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heit, dem Wohle des Staates zu dienen, vor allem aber die Verfassung in Schutz zu nehmen. (Lebhafter Beifall, Händeklatschen rechts; Lärm links.) Der Abg. Schönerer beantragte darauf namentliche Abstimmung über eine Petition, worauf eine zweite namentliche Abstimmung über einen ähnlichen Antrag des Abg. Herbst folgte. Nach drei weiteren namentlichen Abstimmungen unterbrach der Vize⸗ Präsident Dr. Kramarz die öffentliche Sitzung und beraumte eine geheime Sitzung behufs Richtigstellung des Protokolles der letzten geheimen Sitzung an. Nachdem die geheime Sitzung um 5 ¾ Uhr unterbrochen worden war, begann gegen 7 ½ Uhr die öffentliche Sitzung wieder. Auf der Tagesordnung stand die Fortsetzung der ersten Lesung des Ausgleichs⸗Provisoriums. Die Linke verlangte stürmisch die Fortsetzung der geheimen Sitzung. Der Vize⸗Präsident von Abrahamovicz erklärte, das Präsidium könne bei allem Entgegenkommen nicht zugeben, daß die Geschäftsordnung dazu benutzt werde, jede Thätigkeit des Hauses zu ver⸗ —. Auf sein Befragen beschloß das Haus mit großer
ehrheit, daß in der gegenwärtigen Sitzung ausschließlich das Ausgleichs⸗Provisorium verhandelt werden solle. Diese Abstimmung vollzog sich unter stürmischem Widerspruch und Lärm der Linken Der Lärm steigerte sich, als der Vize⸗ Präsident dem ersten Redner zur Tagesordnung Dr. Lueger das Wort ertheilte. Während des Schreiens und Lärmens hatten einige Abgeordnete der Linken, insbesondere der Abg. Wolf, auf der Tribüne des Präsidenten Posto gefaßt und waren zu bewegen, dieselbe zu verlassen. Der Abg. chönerer verlangte schreiend das Wort. Der Abg. Dr. Lueger war nicht im stande, seine Rede zu beginnen, und wartete stehend, von seinen Partei⸗ genossen umgeben, während der Abg. Schönerer unter stetem Lärm anfing zu reden und einen . vorzeigte, auf welchem mit großen Buchstaben stand: „Ich bitte ums Wort“. Die Abgg. Schönerer und Wolf hielten gleichzeitig unter großem Lärm Reden; schließlich hörte der Abg. Wolf auf, während der Abg. Schönerer fortsprach. Das wieder⸗ holte Glockenzeichen des Vize⸗Präsidenten und ein Ordnungsruf an den Abg. Schönerer wurden von der Linken mit neuem Lärm beantwortet. Der Vize⸗Präsident verließ hierauf den Präsidentensitz um 8 Uhr 10 Minuten. Nach 10 Minuten wurde die Sitzung wieder aufgenommen, worauf der Vize⸗Präsident von Abrahamovicz wieder dem Abg. Dr. Lueger das Wort ertheilte, was abermals Lärm und Protestrufe der Linken zur Folge hatte. Der Abg. Wolf begann, einen Zeitungsartikel laut vorzulesen; dabei kam es zwischen vier Anhängern Schönerer’'s einerseits und den Christlich⸗Sozialen andererseits zu einem heftigen Wort⸗ wechsel. Die gegen den Abg. Wolf gerichteten Rufe der Christlich⸗Sozialen: „Hinaus mit dem Schandbuben!“ riefen einen gesteigerten Lärm und gegenseitige Beschimpfungen hervor. Als der Lärm sich zeitweilig legte und der Abg. Wolf mit der Verlesung des Zeitungsartikels aufhörte, be⸗ gann Dr. Lueger seine Rede mit der Bemerkung: kein ehrlicher Deutscher könne mit solchen Gassenjungen gemeinsame Sache machen. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen rechts) Damit im Hause Ruhe ein⸗ trete, sei es nöthig, die Anhänger Schönerer’'s von den übrigen deutschen Parteien abzusondern. Dazu sei eine strikte Beobachtung der Geschäftsordnung erforderlich. Zu diesem Zwecke beantragte der Redner die Fortführung der Verhandlung in geheimer Sitzung. Der Vize⸗Präsident von Abrahamovicz erklärte, den Antrag nicht zur Abstimmung bringen zu können, nachdem die Mehrheit die Fortführung der Berathung des Ausgleichs⸗Provisoriums in öffentlicher Sitzung beschlossen habe. Hierauf unterbrach der Vize⸗Präsident die Sitzung. Nach Wiederaufnahme derselben wiederholte der Vize⸗Präsident von Abrahamovicz seine letzte Erklärung und forderte den Abg. Dr. Lueger auf, weiter zu sprechen. Die Linke hinderte den Redner abermals durch großen Lärm am Sprechen. Einzelne Abgeordnete der Linken verlasen Telegramme, Zeitungsartikel und dergleichen mehr, sodaß der Abg. Dr. Lueger trotz wiederholten Versuches nicht zu Worte kommen konnte. Der Lärm dauerte bis gegen 11 Uhr Nachts. Einzelne Abgeordnete der Linken sangen im Chor: „Schluß“, wozu die Abgg. Wolf und Tuerk auf den Pulten trommelten. Inzwischen sprach der Abg. Dr. Lueger; er war zuerst infolge des Lärms unver⸗ ständlich. Allmählich wurde es ruhiger; man hörte den Abg. Dr. Lueger, der den Ausgleich mit Ungarn bekämpfte, weil, wie er sagte, die Judäomagyaren sowohl in die Säcke der Czechen als in die der Deutschen greifen wollten. Unter großem Beifall und Händeklatschen seiner Freunde verurtheilte Redner die An⸗ hänger Schönerer's, welche er Landesverräther nannte, und sagte, in Preußen würde man solcher Frechheit, wie sie der Abg. Schönerer entwickelt habe, längst ein Ende gemacht haben, „nur wir Geduldigen dulden einen solchen Schurken in unserer Mitte“. (Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei den Christlich⸗Sozialen und rechts.) Er, Redner, sei nicht gegen den Ausgleich, wolle aber einen gerechten Ausgleich, weshalb seine Partei gegen den gegenwärtigen Aus⸗ leich stimmen werde. Redner besprach sodann sein Ver⸗ Haltniß zur Regierung und erklärte: Graf Badeni habe von ihm nie etwas verlangt; er, Lueger, habe als Bürger⸗ meister von Wien mit dem Grafen Badeni, als Minister des Innern, viel zu besprechen und werde dies auch künftighin thun. Lebhafter Beifall bei den Christlich⸗Sozialen.) Der Abg.
loeckner beantragte sodann den Schluß der Sitzung, welcher in zwei namentlichen Abstimmungen abgelehnt wurde. Der Abg. Garapich beantragte den Schluß der Debatte; der Abg. Heeger wünschte geheime, eventuell nament⸗ liche Abstimmung hierüber. (Tumult links.) Der Abg. Wolf trommelte auf dem Pultdeckel, welchen ihm mehrere czechische Abgeordnete zu entreißen suchten. Es entstand ein Handgemenge; zahlreiche Abgeordnete der Linken klopften auf ihre Pulte. Unter ohrenbetäubendem Lärm fand sodann die namentliche Abstimmung statt und wurde der Schluß der Debatte mit 179 gegen 118 Stimmen angenommen. Der Abg. Groß beantragte nun die Ueberweisung des Ausgleichs⸗Provisoriums an einen besonderen Ausschuß von 48 Mitgliedern und, im Falle der Ablehnung dieses Antrages, die Verstärkung des Budgetausschusses zur Berathung des Ausgleichs⸗Provisoriums um zwölf Mitglieder. Der Antrag wurde hinreichend unterstützt. Der Abg. Groß wünschte ferner das Haus zu befragen, ob die Debatte infolge dieses Antrages wieder eröffnet werden solle. Der Vize⸗Präsident von Abrahamovicz erklärte die Be⸗ fragung für unzulässig. Nach kurzer Debatte über die Zu⸗ lässigkeit von Anträgen zur formellen Geschäftsbehandlung erhielt der Generalredner für die Vorlage, der Abg. Engel
(Jungczeche), das Wort. Derselbe sprach unter fortwährendem
5664 Stimmen.
Lärm der Linken und + aus: die Gründe der Obstruktion lägen in der ungerechten nationalen Selbstüberhebung; das Provisorium sei ein Uebel, aber doch ein kleineres, als jene Reihe von Eventualitäten, die in den letzten Tagen angedeutet worden sen Mit Rücksicht auf die Staatsnothwendigkeit sowie auf die Aenderung des Mahlverkehrs würden die Jung⸗ 82 für die Ueberweisung der Regierungsvorlage an den
udgetausschuß stimmen. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen rechts, Widerspruch und Unruhe links.) Der Generalredner gegen die Vorlage Abg. Prade (Deutsche Volkspartei) wandte sich gegen den Vorredner und behauptete, die Jungcezechen seien für ihre Abstimmung durch die Sprachenverordnungen bezahlt. Bezüglich der Bankfrage wünschte der Redner an Stelle der jetzigen österreichisch⸗ungarischen Bank eine österreichische und eine ungarische Staatsbank. Sodann wies der Abg. Prade ein⸗ gehend auf die Nachtheile hin, welche die Verlangerung des bestehenden Ausgleichs auf ein Jahr für die Industrie und Land⸗ wirthschaft haben würde. Auf die Quotenfrage übergehend, bezeich⸗ nete der Redner die Forderungen der ungarischen Quotendeputa⸗ tion als höchst ungerecht. Was die politische Lage angehe, so werde das deutsche Volk sich die Sprachenverordnungen nun und nimmermehr gefallen lassen. Es sei möglich, daß die Obstruktion jetzt nicht durchdringe, schließlich aber werde das deutsche Volk in dem ihm auferlegten Kampfe doch siegen. (Lebhafter Beifall, Händeklatschen links.) Der Abg. Ritter von Berks interpellierte darauf die Regierung, ob sie willens sei, sich den Bestrebungen anzuschließen, welche bezweckten, dem Rückgange des Silberwerthes entgegenzuwirken, und ob sie hierauf bezügliche Verhandlungen mit der ungarischen Re⸗ gierung gepflogen habe. Schließlich lehnte das Haus die Anträge des Abg. Groß ab und nahm mit großer Mehrheit einen Antrag des Abg. Jedrzejowitsch auf Ueberweisun des Budgetprovisoriums an den Budgetausschuß an. Na einer Reihe thatsächlicher Berichtigungen und Anfragen an das Präsidium wurde die Sitzung heute um 10 Uhr Vor⸗ mittags
In Wien “ eine von den Deutsch⸗Natio⸗ nalen einberufene ersammlung nach kurzer Dauer unter heftigem Tumult von den Christlich⸗Sozialen gesprengt. Nach dem Schluß der Versammlung entstand ein Handgemenge; der Saal wurde durch ein großes Aufgebot von Polizei geräumt.
In Baden bei Wien verbündeten sich bei den gestern vorgenommenen Gemeindewahlen im dritten Wahlkörper die Deutsch⸗Liberalen mit den Deutsch⸗Nationalen gegen die Christlich⸗Sozialen. Infolge dessen wurden 5 fortschrittliche Kompromiß⸗Kandidaten und ein Parteiloser gewählt. Es sind 4 Stichwahlen zwischen Christlich⸗Sozialen und Kompromiß⸗ Kandidaten erforderlich.
Der in Lemberg zusammengetretene Ruthenen⸗Tag ist heute von dem Regierungsvertreter aufgelöst worden, weil der Vorsitzende sich weigerte, der Mahnung des Regierungs⸗ vertreters nachzukommen, den ehemaligen Abgeordneten Ro⸗ manczuk, welcher die parlamentarische Lage sowie die bei der Reichsrathswahl vorgekommenen Mißbräuche besprach, in seinen Ausführungen zu unterbrechen.
Im ungarischen Unterhause erklärte gestern der Minister⸗Präsident Baron Banffy in Beantwortung der Interpellation des Abg. Serban wegen der Verleihung eines rumänischen Ordens an den Ministerial⸗Rath Dr. Jeszensky: Wie er bereits am Tage zuvor erwähnt habe, gehöre die Interpellation nicht vor dieses Haus; er wolle nur auf die Bemerkung des Abg. Serban eingehen, nach welcher nicht zwischen Rumänen und Ungarn, sondern zwischen der rumänischen und der . Regierung Gegensätze beständen, und hinzufügen: Gegensätze beständen auch nicht zwischen der rumänischen und ungarischen Regierung, sondern es beständen nur Gegensätze zwischen der ungarischen Nation und den rumänischen Agitatoren, deren größter Theil die Agitation als Erwerbszweig betreibe. Die Antwort wurde zur Kenntniß genommen. ö
8 Großbritannien und Irland. Der Erste Lord des Schatzamts Balfour hielt gestern
in Norwich eine Rede, in welcher er, dem „W. T. B.“
ufolge, bemerkte: das europäische Konzert, das von der Oppo⸗ sütlon bekämpft werde, habe einen Weltbrand verhindert, Kreta die Autonomie gesichert und Griechenland davor bewahrt, einen — seiner Bevölkerung der türkischen Herrschaft zu über⸗ iefern.
Der Schatzkanzler Sir M. Hicks Beach erklärte in einer Rede, die er gestern in Sheffield hielt: der bloße Selbst⸗ erhaltungstrieb rechtfertige schon die Politik der Ausdehnung des Reiches. Bezüglich der Forderungen für die Vermehrung des Heeres bemerkte der Schatzkanzler: er bezweifle, daß das Land willens sei, die vermehrten Lasten zu tragen, und er glaube, daß zunächst durchgreifende Reformen in der Heeres⸗ verwaltung nöthig seien.
Bei der gestrigen Ersatzwahl zum Unterhause in Middleton Eancafhire) wurde an Stelle des verstorbenen Konservativen Fielden der Liberale Duckworth mit 5964 Stimmen gewählt. Der konservative Kandidat Mitchell erhielt
Frankreich. Der Senat verhandelte gestern über die Vorlage, betreffend
die Erneuerung des Privilegiums der Bank von Frank⸗
reich. Nach kurzer Debatte wurde die Vorlage für dring⸗ lich erklärt, und die ersten 12 Artikel wurden angenommen. — Die Deputirtenkammer berieth die Konvention über den Postdampferdienst mit Algier und Tunis. Die Deputirten Raiberti und Lockroy verlangten, daß nur solche Packetboote subventioniert werden sollten, die im stande seien, im Nothfalle 23 Knoten in der Stunde zu⸗ rückzulegen, damit sie in Kriegszeiten im Aufklärungsdienst verwendet werden könnten. Der Handels⸗Minister Boucher erwiderte, daß der Bau und die Unterhaltung von Schiffen mit besonderer Geschwindigkeit sehr theuer seien; die Kosten hierfür würden die zur Verfügung stehenden Mittel über⸗ schreiten. Der Antrag Lockroy's wurde sodann mit 310 gegen 207 Stimmen abgelehnt. Die Kammer beschloß ferner mit 330 gegen 156 Stimmen, am Montag die Berathung des Budgets zu beginnen.
Italien.
Der Minister des Aeußern Visconti Venosta ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern von Rom nach Mailand abgereist. Der Minister⸗Präsident di Rudini begiebt sich heute ebenfalls dorthin, um den Grafen Goluchowski, welcher morgen Abend daselbst eintrifft, zu empfangen. Auch der italienische Botschafter in Wien Graf Nigra wird bei dem Empfange
zugegen sein. Am Sonntag Vormittag werden der König und die Königin den Grafen Goluchowski in Monza empfangen, wo dieser als Gast der Majestäten Wohnung nehmen wird.
Spanien.
Wie „W. T. B.“ aus Madrid berichtet, hat der Minister⸗Präsident Sagasta einer Abordnung der cubani⸗ schen Partei der „konstitutionellen Union“ erklärt, daß das Kabinet infolge der neuen Politik auf Cuba der denselben Einfluß wie früher einrä men
Partei nicht mehr könne. 8 Die griechischen Bevollmächtigten haben, nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Konstantinopel, ihre Instruktion erhalten. Die zehnte Sitzung zur Feststellung des endgültigen Friedensvertrages hat gestern Mittag stattgefunden. In Konstantinopel werden Vorkehrungen füͤr die Ueber⸗ führung von 8000 Rekonvaleszenten der thessalischen Armee getroffen. Eine Sammlung zur Beschaffung warmer Kleider wurde eröffnet; der Sultan spendete 1000 Pfund. Aus Skutari ist in Cetinje die Nachricht eingetroffen, daß der Kaimakam des Miriditengebiets und einige
andere albanesische Häuptlinge nach Diarbekir ver⸗
bannt worden seien. AMmnaerikhahae 1.“
Dem „W. T. B.“ wird aus Pastingtan berichtet, baß
der großbritannische Botschafter Sir auncefote, wie daselbst verlaute, binnen kurzem mit dem Staatssekretär Sherman über die Wiederaufnahme der Verhandlungen be⸗ treffs des Abschlusses eines Schiedsgerichtsvertrages zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten konferieren werde. Auf keiner Seite bestehe Neigung, die Angelegenheit zu überhasten; Sherman habe aber die groß⸗ britannische Regierung vor einiger Zeit wissen lassen, daß der Präsident Mc. Kinley einer Wiederaufnahme der Verhand⸗ lungen nicht abgeneigt sei.
Nach einer Meldung aus Havanna vom gestrigen Tage wird der Marschall Blanco heute einen vom Generalstabe ausgearbeiteten Runderlaß unterzeichnen, in welchem Maß⸗ regeln angeordnet werden, die zum Schutze des ländlichen Eigenthums, zur Förderung des Viehverkaufs, der Kaffee⸗ und Kakao⸗Ernte sowie zur Kultur des Zuckerrohrs und zur Verbesserung der Transportmittel dienen sollen. Der Erlaß zählt auch die Mittel und Wege auf, die behufs Beruhigung der Insel zur Anwendung gelangen sollen. Wahrscheinlich wür⸗ den Bruzon und Vasallo, zwei bekannte Autonomisten, zu von Havanna und Puerto Principe ernannt werden.
Aus Key West ist in New⸗York die Nachricht ein⸗ getroffen, daß der Dampfer „Dauntleß“ vermittels des Schooners „Silverheels“ zwei Freibeuter⸗Expeditionen auf Cuba gelandet habe, die in das Innere gegangen seien.
Der „New⸗York Herald“ hat Meldungen aus Caräcas erhalten, denen zufolge in den Staaten Lara und Bolivar Unruhen durch Aufständische veranlaßt worden wären. Zwei Kompagnien Infanterie seien nach Ciudad Bolivar geschickt und mehrere Hundert Personen verhaftet worden.
Asien.
Der „Kölnischen Volkszeitung“ wird aus Kaldenkirchen im Rheinland gemeldet, daß in der chinesischen Provinz Süd⸗ Schantung die Missionare des Missionshauses Steyl, Nies und Henle ermordet worden seien
v
Aus Prätoria wird gemeldet, daß der Volksraad mit 40 gegen 30 Stimmen eine Resolution gefaßt habe, welche 18 daß die Regierung ermächtigt sein solle, nach Befragung juristischer Autoritäten Maßnahmen zu ergreifen, um die Preise 8 Dynamit in Transvaal billiger zu gestalten. In der Resolution werde der Regierung auch anempfohlen, bis zur endgültigen Entschei⸗ dung der Dynamitfrage die Einfuhr von Dynamit auf Grund von Erlaubnißscheinen zu gestatten, welche der Zahlung eines bestimmten Betrages oder einer anderen Be⸗ dingung zu unterwerfen seien. Der Volksraad beschloß sodann mit einer Stimme Majorität, die Regierung anzuweisen, die Dynamitfrage dem General⸗Staatsanwalt und anderen juristischen Sachverständigen vorzulegen, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, was zu geschehen habe.
Das „Reuter'sche Bureau“ meldet: Sobald bekannt geworden sei, daß eine französische Truppenabtheilung die r; zwischen Dahomey und Lagos überschritten und Saki besetzt habe, sei von dem Gouverneur von Lagos eine Abtheilung britischer Truppen entsandt worden, bei deren Ankunft sich die Franzosen zurückgezogen hätten. Kishi sei noch immer von französischen Streitkräften besezt. ö“
Arbeiterbewegung.
Aus Frankfurt a. M. berichtet der „Vorwärts“, daß die Schriftgießer der dortigen Schriftgießerei von Ludwig und Mayer wegen Lohnstreits in den Ausstand getreten sind.
Aus Paris wird der Voss. Ztg.“ zum Ausstand der Schlächtergesellen gemeldet: Der Pariser Stadtrath übernahm die Vermittelung zwischen den ausständigen Schlächtergesellen und den Meistern; man hofft auf friedliche Einigung.
Aus Lens meldet „W. T. B.“: In den Kohlengruben von Carvin ist ein Theil der Arbeiter in den Ausstand eingetreten.
Statistik und Volkswirthschaft.
Maßnahmen auf dem Gebiete der landwirthschaftlichen Verwaltung in Bayern 1890 —1897.
Von dem Königlich bayerischen Staats⸗Ministerium des Innern ist kürzlich eine „Denkschrift über die Maßnahmen auf dem Gebiete der landwirthschaftlichen Verwaltung in Bayern 1890 — 1897‧ veröffentlicht worden, die sich dem trefflichen Werke vom Jahre 1890 „Die Landwirthschaft in Bavern“ und der 1895 erschienenen Denkschrift „Die Untersuchung der wirthschaftlichen Verhältnisse in 24 Gemeinden des Königreichs Bayern“ als werthvolle Ergänzung und Fortsetzung anreiht. Die neue, 350 Seiten umfassende Denkschrift giebt neben der Darlegung der Maßnahmen auf dem Gebiete der landwirthschaftlichen Verwaltung einen erschöpfenden Ueberblick über die Entwicklung und den Stand des landwirthschaftlichen Gewerbes und seiner Nebenzweige im laufenden Jahrzehnt, indem es im ersten Abschnitt die Ausnutzung der natürlichen Grundlagen der landwirth⸗ schaftlichen Produktion und die Kulturunternehmungen (Moorkultur,
“
Wasserbauten, Wasserversorgung, Flurbereinigung), im zweiten den Wenswirtbschaftsbetrieb und die Verwerthung der Erzeugnisse, im dritten die landwirthschaftliche Versicherung, im vierten den Verkehr, im fünften das Kredit⸗ und Genossenschaftswesen, im sechsten die öffent⸗ lichen Lasten, im siebenten die Dienstboten⸗ und Arbeiterverhältnisse, im achten den landwirthschaftlichen Unterricht, im neunten das land⸗ wirthschaftliche Versuchswesen, im zehnten das landwirthschaftliche Vereinswesen und im elften Abschnitt den Aufwand für landwirth⸗ schaftliche Zwecke aus öffentlichen Mitteln behandelt. Aus diesem reichen Indalt mögen in Nachstehendem einige thatsächliche Angaben über die Kultur⸗ und Betriebsverhältnisse mitgetheilt werden.
In der Einleitung weist die Denkschrift auf die auch im „Reichs⸗ und Staats⸗Anzeiger“ bereits besprochenen Ergebnisse der Berufs⸗ und Betriebszählung vom 14 Juni 1895 hin, nach denen die Zahl der im Hauptberuf landwirthschaftlich Erwerbsthätigen gegen 1882 um 107 % gesunken sei, diese Abnahme jedoch nicht auf die selbständigen Landwirthe, deren Zahl vielmehr etwas zugenommen habe, sondern auf die Zahl der landwirthschaftlichen Hilfspersonen sich beziehe. Diese Minderung werde übrigens t eilweise durch die erhöhte Zahl der nebenberuflich mithelfenden Angehörigen ausgeglichen und sei zum tbeil auch durch die veränderte Zählmethode erklärt. Die Denkschrift bemerkt am Schlusse der Einleitung: „Durch die in den letzten Jahren im Interesse der Landwirthschaft bethätigten Maßnahmen fonnte allerdings eine Besserung der Preise der landwirthschaftlichen Produkte, wie sie zur Hebung der ungünstigen Lage der Landwirthe vor allem nöthig wäre, nicht erlangt werden; allein eine Verbesserung und Erleichterung der Produktion, sowie des Absatzes der Erzeugnisse in mehreren Richtungen, dann eine befriedigende Gestaltung der Kreditverhältnisse, ein erhöhter Schutz der Landwirthe vor Verlusten durch Viehseuchen, Hagelschlag ꝛc. und einige Erleichterungen bezüglich der zu tragenden Lasten können doch als die erzielten Erfolge ver⸗ zeichnet werden.⸗ — 1
Was zunächst den kulturtechnischen Dienst anbelangt, so ist derselbe in den meisten Regierungsbezirken erfreulich entwickelt und zweckmäßig organisiert. Es sind jetzt im ganzen Königreich ständig angestellt: 11 Kreis⸗Kulturingenieure und Kreis⸗Wiesenbaumeister, 10 Bezirks⸗Kulturingenieure und Assistenten, ca. 50 Wiesenbaumeister, Kulturaufseher u. s. w. — Ent⸗ und Bewässerungs⸗Unter⸗ nehmungen sind in der Zeit vom 1. Januar 1889 bis 31. De⸗ zember 1896 durchgeführt worden 385 für eine Grundfläche von 15 009,26 ha mit einem Kostenaufwand von 1 007 129,42 ℳ; ferner 35 Unternehmungen auf Grund des Wasserbenutzungsgesetzes vom 28. Mai 1852 mit einem Aufwand von 51 741 ℳ; sodann Drainage⸗Unter⸗ nehmungen für eine Fläche von 5367,05 ha mit 1 015 603 ℳ Kosten; sonstige Kulturunternehmungen für eine Fläche von 13 379,88 ha mit 1 294 870 ℳ Kosten. Die Kosten stellten sich für das Hektar im Durchschnitt auf rund 99 ℳ Aus öffentlichen Mitteln (Staat, Kreise, Distrikte, Vereine) sind dazu an Zuschüssen 6,43 % der Bau⸗ summe gewährt. Es ist erklärlich, daß Geldmangel bei den Inter⸗ essenten das Fortschreiten dieser Kulturunternehmungen verlangsamt. Die Urbarmachung der Moore, die im Königreich 144 342 ha umfassen, wovon nicht einmal die Hälfte zum Torfstich zu brauchen ist, wurde in den letzten Jahren namentlich durch die Einrichtung einer Landes⸗Moorkulturanstalt (1895 bis 1897: Landes⸗Moorkultur⸗ kommission) befördert. Die Flußkorrektionen im Donau⸗ und Rheingebiet haben in der Berichtsperiode der Landwirthschaft ein Verlandungsgebiet von zusammen 6359 ha zugeführt, welches an Baargeld durch Verkauf und Verpachtung 474 195 ℳ, an Nutzung
schätzungsweise 261 585 ℳ eingebracht hat. Wasserversorgungs⸗ Unternehmungen für reine Landgemeinden und für Städte mit überwiegend landwirthschaftlicher Bevölkerung sind nach den und unter Oberleitung 1878 eingerichtete technische ureaux für Wasserversorgung“ und unter Geldzuschüssen aus dem „Wasserversorgungsfonds“ sind 214 in 274 Ortschaften mit einem Gesammtaufwand von 7 000 000 ℳ, unter Zuschuß von 32,3 % aus Staatsmitteln ausgeführt worden. Auch die Flurbereinigung hat in der Berichtsperiode befriedigende Fortschritte gemacht. Es haben von 1889 — 1897 Erledigung gefunden 99 Zusammen⸗ legungen und 187 Feldwegregelungen mit einer Größe der Bereinigungsfläche von 16 676 ha und einer Zahl der betheiligten Grundeigenthümer von 16 032. Der durch diese Bereinigungen erzielte Gewinn ist auf 5 116 410 ℳ veranschlagt, die Kosten (ohne Wegebau, Grunderwerb ꝛc.) auf 10 ℳ pro Hektar.
Bezüglich der Bodenbearbeitung und Düngung wird be⸗ richtet, daß man durch Belehrung und theilweise auch durch ander⸗ weitige Unterstützungen bestrebt gewesen ist, den im allgemeinen nicht günstigen Stand, wie ihn namentlich auch die Untersuchungen der wirthschaftlichen Verhältnisse in 24 Gemeinden des Königreichs be⸗ stätigt hatten, zu heben. Das landwirthschaftliche Bauwesen fand in der Bauordnung vom 31. Juli 1890 größere Berücksichtigung. Um die Verbreitung landwirthschaftlicher Maschinen erwarben sich neben den landwirthschaftlichen Vereinen auch die landwirthschaft⸗ lichen Darlehnskassen⸗ und Konsumvereine anerkennenswerthe Ver⸗ dienste. Ueber den Stand 1895 bezw. die Zunahme der Maschinen⸗ benutzung seit 1882 geben folgende Zahlen Aufschluß. Von je 100 sämmtlicher Betriebe der betreffenden Größe
verwendeten 0-1 ha 1- 10 ha 10 — 100 ha 192 r
; - [1882 0,2 7,9 47,5 86,9
Maschinen überhaupt 1895 20 25,0 734 86,9 Dampfpflüge 1895 2,9 Sa 8 34,5 Säemaschinen . 1895 19,8 Drillmaschinen. 1895 49,3 E 1895 25,2 ckmaschinen 1895 20,9 ampf⸗Dresch⸗ 1882 15,9 maschinen 1895 59,6 Andere Dresch⸗ 1882 52,8 maschinen 40,3 Milchzentrifuge (Handbetrieb) 1895 14,5 V 5,0
Milchzentrifuge Mähmaschinen... 1832 001 g 29,6
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(Kraftbetrieb) . . 1895 0,1 „ 34,3
Ueber die Beziehungen der Landwirthschaft zur Forstwirth⸗ schaft theilt die Denkschrift hier u. a. mit, daß 1896 die ganze Forst⸗ fläche des Königreichs 2 562 006 ha = 33,1 % der Gesammtfläche umfaßte. Nach Abzug der rein forstwirthschaftlichen Betriebe standen 1895 in forstwirthschaftlicher Benutzung von 663 785 Betrieben 1 339 251 ha gegen 1 400 526 ha von 681 521 Betrieben im Jahre 1882. Von der ganzen Betriebsfläche machte die forstwirthschaftlich
benutzte Fläche aus bei den Betrieben
unter 1 ha 43,14 % von 20 — 50 ha 23,93 % von 1 — 10 „ 18,28 „ 69100 89, 275 10 —20 „ 21,88 „ 100 ha u. mehr 38,72 .)
Die Gründe für die bemerkenswerthe Abnahme der Pri vatforsten erblickt die Denkschrift in der fortgesetzten Ausdehnung des Eisenbahn⸗ netzes, dem Ausbau und der Verbesserung der in den Wald⸗ egenden, dem lebhaften Holzhandel bei guten 8* en, der schwung⸗ st betriebenen Fabrikation von Holzstoff, Cellulose, Holzpflaster u. s. w., in dem wachsenden Bedarf von Grubenhöͤlzern, der allerorts starken Bauthätigkeit, schließlich aber auch in der durch die gedrückten 1 reise der landwirthschaftlichen Erzeugnisse herbeigeführten miß⸗ ichen Lage der bäuerlichen Waldbesitzer, welche vielfach dadurch zur weitgehendsten Ausnutzung ihrer Holzbestände genöthigt werden. er stärkeren Abholzun entsprach die Wiederaufforstung nicht. Regierung und Vereine sind um Abstellung dieses Mißverhältnisses bemüht. Die mit Getreide und Hülsen⸗ früchten bebaute Fläche ist 1893 auf 1 848 036 ha = 60,4 % des gesammten Acker⸗ und Gartenlandes (66,3 % der gesammten land⸗ wirthschaftlich benutzten Fläche ohne Weinberge von 4 611 523 ha) ’. worden, und zwar mit den 4 Hauptgetreidearten einschließlich es Spelzes 1 765 263 ha = 57,7 %. Gegen 1883 hat das
Getreideland im ganzen Königreich um 7034 ha zugenommen. Nach den schätzungsweisen Ermittelungen bei der Erntestatistik von 1896 war dagegen eine Abnahme um 3087 ha zu berechnen. Der Körnerertrag pro Hektar stellte sich in Zentnern bei Weizen Spelz Roggen Gerste 1890 auf 30,4 29,6 28,8 31,3 1891 “ 22,3 24.1 31,7 1892 30;4 30,0 30,8 1893 .11118 28,3 27,4 1894 . Eu1b 27,1 28,8 1895 21 26,5 22,6 . 1896 III 23, 25,2 25,5 24,9 Besonders bemerkenswerth ist die in den letzten Jahren hervor⸗ tretende genossenschaftliche Organisation der Landwirthe für den Getreideverkauf, namentlich durch Errichtung der Lagerhäuser. Es sind bis jetzt solche errichtet worden Kosten Kosten
.“ Trostberg . . . 14 700 8 “ E LPZPV6PI 4 67
andshut .28 000 Oberröslau. 6 Hohnstadt. . 10 000 Winsfeld 15 E 2 11““ Kallmünz .5 000 Eußenheim . 6 Aus Staatsmitteln wurden im Ganzen 20 800 ℳ an Zuschüssen und 66 820 ℳ an Vorschüssen gewährt. Die Errichtung erfolgte in einem
Falle seitens eines Produzentenvereins, in einem anderen durch den
landwirthschaftlichen Bezirksverein, sonst durch Darlehnskassenvereine.
In Aussicht stehen weitere Lagerhäuser in Bötting (Aufwand 5000 ℳ),
Geisenhausen (13 750 ℳ), Enkenbach (8000 ℳ), Rockenhausen
(8000 ℳ), Mitterteich (8000 ℳ), Waldershof (4000 ℳ), Wiesau
(5000 ℳ), Haag (4300 ℳ), Retzbach (16 000 ℳ), Laufach (7000 ℳ)
und Möttingen (10 000 ℳ); ferner sind in Erwägung
solche in Mühldorf, Speyer, Landstuhl, Maximiliansau,
Neusorg, Tirschenreuth, Waldsassen, Münchberg und Uffen⸗
heim. Die Erfahrungen, welche bisher mit den Lagerhäusern
gemacht werden konnten, werden als günstige bezeichnet. Das in den Lagerhäusern aufgenommene Getreide erweist sich, wie der Be⸗ richt sagt, weil besser geputzt, sorgfältiger behandelt und sortiert, als leichter verkäuflich und wird auch meist mit höheren Preisen bezahlt.
Noch sei hier der Hopfenbau erwähnt. Es waren mit Hopfen bebaut 1883: 26 815 ha, 1893: 26 226 ha. Im Duvcchschnitt ergab
sich ein Ertrag pro Hektar in Zentnern: 1870 10,8 18914 14133
J11X4“ 169 161u“ 1896.. Ferner der Tabackbau. Hier hat am Anfang der neunziger Jahre gleichfalls ein Rückgang stattgefunden, in den letzten Jahren v”n Zunahme zu bemerken. Nachfolgende Zahlen geben ein
avon:
Anbaufläche Ertrag auf 1 ha
ha in 100 kg 1890/91 1 3970 19,7 1““ 3317 17,0 111111“ 2094 18,6 11666 2179 19,0 b“ ““ 20,8 EZ1““ 3650 Endlich der Weinbau. Derselbe flächen auf 1883
ha
Oberbayern .. — Niederbayern. 2,39
—. 13 388,11 13 903,01
. 110,61 119,75 Oberfranken.. 46,98 28,15 Mittelfranken. 492,91 487,28 562 Unterfranken. 9 616,52 9 119,35 7 860 Schwaben 189,61 131,96 144 Königreich . .23 847,13 23 791,82 22 652
Im Jahre 1895 wurde in Bayern zum ersten Mal, und zwar in der Gemarkung Sausenheim, Bezirksamt Frankenthal, ein Reb⸗ lausherd aufgefunden. Der Herd umfaßte 1895: 133 a und 1896: 163 a. Die Vernichtungsarbeiten erforderten 1895 einen Aufwand von 11 390 ℳ und 1896 einen solchen von 1896 ℳ, der Gesammt⸗ aufwand einschließlich Entschädigung der Besitzer: 26 809 bezw. 34 578 ℳ Die Desinfektion eölhe mit Schwefelkohlenstoff und Petroleum nach dem Honnef'schen Verfahren.
Auf die vielseitigen, allgemein interessierenden Mittheilungen dieses Abschnitts über Obst⸗ und Gartenbau, Thierzucht und Veterinär⸗ wesen, sowie die landwirthschaftliche Industrie und Nebengewerbe (Molkerei, Branntweinbrennerei, landwirthschaftliche Hausindustrie) gleichfalls hier näher einzugeben, verbietet die Rücksicht auf den Raum. In einem weiteren Artikel wird noch Gelegenheit genommen werden, einen flüchtigen Blick auf die Abschnitte 3 bis 11 der Denkschrift zu werfen, deren Inhalt bereits oben angedeutet ist.
1 Kunst und Wissenschaft.
Die erste Sitzung der Archäologischen Gesellschaft nach
der Sommerpause eröffnete der Vorsitzende, Herr Schöne, Exc., mit einem Worte der Erinnerung an Wilhelm Wattenbach, der seit dem Jahre 1844 der Gesellschaft als Mitglied angehörte und ihrer Interessen zusammen mit dem ihm eng befreundeten Ernst Curtius sich stets aufs wärmste annahm. Nach Vorlegung und Be⸗ sprechung der zahlreichen neuen Erscheinungen der einschlägigen Literatur durch den Vorsitzenden und Herrn Wernicke nahm v. Engelmann das Wort zur Besprechung einer Reihe kleinerer
enkmäler, insbesondere eines bisher unerklärten, zuletzt auf die Laokoonsage bezogenen Vasenbildes, das er auf den lokrischen Ajas und dessen Frevel an Kassandra deutete: eine Deutung, die dem Wider⸗ spruch der Herren Trendelenburg, Wernicke und von Wila⸗ mowitz⸗Moellendorf begegnete. Danach sprach Herr Pernice über eine Wage aus Chiusi im Besitze des hiesigen Königlichen Anti⸗ quariums, die zu falschen metrologischen Folgerungen Veranlassung gegeben hatte, weil man bisher ein als Ornament darauf angebrachtes Kerykeion für einen Buchstaben genommen und eine Gewichtszahl falsch gelesen hatte. Herr Lehmann erkannte die Richtigkeit der Ausführungen des Herrn Pernice an, ohne jedoch seine an die unzu⸗ treffenden Voraussetzungen 1- Folgerungen ganz fallen zu lassen. Zum Schluß entwickelte Herr Lehmann in einem infolge der vorgerückten Zeit etwas eingeschränkten Vortrage seine Ansichten über Herkunft und Bedeutung des Sarapis.
Am 2. November fand hier der Delegirtentag des Ver⸗ bandes der deutschen Kunstgewerbe⸗Vereine unter Leitung des derzeitigen Vorsitzenden des Verbandsvorortes, Architekten Hoffacker statt. Von 23 Vereinen waren 20 durch 27 Delegirte vertreten. Zum Vorort für die nächsten zwei Jahre wurde der Württembergische Kunstgewerbe⸗Verein in Stuttgart gewählt, dessen Vorsitz z. Zt. der Präsident der Zentralstelle für Gewerbe und Handel Dr. von Gaupp innehat. Der bisherige Vorort Berlin erstattete den Geschäftsbericht für die Jahre 1895 bis 1897 und legte den Etat für die folgenden zwei Geschäftsjahre zur Genehmigung vor. Außerdem wurde einstimmig beschlossen, den auf dem letzten, im Januar d. J. y11“ vertretenen Standpunkt festzuhalten, wonach das deutsche Kunstgewerbe auf der Pariser Weltausstellung 1900 in seinen hervorragendsten Leistungen, gesondert von der Marktwaare, auch der kunstgewerblichen, geschlossen auftreten wolle, und alle zur Ausstellung zuzulassenden Gegenstände einer nach einheitlichen Gesichtspunkten zu vollziehenden Vorprüfung zu unterwerfen seien. Betreffs der im Jahre 1899 für Dresden geplanten „Deutschnationalen Kunst⸗ und Kunst⸗ gewerbe⸗Ausstellung“ ging die einstimmige Meinung dahin, daß im
25 auf die Verpflichtungen, welche die einheitliche, all⸗ eitige und glänzende Betheiligung des Deutschen Reichs an der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 den Kunstgewerbetreibenden auf⸗ erlege, von einer solchen Veranstaltung dringend abzurathen sei. Ferner hat es der neue Vorort übernommen, die Regelung verschiedener die Pariser Ausstellung betreffenden, mehr geschäftlichen Fragen anzu⸗ bahnen und durch einen späteren Delegirtentag ebent. zum Austrag zu bringen. Die Einstimmigkeit in der Beschlußfassung über diese wich⸗ tigen Fragen ist um so bedeutungsvoller, als der Verband so ziemlich alle Kunstgewerbe⸗Vereine Deutschlands mit über 10 000 Mitgliedern
umfaßt. 18 11“ 11“ Am 2. Rovember verstarb in Göttingen im 63. Lebensjahre der Geheime Regierungs⸗Rath Dr. Ernst Schering, ordentlicher Professor der Mathematik und theoretischen Astronomie und Direktor des Gauß'schen erdmagnetischen Observatoriums an der dortigen Universität. Er gehörte noch zu den Trägern der Gauß⸗ Weber'schen Traditionen, denen die Göttinger Hochschule einen so großen Theil ihres Ruhmes in den letzten sechs Jahrzehnten ver⸗ dankt, und hat diese Hinterlassenschaft aus großer Zeit durch eigene gewichtige Untersuchungen über den Erdmagnetismus und durch seine Forschungen auf dem Gebiete der Geophysik redlich gemehrt. Als Herausgeber der Werke von Gauß, deren Publikation er im Auftrag der Göttinger „Gesehsschaft der Wissenschaften“ besorgte, hat er seinen Namen weit über die eigentlichen Fachkreise hinaus bekannt gemacht
Literatur.
Ein neuer Roman von Georg Ebers, betitelt „Arachne“, wird noch im Laufe dieses Monats in der Deutschen Verlags⸗Anstalt zu Stuttgart erscheinen. Der Autor führt in dieser eigenartigen Er⸗ zählung den Leser diesmal wieder nach Egypten, und zwar in ein ent⸗ legenes Weberstädtchen, und von dort aus in die unter Ptolemäus “ schneh erblühte Heimstätte des Realismus, das alte
lexandria. Die Schicksale und Wandlungen des Helden, eines jungen griechischen Bildhauers, boten dem Dichter Gelegenheit, seine Ansichten über die wichtigsten Fragen der Kunst auszusprechen. Die bewegte Handlung kommt in jenem Pergamon zum Abschluß, das infolge der Auffindung der herrlichen Bildwerke vom Altar des Attalos in neuerer Zeit so viel genannt wurde.
Verdingungen im Auslande.
Dänemark.
18. November, 2 Uhr. Staatsbahn⸗Verwaltung, Statsbane- anlaegenes Kontor, Reventlowsgade 10, Kopen hagen: Lieferung von 45 000 Stück = etwa 12.2 Tonnen Winkellaschen⸗Bolzen mit Mutterschrauben. 207 000 Stück ä= etwa 38,7 Tonnen Nägel für den Bau der Odense⸗Kjerteminde⸗Dalby⸗Eisenbahn. Bedingungen an Ort und Stelle und beim „Reichs⸗Anzeiger“ (in däntscher Sprache).
Verkehrs⸗Anstalten. G “
Buluwayo, 4. November. (W. T. B.) Die Eisenbahn, welche Buluwayo mit Kapstadt verbindet, wurde heute durch den Ober⸗Kommissar der Kapkolonie in Gegenwart zahlreicher, aus allen Theilen Süd⸗Afrikas erschienener Festtheilnehmer eröffnet. Der Kommissar verlas ein Glückwunsch⸗Telegramm des Kolonial⸗Ministers Chamberlain, worauf die Versammelten ein Hoch auf Chamberlain und Rhodes ausbrachten.
Bremen, 4. November. (W. T. B) NorddeutscherLloyd. D. „Bremen“ 4. Novbr. Mrgs. Reise v. Neapel n. Port Said ortgesetzt.
— 5. November. (W. T. B.) PD. „Trave“ 4. Nov. Mrgs. in New⸗York angek. „Heimburg“ 4. Nov. Mrgs. Reise von Oporto n. Lissabon fortges. „Ems“ 4. Nov. Vm. Reise von Genua n. New⸗York fortges. „Weimar“ 4. Okt. Mrgs. in New⸗York angek. „Kaiser Wilhelm der Große“, v. New⸗ York kommend, 4. Nov. Nm. a. d. Weser angek. „Werra“, von New⸗York kommend, 4. Nov. Nm. in Neapel angekommen.
Hamburg, 4. November. (W. T. B.) Hamburg⸗Amerika⸗ Linie. PD. „Columbia“ ist heute Mittag von Cherbourg ab⸗ gegangen.
London, 4. November. (W. T. B.) Castle⸗Linie. Dampfer „Roslin Castle“ ist auf der Ausreise gestern in Kapstadt angekommen.
Union⸗Linie. Dampfer „Mexican“ ist auf der Heimreise gestern von Kapstadt abgegangen.
Rotterdam, 4. November. (W. T. B.) Holland⸗Amerika⸗ linie. Dampfer „Maasdam“ von Rotterdam am Mittwoch Nachmittag nach New⸗York abgegangen.
— 5. November. (W. T. B.) Dampfer „Maasdam“, von
New⸗York, hat heute Vormittag Lizard pas
v“ Eb Gestern ga italienische Gastspielgesellschaft ein deutsch
Schauspiel, G. Hauptmann’'s „Einsame Menschen“, mit schönem Erfolge. Herr Ermete Zacconi spielte die Rolle des Johannes Vockerat, jenes unschlüssigen, nervösen, „modernen“ Mannes, der, von Wissensdurst und Zweifelsucht voll, sich über seinen engen Familienkreis binaus nach einer mitfühlenden, geistes⸗ verwandten und starken Seele sehnt und, als er se gefunden, in dem Kampf zwischen Liebe und Pflicht untergeht. Die Willensschwäche des jungen Gelehrten hat der Darsteller fein und eindringlich wiedergegeben; daneben stattete er seinen Johannes mit einem festen Füs dmete palhegs Grübelns aus, der nach dem schmerzensreichen2 bschied von der Seelenfreundin sich bis zum Tief⸗ sinn steigert und das jähe Ende erklärlich macht. Neben Herrn Zacconi that sich wieder Fräulein Varini als die Dulderin Käthe hervor. Beiden Künstlern wurde bei offener Scene und nach den Aktschlüssen reicher Beifall zu theil. v11“
— Im Königlichen Opernhause wir g
„Undine“ in folgender Besetzung gegeben: Undine: Fräulein Hiedler; Bertalda: Frau Herzog; Ritter Hugo: Herr Naval; Kühleborn: Herr Hoffmann. Kapellmeister Sucher dirigiert.
Im Königlichen Schauspielhause gelangt morgen Shakespeare’'s Tragödie „Hamlet“ mit Herrn Matkowsky in der Titelrolle zur Aufführung.
Wilhelm Jordan, der Dichter der „Nibelunge“, wird nach einer Unterbrechung von Jahrzehnten wieder einmal in Berlin als Rhapsode auftreten. Er wird an dem „Dichter⸗Abend“ des Schiller⸗ Theaters theilnehmen, der am Sonntag, den 7. November, im Bürgersaale des Rathhauses stattfindet. Das Programm dieses „Wilhelm Jordan⸗Abends“ ist solgendes: Vortrag über Wilhelm Jordan von Reinhold Ort mann; Dichtungen von Wilhelm Jordan, vorgetragen von Mitglieder n des Schiller⸗Theaters; Gesangvorträge von Kompositionen Jordan’ scher Dichtungen; Gesänge aus der „Sieg⸗ friedsage“, frei vorgetragen vom Dichter.
Das Repertoire für die letzten Abende des verlängerten
acconi⸗Gastspiels im Neuen Theater ist in folgender Weise estgestellt worden: Montag: „Disonesti“ und „Pietro Caruso*; Dienstag: „Pane altrui“ und „Diritti dell' anima“; Mittwoch: „Kean“; Donnerstag: „Disonesti“ und „Pietro Caruso“; Freitag: Abschiedsvorstellung.
In der Dreifaltigkeits⸗Kirche findet am Mittwoch, den 10. November, ein gat tliches Konzert zum Besten des seit mehreren Jahren erblindeten Familienvaters Hermann Werth statt. In dem Konzert wirken mit: die Konzertsängerin Fräulein Julie Müller⸗
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