Berichte von deutschen Fruchtmärkten. 8
Qualität
Außerdem wurden am
gering
mittel gut
Ver⸗ kaufte
Markttage (Spalte 1) nach über⸗
(100 kg)
Gezahlter Preis für 1 Doppelzentner
Menge schläglicher
Schätzung
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verkauft
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Bemerkungen.
Die verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und der Verkaufswerth auf volle Mark abgerundet mitgetheilt.
schnittspreis wird aus den unabgerundeten Zahlen berechnet.
Der Durch⸗
Ein liegender Strich (—) in den Spalten für Preise hat die Bedeutung, daß der betreffende Preis nicht vorgekommen ist; ein Punkt (.) in den letzten sechs Spalten, daß entsprechender Bericht fehlt.
Deutscher Reichstag. 216. Sitzung vom 6. Mai 1897, 1 Uhr.
Die zweite Berathung des Entwurfs eines Gesetzes über das Auswanderungswesen wird fortgesetzt bei der ver⸗ einigten Diskussion über die § 3 (Ertheilung der Erlaubniß nur an Inländer), § 6 (Spezialisierung der Erlaubniß) und § 11 (Widerruf der Erlaubniß) nebst den dazu gestellten An⸗ trägen des Zentrums zu § 3 wegen Mitwirkung des Bundes⸗ rnihs bei der Erlaubnißertheilung und zu § 6 wegen der Spezialisierung der Erlaubniß nur für die Einschiffungshäfen, nicht für bestimmte Länder.
Abg. Freiherr von Hodenberg (b. k. F.) empfiehlt seinen An⸗ trag zu § 6, der mit dem des Zentrums gleichlautend sei; es könne nicht die ganze Vollmacht in die Hände des Reichskanzlers gelegt werden, sondern nur so viele Befugnisse, wie sie zur Beaufsichtigung in den Einschiffungshäfen nothwendig seien.
Abg. Bebel (Soz.): Einem Auswanderungsgesetz an sich widerstreben wir nicht, es kommt nur auf die Tendenz desselben an. Handelt es sich darum, die Auswanderer vor Schäden und Ueber⸗ vortheilung zu bewahren, dann sind wir vollständig damit einver⸗ standen. Wir als Vertreter einer Arbeiterpartei sind an den Schutz⸗ gesetzen um so mehr interessiert, als die Mehrzahl der Auswanderer aus Proletariern, aus Arbeitern besteht; die wohlhabenden Klassen bedürfen in dieser Beziehung des Schutzes nicht. Ein solcher Schutz ist aber in dem vorliegenden Entwurf nicht in ausreichendem Maße zu finden; die volle Tragweite des Gesetzes kann man gar nicht übersehen. Die Vorlage will die Auswanderung nach Möglich⸗ keit erschweren und Katastrophen verhindern, denen die Aus⸗ wanderer anheimfallen könnten. Die Vorschriften des Gesetzes schweben aber vollständig in der Luft. Ich möchte die Herren vom Zentrum auf die politischen Konsequenzen des Gesetzes aufmerk⸗ sam machen. Wenn die Auswanderung so gelenkt wird, daß die jetzigen Auswanderungs⸗Unternehmungen nicht mehr aufrecht erhalten werden können, dann wird die Handelsmarine und damit auch die Kriegsmarine geschädigt. Die Kolonisationspolitik, welche inauguriert werden soll, ist ein Stück der Weltmachtspolitik. Wir warnen Sie in letzter Stunde vor der Annahme des ganzen Gesetzes, dessen Trag⸗ weite ich erst nach genauerem Studium erkannt habe. Lehnen Sie mindestens die §§ 3, 6 und 11, insbesondere aber den § 6 ab.
Geheimer Regierungs⸗Rath im Reichsamt des Innern Dr. Richter: Ich habe nur um das Wort gebeten, um eine ganz kurze Bemerkung rein persönlicher Natur zu machen. Der geehrte Herr Vorredner, sowie gestern der Herr Abg. Gerisch, hat behauptet, daß ich gewissermaßen — und zwar wie der Herr Abg. Bebel sich ausdrückte — unter Händeringen das hohe Haus darum gebeten hätte, die Motive zu dem Gesetz nicht zu
ten, sondern sie fallen lassen zu wollen. Ich muß dem durchaus widersprechen. Ich habe von einem Händeringen meinerseits nichts gemerkt, ich habe vielmehr in ganz ruhiger Weise gebeten, auf kurze
it etwas die Motive zu verlassen und das Gesetz selbst nach seinem lichen Inhalt zu prüfen. Das habe ich lediglich deswegen gethan, daß die Bestimmungen des § 6 ganz genau den seit in Uebung bestehenden Bestimmungen in Preußen † als 10 Jahren in den Hansestädten geltenden Be⸗ entsprechen. Weiter hatte meine Bitte keinen Zweck. Ich dann auf die d=r-Jun ö en des -eeee prinzips eingegangen und habe, weil ich sah, daß von verschiedenen des bohen Hauses in dieses Prinzip etwas ganz An⸗
deres hineingelegt wurde, als sich die verbündeten 1 welche den Gesetzentwurf ausgearbeitet einige der Motive aus⸗
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hältnisse. Ich habe dann weiter noch — und ich möchte das zum Schluß erwähnen — ges wenn das hohe Haus ve
ablehnen würde, die che auf Grund der dort gel igen Bestimmungen es in der Hand hätte, in An⸗
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die flicht au der Regierungsvertreter ist. 2 8 findet, daß
Abg. Bebel habe ich Folgendes zu erwidern. Er — einer der Grundgedanken des Gesetzes darin bestehe, die Aus⸗ wanderung möglichst zu erschweren, womöglich zu verhindern. Wenn er mir einen Paragraphen oder die Stelle der Motive angegeben haben wird, wo er diesen Grundgedanken ausgesprochen oder auch nur versteckt findet, werde ich so frei sein, ihm darauf zu antworten. Der Herr Abg. Bebel sagt, wir wollten eine Kolonisationspolitik inaugurieren, die schließlich nur den Zweck habe, den kapitalistischen Unternehmern zu ersprießlichen Spekulationen und kolossalem Ver⸗ mögen zu verhelfen? Ich verweise den Herrn Abg. Bebel auf die Stelle der Motive, die gerade die solide Seite derjenigen Koloni⸗ sationsgesellschaften betont, an die wir bei dem Entwurf gedacht haben. Der Herr Abg. Bebel hat durch seinen Hinweis auf tinien und die ihm räthselhafte Thatsache, daß die rechte Seite dieses Hauses für das Gesetz stimmt, — ein Hinweis, der wahrscheinlich noch von anderer Seite beantwortet werden wird, — nach meiner Ansicht den besten Gegenbeweis für die gestern von der linken Seite aufgestellte Behauptung geführt, daß in dem Entwurf unter dem Deckmantel der Fürsorge für die Auswanderer nur agrarischer Egoismus sich versteckt. Der Herr Abg. Bebel hat ferner einerseits als den Zweck des Gesetzes die Unterdrückung der Aus⸗ wanderung bezeichnet und dann, indem er die Gefahren des Gesetzes für dessen Förderer, die rechte Seite des Hauses, demonstrieren wollte, gerechnet mit Ziffern von 100 000 und 200 000 Auswanderern. Das ist ein Widerspruch. Das Auswanderungsgesetz ist — das möchte ich weiter dem Herrn Abg. Bebel auf seine Warnung erwidern — so gedacht, daß die Möglichkeit einer Friktion mit irgend einer fremden Regierung von vornherein ausgeschlossen ist. Endlich darüber, welche Stelle in der Serie der Affektionen der Herr Abg. Bebel dem Vater⸗ lande einräumt, will ich mit ihm nicht streiten. Die Regierung steht auf dem Standpunkt, der in dem Kommissionsbericht niedergelegt ist. Nun komme ich zu § 3. Die Herren Abgg. Frese und Dr. Barth haben zu § 3 einen Antrag gestellt, der darauf abzielt, unter gewissen Voraussetzungen ein Recht auf Konzessionierung festzu⸗ stellen. Das ist, wie schon in den Motiven dargelegt, mit dem Zweck des Gesetzes unvereinbar, weil bei diesem Gesetz nicht nur die versönliche Qualifikation des Unternehmers, sondern auch die sachliche Qualifikation des Auswanderungszieles mit in Betracht kemmt. Die Spezialisierung, wie wir sie uns denken, ist mit dem freien Ermessen des Reichskanzlers, was die Regierungen befürworten, oder dem freien Ermessen des Reichskanzlers unter Zustimmung des Bundes⸗ raths, wie es die gestrige Majorität wünscht, eng verbunden. Ich möchte Sie verweisen auf den bisher unverändert gebliebenen § 6 der deutschen Gewerbeordnung. Ich glaube auch, die linke Seite des Hauses, die ja so sehr geneigt ist, in den Bestrebungen der verbündeten Regierungen bei diesem Gesetzentwurf einen Bruch mit dem Rechtsstaat zu sehen, wird wohl einen gleichen Vorwurf gegen diejenigen gesetzgebenden Faktoren, von denen die Gewerbe⸗ ordnung von 1869 ausgegangen ist, nicht erheben wollen. Nun, die Gewerbeordnung im § 6 hat das Konzessionswesen für Auswan⸗ derungsvermittler von vornherein aus ihrem Geltungsbereich aus⸗ eschlossen. Warum? Es giebt gar keinen vernünstigen anderen Sinn für diesen Ausschluß als den, weil sie mit Recht der Ansicht war, dieses erbe ist so geartet, daß dabei die verwaltungs⸗ gerichtlichen Garantien, welche für die Konzessionierung anderer Ge⸗ werbe vorgesehen sind, nicht in Betracht kommen können. Man hat gestern und auch schon in den Zeitungen den Gedanken in die Debatte geworfen: kein zivilisiertes Land der Welt würde es wagen, vor eine Landesvertretung mit einem Gesetz zu treten, welches das Prinzip des freien Ermessens einer einzelnen Person sanktioniert. Ich will auf die fremdländischen Gesetzgebungen nicht eingehen. Die Aus⸗ Eedenegs in eine so hoch nationale Sache, daß fremdländische Gesetze höchstens den Werth, wenn auch sehr schätzbaren Materials haben. Ich will aber nur in Erwiderung auf den gestrigen Einwand darauf hinweisen, daß im freien England die Frledensrichter die Konzessionierung des Auswanderungsunternehmers nach freiem Ermefsen aussprechen. Man hat gestern mir entgegengehalten, als hätte ich die hbohe Sachverständigenkompetenz der Ham⸗ burger Bremer Rhederkreise bestreiten wollen. Das ist mir nicht in den Sinn gekommen. Sie sind gewiß die ersten Sach⸗ verständ in dieser Frage, aber sie sind in dieser Frage zugleich Sackverständige in der een Sache, und dadurch 2. sie Gefahr, die rchtungen zu überschätzen, die sie gegen die Konsequenzen dieses hegen. Auch sehr hveree scheinen mir Männer wie
ch, Philippowitsch. Dieselben gehören zu einem Fünf⸗
te, die mit dem 1892er Entwurf und mit dem jetzigen
und keiner von ihnen ist auf den Gedanken
bas freie Ermessen oder das Spezialisierungsprinzip
könnte, wie sie von anderer Seite befürchtet werden.
11146.“]
Nun komme ich zum Spezialisierungsprinzip. Die Motive besagen ja
daß davon nur eine bedingte Anwendung gemacht werden kann. Der
Herr Geheime Rath Richter hat gestern und heute betont, daß es sich nur um eine ganz maßvolle Anwendung dieses Prinzips handeln könne. Ueber Effekt, der möglicherweise und vern er. weise durch die Anwendung des Spezialisierungsprinzips zu Tage treten kann, wird man am besten klar werden, wenn man einmal eine Konzessionsurkunde von heute und eine Konzessionsurkunde, wie sie nach dem Gesetzentwurf lauten würde, in Vergleich zieht. Ich habe hier die Konzessionsurkunde, die die Hamburg⸗Amerika⸗Linie im Jahre 1886 erhalten hat, und die geht dahin, „daß dem antrag⸗ stellenden Direktor unter Vorbehalt des Widerrufs die Erlaubniß er⸗ theilt würde, das Geschäft der Beförderung von Auswanderern nach Australien und Amerika mit Ausnahme von Brasilien zu betreiben. Und dann heißt es nachher: Die Erlaubniß ist jedoch an die Bedingung geknüpft, daß Verträge mit Auswanderern, welche auf der Leistung von Vorschüssen u. s. w. beruhen, ohne Ausnahme llmfe bleiben. — Heutzutage würde es statt der Worte: „mit Ausnahme von Brasilien“, lauten müssen: „mit Ausnahme von Nordbrasilien“. Meine Herren, was wird nun künftig sein? Künftig werden wir in der Konzessions⸗ urkunde nicht von Amerika, nicht von Nord⸗ und Süd⸗Amerika sprechen; wir werden sagen: er hat die Erlaubniß zu befördern nach den Ver⸗ einigten Staaten von Amerika, er hat die Erlaubniß zu befördern nach Canada, vielleicht wenn es sich um ländliche Arbeiter handelt, unter Beschränkung auf gewisse Provinzen; von Mexiko werden wir nicht sprechen, bis der Antrag an uns herantritt, und wenn der An⸗ trag an uns herantritt, dann wird allerdings im äußersten Sinne des Wortes das Spezialisierungsprinzip am Platze sein; dann wird es weiter nicht heißen: „Süd⸗Amerika“, es wird heißen: „Argentinien“, vielleicht früher oder später: der und der Theil von Argentinien, es wird heißen: Südbrasilien, es wird lauten können: Paraguay unter gewissen Umständen u. s. w. Und nun komme ich auf die Be⸗ fürchtungen, die im superlativsten Sinn heute und schon früher in der Presse geäußert sind. Meine Herren, es ist denkbar, daß in Süd⸗ brasilien oder in Argentinien bezüglich einer vorhandenen deutschen Ansiedlung oder einer künftig daselbst entstehenden Ansiedlung — und Unternehmungen dieser Art sind ja im Gange — unter Umständen es unerläßlich werden könnte, durch Spezialisierung, sei es von vornherein, sei es durch nachträglichen partiellen Wider⸗ ruf, dem Unternehmer zu sagen: nach diesem Terrain darfst Du nur so und so viel Köpfe per Jahr befördern — dieses darum, weil wir von maßgebender, sachverständiger Seite davor gewarnt worden sind, nicht massenweise und nicht in höherer Zahl als der an⸗ gegebenen nach solchem Terrain deutsche Ansiedler zu schicken, um Katastrophen zu vermeiden. Das sind die Katastrophen, die wir verhindern wollen, und die wir schon vermieden haben; und das, glaube ich, wird auch im Sinne der überwiegenden Mehr⸗ zahl dieses hohen Hauses sein. Daß es die Pflicht der deutschen Re⸗ gierung ist, im Falle der nationalen Auswanderungspolitik, wenn sie gewarnt ist von ihrem eigenen Vertreter, und wenn diese Warnung auf sachverständigen Untersuchungen beruht, daß sie nicht geschehen läßt, daß nach einzelnen deutschen Ansiedlungen durch ein Uebermaß von neuen Ankömmlingen die Existenz der übrigen gefährdet wird. Also das ist die ganze Gefahr einer Spezialisierung im engeren Sinne des Wortes, die nur dann in Frage kommen kann, wenn eben drin⸗ gende Verhältnisse dazu führen. Meine Herren, ist nun durch dieses Spezialisierungsprinzip das Schicksal der großen Dampferlinien ge⸗
fährdet? Haben diese einen Anspruch darauf, die Konzession, die sie be⸗
kommen haben — wir wollen einmal sagen, bekommen haben für Süd⸗ brasilien —, auch bezüglich eines ganz speziellen kleinen Terrains voll auszunützen, wenn wir in der Lage sind, zu sagen: für so und so viel Jahre müßt Ihr Euch auf so und so viel Köpfe per Jahr beschränken? 84 glaube, diesen An⸗ spruch haben sie nicht, und solchen wägungen gegenüber kann auch nicht die Größe des zur Zeit der Ueberproduktion an Aus⸗ wanderung konstruierten Zwischendecks entscheiden. Was bedeutet denn eine solche Beschränkung gegenüber dem Rückgang, den die deutschen Schiffahrtsgesellschaften haben hinnehmen müssen, und den sie er⸗ tragen haben, ich meine den Rückgang der deutschen Auswanderer von 220 000 auf 32 000 Köpfe? Ich erinnere ferner daran: es bleiben ihnen die Durchwanderer, auf die das Spezialisierungsprinzip — das können Sie in den Motiven auch lesen — nicht oder nur in ganz beschränktem Maße Anwendung finden kann. Wird hierdurch Deutschlands Weltverkehr oder der deutsche Schiffbau oder die deutsche Kriegsmarine gefährdet? Es kann im Laufe der Jahre zu kleinen Verschiebungen im Kalkül der großen Schiffahrtsgesellschaften kommen, aber nur dann, wenn die Interessen des großen Ganzen es erfordern; in solchem Falle sollen und werden sie sich gegenwärtig halten, daß sie eine Konzession haben, die für das ganze Reich wirk⸗ sam ist „daß sie den greifbaren unmittelbaren Vortheil, der sich aus der Auswanderung ergiebt, beziehen und daß die Kehrseite, die mit jeder Auswanderung, wie man auch darüber denken mag, verbunden ist, von dem übrigen Deutschland getragen wird. Ich habe hier ein amtliches Dokument aus den letzten Tagen. Da wird uns berichtet, daß das Staatsoberhaupt eines überseeischen Gebietes — eines Ge⸗ bietes, wohin, wenn überhaupt jemals, Deutsche nur unter strenger Anwendung des Sppezialisierungsprinzips geleitet werden könnten — ich bemerke, es ist nicht Südbrasillen, daß das Staats⸗ oberhaupt gegenüber der dortigen gesetzgebenden Versammlung sein Bedauern darüber ausgesprochen hat: daß in fast allen Staaten des Deutschen Reiches noch das einschränkende System der Kon⸗ zessionen vorherrschend ist, ohne welche die Auswanderungs⸗Agenturen nicht funktionieren dürfen, ausgenommen in den Hansestädten, welche, ohne Auswanderer zu liefern, doch mit ihrer mächtigen Handels⸗ marine an der Beförderung derselben interessiert, ein mehr liberales System angenommen haben. Das ist eine unerwünschte und un⸗ verdiente Deutung des Standpunktes unserer Hansastädtekreise. Wir
alle wissen, daß in den Direktionen der beiden großen Linien Männer
sitzen, deren Namen einen so guten Klang haben, daß es von vorn⸗ herein ausgeschlossen erscheint, daß der kalte Interessenstandpunkt jemals ihre Handlung wirklich beeinflussen wird, oder daß, weil, wie ich mich gestern ausgedrückt habe, ihnen die nationale Aus⸗ wanderungspolitik unbequem ist, sie diesen ihren Standpunkt jemals in die That umsetzen werden. Wir, die wir etwas “ pessimistisch sind, sind auch überzeugt, daß die Direktionen der Schiffahrtslinien im nächsten Jahrhundert auf demselben Stand⸗ punkt stehen werden. Es würde zu wünschen sein, daß man voa dort her dieses Vertrauen erwidert und auch dem Reichskanzler künftiger Epochen das Vertrauen schenkt, welches allerdings nöthig ist, um das Prinzip des freien Ermessens, daß der Gesetzentwurf in Aussicht nimmt, anzuerkennen. Um mich nicht zu wiederholen, stelle ich noch einmal und zwar gleichzeitig bezüglich des § 11 an das hohe Haus die Bitte, Abstand von den Anträgen zu nehmen, die dar auf abzielen, dieses freie Ermessen zu beschränken und dieses Vertrauen, welches Sie auch für die Zukunft für viel schwerwiegendere und für viel größere Fragen dem Inhaber der Zentralstelle entgegen⸗ bringen müssen, dieser Zentralstelle auch auf dem Gebiete der Hand⸗ habung des Auswanderungsgesetzes zu gewähren.
Abbg. Dr. Barth (fr. Vgg.): Bald hören wir, daß die Vorlage eine große nationale Bedeutung hat, bald heißt es wieder, daß § 6 eigentlich gar nichts Neues bringt, und dann soll das ganze Gesetz wieder eine ganz neue Aera bedeuten. Wenn die Hamburger allein die Spezialisierung vornehmen sollen, dann bin ich beruhigt; aber wenn die Spezialisierung von einer Behörde mit vorgefaßter Meinun gehandhabt werden soll, dann kann sie gefährlich werden. Es 8 nur gut, daß die Regierung die Spezialisierung garnicht durch⸗ führen kann, denn der menschliche Verkehr 82 sich heute von keiner Regierung mehr seine Bahnen vorschreiben. Neben der ständigen Be⸗ förderung von Auswandexrern giebt es auch solche Unternehmungen, die nur zeitweise sich damit befassen. Wie will der Reichskanzler prüfen, ob in solchen ’1 llen das betreffende Land sich für die Auswanderung esei⸗ Man sollte die Auswanderer dorthin gehen lassen, wo sie ihre 9 ee zu finden hoffen, und sie nur während der Ueberfahrt schützen. Man solle sie sich selbst überlassen, weil man sonst die Interessen der Autwanderer schädigen würde. —
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hat, meinen politischen Freunden seine ausgiebige Belehrung ang zu lassen. Unsere 1 haben wir nrch nicht offenbart, aber die Anträge des Zentrums ergebe der Belehrung des Herrn Bebel bedurft haben, um uns die Wichtig⸗ keit der Vorlage zu vergegenwärtigen. Die Mehrheit des Zentrums meinte, daß die Mitwirkung des Bundesraths bei der Erlaubniß⸗ ertheilung ausreichend sei. Ich bin dieser 42 nicht; ich halte es für richtig, daß das Spezialisierungsprinzip nur bezüglich der Ein⸗ schiffungshäfen eingeführt wird. Wir hoffen auf eine ruhige Hand⸗ habung des Gesetzes seitens der gegenwärtigen Reichsregierung. Aber wir machen das Gesetz nicht für den gegenwärtigen Reichskanzler und seinen Ministerial⸗Direktor, sondern auch für die Zeit über sie hinaus. Alles Vertrauen zu Personen in Ehren, wir machen ein Gesetz nach sachlichen Gründen! Was Herr Bebel übertreibend gesagt hat, ist die Fo e von Aeußerungen von der rechten Seite. Wenn unsere Anträge zu §§ 6 und 11 angenommen werden, dann ist der Antrag Frese überflüssig. Ich erkläre aber, daß ich nicht im Namen aller meiner politischen Freunde gesprochen habe.
Abg. Graf von Arnim (Rp): Ich begreife nicht, wie Herr Barth die Sache in die Hand Hamburgs legen will, aber nicht in die Hand des Bundesraths und des Reichskanzlers. Herr Barth bezeichnete das Gesetz als unwirksam und wenige Minuten danach als schädlich. Eines kann doch nur richtig sein; wir hoffen, daß der Reichskanzler das Gesetz ruhig und bedächtig ausführen wird. Wir betrachten das Gesetz nicht als Agrarier, sondern vom nationalen Standpunkt; denn daß in Argentinien und Brasilien auch Getreide gebaut werden wird, haben wir niemals bezweifelt. Unsere Auswanderung entsteht hauptsächlich dadurch, daß wir den Schutz der nationalen Arbeit nicht ausgiebig genu⸗ haben fördern können. Wenn Herr Bebel für die Arbeiter etwas thun wollte, dann hätte er bei der Interpellation, über die wir neulich verhandelt haben, unsere Ansichten unterstützen sollen. In England und Irland, wo der Schutz der nationalen Arbeit am geringsten ist, ist die Auswanderung noch größer als in Deutschland. Der Antrag zu § 6 würde die Regierung in eine unangenehme Lage bringen. Das Spezialisierungsverfahren ist nichts Neues, es besteht in den hamburgischen Gesetzen. Die Er⸗ laubniß nur auf bestimmte Einschiffungsbäfen zu beschränken, ist eine so untergeordnete Bestimmung, daß sie gar keinen Zweck hat. Es muß dafür gesorgt werden, daß die Deutschen im Auslande ihre Be⸗ ziehungen zur Heimath aufrecht erhalten. Daß es aber einen Bundes⸗ rath oder Reichskanzler geben sollte, welcher den großen bestehenden “ Schwierigkeiten bereiten würde, kann ich nicht annehmen.
Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Wenn § 6 geändert wird, werden alle G und hamburgischen Bestimmungen, welche zum Schutz der Auswanderer erlassen sind, aufgehoben werden. Das würde nie⸗ mand wollen. England hat in seinem Auswanderungsamt eine Be⸗ hörde, welche die Auswanderung nach den englischen Kolonien lenkt. Die Auswanderung wird durch staatlichen Einfluß nicht abgelenkt. Die Auswanderer, welche nicht in die Länder gehen wollen, für die die Konzession ertheilt ist, finden andere Gelegenheiten. Aber die Auswanderung ganz und gar der freien Unternehmung preiszugeben, das ist nicht möglich. Deshalb muß § 6 angenommen werden.
Geheimer Regierungs⸗Rath Dr. Richter: Die Hamburger Rheder bezeichnen es als unerträglich, daß Konzessionen für eine jede Auswande⸗ rungsrichtung nachgesucht werden müssen. Jetzt muß der Norddeutsche Lloyd eine Konzession in Preußen nachsuchen, die auf ein Jahr gilt und dann erlischt, wenn der preußische Handels⸗Minister sie nicht stillschweigend verlängert. Für Bayern und die anderen Einzelstaaten müssen eben⸗ falls Konzessionen nachgesucht werden, also für Deutschland vielleicht 15 mal. Bis 1887 hat die Hamburger Gesetzgebung eine Bestimmung wie § 6 nicht enthalten, seitdem ist diese Bestimmung aber eingefügt worden. Herr Barth verwies auf das von der Heydt'sche Rescript, welches auf den Parzerie⸗Verträgen beruhte. Durch diese Verträge würden die Leute an die Scholle gefesselt. Seitdem haben sich die Ver⸗ hältnisse gebessert, wenigstens für Süd⸗Brasilien. Der Lloyd und die Fessekeesrkance Packetfahrt⸗Gesellschaft würden, nach meiner
nsicht, alle Konzessionen bekommen, welche sie bisher hatten. Mit Annahme der Antrages Nadbyl würden wir erheblich zurückgehen gegenüber der preußischen und Hamburgischen Gesetzgebung.
Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Die bedenklichste Vorschrift des
anzen Gesetzes ist die Konzessionierung. Allerdings haben wir in
Preußen und den Einzelstaaten die Konzessionierung. Aber wenn sie sich nicht bewährt hat, dann müssen wir sie bei einem Reichsgesetz beseitigen, und wenn es jetzt nicht möglich ist, die richtige Form dafür zu finden, dann müssen wir die Vorlage an die Kommisston zurück⸗ überweisen, um eine besondere Konzessionierungsbehörde zu schaffen. Wenn das nicht möglich sein sollte, dann müßte wenigstens die Be⸗ rufung vom Reichskanzler an den Bundesrath oder an den zu schaffenden Beirath eingeführt werden. Denn sonst könnte die Auswanderung durch Verweigerung der Konzession verhindert werden. Das wollen wir vermeiden und deshalb womöglich Normativbestimmungen in das Gesetz hineinbringen. Ich schlage darum vor, das Gesetz an die Kom⸗ mission zurückzuverweisen.
Ein Schlußantrag wird abgelehnt.
Abg. Dr. von Cuny (nl.): Der Willkür ist ein Riegel vor⸗ geschoben durch den Beschluß, betreffend die Zustimmung des Bundes⸗ raths. § 6 enthält lediglich das schon bestebende Recht, wie es in Hamburg gilt; dieselbe Bestimmung entspricht auch den Beschlüssen einer früheren Reichstagskommission. Herr Bebel sprach davon, da die Auswanderer nach Argentinien oder nach Südbrasilien, spezie nach der Provinz Rio grande do sul, sich wenden und von dort der deutschen Landwirthschaft Konkurrenz machen würden. Das können sie auch von Nord⸗Amerika aus thun, dessen Getreide auch auf unseren Markt kommt.
Abg. Dr. Förster⸗Neu⸗Stettin (Reformp.): Was Herr Lenz⸗ mann vorschlägt, ist ja ganz annehmbar; aber das Bessere ist der Feind des Guten; wir werden jetzt keine Behörde für die Konzessio⸗ Ftena u. s. w. erreichen können. Deshalb wollen wir bei der Vor⸗ lage bleiben, die doch etwas Besseres schafft, als was jett besteht.
Abg. Dr. Hahn (b. k. F.): Daß Herr Lenzmann die Interessen der Bremer Rheder als identisch mit denen Deutschlands betrachtet, beweist, daß er immer noch auf dem Standpunkt des reinsten Idea⸗ lismus steht. Ein Beweis dafür ist auch seine Feindschaft gegen die Ost⸗Elbier.
Damit schließt die Debatte.
Die §§ 3 und 6 werden unter Ablehnung aller Anträge nach den Beschlüssen der Kommission angenommen; §11 findet nach einem Antrag Bachem⸗Schädler in folgender Form Annahme:
„Die von den Unternehmern ertheilte Erlaubniß kann unter Zustimmung des Bundesraths vom Reichskanzler jeder Zeit beschränkt oder widerrufen werden. Die Genehmigung der Bestellung eines Stellvertreters kann vom Reichskanzler jederzeit widerrufen werden.“
Zu § 5, welcher bestimmt, daß der die Erlaubniß Nach⸗ suchende 1) eine Sicherheit im Mindesthetrage von 50 000 ℳ stellen und 2) den Nachweis führen muß, daß er über geeignete eigene Schiffe verfügt, beantragt
Abg. Dr. Bachem (Zentr.): 1) eine Sicherheit bis zu 50 000 ℳ und 2) den Nachweis, daß er Rheder ist, zu verlangen im Interesse verdaigen welche sich zum Zweck der Auswandererbeförderung
n i artern.
Düiffch im Auswärtigen Amt, Wirklicher Geheimer Rath Reichardt vertritt die Regierungsvorlage; der von dem Vorredner angeführte Fall komme für § 5 nicht in Betracht.
§ 5 wird mit dem zweiten Antrage des Abg. Dr. Bachem angenommen. 3
1 § 7 wird die Bestimmung, welche in Ausnahmefällen die Mitwirkung des Bundesraths zulassen will, gestrichen, da der Bundegrath allgemein mitzuwirken hat. “
8 a gn Lieber (Zentr.): Ich weiß nicht, was Herrn Bebel 1 eedei ff
n schon, g- wir nicht e
Zu § 14, welcher die Agenten betrifst, beantragen die Sozialdemokraten, entgegen dem Wortlaut der Vorlage, die bestimme, in welchen 86 en die Erlaubniß ertheilt werden dürfe, zu bestimmen, da sie nicht verweigert werden dürfe, wenn nicht Thatsachen vorlägen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Beziehung auf den beabsichtigten Ge⸗ schäftsbetrieb darthäten.
Ferner solle keine Beschränkung der Zahl der Agenten eintreten und die ertheilte Erlaubniß nur dann zurückgenommen werden können, wenn den gesetzlichen Erfordernissen nicht mehr genügt würde.
achdem Abg. Metzger⸗Hamburg (Soz.) den Antrag empfohlen, wird derselbe abgelehnt und § 14 sowie die übrigen Bestimmungen über die Agenten unverändert angenommen.
Zu § 23 hat die Z einen Zusatz beschlossen, wonach den Auswanderern nicht die Verpflichtung auferlegt werden dürfe, den Beförderungspreis oder einen Theil des⸗ selben oder ihnen geleistete Vorschüsse nach ihrer Ankunft am Bestimmungsorte verncisaßles oder durch Arbeit abzu⸗ verdienen; ebensowenig dürfe die Wahl des Aufenthaltsorts oder der Beschäftigung beschränkt werden.
Abg. Freiherr von Hodenberg beantragt, daß solche Verträge vom Reichskanzler e werden müßten; darin liege eine Er⸗ leichterung für die Auswanderer, die ihre Ueberfahrt nicht voll be⸗ zahlen könnten.
Abg. Dr. Förster⸗Neustettin ist mit diesem Antrage einver⸗ standen, während
Abg. Dr. Barth solche Verträge ausschließen will, weil sich die Siedelungsgesellschaften leicht einer großen Gunst beim Reichekanzler erfreuen könnten. Solche Verträge sollte man überhaupt nicht ermöglichen.
bg. Dr. Bachem schließt sich diesen Ausführungen an.
Abg. Gerisch (Soz.) hält den Antrag ebenfalls für eine Ver⸗ schlechterung, da der Reichskanzler nicht in der Lage sei, den Mißbrauch mit solchen Verträgen zu prüfen.
§ 23 wird unverändert angenommen.
Nach § 24 ist verboten die Beförderung von Personen, deren Verhaftung oder Festnahme von einer Gerichts⸗ oder Polizeibehörde angeordnet ist.
Die Abgg. Gerisch und Genossen (Soz.) beantragen zu sagen: Von Personen, deren Verhaftung oder Festnahme wegen eines straf⸗ baren Vergehens oder Verbrechens von einer Gerichtsbehörde an⸗ geordnet ist.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath im Reichs⸗Justizamt Dr. von Tischendorf hält das Streichen der Polizeibehörde für bedenklich, weil dadurch die Festnahme bei Gefahr im Verzuge verhindert werden könne.
Der Antrag wird abgelehnt. . Nach § 37 soll der Bundesrath Vorschriften erlassen über die Beschaffenheit, Einrichtung, Ausrüstung und Verprovian⸗ tierung der Auswandererschiffe ꝛc.
Abg. Metzger (Soz.) empfiehlt den sozialdemokratischen Antrag, daß diese Vorschriften im „Reichs⸗Gesetzblatt“ zu veröffentlichen und dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammensein zur Kenntnißnahme vorzulegen seien.
Nachdem der Direktor im Auswärtigen Amt, Wirkliche Geheime Rath Reichardt erklärt hat, daß er gegen den Antrag nichts einzuwenden habe, wird derselbe angenommen.
Nach § 39 soll ein sachverständiger Beirath gebildet werden zdur Mitwirkung bei Ausübung der dem Reichskanzler zu⸗ hee Befugnisse; derselbe soll aus einem Vorsitzenden und mindestens 14 Mitgliedern bestehen, welche letzteren vom Bundesrath gewählt werden, während Seine Majestät der Kaiser den Vorsitzenden ernennt.
Abg. Dr. Bachem will die Hälfte der Mitglieder vom Reichs⸗ tage wählen lassen, und zwar nicht auf zwei Jahre, wie die Vorlage will, sondern für die Legislaturperiode des Reichstages, weil sonst leicht nur Bureaukraten in den Beirath hineinkommen könnten.
Direktor im Auswärtigen Amt, Wirklicher Geheimer Rath Reichardt hält dieses Bedenken für nicht maßgebend; die Dauer einer Legislaturperiode sei eine viel zu lange faäͤr die Wahl zum sach⸗ verständigen Beirath.
Abg. Dr. von Cuny (nl.) widerspricht dem Antrage des Abg. Bachem. Die im Bundesrath vertretenen Einzelregierungen verfügten über eine viel größere Personalkenntniß als der Reichstag.
Abg. Dr. Barth hät es für unmöglich, daß der Reichstag Personen in den Beirath wähle, die ihm nicht selber angehörten.
Abg. Graf von Arnim empfiehlt ebenfalls die Ablehnung des Antrages.
Abg. Singer (Soz.) erklärt sich namens seiner Partei für den Antrag.
Der Antrag Bachem wird abgelehnt. “
Hinter § 48 beantragt Abg. Graf von Kanitz (d. kons.) einen besonderen Paragraphen folgenden Inhalts einzuschalten:
„Wer weibliche Personen zum Zwecke der Prostitutisn unter Verbergung dieses Zweckes zur Auswanderung verleitet, wird mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft.“ 8
Abg. Dr. Förster⸗Neustettin beantragt hinzuzufügen:
„Außerdem kann auf Verlangen der verleiteten Personen neben der Strafe auf eine an dieselben zu erlegende Buße bis zum Betrage von 6000 ℳ erkannt werden.“ 8
Abg. Bebel will auch diejenigen Personen bestraft wissen, welche dabei Vorschub leisten. 1 1
Abg. Graf von Kanitz weist auf den stark grassierenden Mädchenhandel hin, der von einer Gaunerbande betrieben werde. Ein solches schamloses Gewerbe könne nicht hart genug bestraft werden.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. von Tischendorf bittet, den Antrag in dieses Gesetz nicht aufzunehmen, da die Sache mit dem Gesetz nur in sehr losem Zusammenhang stehe. Auf diese Thätigkeit finde die Bestimmung des Strafgesetzes über die Kuppelei An⸗ wendung. Schon die Einbringung der beiden Ergänzungsanträge beweise, daß die Sache noch nicht ganz spruchreif sei. “
Abg. Bebel: Allerdings gehört die Materie eigentlich in das Strafgesetzbuch; aber wir haben keine Aussicht, jetzt solche einzelnen Aenderungen zu erreichen. Oesterreich⸗Ungarn ausgenommen, werden aus keinem Lande der Welt so viele junge Mädchen zu Prostitutians⸗ zwecken nach dem Auslande gebracht, wie aus Deutschland. Die strengere Bestrafung der Hilfspersonen wuß natürlich auch herbei⸗ geführt werden. Der Gedanke, daß eine Buße und vielleicht auch ein Fae” der geschädigten Frauensperson zugebilligt werden kann, ist durchaus berechtigt.
b Shahe, 8 siuswärtigen Amt, Wirklicher Geheimer Rath Reichardt: Der Antrag begegnet der vollen Sympathie der Reichs⸗ regierung, die ihre Vertreter im Ausland mit der striktesten Weisung versehen hat, sich solcher armen Mädchen anzunehmen. Aber es empfiehlt sich nicht, diese Bestimmung in das vorliegende Gesetz auf⸗ unehmen. 3
G hmen Dr. Förster⸗Neustettin weist darauf hin, daß der Richter eine Buße zusprechen könne; natürlich werde er das nicht thun, wenn er bemerkt habe, daß die betreffende Frauensperson selbst die Hand geboten habe zu einem bedenklichen Handel.
Abg. Dr. Bachem: Dem Grafen Kanitz und Herrn Bebel möchte ich sagen: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde der Dritte.’ Der Antrag gehört wohl zur Auswanderungsvorlage. Ich bin aber gegen den Antrag Förster.
Nachdem noch Abg. Dr. Vielhaben den Antrag Förster vertheidigt hat, wird der Antrag Kanitz mit dem Zusatzantrag
Bebel einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Lesung der Vorlage erledigt. Die von der Kommission und von dem Abg. Förster⸗Neustettin be⸗ antragten Resolutionen sowie die Petition werden in dritter Lesung berathen werden.
Schluß nach 6 ¼ Uhr. Nächste Sitzung Freitag 2 Uhr. (Antrag Colbus, betreffend die Wahlen zum Landesausschuß von Effaß Lothringen, Margarineantrag, Antrag Auer wegen Aufhebung der Majestätsbeleidigungs⸗Paragraphen, A
Zentrums, sog. lex Heinze.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 77. Sitzung vom 6. Mai 1897.
Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Berathung des Etats des Ministeriums der geist⸗ lichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗Angelegen⸗ heiten bei dem Kapitel „Elementarunterrichtswesen.“
L- den ersten Theil der Debatte ist gestern berichtet worden.
Abg. Spahn (Zentr.) bringt, wie hier kurz wiederholt sei, den Ministerial⸗Erlaß vom 4. Dezember 1896 über die Seminarien zur Sprache, der, nach seiner Auffassung in verfassungswidriger Weise, im Auslande ausgebildete preußische Ordensschwestern von der Lehrerinnenprüfung ausschließt. Das sei um so härter, als die Schwestern seiner Zeit durch das Ordensgesetz gezwungen worden seien, ihre Töchterschulen in das Ausland zu verlegen, die nunmehr dort als Trägerinnen deutscher Kultur walteten.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:
Meine Herren! So tragisch, wie der Herr Abg. Dr. Spahn die Sache aufgefaßt hat, liegt sie nicht.
Wenn er zunächst behauptet hat, daß die Maßregeln, die ich gegen die Zulassung von Lehramtsaspirantinnen, die im Auslande vor⸗ gebildet sind, getroffen habe, verfassungswidrig seien, so muß ich ihm darin ganz entschieden widersprechen. Er hat gefragt, ob denn der Staat auch Juristen oder Angehörige anderer Berufszweige daran hinderte, ihre Vorbildung im Auslande zu suchen. Diese Frage ist zu bejahen: auch die Juristen müssen eine Zeit lang wenigstens, die ausdrücklich vorgeschrieben ist, im Inlande ihre Vorbildung gefunden haben, sonst werden sie zur Prüfung nicht zugelassen.
Was dann die Befugniß des Ministers anlangt, die Bedingungen der Zulassung zu einer Prüfung vorzuschreiben, so folgt sie einfach aus seiner Befugniß, die Prüfungsordnung selbst zu erlassen. Jeder, der eine Prüfungsordnung erlassen kann, wird und muß die Befugniß haben, auch die Voraussetzungen für die Zulassung zur Prüfung vor⸗ zuschreiben. Das ist auch in allen Prüfungsordnungen geschehen. Da⸗ mit stehe ich gar nicht allein, nach dieser Richtung hin habe ich auch nicht das leiseste Rechtsbedenken.
Nun, meine Herren, ist die ganze Maßregel von mir um des⸗ willen veranlaßt, weil wir für die im Auslande vorgebildeten Aspi⸗ rantinnen nicht die Gewähr haben, daß sie mit demjenigen deutschen Geist, den wir von unseren Anstalten fordern, erfüllt sind. Wenn wir gar keine Lehrerinnenbildungs⸗Anstalten hätten, wenn wir staatlich nicht eine Aufsicht über dieselben übten, dann könnte man sagen: weshalb einen Unterschied machen zwischen den Bildungsanstalten im Inlande und im Auslande? Nun hat zwar der Herr Abg. Spahn gesagt: Diejenigen Anstalten, um die es sich hier vorzugsweise han⸗ delt, wären ausgezeichnet. Ich bestreite das nicht; die Verfügung richtet sich nicht gegen einzelne Anstalten, insbesondere nicht gegen klösterliche Lehrerinnenbildungs⸗Anstalten. Von einem Kloster ist in der ganzen Verfügung überhaupt nicht die Rede. Nein, meine Herren, wir haben hier im Inlande eine Menge klösterlicher Anstalten, denen wir absolut kein Hinderniß in den Wege legen, und aus denen demnächst auch unsere Aspirantinnen für das Lehrerinnen⸗Seminar hervorgehen. Aber den guten Rath des Herrn Abg. Spahn, daß ich mir die ausländischen An⸗ stalten ansehen soll, kann ich nicht befolgen; ich kann nicht Kognition nehmen, welcher Geist dort weht; für die inländischen Anstalten bin ich verantwortlich, da kann ich meine Räthe hinschicken, da kann ich von den Behörden Informationen fordern, da kann ich die Verant⸗ wortung übernehmen, daß deutsche Bildung und deutscher Geist herrscht. Das kann ich dem Auslande gegenüber nicht. Wir haben daher keine Bedenken getragen, die im Auslande vorgebildeten Aspirantinnen zu⸗ rückzuweisen. Wir wünschen sie an die inländischen Anstalten zu ver⸗ weisen, die dazu da sind, daß sie die aus dem Inlande stammenden Aspirantinnen ausbilden sollen. Das ist der Grund der ganzen Sache; daß es gerade jetzt gemacht ist, hat sich daraus ergeben, daß ein so übermäßiger Andrang von im Auslande vorgebildeten Aspirantinnen statt⸗ gefunden hat, daß wir die Zahl gar nicht bewältigen konnten, daß die Prü⸗ fungskommissionen nicht ausreichten. Allein in Koblenz ist diese Zahl von 38 auf 94 gestiegen. Das giebt zu denken! Warum sollen wir denn unsere Aspirantinnen auf das Ausland verweisen? Wir haben im Inlande Anstalten, wir konzessionieren sie, wir fördern sie, wo wir nur können. Warum also sollen wir die jungen Mädchen in das Ausland schicken? Wir wünschen sie mit deutscher Bildung und deutscher Kultur zu erfüllen, wir wünschen eine Gewähr hierfür namentlich bezüglich derjenigen, die zum Lehrerinnenexamen zugelassen werden; denn darüber wollen wir uns nicht täuschen: die Prüfung in den bloßen Kenntnissen, wie sie in jedem Examen stattfindet, kann nicht nach allen Richtungen die Gewähr bieten, die man gerade von demjenigen verlangen muß, der ein Lehramt begehrt. Ich bin doch mit großer Milde zu Werke gegangen; ich habe mit denjenigen, deren Vorbildung im Auslande bereits abgeschlossen war, eine Aus⸗ nahme gemacht; ich habe 70 solcher jungen Mädchen zugelassen, weil sie die Neuerung vorher nicht gewußt haben, und es ist nicht unmöglich, daß ich auch in Zukunft, wo mir ein besonderer Nachweis für die deutsche Ausbildung eines jungen Mädchens gegeben wird, einzelne Ausnahmen machen werde; aber im allgemeinen halte ich die Maß⸗ regel für völlig begründet, und die Tragweite, die ihr der Herr Abg. Spahn beigemessen hat, hat sie überhaupt nicht.
Meine Herren, der Herr Abg. Spahn hat gesagt: wir könnten die jungen Mädchen doch zum Examen zulassen, wir wären ja nicht verpflichtet, sie anzustellen. Nun frage ich Sie aber, ob es nicht viel richtiger und humaner ist, daß jetzt die jungen Mädchen wissen, daß die ausländische Vorbildung auf Bedenken stößt? Wollte ich den Rath befolgen und ließe ich nach wie vor die jungen Mädchen in großen Massen ins Ausland ziehen, so kommen sie nachher, haben sich die Kenntnisse erworben und bestehen die Prüfung; dann melden sie sich zu einer Lehrerinnenstelle oder auch z