß aber doch darauf hinweisen, meine Herren, daß die Gendarmen erst im Jahre 1892 eine sehr er⸗ hebliche Aufbesserung ihrer Bezüge erfahren haben. Diese Aufbesserung betrug fast 15 %. Weshalb man die Frage der Aufbesserung der Bezüge bei der jetzigen Besoldungsaufbesserung nicht mit in Erwägung gezogen hat, ergiebt sich aus der Denkschrift. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Königliche Staatsregierung, insbesondere nach den Anregungen, wie sie hier aus dem Hause ge⸗ geben worden sind, einer erneuten Prüfung dieser Frage näher tritt, und ich kann wohl versichern, daß es meinerseits an der wohlwollendsten Erwägung nicht fehlen wird. (Bravo!)
Wenn ich mir dann noch erlauben darf, auf zwei Punkte zurück⸗ zukommen, so möchte ich zunächst dem Herrn Abg. Mooren er⸗ widern, daß die von ihm angeregte Frage, ob es zweck⸗ mäßig sei, bei jeder Gelegenheit die Jagdscheine revidieren zu lassen, in erster Linie das Ressort des Herrn Landwirth⸗ schafts⸗Ministers berührt; ich nehme aber keinen Anstand zu erklären, daß es damals im Interesse einer wirksamen Ausführung des neuen Gesetzes nothwendig erschienen ist, wenigstens in den ersten Jahren auf eine scharfe Revision hinzuwirken. Die von dem Herrn Abg. Mooren vorhin berührte Anordnung ist von der Ministerial⸗ instanz ausgegangen; es wird ja nun Sache der Erwägung sein, ob es, nachdem inzwischen einige Jahre verflossen sind, möglich erscheint, in dieser Beziehung die Zügel etwas nachzulassen.
Wenn dann der Herr Abg. Meyer (Riemsloh) mich gebeten hat, darauf hinzuwirken, daß den Gendarmen eine gewisse Latitüde bei der Verfolgung der Kontraventionen gegeben würde, so kann ich in Uebereinstimmung mit dem Herrn Abg. von Tzschoppe darauf nur erwidern, daß ich glaube, einer derartigen Anordnung wird es nicht bedürfen, wenigstens meinerseits nicht. Ein verständiger Gendarm wird in dem Sinne verfahren, wie Herr Meyer (Riemsloh) angedeutet hat.
Ueber einige spezielle, von den Herren Vorrednern angeregte Punkte wird sich mein Herr Kommissarius erlauben, noch einige weitere Erklärungen abzugeben.
b sce den allgemeinen Ausgaben im Interesse der Polizei wün
Abg. Rickert (fr. Vgg.) Aufschluß darüber, wie viel von den geheimen Ausgaben von 200 000 ℳ für die Kriminalpolizei und wieviel für die politische Polizei ausgegeben werde, und beantragt zu diesem Zwecke die Zurückverweisung des Titels an die Budget⸗ kommission.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Wenn ich den Herrn Abg. Rickert recht verstanden habe, ist der Zweck seines Antrages der, in der Budgetkommission festgestellt zu sehen, zu welchen einzelnen Ausgaben dieser Fonds verwendet wird. Ich möchte darauf nur kurz erwidern, daß meines Erachtens die Er⸗ füllung eines derartigen Wunsches durch den Zweck des Fonds selber vollständig ausgeschlossen ist (sehr richtig! rechts); der Fonds ist ja ausdrücklich zu geheimen Ausgaben der Polizei“ bestimmt. (Heiter⸗ keit.) Ich kann mich also nur gegen diesen Antrag aussprechen.
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum kkons.): Ich widerspreche dem Antrage auf Zurückverweisung an die Budgetkommission, weil der Minister im Interesse der Polizei keine Auskunft geben kann. Man muß der Königlichen Staatsregierung das Vertrauen schenken, daß sie den Fonds nicht in ungeeigneter Weise verwendet. Die Frage könnte man noch dahin stellen, ob überhaupt geheime Fonds nöthig sind oder nicht, und da muß ich sagen, daß eine Regierung einen solchen Fonds nicht entbehren kann. Daß vielleicht in einem einzelnen Falle eine Ausgabe als nicht zweckmäßig geleistet angesehen werden kann, kann im Großen und Ganzen meine Änsicht von der Nothwendigkeit eines solchen Fonds nicht erschüttern. Ich kann daher nur rathen, der Budgetkommission eine unnöthige Arbeit zu ersparen.
Abg. Dr. Sattler (nl.): Der Rechnungskommission könnten wohl in großen Gruppen diese Ausgaben gekennzeichnet werden, nicht der Budgetkommission. Aber viel weiter kommen wir damit auch nicht. Rach den Erklärungen des Staatssekretärs Freiherrn von Marschall ist für uns der Grund weggefallen, die politische Polizei hier einer Erörterung zu unterziehen. Deshalb ist auch eine Zurück⸗ verweisung an die Kommission nicht erforderlich.
Abg. Rickert: Ich wünsche nicht jede einzelne Ausgabe zu wissen, sondern nur die Kategorien, für welche dieser Fonds verwendet wird. Wenn auch nicht im Plenum, so können wir doch in der Kommission eine vertrauliche Auskunft erhalten. Das geschieht im Reichstag oft.
Abg. Kirsch (Zentr.): Interessant wäre das ja für die Mitglieder der Kommission, dem gesammten Volke würde aber eine solche ver⸗ trauliche Mittheilung nichts nützen. Besser wäre wenigstens eine allgemeine Erklärung des Ministers im Plenum.
Abg. Jansen (Zentr.) hält es nicht für angemessen, die Rech⸗ nungskommission damit zu befassen; aber allgemein könnte der Minister eine Erklärung geben, damit man beruhigt sei, daß die Mittel richtig verwendet würden.
Der Antrag Rickert wird abgelehnt gegen die Stimmen der Freifinnigen, der Polen und des größten Theils des Zentrums. Der Titel wird bewilligt.
Bei den Ausgaben zu Prämien für die Ermittelung von
Verbrechern tadelt Abg. Broemel (frs. Vgg.) unter Hinweis auf den Mord des Justiz⸗Raths Levy die Berliner Kriminalpolizei, die in diesem Falle nicht mit der nöthigen Schnelligkeit verfahren sei. Von 32 schweren Mordthaten in Berlin in den letzten Jahren seien nur in 16 Fällen die Thäter entdeckt. Die Kriminalpolizei müsse reformiert und besser besoldet werden. Die Anforderungen an diese Beamten seien gerade herabgesetzt worden, anstatt sie zu steigern. Der Finanz⸗Minister hindere 5 hier eine ausreichende Besoldung. hne eine solche könne man aber keine geeigneten Beamten bekommen. ir müßten feststellen, wie weit die Beamten an diesen Prämien und besonderen Remunerationen betheiligt werden. Hier handele es sich nicht um geheim zu haltende Angelegenheiten. Die Sache müsse zunächst eingehend in der Kommission berathen werden, und er beantrage die Zurückverweisung dieses Titels an die Kommission.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Wenn der Herr Vorredner die Gewogenheit ge⸗ habt hätte, meine Aeußerungen, die ich an anderer Stelle gethan habe, sich etwas näher anzusehen, so würde er gefunden haben, daß ch auch von einer bevorstehenden Reorganisation der Kriminalpolizei gesprochen habe. Ich habe damals ausdrücklich hervorgehoben, daß ich
auf Grund eines Antrages des Herrn Poltzei⸗Präsidenten, dessen der
schen Vereine etwas erhalten
Herr Vorredner auch Erwähnung gethan hat, eine Kommission aus Sachverständigen zusammenberufen hätte, um zu prüfen, nach welcher Richtung hin etwa eine Reorganisation der Kriminalpolizei einzutreten hätte. Diese Kommission befindet sich noch in voller Arbeit, und es wird abzuwarten sein, welche Vorschläge von derselben gemacht werden. Bei diesen Berathungen wird auch die Frage der Vor⸗ bildung der Polizeibeamten eine Rolle spielen, und es werden auch bei dieser Gelegenheit die Einkommensverhältnisse der Polizeibeamten einer näheren Erörterung unterzogen werden. Ich glaube also, daß es ent⸗ sprechend wäre, wenn der Herr Vorredner sich geduldet, bis die Re⸗ sultate aller dieser Erörterungen vorliegen. Von einer Berathung der Sache in der Budgetkommission kann ich mir meinerseits einen Erfolg nicht versprechen, und kann dem hohen Hause daher nur anheimstellen, den Antrag des Herrn Vorredners abzulehnen.
Abg. Broemel bleibt dabei, daß die Frage in der Kommission eingehend geprüft werden müsse.
Abg. Dr. Sattler (nl.): Die Verhältnisse der Kriminalbeamten müssen allerdings aufgebessert werden. Die Kriminalpolizei hat sich zwar nicht als sehr glänzend erwiesen, mit einer Erörterung in der Kommission kommen wir aber durchaus nicht weiter.
Abg. Broemel will von seinem Antrag absehen, wenn der Minister erklärt, daß er im nächsten Jahre dem Hause von den Arbeiten der erwähnten Kommission Mittheilung machen wolle.
Da der Minister darauf nicht antwortet, hält Abg. Broemel seinen Antrag ausdrücklich aufrecht.
Der Antrag Broemel wird abgelehnt, der Titel wird be⸗
mi 3 . Beim Kapitel der Strafanstaltsverwaltung spricht
Abg. Dauzenberg (Zentr.) seine Befriedigung darüber aus, daß eine Erziehungsanstalt für katholische Mädchen in Gräfrath errichtet werde, und wünscht, daß zu Waisenräthen die Geistlichen der ver⸗ schiedenen Konfessionen genommen würden. Die Zentralinstanz zeige wohl Entgegenkommen gegen die Wünsche der Katholiken, aber nicht die unteren Organe. Der Ober⸗Präsident der vorwiegend katholischen Rheinprovinz habe in unangemessener, verletzender Weise vor den kat holischen Geistlichen gewarnt.
Abg. Brütt (fr. kons.): Die Reorganisation unseres Gefängniß⸗ wesens ist noch immer ein ungelöstes Problem. Ganz systemlos ist ein Theil der Gefängnisse dem Justiz⸗Minister, der andere dem Minister des Innern unterstellt. Es kann sehr wohl ein anderes Ressort die Strafe vollstrecken, als das, welches die Strafe verhängt. Das Gefängnißwesen muß einheitlich dem Minister des Innern unter⸗ stellt werden. Meine Freunde meinen, daß das im Interesse der allgemeinen Sicherheit und der Bekämpfung der Angriffe auf das Gemeinwesen des Staates sein würde. Dann würde auch der Uebel⸗ stand vermieden, daß die Einzelrichter als Gefängnißvorstände dem Staatsanwalt unterstellt seien. .
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Ich kann dem Herrn Abg. Brütt eine beruhigende Erklärung abgeben und ihm sagen, daß die schon so oft hier erörterte Angelegenheit einer einheitlichen Verwaltung des Gefängnißwesens gefördert ist. Es ist allerdings mit Bestimmtheit nicht vorauszusagen, daß die Sache in allernächster Zeit zu einen Abschluß gelangt, aber ich sehe doch schon das Ende ab. (Bravo! rechts.)
Ich möchte mir dann erlauben, auf einige Ausführungen zurück⸗ zukommen, die der Herr Abg. Dauzenberg hier soeben gemacht hat. Ich kann zunächst mit Befriedigung konstatieren, daß er diejenige Ver⸗ fügung, welche wegen Heranziehung der Geistlichen zu den Waisenräthen von mir getroffen ist, in allen ihren Punkten billigt, und es liegt auch nicht der geringste Grund dazu vor, anzunehmen, daß diese Verfügung nicht derartig, wie sie gewollt ist, nun auch zur Ausführung gelangt. Sollte sich dabei herausstellen, daß noch andere Maßregeln außer den schon von mir getroffenen erforderlich sind, so wird es auch hier an einer bessernden Hand nicht fehlen. Sehr bedauern muß ich es aber, meine Herren, daß der Herr Abg. Dauzenberg diese Gelegenheit benutzt hat, um in sehr scharfen Worten dem hochverdienten Ober⸗Präsidenten der Rheinprovinz Vorwürfe zu machen. Meine Herren, wenn ein hoher Verwaltungsbeamter aufgefordert wird, seine Meinung über gewisse Vorschläge abzugeben, so ist es nicht nur sein gutes Recht, sondern seine Pflicht, abzurathen, wenn er meint, daß gewisse Maßregeln der Provinz nicht förderlich seien. Es ist aber auch nicht der geringste Grund dazu vorhanden, anzunehmen, daß der Herr Ober⸗Präsident, wenn er wirklich geglaubt hat, von einzelnen Maßnahmen abzurathen, dies gethan hat, weil er dem ganzen Stande, von dem hier die Rede ist, kein Vertrauen entgegenbrächte, sondern weil er der Meinung war, daß gerade in diesem speziellen Fall es nützlicher wäre, vor der Hand noch von der Mitwirkung der Herren Geistlichen abzusehen. Hervor⸗ heben möchte ich noch, daß es sich hier lediglich um einen ver⸗ traulichen, für die Oeffentlichkeit nicht bestimmten Bericht handelte, und daß es mir nicht loyal zu sein scheint, auf diesen vertraulichen Bericht hin hier in der vollen Oeffentlichkeit An⸗ klagen zu erheben. Meine Herren, die Stellung des Herrn Ober⸗Präsidenten der Rheinprovinz in seinem Bezirke ist eine der⸗ artig gefestigte, daß er durch solche Anklagen und Vorwürfe in keiner Weise in den Augen der Bevölkerung herabgesetzt werden kann; ich habe es aber für eine Ehrenpflicht gehalten, ihn vor den unberechtigten Angriffen des Herrn Abg. Dauzenberg auch von dieser Stelle aus nach⸗ drücklich in Schutz zu nehmen. (Bravo! rechts.)
Abg. Stöcker (kons.) wünscht eine Erhöhung des Höchstgehalts der Gefängnißgeistlichen von 4200 auf 4800 ℳ
Abg. Dr. Sattler (nl.) empfiehlt ebenfalls die Vereinigung des Gefängnißwesens unter einer Verwaltung.
Auf eine Bemerkung des Abg. Dauzenberg erwidert Ge⸗ heimer Regierungs⸗Rath Dr. Krohne, daß die Räumlichkeiten in den Waisen⸗Erziehungsanstalten zwar nicht luxuriös, aber groß und
luftig genug seien. dem Wunsche des Abg.
Abg. Knörcke (fr. Volksp.) stimmt Stöcker zu. 8
Abg. Kirsch (Zentr.): Die Frage des Gefängnißwesens muß einheitlich geregelt werden, das wird aber nicht möglich sein ohne gleichzeitige Regelung des Strafvollzugs. P1. Dauzenberg hat den Ober⸗Präsidenten nicht angreifen und herabsetzen wollen, dieser hat aber die Verfügung des Ministers über die Ernennung der Waisen⸗ räthe unter Berücksichtigung der Konfession anders ausgeführt, als sie gemeint war.
Abg. Dauzenberg verwahrt sich dagegen, einen unzulässigen Angriff auf den Ober⸗Präsidenten Nasse beabsichtigt zu haben; er habe dessen Verhalten nur objektiv kritisiert, das übrigens in der ganzen Rheinprovinz bekannt sei. Auch vom Ministertische sollten nicht Ausdrücke fallen, die Abgeordnete verletzen müßten. Der Ober⸗ “ Nasse habe den ganzen Stand der katholischen Geistlichen verletzt.
Auf eine Anfrage des Abg. Schmidt⸗Warburg (Zentr.) theilt Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Lindig mit, wie viel aus dem Dispositionsfonds zu Ausgaben im Interesse der Strafanstalts⸗ verwaltung an Unterstützungen an katholische Vereine für entlassene Strafgefangene gegeben worden ist.
Abg. 11ö daß früher nur die evangeli⸗ ätten
für beide Getreidearten zwölf überein und vier nicht
Geheimer Regierungs⸗Rath Dr. Krohne erwidert, daß sich früher keine katholischen Vereine um Unterstützungen beworben hätten. Absichtlich sei niemals ein katholischer Verein zurückgesetzt worden.
Abg. Schmidt⸗Warburg meint, daß die katholischen Vereine früher nichts von diesem Fonds gewußt hätten, während den evan⸗ gelischen davon Kenntniß gegeben sei.
Abg. von Eynern (nl.) bezweifelt dies, denn, wo es etwas zu ergattern gebe, sei die katholische Kirche immer sehr schnell bei der Hand gewesen. *
Abg. Dasbach (Zentr.): Diese Aeußerung könnte man mit Ver achtung strafen (Ruf ber den Nationalliberalen: Das wäre das Beste!); da sie aber in das Land hinausgeht und wo möglich noch glorifiziert wird, muß ich sie als Verleumdung bezeichnen, so lange Herr von Eynern nicht den Beweis dafür liefert.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Lindig betont nochmals, 2 sobald sich ein katholischer Verein gemeldet habe, er sofort etwas erhalten habe; ein Unterschied sei nie gemacht worden.
Abg. Schmidt⸗Warburg: Aus einer Schrift des Kollegen Ruͤdolphi kann Herr von Eynern ersehen, was alles die evangelische Kirche aus katholischen Fonds ergattert hat. 1
Abg. von Eynern: Ich werde diese Schrift gern studieren, wenn sie mir zugesandt wird. Die Herren sind doch auch in der Budget⸗ kommission und können doch nicht seit Jahren diesen Dispositionsfonds übersehen haben.
Nach einigen weiteren Bemerkungen der Abgg. Lückhoff (fr. kons.) und Dasbach wird der Fonds bewilligt.
Der Rest des Ordinariums wird gleichfalls bewilligt.
Bei den einmaligen Ausgaben beschwert sich
8 Abg. Mooren (Zentr.) darüber, daß der Ersatz der alten rhei⸗ nischen Kantongefängnisse durch neue Gebäude zu langsam vor sich gehe, worauf
Geheimer Regierungs⸗Rath Dr. Krohne erwidert, daß ein rascheres Vorgehen durch die Finanzlage ausgeschlossen gewesen sei.
8 Der Rest des Extraordinariums wird ohne Debatte be⸗ willigt.
Schluß 3 ½ Uhr. Nächste Sitzung Montag 11 Uhr (Kleinere Vorlagen; Justiz⸗Etat.) “
5
Nr. 6 des „Centralblatts für das Dentsche Reich“, herausgegeben im Reichsamt des Innern, vom 12. Februar, hat folgenden Inhalt: 1) Versicherungs⸗Wesen: Errichtung eines zweiten Schiedsgerichts für den Bezirk der hessischen land⸗ und forstwirth⸗ schaftlichen Berufsgenossenschaft. — 2) Bank⸗Wesen: Status der deutschen Notenbanken Ende Januar 1897. — 3) Zoll⸗ und Steuer⸗ Wesen: Beschluß des Bundesraths, betreffend die Verarbeitung selbst⸗ gewonnener nichtmehliger Stoffe in landwirthschaftlichen Brennereien. — Steuerliche Behandlung der Weinbrennereien. — Vorschriften, be⸗ treffend die Abänderung des Branntwein⸗Niederlage⸗Regulativs. — 9 Konsulat⸗Wesen: Ernennung; — Entlassung; — Einziehung eines
ize⸗Konsulats; — Exequatur⸗Ertheilung. — 5) Polizei⸗Wesen Ausweisung von Ausländern aus dem Reichsgebiet.
Nr. 7 des „Centralblatts der Bauverwaltung“, heraus⸗ Fesenh im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 13. Februar, at folgenden Inhalt: Amtliches: Dienst⸗Nachrichten. — Nichtamtliches Die Preisbewerbung für den Neubau der Hash ehul⸗ für die bildenden Künste und der Hochschule für Musik in Berlin. IV. (Fortsetzung.) — Ueber Inschriften an öffentlichen Gebäuden und Denkmälern. — Die Umwandlung des Wiener Donaukanals in einen Handels⸗ und Winterhafen. (Schluß.) — Ueber die Entwickelung des Eisenbahn⸗ netzes in Klein⸗Asien. — Vermischtes: Wettbewerb um Pläne für die Anlage eines Palmengartens in Leipzig. — Preisbewerbung um Ent⸗ würfe zu Villen und villenartigen Wohnhäusern in Königsberg i. Pr. — Völkerschlacht⸗Nationaldenkmal bei Leipzig. — Lüftung der Unter⸗ grundbahn Londons. — Besuch der Technischen Hochschulen des Deut⸗ schen Reichs. — Bücherschau.
Statistik und Volkswirthschaft.
Die Durchschnittspreise der wichtigsten Lebens⸗ und Futtermittel im Königreich Preußen betrugen im Januar für 1000 kg Weizen 161 ℳ (161 ℳ im Dezember 1896), Roggen 122 (124) ℳ, Gerste 132 (133) ℳ, Hafer 130 (130) ℳ, Kocherbsen 207 (209) ℳ, Speise⸗ bohnen 268 (272) ℳ, Linsen 408 (388) ℳ, Eßkartoffeln 48,3 (47,7) ℳ, Richtstroh 43 (42,1) ℳ, Heu 57,1 (55,9) ℳ, Rindfleisch im Groß⸗ handel 1041 (1053) ℳ Im Kleinhandel kostete 1 kg Rindfleisch von der Keule 133 (134) 3, vom Bauch 112 (113) ₰, Schweine⸗ fleisch 125 (124) ₰, Kalbfleisch 124 (126) ₰, Hammelfleisch 123 (121) ₰, inländischer geräucherter Speck 147 (146) ₰, Eßbutter 217 (231) ₰, inländisches Schweineschmalz 150 (147) ₰, Weizen⸗ mehl 29 (29) ₰, Roggenmehl 24 (23), 1 Schock Eier 441 (446) ₰.
Brotfruchtpreise in Dresden 1852 bis 1895.
Vom Statistischen Amt der Stadt Dresden, dessen Wochen⸗ und Monatsberichte einen ausgiebigen Stoff zu vielerlei zeitlichen Ver⸗ gleichungen bieten, ist vor kurzem in den „Mittheilungen des Statistischen Amts der Stadt Dresden“ auch eine Abhandlung „Zur Statistik der Lebensmittel⸗Preise“ veröffentlicht worden. Theils wegen des langen Zeitraums gleichmäßiger Beobachtungen, theils veden der gehaltvollen Ausführungen des Verfassers verdient diese Arbeit in weiteren Kreisen Beachtung. Sie erstreckt sich auf Roggen, Weizen, Kartoffeln, Roggen⸗ und Weizenmehl, Brot, Butter und Fleischsorten sowie auf den Zusammenhang der Preise dieser Waaren; hier beschäftigen uns allein die Preise der beiden Brotfrüchte.
Der Verfasser, Dr. Eugen Würzburger, beginnt mit 1852 als dem Jahre der Eröffnung der Dresdener Produktenbörse, weil bis dahin Marktpreise nur nach Maßeinheiten verzeichnet wurden, deren Umrechnung nach Gewicht wegen ungleicher Qualität des zu Markte gekommenen Getreides ihm allzu unsicher erschien. Das bis Oktober 1858 gültige sächsische Pfund wog 467,214 g; die älteren Notiecungen von 2160 Pfd. Weizen brutto sind auf 1000 kg netto und die von 2040 Pfd. Roggen brutto auf 940 kg netto umgerechnet worden. Als Mittelpreiserscheint das arithmetische Mittel zwischen dem höchsten und niedrigsten Preise jedes Börsentages, wobei freilich die verschiedene Qualität des verkauften Getreides unberücksichtigt blieb. Wenn hier⸗ nach in Jahren schlechter Ernte der Preis minder guten Getreides denjenigen nicht erreicht, der für gleichmäßig gutes Getreide erzielt worden wäre, so glaubt der Verfasser doch, daß der Benutzung jener arithmetischen Mittel wohl um so weniger Bedenken entgegenstehen, „als die Produktenbörse überhaupt nur Preise notiert, zu denen größere Waarenmengen gehandelt werden, und seltnere Preise für besonders feine Waare vafer Notiz läßt.“
Insofern das eine Brotgetreide das andere zum theil vertreten kann, bleibt die Preisbildung für beide in einer gegenseitigen Abhängigkeit, ungeachtet des Umstandes, daß die den Welt⸗ markt beschickenden Weizenländer eine durchschnittlich weit bessere oder weit schlechtere Ernte als die Roggenländer gehabt haben mögen. Aber neben guter Uebereinstimmung zeigen sich doch manche Abweichungen:
1) In den Jahren 1854/56 war Weizen mit über 284, Roggen mit über 214 ℳ für die Tonne am theuersten. Hieran schließen sich 251 — 282 ℳ bei Weizen, 195 — 208 ℳ bei Roggen 1867/68 und 1873/74; aber in dieselbe Stufe fallen bei Weizen noch die Jahre 1872, bei Roggen 1880/81 und 1891. Eine dritte Stufe von 225 — 239 bezw. 175 — 188 ℳ umfaßt bei Weizen die Jahre 1857, 1860/61, 1871, 1877, 1880/81 und 1891, bei Roggen 1852/53, 1872, 1876/77 und 1892. Es kommen also von den sechzehn Jahren höchsten Preises