1897 / 49 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 26 Feb 1897 18:00:01 GMT) scan diff

Aus Karlsruhe vom gestrigen Tage wird das Ableben des e. um die Goetheforschung verdienten Literarhistorikers Pro⸗ fessors Michael Bernays gemeldet. Derselbe war am 17. November 1834 in Hamburg als jüngerer Bruder des bekannten, als Professor Bonn verstorbenen Philologen Jakob Bernays geboren, studierte von 1853 bis 1856 in Bonn und Heidelberg Literatur⸗ geschichte und habilitierte sich 1872 als Privatdozent in Leipzig. Im Jahre 1873 folgte er einem Rufe als außerordentlicher Professor der Literaturgeschichte an die Universität München und wurde 1874 zum Ordinarius ernannt. In seinen Vorlesungen behandelte er vornehmlich die deutsche, dann auch die englische und französische Lite⸗ ratur. Indessen gab er im Jahre 1890 sein Lehramt auf, um sich ausschließlich seinen literarischen Arbeiten zu widmen, und siedelte ach Karlsruhe über. Seine Hauptwerke sind: „Ueber Kritik und Goethe'schen Textes“, „Briefe Goethe's an

F. A. ff“ mit einer umfassenden Einleitung, in der Goethe's Verhältniß zur Poesie des klassischen Alterthums geschildert wird; ferner „Zur Entstehungsgeschichte des Schlegel'schen Shakespeare“, eine Ausgabe der Dichtungen und Briefe Goethe's aus den Jahren 1764 bis 1766 unter dem Titel „Der junge Goethe“, und zwei Biographien über Goethe und Gottsched. Auch besorgte Bernays eine revidierte Ausgabe der Schlegel⸗Tieck'schen Shakespeare⸗Ueber⸗ setzung und gab die Voß'sche Uebersetzung von Homer’s „Odyssee“ in ihrer ältesten Gestalt neu heraus. Im vergangenen Jahre veröffent⸗ lichte er noch den ersten Band seiner gesammelten „Studien“, dem

ein zweiter folgen sollte.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Niederlande. 1 8 Eine Königliche Verordnung vom 15. d. Mts. bestimmt, daß das Gesetz vom 4. Dezember 1872, die Maßregeln zur Abwehr an⸗ steckender Krankheiten betreffend, auch auf die Pest für die Dauer eines Jahres Anwendung finden soll. 8

Theater und Musik.

Im Königlichen Opernhause gelangt morgen Lortzing's Oper „Undine“ unter Kapellmeister Dr. Muck's Leitung zur Auf⸗ ührung.

1 Ig Königlichen Schauspielbause wird morgen Shakespeare's Sommernachtstraum“ in folgender Besetzung gegeben: Theseus: Herr Molenar; Lysander: Herr Purschian; Demetrius: Herr Arndt; Squenz: Herr Blencke; Zettel: Herr Vollmer; Hippolyta: Frau Stollberg; Hermia: Frau von Hochenburger; Helena: Fräulein Lindner; Oberon: Fräulein von Mayburg; Titania: Fräulein Kraufe; Puck: Frau Conrad. Die Musik von Felix Mendelssohn⸗ Bartholdy wird unter Mitwirkung der Königlichen Kapelle und Leitung des Musik⸗Direktors Wegener zu Gehör Hebech“

Mannigfaltiges.

In der gestrigen Sitzung der Stadtverordneten wurde auf Vorschlag des Vorstebers der letzte Punkt der Tagesordnung: die Vorlage, betreffend den Abschluß eines Vertrags mit der Großen Berliner Pferde⸗Eisenbahn⸗Aktiengesellschaft und der Neuen Berliner Pferdebahn⸗Gesellscheft über Umwandlung des Pferdebahnbetriebs in einen elektromotorischen Betrieb, wegen seiner Wichtigkeit an die Spitze der Berathung gestellt. Zu der Magistratsvorlage lagen eine Reibe von Petitionen und ein Antrag auf Niedersetzung eines Ausschusses vor. Die Debatte eröffnete der Stadtverordnete Singer, dessen Ausführungen darin gipfelten, daß in erster Linie die Uebernahme des Betriebs in den Besitz der Stadt seinen Fraktions⸗ genossen als das Wünschenswertheste erscheine, er erkenne aber an, daß man über bestehende Verträge nicht hinweggehen könne. Der Redner ließ zum Schluß durchblicken, daß seine Fraktion für einen Vertrag stimmen würde, in welchem die Fürsorge für die Angestellten zum Ausdruck komme. An der weiteren Debatte betheiligten sich der Stadtverordnete Jacobi, welcher erklärte, die Pferdebahn⸗Gesellschaft sei nicht abgeneigt, billigen Anforderurgen zu entsprechen, ferner die Stadtverordneten Rosenow

andere Gesellschaften über die bisher geltenden 400 m b und der Stadtverordnete Hugo Sachs, welcher mit Entschiedenheit dafür eintrat, daß der Stadt die Möglichkeit geboten werde, einen nicht nur auf den Personentarif, sondern auch auf den Güter⸗ tarif zu erhalten und auch mit Konkurrenz⸗Gesellschaften in Verbindung zu treten. Hierauf wurde die Debatte durch Annahme eines Schluß⸗ antrags beendet und die Magistratsvorlage einem Ausschuß von 15 Mitgliedern zur Berathung überwiesen. Zur Kenntnißnabme theilte der Magistrat der Versammlung mit, daß er dem Beschlusse derselben in Betreff der Frage der Numerierun der Fahrräder nicht beitreten könne. Die Vorlage wurde dur Kennknißnahme erledigt. Der Stadtverordnete Mosch erstattete hierauf den Bericht des Rechnungsausschusses über 27 Rechnungen, unter welchen sich auch die Rechnung der Stadt⸗Hauptkasse pro 1. April 1895/96 befand. Dieselbe schließt ab in Einnahme mit 94 082 013,76 (einschließlich des aus 1895 verbliebenen Bestandes von 4 955 886,75 ℳ) und in Ausgabe mit 90 813 401,80 Die Entlastung wurde ertheilt. Ferner nahm die Versammlung Kenntniß von dem Jahresabschluß der Kanalisationswerke und der Rieselfelder pro 1895/96. Die laufende Verwaltung erforderte einen Zuschuß aus den allgemeinen Mitteln der Stadt in Höhe von 1 501 081,97 gegen 3 020 510,93 im Vorjahre. Der geringere Zuschuß hat seinen Grund in der Erhöhung der Kanalisationsabgabe von 1 % auf 1 ½ % seit 1. April 1895. Außerdem lag der Jahresabschluß der Haupt⸗Stistungs⸗ kasse pro 1. April 1895/96 vor. Die rechnungsmäßige Gesammt⸗ Einnahme aller in der Haupt⸗Stiftungskasse geführten Verwaltungen, Stiftungen und Fonds betrug 9 250 110,80 ℳ, die Ausgabe 6 815 877,87 ℳ%ℳ Auch von diesem Jahresabschluß nahm die Ver⸗ sammlung ohne Debatte Kenntniß und genehmigte die vorgekommenen Etatsüberschreitungen. Den Ausschußbericht über die Mazistrats⸗ vorlage, betreffend die Anstellung technischer Lehrerinnen an den Ge⸗ meindeschulen, erstattete der Stadtverordnete Singer. Nach kurzer Debatte wurde die Vorlage nach dem Antrage des Ausschusses angenommen. Die Vorlagen, betreffend die Erwerbung der auf dem Gelände des Treptower Parks verlegten Rohrleitungen für die Zwecke der städtischen Parkverwaltung, die Festsetzung von Fluchtlinien für drei neue Straßen zwischen der Greifswalderstraße und der Straße „Am Friedrichshain“ bezw. dem „Verlorenen Weg“, und die Vor⸗ lage, betr. Bewilligung von Ehrenpreisen sowie unentgeltliche Lieferung von Wasser für die bevorstehende Gartenbauausstellung, wurden ohne Debatte angenommen.

Bei dem Comité für die Centenarfeier haben die Ab⸗ theilungen der Deutschen Kolonial⸗Gesellschaft in folgenden Städten Kränze mit entsprechenden Schleifen, zur Niederlegung am National⸗Denkmal durch Deputirte in dem Festzuge am 23. März, bestellt: Apia, Angermünde, Berlin, Braunschweig, Köln a. Rh., Cannstatt, Gotha, Hadersleben, Hamburg, Hildesheim, Kiel, Leipzig, Liegnitz, Löbau, Mainz, Mannheim, Mülheim a. d. Ruhr, München, Pforzheim, Sonneburg, Rottweil, Schlawe, Suhl, Tokio, Ülm, Warmbrunn, Bochum. Weitere Anmeldungen auf Kränze werden angenommen von der Geschäftsstelle für die Centenarfeier, Berlin W., Leipzigerstraße 4.

Das Königliche Polizei⸗Präsidium macht bekannt, daß am Königsthor“, auf der Promenade der Greifswalderstraße ein Feuermelder zum öffentlichen Gebrauch aufgestellt worden ist.

Der gestrige Vortragsabend zum Besten der Unterstützungs⸗ kasse des „Vereins Berliner Presse“ hatte im Publikum ein besonders starkes Interesse erregt, da der steierische Volksdichter Peter Rosegger eigene Dichtungen unter dem Gesammttitel „Volkshumor in den Alpen“ in steierischer Mundart vorlesen wollte. In der That trat schon in der Erscheinung und in den wenigen einleitenden Worten Rosegger's eine schlichte volksthümliche Eigenart hervor. Das Auge dieses Dichters sieht nicht Herren und Damen, sondern echte unver⸗ fälschte Menschen aus dem Volke, bei denen die kraftvolle Natur halb scheu und verlegen, aber mit staunenswerther Klarheit zu Tage tritt. Seine steierischen Buben und Mädchen, seine Bauern und Bäuerinnen strahlen so viel erdfrische Natürlichkeit aus, daß man die Empfindung

und Dinse, welche die Forderung der Mitbenutzung der Geleise durch

Wetterbericht vom 26. Februar, 8 Uhr Morgens.

1

Ober⸗Regisseur

Temperatur

Wetter.

C. = 40 R.

von August W Felix raeb. In Max Grube.

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in ° Celsius

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Bar. auf 0Gr. 5 6

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6 bedeckt 5 heiter

9 Regen 4 Dunst 6 bedeckt still Nebel 1 bedeckt

Belmullet.. Aberdeen. Christiansund Kopenhagen. Stockholm. aparanda. oskau... Cork, Queens- ““ 5 bedeckt Cherbourg . 770 % 3 halb bed. Ider 765 5 Nebel qq1P1611“ 5 bedeckt ung 1I“ 5 bedeckt ¹) winemünde 760 WSW 5 Dunst Neufahrwasser 755 WSW 7Regen²) Memel 749 WNW 7 Nebel ris 773 SSW 3 wolkig arlsruhe.. 772 SW 5 hedeckt 770 3 vedeckt 773 SW 5 bedeckt 768 W 4 bedeckt 763 W 5 bedeckt³) 774 6 bedeckt 8 ö.7764 WNW A; bedeckt Ile d'Aix . 776 S 3 Dunst 775 O 1 Dunst 1111““ still bedeckt ¹) Nachts Regen. ²) Nachts Regen.

Regen. . 1 Uebersicht der Witterung. Das barometrische Minimum, welches gestern nord⸗ estlich von Schottland lag, ist nordostwärts nach em mittleren Norwegen sortgescheitien und ver⸗ nlaßt im Nord⸗ und Ostseegebiet starke, stellenweise stürmische westliche Winde. Am höchsten ist der Luftdruck über dem südlichen Frankreich. In Deutschland ist bei lebhaften westlichen Winden das Wetter trübe und ungewöhulich mild; in den noͤrd⸗ chen und mittleren Gebietstheilen ist fast überall Regen gefallen; zu Magdeburg liegt die Temperatur um 10, zu München um 11 Grad über dem Mittel⸗

Deutsche Seewarte.

Theater.

Königliche Schauspiele. Sonnabend: Opern⸗

haus. 51. Vorstellung. Undine. Romantische auber⸗Oper in 4 Akten von Albert Lortzing.

nach Fouqué’s Erzählung frei bearbeitet.

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schwender. von Ferdinand

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Grille.

lichen 3, 2 hoben.

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1,50 Anfang

Sonntag, Himmelfahrt. Abends 7 ½ Uhr

2

im Winkel. Sonntag, Preise): Der

schwister.

Tanz von Emil Graeb. In Scene gesetzt vom

vom Ober⸗Inspektor Brandt. meister Dr. Muck. Anfang 7 ½ Uhr. Schauspielhaus. 58. Vorstellung. nachtstraum von William Shakespeare, übersetzt

b“ cene gesetzt vom öber⸗Regisseur h z 5 Dekorative Einrichtung vom Ober⸗ Preisen: Der Hüttenbesitzer. Inspektor Brandt. .

direktor Wegener. Sonntag: Opernhaus. häuser und der Sängerkrieg auf Wartburg. Romantische Oper in 3 Akten von Richard Wagner. Ballet von Emil Graeb. Anfang 7 Uhr. Schauspielhaus. Original⸗Zaubermärchen in 3 Aufzügen

Kreutzer. Anfang 7 ½ Uhr. Neues Königliches Opern⸗Theater (Kroll). Ländliches Charakterbild in 5 Aufzügen mit theilweiser Benutzung einer Erzählung von George Sand, von Charlotte Birch⸗Pfeiffer. Der Billet⸗ Verkauf zu dieser Vorstellung findet heute und morgen in der Zeit von 9 10 und 12 1 ½ Uhr im Käönig⸗ Schauspielhause statt.

Montag: John Gabriel Borkman.

Berliner Theater. Sonnabend: Der Gym⸗ nasialdirektor. Sonntag, Nachmittags 2 ½ Uhr: Die Inngfrau von Orleauns. Abends 7 ½ Uhr: Renaissance. Montag: König Heinrich.

Nachmittags 3 Uhr (volksthümliche

Erstes Gastspiel von Hedwig Niemann. Hierauf: Monsieun honse Montag: Meerleuchten. 8

Residenz⸗-Theater. Direktion: Sigmund Lauten⸗ burg. Sonnabend: Associés. Lustspiel in 3 Akten von Leon Gandillot. Anfang 7 ½ Uhr.

Sonntag und folgende Tage: Associés

hat: hier braucht der Dichter nicht nach der Natur zu streben; was er

Neues Theater.

Direktion: Marcelle.

Tetzlaff. Dekorative Einrichtung Dirigent: Kapell⸗ Komödie in 4 Ein Sommer⸗ In Scene

ul Lindau. Anfang 7 ½ Uhr

Musik von tenburg.

ilhelm von Schlegel. Emil

Tanz von Sonntag,

Musikalische Direktion: Musik⸗ Anfang 7 ½ Uhr. 52. Vorstellung. Tann⸗

Am Tage des Gerichts.

bauner.

Der Ver⸗ Kirchfeld.

59. Vorstellung. Musik von Konradin

Die

Raimund.

Herrn Gustav Kadelburg.

Preise der Plätze:

Aufgeld wird nicht er⸗ Herrn Gustav Kadelburg.

und 75 ₰. 7 ½ Uhr.

en. Dramatisches

Anfang 7 ½ Uhr. Hannele’'s

Vorher: Ohne Liebe.

: Der Sohn des Khalifen.

korps. (150 Musiker.)

Orchester.

Musikdirigenten Herrn Neese.

Anfang 7 ½ Uhr.

Haus) übernommen.

und die vierzig Räuber. (Louise Dumont.) Anfang 7 ½ Uhr.

Abends 7 ½ Uhr:

Probepfeil. Die Ge⸗

Sonnabend: rau 3 Akten von von H. Hirschel.

Roger. Anfang 7 ½ Uhr.

Deutsch von Max Schönau.

hinaus betonten,

Schiffbauerdamm 4a./5. Sigmund Lautenburg. Akten von

Sardou. Für die deutsche Bühne bearbeitet von gesetzt von Sigmund

Sonntag und folgende Tage: Mareelle. Nachmittags 3 Uhr:

Schiller⸗Theater. Sonnabend, Abends 8 Uhr:

Sonntag, Nachmittags 3 Uhr: Der Millionen⸗ Abend 8 Uhr: Der Pfarren

Theater des Westens. Kantstraße 12. (Bahn⸗ hof Zoologischer Garten.) Sonnabend, Nachmittags 3 Uhr: Schüler⸗Vorstellung zu ermäßigten Preisen: Wilhelm Tell. Abends 7 ½ Uhr: Gastspiel des Die berühmte Franu.

Sonntag, Nachmittags 3 Uhr: Bei halben Preisen: Wilhelm Tell. Abends 7 ½ Uhr: Gastspiel des Die berühmte Frau.

Montag: Zum zweiten Male: Im Travppisten kloster. Hierauf: Ein Weihnachtsabend. Zum Schluß: Jephta's Tochter.

Deutsches Theater. Sonnabend: Zum ersten 1 Male: Der Sohn des Khalifen.

Märchen von Ludwig Fulda.

Nachmittags 2 ½ Uhr: Theater Unter den Linden. Bebrenstr. 5557.

Direktion: Julius Fritzsche. Sonnabend: Vierter und letzter großer Maskenball. Drei Musik⸗ Das verstärkte Die vollständige Kapelle des 2. Garde⸗ Ulanen⸗Regiments unter Leitung des Königlichen

Magnaten⸗Kapelle „Kolompar“. Drei große Ballets. Beginn des Balles um 10 Uhr. Die Büffets sowie die Weinlieferungen hat Herr Huster (Englisches

Sonntag, Nachmittags 3 Uhr: Bei balben Preisen: Der Obersteiger. Abends 7 ½ Uhr: Indigo

Lessing-Theater. Sonnabend: Das Glück

Thalia⸗Theater (vorm. Adolph Ernst⸗Theater). Dresdenerstraße 72/73. Direktion: W. Hasemann. Lientenant. Ferrier und A. Mars.

dusik von G. Serpette und V.

Sonntag und folgende Tage: Frau Lientenant⸗ Sonntag, Nachmittags 3 Uhr: Trilby.

zsagt und schafft, ist selber Natur. Trotzdem bleibt er weit ab vom

Niedrigen und Häßlichen und gestaltet im Lichte eines unversiegbaren Humors auch die Fehler und Schwächen der Menschen immer treu⸗ berzig und erheiternd. Gestern las der Dichter eine Anzabl humoristischer kleiner Scherze vor, die skizzenartig typische Personen, Zustände und Sitten schilderten, und in ihrer süddeutschen Art ungefähr so wirkten wie Fritz Reuter mit seinen „Läuschen und Rimels“ in plattdeutscher Mundart. „Die Stadthosen“ Rosegger's enthalten sogar einen von Ffis Reuter ebenfalls behandelten Vor⸗ wurf. Von zwei ernsteren Dichtungen war die eine, „Drei Buben“, dem bayerischen Dichter Stieler nachgebildet, die zweite eigene Er⸗ findung. Bei Rosegger's klarer Vortragsweise war jedes Wort der steierischen Mundart auch seinen norddeutschen Hörern verständlich und

ewann frisches Leben durch die ausdrucksvolle, nach der Eigenart jeder

prechend eingeführten Person abgetönte Modulation der Stimme des Vorlesers. Die Zuhörer gaben ihrem Dank für die stimmungsvollen kleinen Erzählungen durch lebhaften Beifall Ausdruck.

Der letzte diesjährige Vortragsabend des Vereins „Berliner Presse“ wird nicht, wie angekündigt, am Donnerstag, den 4. März, im Architektenhaufe, sondern bereits am Montag, den 1. März, im Festsaale des Hôtel de Rome, Unter den Linden, statt⸗ finden. Diese Abänderung ist durch die Repertoireverhältnisse des Deutschen Theaters nothwendig geworden. Herr Josef Kainz wird an diesem Abend nicht nur als Deklamator, sondern zum ersten Mal auch als Uebersetzer vor dem Publikum erscheinen. Außerdem gedenkt die Münchener Romanschriftstellerin Frau Carry Brachvogel einige ihrer neuesten kleineren Arbeiten vorzulesen. Billets für Sitzplätze (numeriert) zu 3 ℳ, Stehplätze 1,50 ℳ, sind in den Buchhandlungen von Amelang (jetzt Potsdamerstraße 126), Trautwein (Leipziger⸗ straße 8) und Speyer u. Peters (Unter den Linden 43) käuflich.

Frankfurt a. M., 25. Februar. Heute Mittag brach in dem neuerbauten, in der Hasengasse belegenen Waarenhause von Wronker Großfeuer aus, welches, nach dem Bericht des „W. T. B.“, so schnell um sich griff, daß das Gebäude in kurzer Zeit vollständig ausgebrannt war. Infolge der starken Rauch⸗ entwickelung war es der schnell herbeigeeilten Feuerwehr nicht möglich, nach dem Innern zu gelangen. Vom Dachstuhl aus verbreitete sich der Brand auf den Mansardenstock eines an der Zeil belegenen vierstöckigen Geschäftshauses, dessen Bewohner wegen Verqualmung des Treppenhauses mittels hvdraulischer Leiter von der Feuerwehr gerettet werden mußten. Ein junger Mann sprang vom Balkon des zweiten Stockes auf die Straße und erlitt hierbei an⸗ scheinend schwere Verletzungen. Auch ein zweites, daneben befindliches Haus wurde von den Flammen ergriffen. Die Feuerwehr war lange Zeit in angestrengter Thätigkeit, um ein weiteres Umsichgreifen des Brandes zu verhindern. Das Feuer ist dadurch entstanden, daß in dem Geschäfts⸗ hause von Wronker bei dem Aufhängen von zwei Bogenlampen Funken des vorzeitig eingestellten elektrischen Stromes in Gardinen⸗ stoffe fielen. Der Installateur wurde in Haft genommen. Ver⸗ letzungen sind außer den oben erwähnten nicht vorgekommen.

Bremen, 26. Februar. Laut telegraphischer Meldung aus Neapel ist der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Gera“ bei der Insel Ischia auf einem Algenbett festgefahren. Schlepp⸗ dampfer sind zur Hilfeleistung nach Neapel abgesandt.

Hamburg, 25. Februar. Auf dem von der Kalkutta⸗Linie übernommenen Packetfahrtdampfer „Castilio“, der heute ab⸗ gehen sollte, fand eine Explosion des Schiebekastens der Dampf⸗ maschine statt. Der Maschinist wurde, dem „W. T. B.“ zufolge, ven dem ausströmenden Dampf schwer, drei Heizer wurden leicht verletzt.

Simbirsk, 26. Februar. Bei der Station Repjewka der Eisenbahn Sysran⸗Wjasma entgleiste ein Zug. Der Maschinist wurde getödtet, ein Schaffner verwundet, die Lokomotive zertrümmert, von den Passagieren jedoch keiner verletzt. .““

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)

Bentral⸗Theater. Alte Jakobstraße 30. Direktion: Richard Schultz. Sonnabend: Emil Thomas a. G. Ein fideler Abend. Burleske dramatische Revue in 1 Vorspiel und 3 Bildern von J. Freund und W. Maznstädt. Musik von verschiedenen Meistern, arrangiert von Julius Einödshofer. Anfang 7 ½ Uhr. 8 Sonntag, Nachmittags 3 Uhr: Bei ermäßegten Preisen: Ein sideler Abend. Abends 7 ½ Uhr: Ein sideler Abend.

Sonnabend: Victorien

Bei halben

Konzerte.

Konzerthaus. Karl Meyder⸗Kouzert. Sonnabend: 24. Operetten⸗ und Walzer⸗

Saal Bechstein. Sonnabend, Anfang 7 ½ Uhr: Klavier Abend von Louis Dibémer. Mitwirkung: Herr Edouard Risler.

Birkus Renz. Karlstraße. (Jubiläums⸗ Saison 1896/9 7.) Sonnabend, Abends 7 ½ Uhr: Parade⸗Gala⸗Vorstellung. Durchschlagender Erfolg! Novität: „Aus der Mappe eines Riesengebirgs⸗Phantasten“. Außerdem die her⸗ vorragendsten Nummern des Repertoires. Mazud und Atharguell, arabische Hengste, in Freiheit dress. und vorgef. von Herrn Hugo Herzog. Eine Schulquadrille, geritten von 8 Herren. Einfache und doppelte Baguettesprünge über Hinder⸗ nisse, ausgef. von 12 Ungarn. 16 Spring⸗ Akrobaten. Gebr. Clarkonniens, Deutschlands großartigste Luftturner.

Sonntag: Zwei große Vorstellungen. Nach⸗ mittags 4 Uhr (ermaͤßigte Preise und 1 Kind unter 10 Jahren frei): Lustige Blätter! Großes elek⸗ trisches Ballet. Abends 7 ½ Uhr: „Aus der Mappe eines Riesengebirgs⸗Phantasten“.

—y——— Familien⸗Nachrichten. Geboren: Ein Sohn: Hrn. Lieut. Eugen von

Wietersbeim (Potsdam). Hrn. Staatsanwalt

Beyer (Schweidnitz). Gestorben: Verw. Fr. Hüttenbesitzer Ida Simen, geb. Kuhnel (Kittlitztreben b. Bunzlau).

Theater⸗

Die ungarische

Verantwortlicher Redakteur: Siemenroth in Berlin.

Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin.

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ Anstalt Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32

Sechs Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage).

Vaudeville in Deutsch

ischen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger

Berlin, Freitag, den 26. Februar

1—

Berichte von deutschen Fruchtmärkten.

Qualität

Außerdem wurden am

gec8ng mittel

Durch⸗ Am vorigen

Markttage

gut schnitts⸗ Markttage (Spalte 1)

Gezahlter Preis für 1 Doppelzentner

preis nach über⸗

für 2 8 8 Schätzun

1 Doppel⸗ 8

(100 kg) s

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IL 4X4

drigster

verkauft höch· zentner Doppel⸗ ster zentner (Preis unbekannt)

15,25 14,05

16,00

Ratibor 14,00 14,90 14,90 Aschersleben.. 13,00 13,25

Döbeln. CL111”“ Breslau 14,70 15,20 15,70

Ratibor... Aschersleben Döbeln. Breslau

12,00 11,60

12,20 11,70 Ratibor

Aschersleben Breslau

10,00 11,10 11,00

12,00 11,80 13,00

12,50 12,50 13,30

Ratibor. Aschersleben Döbeln. Breslau

11,60 12,40

12,30 12,50

12,30 12,55

12,90

11,10

12,10

Weizen. 15,25 15,45 14,50

15,00 15,50 16,40 16,70

Roggen. 11,70 12,50

11,70

11,90

Ge

13,60 14,50

H a 12,60

15,50

11,90 12,70 11,90 12,10

r st e.

16,10 15,40

fer. 12,60

13,30 11,80 12,00 13,10

13,80

13,20

Bemerkung. Die verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und der Verkaufswerth auf volle Mark abgerundet mitgetheilt. Der Durch⸗

schnittspreis wird aus den unabgerundeten Zahlen berechnet.

Deutscher Reichstag. Sitzung vom 25. Februar 1897, 1 Uhr. Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berath g

des von den elsaß⸗lothringischen Abgg. Colbus (b. k. F.

u. Gen. beantragten Gesetzentwurfs wegen Neu⸗ regelung der Wahlen zum Landesausschusse von Elsaß⸗Lothringen. Danach sollen die Wahlen durch direktes, allgemeines und geheimes Wahlrecht erfolgen; auf je 30 000 Einwohner soll ein Abgeordneter gewählt werden.

8 Abg. Winterer (b. k. F.) weist darauf hin, daß für den Landesausschuß drei verschiedene Wahlsysteme bestehen; dabei kämen nur zum geringsten Theile die Wähler selbst zur Meinungsäußerung. Die Bezirkstage z. B., die auf 9 Jahre gewählt seien, entsendeten ihre Delegirten, ohne mit den Wählern Fühlung zu nebmen. Eine solche Ausnahmegesetzgebung könne auf die Dauer nicht aufrecht⸗ erhalten werden.

Abg. Preiß (b. k. F.): Vor zwei Jahren hat der Reichstag

unseren Antrag wegen Aufhebung des Diktaturparagraphen an⸗ genommen. Hier verlangen wir abermals die Aufhebung einer seit 25 Jahren bestehenden Ausnahmegesetzgebung. Bei den verbündeten Regierungen haben wir aber kein Glück gehabt; sie haben die Be⸗ schlüsse des Reichstags abgelehnt. Der elsaß⸗lothringische Landes⸗ Ausschuß hat keineswegs die Bedeutung, die ihm entsprechend der Stellung der anderen Landtage und den Einzelstaaten zukommen müßte; er fühlt sich eben nicht als ein Ausfluß des Volkswillens und ist deshalb geistig und moralisch niedergedrückt. Der Landesausschuß ist eine saft⸗ und kraftlose Versammlung von Männern, welche das Gefühl ihrer Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit auf Schritt und Tritt niederdrückt und lähmt. Der Streit zwischen den elsässischen Studenten und dem altdeutschen Rektor hätte nicht ausbrechen können, wenn wir eine wirkliche Landesvertretung hätten, die versöhnend hätte mitwirken können. Jetzt betrachtet man sich gegenseitig mit Mißtrauen. (Präsident Freiherr von Buol bittet den Redner nicht zu weit in die mit dem Antrage nicht zu⸗ sammenhängende Sache einzugehen.) Dieser Fall steht mit der ganzen Ne Lage im Zusammenhange. Gegenüber dem geschlossenen uftreten der einheimischen Bevölkerung haben schließlich Rektor und Senat die ausgesprochenen Relegationen zurückgenommen. Nicht die elsässischen Studenten haben eine klägliche Rolle bei dieser Gelegenheit gespielt. Dieser Vorfall beweist, daß der Diktaturgeist alles durchdringt, auch die Universität. Deshalb muß die Diktatur endlich beseitigt werden. Besser wäre es gewesen, Elsaß⸗Lothringen von Anfang an ein lebenskräftiges Parlament zu geben, wo man sich offen aussprechen konnte, so daß kein Mißtrauen hätte auf⸗ kommen können. Der Statthalter, Fürst Hohenlohe⸗Langenburg, tadelte kürzlich die sogenannte „übelgesinnte“ einheimische Presse und drohte mit schärferen Bestimmungen auf Grund des Diktatur⸗ paragraphen, der eigentlich nur gegen die Ausländer zur Anwendung gebracht werden soll. „Wir wollen nicht erst durch Demuth und Unterwerfung unsere Bürgerrechte erwerben, sondern beanspruchen sie auf Grund der Gerechtigkeit.

„Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath im Ministerium für Elsaß⸗ Lothringen Halley: Die heutige Verhandlung dreht sich Wum einen Initiativantrag, zu dem Stellung zu nehmen weder die verbündeten Regierungen noch die Landesverwaltung von Elsaß⸗Lothringen bisher Anlaß gehabt haben. Ich widerstehe deshalb auch der Versuchung, mich mit dem Vorredner über die Vor⸗ theile des direkten oder indirekten Wahlrechts auseinanderzusetzen und auszuführen, daß die besonderen Verhältnisse von Elsaß⸗Lothringen auch eine besondere Stetigkeit in den Fundamenten der Gesetzgebung verlangen, und daß eine gedeihliche Entwicklung der Verhältnisse in Elsaß⸗Lothringen nicht möglich ist, wenn stets wieder Anträge gestellt werden, die die fundamentalen Grundlagen der Verwaltung in Frage zu stellen bestimmt sind. Wenn behauptet ist, daß diejenigen

Kreis⸗Direktoren, die sich in den Landesausschuß wählen lassen, von

ihren vorgesetzten Behörden schlecht angesehen würden, so muß ich diese Behauptung als unrichtig zurückweisen. Unrichtig ist auch der Vorwurf, daß der Landesausschuß ein Beamten⸗ oder Rentner⸗ Parlament sei. Im Landesausschuß sitzen 3 Beamte, 1 Landgerichts⸗ Rath, 1 Kreis⸗Direktor und 1 Regierungs⸗Assessor, und 3 ehemalige Beamte, 18 Guts⸗ und Grundbesitzer, 6 Fabrikanten, 3 Aerzte, 5 Notare, 2 Mühlenbesitzer, 2 Weinhändler, außerdem Ziegeleibesitzer, Brauerei⸗ zef er, Banquiers, Pfarrer und 8 Rentner. Von diesen sind aber

ehemalige Notare, 2 ehemalige Apotheker, 2 ehemalige Gutsbesitzer und 1 ehemaliger Rechtsanwalt. Sämmtliche Leute sind auf Grund Wer früheren vürgerlichen Thätigkeit, und nicht auf Grund angeborener 8 erthpapiere, Rentner geworden; es sind im Landes⸗Ausschuß

eniger Rentner vorhanden als in allen übrigen Parlamenten.

Unbegründet ist auch die Behauptung, daß der Landes⸗Ausschuß im Lande unpopulär sei. „(Abg. Bueb: Sehr richtig!) Herr Bueb wird dafür keinen Beweis erbringen können; diese Behauptung ist schon 1895 von dem Staatssekretär von Putt⸗ kamer hier widerlegt worden. Wäre sie richtig, so würden nicht immer wieder dieselben Mitglieder in den Landesausschuß gewählt werden, die dort maßgebend sind. Ihre Mehrzahl ist von der Regierung voll⸗ ständig unabhängig; die Bürgermeister als abhängige Beamten zu be⸗ zeichnen, ist geradezu komisch. Herr von Puttkamer sagte damals, die Regierung wäre diesen Herren dankbar, daß sie sich ihrer Stellung unterziehen; sie sind so unabhängig, daß sie uns jeden Augen⸗ blick den Stuhl vor die Thüre setzen können, und die Regie⸗ rung ist eher von diesen Herren abhängig. Die Straßburger Studenten haben beim Streit wohl schieben wollen, aber sie haben sich schieben lassen und eine ihrer würdige Rolle nicht gespielt. Man hat auch die frühere oppositionelle Jugend aus den 70er Jahren mit der heutigen oppositionellen Jugend verglichen. Ein solcher Ver⸗ gleich läßt sich aber gar nicht ziehen. Die Jugend der 70er Jahre wanderte aus, um sich dem Militärdienst zu entziehen und auch in der Hoffnung, mit dem siegreichen französischen Heere wieder ins Land zurückkommen zu können. Heute bleibt die Jugend im Lande, weil sie die Wiedervereinigung von Elsaß⸗Lothringen mit Deutsch⸗ land als unwiderrufliche Thatsache ansieht, und aus Liebe zur Heimath; sie hat sich mit den Verhältnissen so gut wie möglich abzufinden gesucht. Dieser Theil der Jugend hat sich um das Land das allergrößte Verdienst erworben, und keiner von all diesen Herren ist der Fahne untreu geworden. Das ist gerade der Theil der Jugend, der im alten Deutschland gelebt, die deutschen Hochschulen besucht und den deutschen Militärdienst gethan hat. Die vier elsässischen Abgeordneten, die wir hier haben und die durch deutsche Hochschulen gegangen sind, sind in ihren Anschauungen außerordent⸗ lich mäßig und immer für die Annäherung und Versöhnung der Verhältnisse eingetreten. Nur einer der Herren gehört einer protestle⸗ rischeu Vereinigung an und bildet also die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Dieselbe Erfahrung wie hier im Hause haben wir im Landesausschuß und in den Bezirkstagen von Elsaß⸗Lothringen gemacht: die Herren, welche deutsche Hochschulen besucht und den deutschen Militärdienst durchgemacht haben, sind die versöhn⸗ lichen, und ich habe mit besonderer Vorliebe diejenigen Mitglieder des Gemeinderaths zu Bürgermeistern vorgeschlagen, die im deutschen Heere gedient haben. Die Accuratesse und Disziplin des Militärdienstes zeigte sich bei ihnen auch bald in der Leitung der Gemeinden. Daß ein Theil unserer Jugend immer noch eine starke oppositionelle Richtung hat, hängt damit zusammen, daß ihr in den Familien des Landes eine Abneigung gegen das Deutschthum eingeflößt wird. Aber so ganz tragisch ist das nicht zu nehmen, das ertragen wir alle Tage. Bezüglich der Rede des Statthalters verweise ich auf die Erklärung des Staatssekretärs im Landes⸗ ausschuß, daß die Statthalterschaft auf das äußerste bestrebt sein wird, die Anwendung des Diktaturparagraphen möglichst zu vermeiden. Und wenn der Herr Statthalter zu besonderen Maßregeln genöthigt sein würde, so würde das davon abhängen, wie die Mahnungen des Herrn Statthalters von der Presse befolgt werden. Ich glaube, un⸗ befangener, als der Herr Statthalter sich über die Presse aus⸗ gedrückt hat, ist es garnicht möglich.

Abg. Bueb (Soz.): Das elsässische Volk bedankt sich dafür, unter einem solchen Gnadensystem zu stehen; es fordert seine staats⸗ bürgerlichen Rechte. Das Wahlrecht für den Landesausschuß ist aber darauf zugeschnitten, der preußischen Regierung der Reichslande eine ergebene Vertretung zu gewähren. Die Gemeinden haben leider nicht das Recht, ihre Bürgermeister zu wählen. Da ist es kein Wunder, daß der Landesausschuß eine Stellung einnimmt, daß man nicht weiß, ob man darüber lachen oder weinen soll. Die Thaten des Landesausschusses zeigen das deutlich; alles, was erreicht worden ist, verdanken wir schließlich der Regierung selbst. Könnte es in irgend einer Landesvertretung vorkommen, daß Leute in derselben ruhig weiter sitzen, deren Mandat längst abgelaufen ist?

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath im Ministerium für Elsaß⸗ Lothringen Halley: Die neue Gemeindeordnun befreit die Gemeinderäthe von der Bevormundung der Hehörden und giebt ihnen das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Bürgermeisterstellen. „Der Bürgermeister ist zu drei Vierteln Staatsbeamter, da müssen die Behörden mitreden. Elsaß⸗Lothringen hat noch niemals eine so freie Gemeindeordnung gehabt wie jetzt. Das könnte sich der Vorredner von Herrn Lenzmann sagen lassen, der 1895 wenigstens dieser Meinung war. Die Presse in Elsaß⸗ Lothringen ist nicht geknebelt. Die Zahl der politischen Blätter hat sich erheblich vermehrt. Die Sprache der Presse ist von Jahr zu

Jahr freier und unumwundener geworden; das wird von der elsässischen Presse und auch von der ausländischen Presse anerkannt,

1897

nur hier im Reichstag nicht. Die Tonart der Presse wird als geradezu provozierend bezeichnet; auch das „Berliner Tageblatt“ hat das anerkannt. Man hat in Frankreich gefagt, daß man dort nicht dasselbe sagen dürfe. Also kann es mit der Unfreiheit der Presse nicht schlecht bestellt sein.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.) bedauert, daß der Beschluß des Reichstags wegen Beseitigung des Diktaturparagraphen nicht vom Bundesrathe angenommen worden sei; dadurch könne man den altdeutschen Volks⸗ stamm nicht wieder versöhnen. Auf den Namen eines Parlaments, fährt Redner fort, kann der Landesausschuß keinen Anspruch erheben. Deshalb stimmen wir dem Antrage der Elsässer zu. Wenn die alt⸗ angesessenen Familien ihre Kinder nach Frankreich zur Erziehung schicken, und dadurch die Deutschfeindlichkeit genährt wird, so schaffen Sie doch

die Unzufriedenheit muß ja wachsen, wenn der Landesausschuß nicht verändert wird durch ein besseres Wahlrecht.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp—.): Wer noch Gegner des Antrags sein sollte, muß durch die Erklärung des Vertreters der elsaß⸗ lothringischen Regierung von dessen Nothwendigkeit überzeugt worden sein. Wir wünschen den Anschluß der Reichslande an Deutschland. Die jetzige Politik hat das nicht erreicht, sie hat Bankerott gemacht, und wir wünschen nicht, daß etwa Elsaß⸗Lothringen erst mürbe ge⸗ macht wird. Wir verlangen Gerechtigkeit, damit die gegenwärtige Generation sich an Deutschland anschließt. Deshalb wünschen wir eine richtige Landesvertretung.

Abg. Dr. von Marquardsen (nl.): Ich bedauere, daß der Vorredner von dem Bankerott der Regierung gesprochen hat. Für das allgemeine Wahlrecht hat man keinen anderen Maßstab als den Reichstag. In den Einzelstaaten gilt das allgemeine direkte Wahlrecht nicht, und es bestehen da noch die ersten Kammern. In Elsaß⸗Lothringen bestehen besondere Verhältnisse, wie in keinem anderen der Einzelstaaten. Es kommt mir der Antrag vor, wie der sozialdemokratische Antrag wegen des Achtstundentages. Statt langsam vorzugehen, fängt man gleich mit dem Ende an. Ich bin nicht geneigt, das Wahlsystem für den Landesausschuß für ein Meisterstück zu halten, das nicht der Verbesserung fähig wäre. Bei der Ver⸗ besserung mitzuwirken sind wir bereit, aber diesen Sprung ins Dunkle können wir nicht mitmachen.

Abg. Rickert (fr. Vgg.): Den Elsaß⸗Lothringern ist zwar ein Preßgesetz in Aussicht gestellt, aber es wird wahrscheinlich im Landes⸗ ausschuß erheblich im Sinne der Regierung korrigiert werden und nicht dem Reichs⸗Preßgesetz vollständig Wir wünschen, daß die Annäherung an Deutschland schneller geschieht, deshalb wollen wir den Elsaß⸗Lothringern Gleichberechtigung gewähren und stimmen für dig 1g n, 1 ,,S

bg. Dr. Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigersde (d. kons.): Daß eine falsche Politik getrieben ist und wir umkehren neüsten⸗ 88* ich nicht anerkennen. Vielleicht sind 1871 einige Fehler gemacht worden, weil wir uns einem zu großen Optimismus hingegeben haben. Jetzt, nachdem wir über die Verhältnisse klar und nüchtern zu uriheilen gelernt haben, wird die Politik hoffentlich zu dem erwünschten Ziele führen. Wir sehen keinerlei Veranlassung, mit dem Landesausschuß ein Experiment zu machen. Elsaß⸗Lothringen thut eine wohlwollende Verwaltung noth, welche nach gleich⸗ bleibenden Prinzipien einige Generationen hindurch andauert, dann werden die Enkel oder Urenkel ebenso gute Deutsche sein wie wir.

Abg. Bueb: Wenn ein Preßgesetz für Elsaß⸗Lothringen erlassen werden soll, und dieser Nothwendigkeit kann man sich ja schließlich nicht entziehen, dann muß das von Reichswegen geschehen, und nicht mit Hilfe des Landesausschusses. Hätten wir statt der preußischen Beamten süddeutsche Beamte, dann würden wir wahr⸗ scheinlich sehr viel weiter sein. Daher auch der Widerspruch bei den preußischen Konservativen, die die hochbezahlten Stellen für sich und ihre Söhne in Anspruch nehmen.

Abg. Werner (Reformp.): Ich stimme für den Antrag. Die Beamten in Elsaß⸗Lothringen, meistens Norddeutsche, haben es nicht verstanden, die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen. Wenn auch der Ausdruck „Bankerott“ etwas stark war, so trifft er doch das Richtige. Ohne. Diktaturparagraph und mit einem besseren Preßgesetz wäre man in der Germanisierung weiter gekommen. Bis zu den Urenkeln der jetzigen Generation können wir nicht warten.

Damit schließt die Diskussion. Das Schlußwort als An⸗ tragsteller hat der Abg. Colbus: Ein Wahlsystem wie in Elsaß⸗Lothringen besteht in keinem europäischen Staat und würde in keinem deutschen Einzel⸗ staat geduldet werden. Der Statthalter hätte seine Rede nicht ge⸗ halten, wenn er besser informiert wäre; aber wir Reichstags⸗Abgeord⸗ neten werden von der ganzen Regierung und allen Behörden voll⸗ ständig ignoriert.

Damit ist die erste Lesung beendet. Es folgt sofort die zweite Berathung des vorgelegten Gesetzentwurfs. „Gegen die Stimmen der Konservativen und National⸗ liberalen wird derselbe ohne Debatte genehmigt.

1 Gegen die Stimmen der Konservativen wird darauf ein Vertagungsantrag angenommen, sodaß der Antrag wegen Be⸗ seitigung der . für Getreide und Mühlensabrikate nicht mehr zur Verhandlung kommt.

Schluß 4 ½ Uhr. Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr. (Etat der Reichs⸗Eisenbahnen und des heicd veagch1r ur. amts; dritte Lesung, betreffend die Beschlagnahme des Dienst⸗ lohns und betreffend die Konvertierung; zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Zwangsversteigerung, und des Entwurfs einer Grundbuchordnung.)

Nr. 8 der „Veröffentlichungen des Kaitserlichen Ge⸗ kundheitsamts: vom 24. Februar hat folgenden Inhalt: Personal⸗ Nachricht. Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten. Zeitweilige Maßregeln gegen Pest. Desgl. gegen Gelbfieber. Gesetzgebung u. s. w. (Deutsches Reich.) Nahrungsmittel⸗Chemiker. Handelsvertrag mit Rußland. (Preußen.) Augenentzündung von Neugeborenen. (Mecklenburg⸗Schwerin.) Tuberkulin⸗Impfungen. (Hamburg) Vieh⸗Quarantäneanstalten. Tuberkulin⸗Impfungen (Oesterreich, Krain.) Särge. (Großbritannien.) Infektions krankheiten. (Schweden.) Viehausfuhr. (Türkei.) Pilgerfahrten Gang der Thierseuchen. Entschädigungen für Viehverluste i Deutschen Reich, 1895. Thierseuchen in Norwegen, 4. Vierteljahr. Rinderpest in Britisch⸗Indien. Desgl. in Siam. Zeitweilige Maß regeln gegen Thierseuchen. (Deutsches Reich, Preuß. Reg. Bezir Bromberg, Italien, Schweiz.) Verhandlungen von gesetzgebenden Körperschaften, Vereinen, Kongressen u. s. w. (Deutsches Reich.) Deutscher Verein für öffentliche Gefundheitspflege. (Preußen.) Staatshaushalts⸗Etat für 1897/98. (Fortsetzung.) Thierseuchen ꝛc. (talien.) Wein. Geschenkliste. Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutschen

und Landbezirken. Witterung. Grundwasserstand und 2 wärme in Berlin und München, Zenuak. 8 h b S

die ausgewiesenen katholischen Erziehungsorden wieder zurück! Aber