1897 / 296 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 16 Dec 1897 18:00:01 GMT) scan diff

Qualität

gering mittel gut

Gezahlter Preis für 1 Doppelzentner

niedrigster V höchster niedrigster

bsäster niedriaster böchfter E“ V

Außerdem wurden am Markttage (Spalte 1) nach überschläglicher Schätzung verkauft Doppelzentner (Preis unbekannt)

Am vorigen Markttage

Luckenwalde.. Frankfurt a. O. J1ö.“ Greifenhagen. Stargard. ensettim 8 g Lauenburg i. P. 1.““ ee Rawitsch. Krotoschin Bromberg. neumnsg. Frankenstein Lüben 11“ Schönau a. K. Lauban .. Salzwedel. Halberstadt. Eilenburg Marne Goslar. Duderstadt. Lüneburg Limburg a. L.. Dinkelsbühl. Schweinfurt. Biberach. Schwerin i. M. Altenburg.. Breslau. Ueberlingen.

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Elbing. Luckenwalde Potsdam.. . Neuruppn. Fürstenwalde, Spree Frankfurt a. O.. Guttin. .. Greifenhagen. Ee“ Stargard. Naugard. Schivelbein .. Neustettin ... EEö1“” Rummelsburg i. ““ Lauenburg i. P. E11““ EE““ Rawitsch. Krotoschin. Wilttsch . . . 8 ö 1“ Schönau a. K. Eöö1“ Salzwedel. Halberstadt. Eilenburg Marne Goslar. Duderstadt Lüneburg. Paderborn Limburg a. L.. Dinkelsbühl. Schweinfurt.. Biberach. Schwerin i. M. Braunschweig Altenburg Breslau. Neuß . Ueberlingen.

14,00 10,75 14,31 18,80

16,00 11,50 12,00 12,10 13,20

11,20 13,50

13,75 14,00 12,00 15,40

12,40 12,40 12,40 13,60

13,40 13,40 13,00 12,30 12,40 13,00 13,00 12,00 12,65 12,00 13,20 13,00 14,50 14,50 12,00 14,00 12,67 13,75

13,00 13,50 12,00 12,00

14,00 11,80

13,30

13,30 1 14,37 14,37 15,20

Gerste.

11,43 11,71 11,71 13,75 14,00 14,00 14,20 15,40 15,40 15,00 15,10 15,20

14,80 15,00 14,20 14,40 13,20 14,00 15,14

14,00 13,50 14,50 14,50

14,00 15,50 14,50 14,50 14,60

17,50 15,00 11,20 15,10 14,50 11,00 15,54 19,00 19,00 18,20 12,00 14,00 16.,00 1727,00 13,70 165,82

12,00 14,25 13,50

1

13,50 13,70

—₰

13,20 12,40 12,80 12,40 12,80 12,80 12,80

13,60 88 13,00 13,60 13,60 13,40 13,80 13,40 13,60 12,50 12,70 12,90 13,10 12,90 12,90 13,40 13,40 13,00 13,20 13,40 13,20 13,40 13,60 13,70 1200 12,80 12,80 13,00 12.90 13,15 13,40 13,65 12,40 12,60 12,80 13,00 13,20 135,60 13,50 13.80 13,75 14,00 14,00 14,50 15,00 15,00 15,50 15,50 14,50 15,00 15,00 15,75 1200 12,50 12,50 13,00 15,00 15,10 15,50 15,60 13,33 13,33 14,00 14,00 14,00 14,00 14,60 14,60 13,40 13,60 13,80 —. 13.40 13,20 13,40 13,80 13,90 13,50 14,00 14,00 14,40 13,20 13,40 13,80 14,00 12,50 12,50 13,00 13,00 —- 15,00 15,00 15,70 14,00 15,20 15,20 16,00 12,30 12,80 13,10 13,30

12,60 13,60 13,60

SSEESS888

88

Bemerkungen.

11.12. 8.12.

11.12.

11. 12. 11.12.

8.12. 13. 12. 13. 12. 10. 12.

11. 12. 9.12.

verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und der Verkaufswerth auf volle Mark 1. mitgetheilt. Der Durchschnittspreis wird aus den unabgerundeten Zahlen berechnet.

Ein liegender Strich (—) in den Spalten für Preise hat die Bedeutung, daß der betreffende

is nicht vorgekommen ist; ein Punkt (.) in den letzten sechs Spalten, daß entsprechender Bericht fehlt.

Deutscher Reichstag. Sitzung vom 15. Dezember 1897, 1 Uhr.

Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen

Nummer des Blattes berichtet.

Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der ersten

Berathung des Reichshaushalts⸗Etats

Rechnungsjahr 1898.

Abg. Graf von Kanitz (d. konf.):

für das

ich dem Hause

angehöre, habe ich mich noch niemals an der Generaldebatte über den Stat betheiligt. Ich habe mich zum Wort gemeldet, als Herr Richter die Börsenfrage berührte. Der uns früher gemachte Vorwurf, daß wir die Ehre der Kautmannschaft angegriffen hätten, ist verstummt; ich konstatiere mit Befriedigung, daß auch in diesem Hause der Vorwurf

nicht mehr vorgekommen ist. Beim Börserge an der Dekatte nicht betheiligt und hat die

hat sich Herr Richter

ertretung der Sache

dem Abg. Frese überlassen. Seine gestrigen Ausführungen waren nicht sachgemäß. Er hat die Behauptung der Börsenblätter wieder⸗ daß die Beseitigung des Terminhandels der Landwirthschaft

det hat. Den e sind anderer

eweis hat er nicht erbracht. an Meinung. verkauft wird, ist doch auch früher schon vorgekommen.

Die Land⸗ nach Paris

in man

den Berliner Markt von Getreide entblößen wollte, würde das Ge⸗

treide ins Ansland verfrachtet. einer Gesundung des Berliner

V Ich erinnere an die Machinationen der Firma Ritter und Blumenfeld. dene öesen esetz hat zu

Wenn der Aus⸗

landepreis höher stände als der Inlandspreis, wie Herr Richter behauptet, würde cs nicht möglich sein, ein Korn Getreide nach Deutsch⸗ land einzuführen. In den ersten zehn Monaten 1897 ist aber er⸗

mehr Getreide eingeführt worden als in den ersten zehn Monaten 1896 und 1895; cs hat eine Steigerung von 32 Millionen Doppelzentnern im Jahre 1895 auf 40 Millionen im Jahre 1896 und 41 681 000 dz in diesem Jahre stattgefunden. (Zuruf: Weizen

und Roggen.) Weizen ist eingeführt worden 1896:

13 638 000 dz,

1897 10 144 000 dz, Roggen 1896 8 490 000 dz und 1897 sieben Millionen Doppelzentner. Eine solche Vermindererung der Weizen⸗ und Roggeneinfuhr war von uns beabsichtigt. Herr Richter hat besonders die Proviantämter bedauert. In Süddeutschland hat es niemals einen Getreide⸗Terminhandel gegeben, und trotzdem sind die Proviantämter nicht in Verlegenheit gekommen. Ich habe von vornherein angenommen, daß es Schwierigkeiten machen würde, den Terminhandel von Deutschland in das Ausland zu ver⸗ legen. „Es wurde in Amsterdam eine Filiale gegründet, aber die Sache ist elendiglich zu Grunde gegangen. Die „Breslauer Zeitung“ weist darauf hin, daß die Geschäftsinhaber sich der Zahlung der Diffe⸗ renzen entzogen haben; so untergrabe das Börsengesetz die Moral. Diese Bemerkung ist einzig und beweist nur, welche Geschäftspraktiken die Börsenleute anwenden. Die Getreidebörse verlangt die Aufhebung des Verbots des Terminhandels, ehe sie Frieden schließen will. Dadurch werden ganz unerfüllkare Erwartungen erweckt. Von einer solchen Wiedereinführung des Terminhandels kann niemals die Rede sein; das ist eine geographische Unmöglichkeit, denn an dem Getreideterminhandel hatten nur die Landstriche ein Interesse, welche unter dem Banne der Berliner Börse standen. Wenn die Regierung einen Gesetz⸗ entwurf wegen Wiedereinführung des Terminhandels vorlegen wollte, so würde er mit derselben Mehrheit abgelehnt werden, mit welcher der Terminhandel verboten ist. Die Herren von der Börse haben ihre Einrichtung im „Feenpalast“ und jetzt im „Heiligen Geist⸗ Hospital“ nicht im Interesse der Landwirthschaft getroffen. Gegen diese verkappte Börse muß die Regierung veorgehen, sobald sie die gerichtlichen Urtheile hat. Der Ausspruch des Bezirksausschusses be⸗ weist nichts. Sollte das oberste Eericht nicht einen guten Urtheils⸗ spruch fällen, dann bleibt nur eine Novelle zum Börsengesetz übrig. Herr Richter hat gemeint, daß die Entvölkerung des platten Landes nicht Fhrhc sei. Es kommt nicht auf die Zahl der Bevölkerung an sich an, sondern darauf, wie viel arbeitskräftige Elemente vom Lande in die Stadt gegangen sind. Durch den Abgang von Arkeits⸗ kräften sind die ästlichen Provinzen bei der Invalidenversicherung in die bedrängteste Lage gekommen. Es sind Frauen, Kinder und

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Es 1

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alte Leute zurückgeblieben. Der Zollschutz ist maßgebend für die Prosperität der Landwirthschaft, und eHen webi dem nicht lohnenden Erwerbszweig den Rücken und geht zur Industrie über. Wenn die großen Städte besonders anwachsen auf Kosten der kleinen Städte, so sind daran die Eisenbahn⸗Tarife zum großen Theil schuld. Im Landes⸗Eisenbahnrath haben die Interessenten der Ruhrzechen eine weitere Ermäßigung der Fracht für Erze verlangt. Freiherr von Stumm hat auf die beträchtlichen, dagegen vorliegenden sozialen Bedenken hingewiesen. Die sich anhäufenden Arbeitermassen ließen sich schließlich garnicht mehr regieren. Ich hoffe, daß der preußische Eisenbahn⸗Minister dieser Tarifermäßi⸗ geng nicht zustimmen wird. Die hier berührte Polonisierung der östlichen Provinzen hängt eng zusammen mit dem Alfluß der Arbeiter aus ihnen. Die schwierige Lage der Landwirthschaft zwingt zur Heranziehung polnischer Arbeiter aus Rußland, da der deutsche Arbeiter in das Eldorado der Großstädte zieht. Dem preußischen Landtage soll wieder eine Vorlage zur Verstärkung der Fonds der Ansiedelungs⸗Kommission vorgelegt werden. Diese Vorlage wird vergeblich sein, wenn man nicht zugleich die Nothlage der Landwirthschaft beseitigt, durch welche die Polonisierung gefördert wird, sonst machen wir zwei Schritte vorwärts und drei zurück. Herr Rickert bezeichnete den Abschluß der Handels⸗ verträge als eine politische Aktion ersten Ranges. Die Krönung dieses Gebäudes, der russische Handelsvertrag, ist vom Reichstage nur mit kleiner Mehrheit und mit Hilfe der Sozialdemokraten an⸗ genommen worden. Welche Wirkung haben denn die Handels⸗ rerträge gehabt? Es ist uns ein dickes Buch über die Handelsbezichungen zum Auslande vorgelegt worden. Die Steigerung der Ausfuhr liegt allerdings vor, aber die Hebung des Wohlstandes im Inlande ist vollständig ausgeblieben; denn mit der Ausfuhr ist die Einfuhr gewachsen, es handelt sich Jahr für Jahr um eine Unterbilanz. Die Einkommensteuer in Preußen ergiebt jetzt nur ein minimales Plus gegenüber der ersten Einschätzung; die Steuerkraft pro Kopf hat abgenemmen. Unsere Handelspolitik muß andere Wege einschlagen, als die des planlosen Meist⸗

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S ———— 2 .

änstigungswesens. Wir haben mit einigen Staaten Tarif⸗ kogwäce abgeschlossen; was nüten uns diese Verträge, wenn Amerika, welches sich der Meistbegünstigung erfreut, seine Zollsätze erhöht? Es liegt die Versuchung nahe auf die Interpellation vom Mai d. J. Ceäckzakommen, welche die Recierung fragte, wie sie sich Ameriks gegenüber verhalten wolle. Ich halte es aber nicht für angebracht, jetzt, wo die Leitung der Handelspolitik in andere Hände übergegangen

Regierung zu fragen; ich gebe mich der Hoffnung hin, daß die Herren selbst sich darüber aussprechen werden. Ich hoffe, daß die Vorbereitung der Handelsverträge eine bessere sein wird; das Verfahren beim Abschluß der gegenwärtigen Verträge war ein sehr summarisches. Es wurde damals ein hoher elsässischer Reichs⸗ beamter gefragt, wie sich die Weinbauer zu einer Ermäßigung der Weinzölle stellen würden. Er sprach sich dagegen aus, und trotzdem wurden die italjenischen Forderungen genehmigt ohne die geringste Prüfung der Sache. Bezüglich der Heranziehung der Kon⸗ zumenten zu den Verhandlungen des Wirtbschaftlichen Aussckusses hat der Staatssekretär des Innern bereits das Nötbhige bemerkt. Zwischen Frankreich und Amerika soll verhandelt werden. Mir ist von einem olchen Vertrage nichts bekannt geworden. Die französische Regierung hat sich allerdings von den gesetzgebenden Körper⸗ skasten zur Erhöhung gewisser Zölle gegenüber Amerika Vollmacht atheilen lassen. Das ist alles Andere eher als der Abschluß eines Vertrages. In den Reziprozitätsbestimmungen der Dinglev⸗Bill wird für den Abschluß von Handelsverträgen höchstens eine Ermäßigung der Zölle um 20 % geboten. Was bedeutet das bei den hohenamerikanischen

zllen! Sie bleiben trotzdem noch prohibitiv. Herr Richter verlangt unbedingte Fortdauer der Handelsverträge. Im Dezember 1891 sprach die „Freisinnige Zeitung“ diesen Handelsverträgen jede Bedeutung in handelspolitischer Beziehung ab. Der einzige Werth der Verträge liege in der Ermäßigung der Getreidezölle; der deutschen Industrie würden sie keinen neuen Aufschwung verleihen. Dieses Urtheil des Herrn Richter war durchaus zutreffend. Es liegen noch sechs schwere Jahre bis zum Ablauf der Hardelsverträge vor, und ich kann die Bitte nicht unterdrücken, daß die ver⸗ kündeten Regierungen, wenn es irgend angeht, in eine Revision der Handelsverträge eintreten. Ich habe diese Bitte bereits Herrn von Marschall gegenüber ausgesprechen; er war taub meiner Bitte gegenüber. In Oesterreich ist man sich längst darüber klar, daß die Handelsverträge der dortigen Landwirthschaft nicht den geringsten sutzen gebracht haben, und für die Russen sind die erbärmlichen Getreidepreise des deutschen Marktes nichts werth. Wenn wir ein Abkommen treffen, daß wir bezüglich der Getreidezölle freie Hand be⸗ kommen, so würde das nicht auf ernsten Widerstand stoßen. Erhöhen wir die Getreidezölle, so steigt der Inlandspreis, und der Importeur erkält dieselben Preise wie früher. Wern die Getreidezölle nur allen Ländern gegenüber gleich sind, so hat Rußland an der Höhe derfelben kein Interesse. Es ist eine traurige Perspektive, daß wir sechs Jahre noch gebunden sind, daß der Zersetzungeprozeß der Landwirthschatt noch sechs Jahre dauert. Wenn es gelingt, diesen Zersetzungsprozeß aufzuhalten, so werden sich die verbündeten Regierungen ein Ver⸗ dienst um das Vaterland erwerben. In einem Artikel der „Nordd. Allg. Ztg.“ wird für die Marinsforderungen besonders geltend ge⸗ macht, daß die Zufuhr von Getreide nach Deutschland gesichert werden müsse. Das ist unser Argument; wir wollen die Landwirthschaft schützen und möglichst ausdehnen, um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Der deutschen Landwirthschaft wird im Kriegsfalle die Aufgabe erwachsen, den Hauptbedarf für die Ernährung Deutschlands 3 liefern. Diese Frage bedeutet für unsere Wehrkraft mehr als die Flotte.

Abg. Bebel (Soz.): Der russische Handelsvertrag ist allerdings durch die Stimmen der Sozialdemokraten zur Annahme gekommen. Graf Kanitz wollte der Regierung, die auf diese Unterstützung ange⸗ wiesen war, ein Odium anhängen. Für das Volk repräsentieren die sozialdemokratischen Stimmen 1 700 000 deutsche Wähler, die Kon⸗ serbativen aber höchstens eine Million. Herr von Kardorff hat auf die Broschüre des Korbmachers Fischer hingewiesen. Fischer ist wegen gemeiner Vergehen bereits verschiedene Male schwer bestraft, wegen Schlägereien, Betruges u. s. *. Aus einem Brief, den Fischer an seinen Bruder schrieb, kann man erfehen, daß Fischer nicht im stande war, eine Broschüre zu schreiben. Er bat einen Eideshelfer, den Redakteur der Herrn von Kardorff nahestehenden „Post“, Herrn Fink, der vom Vorstande des „Vereins Berliner Presse“ ersucht wurde, wegen ehbrenrühriger Dinge aus dem Vereine auszuscheiden. Herr Paasche hat sich als Vertheidiger des Kapitalismus gezeigt. Bezüglich der indirekten Steuern hat Herr Paasche Beharptungen auf⸗ gestellt, die im Widerspruch stehen mit allen wissenschaftlichen An⸗ schauungen und auch mit der Meinung der Redner in diesem Hause, z. B. der Redner des Zentrums, welche von indirekten Steuern nichts mehr wissen wollen. 1875 sprach sich Fürst Bismarck ebenfalls bezüglich der indirekten Stevern dahin aus, daß sie die ärmere Bevölkerung belasten. Herr Paasche hat ferner behauptet, daß die Hälfte der indirekten Steuern von den Arbeitgebern getragen würde. Die Zahl der selbständigen Landwirthbe beträgt 2 673 000, die Zahl. der landwirthschaftlichen Arbeiter 5 619 000, die Zahl der selbständigen Gewerbetreibenden beträgt 2 038 000. Unter diesen selbständigen Personen befinden sich aber sehr viele, welche den Arbeitern vollständig gleichstehen. Die Statistik der Leipziger Handwerker, die Professor Büchner auf⸗ genommen hat, ergiebt, daß 42 % derselben nur ein Ein⸗ kömmen von 300 bis 950 haben. Die Zahl der selbständigen Hand⸗ werker geht immer mehr zurück. Die Produktion hat deshalb nicht abgenommen, sondern ist mäßig gewachsen. Die Zahl der Bravereien hat um 4000 abgenemmen, die Bierproduktien ist von 17 auf 30 Millionen Hektoliter gestiegen. Aehnlich wie beim Gewerbe und bei der Landwirthschaft ist die Zahl der Selbständigen im Handel nur halb so groß wie die Zahl der Angessellten; ein großer Theil der Selbständigen hat auch nur eine proletarische Existenz. In Preußen ist allerdings den Personen mit einem Einkommen unter 900 die Staatssteuer erlassen. In den anderen Staaten werden aber die Steuern auch ven den niedrigeren Einkommen erhoben und nomentlich erheben die Gemeinden von den Arbeitern Steuern. Je mehr die Produktionsmittel vervollkommnet werden, desto sahwerer werden die Erzeugnisse untergebracht und die Krise wird schließlich permanent. Das zeigt namenllich die Entwickelung der Texiilindustrie, und die Eisenindustrie wird denselben Weg gehen müssen. Herr Paasche behauptet, in der Zeit der Krise steige die Produktien, während doch bei jeder Krise die Zolleinnahmen zurückgehen, was einen Rückgang der Industrie bedeuttt. Die Lage der „Kohlenbarone“ hat Herr Paasche so geschildert, als ver⸗ dienten sie nur ½8 %; es bleibt dabei aber außer Rechnung, was cb. und in den Reservefond gelegt wird. Die „Kohlenbarone aben ausgezeichnete Geschäste gemocht. Dem Grafen Hohenthal gegenüber möchte ich bemerken, daß ich nicht bloß von den Ueber⸗ schwemmten in Sachsen, sondern allgemein von den in Schlesien und Sachsen an den Bettelstab Gebroachten gesprochen habe. Ich habe gemeint, daß die Regierung in dieser Sache mit den Forderungen an die Volksvertretung rasch hätte herantreten sollen. Nachdem die Privatwohlthätickeit 2 Millionen zusommengebracht hatte, hat der preußische Staat ebenfalls nur 2 Millionen zur Verfügung gesteltt. 20 Millionen hätte er Ee um die Jahr für Jahr vom Hochwasser bein gesuchten schlesischen Bezirke zu schützen. Dadurch würde das Geld besser verwendet, als für die Flotte und die sonstigen Zerstörungemittel. Bezüglich des Vereinsgesetzes habe ich der sächsischen Regierurg keiren Vorwurf gemocht, sondern nur hervor⸗ S. daß die konservatixven Freunde deneaktiorären Herrn von Metzsch

chließlich zur Verschlechterung des Vereinsgesetzes drängen werden. err von Metzsch hat in der sächsischen Kammer am 30. November er⸗ lärt, daß der Bundesrath und auch die sächsische Regierung den Reichskanzler zu seiner Erklärung autorisiert hbaben. Am Sonnabend erklärte der Reichskanzler, daß die Frage im Reichstage später viel⸗ leicht erledigt werden könne. Warum diese Aenderung der Meinung innerhalb dreier Tage? Er hat ein Mitgefühl für die Schmerzen der Agrarier, aber nicht für die der Arbeiter, die im Osten breußens noch die reinen Heloten sind. Er vergißt, daß die Arbeiter des Westens eine ganz andere Art sind. Wenn

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Sie den Arbeitern das Koalitionsrecht vicht geben wollen, dann heben Sie doch die betreffende Bestimmung der Gewerbeordnung auf. Die verbündeten Regierungen veranstalten Erhebungen über die Bäckereiverordnung. Eine große Wirkung kann die Bäckereiverordnung garnicht gehabt haben, denn sie steht fast nur auf dem Papier, weil die Polizei eine geradezu unverantwortliche Lässigkeit zeigt, wie die Bäckermeister selbst zugeben, indem sie in einer Versammlung aus⸗ gesprochen haben, daß sie nur so lange unbestraft blieben, als ihre Gesellen es wollten; d. h. die Verordnung wird Tag für Tag übertreten. Der Kriegs⸗Minister hat eine neue Ver⸗ stärkung der Artillerie angekündigt, wodurch große Mehr⸗ ausgaben entstehen. Woher sollen die Einnahmen genommen werden? Die Novelle zur Unfallversicherung ist von der Kommission des Reichs⸗ tages mit Aenderungen in zweiter Lesung genebmigt worden in der Erwartung, daß diese geänderte Vorlage dem Reichstage in der gegen⸗ wärtigen Session wieder vorgelegt werden würde. Statt dessen hat die Regierung diese Vorlage den Berufsgenossenschaften und auch dem Zentralverband deutscher Industrieller vorgelegt. (Widerspruch des Staatssekretärs des Innern, Stoats⸗Ministers Dr. Grafen von Posadowsky⸗Wehner.) Nickt weniger als 10 Kommissare sind in der Generalversammlung des Verbandes erschienen. Man sprach darvon, doß die Sozialdemokraten die Beschlüsse der Kommission beeinflußt hätten, während doch auch die nationalliberalen Mitglieder der Kommission dem Beschluß zugestimmt hatten. Selbst Herr REsicke ist den Herren zu radikal; er hat seinen Vorsitz im Ver⸗ bande der Berufsgenossenschaften niedergelegt. Die Profite der Industriellen haben jetzt eine Höhbe erreicht, wie seit Bestehen des Reichs niemals. Die Belastung ist daher nicht so schrecklich. Wenn 1 Million Mark täglich für die Arbeiter aufgewendet wird, so hat Graf Posadowsky nur vergessen, daß die Hälfte daven von den Arbeitern aufgebracht wird. Diese Last muß getragen werden wie die Kosten der Feuerversicherung. Die deutsche Unternebmerklasse soll froh sein, daß sie diese Schuld der Arbeiterklasse gegenüber übernommen hat. Die Ausgabe beträgt noch nicht einmal 5 so der Löhne. Ich bestreite, daß durch angeblichen Nothstand die Landarbeiter in die Städte getrieben werden. Eine Erhöhung der Zölle auf Getreide, also eine Vertheuerung der Lebens⸗ mittel, steht nach dem Ablauf der Handelsverträge bevor. Die Arbeiter werden das niemals als eine gerechte und vernünftige Politik ansehen, denn dadurch wird der deutsche Export erheblich geschädigt. (Zuruf des Staatssekretärs des Innern, Staats⸗Ministers Dr. Grafen von Posadowsky⸗Wehner: Warten Sie doch erst ab!l) Gegenüber der Umwälzung der Be⸗ völkerung, die sich mehr der Industrie zugewendet hat, können die alten agrarischen Zustände nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die Vieheinfuhrverbote sind durchaus unnöthig bei der großen Steigerung der Viehhaltung in Deutschland. Der Militarismus ent⸗ fremdet die Arbeiter der Landwirthschaft, in der eine übermäßige Arbeitszeit gebräuchlich ist, wo die Wohnungsverhältnisse und die Er⸗ nährung geradezu elend sind. Göhre und sein Freund von Gerlach haben darüber beachtenswerthe Ausführungen gemacht. Man will die Arbeiter ferner offiziös mit Literatur beglücken, so z. B. die Werft⸗ arbeiter jetzt mit einer neu erscheinenden Zeitung. Woher kommt das Geld für diese Druckschriften? Graf Posadowsly sprach von einem Scheitern der sozialistischen Unternehmungen in Frankreich. Das waren keine sozialistischen Unternehmungen, die nach unserer Meinung auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft über⸗ haupt nicht möglich sind. Ich hätte sehr gewünscht, Graf Posadowsky wäre im Reichs⸗Schatzamt geblieben. Von Sozialreformen wird jetzt nicht mehr die Rede sein. (Zuruf des Staatssekretärs des Innern, Staats⸗Ministers Dr. Grafen von Posadowsky⸗Wehner: Warten Sie erst ab!) Die katholischen Arbeitervereine petitionieren wegen Einführung eines Normal⸗Arbeitstages für gewerbliche Arbeiter. Mit kleinen sozialpolitischen Mitteln kann man die Arbeiter nicht zu⸗ friedenstellen. 3 1

Abg. Dr. Hasse (nl.): Ich für meine Person bedauere, daß der Deutsche Reichstag sich in der Behandlung auswärtiger An⸗ gelegenheiten eine so große Zurückhaltung auferlegt hat. Ich halte es auf die Dauer eines großen, hochkultivierten, politisch reifen, konstitutionell regierten Volks nicht würdig, in diesen Angelegenheiten sich Zurückhaltung aufzuerlegen. Es ist dies nicht immer so gewesen; am 5. April 1871 ist von allen Seiten dieses Hauses eine Kund⸗ gebung beschlossen worden, die nicht nur in einem Dank an die deutschen Volksgenossen in Oesterreich bestand, sondern in einer Sympathie⸗ kundgebung für diese Volksgenossen in einem ähnlichen Kampfe wie jetzt. Heute liegt sowohl bei der Regierung als auch bei ver⸗ schiedenen Parteien dieses Hauses ein Bedenken vor, diese An⸗ gelegenheit von dieser Stelle zu behandeln. Man geht hierbei von der irrthümlichen Voraussetzung aus, daß es sich bei diesem Kampfe um den Kampf politischer Parteien handelt. Das ist allerwegen nicht der Fall; es bandelt sich um einen Kampf der Völker gegeneinander, um den Kampf des deutschen Volksthums gegen die Anzuffe des czechischen und polnischen Volks. Und da ist es unser Recht, dazu Stellung zu nehmen, und ich mache von dieser Stelle hiervon feierlich Gebrauch. Und ich hoffe im Einverständniß mit der Mehrheit aller Parteien dieses Hauses zu sprechen, wenn ich sage, daß wir inner halb und außerhalb dieses Hauses es öffentlich aussprechen müssen, daß in diesem Völkerkampfe unsere, des deutschen Volkes, Sympathien denen zugewendet sind, die bis zum Jahre 1866 mit uns zu einem Bundesstaat gehörten, die noch heute unsere Blutsverwandten und Volksgenossen sind und im Kampfe um das Fortbestehen ihres Volks⸗ thums auf unsere Unterstützung auch in Zukunft rechnen dürfen. Es kommt hierbei nicht auf eine Parteizugehörigkeit dieser Volksgenossen an. Es ist mir deshalb unverständlich, und es scheint mir ein Beweis mangelnder nationaler Bildung zu sein, wenn cine angesehene reichs⸗ deutsche Zeitung ihre Sympathie diesen Volksgenossen deshalb ver⸗ sagt, weil sie Demokraten seien. Ganz akbgesehen davon, daß dies thatsächlich nicht wahr ist, daß Angehörige aller politischen Parteien an diesem Kan pfe betheiligt sind, muß ich bekennen, daß nach meinem nationalen Empfinden mir der letzte deutsche Bauer und Arbeiter, ja der rotheste, aber deutschgesinnte Demokrat lieber ist als der höchstgeborene konserrative polnische Graf oder czechische Fürst. Die deutschen Volksgenossen in Oesterreich sind auch nicht etwa minder⸗ werthig, sondern können in vieler Beziehung uns heute Vorbilder sein im Kampfe rm die höchsten Güter der Nation. Aber schlimmer als jene vornehme Ablehnung eines Antheils an den deutschen Oester⸗ reichern ist die Beschimpfung, die von welfischer Seite diesen Volks⸗ genossen gestern an dieser Stelle zu theil geworden ist. Diese unsere Volks⸗ genossen sind annexionslustige, landesverratherische, liberale Oesterreicher genannt worden. Weder diesseits noch jenseits der Grenze denkt irgend eine verantwortliche Persönlichkeit an Annexionen. Im SEegent eil, meine näheren Gesinnungsgenossen und ich sind für die Aufrechterhaltung des bieherigen Zustandes, und das ist das Entscheidende. Ich meine, diese Aufrechterhaltung ist die nothwendige Veraussetzung für die Aufrechterhaltung des Dreibundes. Aber in keinem Falle verlangen wir von unserer Regierung irgend ein Einschreiten. Ein solches scheint urs nur selbstverständlich, soweit die Gefährdung der Interessen deutscher Reichsangehöriger in Betracht kommt, die allerdings in der jüngsten Bartholomäusnacht in Prag von dem czechischen Pöbel, zu dem ich auch den Herrn Podlipny rechne, in hohem Grade geschädigt wurbden. Wenn der Staatssekretär des Auswärtigen gestern meinte,

es gelte hier Gegenseitigkeit, so meine ich, daß wir auch eine Ein⸗ mischung von anderer Seite ablehnen müssen. So hat ein Seltions⸗ Chef im Königlich ungarischen Miniser⸗Präsidium sich im „Pesti Hirlap den ungeheuerlichen Ausspruch geleistet: „Der germanische Kaiser hat cstwärts der Leitha alles Deutschthum aufgegeben; keine Einwirkung von außen her wird die Einheitlichkeit der ungarischen Nation hindern; heute können wir alles thun.“ Ich hoffe, daß der Reichs⸗ kanzler keinen Zweifel läßt, daß niemand in der Welt das Recht hat, eine Rede eines Deutschen Kaisers dahin auszulegen, daß sie beab⸗ sichtige, Millionen deutscher Volksgenossen, und wäre es auch in einem befreundeten Staat, dem nationalen Untergang preiszugeben.

Abg. von Czarlinski (Pole): Ich halte es au nicht für an⸗ gebracht, daß wir uns in die Angelegenheiten eines Landes einmischen, das in vielen Punkten als Muster gelten kann, namentlich in Betreff

der Gleichberechtigung. Der Kampf in Oesterreich ist nicht von Polen angefangen. Wenn wir die Rechte der dortigen Polen hätten, würden wir sehr zufrieden sein. Wenn es Sitte wird, die Polen als Feinde zu behandeln, wäre es richtig, die polnischen Rekruten vom Militär⸗ dienst zu befreien und den Polen keinerlei Opfer zuzumuthen. Von einem Vordringen der Pelen in Schlesien kann keine Rede sein, sondern nur von einem Erwachen des nationalen Bewußtseins. Daß die neue Polenvorlage im preußischen Abgeordnetenhause durchdringen wird, glaube ich wohl; aber ich babe bisber gedacht, man würde sich mit dieser Polenbekämpfung nicht besonders brüsten.

Direktor im Reichs⸗Marinecmt, Kontre⸗Admiral Büchsel: Meine Herren! Der Abg. Bebel hat dem hohen Hause die Mit⸗ theilung gemacht, daß der Staatssekretär des Reichs⸗Marincamts den unterstellten Behörden cire neuerschienene Zeitung empfohlen habe; er hat ihm das Recht dazu bestritten und hat gefragt, aus welchen Mitteln die Marine⸗Verwaltung diese Zeitung unterstütze. Ich habe darauf zu erwidern, daß die Thatsache an sich richtig ist. Der Staat: sekretär des Reichs⸗Marineamts hat diese Zeitung empfohlen. Der „Vorwärts⸗ hat in seiner Ausgabe vom 14. die bezügliche Verfügung auch wörtlich abgedruckt, nur hat er natürlich den Passrs weggelassen, der die unzulässige Beeinflussung der Arbeiter, diese Zeitung zu halten, ver⸗ bietet. Im übrigen sind wir der Meinung, daß bei dem heutigen Zustande der Arbeiter⸗Literatur der Staatssekretär nicht nur das Recht hat, sondern auch die Pflicht, eine Zeitung zu empfehlen, die es sich zur Aufgabe stellt, wie es bier geschrieben steht, „die Interessen der Arbeiter der deutschen Schiff⸗ bauindustrie im allgemeinen und der Kaiserlichen Marine im besondern auf dem Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung und der vaterländischen Gesinnung zu vertreten.“ Endlich habe ich zu erklären, daß der Staatssekretär des Reichs⸗Marineamts keinen Pfennig dazu hergiebt, um diese Zeitung zu unterhalten oder irgend welchen pekuniären Meßerfolg, der eintreten könnte, zu decken.

Abg. Dr. Hahn (b. k. F.) weist auf eine Schädigung hin, die einem Deutschen, dem Lehrer Roth in Desterro in Brasilien, zuge⸗ stoßen sei, der mit einer deutschen Schule unter Führung einer deutschen Fahne einen Ausflug gemacht habe, worüber die „Deutsche Zeitung“ berichte. Die Interessen der Deutschen, fährt der Redner fert, werden durch die Wahlkonsuln nicht genügend gewahrt; es wird daher die Einsetzung von Berufskonsuln verlangt. Herr Rickert glaubt, den Grafen Caprivi gegen die Angriffe von unserer Seite in Schutz nehmen zu müssen. Wie die Freisinnigen den Fürsten Bismarck angegriffen haben, muß es uns erlaubt sein, seinen Nachfolger anzugreifen. Was ihm vorzuwerfen ist, ist der Abschluß der Handelsverträge, ehe er Deutschland wirthschaftlich stark genug gemacht hatte, ehe ein hoher autonomer Zolltarif geschaffen war. Ich freue mich über die Bildung des Wirthschaftlichen Ausschusses, wie überhaupt eine gute Tendenz innerhalb der Regierung vorhanden zu sein scheint. Aber die Regierung bedient sich noch nicht der Mittel, welche ihr zum Schutze der Landwirthschaft zu Gebote stehen. D deutschen Viehzucht wird noch nicht der Schutz g gegen Sercheneinschleppungen von Oesterreich her, dem gegenüber wir durch die Konvention gebunden sind, Bezirke für seuchenfrei zu halten, wenn sie von der österreichischen Verwaltung dafür erklärt sind. Eine Vertheuerurg des Fleisches ist nicht eingetreten; die deutsche Schweinezucht hat es vermocht, den Bedarf Deutschlands allein zu decken. Es wurden 5 Millionen Gänse aus Rußland ein⸗ geführt; das wäre, jede Gans zu 10 Portionen gerechnet, eine Portion weniger pro Kopf, wenn die Gänseeinfuhr verboten wird. Für den Körnerbau ist wegen des Düngers die Viehzucht nöthig. Die Maul⸗ und Klauenseuche hat aber große Verbeerungen unter dem deutschen Viehbestande angerichtet. Redner tritt für die Forderungen ein, welche von konservativer Seite gestellt sind in Bezug auf die Zollkredite und die gemischten Transitläger und fährt dann fort: man hat sich gewundert, daß die Regierung den Wünschen in dieser Beziehung nicht nachgekommen ist. Daß der preußische Handels⸗Minister die Börsenreform schnell durch⸗ führen wird, glaube ich nicht; er ist viel zu spät an die Ausführung des Börsengesetzes herangetreten und hat den Fehler gemacht, daß die Fondsbörse und die Produktenbörse als Einheit bebandelt werden; denn die großen Firmen der Produktenböese sind auch an der Fonds⸗ börse vertreten. Die Fondsbörse kann nicht drei Tage auf ihr Geschäft verzichten; sie würde sich sehr bald mit der Regierung verständigen. Die Regierung muß energisch einschreiten gegen die Börse in der Heiligen Geiststraße, wo der Terminhandel nach wie vor stattfindet. Die Wirkungen, die wir von der Aufhebung des Terminhandels erwartet haben, sind eingetreten: das Privatpublikum betheiligt sich nicht mehr an der Börsenspekulation, und die Preise sind gestiegen. Für die Preisnotierungen haben wir freilich erst theil⸗ weise einen Ersatz gefunden, aber unter Zuhilfenahme der Weltmarkt⸗ preise kann man sich von der Preisbewegung ein Bild machen. Der Bund der Landwirthe vertritt nur die gemeinsamen Interessen der Landwirthschaft gegenüber dem Auslande und gegenüber dem Zwischen⸗ handel, dessen besondere Freundin die Freisinnige Vereinigung im Reichstage ist. Der Schutzverband zur Abwehr agrarischer Ueber⸗ griffe bestebt zum großen Theil aus Börsenleuten, und die meisten der Ausschußmitglieder sind Juden. Es ist gut, daß wir wissen, wer unsere Gegner sind: es ist die haute finance, die an dem inter⸗ nationalen Getreidehandel verdient und daher auch der Handelsvertrags⸗ politik ihre Unterstüsung leiht. Die Herren behaupten allerdings, daß sie mit der freisinnigen Partei nicht in Verbindung stehen; aber dieser Zusammenhang würde sich wohl beweisen lassen. Der Großgarundbesitz hat den Bauern als Vorbild gedient für die rationellen Verbesserungen der Landwirthschaft, und der Bund der Landwirthe setzt diese Thätig⸗ keit fort. Deshalb überwiegen unter den Mitgliedern des Bundes die kleineren Besitzer, deren 156 000 vorhanden sind, während nur 1500 größere Besitzer vorhanden sind. Der Bund hat sein Schwer⸗ gewicht auch durchaus nicht östlich der Elbe. Die Mitglieder ver⸗ kheilen sich je zur Hälfte auf die Gegenden östlich und westlich der Elbe. Die Aufreizung und Erweckung der sozialen Gegensätze zwischen Klein⸗ und Großgrundbesitz ist ja sehr leicht. Die eine oder andere Behörde mag ja nicht so vorgegangen sein, wie es sich gehört; aber das trifft nicht den Bund der Landwirthe, sondern ist Sache der vorgesetzten Behörden. Die Landräthe stehen auch durch⸗ aus nicht alle auf Seiten des Bundes der Landwirthe, der die Hilfe der Landräthe auch garnicht braucht. Herr Rickert beklagt sich über die Spaltung des Liberalismus und seine Blicke richten sich zu Herrn Richter; in Neustadt in Holstein sprach er davon, daß er noch immer auf dem alten nationalliberalen Programm stehe. Ich weiß nicht, ob die Nationalliberalen darüber sehr erfreut sind. Würde der Liberalismus sich in der Freisinnigen Vereinigung zusammenthun, und würden Vertreter dieser Richtung in den Reichstag kommen, so würde das schließlich dahin führen, daß die Börsengesetzgebung verschärft wird zum Schutze der Landwirthschaft. 1

Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Ein übertriebener Optimismus und ein übertriebener Pessimismus stehen sich in diesem Hause gegenüber. Der Pessimismus der äußersten Linken erklärt sich ja aus der Ver⸗ mögensverschiebung, die in unserem Volke vorgeht; die kleinen Existenzen schwinden immer mehr; während der Besitz in den Händen Einzelner immer mehr zunimmt, dringt die Proletarisierung in immer weitere Volkskreise ein. Das ist eine Sache, die zu einer pessimistischen Auffassung Veranlassung geben könnte. Wäre die Entwickelung eine gesetzmäßige, eine auf dem Boden von Naturerscheinungen sich voll⸗ ziehende Thatsache, dann wäre eine Aenderung nicht möglich. Die Naturgesetze wirken allerdings von gegebenen Standpunkten aus weiter; aber diese Standpunkte sind von Menschen geschaffen, sie sind Fol ten der Gesetzesbeschlüsse früherer Zeiten. Und darum sind die Pesfimiften im Unsere Entwickelung, das Groß⸗ kapital auf der einen Seite, die Proletarisierung auf der anderen, könnte wohl einen anderen Verlauf nehmen ohne sozialdemokratischen Umsturz. Die Geschichte zeigt, daß mit dem Zugrundegehen des Mittel⸗ standes auch die Staaten zu Grunde geken. Auf diesem Wege befinden auch wir uns. Der Mittelstand wird durch die Konkurrenz der Groß⸗ industrie und dadurch, daß ihm ein ausreichender Kredit fehlt, ruiniert. Dem Mittelstand kann nur mit energischen Mitteln geholfe werden. Wir müssen die Großindustrie mit einer progressiv Umsatzsteuer ohne Rücksicht auf den eventuellen Gewinn belasten.