es sich hier um eine Organisation handelt, die die Interessen weiter Kreise berührt, und die rücksichtlich ihrer Ausgestaltung ganz außerordentlich verschiedenartigen, ja man darf wohl sagen: diametral entgegengesetzten Auffassungen Rechnung tragen muß. (Sehr wahr! links.)
Zum Nachweise, daß es wirklich nicht etwa an dem guten Willen fehlt, sondern, daß es die Schwierigkeiten, die in der Sache liegen, sind, die die endliche Erledigung der Aufgabe hinausgeschoben haben, brauche ich nur hervorzuheben, daß noch in der letzten Woche von einer der Bundesregierungen nicht weniger als 60 Abänderungsanträge zu dem Gesetzentwurf eingegangen sind. (Heiterkeit.) Nun müssen Sie doch auch den Regierungen die erforderliche Zeit lassen, um ihrer⸗ seits eine Vorlage zu stande zu bringen, die sie wenigstens in ihrer überwiegenden Majorität mit gutem Gewissen auch vertreten können; und Sie werden in Ihrem Entgegenkommen doch auch soweit gehen wollen, anzuerkennen, daß es besser ist, eine Vorlage im Reichstag zu haben, die von der Majorität der Regierungen getragen wird, als eine Vorlage, für die niemand gern die Vaterschaft übernehmen will. (Sehr gut! links.) Ich habe die Hoffnung und die bestimmte Aussicht, daß wir — und zwar in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit — mit einer Vorlage vor den Reichstag werden treten können, und wenn ich heute, abweichend von der sonst geübten Vorsicht, die mich dazu geführt hat, mich auf die Bestimmung von Terminen nicht einzulassen, die Mitte des Monats März als denjenigen Zeitpunkt bezeichne, in welchem der Reichstag in den Besitz der Vorlage gelangen wird, so thue ich das aus dem guten Grunde, weil ich weiß, daß aller Dampf aufgemacht werden wird, um zu diesem Zeitpunkt nicht allein die Plenarberathung zu erledigen, sondern auch die erforderliche Umarbeitung der Motive fertig zu stellen.
Also, meine Herren, warten Sie noch eine kurze Frist; dann wird, hoffe ich, Ihre Sehnsucht nach der Handwerkervorlage befriedigt sein. Und dann möge Gott geben, daß wir uns über ein gutes und brauch⸗ bares Werk verständigen! (Bravo!)
Zur Geschäftsordnung bemerkt
Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Nachdem der Staatssekretär einen be⸗ stimmten Termin für die Vorlegung des Entwurfs angegeben hat, sehen wir davon ab, in die Besprechung der Interpellation einzutreten.
Der Abg. Richter beantragt trotzdem die Besprechung der Interpellation; der Antrag wird von den Sozialdemokraten, den Freisinnigen, der Volkspartei und einigen Deutsch⸗ Konservativen unterstützt.
Abg. Dr. Pachnicke (frs. Vgg.): Die Herren Gur Rechten) haben ja selbst die Interpellation eingebracht; sie schienen auch ueserhecc das Bedürfniß der Besprechung zu haben. Oder war die ganze Geschichte nur eine leere Demonstration? Die veröffentlichte Vorlage hat den Handwerkern so recht das abschreckende Gesicht der Zwangsinnungen gezeigt. Die deutschen Gewerbevereine haben sich daher einstimmig da⸗ gegen ausgesprochen, und auch andere Handwerkerkorporationen haben sch gegen die Zwangsinnungen erklärt. Selbst Herr Abg. Metzner hat sich sehr kritisch gegen die allzu große Aufsicht ausgesprochen. Der Lärm im Lande geht nur von einer kleiner Minderheit aus. Nicht das ganze Handwerk, wie im Bunde der Landwirthe im Zirkus Busch ausgeführt wurde, steht hinter den Herren (rechts), nicht cinmal das ganze Zehntel der Handwerker, welches den Innungen angehört. Das Anwachsen der Großbetriebe ist das Entscheidende für den Rückgang des Handwerks. Trotzdem 1849 der Befähigungsnachweis wieder eingeführt wurde, kamen in den fünfziger Jahren dieselben Klagen der Handwerker vor wie heute. In den sechziger Jahren kamen dann fast alle Parteien auf den Gedanken, die Gewerbe⸗ freiheit einzuführen. Seitdem hat die Regierung Novelle auf No⸗ velle vorgelegt. Das deutsche Gewerbe steht heute auf höherer Stufe als zur Zeit des Zunftzwangs. Warum beschränkt man sich mit der Forderung des Befähigungsnachweises auf das Handwerk; warum dehnt man sie nicht auf die Landwirthschaft, besonders die große, aus? Soll Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts einen solchen Rückschritt machen, den außer Oesterreich kein Land kennt? Soll nur Rücksicht genommen werden auf das rückwärts schauende eine Zehntel und nicht auf die vorwärts strebenden neun Zehntel?
Abg. Jacobskötter (d. kons.); Namens meiner politischen Freunde habe ich den verbündeten Regierungen Dank zu sagen für die Antwort. Damit ist der Zweck unserer Interpellation erreicht und wir lassen uns daher auf eine Diskussion nicht ein. Für die Aus⸗ schreitungen, welche in Handwerkerversammlungen vorgekommen sein sollen, können wir nicht verantwortlich gemacht werden.
Abg. Schmidt⸗Berlin (Soz.): Die Befriedigung auf der rechten Seite erscheint doch seltsam, denn der Befähigungsnachweis und die
wangsorganisation soll ja in der Vorlage fehlen. Wenn diese beiden
orderungen durchgesetzt sein würden, würde schwerlich noch etwas übrig bleiben, um die Handwerkerbewegung in Fluß zu erhalten. Die Berufszählung von 1895 hat einen Rückgang des Handwerks gezeigt; die Aufreibung des Mittelstandes hat sich fortgesetzt. Dasselbe Bild zeigen die Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik. Auf dem Boden der Zwangsinnungen gedeihen die genossenschaftlichen Be⸗ strebungen nicht, das hat die Erfahrung in Oesterreich ergeben. Die Zwangsorganisation soll hauptsächlich die Ausbildung der Lehrlinge und Gesellen fördern. Heute ist die Ausbildung der öB eine sehr einseitige. Die Großbetriebe bieten viel mehr Gelegenheit zur vielseitigen Ausbildung der Lehrlinge. Wenn man nicht den Wett⸗ bewerb der Großindustrie beseitigen kann, dann kann man dem Hand⸗ werk nicht helfen. Die Innungen beweisen jetzt keine große Neigung, für die Ausbildung ihrer Gesellen Ausgaben zu machen. as zeigt namentlich der Bericht des Magistrats von Berlin.
Abg. Gamp (Rp.) dankt den Interpellanten für die Einbrin⸗ gung ihrer Anfrage und der Regierung für die Antwort. Auf die Ausführungen der Vorredner einzugehen, liege keine Veranlassung vor. Hätte man Agitation treiben wollen, so hätte man eine eingehende Debatte veranlassen müssen.
.Abg. Richter (fr. Volksp.): Ich wollte protestieren gegen einige Worte des Interpellanten, der behauptete, daß die Handwerker sehr dringend die Vorlage wünschen und sehr ungeduldig geworden seien. Ich habe gefunden, daß man sich garnicht beunruhigte; es haben nirgends Handwerkerversammlungen stattgefunden. (Zuruf: Berlin!) Um Material für die heutige Interpellation zu schaffen, versammelten sich die bekannten Zunftbrüder in einem kleinen Saale auf Einladung des Innungsausschusses. Die Bürstenbinder⸗, die Schlosser, die Bäckerinnung „Concordia“ und die Konditoren haben ausdrücklich protestiert gegen eine Zwangsorganisation. Nur ein Zehntel der Handwerker ist in den Innungen vertreten, und höchstens im Namen dieses kleinen Bruchtheils können Sie (rechts) sprechen. In Süddeutschland haben die Gewerbevereine sich gegen jeden Zwang erklärt, ebenso der Verband der Baugewerksinnungen, der Zentralverband der deutschen Industriellen. Diese Stimmen haben die süddeutschen Regierungen beeinflußt. Wenn die Vorlage Mitte März erst kommt, dann wird sie hier nicht mehr erledigt werden; denn der Reichstag ist schon so überbürdet, daß selbst bei einer noch⸗ maligen Vertagung die Vorlage nicht zu stande kommen dürfte. Es ist ja nicht einmal eine Mehrheit für die Zwangsorganisation vor⸗ handen. Sie (rechte) sind ja auch unter sich garnicht einig, sobald es sich um einzelne Bestimmungen handelt, z. B. über die Gesellen⸗ ausschüsse, über Aufsicht der Behörden u. [, w. Wenn wir mit einer fast die Mehrheit erreichenden Minderheit Ihnen systematisch Opposition machen, dann können Sie sehr alt werden, ehe die Vorlage fertig wird. Es ist also ziemlich gleichgültig, ob die Vor⸗ lage am 15. März oder am 15. Juli kommt. Widerstandsfähig werden die Handwerker durch die Zwangsorganisation nicht gemacht, sondern sie werden geschädigt.
8
1 Offtzier, Divist
Abg. Dr. Vielhaben (Reformp.): Da die linke Seite des Hauses die Besprechung der Interpellation verlangte, so nahmen wir an, daß sie etwas Neues zu sagen hätte. Aber die Redner haben nichts Neues gesagt, sondern nur Unrichtiges. Versammlungen haben in den Städten fast überall stattgefunden. Wenn die Vorlage so spät kommt, so ist das bedauerlich. Wir konnten aber die Sache
nicht beschleunigen.
Abg. Benoit (frs. B9s theilt aus eigener Kenntniß als Mitglied einer Prüfungskommission zu der Zeit, als der Befähigungs⸗ nachweis noch aanden habe, mit, daß die Handwerker selbst gegen den üü enecheens gewesen seien.
Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Der Empfang, den mir einige meiner Kollegen durch Lachen und Zischen zu theil werden lassen, überrascht mich nicht, weil das ganz natürlich ist. Wenn ich sage, im Deutschen Reichstag pflegt man doch erst zu hören, ehe man urtheilt, und wenn nun einer oder der andere der Herren sagen würde: ja, wir haben früher Gelegenheit gehabt, uns ein ungünstiges Urtheil über Sie zu bilden, so will ich antworten, daß nach dieser Bildung des ungünstigen Urtheils doch das deutsche Volk noch einmal gesprochen und mich wiederum hierher geschickt hat. Bei Ihnen pflegt man doch vor der Stimme des Volkes einige Achtung zu haben und das dem Manne entgegenzubringen, auch wenn man ihn persönlich nicht liebt. Das Lachen, das von Ihnen kommt, giebt mir den Beweis, daß es mit dieser Achtung vor der Stimme des Volkes so überaus weit nicht her sein kann. Da ich infolge eines Beschlusses des Gerichts in Boston aus Amerika nicht fort konnte, ohne rechts⸗ brüchig zu werden, so habe ich zu meinem großen Bedauern länger ab⸗ wesend sein müssen, als es in meinem Willen lag und auch meinen
wecken entsprach. (Rufe: Zur Sache!) Ich spreche zur Sache.
a ich also erst gestern gekommen bin, so wollte ich nicht in diese Debatte eingreifen, aber der Abg. Richter hat mich provoziert. Wir müssen die Handwerkerfrage klar ins Auge fassen. Früher bhatten die Handwerker große Schilder an den Häusern, heute wohnen sie auf dem Hof vier Treppen hoch. Die Bedürfnisse sind nicht nur dieselben geblieben, sondern noch gestiegen, die Handwerker können sich aber nicht mehr ebenso anständig ernähren wie früher, nicht mehr so nütz⸗ liche und geachtete Mitglieder des Staats sein. Es ist ein be⸗ dauerliches Sinken des Handwerkerstandes vorhanden. Eine Nation gedeiht nur, wenn die mittleren Schichten stark und gesund sind. Das ist bei uns nicht mehr der Fall. Die Maschine stellt die Dinge im Großen leichter und billiger her. Warum hat man nicht an eine progressive Umsatzsteuer gedacht? (Präösident Freiherr von Buol: Ich bitte, bei der Sache zu bleiben und nicht auf die allgemeine Lage des Handwerks abzuschweifen.) Ich wollte nachweisen, daß die Ursachen der schlechten Lage des Handwerks in anderen Dingen als in der Maschine liegen. Es hat sich ein Dritter zwischen die Produktion und die Konsumtion gestellt. Einer, der durch die Großmuth unserer Vorfahren dazu berechtigt worden ist. Ein einziger Handelsjude hat jetzt den Nutzen von der schlechten Lage des Handwerks. Sind Sie nicht Alle auch der Ansicht, daß diese That⸗ sache wahr ist? Nun fragen Sie sich: Können wir dem Handwerker⸗ stand und dem Deutschthum helfen, wenn wir dem Judenthum nicht einen Damm entgegensetzen? So lange Sie das germanische Haus nicht von dem jüdischen Ungeziefer reinigen, kan nicht besser werden.
Damit schließt die Debatte. 8
Zur Geschäftsordnung bemerkt 1
Abg. Richter: Herr Präsident, ist es parlamentarisch zulässig, daß ein Abgeordneter einen Theil des deutschen Volks als Ungeziefer bezeichnet?
Präsident Freiherr von Buol: Diese Aeußerung ist mir ganz entgangen. Wenn sie gefallen ist, wie Herr Richter sagt, so rufe ich deswegen den Abg. Ahlwardt zur Ordnung!
Damit ist die Interpellation erledigt.
Das Haus setzt die zweite Berathung des Reichshaus⸗ halts⸗Etats für 1897/98 beim Etat des Allgemeinen Pensionsfonds fort.
Abg. von Schöning (d. kons.) wiederholt seine Bitte, daß die Regierung durch Gesetz die Pensionen nicht bloß den Militärpersonen, die in Gemeindedienst treten, sondern auch denen, die in Staats⸗ dienst treten, belassen möge.
General⸗Major von Viebahn: So wohlwollend die Absicht des Vorredners ist, so halten es die Kriegsverwaltung und die Finanzverwaltung nicht für möglich, jetzt seinen Wünschen nach⸗ zugeben. 8
Abg. Graf Oriola inl.) schließt sich den Ausführungen des Abg. von Schöning an. 1
Zu dem Pensions ⸗Etat liegt folgender Abgg. Augst und Genossen (d. Volksp.) vor:
„an die Reichsregierung das Ersuchen zu stellen, auf eine Ab⸗ minderung der Zahl der Offizierspensionierungen hinzuwirken und insbesondere Pensionierungen von Offizieren nicht aus dem Grunde eintreten zu lassen, daß ein Offizier, welcher sich für seine bisherige Dienststellung als genügend befähigt erweist, für die nächst höhere Dienststellung nicht geeignet erscheint“.
Abg. Galler (d. Volksp.): Offiziere werden jetzt pensioniert, weil ein Hintermann avanciert. Es sind erst kürzlich wieder einige württembergische Generale gegen ihren Willen pensioniert worden. Sie konnten ein Armee⸗Korps nicht mehr bekommen, weil schon ein Württemberger ein Korps hat, und das ist ausreichend. Ein Zwang und ein Druck wird ausgeübt, direkt und indirekt. Man erwartet von dem beim Avancement übergangenen Offizier das Abschiedsgesuch. Diese Praris sollte man doch nicht bestreiten, denn man überzeuat ja doch niemand. Seit der letzten Heeresverstärkung hat sich die Zahl der aktiven Offiziere nur um 2 % vermehrt, die der pensionierten aber um 20 %. Der Offiziere wegen haben wir unseren Antrag nicht ge⸗ stellt, sondern der Steuerzabler wegen. In Württemberg nimmt man allgemein an, daß die Pensionierungen von württembergischen Offizieren nicht von Württemberg ausgegangen sind. Die Abmachung zwischen Württemberg und Preußen hat dazu geführt, daß Preußen den Löwenantheil davon getragen hat. Darüber herrscht große Ver⸗ stimmung., und der Partikularismus konnte daraus nur neuen Nährstoff ziehen. Der preußische Partikularismus ist gefährlicher als jeder andere. Wer diesen bekämpfen will, der muß sich unserem Antrage anschließen.
General⸗Major von Viebahn: Die Zahl der pensionierten preußischen Offiziere ist nicht übermäßig gewachsen. Vom Jahre 1887/88, dem letzten Regierungsjahre Kaiser Wilhelm'’s des Großen, in welchem 408 Offiziere pensioniert wurden, bis 1894/95 wurden durchschnittlich 458 Offiziere jährlich pensioniert, 1895/96 424 und im laufenden Etatsjahre 381. In Frankreich wurden 1894 712, 1895 597 Offniere pensioniert. Die Steigerung der Pensionierung von 1888 bis jetzt betrug bei den Beamten 91,6, bei den Mannschaften 166,6 und bei den Offizieren 67 %. Also die Steigerung der Pensionsausgaben ist nicht allein auf die Offiziere zurückzuführen. In anderen Staaten sind die Pensionen sehr viel höher bemessen. Ein Theil der pensionierten Offiziere findet übrigens in der Militärperwaltung noch weiter Beschäftigung. In der Presse spielt die Frage der Verjüngung eine große Rolle. Eine solche Verjüngung ist aber in dem letzten Jahre nicht eingetreten. Die pensionierten kommandierenden Generale haben ein Durchschnittsalter von 63, ein Dienstalter von 44 Jahren; die Divisionskommandeure 59 bezw. 44, die Brigade⸗Kommandeure 55 bezw. 40, die Regiments⸗Kommandeure 53 bezw. 36 Jahre. Die pensionierten Generale sind zweifellos voll⸗ ständig felddienstunfähig. Der Dienst erfordert große Anstrengungen, und derjenige, der seine Lieutenants⸗ und Hauptmannsjahre hinter sich hat, muß schon eine starke Konstitution haben, wenn er darüber hinaus noch aushält. Was in der Presse von der Majorsecke gesagt wird, ist eine den Thatsachen nicht entsprechende Redensart. Die Stellen müssen so besetzt werden, daß die Inhaber für Krieg und Frieden kräftig genug sind.
Württembergis Kriegs⸗Minister, General der Infanterie Freiherr Schott von Schottenstein: Der Abg. Galler hat auf einige Fälle aus Württemberg hingewiesen. Der eine
in Divisions⸗Kommandeur, eine
Antrag der
glänzende
Carridère hinter sich; er stand vor der höchsten Stufe. Da war es
natürlich, daß er sich erkundigte, ob er die höchste Stufe erreichen werde und da er nicht dafür vorgesehen war, so nahm er seinen Ab⸗ schied. Weshalb er die höchste Stelle nicht erreichen konnte, entzieht sich der Beurtheilung des Herrn Galler. Von einem Zwang oder Druck ist in keinem Falle die Rede. Die Abmachung mit Preußen hat Herr Galler ebenfalls in die Debatte gezogen. Die Abmachungen sind nicht in Bebenhausen, sondern in Berlin zwischen den Kriegs⸗ Ministern abgeschlossen, und zwar im Interesse des württembergischen Armee⸗Korps, weil ein kleines Kontingent nicht in sich das Avancement abschließen kann, da es an vakanten Stellen fehlt. Es war ein Akt der Hochherzigkeit Seiner Majestät des Kaisers, daß diese Abmachungen getroffen wurden.
Abg. Dr. Lieber (Zentr.) dankt für die mitgetheilten Einzelheiten, aus denen hervorgebe, daß eine Abnahme der Pensionierungen, nicht eine Zunahme stattgefunden habe. Man hätte nichts dagegen ein⸗ wenden können, wenn die Kriegszerwaltung erklärt hätte, daß die Einzelheiten den Reichstag nichts angingen. Das Zentrum könne also auf den gestellten Antrag nicht eingehen, da der Reichstag verfassungs⸗ mäßig kein Recht habe, die in dem Antrage enthaltenen Wünsche aus⸗ zusprechen.
Ein Vertagungsantrag wird angenommen.
Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Ahlwardt wird die Sitzung um 5 ½ Uhr geschlossen. Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr. (Antrag Auer und Genossen wegen des acht⸗ stündigen eheibe gn. Gesetz⸗Anträge, betreffend den Verkehr
Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln.)
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“
udtag. Herrenhaus. 11. Sitzung vom 18. Februar 1897.
Ueber den ersten Theil der Sitzung ist gestern berichtet
worden.
Die Spezialberathung des Lehrerbesoldungsgesetzes wird bei § 27 fortgesetzt. 8
Nach § 27 VI in der unverändert gebliebenen Fassung des Abgeordnetenhauses soll denjenigen Gemeinden, die nach den Bestimmungen des Gesetzes geringere Zuschüsse erhalten, als ihnen nach den Gesetzen von 1888 und 1889 zustehen, der Ausfall soweit ersetzt werden, als er den Betrag von 2 Proz. des Veranlagungssolls der Gemeindeeinkommensteuer über⸗ steigt. Ein Antrag Becker will den gesammten Ausfall in der Höhe des Betrages, der sich am 1. April 1897 ergiebt, durch Gewährung eines festen dauernden Zuschusses aus der Staatskasse ersetzt wissen.
Ober⸗Bürgermeister Zelle⸗Berlin: Am härtesten wird Berlin durch die Maßnahme des § 27 betroffen. Nachdem Graf Klinckow⸗ stroem locutus est, causa finita; ich hege keine Hoffnung mehr, wie mein Kollege Becker; es bleibt mir nur noch der Protest gegen die Verkürzung der Städte übrig. Heute hören wir, die Städte seien bei der Neuordnung der Kommunalsteuern günstiger gefahren als das platte Land. Bekanntlich hat das städtische statistische Bureau in Magdeburg das Gegentheil herausgerechnet. Auch ich bleibe dabei stehen, daß die Städte schlechter fortgekommen sind durch die Steuerreform. Ein schlechter Trost für die Bedrängniß der Städte ist es, wenn ihnen der Finanz⸗Minister vorhält, sie seien ja doch überall in der Minorität. Aber die Städte befinden sich doch in der Majorität des Steuerzahlens; Berlin trägt allein ⁄6 zu den Staatssteuern bei. Wer etwas auf sich hält, läßt sich eine solche Zurücksetzung absolut nicht gefallen; so haben die Städte bisher ge⸗ dacht, und so, hoffe ich, werden sie auch weiter denken.
Gebheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Dr. Germar versichert, daß die ministerielle statistische Aufstellung die richtige sei. Die Städte rechneten immer die gesammte, neu eingeschätzte Einkommensteuer zur Mehr⸗ belastung, ohne zu beachten, daß bis dahin ein größerer Theil des Vermögens sich der Heranziehung zur Einkommensteuer entzogen hatte. Für Berlin betrage der finanzielle Vortheil 6—7 Millionen.
Ober⸗Bürgermeister Westerburg: Nachdem uns hier gestern erklärt worden ist, daß man nicht könne, wie man wolle, sondern auf das Abgeordnetenhaus und die konservative Partei in demselben Rücksicht nehmen müsse, ist jede weitere Bemühung überflüssig. Die 2 % bedeuten eine Präzipualsteuer der Städte in jedem Sinne des Wortes, wenn auch der Finanz Minister das gestern nicht gelten lassen wollte. Daß das Land von der Steuerreform weit größere Vortheile gehabt hbat als die Städte, ist vor etwa 1 ½ Jahren in einer amtlichen Denkschrift ausgeführt worden. Die jetzige Verkürzung der Staats⸗ zuschüsse widerspricht dem Gesetze von 1888/89 insofern, als hier ein Vertrag einseitig aufgehoben wird, ohne daß man den anderen Kontra⸗ henten fragt.
Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Dr. Germar: Gesetz und Vertrag sind nicht identisch. Wenn der Staat den Städten einen Betrag an Zuschüssen in Zukunft nicht mehr gewähren will, den er bisher ge⸗ währt hat, so kann das nicht als eine Präzipualbesteuerung be⸗ zeichnet werden.
Ober⸗Bürgermeister Bender⸗Breslau bittet die Regierung, die Resultate der Steuerveranlagung nicht bloß nach Regierungsbezirken, sondern nach Städten geordnet bekannt zu machen, dann werde man finden, daß die Betrachtung des Finanz⸗Ministers und seines Kommissars jeder Begründung entbehre. Trotz des Mehraufkommens an Steuern in den Städten sei die Steuerveranlagung auf dem Lande vielfach günstiger als in den Städten; was an Steuern in den Städten mehr aufkomme, sei auf die Neubelastung zu schreiben. In Breslau seien 13 % mehr aufgekommen, ein Minimum gegenüber den 60 bis 70 % in manchen Landkreisen, in denen Industrie vertreten ist. Damit widerlege sich der durch die ganzen Ausführungen gehende leise Vorwurf, als ob in den Städten früher nicht scharf genug eingeschätzt sei. Die Zuschüsse seien 1888/89 überhaupt nicht auf Grund einer Nothlage bewilligt worden. Gewiß seien die Städte leistungsfähig aber dann möge man doch die Steuern direkt erhöhen und nicht immer bier und bei anderen Gelegenheiten mit solchen leisen Vor⸗ würfen Mehrbelastungen der Städte motivieren und beschließen.
Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Dr. Germar bestreitet, zu den letzteren Ausführungen irgendwie Veranlassung gegeben zu haben.
Graf von Zieten⸗Schwerin: Alle diese Schwierigkeiten werden sich erst beseitigen lassen, wenn wir ein allgemeines Volksschulgesetz bekommen. Die Abschaffung des Schulgeldes war ein großer Fehler; ebenso die Gesetzgebung der Jahre 1888/89. Die höhere Staats⸗ raison hat im vorigen Jahre gefordert, daß die Grundsteuer⸗ entschädigung zurückgezahlt werden müsse; mit dieser höberen Staats⸗ raison werden sich auch die Städte abfinden müssen. Daß die Städte wirklich Großes für ihre Schule geleistet haben, wird von allen Seiten anerkannt.
Ober⸗Bürgermeister Bender bemerkt, daß die Leistungen der Städte seit 1888 für die Schule so gesteigert worden seien, daß auch die bisherigen Staatszuschüsse lange nicht mehr das bedeuteten, was sie 1888 für die städtischen Budgets bedeutet hätten.
§ 27 wird unter Ablehnung des Antrags Becker un⸗ verändert angenommen, ebenso der Rest des Gesetzes und das Gesetz im Ganzen.
Die Kommission schlägt die folgenden Resolutionen vor⸗
1) die Regierung zu ersuchen, dem Landtage baldigst ein all⸗ gemeines, auf christlicher und konfessioneller Grundlage beruhendes Volksschulgesetz vorzulegen;
2) die Regierung aufzufordern, nach Anhörung des nächsten schlesischen Provinziallandtages dem Landtage — wenn irgend thunlich, in der nächsten Session — einen Gesetzentwurf vorzulegen, dur welchen die bezüglich der Aufbringung der Schullasten in Schlesien nach dem Schulreglement von 1801 für die betheiligten Guts⸗ herrschaften zur Zeit bestehenden Härten beseitigt werden.
1“ 111AA“
von Gerlach beantragt noch eine weitere Re⸗
solution:
die Regierung aufzufordern, thunlichst bald einen Gesetz⸗ entwarf zur Beseitigung derjenigen Ungleichmäßigkeiten bei der Tragung der Lasten der Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen auf dem Lande vorzulegen, welche im Geltungs⸗ bereiche des Allgemeinen Landrechts durch die Sonderstellung der Gutsherren des Schulorts (sogenannte Schulpatrone) zum Nach⸗ theil der bäuerlichen Wirthe und sonstigen Mitglieder der Schul⸗ gemeinde entstehen.
Zu der auf Vorlegung eines allgemeinen Volksschulgesetzes gerichteten Resolution bemerkt
Kardiaal⸗Fürstbischof Kopp: Der Wunsch einer allgemeinen Regelung des Schulwesens im preußischen Staate ist in der That vor⸗ handen und wird von weiten Kreisen getheilt; er geht aber noch weiter, als die Resolution besagt, er betrifft das gesammte öffentliche Schulwesen. Man hat also richtiger ein allgemeines Schulgesetz ver⸗ langt. Außerdem muß ich das Wort „baldigst“ beanstanden. Die Schwierigkeiten eines Schulgesetzes sind wohl so außerordentlich allgemein bekannt, die Erfahrungen der Vergangenheit beweisen es, das die Regierung vor allem wissen muß, nach welchen Gesichtspunkten dasselbe ausgearbeitet werden soll. „Konfessionell“ und „christlich“ sind nicht die einzigen Gesichtspunkte; es kommen auch die Artikel 13, 22 und 24, Absatz 2 der Verfassung in Betracht. Die Schwierigkeiten werden sich noch mehr häufen, wenn die Regierung wirklich an die Arbeit geht. Ich bin nicht des Glaubens, daß wir meinen, die Regelung der gesammten Materie werde sich einfacher und schlichter gestalten, als die zweijährige Arbeit an dem Bruchstücke, welche jetzt
abgeschlossen ist. Ich bekämpfe damit nicht die Resolution, sondern ich wünsche nur, daß wir uns ernst und gewissenhaft überlegen sollen, auf welchem Wege das von Allen erwünschte Ziel zu erreichen ist; wir müssen verhindern, daß die Regelung unserer Volkserziehung zu einem Schlagwort werde. Woher kommt das Drängen nach fester Kegelung der Schulverhältnisse, das Mißtrauen gegen die Schul⸗ verwaltung? Eine Verstaatlichung des Schulwesens ist nicht beab⸗ sichtigt. Ich weise hin auf die häufige Erscheinung, daß bald hier bald da Unzufriedenheit auftritt, bauptsächlich veranlaßt durch das Ungeschick unterer Organe, eine Erscheinung, welche sich noch aus dem Geist der siebziger Jahre erklärt. Alle Ungeschicklichkeiten, Mängel und Fehler der Art lassen sich nicht durch die Zentralstellen beseitigen, aber sie können wenigstens ernstliche Mahnungen erlassen. Alle Faktoren, welche berufen sind, an der Volkserziehung mit⸗ zwwirken, sollen mit Vertrauen und Liebe zusammenwirken; möge überall der Geist der Versöhnlichkeit wirken!
Professor Reinke⸗Kieel beanstandet gleichfalls das Wort „baldigst“ und die Betonung der christlichen und konfessionellen Grundlage. Damit würde ein moralischer Druck auf die Regierung ausgeübt. Die Antragsteller schienen, so werde vielfach geglaubt, mit diesem Worte noch besondere Hintergedanken zu verbinden. Nach den Ausführungen des Abg. Sattler verstehe die Rechte und das Zentrum darunter ein Volksschulgesetz, wie es Graf Zedlitz 1892 vorgelegt habe. Das Herrenhaus würde bei Annahme einer gleichlautenden Resolution der Mißdeutung im Lande ausgesetzt sein, als wünschte es ebenfalls dieses Zedlitz'sche Schulgesetz, dem er im Interesse des inneren Friedens auf keinen Fall zustimmen könnte. Wenn auch in dem Kampf um jenes Gesetz die ärgsten Uebertreibungen auf beiden Seiten erfolgt seien, so stehe doch fest, daß in jenem Gesetz die Staatsautorität so gefährdet gewesen sei, daß auch zablreiche Freunde des christlichen und konfessionellen Gedankens ihm nicht hätten zustimmen können. Deshalb sei Redner gegen die Resolution.
Graf von der Schulenburg⸗Beetzendorf: Eine Reso⸗ lution kann nicht harmlos sein, die, wie diese, in die tiefsten Tiefen des Volks⸗ und Seelenlebens hineingreift. Ich sehe das Lehrer⸗ besoldungsgesetz als ein Kompromiß an, soziale Gegensätze zu heilen; es ist Gefahr vorhanden, daß die Regierung sich jetzt damit begnügt und die Desiderien des Volks ad acta legt. Nicht wir haben den Schlüssel zu dem allgemeinen Volksschulgesetz ins Wasser geworfen, sondern die andere Seite hat sich des Schlüssels bemächtigt, und die Krone hat ihn schließlich ins Wasser geworfen, indem sie das Gesetz zurückzog. Wir sind für das Besoldungsgesetz eingetreten, aber damit haben wir nicht den Anspruch auf das Volksschulgesetz aufgegeben. Ich halte es für Pflicht jedes Mitgliedes, das für dieses Besoldungs⸗ zesetz gestimmt hat, auch für die Resolution zu stimmen.
Ober⸗Bürgermeister Braesicke: Ich halte es nicht für zeitgemäß, jetzt die Vorlage eines allgemeinen Volksschulgesetzes zu fordern. Die Gegensätze sind im Volke noch so groß, daß ein gedeihliches Gesetz für die nächsten Jahrzehnte nicht zu erwarten ist. 1892 habe sich ein
tiefgehender Unterschied in der Gesinnung der Volksvertretung gezeigt,
bis tief in die Reihen der Konservativen hinein. Ich kann dafür zahlreiche bedeutende Namen anführen. Mit dem Verlangen eines Volksschulgesetzes auf christlicher und konfessioneller Grundlage sollen die Simultanschulen verboten werden, und das wäre ein großer Nach⸗ theil für das Volk. Die Zahl dieser Schulen in den gemischten Be⸗ zirken, insbesondere in Preuten, ist sehr gros; alle einklassigen Schulen auf dem Lande sind noch simultan. Der Friede der Konfessionen ist erade in Bromberg und in der ganzen Provinz Posen durch die Simultanschule aufrecht erhalten worden; das ist ein gutes Mittel zur Versöhnung der konfessionellen Gegensätze überhaupt. Lehnen Sie daher die Resolution ab!
Graf von Zieten⸗Schwerin: Ich bitte Sie, nehmen Sie ie Resolution an! Die Gegner derselben haben gegen Gespenster gekämpft. Mit der Betonung der konfessionellen Grundlage wird eineswegs alles Andere verboten. Daß unter „baldigst“ nicht von heute auf morgen verstanden wird, ist wohl klar; es soll damit gesagt
daß wir auf das allgemeine Volksschulgesetz nicht ver⸗
Das Mißtrauen gegen die Schulabtheilungen rührt nicht aus den Zeiten des Kulturkampfes her, sondern ist sehr viel älter. Ein allgemeines Schulgesetz zu verlangen, wäre doch etwas zu weit gegriffen.
Die erste Resolution wird darauf gegen eine Minderheit angenommen. 3 Ueber die beiden anderen Resolutionen wird gemeinsam diskutiert.
Graf von Pfeil⸗Hausdorf weist zur Empfehlung der Resolution wegen der Schullasten in Schlesien darauf hin, daß u. a. ein bestimmtes Gut, welches 2500 ℳ Einkommen gewähre, nach dem Schulreglement von 1801 2300 ℳ Schullasten zu tragen habe, sodaß dem Besitzer, der absolut kein anderweites Einkommen habe, ganze 200 ℳ verblieben. Im Interesse des alten preußischen Grundsatzes Suum cuique bitte er um einstimmige Annahme dieser Resolution.
Herr von Gerlach: Unfer Antrag ist auch ein Ausdruck des Bedauerns, daß wir uns haben entschließen müssen, das eben ver⸗ abschiedete Gesetz aus der ganzen Materie herauszureißen und zunächst das dringendste Bedürfniß zu erfüllen. Das Nächstdringende ist zweifellos die Regelung der Schulunterhaltungslast, deren heutige Mißstände durch die Klagen aus Schlesien recht anschaulich illustriert werden. Das Allgemeine Landrecht wurde erlassen, als noch die Erbunterthänigkeit galt, und an diese schließen sich eng die Vor⸗ schriften für die Unterhaltung der Volksschule an. Mit der Aufhebung der Leibeigenschaft und in den seitdem vergangenen hundert Jahren ist das Allgemeine Landrecht obsolet geworden.
Fürst von Hatzfeldt: Daß große Ungleichheiten und Ungerechtig⸗ keiten in Schleften durch das Schulreglement von 1801 herbeigeführt werden, ist Thatsache. Die katholischen Schulgemeinden haben dort das Recht, die Schulunterhaltungslasten zu regeln, ohne daß das Verwaltungsstreitverfahren dagegen offen steht. Das ist ein Unikum in der ganzen preußischen Verwaltung. Der schlesische Provinzial⸗ Landtag wird gern bereit sein, die Materie in sachgemäßer Weise zu regeln, wenn sie an ihn gebracht wird. Ich kann Sie nur bitten, die Resolution anzunehmen. 8 DOber⸗Bürgermeiner Bender: Ich werde für beide Resolutionen stimmen. Was für Pommern und die Mark gilt, gilt auch für die
starke
evangelischen Schulen Schlesiens und für die ganze Provinz Posen.
8. 85 8
Auch meine Freunde sind für die baldige Abstellung der aus diesen
58 8
veralteten Vorschriften resultierenden Härten. Graf von der Schulenburg⸗Beetzendorf erklärt sich gegen die Resolution des Herrn von Gerlach, die viel zu weit gehe.
Darauf wird die Resolution bezüglich Schlesiens mit großer Mehrheit angenommen; mit geringer Mehrheit erfolgt auch die Annahme der Resolution von Gerlach.
Sodann gelangt noch die Vorlage, betreffend die Er⸗ weiterung des Stadtkreises Breslau, zur Berathung.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Ich habe gestern schon durch meinen Herrn Kom⸗ missarius erklären lassen, daß die Behauptung, es wären in den Motiven unrichtige Angaben enthalten, nur auf einem Mißverständniß beruhen kann. Wenn in den Motiven steht, der Kreis hätte zuge⸗ stimmt oder keine Einwendungen erhoben, so bezieht sich das auf die Verhandlungen, welche schwebten wegen der Verbindung der Gemeinden Breslau, Kleinburg und Pöpelwitz. Als diese Verhandlungen schwebten, hat der Kreis im Interesse der betheiligten Gemeinden keine Bedenken gegen die Vereinigung geltend gemacht. Erst als der Gesetzentwurf im vorigen Jahre in das Abgeordnetenhaus gelangte, hat er es für nützlich gehalten, zur Wahrung seiner eigenen Interessen Protest da⸗ gegen zu erheben. Es hat der Königlichen Staatsregierung sehr fern gelegen, durch die Bemerkung in den Motiven behaupten zu wollen, daß der Kreis diesem Gesetzentwurfe zugestimmt habe. Ich muß also meinerseits das Vorhandensein einer Unrichtigkeit in den Motiven bestreiten, wenn ich auch zugebe, daß die Fassung für diejenigen Herren, welche der Sache ferner stehen, vielleicht zu einem Mißver⸗ ständniß führen konnte. Auf diese thatsächliche Bemerkung möchte ich mich zunächst beschränken.
In der kurzen Debatte nimmt noch einmal der Minister des Innern Freiherr von der Recke das Wort, um Folgendes auszuführen:
Meine Herren! Die Königliche Staatsregierung hat sich erst nach sehr reiflicher Ueberlegung dazu entschlossen, diesen Gesetzentwurf dem hohen Hause vorzulegen, und ich bitte, mir das Vertrauen zu schenken, daß ich mich bei den Anschauungen, die ich in diesen Fragen hege, nicht zu der Vorlage entschlossen haben würde, wenn nicht ein ganz dringendes Bedürfniß dazu obgewaltet hätte.
Meine Herren, ich habe aus den Diskussionen die Empfindung bekommen, daß es nicht ganz unnütz wäre, wenn ich noch mit wenigen Worten zunächst auf die rechtliche Lage der Sache einginge. Es steht fest, daß die beiden Landgemeinden und auch der Gutsbezirk damit einverstanden sind, sich zu dem Stadtkreise Breslau zuschlagen zu lassen, und läge nicht zufälligerweise hier der Fall so, daß damit zugleich eine Veränderung der Kreisgrenzen stattfinden müßte, würde es eines Gesetzes überhaupt nicht bedürfen; dann würde die Angelegen⸗ heit im Wege Königlicher Verordnung zur Erledigung gebracht werden können. Der Fall liegt aber nicht so, und wir haben uns deswegen nach der bis jetzt festgehaltenen Auslegung des § 3 der Kreis⸗ ordnung dazu entschließen müssen, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es ergiebt sich aber, glaube ich, aus dieser rechtlichen Lage der Sache, daß die Prüfung des hohen Hauses sich im wesentlichen darauf richten muß, ob die Kreisveränderung etwa zu Bedenken Veranlassung giebt. Man kann auch unter diesen Umständen, meines Erachtens, der Staats⸗ regierung nicht den Beweis zumuthen, daß diese Kreisveränderung durchaus erforderlich ist, sondern die Sache steht nach meiner Auf⸗ fassung so, daß das hohe Haus sich darüber schlüssig zu machen hat, ob ihm besondere Bedenken gegen dieselbe vorzuliegen scheinen. Wesentlich wird zu prüfen sein, ob etwa der Landkreis Breslau in so erheblichem Maße durch diese Maßregel geschädigt werden könnte, daß er nicht mehr als leistungsfähig anzusehen ist. Es ist ja un⸗ bestreitbar, daß er einen sehr erheblichen Ausfall erleidet (hört! hört!); es ist aber ebenso unbestreitbar, daß er durch die Vereinbarung mit der Stadt Breslau, die er inzwischen schon getroffen hat, einen großen Theil dieser Einbuße wieder einbringt, sodaß also nach Auffassung der Königlichen Staatsregierung von einer Leistungs⸗ unfähigkeit des Landkreises Breslau, der ja, wie den Herren bekannt ist, ein sehr wohlbabender ist, wohl kaum die Rede sein kann. Politische Bedenken gegen diese Kreisveränderung liegen ebensowenig vor, wie auch schon in der Kommission des näheren aus⸗ einandergesetzt worden ist. Es läßt sich aber garnicht bestreiten, daß die Vereinigung der Landgemeinden Kleinburg und Pöpelwitz und des Gutsbezirks Pöpelwitz mit Breslau und damit diese Kreisveränderung im öffentlichen Interesse durchaus nöthig und dringend ist. Es ist bereits hervorgehoben worden, daß insbesondere auf dem Gebiete der Polizei hier ein sehr dringendes Bedürfniß besteht. Das bezieht sich nicht nur auf die Sicherheitspolizei, sondern vor allem auch auf die Baupolizei. Ich würde es sehr be⸗ dauern, wenn auch nur eine geringe Verzögerung in der Erledigung dieser Angelegenheit einträte.
Ich bitte Sie deswegen, meine Herren, einem etwaigen erneuten Antrage auf Rückverweisung in die Kommission nicht stattzugeben, sondern, dem Antrage Ihrer Kommission folgend, Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf auszusprechen.
Die Vorlage wird unverändert angenommen.
Schluß 5 Uhr. Nächste Sitzung Freitag 12 Uhr. (Margarineantrag Frankenberg, Schuldentilgungsvorlage, kleinere Vorlagen.)
Parlamentarische Nachrichten.
Beiden Häusern des Landtages ist eine Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1896 zugegangen, der wir Folgendes
entnehmen: 2 8 Ankaufsgeschäft. 8 1
Im Jahre 1806 sind der Königlichen FäFezeeaehxedcher zum freihändigen Ankaufe angeboten worden: 81 Güter und 27 bäuer⸗ liche Grundstücke; davon aus polnischer Hand: 25 Güter und 18 bäuerliche Grundstücke; aus deutscher Hand: 56 Güter und 9 bäuer⸗ liche Grundstücke. 1 1
Als für Ansiedelungszwecke geeignet sind im Berichtsjahre 7 größere Güter, (Vaupihöfe. mit oder ohne ausgebaute Vorwerke und theilweise mit zugeschriebenen, früher angekauften bäuerlichen Grund⸗ stücken) erworben worden und zwar sämmtlich im Wege des frei⸗ händigen Ankaufes. 8
Von den erworbenen Gütern entfallen: 1
X. Auf den Regierungsbezirk Marienwerder: das Gut Groß⸗
8 * 8
Tillitz, bestehend aus den Grundstücken Tillitz Nr. 10, 22, 23, 39
“ 1“ 1
und 83 und Brattian Nr. 65, Kreis Löhau, und das Gut Julienhof, Kreis Schwetz, mit einem Gesammtflächeninhalt von 646,38 ha zu einem Gesammtkaufpreise von 348 000 ℳ
B. Auf den Regierungsbezirk Posen: das Rittergut Czeluscin, Kreis Gostvn, und das Rittergut Sosnica, Kreis Krotoschin, mit einem Gesammtflächeninhalt von 1500,35 ha zu einem Gesammtkauf⸗ preise von 1 090 000 ℳ
„C. Auf den Regierungsbezirk Bromberg: das Rittergut Owieczki, Kreis Gnesen, das Rittergut Myslontkowo, Kreis Mogilno, und das Gut Osno, Kreis Znin, mit einem Gesammtflächeninhalt von 1373,12 ha zu einem Gesammtkaufpreise von 844 610 ℳ
Zusammen 3519,85 ha zum Kaufpreise von 2 282 610 ℳ 1
Unter Hinzurechnung der Erwerbungen aus den 10 Vorjahren umfaßt daher der Gesammterwerb der Ansiedelungskommission am Schlusse des Jahres 1896:
a. an Gutsareal 91 331,56 ha 55 217 686,62 ℳ, 8
b. an bäuerlichem Areal 1392,71 ha zu einem Kaufpreise von 941 510,25 ℳ,
zusammen 92 724,27 ha zu einem Kaufpreise von 56 159 196,87 ℳ
Der Flächeninhalt dieser Erwerbungen des Jahres 1896 mit 3519,85 ha bedeutet gegen das Vorjahr, das einen Grunderwerb von im Ganzen 7566,40 ha aufgewiesen hatte, ein Weniger von 4046,55 ha.
Die Einschränkung des Ankaufs findet in den Rücksichten ihre Erklärung, die sich aus der allmählichen Erschöpfung des im Jahre 1886 bewilligten Ansiedelungsfoads bereits ergeben.
Der durchschnittlich für den Grunderwerb im Jahre 1896 gezahlte Erwerbspreis stellt sich auf rund 648 ℳ für 1 ha, während er sich im Jahre 1895 auf rund 571 ℳ für 1 ha belaufen hat.
Die angelegten Preise schwanken zwischen dem 51 fachen und dem 94 fachen Grundsteuerreinertrage und stellen im Durchschnitt den 79 fachen Grundsteuerreinertrag dar. 8
Der Gesammtdurchschnittspreis für sämmtliche bisher von der Ansiedelungskommission erworbenen Liegenschaften beträgt 606 „ für 1 ha.
Verwaltung der erworbenen Güter bis zum Abschluss des Besiedelungsgeschäfts.
Einschließlich des noch verpachteten Gutes Deutschwalde mit 691 ha und der drei verpachteten Vorwerke der Herrschaft Pogrzybow mit 877 ha, befanden sich während des Wirthschaftsjahres 1895/96 in der zwischenzeitlichen Verwaltung 94 Güter mit einem Areal von 80 942 ha gegen 90 Verwaltungen des Vorjahres mit einem Flächen⸗ inhalt von 75 531 ha. Mitenthalten sind in diesen Flächen viele Ländereien, die bereits von Ansiedlern genutzt werden. Die von diesen Ländereien aufkommenden Renten und Pachten fließen direkt zu Staatskasse, sind daher bei der folgenden Zusammenstellung der Guts einnahmen und Ausgaben nicht berücksichtigt.
Ueber die Betriebsergebnisse dieser 94 Gutsverwaltungen na den Jahresrechnungen für das landwirthschaftliche Geschäftsjahr 1895/96 wird in derselben Weise und unter Aufrechterhaltung de früheren Unterscheidung der Güter in vier Kategorien Rechenschaf gelegt, wie im Vorjahre.
Die Gesammtübersicht stellt die bisherigen Ergebnisse de zwischenzeitlichen Güterverwaltung zusammen. Darnach hat dies Geschäftsthätigkeit verursacht einen Gesammtaufwand an Wirthschafts zuschüssen in Höhe von 5 930 332,25 ℳ, denen 1 297 094,19 ℳ Ab führungen gegenüberstehen, sodaß sich ein Nettoaufwand vo 4 633 238,06 ℳ für 9 Geschäftsjahre ergiebt. Die höchste Höh erreichte dieser Nettoaufwand im Jahre 1891/92 mit 1 042 615,17 ℳ feitdem ist diese Ausgabe im steten Fallen, im Jahre 1895/96 hat sie betragen 409 845,62 ℳ 8
Die am 30. Juni 1896 bei 72 Gutsverwaltungen vorgenommen Inventur hat einen Inventarwerth von 3 560 673 ℳ gegen den In ventarwerth des Vorjahres von 3 338 734 ℳ nachgewiesen. Mehrwerth nach der diesjährigen Inventur beträgt mithin 221 939
Der Umsatz, den die fiskalische Verwaltung in den hauptsäch lichsten landwirthschaftlichen Produkten während des Wirthschafts jahres erzielt hat, ist etwas höher als diejenige des Vorjabres.
Es wurden verkauft an Dritte im Jahre 1894/95 101 000 Zt Getreide, 70 000 Ztr. Kartoffeln. Hierfür wurden vereinnahmt 656 000 ℳ
Für Vieh betrug der Gesammterlös 717 000 ℳ Der Verkau der Spiritusproduktion ergab 522 800 ℳ
Im Jahre 1895/96 wurden verkauft 109 000 Ztr. Getreide un 93 000 Ztr. Kartoffeln für 726 000 ℳ
Die Baareinnahme aus dem Viehverkauf betrug 793 000 ℳ
Aus dem Verkauf der Spiritusproduktion wurden eingenomme 556 400 ℳ
Vorbereitungen des Besiedelungsgeschäftes.
Im Laufe des Jahres 1896 sind wie im Vorjahre 10 Besiedelungs pläne aufgestellt worden. Dieselben umfassen eine Fläche von 7209,72 ha. 8
Der planmäßigen Auftheilung sind bisher unterworfen worden im Jahre 1886/87 6252 ha, 1888 5162 ha, 1889 7017 ha, 1890 2369 ha, 1891 8527 ha, 1892 11 257 ha, 1893 9898 ha, 1894 2551 ha, 1895 5822 ha, 1896 7210 ha, zusammen 66 065 ha
zu einem Kaufpreise von
Rechnet man hierzu die ohne besonderen Besiedelungsplan, wie di
erworbenen Bauerngüter, vergebenen Grundstücke, nämlich 1045 ha ferner 5 neue Besiedelungspläne von Gütern, welche im rühjahr 1897 zur Auslegung kommen mit 3239 ha, so wird die zur Auslegun gestellte Fläche am 1. April 1897 umfassen 70,349 ha oder 77°, der Gesammterwerbungen. Demnach verbleiben in der Vorbereitungs periode vor dem Besiedelungsvorgang 23 % des ganzen Grunderwerbs der Ansiedelungskommission. Renten⸗ und Pachtfeststellung.
Von der Ansiedelungskommission sind seit Beginn ihrer Thätig keit bis Ende 1896 im Ganzen aufgestellt: a. für Posen 778 Be siedelungspläne mit zusammen 46793,71 ha, b. für Westpreuße 32 Besiedelungspläne mit zusammen 19271,95 ha. I“
Die Feststellung der fiskalischen Schadloshaltung ist in diese Theilungsplänen derart erfolgt, daß von den ermittelten Anrechnungs werthen entrichtet werden: 3 % in 70 Fällen, 2 ¾ % in 1 Falle, 2 ½ % in 18 Fällen, 2 ¼ % in 3 Fällen, 2 % in 17 Fällen, 1 ¼ % in 1 Falle
Von den im Jahre 1896 aufgetheilten Gütern sind neun mi 3 % und nur eins mit 2 ½ % Rente, beziehungsweise Pachtschilling von den Anrechnungswerthen des Grund und Bodens belastet.
In Sachen der Ausbringung der fiskalischen Selbstkosten un der Schadloshaltung des Fiskus für seine Gebäudeaufwendungen hat sich die Geschäftspraxis nicht geändert. Es wird daher auf die Aus führungen der früheren Berichte Bezug genommen.
Hochbauten.
Ueber die Hochbauten der Ansiedelungskommission sind der Denk schrift zwei Nachweisungen beigefügt, in denen die öffentlichen Bauten welche überhaupt bis jetzt errichtet sind (9 Kirchen, 10 2 10 Pfarreigehöfte, 1 Drganistengehöft. 67 Schulen und 34 und Spritzenhäuser), zusammengestellt sind. 3 1—
Die Kirchen in Bukowitz W.⸗Pr. und in Strzydzew sind im inneren Ausbau vollendet, ihre Uebergabe und Einweihung hat abe noch nicht stattgefunden. Neu begonnen und im Rohbau aufgeführt sin die Kirchen in Orchowo, Gryzlin und Groß⸗Loßburg. In den Vor entwürfen sestgestellt sind die Kirchbauten von Rynsk und Konojad Außer der Detaillierung des inneren Ausbaus der 3 begonnenen Kirchen und der speziellen Ausarbeitung der zwei Vorentwürfe wird die Hochbau⸗Abtheilung noch etwa füͤns Kirchbauten bis zum nächsten Sommer zu projektieren und einzuleiten haben. .
sind im Berichtsjahre neu errichtet 2 Bethäuser, 1 Probstei, 4 Schulen, 3 Armenhäuser und 1 Spritzenhaus. Die umfangreich alte Schloßanlage in Lulkau ist so umgebaut worden, daß daraus ein Betsaal für 200 Personen, eine Schulklasse für 80 Kinder, 88
farrer⸗ und eine Lehrerwohnung mit den 5 Nebenanlagen ge- majaffe sind. Es ist in geeigneter Weise Vorsorge dafür gekroffen, nach den verschiedenen Räumen vorhanden
daß besondere Zugänge und Störungen thunlichst vermieden
sind, damit Behelligungen