1897 / 124 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 28 May 1897 18:00:01 GMT) scan diff

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha.

In der Sitzung des gemeinschaftlichen Landtages der Herzogthümer Coburg und Gotha vom 26. d. M. wurde der Antrag der Finanzkommission auf zweijährige Fest⸗ setzung des gemeinschaftlichen Etats, zunächst nur für die Jahre 1897/98 und 1898 /99, einstimmig genehmigt. Das Herzogliche Staats⸗Ministerium beharrte während der Berathung der bisherigen vierjährigen Festsetzung, erklärte sich aber bereit, probeweise auf einen einjährigen Etat einzugehen, wenn eine

Union der beiden Herzogthümer zu stande käme.

Oesterreich⸗Ungarn.

Der Fürst und die Fürstin von Bulgari gestern von Paris in Wien eingetroffen.

In der vorgestrigen Sitzung des österreichischen Ab⸗ geordnetenhauses protestierte der Abg. Groß gegen das Vorgehen des Präsidiums während der Sitzung vom Tage zuvor gelegentlich der Abstimmung über den Antrag Kaizl, betreffend die Auslegung der Geschäftsordnung. Er beantragte eine Berichtigung des Protokolls über die letzte Sitzung, verlangte geheime Abstimmung über seinen Antrag und namentliche Abstimmung darüber, ob geheim abgestimmt werden solle. Aehnliche Anträge wurden von den Abgg. Sylvester und Funke gestellt. Nach einer kurzen Entgegnung seitens des Vize⸗Präsidenten Kramarz schritt das Haus zunächst zur namentlichen Abstimmung darüber, ob über den Antrag Groß geheim abgestimmt werden solle. Sämmtliche Anträge wurden abgelehnt. Im weiteren Verlauf der Sitzung setzte die Linke ihre bisherige Taktik fort. Es wurden in achistündiger Sitzung 15 namentliche Abstimmungen vor⸗ genommen, ohne daß es möglich gewesen wäre, zur Tages⸗ ordnung überzugehen.

Großbritannien und Irland.

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Der vorgestern zu Ehren des Geburtstages der Königin in London abgehaltenen Parade wohnten der Prinz und die Prinzessin von Wales, der König und die Königin von Württemberg, der Prinz und die Prinzessin Karl von Dänemark, der Prinz Christian zu Schleswig⸗Holstein, sowie die Herzoge von Connaught, York und Cambridge bei.

Das Unterhaus nahm gestern die erste Lesung einer Vorlage an, durch welche der Gebrauch des metrischen Systems für Maß und Gewicht legalisiert wird.

Im canadischen Unterhause besprach, wie „W. T. B.“ aus Ottawa meldet, am Mittwoch der frühere Premier⸗ Minister Tupper die Vorlage, betreffend den Vorzugstarif zwischen Großbritannien und Canada, und be⸗ gründete folgendes Amendement: Das Haus ist der Ansicht, die canadische Regierung solle die britische Regierung wissen lassen, daß sie, sobald die vorliegenden Schwierig⸗ keiten beseitigt sein würden, bereit sei, das Ueberein⸗ kommen bezüglich der Vorzugstarife mit Großbritannien abzu⸗ schließen. Der Marine⸗Minister Davies erklärte, die canadische Regierung bestreite, daß die deutschen und belgischen Güter nicht zur Vorzugsbehandlung berechtigt seien, da diese Staaten Meistbegünstigungs⸗Verträge mit England hätten. Das Amendement Tupper wurde mit 74 gegen 42 Stimmen abgelehnt.

Rußland.

Am Miittwoch, dem Jahrestage der Krönung des Kaisers d der Kaiserin, fand, wie „W. T. B.“ meldet, in der Kirche des großen Palais in Zarskoje⸗Sselo ein Gottesdienst im Beisein des Kaisers und der Kaiserin, der Kaiserin⸗ Wittwe, des Prinzen Johann zuSchleswig⸗Holstein⸗ Sonderburg⸗Glücksburg, des Herzogs Paul zu Mecklenburg und der Mitglieder der Kaiserlichen Familie sat Später folgte ein Familienfrühstück im Alexander⸗ alais.

Der Kaiser empfing vorgestern den Botschafter in Wien Grafen Kapnist, den Gesandten in Tokio Baron Rosen und den Gesandten in Belgrad Iswolsky, sowie später den französischen Botschafter Grafen Montebello.

Gestern sind die chinesischen Gesandten Shu⸗King⸗Chen und Jong⸗Chu in Stt. Petersburg eingetroffen, der erstere behufs Ueberreichung des Abberufungsschreibens, der letztere zur Ueberreichung seiner Accreditiirie.

Italien.

8 v11XX“ Gestern Vormittag fand, wie „W. T. B.“ meldet, in der

St. Peters⸗Kirche zu Rom die Heiligsprechung des Antonio Maria Zaccaria aus Mailand, der im 16. Jahrhundert den Barnabiten⸗Orden begründete, und des Peter Fourier, der im 17. Jahrhundert lebte und den Beinamen „Apostel von Lothringen“ führt, durch den Pay in Person statt. Gegen 8 ½ Uhr setzte sich die Prozession, welche sich in der Sixtinischen Kapelle versammelt hatte, nach der St. Peters⸗Kirche in Bewegung, wohin ihr kurz darauf der Papst, umgeben von seinem Hausstaat und den Kardinälen, folgte. Auf dem Hinweg sur Feier wurde der Papst, wie es bei solchen Gelegenheiten Brauch ist, von der versammelten Menschenmenge, welche auf 40 000 Personen ge⸗ schätzt wurde, durch Schwenken von Tüchern und Hüten begrüßt, während alle Zurufe unterblieben. Im Innern der Basilika hatten sich außer den zahlreichen Pilgern und Andächtigen über 40 Kardinäle, 300 Erzbischöfe und Bischöfe, das diplomatische Korps und viele Vertreter der Ge⸗ sellschaft, darunter zahlreiche Damen, eingefunden. Die beiden ersten Theile der Zeremonie hielt der Papst selbst ab, während er die auf die Heiligsprechung folgende große Messe auf An⸗ rathen seines Leibarztes Dr. Lapponi durch den Kardinal Oreglia zelebrieren ließ. Die Feier war um 1 ½ Uhr u Ende. Trotz der großen Anstrengungen, welche sie sür den Papst mit sich brachte, sah derselbe vortrefflich aus und zeigte sich hocherfreut und tiefgerührt durch die lebhaften und anhaltenden Zurufe, welche ihm seitens der Menge auf dem Rückweg zum Vatikan dargebracht wurden, wohin sich der Papst, fortwährend den Segen spendend, mit seiner Umgebung gegen 2 Uhr zurückzog. Am Abend war die Facade der St. Peterskirche glänzend beleuchtet.

Die „Opinione“ veröffentlicht anläßlich der Zeremonie in der St. Peters⸗Kirche einen Leitartikel, worin sie ihre Freude über die Kundgebung der Gläubigen, die in Rom zusammen⸗ geströmt seien, ausspricht, weil dieselbe die vollkommene Un⸗ abhängigkeit des Papstes beweise. Jeder neue Beweis der praktischen Möglichkeit des Zusammenlebens des Königs und des Papstes sei ein Triumph des modernen Italien und eine

Sanktion der Versprechungen, die Victor Emanuel der Welt

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lichkeit aus

gegeben habe und die niemand, solange die Freiheit dauere, in Rom brechen werde. 11u5.“ Spanien.

Die Deputirtenkammer hat vorgestern alle im Butgetentwurf vorgesehenen Finanzvorlagen angenommen.

Türkei.

Das Wiener 4 ½ meldet aus Kon⸗ stantinopel, daß der Ministerrath am Mittwoch die am Tage zuvor von den Botschaftern überreichte Note berathen habe. Der „Times“ zufolge ist die Antwort der Pforte den Botschaftern gestern zugegangen. Die Friedensbedingungen würden darin nicht besprochen, die Pforte zeige aber ihre Bereitwilligkeit, mit den Botschaftern zu verhandeln, sobald die Formalitäten des Waffenstillstandes erfüllt sein würden, und drücke den Wunsch aus, den Frieden in Pharsala zu unter⸗ zeichnen. Auf den von den Botschaftern bezüglich der Aus⸗ weisung der Griechen unternommenen Schritt habe die Pforte erwidert, daß die Ausweisungen vorläufig sistiert seien.

Infolge von Berichten des Konsularkorps in Volo, wonach die Beschlagnahme ausländischer Waaren im dortigen Zollamte seitens der Türken zu befürchten sei, haben die Botschafter bei der Pforte Vorstellungen erhoben, damit diese Waaren respektiert würden.

Nach einer Meldung der „Morning Post“ aus Konstan⸗ tinopel dauern die Truppentransporte fort. Es sei der Befehl zur Entsendung von 30 Bataillonen aus Syrien zum Dienst an der ferbischen und bulgarischen Grenze ertheilt worden. Sechs Transportschiffe seien am Dienstag mit ver⸗ siegelten Befehlen von Konstantinopel abgegangen.

Nach einer Meldung der „Times“ aus Athen vom Mittwoch haben die Aufständischen auf Akrotiri auf den Rath des Hbersten Staikos drei Geschütze ausgeliefert; die beiden anderen Geschütze sind im Besitze der Aufständischen im Innern der Insel geblieben. Wie die „Agence Haves“ be⸗ richtet, seien von den Aufständischen in der Umgegend von Rethymon Brandstiftungen verübt worden.

Aus Kanea vom gestrigen Tage meldet die „Agence Havas“, daß daselbst beunruhigende Gerüchte über die Absichten der Mohamedaner im Falle der Abberufung der türkischen Truppen verbreitet seien. Die Admirale hätten den Gouverneur benachrichtigt, daß sie ihn für etwaige Vorkommnisse verant⸗ wortlich machen würden. Ismail Pascha habe versprochen, seinen Einfluß geltend zu machen, indessen jede Verantwortlich⸗ keit abgelehnt, da der europäische Befehlshaber die Polizei übernommen habe.

Der in den Dardanellen beschlagnahmte griechische Dampfer „Artemisia“ ist infolge der gemeinschaftlichen Schritte der Botschafter freigelassen worden.

Griechenland.

Die letzte Abtheilung der griechischen Truppen ist, dem „W. T. B.“ zufolge, am Mittwoch von Kreta in Athen eingetroffen.

Zwischen dem Minister⸗Präsidenten Ralli und dem italienischen Deputirten di Felice ist es am Mittwoch im Marine⸗Ministerium zu einem äußerst lebhaften Auftritt ge⸗ kommen. „W. T. B.“ berichtet darüber: di Felice stellte den Minister⸗Präsidenten in überaus grober Weise und unter beleidigenden Ausdrücken zur Rede. Dieser rief so⸗ gleich nach der Polizei und beauftragte dieselbe, di Felice an Bord des italienischen Panzerschiffes im Piräus zu bringen. Den Kommandanten des Schiffes ließ der Minister⸗Präsident bitten, di Felice nicht zu gestatten, den griechischen Boden wieder zu betreten. Die von Epirus im

träus eingetroffenen Garibaldianer machten den Ver⸗ such, di Felice zu befreien; hierbei entstand ein Streit, bei welchem eine Privatperson und ein Soldat verwundet wurden. An Bord der „Sardegna“ gebracht, wurde di Felice am Abend auf die Intervention des italienischen Gesandten und sein Versprechen, abzureisen, ohne weiteren Zwischenfall wieder freigelassen.

Fünf Mitglieder der „Ethnike Hetairia“ sind ver⸗ haftet worden, weil sie während der Panik in Lamia das des Erzbischofs geplündert haben sollen; einige silberne

euchter seien bei ihnen vorgefunden worden.

Rumänien.

Nach dem am Mittwoch Abend ausgegebenen Bulletin über das Befinden des Prinzen Ferdinand war der Zustand noch immer beunruhigend, indessen hatte sich das Allgemein⸗ befinden gebessert. Gestern war das Befinden des Prinzen günstiger, doch trat in der Nacht zu heute eine schwere Krisis ein. Der König, die Königin, alle Minister, die Prä⸗ sidenten des Senats und der Kammer sowie mehrere Gesandte verbrachten die Nacht in Cotroceni, der Residenz des Prinzen. Gegen Morgen trat Beruhigung ein. Der Prinz verfiel in Schlaf.

Im ganzen Lande giebt sich eine tiefe Theilnahme kund; Tausende von Personen begeben sich nach Cotroceni, um sich nach dem Befinden des Prinzen zu erkundigen.

Dänemark. 11“

Die Prinzessin Ingeborg, die zweite Tochter des Kronprinzen, hat sich, wie amtlich bekannt gemacht wird, gestern auf Schloß Bernstorff mit dem Prinzen Karl von Schweden und Norwegen verlobt.

Der Finanz⸗Minister Hörring brachte, wie „W. T. B.“ meldet, am Mittwoch die neue Budgetvorlage im Folke⸗ thing ein. Die umstrittenen Peee. sind nicht darin enthalten. Bezüglich einiger Forderungen für militärische Zwecke erklärte der Finanz⸗Minister: er werde auf diese Forde⸗ rungen verzichten, falls sie Widerstand finden sollten.

Amerika. In der Militärschule zu Rio de Janeiro brach vorgestern eine Meuterei aus, zu deren Unterdrückung Truppen entsandt wurden. Die Schüler unterwarfen sich, nachdem sie ihre Waffen und Munition ins Meer geworfen hatten.

Nach einem Telegramm der „Nowoje Wremja“ aus Peking empfing der Kaiser von China am 26. d. M. die außerordentliche russische Gesandtschaft unter Führung des Fürsten Uchtomski. Der Kaiser ließ dem Kaiser Nikolaus für die übersandten Geschenke danken. Bei den Hereshgen im Tsungli⸗Yamen und durch Li⸗Hung⸗Tschang wurde seitens der Chinesen die zweihundertjährige Freundschaft Chinas mit Ruß⸗ land hervorgehoben. Die Empfänge zeichneten sich durch Herz⸗

Nach einer Meldung Londoner Blätter aus Johannes⸗ burg vom 26. d. M. wurde Dr. Leyds mit 19 Stimmen auf einen weiteren Zeitraum von vier Jahren zum Staats⸗ sekretär gewählt.

Ueber die Mitte Februar d. J. bei der Truppen⸗ abtheilung des Majors Leroi im Uelle⸗Gebiete vor⸗ gekommene Revolte veröffentlicht, wie „W. T. B.“ meldet der Unabhängige Congostaat folgende Mittheilung: Kurze

eit nach der Empörung der zu dem Gros der Expedition des

arons Dhanis gehörenden Abtheilung eingeborener Soldaten fand bei dem Dorfe Ndirfi im Uelle⸗Gebiet zwischen den treu gebliebenen Truppen und den aufständischen Soldaten ein Kampf statt, in welchem ein Offizier und zwei Unteroffiziere efallen sein sollen. Diese Nachricht bedürfe jedoch der Be⸗ tätigung. Zwei Offizieren, von denen man angenommen habe, daß se bei der Empörung der Avant⸗Garde getödtet worden seien, sei es gelungen, sich auf das Fort Avakubi im Ituri⸗Gebiet zurückzuziehen. Der Congostaat erklärt die Nachricht für un⸗ begründet, daß bei einer neuen Metzelei 20 weiße Unteroffiziere, die zu der Expedition des Barons Dhanis gehörten, ums Leben gekommen seien. Der Congestaat versichert, daß er die Namen aller Umgekommenen, die zu seiner Kenntniß gelangt seien, veröffentlicht habe.

Parlamentarische Nachrichtee)n.

Die Berichte über die vorgestrigen Sitzungen des Reiche⸗ tages, des Herrenhauses und des Hauses der Ab⸗ geordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

Das Herrenhaus setzte in der heutigen (19.) Sitzung, welcher der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. Dr. Bosse und der Justiz⸗Minister Schönstedt beiwohnten, die Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1897,98 beim Etat der Justizverwaltung fort. 8

Bei den Einnahmen giebt

Ober⸗Bürgermeister Struckmann⸗Hlldesheim zur Erwägung anheim, ob nicht eine Reduktion der zu hohen Gebührentarife ange⸗ zeigt sei. Die Steigerung der Einnahmen sei nicht durch eine Zu⸗ nahme der Geschäfte, sondern durch die neue Gebührenordnung von 1895 zu erklären. Nach derselben hätten sich auch die Notariats⸗ gebühren nach den Gerichtsgebühren zu richten. Besonders hart sei die Provinz Hannover von der neuen Regelung betroffen worden. Redner sucht dies an den Ergebnissen der Kassenverwaltung beim Amtsgericht Hildesheim näher nachzuweisen. Jedenfalls habe das neue EEE“ die städtischen und ländlichen Gemeinden eine ungemein hohe Mehrbelastung zur Folge und wirke auf das Publikum geradezu abschreckend gegen die fernere Inanspruchnahme der Gerichte für Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das sei eine sehr bedenkliche Wirkung des neuen Gesetzes.

Hierauf nimmt der Juftih. Minister Schönstedt das Sens dessen Rede morgen im Wortlaut wiedergegeben werden wird.

Das Haus der Abgeordneten nahm in der heutigen (93.) Sitzung, welcher der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen und der Minister des Innern Freiherr von der Recke beiwohnten, zunächst in dritter Berathung die Gesetzentwürfe, betreffend den Erwerb von Theilen des Aachen⸗Maastrichter Eisenbahnunternehmens durch den preußischen Staat und betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Staatshaushalts⸗Erat für 1897/98, unverändert an und ging dann zur zweiten Be⸗ rathung des Gesetzentwurfs zur Ergänzung und Ab⸗ änderung von Bestimmungen über Versammlungen und Vereine über.

Die Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (kons.) und Genossen beantragen, vor dem Art. J der Vorlage folgenden besonderen Artikel einzuschieben: „Versammlungen, von denen auf Grund von Thatsachen anzunehmen ist, daß sie die öffentliche Sicher⸗ heit, insbesondere die Sicherheit des Staats, oder die öffent⸗ liche Ordnung gefährden würden, können von der Landes⸗Polizei⸗ behörde verboten werden.“

Abg. Schmieding (nl.) erklärt namens seiner Freunde, daß sie Fesa den Antrag stimmen würden aus den früher bereits erörterten

ründen.

Abg. Winckler (kons.): Meine Freunde haben den Antrag trotz der Ablehnung in der Kommission wiederholt, um ihre prinzi⸗ pielle Stellung bezüglich des Präventivverbots klarzulegen. Die Auflösung einer Versammlung führt in den eisten Fällen zu einer großen Erregung, und die Entscheidung liegt dabei allerdings in den Händen untergeordneter Polizeiorgane. Es ist daher am besten, wenn solche Versammlungen, welche die Grundlagen des Staates und der Gesellschaft zu bedrohen geeignet sind, von vornherein verhindert werden, und wenn wir die Entschei⸗ dung darüber nicht in die Hände untergeordneter Polizei⸗ organe, sondern der Landespolizeibehörde legen. Der Kom⸗ missar der Regierung hat in der Kommission gesagt, daß der Regierung eine derartige Befugniß nur sehr willkommen sein könnte, daß sie allenfalls aber auch ein solches Verbot nach dem bestehenden Recht glaube aussprechen zu können. In anderen Staaten, Baden und Sachsen, ist eine solche Möglichkeit esetzlich festgelegt, in Preußen nicht; es ist auch in Preußen noch ein Gebrauch gemacht worden, und wir müssen auch theoretisch be⸗ zweifeln, ob das bestehende Recht dazu ausreicht. Wir glauben, noch einmal den Gedanken anregen und die Möglichkeit geben zu sollen, diese Lücke auszufüllen.

Minister des Innern Freiherr von der Recke: Ich kann in Wiederholung der Erklärung der Kommissars in der Kommission nur noch ausdrücklich 15-e daß die Gewährung des sogenannten Präventivverbots für ersammlungen der Königlichen Staats⸗ regierung nur sehr willkommen sein könnte. Eie erkennt die Vorzüge, die der Vorredner dafür hervorgehoben, voll⸗ ständig an, und wenn sie ihrerseits darauf verzichtet hat, dieses Vorausverbot mit in den Gesetzentwurf aufzunehmen, so ist das diglich aus dem Grunde gewesen, weil sie sich nur auf das Allernothwendigste hat beschränken wollen. Ich kann daher nur an⸗ den von der konservativen Partei gestellten Antrag anzu⸗ nehmen.

Abg. Motty erklärt sich namens der Polen gegen den Antrag.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Wer mit der großen Entschiedenbeit wie wir gegen den Artikel I der Regierungsvorlage stimmt, muß mit umso größerer Entschiedenheit gegen die von den Konservativen vor⸗ geschlagene und von der Regierung so warm begrüßte Präventiv⸗ maßregel stimmen.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.): Ich muß Sie bitten, gegen den Antrag zu stimmen. Die praktischen Gründe, welche uns zur Ablehnung zwingen, liegen darin, daß der Landes⸗ behörde Aufgaben gestellt werden, die sie garnicht erfüllen kann. Wenn z. B. im Regierungsbezirk Düsseldorf Hunderte von Ver⸗ sammlungen in erregten Zeiten angemeldet werden, wie soll der weege im stande sein, Hunderte von Versammlungen inner⸗ halb 24 Stunden mit Angabe der Gründe zu verbieten? Schwerer als die praktischen Bedenken wiegen die grundsätzlichen. Man kann

der Regieruns eine Vollmacht nicht ertheilen, die sie selbst

icht erbeten hat. Der Minister will allerdings sehr gern eine solche Laees seiner Befugnisse entgegennehmen. Aber wenn die Re⸗ gierung eine solche Bestimmung für nothwendig erachtet hätte, dann hätte sie sie auch vorschlagen sollen, um so mehr, als eine solche Bestimmung im preußischen Vereinsrecht ein völliges Novum ist. Wir legen großen Werth auf die Aufrechterhaltung des verfassungs⸗ mäßigen Versammlnngs⸗ und Vereinsrechts, wir wollen nicht die Freiheit der Meinungsäußerung unter den bürgerlichen Parteien irgendwie einschränken oder knebeln durch Bestimmungen, die sich lediglich richten gegen Sozialrevolutionäre oder Natienalrerolutionäre. Die Regierung hatauch nichtentfernt an eine Beschänkung der bürgerlichen Freiheit gedacht. Man behauptet, die Absicht des Gesetzes sei, die sppositionellen Richtungen aller Art mundtodt zu machen. Das ist ein geschicktes Manöver, um die großen Massen in das Garn bestimmter Parteien zu bringen, um sie für die nächsten Wahlen zu appretieren. Man agitiert und wirbt mit der Befürchtung vor autokratischen, absolutistischen Be⸗ rebungen. Auch dafür liegt nicht die mindeste Berechtigung vor. Kein Mann im ganzen Lande denkt an die Mög⸗ lichkeit oder Zwo⸗ckmäßigkeit eines solchen persönlichen Re⸗ giments. Wenn wir ein starkes Regiment fordern, so setzen wir voraus, daß es geführt wird im Sinne des ten Hohenzollernregiments zum Schutze des Staats und des Reichs. Die Agitationen dienen nur dazu, die Verschiebung der Macht⸗ verhältnisse vorzubereiten zu Gunsten des Reichstages, des arlamentarischen Regiments. Da gehen die Meinungen der Parteien etwas durch einander; man will einen unitari⸗ schen Konvent bilden, in dem Zentrum immer Trumpf ist. Die Verfehlungen einzelner Beamten bei Ausführung des Vereins⸗ und Versammlungsrechtes werden ausgebeutet, um Mißtrauen zu ver⸗ breiten. Die Quelle dieses Mißtrauens muß beseitigt werden; durch die Fassung des Gesetzes darf nicht ein Keil in die nationalen Par⸗ teien getrieben werden, in die Parteien, welche die Probe auf ihre deutsch⸗nationale Gesinnung bestehen und diese nicht fallen lassen, wenn es sich um parlamentarische Machtgelüste oder um die Welt⸗ macht des Papstes handelt. G Präsident von Koeller: Wir diskutieren lediglich über den Antrag des Grafen Limburg⸗Stirum, der von dem Verbot von Ver⸗ mmlungen handelt. 1 1 8 Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch: Die allgemeinen Kriterien, nach denen das Verbot erfolgen kann, sind uns nicht scharf genug Fehen Der Antrag enthält viele zweideutigen Ausdrücke, welche Mißverständnissen ausgesetzt sind. Wir sind zu dem Ergebniß gekommen, daß man genau die Parteien bezeichnen muß, gegen welche die Bestimmungen angewendet werden sollen: die sozialrevolu⸗ tionären und die nationalreoolutionären Bestrebungen, nicht aber gegen alle oppositionellen Bestrebungen. Auf der preußischen Gesetz⸗ gebung soll nicht der Schein des Vorwurfs baften, daß zum Kampf gegen solche Bestrebungen die bürgerliche Freiheit angetastet wird. Wir wollen den Schild des preußischen Staats blank halten im Interesse Deutschlands. Abg. Rickert (fr. Vgg.): Wir wollen nicht mehr mit Ihnen skutieren, wir werden den Antrag ablehnen. Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Durch den Vorstoß gegen andere Parteien wollte Herr von Zedlitz wohl nur seine ablehnende Haltung gegenüber dem konservativen Äntrag verdecken. Wir richten uns nach der Wirkung, die die Vorlage haben kann. Wenn die Regierung jetzt auch nicht die Vorlage zu einer Knebelung verwenden will, die Möglichkeit dazu liegt vor, und deshalb lehnen wir den Antrag ab. Gegen die Stimmen der Konservativen wird der Antrag des Grafen Limburg abgelehnt. 1 Auf Antrag des Abg. Rickert werden die Art. I und III der Vorlage gegen die Stimmen der beiden konservativen Par⸗ eien in der Verhandlung mit einander verbunden.

Diese Artikel sollen nach dem Antrag der konservativen Partei lauten: 8 8 Artikel I. Versammlungen, welche die öffentliche Sicherheit,

insbesondere die Sicherheit des Staates, oder die öffentliche Ord⸗ nung gefährden, können von den Abgeordneten der Polizeibehörde 4 der Verordnung vom 11. März 1850, Gesetz⸗Samml. S. 277) aufgelöst werden. 1“

Artikel III. Vereine, deren Zweck oder Thätigkeit den Straf⸗ gesetzen zuwiderläuft oder die öffentliche Sicherheit, insbesondere die Eccherhen des Staats, oder die öffentliche Ordnung gefärden, können von der Landespolizeibehörde geschlossen werden.

In der Vorlage hieß es statt „öffentliche Ordnung“: „öffentlichen Frieden“. 8 b Nach dem Antrag der Freikonservativen sollen die Artikel I. und III lauten: 18 „Versammlungen, in welchen anarchistische, sozialdemokratische,

sozialistische oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden Staats⸗ und Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer die öffentliche Sicherheit, insbesondere die Sicherheit des Staats, gefährdenden Weise zu Tage treten, können von den Abgeordneten der Polizeibehörde 4 der Verordnung vom 11. März 1850, Gesetz⸗Samml. S. 277) aufgelöst werden.“ „Vereine, in welchen anarchistische, sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden Staats⸗ und Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer die öffentliche Sicherheit, insbesondere die Sicherheit des Staats, gefährdenden Weise zu Tage treten, können von der Landes⸗Polizeibehörde ge⸗ schlossen werden. Dasselbe gilt von Vereinen, welche die Los⸗ reißung eines Theils des Staatsgebiets vom Ganzen erstreben oder vorbereiten. u“] Abg. Schmieding (nl.): Im Namen meiner Freunde bitte ich, die Art. I und III in der Fafsung der Regierungt vorlage und auch sämmtliche dazu gestellten Anträge abzulehnen. Der Antrag des Grafen Limburg enthält nichts als die verschärfte Re⸗ gierungsvorlage. Herr von edlitz meint, die Regierung habe an eine Beschränkung der bürgerlichen Freiheit nicht gedacht. Ich glaube, was die Regierung gedacht hat, weiß er so wenig wie ich, und es kommt nicht auf die Absicht der an, sondern auf die Wirkung der Art. I und III. Und die Wirkung ist die Beseiti⸗ gung der Garantien, welche in der Verfassung für die Vereins⸗ und Versammlungsfreiheit gegeben sind. Die „Kreuz⸗Zeitung“, das maß⸗ Organ der Konservativen, sagt: Es kommt darauf an: hat man Vertrauen zur Polizeibehörde oder hat man keins? Die Fragestellung ist richtig, und die „Kreuz⸗Zeitung“ antwortet: Wir haben Vertrauen zur Polizeibehörde. Ich kann namens meiner Parteifreunde antworten: Wir haben kein Vertrauen zur Polizeibehörde und nach den Vor⸗ gängen der letzten Zeit auch nicht das Vertrauen zur Königlichen Staatsregierung, um ihr so weitgehende Vollmachten anzuvertrauen. Wir und alle die, welche aus Kreisen der Industrie hierher geschickt sind, wünschen dringend, daß den Bestrebungen der

Scozialdemokratie schärfer als bisher entgegengetreten wird, aber

bis heute hat die Regierung noch nicht einmal die ihr zu

Gebote stehenden Mittel mit aller Scharf⸗ angewendet. Ueber

die Dehnbarkeit und den leichten Mißbrauch der Be⸗ stimmungen sowohl der Regierungsvorlage als der konfervatipen Anträge ist Ihre eigene Presse durchaus nicht zweifelhaft. Die Extremen unter den Konservativen sagen sich: „Es können Zeiten wiederkommen, wo Graf Caprivi das Regiment führt, und dann wehe uns!“ Der Antrag von Zedlitz ist mir, als ich ihn zuerst las, nicht unsympathisch gewesen vert⸗ die ganze Entwickelung der national⸗

liberalen Partei zeigt ja, daß wir diesen Bestrebungen datpesgentraben.. aber

jemehr ich mir den Sinn des Antrags klar machte, desto mehr bin ich davon zurückgekommen, daß er etwas Brauchbares bietet. Er trifft das Uebel nicht an der Wurzel. Für die Sozialdemokratie an den Grenzen des preußischen Staats ist die ganze Maßregel ein ein⸗ facher Schlag ins 5 Es ist eine halbe Maßregel, die nach etwas aussieht und schließlich doch nicht hilft. Das ist das Schlimmste, was man machen kann, wenn man thut, als gäbe man eine Maßregel, die doch nicht wirksam ist. Wenn

gegen die Sozialdemokratie gesetzlich vorgegangen werden soll,

dann muß man das nicht nebenbei machen, dann hat die Re⸗ gierung die 5 zu machen, damit sie die Verantwortung zu

agen hat. Wir werden deshalb nur für die Kommissions⸗ beschlüsse stimmen, die das wesentlich Brauchbare aus der Vorlage herausgeschält haben. Die Minderjährigen sollen aus den Versammlungen entfernt werden. Wer sich nicht bürgerlich selbständig verpflichten kann, wer nicht stimmberechtigt ist, der soll nicht in der terroristischen Art, wie es zu geschehen pflegt, in den Versammlungen auftreten dürfen. Wenn die übrigen Parteien nicht bereit sind, uns auf diesen Boden zu folgen, dann müssen wir ihnen die Verantwortung dafür überlassen.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (kons.): Der Kern der heutigen Berathung liegt nicht darin, daß die eine oder andere Be⸗ stimmung angenommen wird, sondern darin, daß die Regierung mit einer Maßregel vorgeht, welche dem Lande kundthun soll, daß die Autorität der Regierung gestärkt werden soll, daß es noch eine starke Regierung in Preußen giebt. Ich habe das Gefühl: wenn unsere Partei eine solche Haltung einnehmen würde, wie die nationalliberale, dann würde sie breitgetreten werden. Ich will aber rein sachlich sprechen. Wenn man einschreiten will, muß man elastische Befugnisse geben. Ich habe in meiner langjährigen parlamentarischen Thätigkeit die ÜUnmöglichkeit kennen gelernt, klare, präzise, brauchbare Bestimmungen zu schaffen. Man muß immer ein gewisses Ermessen walten lassen. Im ganzen Lande ist in Kreisen der Wohlgesinnten kein Zweifel, daß es wie 98 nicht mehr weiter geht; die Regierung muß ihre Autorität feststellen gegenüber den Klassen, welche den Umsturz be⸗ fördern. Es kann eine Bestimmung, wie sie in der Vorlage vor⸗ liegt, mißbraucht werden; aber dieser Nachtheil ist nicht so groß wie der, daß die Regierung überhaupt nicht vorgehen kann. Eine ungerechte Auflösung kann korrigiert werden. Ich kann die Ge⸗ fahr des Mißbrauchs nur als eine minimale ansehen. Wenn der nationalliberale Redner eine Spezialgesetzgebung verlangt, so ist das immer nur ein Vorwand, um das gerade Vorgelegte abzulehnen. Wird ein Spezialgesetz vorgelegt, dann verlangt man ein Vorgehen au dem Boden des gemeinen Rechts. Die Zeit wird kommen, da werden die erren (nach links deutend) noch viel weiter in der Ertheilung von Befugnissen gehen müssen, als jetzt. Demgegenüber wird die Vorlage ein Wuisenknabe sein. Ich hätte gern gesehen, daß die Regierungsvorlage zur Annahme ge⸗ langt wäre. Allein ich muß anerkennen, daß die Anträge der Frei⸗ konservativen, wenn sie weniger bieten, doch immer etwas bringen. Wir wollen dem Lande gegenüber die Autorität des Staats zeigen. Es ist gesagt worden, daß man zur Regierung kein Ver⸗ trauen habe. Auf dem Standpunkt stehen meine Freunde nicht, daß sie die Vertrauensfrage Fe der Regierung stellen. Was einzelne Mitglieder der Regierung thun, hat uns mißfallen. Aber ein allgemeines Mißtrauen widerstrebt unseren Grundsätzen. Daß die Bestimmungen gegen uns angewendet werden könnten, läßt uns ganz kalt. Wenn einmal eine Regierung kommen sollte, die ihre Interessen so falsch verstehen sollte, scharf gegen die Konservativen vorzugehen, dann würden schließlich noch schärfere Be⸗ stimmungen gegen uns gemacht werden können. Es sind zwei sich ent⸗ gegenstehende Strömungen vorhanden: die eine behauptet, man könne der Sozialdemokratie Herr werden durch die freie Bewegung. Wir vertreten die andere Auffassung: man soll alles thun, die Leute zu be⸗ lehren und die Lage der Massen zu verbessern, aber wir sagen auch: Der Staat kann solche Bestrebungen nicht ulden. Darum bleibe ich auf dem Standpunkt stehen: Ichthalte dafür, daß die Staats⸗ regierung etwas Richtiges gethan hat mit der Vorlage; ich hoffe, das wird der Anfang einer weiteren Aktion in unserem Sinne sein. Wir werden erst für die Regierungsvorlage, schließlich aber für den Antrag von Zedlitz stimmen.

Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Meine Freunde haben nach genauer erkannt, daß die Vorlage Schaden bringen wird. Deshalb timmen wir gegen die Vorlage und gegen den Antrag von Zedlitz. Wir sind der Meinung, daß die bestehenden Gesetze vollständig aus⸗ reichen, daß man gegen einzelne Parteien vorgehen kann, wie wir das im Kulturkampf an unserem Körper erlebt haben. Objektiv wäre es wünschenswerth, daß auch die Konservativen einmal eine scharfe Anwendung des, Vereinsgesetzes gespürt hätten. Eine Ruthe bewerthet man anders, wenn man sie selber gefühlt hat, als wenn man sie bloß auf dem Körper eines Anderen hat tanzen lassen. Durch Furcht vor Mißbrauch muß man sich von einer Vorlage nicht ohne weiteres abschrecken lassen; aber man muß sie doch daraufhin prüfen, ob ein Mißbrauch möglich ist. Wie werden die untergeordneten Organe ein solches Gesetz anwenden mit seinen kautschukartigen Be⸗ stimmungen? Daß der Beamte nachher rektifiziert wird, weil er die Versammlung zu Unrecht aufgelöst hat, ist gar keine Kautel. Die Auflösung einer Versammlung ist kein Mittel zur Wahrung der öffentlichen Ordnung. Wir sind die entschiedensten Gegner der Sozialdemokraten und bekämpfen sie praktisch im Lande. (Lachen rechts.) Hat der Herr, der da lacht, etwas Derartiges ge⸗ than? Hierher kommen und ein Polizeigesetz machen, das ist sehr leicht. Ich verweise auf die zahlreichen katholischen Arbeitervereine und den Verein für das katholische Deutschland, der über 200 000 Mitglieder hat. Wie will man anarchistische, sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen von einander abgrenzen? Sozialistische Bestrebungen finden sich nicht bloß bei den Arbeitern, sie werden um so gefährlicher, in je höbere Schichten sie hinaufsteigen. Was nutzt

eine solche Bestimmung, wie der Antrag von Zedlitz? Das Sozialisten⸗

gesetz war viel schärfer und hat trotzdem nichts ausgerichtet, ja vielfach die sozialistische Bewegung intensiver gemacht. Durch die Ablehnung der Anträge gefährden wir in keiner Weise die Ordnung des Staats. ierauf nimmt der Minister des Innern Freiherr von der Recke das Wort. (Schluß des Blattes.)

Arbeiterbewegung.

Aus dem Ruhrkohlenrevier wird der „Frkf. Ztg.“ unter dem 25. d. M. geschrieben: Der Mangel an Bergarbeitern, der schon seit längerer Zeit im hiesigen Bergbaubezirk herrscht und bei der steigenden Förderung der Zechen immer fühlbarer wird, hat das Gute zur Folge, 8” die Löhne sich in einer aufwärts steigenden Richtung bewegen. achdem inzwischen die Löhne fast auf sämmt⸗ lichen Zechen mehr oder weniger erhöht worden sind, hat die Berg⸗ arbeiterbewegung viel von ihrer früheren Schärfe verloren.

In Basel befinden sich seit Montag früh in sechs chemischen Fabriken von 1250 Arbeitern 524 Mann im Ausstande, welche, einer Mittheilung des „Vorwärts“ zufolge, 4 Frs. Tagelohn und 1 ½ Stunde Mittagspause fordern.

In Stockholm wurde, nach demselben Blatt, in einer Ver⸗ sammlung des Bäckerei⸗Arbeiterverbandes mit 474 eehen 49 Stimmen der Beginn des Ausstandes bes loßsen, da die Meister sich weigern, das Kost⸗ und Logissystem abzuschaffen.

hmhmRuust und Wissenschaft.

ver Erlangung von Entwürfen für ein Denkmal Kaiser Wilhelm's I., welches die deutschen Burschenschaften in Eisenach errichten wollen, war zu Anfang dieses Jahres ein Wettbewerb unter den Architekten aus deutschen Burschenschaften ausgeschrieben worden. Vor einigen Tagen wurde nunmehr entschieden, daß der Entwurf des Regierungs⸗Baumeisters Oskar Zeyß hier⸗ selbst zur L“ gebracht werden soll. Nach dem Programm der Ausschreibung sollte mit einer zu Berathungszwecken und zur Abhaltung von Festlichkeiten dienenden Ruhmeshalle ein Thurm⸗Denkmal für den Ve ründer des Reichs und seine treuen Helfer sowie für die im Kriege gefallenen Burschenschaftsmitglieder verbunden werden. Diese

Aufgabe ist in dem zur Ausführung bestimmten Entwurf auf das

lücklichste gelöst. In romanischer Bauweise Feigt . seimelnde, romantisch⸗poesievolle Auffassung, welche mit dem Mo⸗ numentalen das Wohnliche, mit der Würde die Anmuth zu verbinden weiß. Der Bau, zu welchem in den Pfingsttagen der Grundstein gelegt werden wird, verspricht daher eine neue Zierde der so schön sgelegenen Stadt Eisenach zu werden.

Im Ai. und September d. J. wird, der „Germania“ zufolge, in Urbino eine internationale Ausstellung von alten und modernen Kopien der Werke Raffael's stattfinden. Zu⸗

elassen werden Kopien aller Art (Oelgemälde, Pastellbilder,

quarellgemälde ꝛc.), ferner Stiche, Photogramme, Kunstwerke und Schriften, die auf das Leben und auf die Werke Raffael's Bezug haben. Die Ausstellung wird Medaillen aus Gold, Silber und Bronze und außerdem Ehrendiplome zuerkennen.

Der IX internationale Kongreß für Hygiene und Demographie, welcher am 11. Oktober d. J. in Madrid eröffnet werden sollte, ist nach einer Verordnung Ihrer Majestät der Königin⸗ Regentin vom 31. März d. J. auf die Zeit vom 10. bis 17. April 1898 verschoben worden.

Land⸗ und Forstwirthschaft.

In der Zeit vom 18. bis 26. September d. J. findet im Haag eine landwirthschaftliche Ausstellung statt, welche in folgenden Abtheilungen international sein wird: für Pferdezucht, Geflügelzucht, für landwirthschaftliche Maschinen und Geräthe, für Bienenzucht, sowie in der landwirthschaft⸗ lichen Abtheilung für einige Getreidearten, in der Gartenbau⸗ Abtheilung für einige Obstsorten und in zwei Nummern der Abtheilung für Milchwirthschaft

Die Anmeldungslisten sind vor dem 1. August d. J. dem Sekretär der holländischen Landwirthschafts⸗Gesellschaft, Herrn P. F. L. Waldeck in Loosduinen (Holland) zuzustellen.

Untersuchungen über Raumgewicht und Druckfestig⸗ keit des Holzes wichtiger Waldbäume, ausgeführt von der preußischen Haußtftatton des forstlichen Versuchswesens zu Eberswalde und der mechanisch⸗technischen Versuchsanstalt zu Charlottenburg. Be⸗ arbeitet von Dr. Adam Schwappach, Königlich preußischem Forst⸗ meister und Professor an der Königlichen Forstakademie Eberswalde. I. Die Kiefer. Mit 3 Tafeln. Berlin, Verlag von Julius Springer. Pr. 3 Seit dem Jahre 1890 werden von den im Titel genannten Anstalten Untersuchungen über Raumgewicht und Druckfestigkeit der wichtigeren Holzarten ausgeführt. Die Ergebnisse dieser langjährigen und mühsamen Arbeiten liegen bezüglich der Kiefer in obiger Schrift nunmehr vor, diejenigen der mit der Fichte, Weißtanne und Weymuths⸗ kiefer angestellten Untersuchungen sollen etwa binnen Jabresfrist folgen. Diese Untersuchungen sind für die Wissenschaft, wie für die Praxis gleich wichtig, und die Resultate dürften zu einer erhöhten Werth⸗ schätzung des deutschen Waldes das ihrige beitragen.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Ab Maßregeln.

Nr. 21 vom 26. Mai.

Cholera. Britisch⸗Ostindien. Kalkutta. Vom 4. bis 10. und vom 11. bis 17. April sind 132 bezw. 122 Personen an der Cholera, 6 bezw. 5 an Pocken und 213 bezw. 215 an Fiebern

gestorben. 8 Gelbfieber.

In Havanna wurden, den „Pablic health reports“ zufolge, in der Woche vom 16. bis 22. April bei 60 Neuerkrankungen 16 Todes⸗ fälle festgestellt, letztere sämmtlich im Militär.Hospital. In Panama starben vom 8. bis 14. April 17 Personen an Gelbfieber.

Verschiedene Erkrankungen.

Pocken: Madrid 3, New⸗York 4, Warschau 5 Todesfälle; London (Krankenhäuser) 6, Paris 7, St. Petersburg 12 Erkrankungen; Flecktyphus: Moskau 2 Todesfälle; New⸗York 11 Todesfälle; Reg.⸗Bez. Schleswig 2, Kopenhagen 3, Wien 2 Er⸗ krankungen; Influenza: London 19, Moskau 2, New⸗York 8, St. Petereburg 6, Rom 3 Todesfälle; Kopenhagen 43, Stockholm 28 Er⸗ kankungen; Keuchhusten: London 33 Todesfälle; Wien 52 Er⸗ krankungen. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern (Durchschnitt aller deutschen Berichtsorte 1881/90: 1,30 %): in Fürth und Edinburg. Erkrankungen sind angemeldet in Berlin 53, Breslau 30, in den Reg⸗⸗Bezirken Düsseldorf 139, Lüneburg 161, Posen 301, in München 99, Nürnberg 25, Hamburg 46, Budapest 157, Edinburg 306, St. Petersburg 223, Prag 36, Wien 591 an Scharlach (1881/90: 1,39 %): in Gera Er⸗ krankungen kamen vor in Berlin 34, Breslau 21, Budapest 41, Edin⸗ burg 25, London (Krankenhäuser) 239, Paris 40, St. Petersburg 106, Stockholm 21, Wien 84 an Diphtherie und Croup (1881/90: 4,49 %: in Beuthen Erkrankungen wurden gemeldet in Berlin 47, München 37, Hamburg 23, London (Krankenhäuser) 94, Paris 50, St. Petersburg 133, Stockholm 23, Wien 49 desgl. an Unter⸗ leibstyphus in St. Petersburg 140.

Theater und Musik.

Im Königlichen Opernhause wird morgen Donizetti's Oper „Lucia von Lammermoor“ mit Signorina Franceschina Prevosti als Lucia und Herrn Emil Götze als Edgardo gegeben Den Lord Asthon singt Herr Hoffmann. Vorher geht Mascagni's „Cavalleria rusticana“ in Scene. Die Santuzza singt darin 8 Sucher, den Turiddu Herr Sylva.

Im Königlichen Schauspielbause geht morgen zum ersten Male „Der Tod des Tiberius“, Drama in einem Aufzug (mit theilweiser Benutzung der gleichnamigen Geibel'schen Ballade) von Wilhelm Henzen, in Scene. Die Besetzung lautet: Kaiser Tiberius: Fer Grube; Cajus, genannt Caligula: Herr Arndt; Tiberius: Herr

.Arndt; Cnejus Domitius: Herr Plaschke; Macro: Herr Keßler; Ennia: Frau von Hochenburger; Thrasyllus: Herr Kahle; Charikles: n Heine; Glauke: Fräulein Lindner; Ingo: Herr Mat⸗ owsky; Gero: Herr Molenar; Myron: Herr Nesper. Hierauf folgt zum ersten Male „Die schöne Toledanerin*, Luftspiel in 3 Auf⸗ zügen nach Lope de Vega, frei bearbeitet von Eugen Zabel, in folgender Besetzung: Don Diego: Herr Purschian; Marquoͤs von Villena: Herr Arndt; Bärgermeister von Toledo: Herr Hübener; Don Fernando: Herr Hertzer; Donna Antonia: .S. Abich; Juana: ] Lindner; Page: Frau Conrad; Benedict: Herr Ines: Fräulein von Mayburg; Schiffer: Herr Stammer.

as Stück spielt in und bei Toledo zur Zeit Karl'’s des Fünften. Beide Werke sind vom Ober⸗Regisseur Grube in Scene gesetzt.

Das Theater des Westens schließt am Sonntag, den 30. d. M., seine Pforten, da der Orchesterraum für die Opernsaison vergrößert werden muß. Die beiden letzten Vorstellungen bilden Wiederholungen des von dem Gast Herrn August Junkermann bearbeiteten Reuter'schen Werkes „Hanne Nüte un de lütte Pudel'’.

Im Thalia⸗Theater wird Miß Mariella Elm, eine junge Amerikanerin, morgen und am Songeg als „Trilby“ in dem gesg⸗ namigen Schauspiel gastieren. Die Rolle des Svengali hat für Vorstellung Herr Julius Türk übernommen.

8 8 Mannigfaltiges.

Für die unter dem Allerhöchsten Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin zu erbauende erste der drei neuen Kirchen in Groß⸗Lichterfelde ist gestern Mittag in feierlicher Weise auf

derselbe eine an⸗ 8

Aus den „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts“ 1

dem Wilhelmsplatz daselbst der Grundstein gelegt worden. Der

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