Sitzung wieder, verwies bezüglich des Vorgehens des Präsidiums unter stürmischem Widerspruch der Linken auf einen Präzedenz⸗ fall und wollte sodann über den Antrag Funke auf Verlesung einer Petition namentlich abstimmen laßses was durch furcht⸗ baren Tumult links und Aufschlagen auf die Pulte verhindert wurde. Der Tumult dauerte an, bis der Vize⸗Präsident die Verhandlung abbrach.
Deutschnationale Studenten machten gestern den Versuch, trotz des von der Polizei ergangenen Verbots, eine Protestversammlun gegen die Sprachenverord⸗ nungen abzuhalten. Von der Polizei daran gehindert, zogen die Studenten lärmend vor das Parlamentsgebäude. Die Polizei verwehrte ihnen indessen das Eindringen in das Ge⸗ bäude. Die Studenten zogen nunmehr vor die Universität, wo sie eine Stunde lang lärmten und pfiffen. Späterhin gingen sie ruhig auseinander.
Von den beiden durch die griechische aufgebrachten Dampfern des österreichischen Lloyd ist der eine, der „Ettore“, gestern in Triest eingetroffen, während der zweite, die „Minerva“, sich auf dem Wege Saloniki nach dem Piräus befindet. 8
Großbritannien und Irland. Ddie Königin hat sich am 22. d. M. von Windsor nach Balmoral begeben.
Im Oberhause erklärte gestern der Premier⸗Minister Lord Salisbury, daß die Regierung die vielen Schwierig⸗ keiten, betreffend die gegenwärtige Stellung der Niger⸗Ge⸗ sellschaft infolge der Berührung mit benachbarten Mächten, deren Gebiete nicht genügend scharf abgegrenzt seien, an⸗ erkenne. Er halte einen unmittelbaren Einfluß der Regierung für erwünscht. Der Gegenstand werde sorgsam erwogen, aber er könne noch nicht sagen, welches Verfahren die Regierung beschließen werde. — Im Unterhause machte der Parlaments⸗Sekretär des Auswärtigen Curzon die Mit⸗ theilung, die Mächte seien darin einig, daß Kreta vollständige Autonomie unter der Suzeränetät des Sultans genießen solle; die Einzelheiten des Projektes befänden sich in Erwägung. Der Waffenstillstand zwischen Griechen und Türken sei auf dem Hügel von Taratsa bei Lamia am 20. d. M. unter⸗ zeichnet worden und habe an demselben Tage Nachmittags 3 ⁴ Uhr begonnen. Die beiderseitigen Truppen würden die von ihnen besetzten vorgeschobenen Posten innebehalten; Flanken⸗ ö seien verboten. Die neutrale Zone sei am 22. d. M. festgesetzt worden. Ueber die Dauer des Waffen⸗ stillstandes sei nichts erwähnt; der türkische Oberbefehlshaber in Thessalien sei der Ansicht, daß der Abschluß als auf 15 Tage erfolgt anzusehen sei. 16— &
Frankreich. Der Staatssekretär der Südafrikanischen Republik Dr. Leyds wurde, dem „W. T. B.“ zufolge, gestern Nachmittag von dem Minister des Aeußern Hanotaux empfangen. Eine Note des Ministeriums des Auswärtigen besagt, die britischen Unterthanen in Madagaskar ständen
künftig unter französischer Gerichtsbarkeit.
Die Gruppe der Regierungs⸗Republikaner beauftragte ihren Obmann, den Deputirten Marty, mit dem Minister⸗ Präsidenten in Betreff der unter den Mohamedanern in Algerien herrschenden, durch die jüngsten türkischen Siege hervorgerufenen Erregungen zu konferieren.
8 Spanien. “
Auf eine in der gestrigen Sitzung des Senats gestellte Anfrage bezüglich des Beschlusses der liberalen Senatoren und Deputirten, den Parlamentssitzungen fernzubleiben, bis ihnen eine Genugthuung für die Beleidigung des Senators Comas gegeben sei, erklärte, dem „W. T. B.“ zufolge, der Minister⸗ Präsident Canovas del Castillo: Die Entlassung eines Ministers zu fordern sei gegen die Verfassung. Er habe früher die Regierung geführt, obgleich die Minorität den Parlamentssitzungen ferngeblieben sei, jetzt sei dies indessen unmöglich. Alle Parteien müßten an der Ver⸗ antwortlichkeit für die Entschließungen der Regierung theil⸗ nehmen. Der Senator Perale kündigte namens der konser⸗ vativen Dissidenten an, seine Partei werde den parlamentarischen Arbeiten solange fernbleiben, bis die Liberalen eine Genug⸗ thuung erhalten haben würden.
Eine gleiche Erklärung wie die obige gab der Minister⸗ Präsident in der Deputirtenkammer ab und fügte hinzu: derartige Vorgänge riefen einen mißlichen Eindruck in Washington hervor, wo man sogar annehme, daß Spanien fähig sei, seine Ehre zu verkaufen, indem es Cuba abtrete.
Nach der Sitzung der Deputirtenkammer fand eine Ver⸗ sammlung der konservativen Dissidenten statt, in welcher be⸗ schlossen wurde, den Präsidenten der Deputirtenkammer auf⸗ zufordern, bei Sagasta Schritte zu thun, um die Nichttheilnahme der Liberalen an den parlamentarischen Arbeiten zu beseitigen.
8 Türkei. 8 Die Botschafter unternahmen, wie „W. T. B.“ aus Konstantinopel meldet, vorgestern und gestern gemeinschaftliche Schritte wegen der Beschlagnahme des griechischen Handels⸗ schiffes „Artemisia“ in den Dardanellen sowie wegen der Fest⸗ etzung des Termins der Ausweisung der griechischen Unter⸗ thanen in den Provinzen.
Nach einer Depesche Edhem Pascha’'s an den Kriegs⸗ Minister wurden in Larissa, Volo, Pharsala und Do⸗ moko insgesammt 17 Geschütze, 34 318 Geschützgeschosse, 95 Munitionswagen, 96 Trainwagen, 3169 Gewehre, be1ö,- e. Gewehrmunition und fonftiges Kriegsmaterial erbeutet.
Die Führer der Insurgenten auf Kreta beauftragten den nach Athen zurückkehrenden griechischen Obersten Staikos, der griechischen Regierung ein Schriftstück zuzustellen, in welchem es heißt, daß die Kreter selbst nach dem Abzug der griechischen Truppen entschlossen seien, mit allen Mitteln auf
ie Vereinigung mit dem Mutterlande hinzuwirken. Indessen
würden sie sich, ehe sie irgend eine Entscheidung träfen, an die griechische Regierung wenden, um Instruktionen zu er⸗ halten, die den nationalen Interessen entsprächen.
Griechenland.
Der „Standard“ meldet aus Athen: Die Regierung habe wegen des Vorschlags Edhem Paschas, die “ verhandlungen direkt mit Griechenland zu führen, eine Verbal⸗ note an die Mächte gerichtet. Sie gebe darin den Mächten die Versicherung, daß sie weder den Wunsch noch die Absicht habe, direkt mit der Pforte zu verhandeln, und bitte die Mächte dringend, den Lauf der Verhandlungen zu beschleunigen, da
die Türken mit der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten drohten.
“ Montenegro. Der Fürst empfing gestern, wie „W. T. B.“ aus Cetinje meldet, einen Adjutanten des Sultans, der ihm ein persönliches Handschreiben des Sultans überbrachte, mit
dem türkischen Gesandten zusammen in feierlicher Audienz.
Dänemark.
Im Folkething brachte, wie „W. T. B.“ meldet, der inanz⸗Minister Hörring gestern eine Vorlage, betreffend die erlängerung des interimistischen Finanzgesetzes auf zwei Monate, nämlich bis zum 31. Juli d. J., ein. Gleichzeitig theilte der Minister mit, daß er in nächster Zeit eine neue Budgetvorlage einbringen werde. 1
Afrika.
Niach einer Meldung der „Agence Havas“ aus Prätoria erschien der Präsident Krüger gestern früh in der Sitzung des Volksraad und ersuchte die Versammlung, sich zu Ehren des Geburtstages der Königin von Großbritannien zu ver⸗ tagen. Der Volksraad leistete dem Wunsche des Präsidenten ohne Erörterung Folge.
Die Staatseinnahmen der Südafrikanischen Sh im Jahre 1896 weisen einen Mehrbetrag von 1 300 000 Pfd. Sterl. gegenüber dem Jahre 1895 auf.
8 Parlamentarische Nachrichten.
Die Berichte über die gestrigen Sitzungen des Reichs⸗ tages, des Herrenhauses und des Hauses der Ab⸗ geordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
— In der heutigen (232.) Sitzung des Reichstages, welcher der Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher und der Staatssekretär des Reichs⸗ Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky beiwohnten, wurde die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, fortgesetzt beim § 100 1, bei welchem sich gestern die Beschlußunfähigkeit heraus⸗ gestellt hatte.
Es handelt sich darum, daß gemäß einem freisinnigen Antrage die Regierungsvorlage wieder hergestellt werden sollte, wonach bei Bildung einer Zwangs⸗Innung die bestehende Innungskasse aufgelöst werden kann, wenn deren Ausdehnung auf die Gesellen der Mitglieder der Innung das Bestehen einer Ortskrankenkasse gefährden würde.
Der Antrag wird mit 141 gegen 65 Stimmen abgelehnt.
Nach § 1000 der Vorlage sollten sowohl der Haushalts⸗ plan, als auch die nicht im Haushaltsplan vorgesehenen Aus⸗ gaben der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedürfen.
Die Kommission hat beschlossen, daß der Haushalts⸗ plan und alle Beschlüsse über Aufwendungen für nicht vor⸗
esehene Ausgaben der Aufsichtsbehörde eingereicht werden sollen; nur wenn ein Viertel der Innungs⸗Mitglieder einem solchen Beschlusse widersprochen hat, solle die Entscheidung der Behörde eintreten.
Abg. Richter (fr. Volksp.) beantragt die Wiederherstellung der Regierungsvorlage, weil der Kommissionsbeschluß keinen genügen⸗ den Schutz für die Minderheit biete.
Abg. Dr. Kropatschek (d. kons.): Sonst hieß es immer, daß der Kontrole zu viel sei in der Vorlage; jetzt wollen die Herren von der Linken die Aufsicht noch verstärken. Wir wollen die Aufsicht nicht so vermehren, daß die Innungen fast aufhören, selbstverwaltende Körperschaften zu sein.
Abg. Richter: Bei freien Innungen liegt kein Anlaß zur strengen Beaufsichtigung vor, wohl aber bei den Zwangs⸗Innungen. Das Recht des Widerspruchs für ein Viertel der Innungsmitgliever hat gar keine Bedeutung, denn es ist garnicht möglich, daß die Mit⸗ glieder so zeitig von den Beschlüssen Kenntniß erhalten, daß sie rechtzeitig Widerspruch erheben können.
Der Antrag wird abgelehnt und § 1000 genehmigt.
Nach § 100s kann die Zwangs⸗Innung wieder aufgelöst werden, wenn drei Viertel der Mitglieder sie beantragen.
Abg. Richter beantragt, daß die Mehrheit die Auflösung soll beantragen können. Wenn die Mehrheit genüge, eine Zwangs⸗Innung zu bilden, dann müsse sie auch genügen, um sie aufzulösen, und zwar ohne die Beschränkungen, welche die Kommissionsbeschlüsse ein⸗ geführt hätten.
Abg. Dr. Kropatschek: Vom Standpunkt des Vorredners ist der Antrag verständlich, aber wir wollen die Auflösung der Innungen nicht erleichtern.
Abg. Richter: Der Handels⸗Minister hat ausgeführt, daß die Innungen nicht positiv arbeiten können, wenn die Mehrheit in ihnen der Innungsarbeit feindlich gegenübersteht. Wie kann man es daher vertheidigen, daß die Zwangs⸗Innung aufrecht erhalten wird, obwohl die Mehrheit der Mitglieder von derselben nichts mehr wissen will?
§ 100s wird unverändert angenommen.
Die Vorschriften über die Innungsausschüsse werden un⸗ verändert genehmigt.
Bei den Vorschriften über die Handwerkskammern (§ 103 — 103) bemängelt
„Abg. Richter beim § 103h, daß ein Staatskommissar den Sitzungen der Handwerkskammer jederzeit beiwohnen könne und jederzeit gehört werden müsse. Von dieser Vermehrung der Aufsichts⸗ befugniß sei nichts zu erwarten.
Abg. Dr. Hitze (Zentr.) hält eine strengere Aufsicht für noth⸗ wendig, weil die Handwerkskammern die Befugniß hätten, allerlei Vorschriften über Lehrlingswesen ꝛc. zu erlassen.
Abg. Richter: Auch die Innungen können Vorschriften er⸗ lassen, also müßte bei ihnen auch ein Staatskommissar fungieren.
§ 103h wird unverändert angenommen.
Abg. Richter beantragt, eine neue Vorschrift einzufügen, wonach den Gesellen für die Vorbereitung der Wahlen zum Ge⸗ sellenausschuß für die Handwerkskammern ebenso wie den Wählern für die Reichstagswahl das Recht zustehen solle, zum Betriebe der Wahlen Vereine zu bilden und in geschlossenen Räumen öffentliche Versammlungen zu veranstalten; die Vereine könnten auch mit einander in “ treten. Eine solche Bestimmung sei nothwendig gegenüber den sehr mangelhaften Vereinsrechten, die z. B. in Mecklenburg u. s. w. beständen.
Abg. Stadthagen (Soz.) hält einen solchen Antrag für drin⸗ gend nothwendig, denn man habe schließlich alle nur denkbaren An⸗ gelegenheiten als politische bezeichnet und alle Vereine der Polizei⸗ aufsicht unterstellt.
Abg. Dr. Kxropatschek (d. kons.): Ich kann keine Analogie zwischen den Reichstagswahlen und den Wahlen zu Gesellenausschüssen anerkennen. In Reichstagswahlversammlungen kann alles Mögliche verhandelt werden; in den Gesellenversammlungen müßte doch eine Beschränkung des Verhandlungsstoffs eintreten auf die Innungs⸗ angelegenheiten. Deshalb lehne ich den Antrag heute ab.
„ Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Da ich die Tragweite des Antrags nicht übersehen kann, muß ich gegen denselben stimmen.
Bei Schluß des Blattes nahm der Abg. Richter das
“ “
— Das Herrenhaus begann in seiner heutigen (17.) Sitzung, welcher der Präsident des Staats⸗Ministeriums Fürst zu Hohenlohe, der Vize⸗Präsident des Staats⸗
inisteriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, der
Finanz⸗Minister Dr. von Miquel, der Minister der öffent⸗ lichen Arbeiten Thielen, der Minister für Landwirthschaft ꝛc.
reiherr von Hammerstein und der Minister des Innern reiherr von der Recke beiwohnten, die Berathung des taatshaushalts⸗Etats für 1897/98. General⸗Berichterstatter Graf von Königsmarck weist darauf hin, daß die Verspätung, welche in diesem Jahre die Etatsberathung erfahren, einen dreifachen Schaden im Gefolge habe. Außer dem moralischen sei ein wirthschaftlicher Schaden entstanden, der besonders bei den beabsichtigten Beamtenbesoldungsverbesserungen zu Tage trete. Der Landtag sei schon am 20. November zusammengetreten, die Regierung habe also diligentiam prästiert. Aber erst am 12. Mai habe das Herrenhaus den Etat vom anderen Hause erhalten und werde ihn in 14 Tagen zur Erledigung bringen. Die Schuld liege offenbar daran, daß die Einfügung des Besoldungsverbesserungsplans in den
Etat die rechtzeitige Ferkigstellung desselben bis zum 1. April ver⸗ hindert habe. Die Etats⸗ und Finanzkommission habe diese Meinung getheilt und überdies in der Einfügung der Besoldungsverbesserung in den Etat eine Benachtheiligung der Rechte des Herrenhauses erblickt, egen die irgendwie Stellung genommen werden müsse; denn bei Be⸗ sefhaneverbes rrrahen habe das Herrenhaus auch ein Wort mit⸗ zusprechen. Allein in diesem Jahre seien in drei besonderen Gesetzen, so z. B. im Richtergehaltsgesetz, Besoldungsverbesserungen vorgeschlagen, die also nicht den Weg durch den Etat passiert hätten. Eine feste, verfassungsmäßige Praxis bestehe in diesem Punkte nicht. Bleibe der Etat von der Belastung mit solchen schwierigen Materien frei, so sei seine rechtzeitige Fertigstellung viel wahrscheinlicher. Mit der finanziellen Gestaltung des Etats sei die Kommission außerordent⸗ lich zufrieden gewesen. 1
In der Generaldebatte wird folgender Antrag des Frei⸗
herrn von Maltzahn gleich mit eroörtert:
„Die Königliche Staatsregierung aufzufordern, das Recht der Theilnahme des Herrenhauses an der Gesetzgebung nicht durch eine unrichtige Auffassung des Artikels 62 der preußischen Verfassungs⸗ urkunde (Art. 62: Finanzgesetzentwürfe und Staatshaushalts⸗ Etats werden zuerst der Zweiten Kammer vorgelegt; letztere werden von der Ersten Kammer im Ganzen angenommen oder abgelehnt) zu beschränken, wie es gegenwärtig durch die Be⸗ handlung der Beamtenbesoldungs⸗Verbesserungen geschehen ist, die nur durch den Staatshaushalts⸗Etat statt durch Vorlegung eines besonderen Finanzgesetzentwurfs erledigt werden sollen.“
(Schluß des Blattes.)
— Auf der Tagesordnung der heutigen (91.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister für Handel und Gewerbe Brefeld beiwohnte, stand die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend Abänderungen des Gesetzes über die Handelskammern vom 24. Fe⸗ bruar 1870. b 3
Nach § 2 unterliegt die Errichtung einer Handelskammer der Genehmigung des Ministers für Handel und Gewerbe.
Abg. Cahensly (Zentr.) beantragt, hinzuzufügen:
Die Genehmigung darf nicht versagt werden für einen einer
Handelskammer voch nicht zugewiesenen Bezirk, in welchem die
veranlagte Gewerbesteuer mindestens 100 000 ℳ beträgt, sofern der
Antrag auf Errichtung einer Handelskammer von mindestens der Hälfte
der in den Handelsregistern des Bezirks eingetragenen, zur Gewerbe⸗
steuer veranlagten Firmen gestellt wird. Dies gilt auch für den Fall, daß fur — Bezirk eine besondere kaufmännische Körperschaft bereits esteht.
Der Antragsteller begründet den Antrag, indem er die Noth⸗
wendigkeit besonderer Berücksichigung der Verhältnisse betont. Die Konfektions⸗ und Lederindustrie sei z. B. nicht unter den Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft vertreten. Ddie Abgg. Reichardt und Hausmann nl.) beantragen, im Falle der Annahme dieses Antrags hinter den Worten „Firmen gestellt“ die Worte einzuschieben: „und von diesen die Hälfte der Gewerbesteuer aufgebracht“.
Abg. Reichardt (nl.) ist im Prinzip gegen den Antrag Cahensly; die besonderen Berliner Verhältnisse genügten ihm nicht zur Motivierung dieses Antrags. Eine bestehende kaufmännische Körperschaft würde dadurch beseitigt werden. Die Gesammtheit könne sich nicht dem Willen der einen Hälfte fügen. Sein Antrag schwäche den Antrag des Abg. Cahensly wenigstens insofern ab, als er ver⸗ hindere, daß eine Hälfte, die vielleicht nur einen geringen Gewerbe⸗ steuerbetrag aufbringe, die Gesammtheit majorisiere.
Abg. Dr. Stephan⸗Beuthen (Zentr.) führt aus, daß die alten Korporationen trotz des Antrags Cahensly bestehen bleiben könnten. Der Antrag sei so gefaßt, daß nur in den zwingendsten Fällen danach zu verfahren sei. Der Antrag ermögliche es nicht etwa, daß eine Hälfte aus einer bestehenden Handels⸗ kammer austreten könne, um eine neue zu bilden — denn er beziehe sich nur auf Orte, in denen noch keine Handels⸗ kammer bestehe. Die wenigen Aeltesten der Kaufmannschaft in Berlin könne man doch nicht als eine Vertretung aller Berliner Kaufleute ansehen. Der Antrag Reichardt⸗Hausmann mache den Antrag Cahensly zwecklos, und er bitte, jenen abzulehnen.
Abg. Gamp (fr. kons.) hält die Vertretung der Kaufmannschaft Berlins durch die Aeltesten für vollkommen ausreichend und sach⸗ verständig genng. Durch eine neue Organisation nach dem Antrag Cahensly würde nur eine Agitation in die Vertretung hinein⸗ getragen; zumal bei dem gleichen direkten Wahlrecht für die Handelskammern, auf dessen Boden der Antragsteller stehe, würde die intelligente Minderheit durch die große Masse maäjorisiert. Der Errichtung einer Handelskammer in Berlin würden sich die größten Schwierigkeiten die Hälfte der eingetragenen Firmen ließe sich garnicht feststellen. Und neben einer Zwangsorganisation könne eine freiwillige Organisation arnicht bestehen bleiben. Wer solle denn gezwungen werden können,
ch der Zwangsorganisation anzuschließen? Nur das minderwerthige Material werde sich in einer solchen Handelskammer zusammenfinden. Dem Antrag Reichardt stimme er zu; denn damit bliebe der Antrag Cahensly nur ein Schönheitsfehler des Gesetzes.
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld: Es kommt auf eine rationelle Eintheilnng der Handelskammerbezirke an. Die Hälfte der Firmen darf nicht ausschlaggebend sein, denn sie könnte gerade die minderwerthige sein. Besonders bedenklich ist der zweite Theil des Antrags Cahensly, daß er auch für Bezirke mit bestehenden Körper⸗ schaften gelten soll. Die Berliner Verhältnisse zwingen auch nicht zu dem Antrag, denn in dem Verein der Kaufleute liegt eventuell eine Korrektur der Aeltesten.
Abg. von Brockhausen (kons.): Wenn der Antrag für solche Fälle gilt, wo eine bestehende Körperschaft zu Mißständen geführt hat, so stehen wir ihm syn pathisch gegenüber, und wir fassen den Antrag in diesem Sinne auf. Verschiedene Anträge an die Aeltesten in Berlin auf Revision dieser Korporation, auf Vermehrung der Aeltesten von 21 auf 42 ꝛc. sind von den Aeltesten nicht berücksichtigt worden; die Miß⸗ stände der Vertretung in Berlin sind auch in der in London er⸗ scheinenden „Reuter's Finanzchronik“ geschildert. Selbst mit einer Aenderung des Statuts ließe sich keine geeig⸗ nete Vertretung der kleinen Gewerbetreibenden schaffen. Bei dem Dreiklassenwahlrecht würden die Bedenken des Abg. Gamp hinfällig werden und die Handelskammer eine richtige Zusammensetzung erhalten. Wir werden heute für den Antrag Cahensly stimmen, werden aber für die dritte Lesung eine andere Redaktion suchen, die unsere Bedenken beseitigt, und sollte sie nicht zu finden sein, so be⸗ halten wir uns vor, in dritter Lesung dagegen zu stimmen.
Abg. Kirsch (Zentr.) bält den Einwand des Ministers, daß in Berlin noch der Verein der Kaufleute besteht, nicht für stichhaltig, weil sonst jeder solcher Verein eine Handelskammer überflüssig machen könnte, und tadelt es dann, daß in der Provinz Sachsen eine Handels⸗ kammer ihre Sitzungen nicht an ihrem regelmäßigen Sitz, sondern am Sitz einer bena barten Handelskammer abhalte.
Geheimer Regierungs⸗Rath Lusensky: In der Kommiffion ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Handelskammer von Halber⸗ stadt ihre Sitzungen nicht dort, sondern in Magdeburg ab⸗ halte. Magdeburg liegt für die Mitglieder der Henher städter Kammer bequemer, und es giebt keine gesetzliche Handhabe, die Sitzungen in Magdeburg zu verhindern, wenn auch dieser Zustand nicht erwünscht ist. Es handelt sich nur um einen einzelnen 2
Abg. Dr. Stephan⸗Beuthen widerspricht den Bedenken des Abg. Gamp. 1
Nach weiterer längerer Debatte wird der Antrag Reichardt abgelehnt, der Antrag Cahensly angenommen und mit diesem Zusatz der § 2 der Vorlage.
(Schluß des Blattes.)
— Dem Herrenhause ist ein Gesetzen „betreffend
die Verpflichtung der Gemeinden in den Landkreisen der
rovinzen Hessen⸗Nassau und Schlesien zur Bullen⸗ ve zugegangen.
— Von 298 Grafen 88 “ ist im Herrenhause achstehender Antrag eingebracht worden: 9 he- Herrenhaus wolle beschließen: die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die Durchführung folgender Grundsätze herbeizuführen:
a. Den Provinzen sind in Zukunft nur unter der Bedingung neue Lasten und Pflichten vom Staat aufzubürden, daß ihnen dafür entsprechende Dotationen aus der Staatskasse überwiesen werden.
b. Ein festzusetzender Theil der Ueberschüsse der Staatskasse soll alljährlich den Provinzen überwiesen werden. 8 8
Arbeiterbewegung.
Aus Wiesbaden wird der „Köln. Ztg.“ zum Maurer⸗ ausstande (vgl. Nr. 121 d. Bl.) geschrieben: An dem Ausstande nehmen über 400 Arbeiter theil; überall ruht die Arbeit. Ver⸗ schiedentlich haben Ausständige versucht, mit Gewalt einige Weiter⸗ arbeitende zur Niederlegung der Arbeit zu zwingen und am Bahnhof zuziehende Maurer von der Aufnahme der Arbeit abzuhalten. Die Se schritt dagegen ein. Die Arbeitgeber erklärten die von den
rbeitern gestellten Bedingungen für unannehmbar.
In Plauen i. V. und in Rostock befinden sich, wie im „Vor⸗ wärts“ mitgetheilt wird, die Töpfer wegen Lohnstreites im Aus⸗ tande. 8 Hier in Beklin fand am letzten Freitag eine Maurerversamm⸗ lung statt, in der, wie die „Voss. Ztg.“ berichtet, über die Lohn⸗ bewegung der Maurer Bericht erstattet wurde. Danach sollen die ö der Maurer — 60 ₰ Stundenlohn und neunstündige
rbeitszeit — auf 41 Bauten etwa 1000 Arbeitern bewilligt worden sein, während 14 Unternehmer die Forderungen theilweise zugestanden oder in Aussicht gestellt haben und nur auf vier Bauten die Arbeit gänzlich ruht. Man will deshalb von einem allgemeinen Ausstand
absehen.
Kunst und Wissenschaft.
Große Berliner Kunstausstellung. .8
L. K. — Wer die diesjähre Ausstellung besucht in der Erwartung, überraschende neue Talente zu entdecken, wird, das betonte unser Vorbericht bereits, sich stark enttäuscht fühlen. Aber auch die Kritik, die nicht nach dem höchsten Maßstabe mißt, vielmehr in der modernen Kunst lediglich ein Epigonenthum von mäßiger Durchschnittsbegabung sieht, muß zu dem Ergebniß kommen, daß das Jahr 1897 für Berlin, was die Kunst⸗Crescenz anlangt, nicht als „guter Jahrgang“ gelten kann. Vieles unter den neuen Erscheinungen weist direkt auf einen Rückgang hin. Die im Ehrensaal au gestellten Bilder sind wenig geeignet, solchen Pessimismus zu zerstören. Die große Aufgabe, das Andenken an das Begräbniß Kaiser Wilhelm's I. künstlerisch der Nachwelt zu erhalten, hat in August Westphalen einen unzulänglichen Bearbeiter ge⸗ funden. Mit der Nüchternheit eines Protokollführers ist der Maler ans Werk gegangen; dem feierlichen Ernst der Stim⸗ mung, die der weltgeschichtliche Vorgang weckt, wird seine Auffassung nicht gerecht. Auch William Pape’s Schilde⸗ rung der Pubelfeier im Weißen Saale des Berliner Schlosses am 18. Januar 1896 fehlt es bedenklich an jener Kraft der Charakteristik im einzelnen, wie auch an koloristischer Vor⸗ nehmheit, die solchen Repräsentationsbildern Adolf Menzel, der unter den Zeugen des Vorgangs links im Vordergrunde des Bildes figuriert, zu verleihen wußte. Den großen Fleiß, den Pape der Vorbereitung zugewendet hat, lassen die zahl⸗ reichen Porträtköpfe erkennen, deren Farbenskizzen in einem benachbarten Saal aufgestellt sind. Aber auch sie kann man mit Menzel's Bleistiftstudien, ja selbst mit A. v. Werner’'s Skizzen zum Berliner Kongreßbilde nicht vergleichen, ohne den großen Abstand an künstlerischer Kraft empfindlich zu spüren. Die beiden Reiterporträts des Großen Kurfürsten und Friedrich's des Großen von Werner Schuch, denen sich im letzten Saale der Ausstellung ein Reiterbildniß Seiner Majestät des Kaisers an der Spitze der Gardes du Corps an⸗ schließt, sind koloristisch ohne intimeren Reiz; auch vermißt man die rechte Tiefe der Auffassung. wei Brustbilder Seiner Majestät des Kaisers hat Ludwig Noster im Ehrensaale ausgestellt, während Anton von Werner eine Episode eines Hofballfestes unter Wil⸗ helm I., die Vorstellung eines Brautpaares, in einem kleinen Bilde, das bereits den Vermerk „Verkauft“ trägt, schildert. Franz von Lenbach's lebensgroßes Porträt des Fürsten Bismarck in ganzer Figur zählt nicht In den besten unter den zahlreichen Bismarck⸗Bildnissen des Münchner Malers. Der denf dominiert nicht, wie sonst in Lenbach's Porträts, in dem Maße, daß man die Schwächen in Haltung und Bewegung der Gestalt — namentlich der linke Arm wirkt wie gelähmt — darüber vergessen könnte. Durchgeistigte Vornehmheit spricht aus den Zügen des Reichskanzlers Fürsten zu Hohenlohe, dessen Brustbild Lenbach’s Kunst ebenfalls im Ehrensaale vertritt; aus dem warmbraunen Gesammtton des Bildes leuchtet der gespannte Blick und das feinmodellierte Antlitz fesselnd hervor.
Den anschließenden dritten Saal füllen vorzugsweise Bild⸗ nisse und Landschaften. In erster Linie ist ein Damenporträt von Karl Ziegler zu nennen, einem jugendlichen Berliner Künstler, der bereits wiederholt Proben eines feinentwickelten Kunstgefühls abgelegt hat, und der in der diesjährigen Ausstellung auch mit einer großen Komposition „Der Sommer“ (Saal 35) die ufmerksamkeit auf sein Talent lenkt. Das Damenporträt bekundet die Neigung Ziegler's, die auch früher schon in seinen Werken hervortrat,
sich den großen englischen Porträtisten anzuschließen; unter dem Schlürer vornehmer Mattherzigkeit birgt sich ein außer⸗ ordentliches Feingefuͤhl für Anmuth der Linien, für zarten, echt weiblichen Ausdruck und für dekorative Abtönung der Farbenwerthe. Der Gesammteindruck wie das Studium der Einzelheiten befestigen die Ueberzeu von der feinen Geschmacksorganisation dieses vielversprechenden Talents. Daß eine Ausbildung dekorativen Zartgefühls allerdings auch ins Manieriert⸗Süßliche umschlagen kann, beweist das Doppelporträt Sophie Koner’'s „Mutter und Kind“ (827), neben dem die sicherlich nicht derben Bildnisse von der Hand ihres Gatten Max Koner, unter denen besonders das des Fücften Lichnowsky durch feine Charakteristik hervorragt, er⸗ ischend wirken. Hugo Vogel hat den Grafen von Bis⸗ mark⸗Bohlen in nahezu ganzer Fügus porträtiert: ein vor⸗ nehmes, wenngleich etwas kraftloses Repräsentationsbild; die von der diesjährigen Elfer⸗Ausstellung bekannten Veduten aus dem Park der Villa Torlonia hat Vogel wiederum ausgestellt. Von Schulte’s Ausstellungen her bekannt dürfte den meisten Besuchern auch Noster’'s Bildniß des Geheimen Kommerzien⸗Raths Krupp sein, das indeß weniger lebendig wirkt als seine Wiederholung in ganzer Figur, die ebenfalls in Schulte's Salon zuerst ausgestellt war. Den energischen Künstlerkopf Rudolf Siemering's wählte Josef Scheurenberg als Modell für ein durch Schlichtheit und Größe der Auffassung fesselndes Porträt, das den mißglückten Versuch des begabten Malers, sich auf präraphaelitisches Gebiet zu wagen („Meeres⸗ wonne“, 1251), stark in den Hintergrund drängt. Wilhelm Volz' Bild „Singende Musen“ (1531) ist von früheren Aus⸗ stellungen als unzulänglicher Versuch in der gleichen Richtung bereits bekannt.
Eine charaktervolle, koloristisch interessierende Schilderung aus dem orientalischen Volksleben sind Rabes’ „Juden an der Klagemauer zu Jerusalem“ (1165), wenn sie auch an Intimität begreiflicherweise seinen kleineren Bildern verwandter Art, deren eine ganze Reihe in anderen Sälen sich findet, nicht gleichkommen. 1
Unter den Landschaften des Raumes finden sich mehrere von künstlerisch hohem Rang: so Bracht’'s Elch in nebliger Einöde (119), eine im Geschmack der Schotten gemalte Abendstimmung von Wilhelm Feldmann (399), ein farbenprächtiges Hafenbild von Hans Herrmann und eine ganz in lichtes Grün getauchte Landschaft von Theodor Hagen⸗Weimar (555), der als feiner durchgeführtes Seiten⸗ stück die schon im Vorbericht erwähnte Mondnacht am Schloß⸗ weiher von Skarbina (1363), ein Virtuosenstück zarter Luministik, angereiht sei. Den stärksten Eindruck aber macht wohl Fritz Overbeck's „Sommertag“ (1110). Der Künstler gehört zu jener Malerkolonie, die sich in Worpswede bei Bremen niedergelassen hat. um die Natur unseres norddeutschen Tieflandes eifrig und unbeeinflußt von den Ablenkungen des großstädtischen Treibens studieren zu können. Overbeck'’s Bild zeigt eine ge⸗ sunde männliche Art der Farbengebung, in der sich poetische Wirkungen, wie man sieht, ebensowohl erzeugen lassen, wie in jener etwas kraftlosen Halbtonmanier, die nach dem Vorbilde der schottischen Schule auch bei unsern deutschen Malern mehr und mehr als das Endziel aller Stimmungsmalerei angesehen wird, während sie bestenfalls doch nur als eines unter den Mitteln solcher Kunst gelten kann.
Land⸗ und Forstwirthschaft.
Auf der landwirthschaftlichen Ausstellung zu Hamburg
welche die Deutsche Landwirthschafts⸗Gesellschaft in der Zeit vom 17. bis 21. Juni d. J. veranstaltet, sind zum ersten Male auch „Gegenstände des Landbaues in deutschen Kolonien“ zu⸗ gelassen. Wenn auch die Zahl der angemeldeten Aussteller noch keine große ist, so wird — besonders infolge der Betheiligung des Comités zur Einführung von Erzeugnissen aus den deutschen Kolonien“ — doch bereits eine recht lehrreiche und anziehende Sammlung von Erzeugnissen und Hilfsmitteln unseres kolonialen Landbaues den Besuchern vorgeführt werden. Das genannte Comité bringt außer den verschiedenartigsten Naturprodukten und den daraus her⸗ gestellten Fabrikaten auch Bodenstudien aus unseren Kolonien, literarische Hilfsmittel und das Modell einer afrikanischen Kakao⸗ pflanzung in einem Panorama von Viktoria im F-A n. Kamerun zur Anschauung. Außerdem wird Kaffee von der Usambara⸗Kaffeebau⸗ Gesellschaft und eine reiche Sammlung von Gegenständen der Tropenausrüstung vorgeführt werden. Schließlich stellen noch vier deutsche Fabriken landwirthschaftliche, für koloniale Zwecke gebaute Maschinen und Geräthe aus: Pflüge, Feldbahnen, Säemaschinen, Maisrebbler, Zuckerrohr⸗Quetschen, Kaffeebohnen⸗ Entfleischer u. s. w. Das Gesammtbild dieser Abtheilung wird es der Anschauung des deutschen Landwirths näher bringen, in welcher Weise sein Berufsgenosse in den tropischen deutschen Be⸗ sitzungen der Erde ihre Früchte abgewinnt. — Die preußische Eisenbahnverwaltung hat für die Ausstellung der Deutschen Land⸗ wirthschafts⸗Gesellschaft zu Hamburg Fahrpreisermäßigungen in der Art bewilligt, daß vom 16. bis 21. Juni gelöste direkte Fahrkarten I, II. und III. Klasse nach Hamburg bis zum 22. Juni unter der Bedingung auch zur Rückfahrt be⸗ rechtigen, daß sie zur Bestätigung des Ausstellungsbesuchs einen Kontrolstempel der Gesellschaft erhalten haben. Eine Reihe nichtpreußischer Bahnverwaltungen hat sich diesem Vorgange angeschlossen, und es steht zu erwarten, daß die interessierten Kreise von diesem Entgegenkommen einen weitgehenden Gebrauch machen werden. Wird doch die Hamburger landwirthschaftliche Ausstellung die reichhaltigste sein, welche die D. L⸗G. in den 12 Jahren ihres Bestehens veranstaltet hat: Es werden etwa 600 Pferde, 1200 Rinder, 500 Schafe, 540 Schweine, 86 Ziegen, 1800 Stück Geflügel nebst Kaninchen, gegen 1800 verschiedene Arten von landwirthschaftlichen Erzeugnissen und 3796 Geräthe und Maschinen zur Stelle sein. Die Deutsche Landwirthschafts⸗Gesellschaft veranstaltet gelegentlich der Ausstellung 11 Ausflüge, sowie zahlreiche Versammlungen.
Saatenstand in Oesterreich.
(Bericht des K. K. Ackerbau⸗Ministeriums nach dem Stande von Mitte Mai 1897.)
Die Witterung der zweiten April⸗Hälfte war im Ganzen normal verlaufen, daher die Temperatur, obwohl etwas tiefer als sonst in dieser Zeit, der Entwickelung der Vegetation günstig und auch die Regenmenge zumeist entsprechend. Die erste Hälfte des Mai aber brachte in fast allen Gegenden der Reichshälfte eine ungewöhnliche, oft geradezu winterliche Kälte und ein Uebermaß von Niederschlägen, welche häufig als kalte Regen, in allen Alpenländern der mittleren
one aber, ferner in einem großen Theile von Böhmen, Mähren und
chlesten, in einigen Gegenden von Westgalizien und hier und da auch in Ost⸗Galizien und in der Bukowina alsSchneefälle, oft von sehr bedeutendem Ausmaße, auftraten. In den Alpenländern blieb der Schnee oft selbst in den Thälern mehrere Tage lang als mächtige Decke liegen. Auch in Südtirol und im Küstenlande sel Schnee, in Istrien allerdings nur in den höheren Lagen. Sehr häufig traten Fröste ein, welche aber selten verderblich wurden, da die Temperatur meist nicht unter — 1 bis — 2 Grad Celsius sank. Auch fehlte es, trotz der Kälte, nicht an Gewittern, die mitunter von Hagelschlägen begleitet waren. In vielen Gegenden, namentlich 6 Nordost
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Länder, herrschten scharfe Winde, nicht selten heftige Stürme, in den Karst⸗Ländern trat Bora auf. n. wurde namentlich an den Küsten von Dalmatien verderblich, indem das Flugwasser der Brandung die Kulturen beschädigte. Die allzu reichen Niederschläge führten in vielen Gegenden zu mehr oder weniger ausgedehnten Ueberschwemmungen. Nur die podolischen Gegenden von Galizien und die angrenzenden Theile der Bukowina blieben von diesem Wettersturz, der meist in die vap⸗ der sogenannten „Eis⸗ männer“ (12., 13. und 14. Mai) fiel, verschont und erfreuten sich ebenso wie auch Dalmatien annähernd normaler Wärme⸗ und Niederschlagsverhältnisse. Trotz der Gleichartigkeit der Witterungsverhältnisse läßt sich doch über den Saatenstand keineswegs ein allgemein gültiges Urtheil abgeben; denn die Einwirkung der Witterung war in den verschiedenen Lagen sehr ungleich. So ist in vielen Gegenden der im vorigen Be⸗ richte konstatierte Vorsprung der Vegetation um zwei bis vier Wochen gegen andere Jahre wettgemacht worden, in anderen wieder bestehen
eblieben. Der Stand der Wintersaaten, der im vorigen Berichte
ast durchgehend als zufriedenstellend bezeichnet worden war, hat sich, je nach der Intensität der Niederschläge, speziell der Schneefälle, dann der der Fröste und der Winde, in sehr vielen Fällen wesentlich ver⸗ schlechtert, während er in manchen Gegenden unverändert gut geblieben ist oder sich sogar noch weiter gebessert hat. Am meisten hatten die Roggensaaten unter der Ungunst der Witterungzu leiden; denn sie hatten meist schon eine ansehnliche Höhe (einen halben Meter und darüber) erreicht und wurden nun durch die heftigen Regengüsse beziehungs⸗ weise durch die schwere Schneedecke derart niedergedrückt, daß man an vielen Orten an der Möglichkeit des Wiederaufrichtens zweifelt. Dies ist namentlich in den Alpenländern der Fall, wo man hier und da den Roggen gemäht hat, um ihn als Futter zu ver⸗ wenden. Viele dieser Roggensaaten aber gestatten noch immer die Hoffnung, daß sie, günstige Witterung vorausgesetzt, sich so weit wieder aufrichten werden, um blühen und eine einiger⸗ maßen entsprechende Ernte liefern zu können. Wo der Roggen bereits Aehren entwickelt hatte, was fast überall der Fall ist, haben dieselben nicht selten infolge von Frösten eine röthliche Farbe angenommen. Klagen hierüber kommen namentlich aus Böhmen. Doch fehlt es auch nicht an Berichten über sehr guten Stand von Roggensaaten. — Der Weizen steht im allgemeinen ziemlich gut; die schlechte Witterung hat ihm zumeist weniger geschadet als dem Roggen. Hier und da zeigt sich eine gelbliche Färbung, auch sind manche Saaten vermöge der stagnierenden Nässe schütterer ge⸗ worden. Ueber Auftreten des Rostes wird häufig geklagt. Manche Saaten haben sich so verschlechtert, daß sie zur Ausackerung bestimmt wurden; doch konnte dies wegen der Nässe des Bodens bisher nicht durchgeführt werden. Ueber den Raps, der meist in Blüthe steht, liegen aus Böhmen und Mähren überwiegend gute, aus Galizien
rößtentheils ungünstige Nachrichten vor. Häufig tritt der Glanzkäfer schabigend auf. Die Sommersaaten wurden durch die nasse Witterung insofern in Mitleidenschaft gezogen, als ihr Anbau wegen der Nässe des Bodens verzögert, mitunter auch, in Anbetracht der vorgerückten Jahres⸗ zeit, ganz unmöglich wurde. Mit Ausnahme der südlichen Zone konnte der Anbau von Gerste und Hafer zumeist nicht beendet werden, Kartoffeln sind in manchen Gegenden noch garnicht, sonst eben so wie Rüben und Mais nur etwa zur Hälfte angebaut. Eine Folge der Bodennässe ist auch die üppige Entwicklung von Un⸗ kräutern. Die während der Berichtsperiode in die Erde gebrachten Saaten gediehen, weil sie oft in trockenen Boden gesäet und dann durch die Gußregen zu Tage gewaschen, zumeist viel weniger gut, als die frühzeitig, namentlich die im März gebauten, welche ein recht gutes Aussehen haben, wenngleich es auch bei diesen nicht an Klagen über gelbliche Färbung und schütteren Stand fehlt. Im allgemeinen kann der Stand der Sommersaaten als ziemlich befriedigend bezeichnet werden. Manche junge Gersten⸗ saaten wurden durch Frost beschädigt. Was speziell den Mais an⸗ belangt, so ist sein Anbau in den podolischen Gebieten von Galizien und in der Bukowina am weeitesten vorgeschritten und der Beendigung nahe, in den anderen, selbst in den Südländern aber noch lange nicht beendet. Die Maissaaten sind theilweise schon recht gut auf⸗ gegangen und bieten im allgemeinen bessere Aussichten als Gerste und Hafer. In Tirol haben sie manchmal durch Fröste gelitten. Die breitwürfig gesäeten Hülsenfrüchte verhalten sich ähnlich wie Gerste und Hafer, nur daß ihr Anbau noch weiter im Rückstand ist, die als Hackfrucht gebauten ähnlich wie der Mais; sie zeigen theilweise schon einen recht schönen Stand. Im Süden haben die Früherbsen eine reiche Ernte gegeben. Der Anbau der Kartoffeln wurde in den Nordwest⸗ und in den Nordostländern durch die nasse Witterung sehr verzögert und konnte hier und da noch nicht einmal begonnen werden. In vielen Fällen sind die Saatknollen verfault. Hingegen ist der Anbau der Kartoffeln in den Alpenländern zum großen Theile, in den Südländern fast ganz beendet. Die Pflanzungen sind großentheils gut aufgegangen, nur haben sie mitunter durch Fröste gelitten. Der Anbau der Zuckerrüben ist noch ziemlich weit zurück. In manchen Gegenden werden früh gebaute Saaten schon behackt, während daneben erst die Saat vor sich geht. Die Saaten sind meist gut aufgegangen, kommen aber häufig im Wachsthume nicht recht vorwärts und werden nicht selten schütter. Vielfach wird über gelbliche Färbung der Pflanzen geklagt, ebenso über massenhaft auftretende Unkräuter. Beschädigungen durch Drahtwurm und Erdfloh sind nicht häufiger als gewöhnlich, hingegen wurde Wurzelbrand nur sehr selten beobachtet. Klee und Wiesen stehen meist recht gut, namentlich ersterer zeigt in manchen Gegenden der Alpenländer einen außerordentlich schönen Stand. Die reichlichen Niederschläge kamen diesen Beständen zu statten, aber stauende Nässe verursachte nicht selten ein Faulen und einen schütteren Stand der Pflanzen; in den Alpen ländern wurde der Klee manchmal auch durch die Schneedecke nieder⸗ gedrückt, was Lagerung zur Folge hatte. Die Wiesen wurden infolge oft lang dauernder Ueberschwemmung nicht selten in ihrer Güte beeinträchtigt. Die Vegetation des Weines litt unter der Kälte und Nässe der Berichtsperiode, besonders aber von den Frösten. Auch war die ordentliche Bearbeitung der Weingärten sowie auch das Schwefeln und Bespritzen mit Kupfer⸗ lösung zur Abwehr des Oidiums und der Peronospora häufig er⸗ schwert oder ann verhindert. Die Frostschäden waren mitunter sehr bedeutend. Viele Triebe wurden im Küstenlande durch die Bora und in Steiermark und Tirol durch den Schnee abgedrückt. In Dal⸗ matien vernichteten Flugwasserstürme manche Erntehoffnungen. Infolge der Kühle und Nässe ist namentlich in Tirol häufig Vergabelung der Gescheine eingetreten. Wo im Vorjabre Peronospora war, sind überhaupt die Triebe schwach, sonst aber sind dieselben, soweit die erwähnten Uebelstände nicht geschadet hatten, kräftig. In Süd⸗Tirol giebt es 30 cm lange Triebe. In Dalmatien hat der Wein am 12. Mai zu blühen angefangen, amerikanische Reben aber selbst in Süd⸗Tirol schon am 5. Mai und in einigen Theilen des Küstenlandes schon am 2. Mai. Von Schädlingen sind die Agrotis⸗Raupen in Tirol, Rynchites betuleti und Otiorhynchus sulcatus in Dalmatien und von Krankheiten die Anthracnose und sporadisch auch schon die Peronospora in Dalmatien zu erwähnen.
Saatenstand in Canada. “
rovinz Ontario. In der Westhälfte stehen die Herbstsaaten gut, in der Osthälfte sind die Weizen⸗Herbstsaaten durch Winterfrost fast völlig vernichtet worden. Die Frühlingseinsaat ist überall beendigt. Der Stand der Frühlingssaaten ist gut. Die Anbaufläche ist vergrößert. Man erwartet bei günstiger Witterung eine stärkere Weizen⸗ und Roggenernte als im Vorjahre.
Provinz Manitoba und Nordwest⸗Territorien. Im Herbst findet keine Einsaat statt. Das Feezenessee. hat in diesem Jahre bei günstiger Witterung um etwa 2 Wochen früher, als im Vorjahre, begonnen und dürfte bereits überall beendigt sein. Der Boden ist — von zwei überschwemmten Bezirken abgesehen — in guter Verfassung das Wetter war bisher andauernd gut. Die Anbaufläche soll um etwa 15 v. H. größer sein, als im Vorjahre. Die übrigen Provinzen und Territorien Canadas decken den eigenen Getreidebedarf nicht. Die Saatenstandsnachrichten lten allgemei t