ist z. B. die Zahl derjenigen, welche in die Wählerlisten Einsicht nehmen. Das wird dabei nicht anders sein. an
Abg. Dr. Hitze (Zentr.) meint, daß die Antragsteller eigentlich beantragen müßten, daß die Gewerbetreibenden durch ortsübliche Bekanntmachung und besondere Mittheilung zu fordern seien.
Abg. Richter: Ich werde dem Rathe folgen und unseren An⸗ trag dahin ändern. Es müssen die Gewerbetreibenden speziell darauf aufmerksam gemacht werden, denn ich glaube, die meisten Handwerker wissen heute noch nicht, worum es sich handelt.
Sr Dr. Osann: Diejenigen, welche schweigen, kann man nicht als zustimmend mitzählen. Die Handwerker, welche stillschweigen, werden von der Innung garnichts wissen wollen.
Die Abstimmung über den Antrag bleibt zweifelhaft.
Präsident Freiherr von Buol schlägt deshalb die Wiederholung der Abstimmung vor.
„Abg. Richter beantragt in diesem Falle die namentliche Ab⸗ stimmung.
Abg. Gröber (Zentr.) bezeichnet diesen Antrag als geschäfts⸗ ordnungsmäßig nicht zulässig.
Abg. Richter hält das Verfahren, eine Abstimmung zu wieder⸗ holen, auch nicht für geschäftsordnungsmäßig zulässig.
Nach längerer Geschäftsordnungsdebatte findet eine Zählung des Hauses statt, welche die Anwesenheit von nur 161 Mit⸗ gliedern, also die . des Hauses ergiebt.
Präsident Freiherr von Buol beraumt die nächste Sitzung mit derselben Tagesordnung auf 1 Uhr 50 Minuten an. Schluß 1 Uhr 20 Minuten. 8
228. Sitzung. 1 Uhr 50 Minuten. Bei Wiedereröffnung der Sitzung wird die Abstimmung über den Antrag Richter wiederholt. Dieselbe bleibt wiederum zweifelhaft und die Zählung ergiebt die Anwesenheit von 178 Mitgliedern.
Schluß 2 Uhr 5 Minuten. Nächste Sitzung 2 ½ Uhr. (Servistarif.) 229. Sitzung. 2 ½ Uhr.
Die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend den Servistarif und die Klasseneintheilung der Orte, beginnt mit dem letzteren Abschnitt. ee⸗,
Die Kommission hat beschlossen, 35 Ortschaften in höhere Servisklassen zu versetzen, außer denen, welche nach der Regierungsvorlage in andere Klassen versetzt werden sollen. Es werden von der zweiten in die erste Klasse versetzt: Altendorf, Geestemünde, Gleiwitz, Halberstadt, Lehe, Neu⸗Ulm, Solingen und Wandsbek; von der dritten in die zweite Klasse: Burg, Hirschberg und Kreuznach; von der vierten in die dritte Klasse: Aue⸗Erzgebirge, Blankenese, Broich, Eichstätt, Gerresheim, Gummersbach, Hechingen, Hilden, Langenberg, Malmedy, Niederlahnstein, Oldesloe, Rheine, Saalfeld, Sigmaringen und Uerdingen; ferner aus der fünften in die vierte Klasse: Gif⸗ horn, Hachenburg, Hadamar, Jarotschin, Kesselstadt, Lüding⸗ hausen und Preußisch⸗Friedland.
Außerdem liegen von einzelnen Abgeordneten noch 42 An⸗ träge vor, einzelne Städte in höhere Servisklassen zu bringen.
Abg. Schulze⸗Henne (nl.) will Camen von der vierten in die dritte, und Fröndenberg von der fünften in die vierte Klasse ein⸗ gebracht wissen.
Der Antrag wird abgelehnt.
Abg. Trimborn (Zentr.) tritt dafür ein, daß Köln und Leipzig von der Klasse I in die Klasse A versetzt werden sollten.
Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Der Herr Antragsteller hat seine Ausführungen darauf begründet, daß der Wohnungsgeldzuschuß für die in Köln stationierten Beamten nicht ausreiche, um ihrem Wohnungsbedürfniß zu genügen, bezüglich um ihre Miethe zu bezahlen, und sie infolge dessen von ihrem übrigen Gehalt noch zur Bestreitung ihres Wohnungsbedürfnisses Zuschüsse machen müßten. Zunächst glaube ich, ist darauf einzuwenden, daß schon in dem Worte „Wohnungsgeldzuschuß“ der Hinweis darauf liegt, daß er nicht dazu bestimmt ist, den ganzen Wohnungsaufwand zu decken, sondern nur einen Zuschuß zu dem Betrage der Miethe bilden soll. Aber abgesehen davon, ist es auch vollkommen unerheblich, wie sich der Wohnungsgeldzuschuß zu dem Preise der Miethen in den einzelnen Orten stellt, sendern es kommt bei der Abgrenzung der Servisklassen nur darauf an, ob die Sätze für die Entschädigung der Naturalquartierlast bei Einquartierungen ausreichend sind oder nicht. In dieser Beziehung aber haben die städtischen Behörden von Köln ausdrücklich erklärt, und zwar sowohl die Serviskommission wie die städtische Verwaltung, daß sie es ablehnen müßten, für eine Erhöhung der Servisklasse für Köln einzutreten, weil in der Stadt ja kein Mangel an Wohnungen sei, und weil die städtischen Quartieraufwendungen eine Erhöhung der Entschädigung nicht rechtfertigten.
Meine Herren, ich glaube, gegenüber einer solchen Erklärung ist es ganz unzweifelhaft, daß eine Versetzung von Köln in eine höhere Klasse nicht vorgenommen werden kann. Aber weil es anzuerkennen ist — und dem haben sich die verbündeten Regierungen bei den Vor⸗ verhandlungen über den Servistarif auch nicht verschlossen —, daß es seine Bedenken hat, den Wohnungsgeldzuschuß lediglich zu regulieren nach der Klasseneintheilung für die Entschädigung des militärischen Naturalquartiers, hat die Kommission einstimmig beschlossen, ihrer⸗ seits zu fordern und dieser Forderung im Gesetze Ausdruck zu geben, daß schon nach fünf Jahren eine Revision der Klasseneintheilung statt⸗ finden soll, und daß hierbei die Bemessung des Wohnungsgeld⸗ zuschusses nach anderen Gesichtspunkten zu erfolgen hat, wie die Bemessung der Klasseneintheilung für die Entschädigung des mili⸗ tärischen Naturalquartiers.
Es ist in der That eine Schwäche der bisherigen Gesetzgebung, daß der Wohnungsgeldzuschuß lediglich bemessen wird nach dem Satze des Naturalservises. Sollten die verbündeten Regierungen dieser Re⸗ solution folgen und ihr einen gesetzlichen Ausdruck geben wollen, so müßte man zunächst eine eingehende statistische Erbebung darüber an⸗ stellen, welchen Miethsaufwand jede Beamten⸗ und Offizierklasse in sümmtlichen Städten Deutschlands, wo solche stationiert sind, auf⸗ mwenden hat, wie hoch das legitime Wohnungsbedürfniß ist, wie hoch die Geldaufwendung dafür ist; darnach würde demnächst eine ganz andere Klasseneintheilung aufzustellen sein, die dann lediglich maß⸗ gebend wäre für die Bemessung des Personalservises der Offiziere und für die Bemessung des Wohnungsgeldzuschusses der Offiziere und Beamten.
Ich habe namens der Reichsregierung, nicht namens der ver⸗ bündeten Regierungen, die darüber sich noch nicht schlüfsig gemacht haben, zu erklüren, daß, wenn diese Resolution angenommen wird, so⸗
Meine Herren, ich kann im übrigen das, was der Herr Bericht⸗ erstatter gesagt hat, nur bestätigen. Versetzen Sie Köln in eine höhere Klasse, so werden eine große Anzahl Ortschaften mit Recht fordern, entweder in die gleiche Klasse versetzt zu werden, oder wenigstens auch in eine höhere Klasse, von der dritten in die zweite Klasse, oder von der zweiten in die erste Klasse aufzusteigen. Das hat aber weitgehende Konsequenzen; nach den überschläglichen Be⸗ rechnungen, die wir aufgestellt haben, würde daraus eventuell ein Mehraufwand für das Reich und Preußen von 6 bis 7 Millionen entstehen.
Ich kann unter diesen Verhältnissen nur dringend bitten, die Petition von Köln abzulehnen, die meines Erachtens zur Zeit sachlich nicht begründet ist, die aber wahrscheinlich berücksichtigt werden könnte, wenn ein Gesetz im Sinne der Resolution Dr. Hammacher dem Reichstage seiner Zeit vorgelegt werden sollte.
Abg. Dr. Hammacher (nl.): Man nimmt allgemein an, daß es sich bei diesem Gesetze um eine Regulierung des Wohnungsgeldzuschusses handele, während nur von der Aenderung des Servistarifs die Rede ist. Daher erklären sich die vielen Petitionen. Es handelt sich haupt⸗ sächlich um die Regulierung der Servistarife, namentlich für die kleineren Ortschaften, in denen die Quartierlast drückend empfunden
wird, nicht um die größeren Städte. Deshalb muß die Frage des Wohnungsgeldzuschusses besonders erledigt werden.
Abg. Trimborn (Zentr.): Vorläufig besteht die Verbindung zwischen Servistarif und Wohnungsgeldzuschuß und wird noch Jahre lang bestehen; deshalb muß der Ungerechtigkeit ein Ende gemacht und Köln in die Klasse A versetzt werden.
Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Der Herr Vorredner bat ein so glänzendes Zeugniß für die Ge⸗ rechtigkeit abgelegt, daß ich mich auf denselben Standpunkt stellen werde. Die Arbeit der Kommission ist vorgenommen auf Grund der Grundsätze, die den Motiven beigedruckt und wiederholt von dem hohen Hause bei früheren Revisionen als zutreffend anerkannt worden sind. In diesen Grundsätzen heißt es unter Nummer 6:
Die Bedeutung, welche die Klasseneintheilung für die Ge⸗ währung der Wohnungsgeldzuschüsse hat, kann zwar den äußeren Anlaß geben, die Einreihung einer Ortschaft in eine andere, als ihre bisherige Servisklasse in Erwägung zu nehmen, für die Ent⸗ scheidung selbst kommt jedoch ausschließlich in Frage, ob die Versetzung denjenigen Verhältnissen und Rücksichten entspricht, welche nach dem Quartierleistungsgesetz für derartige Versetzungen maßgebend sind.
Daß diese Voraussetzungen vorliegen, hat die zuständige Servis⸗ kammission von Köln und die städtische Behörde daselbst verneint. Ihre Kommission hat ferner ausdrücklich erklärt, daß sie die Revision der Klasseneintheilung jetzt nur vornimmt mit Rücksicht auf den Auf⸗ wand, der für die Befriedigung der militärischen Quartierleistungen entsteht, daß sie aber, wie es den gesetzlichen Vorschriften und den Grundsätzen entspricht, keine Rücksicht nimmt auf die Bemessung des Wohnungsgeldzuschusses und des Personalservis der Beamten und Offiziere. Meine Herren, würde man jetzt bei einer einzelnen Stadt abweichen von dem Standpunkt der Kommission und der bei Auf⸗ stellung der Klasseneintheilung maßgebend gewesenen Grundsätze, und statt dessen die Miethsverhältnisse der Beamten und Offiziere maßgebend sein lassen, so würde man die größte Ungerechtigkeit be⸗ geben, die man begehen könnte; dann bliebe dem hohen Hause meines Erachtens nichts übrig, wie die ganze Vorlage an die Kommission zurückzuverweisen und gleichzeitig zu beschließen, nach anderen Grund⸗ sätzen diese Klasseneintheilung aufzustellen. Wenn Sie das aber thäten, würde kaum in dieser Session ein Gesetz zu stande kommen, und die große Anzahl von Städten und das ganze platte Land, welche in der neuen Klasseneintheilung berücksichtigt sind bezüglich eine Er⸗ höhung der Entschädigung für die Quartierleistung erhalten sollten, müßten bis zur nächsten Revision warten; diese würde aber, wenn Sie die Vorlage nicht annehmen, dem Termin des jetzt gültigen Ge⸗ setzes entsprechend, erst in zehn Jahren zu erfolgen haben.
Die Versetzung von Köln in eine höhere Servisklasse wird abgelehnt, ebenso die Anträge bezuͤglich Danzig (nach Klasse A), Breslau (nach A), Leipzig (A), Freising (II), Friedenau (I), Steglit (D, Gadderbaum (I), Geldern III),
großenhain (II2), Glogau (I), Jauer (II), Ingolstadt (I), Königsberg i. Pr. (A), Lehrte (III), Lindau (I), Lötzen (III), Mülheim am hein (I), Norderney (I0), Oeyn⸗ hausen (II), Sprottau (III), Sulzbach (III), Vilbel (III), Wohlau (III), Zoppot (III) und Zweibrücken (II). Angenommen wird dagegen, dem Antrage des Abg. Klose (Zentr.) gemäß, die Versetzung von Leobschütz aus der dritten in die zweite Klasse, dem Antrage des Abg. Thomsen (fr. Vgg.) gemäß die Versetzung von Marne aus der fünften in die vierte Klasse; dem Antrage des Abg. Rickert (fr. Vgg.) gemäß die Versetzung von Ohra aus der vierten in die dritte Klasse.
Hierauf wird die weitere Berathung der Vorlage, soweit sie den Servistarif betrifft, vertagt. Zur Geschäftsordnung bemerkt
Abg. Dr. von Le vetzow (d. kons.): Ich habe mich über die Ob⸗ struktion zu beschweren, die bei der Innungsvorlage heute getrieben worden ist. Ich habe viele Zeugen, daß eine Anzahl von Mitgliedern dieses auses von der linken Seite draußen geblieben und dann in den Saal gekommen ist. Ein solches Verfahren ist rücksichtslos gegen die Mitglieder des Hauses und verstößt gegen die Würde des Reichstages. Ich würde bitten, solches in Zukunft zu unterlassen. bg. Singer (Soz): Ich weiß nicht, woher der Abg. von Levetzow den Rechtstitel herleitet, sich als Wahrer der Würde des Heuses hinzustellen. „Nach meinen Erfahrungen ist dieser Wahrer der äsident. Im übrigen konstatiere ich, daß meine Freunde sich an der Abstimmung betheiligt haben.
Abg. Speiser (d. Volksp.) erklärt, daß er und der Abg. Ehni (d. Volksp.) nach Schluß der Auszählung den Saal betreten hätten, ohne zu wissen, um was es sich handele.
Abg. Dr. von Levetzow: Der Abg. Singer bat nicht das Recht, mir vorzuhalten, was ich zu thun und zu lassen habe. Seine speziellen Parteifreunde meinte ich nicht, auch nicht die Abgg. Speiser und Ehni, von denen ich wohl weiß, daß sie zu spät gekommen sind. Ich meinte andere Mitglieder der Linken; ich könnte Namen nennen, Si⸗ . 9 vn hat 1 bg. Benoit (fr. Vgg.) erklärt, daß seine Parteigenossen sämmt⸗ lich bei der Auszählung zugegen gewesen sein.
— Schluß nach 6 ½ Uhr. Nächste Sitzung Montag 12 Uhr (Servistarif, Handwerkervorlage und Novelle, betreffend die
fort eine solche Enaucte angestellt werden wird. “
Herrenhaus. 8 15. Sitzung vom 22. Mai 1897.
4. den ersten Theil der Sitzung ist vorgestern berichtet worden.
Es folgt die Berathung des Entwurfs einer Städte⸗ ordnung und einer Landgemeindeordnung für die Provinz Hessen⸗Nassau auf Grund des Berichts der ver⸗ stärkten Kommunalkommission. Dieselbe hat die Fassung des Abgeordnetenhauses hinsichtlich der Städteordnung acceptiert, den § 45 der Landgemeindeordnung dagegen dahin geändert, daß in den Landgemeinden durch Ortsstatut ein kollFialischer Gemeindevorstand gebildet werden kann; nach dem Beschlusse des anderen Hauses sollte die Bildung eines solchen in Land⸗ gemeinden von 500 Einwohnern und darüber die Regel und eine Abweichung davon nur auf wiederholten Antrag der Ge⸗ meindevertretung zulässig sein.
Der Referent, Ober⸗Bürgermeister von Ibell⸗Wiesbaden, weist auf die einschneidende Aenderung hin, welche das Gemeinde⸗ wahlrecht in Hessen durch die Einführung des Dreiklassen⸗Wahl⸗ systems erleide. Die zablreichen Petitionen aus Hessen⸗Nassau, welche sich für die Aufrechterhaltung des Wahlsystems nach der alten kur⸗ hessischen Gemeindeordnung aussprechen, habe die Kommission indeß nicht berücksichtigen zu sollen geglaubt. Fünfzig Petitionen seien aus dem Nassauischen gegen die Beseitigung des kollegialischen Gemeinde⸗ vorstandes eingelaufen. Die Kommission habe die Bezugnahme auf eine besticmte Seelenzahl ganz beseitigt und die Möglichkeit der Einrichtung eines kollegialischen Gemeindevorstandes durch die Ver⸗ weisung auf ein eventuell zu erlassendes Ortsstatut offen gelassen.
In der Generaldiskussion erklärt
Landgraf Alexis von Hessen, daß er die Beseitigung des alten Wahlsystems in Uebereinstimmung mit der bessischen Bevölke⸗ rung aufs höchste bedauere, besonders da das Dreiklassenwahlsystem in den anderen neuen Provinzen auch bisher nicht zar Einführung gelanat sei.
Ober⸗Bürgermeister Westerburg⸗Cassel erkennt willig die Vorzüge an, wesche die neue Ordnung vor der alten bessischen Gesetz⸗
ebung von 1834 habe, hat aber gleichfalls Bedenken gegen das Drei⸗ lassenwahlsystem, welches jetzt die Kurhessen beglücken solle. Die Ueberraschung darüber in Hessen sei auch bei der Staatsregierung so unangenehm empfunden worden, daß in dem ersten, vor zwei Jahren dem Provinzial⸗Landtage zur Begutachtung vorgelegten Entwurf von einer so radikalen Umwälzung Abstand genommen worden sei. In⸗ zwischen habe sich die Situation geändert, und jetzt sei von Aussicht auf Erfolg keine Rede mehr für den, der sich um die Aufrechterhaltung des Alten bemühen wollte. Dennoch wolle er, wenn auch mit einer gewissen Resignation, für die im übrigen unleugbare Fortschritte bringenden Vorlagen stimmen, in der Hoffnung, daß das Dreiklassen⸗ wahlsystem baldigst eine Reform erfahren werde.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Ich bitte, mit wenigen Worten dem Herrn Ober⸗Bürgermeister Westerburg entgegnen zu dürfen. Der Herr Vorredner hat mich durch seine Ausführungen der Nothwendigkeit enthoben, das Bedürfniß der Neuregelung der Gemeindeverhältnisse in der Provinz Hessen⸗ Nassau hier noch eingehender darzulegen. Er hat selbst darauf hingewiesen, daß namentlich auch die Vielgestaltig⸗ keit der Gesetzgebung in der Provinz darauf hindränge, eine einheitliche Ordnung der Gemeindeverhältnisse eintreten zu lassen. Er ist auch, wie er zu meiner Befriedigung des näheren ausgeführt hat, mit der Regelung im wesentlichen vollständig einverstanden. Nur be⸗ dauert er, daß für die Gemeindewahlen das Dreiklassen⸗Wahlsstem gewählt sei. Ich muß meinerseits bedauern, seitens der Königlichen Staatsregierung
wahlen in Hessen⸗Nassan als einen der wesentlichsten Bestandtheile dieses Gesetzentwurfs betrachtet. Es ist richtig, daß, wie der Herr Vorredner ausgeführt hat, in dem ersten. vor einigen Jahren dem Pro⸗ vinzial⸗Landtage vorgelegten Entwurf eine verschiedenartige Regelung de Gemeindewahlen für den Regierungsbezirk Wiesbaden und für de Regierungsbezirk Cassel in Aussicht genommen war. Die Staats⸗ regierung hatte sich mit schwerem Herzen hierzu entschlossen, weil nach den damals erstatteten Berichten kaum anzu nehmen war, daß man sich seitens des Provinzial⸗ Landtage der Zustimmung zu einer gemeinsamen Regelung für beid Regierungsbezirke versehen könne. Die Königliche Staatsregierun hat sich, wie ich hier offen bekenne, getäuscht. Der Provinzial Landtag hat meines Erachtens sehr verständiger Weise hervorgehoben daß eine verschiedenartige Regelung des Wahlrechts für die beide Regierungsbezirke nicht zweckmäßig sei, und hat derjenigen Rege G lung zugestimmt, welche sich bereits in dem Regierungsbezirk Wiesbaden vorfand, nämlich dem Dreiklassen⸗Wahlsystem. Die demnächst ausgearbeitete Vorlage hat diesen Vorschlag acceptiert und wir haben deshalb dem Landtage einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem das Dreiklassen⸗Wahlsystem einheitlich für die ganze Provinz 8 Hessen⸗Nassau in Aussicht genommen ist. Es hat die König liche Staatsregierung dazu auch die Erwägung geführt, da es das Dreiklassen⸗Wahlsystem ist, welches in dem aller größten Theile der preußischen Monarchie bereits für die Gemeinde wahlen eingeführt worden ist, und es ist ferner in Betracht gezogen worden, daß sowohl in den westlichen Theilen der Monarchie als auch in den an die Provinz Hessen⸗Nassau angrenzenden, nichtpreußischen Gebietstheilen das Dreiklassen⸗Wahlsystem sich bisher wohl bewährt habe. Andererseits kann nicht anerkannt werden, daß etwa die speziellen Verhältnisse der Provinz Hessen⸗Nassau eine ander Regelung dringend erheischen. Ich bitte Sie daher, meine Herren in gleicher Weise wie das Abgeordnetenhaus das Dreiklassen⸗Wahl system für die Gemeindewahlen in der Provinz Hessen⸗Nassau auch Ihrerseits gutzuheißen.
Freiherr von der Malsburg hält die Einführung des Drei⸗ klassen⸗Wahlsystems für werthvoll, da es dem Vordringen der Sozial⸗ demokratie entgegenzuwirken geeignet sei, und empfiehlt deshalb die Regierungsvorlage.
Damit schließt die Generaldiskussion. In der Spezial⸗ diskussion wird der Entwurf einer Städteordnung bis § 60 inkl. ohne wesentliche Debatte erledigt. 8 8 Bei § 61 (Geschäfte des Magitrate) richter 18 Ober⸗Bürgermeister Zelle⸗Berlin an den Minister die Bitte, die für efenriühe bezüglich der Anstellung der Gemeindebeamten nachgelassene Erleichterung auch den übrigen Provinzen zu theil werden zu lassen. Nach § 61 Nr. 6 des Entwurfs habe zwar auch die An⸗ stellung der nicht lediglich zu vorübergehenden Dienstleistungen be⸗- rufenen Gemeindebeamten auf Lebenszeit zu erfolgen, aber es sei der Passus hinzugefügt: „Abweichungen von diesem Grundsatz können durch Ortsstatut oder in einzelnen Fällen mit Genehmigung der Auf⸗ sichtsbehörde festgesetzt werden.“ iese Erleichterung würde spezie auch für die große Berliner Kommunalverwaltung einen großen Fort⸗
schritt bedeuten. 111“
ihm ein Entgegenkommen in dieser Beziehung nicht in Aussicht stellen zu können, weil sie das Dreiklassen⸗Wahlsystem für die Gemeinde:
zweite Beil age um Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußi
Berlin, Montag, den 24. Mai
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Eine gleiche Frage ist an mich auch schon gelegentlich der Kommissionsverhandlungen gerichtet worden. Ich er⸗ laube mir, auf Seite 6 des Kommissionsberichts hinzuweisen. Ich habe damals erklärt, daß ich zwar ein ausdrückliches Versprechen nach dieser Richtung hin nicht abgeben könne, — ich halte es überhaupt nicht für opportun, Gesetzesvorlagen bestimmt in Aussicht zu stellen — (Bravol und Heiterkeit), daß ich aber allerdings die Absicht hege, eine Regelung der Anstellungsverhältnisse und der Reliktenversorgung der Gemeindebeamten (Bravol) herbeizuführen, und zwar für den ganzen Umfang der Monarchie (Bravol), soweit sich dies als erforderlich herausstellt. Ich habe aber damals schon ausdrücklich betont, daß ich es nicht für zweckmäßig halten würde, Eines ohne das Andere zu thun. Meines Erachtens müssen diese beiden Fragen — Anstellung der Gemeinde⸗ beamten und Reliktenversorgung — gemeinschaftlich in einem Gesetze erledigt werden. 3
Ich glaube, daß es dem Herrn Ober⸗Bürgermeister Zelle genügen wird, wenn ich diese meine in der Kommissionsverbandlung abgegebene Erklärung hier noch ausdrücklich bestätige. (Bravo!)
Ober⸗Bürgermeister Dr. Lentze⸗Mühlhausen schließt sich unter Anführung einiger Streitfälle aus der Praxis seiner Verwaltung dem Wunsch des Herrn Zelle an, ebenso Ober⸗Bürgermeister Schmieding⸗ Dortmund, der noch auf die die Stadt schwer belastende Judikatur des F — der Qualifikation der Gemeinde⸗
ellten als Beamte hinweist. e wird genehmigt, desgleichen §§ 62 — 68. Der Rest des ghes wird auf Antrag des Freiherrn von Man⸗ teuffel en bloc angenommen. In der Gesammtabstimmung wird die Städteordnung ein⸗
stimmig angenommen. “ Auch die Landgemeindeordnung wird in der Kommissions⸗
fassung en bloc einstimmig angenommen. 18
Da § 45 geändert ist, muß die Landgemeindeordnung an das Abgeordnetenhaus zurückgehen. 1
Die eingegangenen Petitionen werden durch die Beschluß⸗ fassung für erledigt erklärt. 1
Die Petition des Schriftstellers H. Rousseau in Charlotten⸗ burg um Aussetzung der Beschlußfassung über den Gesetzentwurf, betreffend die Regelung der Richtergehälter, bis zur Vornahme einer außerordentlichen Geschäftsrevision im Bezirk des König⸗ lichen Kammergerichts unter Theilnahme einer parlamentarischen Untersuchungskommission daraufhin, ob und wie weit die Ge⸗ richte es verstanden haben, durch systematische Fehlsprüche in allen Instanzen die Einkommensverhältnisse der Juristen zu verbessern, wird als zur Erörterung im Plenum nicht geeignet erachtet. .
Gesetzentwurf, betreffend die Regelung der
Richtergehälter, beantragt namens der Finanzkommission Professor Dr. Dambach unverändert anzunehmen.
Nach einem sehr ausführlichen Vortrage des Referenten wird die Vorlage ohne Debatte einstimmig genehmigt.
Schluß nach 4 Uhr. Nächste Sitzung Montag 12 Uhr. (Kleinere Vorlagen; Nachforderung für den Dortmund⸗Ems⸗ Kanal.)
8
Haus der Abgeordneten. ͤTbai 1890n. Ueber den Beginn der Sitzung ist vorgestern berichtet worden.
Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffend den Erwerb von Theilen des Aachen⸗Mastrichter Eäserbahnugternehmens durch den preußischen Staat.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Ich möchte bitten, mir zu gestatten, außerhalb der Tagesordnung einige Mittheilungen dem hohen Hause zu machen, gleichwie das gestern im Herrenhause von mir geschehen ist, über den schweren, höchst bedauerlichen Unfall, der einem Militär⸗Sonderzuge in der Eifel in der Nacht vom 18. auf den 19. d. M. zugestoßen ist.
Meine Herren, ich stütze mich dabei auf einen mir gestern zugegangenen Bericht des von mir sofort nach Bekanntwerden des Unfalls an Ort und Stelle gesandten Kommissars. Das Reichs⸗ Eisenbahnamt hat ebenfalls einen Kommissar dahin geschickt, und die Gerichte haben auch sofort die Untersuchung der Ursache des Unfalls in die Hand genommen.
Der verunglückte Zug bestand aus einer Personenzug⸗Lokomotive, Packwagen und 32 Personenwagen. Die Personenzug⸗Lokomotive wurde auf der letzten Station, auf der der Zug gehalten hat, in Jünkerath an den Zug gelegt. Den Vorschriften entsprechend war der Zug mit 6 Bremsern besetzt, die regelmäßig über den Zug auch vertheilt sind, sodaß in dieser Beziehung den Vorschriften der Betriebsordnung voll⸗ ständig entsprochen war. Daneben waren aber auch auf der Loko⸗ motive und an den Pack⸗ und Personenwagen die Einrichtungen für Luftdruckbremse vorhanden; es hätte also auch die Luftdruckbremse vollständig ihre Wirkung auf den ganzen Zug ausüben können. Allem Anscheine nach ist indessen in Jünkerath die Luftdruckbremse nicht für den ganzen Zug in Thätigkeit gesetzt, oder vielmehr es sind die Ver⸗ bindungen für die Luftdruckbremse nicht auf den ganzen Zug erstreckt worden, sondern nur auf den vorderen Theil desselben. Ob das, wie wahrscheinlich, wirklich der Fall gewesen ist, muß allerdings erst durch die naͤhere Untersuchung festgestellt werden.
Der Unfall wurde zunächst verschuldet durch eine Zug⸗ trennung, die zwischen dem 13. und 14. Personenwagen ein⸗ trat, vermuthlich bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof Hilles⸗ heim. Der Zug hatte nach Passieren der Scheitelstrecke den Bahnhof Hillesheim fahrplanmäßig zu durchfahren; der Bahnhof liegt in der Horizontale, dicht hinter der Horizontale be⸗ ginnt eine kurze Gefällstrecke im Gefälle von 1:140. Vermuthlich ist nun die Zugtrennung erfolgt, nachdem der vordere Theil des Zuges in das Gefälle hineinpassiert ist, der hintere Theil aber noch auf der
Horizontale war. Daß der Zug in Hlllesheim noch vollständig un⸗ getrennt war, ist von den beiden Stationsbeamten, dem Stations⸗ vorsteher und seinem Assistenten, welche den Zug haben vorbeipassieren lassen, noch konstatiert worden. Dahingegen hat der nächste Wärter, der 2,2 km von der Ausgangsweiche stationiert war, bereits die Zugtrennung wahrgenommen, ebenso die darauf folgenden Wärter. Die drei Wärter, die hier in Betracht kommen, haben sämmtlich das Nothsignal gegeben; dasselbe ist aber von dem abgetrennten hinteren Zugtheil ebensowenig wie von dem vorderen Zugtheil aufgenommen worden. Die Erklärung besteht voraussichtlich darin, daß ein außerordentlich dichter Nebel in der Nacht dort an Ort und Stelle gewesen ist.
Inzwischen hatte man auf dem vorderen Zugtheil, und wahr⸗ scheinlich im letzten Wagen, die Bemerkung gemacht, daß mit dem Zuge irgend etwas vorgegangen sein müsse, daß wahrscheinlich eine Zugtrennung stattgefunden habe. Man bemühte sich, mit dem Lokomotivführer und dem Zugführer in Verbindung zu kommen, das gelang auch, und es wurde der vordere Zugtheil arretiert. Der trans⸗ portführende Offizier sorgte dafür, daß sofort die Mannschaften ausstiegen.
Der vordere Zugtheil war schon im Gefälle, als die Zugtrennung stattfand, war also in ein verhältnißmäßig rascheres Tempo gekommen und hatte einen Vorsprung vor dem zweiten Zugtheil genommen. Der zweite Zugtheil hatte, voraussichtlich, noch einen Theil der Horizontale zu durchlaufen, kam dann erst ins Gefälle und allmählich in eine raschere Fahrt. Nachdem nun der vordere Zugtheil zum Stehen gebracht war und die meisten der Insassen, namentlich der letzten Wagen, aus dem vorderen Theile ausgestiegen waren, erfolgte die Katastrophe: Der getrennte hintere Zugtheil stieß auf den vorderen Zugtheil, es wurden 3 Wagen vollständig zer⸗ trümmert, 4 Wagen entgleisten und wurden auch zum theil zertrümmert, eine sehr erhebliche Zahl der Insassen dieser Wagen, Reservisten, zumeist aus Barmen und Elberfeld, die den elsaß⸗lothringischen Regimentern zugeführt werden sollten, wurden getödtet, schwer oder leicht verwundet. Trotz der Nachtzeit und der schwach bevölkerten Gegend dort oben auf der Scheitelstrecke der Eifel gelang es doch, durch zweckmäßige und wohlüberlegte An⸗ ordnungen seitens der Beamten und der Offiziere in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit Hilfe herbeizuschaffen. Die Zuglokomotive wurde ab⸗ gehängt, der transportführende Offizier fuhr mit der Zuglokomotive nach Gerolstein, es wurden durch den Bahnmeister und Stations⸗ vorsteher die beiden dort domizilierten Aerzte und auch noch eine An⸗ zahl von Bewohnern von Gerolstein, die sich sofort zur Hilfeleistung bereit erklärten, alarmiert und in aller Eile einige Tragbahren zu⸗ sammengezimmert, das nöthige Verbandszeug, Rettungskasten u. s. w. herbeigeschafft, und nach verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit die Aerzte mit dem Verbandszeug und dem sonstigen Material zur Verpflegung und Verbindung der Verwundeten der Unfallstelle zugeführt. Etwas später, um 1 Uhr, trafen denn auch mit Sonderzug die telegraphisch herbeigerufenen Aerzte aus Jünkerath und Hillesheim wiederum nebst Tragbahren und Hilfskräften ein, und gegen 4 Uhr Morgens kam von Trier, ebenfalls mit Sonderzug, der Betriebsinspektor der Strecke mit weiteren drei Aerzten und ebenfalls dem nöthigen Hilfs⸗ material, sodaß wenigstens die Beruhigung und der allerdings nur schwache Trost besteht, daß ärztliche Hilfe und sonstige Fürsorge für die Verunglückten verhältnißmäßig sehr rasch an Ort und Stelle war; dadurch wurde es auch möglich, die Verletzten rasch in die Lazarethe und Krankenhäuser von Trier zu bringen, sodaß die definitiven Ver⸗ bände wohl sämmtlich bereits im Laufe des folgenden Tages angelegt waren. Getödtet sind 1 Bremser und 9 Reservisten, schwer verletzt 1 Bremser, 16 Reservisten, sowie 2 Soldaten; leichter verletzt, aber doch in ärztlicher Behandlung ist der Zugführer, 19 Reservisten und 1 Soldat — zusammen also 40 Verletzte. Bei den Truppentheilen sind voraussichtlich auch noch eine Anzahl von ganz leicht verletzten Reservisten und Soldaten vorhanden gewesen, deren Verletzungen aber nicht so waren, daß sie nicht in ihre Garnisonen hätten mit⸗ reisen können. Man kann sich ja der Besorgniß nicht erwehren, daß sich vielleicht nachträglich unter diesen Leuten noch der eine oder andere finden wird, der irgend eine innere Verletzung davongetragen hat. Jedenfalls ist der von so überaus traurigen Folgen begleitete Unfall der schwerste, der die Staatseisenbahnverwaltung seit Dezennien betroffen hat, und so recht geeignet, eine Mahnung zu bilden gegen⸗ über der latenten Gefahr, die bei dem Eisenbahnbetrieb stets vor⸗ handen ist, aber auch zur Mahnung zu dienen, nichts zu versäumen, was irgendwie dazu beitragen kann, diese latente Gefahr abzuwenden oder zu mildern. Das hohe Haus möge vertrauen, daß die Staatseisenbahnverwaltung in dieser Richtung mit der äußersten Vorsicht, aber auch mit Strenge diejenigen Wege einschlagen wird, die in dieser Beziehung zum Ziele führen können.
Meine Herren, ich darf mich dann wohl zu dem Gegenstande der Tagesordnung wenden. Der vorgelegte Gesetzentwurf bezweckt den Erwerb eines Theils einer Privatbahn und zwar desjenigen Theils der Aachen⸗Mastrichter Bahn, welcher im diesseitigen Staatsgebiet liegt. Veranlaßt ist diese Verstaatlichung dadurch, daß der belgische Staat eine Reihe von Privatbahnen z. Z. verstaatlicht, unter denen sich insbesondere die große Belgische Zentralbahn befindet. Die Belgische Zentralbahn steht in einem Vertragsverhältniß mit der Aachen⸗Mastrichter Bahn, kraft dessen die große Belgische Zentral⸗ bahn ihrerseits den Betrieb auf der Aachen⸗Mastrichter Bahn ausübt.
Die Rechtsverhältnisse dieses Theils der Aachen⸗Mastrichter Bahn liegen, wie die Herren wohl schon aus dem umfangreichen Material, welches dem Gesetzentwurf beigefügt worden ist, ersehen haben, außer⸗ ordentlich verwickelt und schwierig. Es gehört ein sehr eingehendes und langwieriges Studium dazu, um über die Verhältnisse, die hüben und drüben bestehen, und die sich durch die verschiedensten Verträge zwischen den früheren Privat⸗Eisenbahngesellschaften und zwischen ihnen und den betheiligten Staaten allmählich entwickelt haben, klar zu werden.
Diese Verhältnisse isind nach der Ueberzeugung der Staatsvaglerung,
die sie schon längst gewonnen hat, auf die Dauer unhaltbar geworden. Die Staatseisenbahnverwaltung konnte es daher mit Freuden be⸗ grüßen, als durch die Verstaatlichungsaktion des belgischen Staats gegen die Belgische Zentralbahn bezw. gegen die Aachen⸗Mastrichter Bahn sich die Gelegenheit für die diesseitige Regierung bot, auch ihrerseits Ordnung in die Verhältnisse hereinzubringen. Ins⸗ besondere war die preußische Staatseisenbahnverwaltung, solange das Verhältniß zwischen der Aachen⸗Mastrichter Bahn und der großen Bel⸗ gischen Zentralbahn bestand, vollständig außer stande, die immer un⸗ erträglicher werdenden, sowohl für das Publikum wie für die Staats⸗ eisenbahnverwaltung unhaltbaren Zustände auf dem Aachener Bahn⸗ hof zu bessern.
Meine Herren, wie sehr der preußischen Staatseisenbahnverwal⸗ tung gerade diese Sache am Herzen lag, haben Sie vielleicht aus früheren Erörterungen dieser Angelegenheit im hohen Hause ent⸗ nommen. Es geht aber meines Erachtens noch viel klarer aus dem Umstande hervor, daß die preußische Staatseisenbahnverwaltung so fort den Moment ergriffen hat und gleichzeitig mit dieser Vorlage in einem Nachtrags⸗Etatsentwurf, der heute auch zur Berathung steht, den Umbau des Bahnbofes Aachen vorschlägt. Meine Herren, ich empfehle Ihnen dringend, diese Verstaatlichung, die nach der Ueberzeugung der Staatsregierung nach jeder Richtung für das preußische Interesse vor⸗ theilhaft ist, zu genehmigen.
Wie gesagt, hängt der zweite Gegenstand, der Nachtrags⸗Etat, mit dieser Verstaatlichung durch den Umbau des Bahnhofs Aachen zusammen. Es ist aber auch gleichzeitig, da ein Nachtrags⸗Etat scho aus diesem Grunde nothwendig war, weitergegriffen und sind zwei weitere Bahnhöfe in den Nachtrags⸗Etat einbezogen worden, die hier vielfach mit außerordentlicher Wärme der Staats⸗ eisenbahnverwaltung ans Herz gelegt sind und bezüglich deren verzögerten Umbaues die Staatsregierung vielfach Vorwürfe in diesem hohen Hause hat anhören müssen. Es ist von einem latenten Defizit, wenn ich nicht irre, vom Abg. Schmieding ge⸗ sprochen worden, und hat dieser Ausdruck im hohen Hause ja auch seiner Zeit Zustimmung gefunden. Ein großer Theil dieses latente . Defizits würde mit Genehmigung des Nachtrags⸗Etats verschwinden; ich möchte daher auch diesen Ihrem Wohlwollen dringend empfehle
Vize⸗Prã Dr. Krause: laube im Sinne des Hauses zu e ich “ ö“ über diesen ece dhaner 3 unfall ausdrücke und das tiefste Mitleid und Mitgefühl mit den Ver unglückten und ihren Familien ausspreche. (Zustimmung auf a Seiten des Hauses.)
Die Vorlage wird der Budgetkommission überwiesen. 8
Hierauf folgt die erste Berathung des Nachtrags⸗Etat für 1897/98. “ Finanz⸗Minister Dr. von Miquel
Meine Herren! Ich ergreife bei der Einfachheit der Sache das Wort nur, um mich gewissermaßen dagegen zu decken, als wenn ma leichten Herzens den Nachtrags⸗Etat hier vorgelegt hätte. Das hoh Haus weiß, daß ich ein großer Gegner von allen Nachtrags⸗Etat und keineswegs geneigt bin, die Sitte, Nachtrags⸗Etats einzureichen einreißen zu lassen. Aber in dem vorliegenden Falle waren doch dringende Gründe vorhanden, von diesem unbedingt festzuhaltenden Grundsatz, Nachtrags⸗Etats möglichst zu vermeiden, eine Ausnahme; machen. Es kommt hier in Betracht, daß die Bahnhofsumbauten nicht frühe etatisiert werden konnten im Haupt⸗Etat, weil die Verhandlungen mi den betreffenden Städten über die von denselben zu leistenden Bei träge noch nicht zu Ende gekommen waren. Es sind ja imme schwierige Verhandlungen; wo die Stadtverordneten mitwirken, da kann man den Zeitpunkt, zu welchem die Verhandlungen beendet sein werden, nicht so genau bestimmen. Nachdem sie nun aber noch inner halb der Etatsverhandlungen zum Abschluß gekommen waren, kam in
Betracht, daß die, Städte dringend wünschten, daß kein Baujahr 8
länger verloren werde. Es wurde in allen diesen Fällen eine besondere Dringlichkeit der Bahnhofsgestaltungen von den Städten behauptet und die Verhandlungen mit den Städten konnten nur erleichtert werden wenn wir ihnen zusichern konnten, noch in diesem Etatsjahr mit dem Umbau der betreffenden Bahnhöfe zu beginnen. Es waren also be sondere Momente, die im vorliegenden Falle es rathsam erscheinen ließen, einen solchen Nachtrags⸗Etat einzubringen. Die betreffenden Ausgaben, die durch diesen Nachtrags⸗Etat auf den Etat gebracht werden, beziffern sich auf über 1 Milliion. Die betreffenden Mittel haben wir gewonnen schon aus unserm Etat selbst, ohne daß also durch den Nachtrags ⸗Etat die Gesammtziffern des Haupt⸗Etats oder die Abschlußziffern sich ändern werden. Einmal haben wir im Kapitel 37 a 224 560 ℳ streichen können — das ist bekanntlich der sogenannte weiße Titel, aber er war um diesen Betrag durch Abstriche, welche im Haupt⸗Etat in den Ausgaben seitens des hohen Hauses stattgefunden haben, bis auf diesen Betrag gefüllt. Außerdem haben wir die unter den ordentlichen außerordentlichen Ausgaben des Haupt⸗Etats, des all- gemeinen Etats veranschlagten 500 000 ℳ für den Kauf des Simon sschen Grundstücks am Zeughause fallen lassen können, weil wir in der 8 Zwischenzeit, nachdem sich namentlich herausgestellt bat, daß die in Aussicht genommene Verwendung dieses Hauses für die Unterkunft des Zivilkabinets doch nicht zweckmäßig und vielleicht überhaupt nicht thunlich war und nachdem ein Theil von diesem Grundstück für das Zeughaus verwendet war, Gelegenheit hatten, dasselbe weiter zu ver⸗ kaufen für denselben Preis, für welchen wir es erworben hatten, an die Zentralgenossenschaftskasse, die dadurch ein sehr gerignetes, gut ge⸗ legenes und im Verhältniß zu den Miethobeträgen, die heute die Zentralgenossenschaftskasse zu zahlen hat, auch nicht theures Lokal bekommt.
Auf die Weise ist also die Million beglichen und die Hauptziffern des Etats ändern sich nicht. Ich würde ditten, daß das dode Haus dem Nachtrags⸗Etat sich anschließt, natürlich, nachdem derselbe durch die Kommission geprüft ist.
Abg. Dr. Sattler (nl.): Unsere Bahndosseinrichtungen müssen so 8 werden. 88 Unglücksfälle nach Moͤglichkeit vermieden