1897 / 115 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 17 May 1897 18:00:01 GMT) scan diff

ARichtamtliches. Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 17. Ma

Ihre Kaiserlichen und Königlichen Maj trafen, von Straßburg kommend, am Sonnabend Nachmittag um 4 Uhr in Wiesbaden ein und begaben Sich, wie „W. T. B.“ meldet, vom Bahnhofe in offenem Wagen durch die festlich geschmückte Stadt nach dem Schlosse. Die in den Filxaßen angesammelte Menge brachte Ihren Majestäten enthusiastische Ovationen dar. Um 5 Uhr nahmen Ihre Majestäten bei dem Ober⸗Hof⸗ und Haus⸗Marschall von Liebenau das

ner ein.

Am gestrigen Sonntage begaben Sich Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin mit dem Gefolge Vormittags um 11 Uhr zu Fuß in die Markikirche zum Gottesdienst. Ihre Majestät die Kaiserin wohnten Nachmittags um 2 Uhr einem Kinderfest bei, das im Garten der Freiherrlich von Knoop'schen Villa zum Besten der Auguste⸗Victoria⸗Stiftung veranstaltet wurde. Abends um 7 Uhr erschienen Ihre Majestäten zur im Königlichen Theater. Allerhöchstdieselben wurden beim Eintreten mit Trompetenfanfaren begrüßt und von dem Publikum mit begeisterten Hochrufen empfangen. Die Aufführung des Dramas „Der Burggraf“ von Josef Lauff verlief überaus glänzend. Es herrschte nur eine Stimme der Bewunderung über den prächtigen Eindruck der Inscenierung, namentlich in den Akten, deren Schau⸗ platz der Minnehof, die Kaiserwahl und das Lager Rudolf's von Habeburg war. Bei den Worten des Burggrafen „Ein Reich, ein Kaiser, eine Treue“ erscholl brausender Beifall. Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin wohnten der Vorstellung in der großen Hofloge bei, in der auch Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin von Hessen Platz genommen hatten. Nach dem Schluß der Vorstellung verließen Ihre Majestäten unter stürmischen Hoch⸗ rufen des Publikums, die sich auf dem Wege in die Stadt fortsetzten, das Theater und kehrten nach dem Schlosse zurück. Die Stadt war glänzend illuminiert.

Heute Vormittag von 9 Uhr an hörten Seine Majestät der Kaiser die Vorträge des Chefs des Zivilkabinets, Wirk⸗ lichen Raths Dr. von Lucanus, und des Chefs des Marinekabinets, Kontre⸗Admirals Freiherrn von Senden⸗Bibran.

Am 16. d. M., Nachmittags, verschied zu Berlin an den Folgen der Influenza im Alter von 38 Jahren der vortragende ath im Auswärtigen Amt, Wirkliche Legations⸗Rath von Schelling. Der Verstorbene, ältester Sohn des früheren ee von Schelling, trat nach bestandener großer juristischer Staatsprüfung 1886 in das Auswärtige Amt ein, wurde 1887 als Vize⸗Konsul an das Kaiserliche General⸗Konsulat in Yokohamaeentsandt, verwaltete nach seiner Rückkehr aus Japan im Winter 1889,90 einige Zeit das erledigte Konsularamt in Nizza und wurde darauf zum Ersten Vize⸗Konsul beim Kaiserlichen General⸗ Konsulat in Konstantinopel ernannt. Im Februar 1892 in das Auswärtige Amt zurückberufen, wurde er am 1. April 1892 zum ständigen Hilfsarbeiter, am 9. November desselben Jahres zum Legations⸗Rath und am 1. Januar v. J. zum Wirklichen Legations⸗Rath und vortragenden Rath im Aus⸗ wärtigen Amt befördert.

In seiner mehr als elfjährigen Thätigkeit im Dienste des Auswärtigen Amts hat sich der so früh Feimgeganzene im Auslande wie im Inlande durch stete Pflicht⸗ treue hervorgethan und vermöge seiner Arbeitskraft und Kenntnisse ausgezeichnete Dienste geleistet. In den letzten Jahren nahm er, nachdem er zuvor in der Kolonial⸗Abtheilung die schwierigen Angelegenheiten des Schutz⸗ gebiets von Südwest⸗Afrika bearbeitet hatte, das wichtige und im beständigen Wachsen begriffene Referat der Konsulats⸗ Personalien in der handelspolitischen Abtheilung wahr. Hier besonders war ihm Gelegenheit geboten, seine im Auslande gesammelten Erfahrungen zu verwerthen und infolge seiner Welt⸗ und Menschenkenntniß, verbunden mit gewinnender Freundlichkeit des Wesens und lauterem Charakter, segens⸗ reich zu wirken. Ein ehrendes Andenken wird ihm im Aus⸗ wärtigen Amt steis bewahrt bleiben.

Laut telegraphischer Meldungen an das Ober⸗Kommando

r Marine ist S. M. S. „Kaiser“, Kommandant Kapitän ur See Zeye, gestern in Kobe angekommen; der Reichs⸗ oftdampfer „Stuttgart“ des Norddeutschen Lloyd ist mit den Ablösungen für . M. S. S. „Falke“ und „Bussard“, Kommandoführer Korvetten⸗Kapitän Wallmann, gestern in Genua angekommen und setzt am 18. d. M. die Reise nach Neapel fort. 8 8

Schleswig, 16. Mai. Heute Mittag wurde hier, nach einer in der Domkirche abgehaltenen kirchlichen Feier, der 31. Schleswig⸗Holsteinische Provinzial⸗Landtag in Gegenwart von 60 Abgeordneten von dem zum stellvertretenden Königlichen Kommissarius Allerhöchst ernannten Regierungs⸗ Präsidenten Zimmermann mit nachstehender Ansprache eröffnet:

Hochgeehrte Herren!

Ihndem Sie, der Allerhöchsten Berufung Seiner Majestät des Königs folgend, heute zum 31. Schleswig⸗Holsteinischen Provinzial⸗ Landtage zusammentreten, habe ich in stellvertretender Wahrnehmung des Amtes des Königlichen Kommissarius dieses Landtages die Ehre, Sie namens der Staatsregierung willkommen zu heißen.

Der hochverdiente Mann, welcher über 16 Jahre an der Spitze der Verwaltung der Provinz gestanden hat, ist, wie Ihnen bekannt, begleitet von den dankbaren Wünschen der weitesten Kreise, in den erbetenen Ruhestand getreten. Lassen Sie mich hier ferner des Hin⸗ scheidens des Mannes gedenken, der vor nicht langer Zeit das Amt des Landesdirektors nach treuester, erfolgreichster Arbeit unter den Zeichen höchster Anerkennung in Ihre Hände zurückgelegt hatte. Sie haben endlich in dem Abgeordneten für Husum einen langjährigen, liebenswücdigen Kollegen verloren.

Das vergangene Jahr ließ ein erfreuliches weiteres Erstarken von Industrie und Handel erkennen. Wenn das große Unternehmen, welches die Erzeugnisse des provinziellen Gewerbfleißes in unvergleich⸗ lich schöner Umrahmung zusammenfaßte, in finanzieller Beziehung die gehegten Erwartungen nicht erfüllt hat, so ist der Fülle gediegener Leistungen wie bedeutungsvoller Anregungen, die es geboten, nur mit aufrichtiger Anerkennung zu gedenken.

Die Landwirthschaft erfreute sich nur zum theil befriedigender Er⸗ ebnisse. Recht schwer lastete eine Zeit lang die Maul⸗ und Klauen⸗ auf Viehhaltung und ⸗Verkehr, wenn auch der größte Markt der Provinz glücklicherweise ans frei von ihr geblieben ist. Der zu⸗ nehmende Preis der schleswig⸗holsteinischen Butter berechtigt zu der Hoffnung, daß dies wichtige Landeserzeugniß die seinem Werth entsprechende Würdigung mehr und mehr auf dem größeren Markt sinden wird. Sehr bemerkenswerth waren die in der Gründung der Landesgenossenschaftskasse ihre Krönung findenden erfolgreichen Bestrebungen zur Verbesserung des Personalkredits für den Landmann, welchen ähnliche für das Handwerk hoffentlich folgen werden. Die neu konstituierte Landwirthschaftskammer erfüllte die bei Ihrer Berathung gehegte Voraas hiang. indem sie sich im besten Einvernehmen mit dem landwirthschaftlichen Generalverein aus⸗ einandersetzte und alsbald in eine rege, vielversprechende eigene Thätigkeit eintrat.

Die Provinzialverwaltung bewegte sich, wie Sie aus dem Ihnen erstatteten Bericht entnehmen werden, in den bewährten Bahnen gewissenhafter und forss ee Amtsführung.

ochgeehrte Herren! on den zu Ihrer Berathung stehenden Gegenständen, unter welchen sich Vorlagen der Königlichen Staats⸗ regierung nicht befinden, wird die als durchaus nothwendig erkannte bessere Ausgestaltung der Irrenpflege vor allem Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Die Staatsregierung darf sich der zuversichtlichen Hoffnung hingeben, daß die gründlich und ee vorbereiteten An⸗ träge Ihres Ausschusses Ihre Billigung finden. ie damit zugleich für die Landes⸗Universität in Aussicht stehende Erfüllung einer seit langer Zeit als dringlich empfundenen des Unterrichts wird Ihnen nicht minder wie der Staatsreglerung zur besonderen Genug⸗ thuung gereichen.

„In mehreren Kreisen ist an die umfangreiche Ausführung von Kleinbahnen herangetreten, durch welche weite, des Aufschlusses be⸗ dürfende ländliche Distrikte eine sehr erhebliche Förderung erfahren sollen. Es wird Ihnen die Beschlußfassung über die Gewährung der bestimmungsmäßigen Beihilfen zu denselben obliegen.

Indem ich dem Wunsche Ausdruck gebe, daß Ihre Berathungen um Segen der Provinz gereichen mögen, erkläre ich nunmehr im tkamen Seiner Majestät des Kaisers und Königs den 31. Schleswig⸗Holsteinischen Provinzial⸗Landtag für eröffnet.

Unter dem Vorsitz des an Jahren ältesten Mitgliedes der Versammlung, des Bürgermeisters Meßtor ff⸗Uetersen, wurde mittels Acclamation der Klosterpropst, Graf von Reventlou⸗ Preetz wiederum zum Vorsitzenden des Provinzial⸗Landtages und der Ober⸗Bürgermeister Dr. jur. Giese⸗Altona zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Der Vorsitzende be⸗ grüßte darauf die Versammlung und brachte auf Seine Majestät den Kaiser und König ein dreimaliges Hoch aus, in welches die Versammlung begeistert einstimmte.

Bayern.

Seine Königliche Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogthums Braunschweig, hat nach Beendigung der Kur Kissingen vorgestern Abend verlassen. Seine Königliche Hoheit der Herzog von Sachsen⸗Coburg und Gotha trifft heute zur Kur in Kissingen ein.

Reuß ä. L. v“

Seine Durchlaucht der Fürst hat sich am Sonnabend in Begleitung Ihrer Durchlauchten der Prinzessinnen Hermine und Ida nach Schloß Burgk begeben, um daselbst für die Dauer einer Woche Aufenthalt zu nehmen. 8

Oesterreich⸗Ungarn.

Der Kaiser und König traf gestern früh zur Feier der Enthüllung des Maria Theresia⸗Denkmals in Preß⸗ burg ein. Zum Empfange waren erschienen die Erzherzoge Friedrich und Joseph, sämmtliche Minister, der üics⸗ Primas von Ungarn, sowie die Spitzen der Zivil⸗ und Militär⸗ behörden. Mit Seiner Majestät trafen sämmtliche zur Zeit in Wien sich aufhaltenden Erzherzoge und Erzherzoginnen, sowie die Großherzogin von Toscana, der Minister des Aeußern Graf Goluchowski, der Oberst⸗Hofmeister Prinz zu Liechtenstein und die Flügel⸗Adjutanten ein. Der Kaiser und König, beim Eintreffen überaus lebhaft begrüßt, begab sich zuerst in das Palais des Erzherzogs Friedrich und hierauf mit dem ge⸗ sammten Gefolge nach dem Denkmalsplatz auf dem alten Krönungshügel. Der Festzug dorthin war überaus wirkungs⸗ voll. Seine Majestät fuhr mit dem Erzherzog Franz Ferdinand von Oesterreich⸗Este in einem mit sechs Pferden bespannten Galawagen, demselben, welchen der Monarch bei seiner Krönung benutzt hatte. Das Festbanderium der Stadt wurde von dem Nikolaus Palffy geführt, einem Nachkommen des

rafen Palffy, der beim Regierungsantritt Maria. Theresia's Paladin von Ungarn war. In dem Königszelt nahmen die Erzherzoginnen Platz; ihnen zur Seite standen die Erzherzoge. Auf dem Krönungshügel zelebrierte der Bischof von Neutra unter großer Assistenz eine Hierauf hielt, dem B.“ zufolge, der Kaiser und König folgende An⸗ prache:

„Vor Allem sage ich aus tiefstem Herzen dem Munizipium und der Bürgerschaft der Königlichen Freistadt Preßburg Dank für die patristische Opferfreudigkeit, mit welcher sie anläßlich der fünf⸗ undzwanzigsten Jahreswende meiner Krönung das Andenken an die ruhmreiche Königin Maria Theresia auf historisch denk⸗ würdigen Stelle verewigten. Es ist dies ein Festtag der Nation, an welchem wir den neuerlichen Tribut der dankbaren Pietät für die große Königin zollen, die für die Nation lebte, für die jeder Sohn des Vaterlandes zu sterben bereit war und in welcher man auf der ganzen Welt das Ideal der Herrschertugenden verehrte. Und jetzt falle die Hülle, auf daß wir mit Pietät für die Vergangenheit und mit dem starken Glauben an die Zukunst dieses Denkmal begrüßen, nicht nur als Symbol der treuen Anhänglichkeit und Liebe der patriotischen Bürgerschaft dieser alten Krönungsstadt an Thron und Vaterland, sondern gleichzeitig der segensreichen Har⸗ monie zwischen dem König und der Ranion und des nie schwindenden Dankes der Nachwelt!“

Nach der Enthüllung begab sich der Kaiser und König nach der restaurierten Franziskaner⸗Kirche, deren Einweihung sich anschloß, und kehrte sodann nach dem Palais des Erzherzogs Friedrich zurück. Dort empfing Allerhöchstderselbe später eine 8 12 von Huldigungs⸗Deputationen. Der Abordnung der Geistlichkeit, die von dem Fürsten⸗Primas Feführt wurde, erwiderte Seine Majestät auf die an Allerhöchstdenselben gerichtete Ansprache: Er sei über⸗ zeugt, daß der katholische Klerus ihn in seinen auf die Beglückung der Völker väterlichen Bestrebungen unterstützen werde. Die Deputationen der evan⸗ elischen, kalvinistischen und israelitischen Geistlichkeit ver⸗ icherte der Kaiser und König seines beständigen Wohlwollens und seiner unveränderlichen Gnade. Auf die Ansprache der Abgesandten der Universitäten in Budapest und Klausenburg antwortete Seine Majestät: Es freue ihn die Pietät der Ver⸗ treter der Wissenschaft in Ungarn für seine ruhmreiche Vorgängerin, die großherzige Förderin der Wissenschaft, wahr⸗

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Er werde jederzeit die auf den geistigen Fortschritt er Nation gerichteten Bestrebungen hochschätzen und nach⸗ drücklich unterstützen. Der Deputation des Preßburger Munizipiums sprach Allerhöchstderselbe seine große Befriedigung über den feierlichen Akt aus, welcher die unerschütterliche Treue der Nation für den König und die Verfassung sowie die dank⸗ bare Pietät für die große Königin laut verkünde. Am Abend der Kaiser und König die im Theater und trat um 9 ½ Uhr unter begeisterten Huldigungen der Bevölkerung mittels Sonderzuges die Reise nach pest an, wo die Ankunft heute früh erfolgte.

Der Prinz⸗Regent von Bayern empfing am Sonn⸗ abend Mittag in Wien den Minister des Auswärtigen Grafen

Goluchowski. 8 1152 8 Sers. 1

Der Sonderzug mit der Leiche der Herzogin von Alengon traf am Sonnabend Vormittag 9 ½ Uhr in Dreux ein. Mit demselben Zuge kamen 250 Theilnehmer an der Beisetzungsfeier an, darunter der Herzog von Alencon, der Herzog und die Herzogin von Vendome, Prinz Alfons von Bayern und sämmtliche Personen, die am

reitag der Trauerfeier in der Kirche Saint⸗Philippe du koule in Paris B hatten, ferner die Herzogin von Orléans und die Gräfin von Paris. Das diplomatische Korps vertraten der österreichisch⸗ungarische, der spanische und der großbritannische Botschafter. Nach der Todtenmesse wurde der Sarg in die Krypta hinabgetragen, zu der nur den Prinzen und Prinzessinnen Zutritt gewährt wurde.

Die Feürifer Blätter melden, daß in Kabylien sowie in der Umgebung von Algier sich seit kurzem eine Erregung unter den Eingeborenen bemerkbar mache, welche als eine Rückwirkung der türkischen Siege in Thessalien aufgefaßt werde. Es seien seitens der Behörden Durchsuchungen der

uda⸗

Wohnungen veranstaltet und Waffen und Munition beschlag⸗

nahmt worden.

Die Deputirtenkammer Berathung der Interpellation über Afrika fort. Der EET di Rudini erklärte, dem „W. T. B.“ zufolge:

Er habe es sich im letzten Jahre angelegen sein lassen, die Lage der Dinge in Afrika wieder auf den früheren Stand, das heißt auf den Stand zurückzuvringen, auf den sie sich nach den Gefechten von Coatit und Senafé befunden habe. Auch nach dem Vertrage von Adis Abeba sei der Mareb die Grenze geblieben und die Gar⸗ nison in Kassala aufrecht erbalten worden; nur auf den Vertrag von Uccialli, der den Anspruch auf das Protektorat in sich geschlossen, habe die Regierung verzichtet. Italien könne also jetzt ruhig und frei die afrikanische Frage lösen, wie es den italienischen Inter⸗ essen am besten entspreche. Als Minister und als Ehrenmann könne er versichern, daß die Regierung keinerlei geheimen Vertrag mit dem Negus geschlossen habe. Die Zeit habe nunmehr bewiesen, daß die Aufrechthaltung der Besetzung von Kassala weder der italienischen Politik noch auch der Vertheidigung der afrikanischen Besitzungen genützt habe; sie sei vielmehr eine große Last. Wenn man diese Last weiter auf sich nehmen wolle, werde man die nothwenden Befestigungen ver⸗ mehren müssen. DieErythräische Kolonie habe bisher einen rein militärischen Charakter gehabt und habe nur zu Kriegen geführt. Die Hoffnung, eine landwirthschaftliche Kolonie zu errichten und Einwanderer heran⸗ zuziehen, habe sich als illusorisch erwiesen. Um die Kolonie auf dem gegenwärtigen Stande zu erhalten, würde man noch 30 Millionen be⸗ nöthigen. Wenn Schoa angreifen sollte, würde man zwei Armee⸗ Korps mobilisieren müssen, was 80 Millionen Lire kosten würde. Man müßte also daran denken, eine große Kolonialarmee zu schaffen, die 35 Millionen Lire in Anspruch nehmen würde. Wenn er die Verant⸗ wortung fürein Verbleiben auf dem abessynischen Hochplateau bei einer Aus⸗

abe von 19 Millionen nach den Berechnungen des Generals Baldissera ür die Zeit des Friedens auf sich genommen, da es sich nur um einen vorübergehenden Zeitabschnitt gehandelt habe, so könne er doch die Verantwortung, dort noch länger zu bleiben, mit den 7 Millionen, die jetzt dafür angesetzt seien, nicht übernehmen. Wenn man auf dem Hochplateau ruhig weiter bleiben wolle, müsse man die dazu nöthigen Summen beschaffen, indem man die Grundsteuer um 10 % und die Salzsteuer um 10 Centimes erhöhe. Eine sofortige Aufgabe der Kolonie würde eigentlich die logische Folge sein. Aber die Logik sei nicht der einzige Koeffizient für weise Entschlüsse in der Politik. Keiner der Interpellanten habe, obwohl er den Rath gegeben habe, die Kolonie aufzugeben, der Regierung gerathen, das gegenwärtig besetzte Gebiet dem Negus wieder abzutreten und Massowah einer anderen Macht zu überantworten. Hier lägen die ernsten Schwierigkeiten für die Praxis. Das italienische Nationalgefühl gebe die Abtretung Kassalas an Egypten zu, werde es aber nicht gestatten, die italienischen Besitzungen dem Negus zurück⸗ zugeben. Das Land verkenne nicht, daß ein Aufgeben Massowahs, den Einfluß gar nicht zu rechnen, den dieser Besitz im Rothen Meere auszuüben gestatte Italien in inter⸗ nationale Schwierigkeiten stürzen könne, die nicht leicht zu nehmen seien. Wenn man also heute den Beschluß fassen wollte, die Kolonie sofort aufzugeben, so würde die; ein schwerer Irrthum sein, der sehr ernste Verwickelungen mit sich bringen könne. Der Minister⸗ Pecsfidest erklärte weiter: die Regierung schlage vor, sobald es die age der Dinge gestatte, die militärische Besetzung auf das Mindeft⸗ maß zurückzuführen und sie möglichst auf Massowah allein zu be⸗ schränken, ferner weder ganz noch theilweise die von der italienische Souveränetät abhängenden Gebiete abzutreten, vielmehr ein Gebiet unter eingeborenen Häuptlingen nach freier Wahl Italiens zu schaffen, und endlich sobald wie möglich der provisorischen Besetzung von Kassala ein Ende zu machen. Um dieses Programm nach und nach zur Aus⸗ führung zu bringen, müsse man mit Großbritannien ein Einvernehmen treffen behufs Wiederabtretung Kassalas an Egypten und ferner die Grenzfrage mit dem Negus endgültig regeln. Da sich nicht sagen laßfe⸗ wann dieses Programm werde durchgeführt werden können, so verlange die Regierung einen Kredit von 19 Millionen Lire für das Rechnungsjabr 1897/98. Die Regierung sei bereit, den Wünschen der Kammer entgegenzukommen, dagegen nicht geneigt, ihre Politik zu änderns sie werde daher nicht auf ihrem Posten bleiben, wenn die Kammer gegentheiliger Ansicht sein sollte.

Die Interpellanten ergriffen hierauf das Wort zur Er⸗ widerung. Der Deputirte de Marini brachte im Namen der Sozialisten und der Deputirte Imbriani im Namen der Radikalen Anträge ein zu Gunsten der Räumung der Nanze Kolonie, der Deputirte Pozzi und andere Deputirte der Rechten einen Antrag, die Truppen aus Afrika zurückzuziehen. Au Verlangen des Minister⸗Präsidenten wird über diese Anträge heute verhandelt werden.

Der Kardinal Siciliano di Rende, Benevent, ist gestern in Montecassino gestorben.

Türkei.

Der Großfürst⸗Thronfolger von Rußland bat

e auf der Fahrt nach dem Kaukasus den Bosporus passiert. 3

Die Pforte hat auf den letzten Schritt der Mächte er widert, daß sie die Einstellung der Feindseligkeiten von der nnahme folgender Bedingungen den Abschluß eines Waffenstillstandes und des

setzte am Sonnabend die

Erzbischof von

znaig mache: Zahlung einer Kriegsentschädigung von aüpgn sg nacee 8 Mederherstellung der alten Landes⸗ 1 ze, Erneuerung der Verträge für die griechischen Unter⸗ 4 in der Türkei auf Grund des internationalen Rechts; Peichluß eines Kartellvertrages für die Auslieferung 1 Verbrecher, ferner Freilassung des Hafens von Volo und Prevesa für den Verkehr mit dem Beginn des Waffenstill⸗ fandes. Die Bevollmächtigten sollten in Pharsala zusammen n. bvmegu Larissa vom Sonnabend meldet die „Agence avas“, daß der von dem türkischen Ober⸗Kommando gefaßte luß, Domoko zu nehmen, trotz der anscheinenden nthätigkeit eifrig verfolgt werde. Zahlreiche Bataillone seien als Verstärkung in Larissa eingetroffen. der griechischen Stellungen und Bewegungen würden fleißig ausgeführt. Die durch das regnerische Wetter schwer passierbaren Straßen verzögerten den von den Offizieren lebhaft gewünschten Vormarsch, der Türken. Ein Vorpostengefecht, welches am Freitag bei dem Dorf Tschaerti stattfand, sei ohne Bedeutung gewesen, sodaß zwei zur vertesstäfnes gesandte Bataillone wieder nach Pharsala zurückgekehrt seien. Die griechischen Kriegsschiffe beschossen am Sonnabend latamona, im Golf von Saloniki, und kaperten in der Rähe von Katerina ein türkisches Handels⸗Segelschiff.

Eine gestern in Konstantinopel eingetroffene Depesche des gKommandanten des XIII. Korps in Epirus, welche amtlich bekannt gegeben worden ist, berichtet auf Grund des Rapports des PbersrAieutenants Veli Bey über den Versuch der Griechen, von Arta über Gremenica auf Gribowo vorzugehen, sowie über die Kämpfe auf den Höhen von Gremenica und Gribowo. Danach seien die griechischen Truppen mit einem Verlust von 1000 Mann zurückgeschlagen worden; der Verlust auf türkischer Seite belaufe sich auf 13 Offiziere und 357 Mann, von denen 7Offiziere und 85 Mann gefallen sein. Der Divisions⸗Kom⸗ mandant Osman Pascha, welcher diesen Bericht beförderte, fügt hinzu, daß die zuletzt verlangten Verstärkungen abgeschickt worden seien. Die türkischen Truppen hätten die bei der Papaß⸗Brücke angelangte griechische Infanterie und Artillerie zurückgeschlagen. Ueber die Kämpfe in der Nähe von Kumu⸗

aades fehlten noch die Einzelheiten.

Aus Athen berichtet die „Agence Havas“, daß die griechische Armee in Epirus sich auf Arta habe zurück⸗ iehen müssen, sie halte jedoch noch einige Stellungen jenseits 8 Brücke über den Arta⸗Fluß besetzt. Die Verluste der Griechen in der Schlacht bei Gribowo hätten etwa 558 Todte und Verwundete, darunter 33 Offiziere, betragen. Dem Vernehmen nach habe die griechische Regierung den Truppenführern in Thessalien und Epirus befohlen, sich streng in der Defensive zu halten.

Dem „W. T. B.“ wird aus Kanea gemeldet, daß 1100 griechische Goldaten gestern Nachmittag von dort nach Griechen⸗ fand abgegangen seien. Geschütze, Schießvorräthe und Maul⸗ thiere hätten des Seeganges wegen in der Suda⸗Bai ein⸗ geschifft werden müssen; dieselben seien unter Eskorte euro⸗ päischer Truppen dahin geschafft worden.

In der Stadt Kandia herrscht, dem „Reuter'’schen Bureau“ zufolge, Mangel an Wasser, weil die Aufständischen die Quellleitungen abgeschnitten haben.

Griechenland.

Die griechische Regierung hat, wie „W. T. B.“ meldet, eine Note an die Gesandten der Mächte gerichtet, vorin sie die Verantwortlichkeit für die Vorgänge in Epirus dm türkischen Heere zuweist, welches durch die Befestigung von Gribowo einen Vorstoß in die Gegend von Arta zu machen beabsichtigt habe; ferner wird darin ausgeführt, daß die vom Ober⸗Kommando angeordneten Bewegungen zur Vertheidi⸗

gung nothwendig gewesen seien. Die Regierung theilte sa⸗

zeittg mit, daß nach ihr zugegangenen Meldungen die Pforte lleinere Schiffe zu dem Zweck anwerbe, um griechische Schiffe Hhecewecn Griechenland sei entschlossen, hiergegen mit seiner lotte thatkräftig vorzugehen.

8 Amerika. Aus Montevideo von heute wird amtlich gemeldet, daß die Aufständischen eine vollständige Niederlage erlitten und geflohen seien. Der Aufstand werde als beendet angesehen.

Afrika.

Aus Kapstadt meldet das „Reuter'sche Bureau“, daß das britische Geschwader, welches an der Ostküste gekreuzt und die Delagoa⸗Bai angelaufen habe, im Laufe der nächsten Woche nach der Simons⸗Bai zurückkehren werde. .“

Parlamentarische Nachrichten.

In der heutigen (222.) Sitzung des Reichstages, welcher der Staatssekretär des 1“ Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, der Staatssekretär des Reichs⸗Schatz⸗ amts Dr. Graf von Posadowsky und der Kriegs⸗Minister General⸗Lieutenant von Goßler beiwohnten, stand die zweite Lesung des Gesetzentwurfs, betreffend den Servistarif und 8 Klasseneintheilung der Orte, auf der Tages⸗

nung.

Berichterstatter der Budgetkommission über die Vorlage war der Abg. von Leipziger (d. kons.) Zum Tarif ist von der Kommission nur eine Erhöhung der Pferdegelder für die Offiziere beschlossen worden. In Betreff der RA0e he lung der Orte hat die dseishu nachdem sie bereits das Verzeichniß fast ganz durchberathen und über bhlceiche Anträge auf Versetzung in eine höhere Klasse Beschlu gefaßt hatte, vor Eintritt in die zweite Lesung be⸗

schlossen, die bisherige Klasseneintheilung ce bestehen zu assen, und folgende Resolution vorgesch agen:

„dahin zu wirken, daß für die emeshung der Höhe des Wohnungs eldzuschusses und die entsprechende Ortsklasseneintheilun nicht auss heglhc die Servisklassen als maßgebend betrachte 5658 ügg demgemäß der § 3 des Gesetzes vom 30. Juni 1873

sert wird.“

ven Abg. Dr. Lieber (Zentr.) beantragt in Uebereinstimmung mit

in Abg. Dr. Hammacher (nl.) die Zurücküberweisung des §2 (Klassen⸗

Kutheilung) an die Kommission zur vollständigen Mecheeraeheße damit

sae haus auch über diefen nicht zu entbehrenden Theil des Gesetzes sich tlüssig zu machen in die Lage gesetzt werde und die Regierung auf

nf eise eher veranlaßt werde, eine anderweite Normierung der als slenbedürftig erkannten Sätze des Wohnungsgeldzuschusses in Vor⸗ ringen.

vnnc Singer (Soz.) widerspricht diesem Antrag. Der § 2 sei

apehan, eventuell würde sich die Zurücküberweisung der ganzen Vorlage

bhlen. g acech sehe er von dieser Maßregel keinen Vortheil. bg. Dr. Lieber beharrt bei seinem Vorschlage; werde dieser

angenommen, so solle man den Gegenstand von der Tagesordnung ab⸗

setzen. 8 Abg. Dr. Hammacher bezweifelt die Beschlußfähigkeit des

auses. 8 Der Namens⸗Aufruf ergiebt die Anwesenheit von 141 Mit⸗

gliedern, das Haus ist also beschlußunfähig.

Der Präsident setzt die nächste Sitzung auf Dienauage 12 Uhr, an. (Auf der Tagesordnung steht das Noth⸗ vereinsgesetz.)

Der Schlußbericht über die vorgestrige Sitzung des Fähtes der Abgeordneten befindet sich in der Ersten

eilage.

In der heutigen (86.) Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten begann die erste Berathung des Gesetzent⸗ wurfs zur Ergänzung und Abänderung von Be⸗ stimmungen über Versammlungen und Vereine.

Zur Einleitung derselben nahm das Wort der

Präsident des Staats⸗Ministeriums Fürst zu Hohenlohe: EFyhe ich auf eine Besprechung des heute zur Berathung stehenden

Gesetzentwurfs eingehe, scheint es mir nöthig, um dem vielfach hervor⸗ getretenen Vorwurf zu begegnen, daß diese Vorlage mit der von mir in der Sitzung des Reichstages am 27. Juni 1896 abgegebenen Er⸗ klärung nicht im Einklang stehe, auf den damaligen Vorgang zurück⸗ zukommen.

Ich habe erklärt, es bestehe die Zuversicht, daß das in verschiedenen Bundesstaaten für politische Vereine geltende Verbot, mit anderen Vereinen in Verbindung zu treten, werde außer Wirksamkeit gesetzt werden, und daß es in der Absicht der betheiligten Regierungen liege, die Beseitigung des durch dieses Verbot geschaffenen Rechtszustandes herbeizuführen. Als nun von einem Reichstags⸗Abgeordneten die Erwartung ausgesprochen wurde, daß eine Aufhebung des Koalitionsverbots nicht an Bedingungen geknüpft werden würde, die eine Verschärfung des bestehenden Vereinsrechts enthielten, ist vom Bundesrathstisch aus keine Antwort erfolgt, und zwar seitens der preußischen Regierung aus dem Grunde nicht, weil sie sich damals über diese Frage noch nicht schlüssig gemacht hatte. Wenn nun die preußische Regierung Ihnen, entgegen der damals von dem Herrn Abg. Rickert ausgesprochenen Erwartung, einen Gesetz⸗ entwurf vorlegt, der neben der Aufhebung des Koalitions⸗ verbots auch andere Modifikationen der Verordnung vom 11. März 1850 enthält, so glaubt sie damit den geeignetsten Weg ein⸗ geschlagen zu haben, um das von mir abgegebene Versprechen einlösen zu können. Denn ein Gesetzentwurf, der lediglich die Aufhebung des Koalitionsverbots zum Gegenstand gehabt hätte, würde vielleicht nicht einmal der Zustimmung dieses hohen Hauses sicher gewesen sein; noch weniger hätte man auf Zustimmung seitens des Herrenhauses rechnen können, und es wäre unter diesen Umständen bei einer leeren Demonstration geblieben. Ich würde mich in diesem Falle wohl in formaler Weise meines Versprechens entledigt haben, aber materiell wäre dasselbe nicht erfüllt worden. Indeß, meine Herren, selbstverständlich ist es nicht die Rücksicht auf die voraussicht⸗ liche Haltung des Herrenhauses allein gewesen, die die Königliche Staatsregierung bestimmt hat, Ihnen die jetzige Vorlage zu machen; das ausschlaggebende Moment lag vielmehr darin, daß die Verordnung vom 11. März 1850 nicht nach allen Richtungen genügt, um einen die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauch des Versammlungs⸗ und Vereinsrechts zu verhüten.

Meine Herren, ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich das Vereins⸗ und Versammlungsrecht als eine der werthvollsten Errungenschaften betrachte, als ein schlechthin unentbehrliches Mittel, um die politische Entwickelung und Erziehung eines Volkes zu fördern. Andererseits wird aber, wie ich glaube, auch von einem sehr vor⸗ geschrittenen liberalen Standpunkte aus zugegeben werden müssen, daß ein absolut unbeschränktes Vereinsrecht große Gefahren in sich birgt und selbst in einem hochzivilisierten Lande zu argen Mißständen, ja unter Umständen zu einer Erschüͤtterung des Staatsorganismus führen kann. Es muß daher die Aufgabe sein, zwischen Unterdrückung und Schrankenlosigkeit des Vereinsrechts die richtige Mitte zu finden. Wir sind der Meinung, daß dies in der Verordnung vom 11. März 1850 nicht überall gelungen ist, und daß es auf der einen Seite möglich erscheint, gewisse einschränkende Vorschriften fallen zu lassen, auf der anderen aber auch geboten ist, der Staatsregie⸗ rung stärkere Befugnisse einzuräumen. Was die Vorlage in der letzten Beziehung fordert, reicht nicht an das Maß von dem hinan oder geht nicht über das hinaus, was anderweit in Deutschland Rechtens ist. So giebt das badische Gesetz von 1867, welches doch wohl nicht aus einer Zeit der Reaktion herrührt, der Staatspolizeibehörde das Recht, Vereine zu schließen, welche den Staatsgesetzen oder der Sitt⸗ lichkeit zuwiderlaufen, welche den Staat oder die öffentliche Sicher⸗ heit gefährden, und Versammlungen aus denselben Gründen im voraus zu schließen. Ich darf ferner auf Art. 19 Nr. 5 und 6 des bayerischen Vereinsgesetzes hinweisen, welcher bestimmt:

„Jede Polizeibehörde ist befugt, Vereine zu schließen, welche die religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Grund⸗ lagen des Staats zu untergraben drohen, oder wenn ihre Zwecke oder Beschlüsse den Strafgesetzen zuwiderlaufen“; und auf § 12 des sächsischen Vereinsgesetzes, nach welchem bei dringen⸗ der Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit Ver⸗ sammlungen sowie öffentliche Auf⸗ und Umzüge und. Festlich⸗ keiten verboten werden können.

Herrschen denn nun in Bayern, Sachsen, Baden oder in anderen deutschen Staaten mit ähnlichen Bestimmungen ich könnte Ham⸗ burg nennen unerträgliche Zustände? Ich glaube, daß das nicht behauptet werden kann.

Was im übrigen die Einzelheiten der Vorlage anlangt, so wird mein Kollege, der Herr Minister des Innern, Gelegenheit finden, im Laufe der Debatte auf den materiellen Inhalt der Novelle näher ein⸗ zugehen. Meinerseits will ich mich nur noch auf die Bemerkung be⸗ schränken, daß es der Staatsregierung selbstverständlich fernliegt, das verfassungsmäßige Versammlungs⸗ und Vereinsrecht in Preußen an sich irgend anzutasten. Vor einem solchen unbegründeten Vorwurf sollte mich schon meine eigene politische Vergangenheit schützen. Ich werde mich freuen, wenn das hohe Haus die Bestimmungen der vorliegenden Novelle einer eingehenden Prüfung unterzieht; Sie werden dann finden, daß es sich hier nicht um einen willkürlichen Eingriff in das gewähr⸗ leistete Vereins⸗ und Versammlungsrecht handelt, sondern um eine Ausgestaltung desselben im Sinne unserer Verfa entsprechend den Bedürfnissen der Zeit. 8

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Heeranf erhielt der Abg. Dr. Krause (nl.) das Wort. Bei Schluß des Blattes sprach der Abg. Dr. von Heyde⸗ brand und der Lasa (kons.).

Im Herrenhause ist von dem Grafen von Tschirschky⸗ Renard folgender Antra eingebracht worden.

Das Herrenhaus wolle beschließen: die Königliche Staats⸗ regierung zu ersuchen, dem Landtage der Monarchie einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher folgende Bestimmungen enthält:

ee Das Forstrevier Grunewald wird zum Staatspark 8 erklärt. 8

II. Es unterbleiben vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an und für alle Zeiten Kahlhiebe und Einschläge aller Art in dem gesammten Revier. Nur die nothwendigen Aufräumungsarbeiten an Dürrlingen, Windbrüchen, durch etwaigen Insektenfraß geschädigten Bäumen ꝛc., sowie die zur Erhaltung und Erzeugung eines möglichst schönen und alten Waldbestandes forstwirthschaftlich gebotenen Durch⸗ und Auf⸗ forstungen werden vorgenommen.

Arbeiterbewegung.

Aus Breslau meldet „W. T. B.“: In einer gestern abgehaltenen Versammlung der beiden Breslauer Innungen der Tischler und Möbelfabrikanten verpflichteten sich, der „Bresl. Ztg.“ zufolge, 27 Fabrikanten und 69 Innungsmeister, vom heutigen ontag ab 8b ““ zu schließen. Im Ganzen werden hierdurch 866 Tischler . etroffen.

In Stettin hielten am Freitag die ausständigen Tischler⸗

esellen eine Versammlung ab, in der, einer Mittheilung der „Ost⸗ ee⸗Ztg.“ zufolge, die Lohnkom mission über die Lage des Ausstandes Bericht erstattete. Danach sollen von den 620 Mann, die ursprüng⸗ lich in den Ausstand eingetreten sind, noch etwa 400 Gesellen aus⸗ ständig sein; die übrigen sind⸗ wie berichtet wurde, theils nach aus⸗ wärts abgereist oder auf den Schiffswerften untergebracht worden. Es wurde der Lohnkommission anheim gegeben, mit dem neu⸗ begründeten Arbeitgeberbund Unterhandlungen anzuknüpfen und im übrigen an dem allgemeinen Ausstand festzuhalten.

In Mühlhausen i. Th. sind der „Madb. Ztg.“ zufolge am Freitag die Maurer mit Ausnahme der Poliere und der bei einem Bauunternehmer Beschäftigten, welchen die Forderungen (10 Stun⸗ den Arbeitszeit und 15 % Lohnerhöhung bezw. 32 Stundenlohn) bewilligt wurden, in den Ausstand eingetreten.

Aus Rybnik wird der Köln. Ztg.“ vom 15. d. M. tele⸗ graphiert: Die ausständigen Bergarbeiter der Leogrube sind theilweise eingefahren, und der Grubenbetrieb ist wieder aufgenommen. Der Ausstand auf der Przemsagrube ist ohne Einfluß auf den Betrieb, da Hauer den Dienst der ausständigen Schlepper versehen. (Vgl. Nr. 113 d. Bl.)

Kunst und Wissenschaft.

G. Schillings, Mitglied der Expedition von Dr. M. Schoeller nach dem Victoria⸗Nyansa, hat nach seiner Rückkehr zur Küste von Masinde aus über den Pangani einen Vorstoß in die Massai⸗Steppe unternommen mit der Absicht, den von Dr. Fischer und Dr. Baumann erkundeten Kiniaröksee zu erreichen. Indem 70 Träger unter Zurücklassung alles nur irgendwie ent⸗

ehrlichen Gepäcks mit Wasser beladen wurden, erreichte die Expedition wie das „Deutsche Kolonialblatt“ meldet, in drei Gewaltmärschen ein Reihe von zehn kleinen Seen, die Regenansammlungen in den Felsengraten darstellen. Die Namen derselben sind, vom Rufu aus gerechnet: 1) Lolmérihéri, 2) Meséra, 3) Ndébbe, 4) Ngirringhirrhe 5) Ndurutü la Nyuki, 6) Lörh, 7) Olongoschwa, 8) Loilälei, 9) Nor börro, 10) Lloidiküͤsh. Von diesen haben nur Nr. 2, 5 und 6 beständig Wasser. Der Kiniaroksee existiert nicht, dieser Name be⸗ zeichnet vielmehr ein sandiges Hochplateau, das, von der Ferne gesehen den Eindruck eines Sees hervorgerufen haben mag. Sämmtlich Seen sind in der Trockenzeit nur wenige Hektar (zwischen zwei un zwölf) groß, in der Regenzeit gewinnen sie dann die zwei⸗ bis vier fache Ausdehnung. Theilweise scheinen die Seen sehr tief zu sein Eine Reihe zum theil steil und unvermittelt aus der Ebene sich erhebenden Bergen, von denen der Loßkité, Dawaß, Dsomasék Losséra, Mogotani, Wabarré und Sauiny hervorzuheben sind, liegen in der Nähe der Seen. Leider aber gestattete der Wassermangel ihre Be reisung und Erforschung nich.

Der 15. Kongreß für innere Medizin, welcher in de Tagen vom 9. bis 11. Juni in Berlin stattfindet, wird durch den Geheimen Medizinal⸗Rath Dr. von Leyden eröffnet werden. 2 ersten Gegenstand der wissenschaftlichen Tagesordnung bildet der chronische Gelenkrheumatismus und seine Behandlung; Refe⸗ renten sind die Professoren Bäumler⸗Freiburg und Ott in Prag⸗Marienbad. Am 9. Juni steht die Epilepsie auf der Tagesordnung; hierfür ist Herr als Referent gewonnen. Am 10. Juni referiert Professor Eulenburg über den Morbus Basedowii. Am Sonnabend wird der Kongreß geschlossen. Auf besondere Aufforderung werden Vorträge halten: Geheimer Medizinal⸗Rath Liebreich über die Ziele der medikamentöfen Therapie; Professor Behring⸗Marburg über experimentelle Therapie; Professor Benedikt⸗Wien über die Verwendung der Röntgenstrahlen in der inneren Medizin; Professor Richard Ewald⸗Straßburg über die es von Großhirn. Operationen an labyrinthlosen Thieren. Außerdem sind noch 46 Vorträge und 4 Demonstrationen angemeldet. Die Sitzungen finden im Architekten⸗ hause statt, wo sich auch die mit dem Kongreß verbundene Fach⸗ ausstellung befinden wird. Zum Sammelpunkt für gesellige Veran⸗ staltungen sind die Räume des Zentralhotels gewählt.

„Hirth's Formenschatz“ (München und Leipzig, Georg Hirth) beginnt den neuen, 21. Jahrgang 1897 mit einigen besonders anziehenden bezw. seltenen Blättern. Das erste Heft enthält u. a. einen wenig be⸗ kannten lebensvollen Studienkopf eines jungen Mädchens von Lionardo da Vinci nach einer Silberstiftzeichnung der Galerie Borghese in Rom, den schönen Kopf der Europa aus dem bekannten Gemälde des „Raubes der Europa“ von Paolo Veronese im Dogenpalast zu Venedig und die mitten im Kampf lebendig aufgefaßte, schlanke und geschmeidige Bronzefigur eines Ringers aus dem Museo nazionale in Neapel. In dem zweiten Heft findet man einen Ausschnitt aus dem berühmten Gemälde der „Himmel⸗ fahrt Mariä“ von Tizian, und zwar jene liebliche „Gruppe von Engelköpfchen zur Rechten der Madonna, welche den Blick eines jeden Beschauers nächst der Hauptfigur am meisten zu fesseln pflegt, sowie einen interessanten Frauenkopf aus einem Freskogemälde von Domenico Ghirlandajo in Eanta Maria Novella zu Florenz. Ferner bieten die beiden Hefte Aufnahmen werthvoller antiker und mittelalter⸗ licher Skulpturen, von Medaillen, Schmiedearbeiten und Porzellan⸗ deen Unter den Reproduktionen von Kupferstichen ꝛc. fällt be⸗

onders auf eine Radierung von Rembrandt aus dem Münchener Kupferstichkabinet, Adam und Eva“ darstellend, ein Werk von rück. sichtslosem Realismus. Der Meister des Amsterdamer Kabinets. die Italiener Domenico Tiepolo, Marcantonio Raimondi, der Deutsche Lucas Cranach, der Franzose Bouchardon nd edenfalle mit interessanten Blättern vertreten. Für das Kunstgewerbe dieten die Kupferstichblätter mit Entwürfen und dekorativen Details für die mannigfachsten Techniken, namentlich von berühmten alten französischen Meistern, wie Antoine Jacquard, Jean Louis Durant, C. Bachelier und Lalonde, vortrefflich verwendbare Mu oder anregende Vorlagen. Auch die Schreibkunst und die Kunststickerei sind nicht unvertreten ge⸗ blieben. „Hirth's Formenschatz“ erscheint auch im neuen Jahrgang in monatlichen Lieferungen (hoch 4⁰) mit je 16 Tafeln zum Preise von 15 pro Jahr, 1 25 pro Heft.