Sprache fort und sagte: Namens der Regierung erlaube ich
mir nachstehende Erklaͤrung abzugeben:
“
GSegenüber den mannigfachen Beschwerden, welche hinsichtlich der Sprachenverordnungen vom 5. April erhoben werden, erachtet es die Regierung als ihre Pflicht, ihre Auffassung und ihre Absichten mit voller Deutlichkeit darzulegen. Die Regierung geht hierbei von der Anschauung aus, daß im Königreich Böhmen beide Landessprachen im Amte vollkommen gleichberechtigt sind. Daraus folgt, daß es edem Bewohner des Königreichs Böhmen innerhalb der Grenzen des zusteht, sein Recht bei allen landesfürstlichen Behörden sei es in czechischer, sei es in deutscher Sprache, zu suchen und zu finden, und so, wie diese Grundsätze für die Regierung unver⸗ rückbar feststehen, wird sie auch an der Einheit des Landes sowie an jener der Verwaltung und des Beamtenkörpers unbedingt festhalten. Innerhalb dieser Grundsätze jedoch ist die Regierung behufs An⸗ hahnung friedlicher Zustände gern bereit, geäußerten Wünschen, welche in Watfächlichen Verhältnissen ihre Begründung finden, sobald als nur immer thunlich, entgegenzukommen. Sie plant daher, vor⸗ behaltlich einer eventuellen gesetzlichen Regelung, eine Neu⸗ ordnung der sprachlichen Vorschriften in der Art, daß künftighin auf Grund der Ergebnisse der letzten Volkszählung zwischen ein⸗ sprachigen und gemischt⸗sprachigen Landesbezirken unterschieden werden soll, in welchen entweder die deutsche oder die czechische oder endlich die beiden Landessprachen als innere Amts⸗ und Dienstsprache Geltung haben sollen. Damit wäre nach Ansicht der Regierung beiden Nationalitäten gegenüber ein durchaus gerechtes und gleichmäßiges Vorgehen umsomehr bethätigt, als auch be⸗ züglich der sprachlichen Befähigung der Beamten an Stelle einer doch mehr theoretischen und im Moment der Berufung viel⸗ leicht nicht mehr vorhandenen Qualifikation das reelle thatsächliche Bedürfniß allein maßgebend bliebe und jeder Beamte bei voller Wahrung der Gleichberechtigung das an Sprachenkenntniß besitzen müßte, was der Dienst bei der Behörde seiner Verwendung wirklich erfordert. Um jedoch in Zukunft im Königreich Böhmen genügend sprachlich qualifizierte Beamte zu besitzen, wird die Regierung nicht ermangeln, für die nächste Landtagssession Anträge vorzubereiten, welche eine gründliche Aenderung in den Einrichtungen an Mittel⸗ schulen Böhmens behufs praktischer Erlernung der zweiten Landes⸗ sprache bezwecken.“
An dem hohen Landtage wird es sein — so schloß der Stadt⸗ halter — diese Anträge der Regierung seiner Zeit einer sorg⸗ fältigen und wohlwollenden Prüfung zu unterziehen. Der Statthalter wiederholte hierauf ö Erklärung in czechischer Sprache. Der Abg. Graf Buquoi führte sodann aus, daß die deutsche Sprache immer als gemeinsames Ver⸗ ständigungsmittel werde gelten müssen; doch entscheide über diese Dinge kein Zwangsgebot, sondern das natürliche Be⸗ dürfniß. Als Patrioten müsse es Jedermann obliegen, die Gelegenheit zum Friedensschluß zu fördern. Die Verhandlung wurde sodann abgebrochen. 1
Der „Neuen Freien Presse“ wird aus Prag gemeldet, daß gestern Abend im Carolinum daselbst eine Versammlung der deutschen Studentenschaft Prags stattgefunden habe. In der⸗ selben sei beschlossen worden, ein Telegramm an den Minister⸗ Präsidenten Freiherrn von Gautsch abzusenden, in welchem Schutz für die deutsche Studentenschaft gegen Anfeindungen und Mißhandlungen von seiten der wze Hischrn Bevölkerung verlangt wird. Sollte dieser Schutz versagt werden und die deutsche Studentenschaft in Prag vogelfrei bleiben, dann werde die deutsche Studentenschaft die älteste deutsche Universität verlassen und deren Verlegung in eine andere deutsche Stadt Böhmens verlangen.
Der dalmatinische Landtag ist gestern eröffnet worden. Der Präsident Bulat führte in seiner Eröffnungs⸗ rede aus: in diesem Augenblick falle dem Landtage eine höchst wichtige Aufgabe zu, a er durch Be⸗ achtung der parlamentarischen Gepflogenheiten und durch ernstliches Arbeiten viel dazu beitragen könne, daß die konstitutionelle Thätigkeit und der — zwischen den Bevölkerungen des Reichs wieder hergestellt werde, was die schönste Feier des fünfzigjährigen Jubiläums des Kaisers bilden würde. Hierauf brachte der Präsident ein Hoch auf den Kaiser aus, in welches die Versammlung einstimmte.
Die erste Session des ungarischen Reichstages ist gestern durch ein Königliches Rescript geschlossen worden. Die weite Session wurde heute mittels Königlichen Reskriptes röffnet.
Großbritannien und Irland.
Der Schatzkanzler Sir Michael Hicks Beach hielt gestern Abend in der Handelskammer von Swansea eine Rede, in welcher er, dem „W. T. B.“ zufolge, ausführte: Großbritannien wünsche, daß China nicht ein Objekt für Ge⸗ bietserwerb, sondern ein offenes Thor für den Handel der Welt sei. Die Regierung sei fest entschlossen, dafür zu sorgen, wenn nöthig sogar auf die Gefahr eines Krieges hin, daß dieses Thor nicht den Engländern verschlossen werde.
Der „Standard“ schreibt: die Entsendung der Truppen nach dem Sudan sei lediglich eine Defensiv⸗ maßregel und deute in keiner Weise die Absicht der Regierung an, sich auf einen vorzeitigen Angriff gegen die Schaaren des Khalifen in Omdurman einzulassen. 1b
Frankreich. „Einhne gestern verbreitete Note der „Agence Havas“ besagt:
Mehrere Blätter fordern den Kriegs⸗Minister, General Billot
“]
auf, die Erklärungen zu veröffentlichen, welche Dreyfus am Tage seiner Degradierung dem Hauptmann Lebrun⸗Renaud gemacht hat. Durch eine derartige Veröffentlichung würde die Regierung eine abgeurtheilte Sache zur Diskussion stellen, und es würde scheinen, als ob sie Zweifel in die Autorität des Kriegsgerichts setze. Wir lauben übrigens zu wissen, daß die Regierung nicht das echt zu haben glaubt, eine derartige Mittheilung zu machen, und zwar aus den gleichen Gründen, aus welchen sie be⸗ schlossen hatte, das Kriegsgericht im Jahre 1894 bei ver⸗ schlossenen Thüren verhandeln zu lassen.
In der Deputirtenkammer erklärte, wie „W. T. B.“ meldet, der Deputirte Cavaignac, daß er die Regierung über die obige Note der „Agence Havas“ interpellieren wolle. Der Minister⸗Präsident Méline beantragte, die Berathung der Interpellation zu vertagen, und bat die Kammer, das Land zu beruhigen, indem sie ihre Arbeiten wieder auf⸗ nehme; es sei nöthig, daß das Budget bewilligt und die Angelegen hei Dreyfus, deren sich der Parteigeist be⸗ mächtigt habe, beiseite gelassen werde. Der Minister⸗ Präsident schloß seine Ausführungen, indem er auf die Ehre der Armee und die Achtung vor dem Richterstande hinwies und das Vertrauen der Kammer forderte. Der Deputirte Cavaignac hielt es für unzulässig, daß der Kriegs⸗Minister in dem Augenblick schweige, in welchem die Armee angegriffen werde. Der Deputirte Lavertujon brachte den Antrag ein, die Berathung der Interpellation Cavaignac um einen Monat zu vertagen, dieser Antrag wurde jedoch mi
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219 Stimmen abgelehnt. Der Deputirte Perier de Larsan beantragte, die Besprechung der Interpellation bis nach Er⸗ ledigung der bereits vorgemerkten Tagesordnungen zu ver⸗ schieben. Der Deputirte Cavaignac bekämpfte die Vertagung und warf dem Minister⸗Präsidenten vor, daß er seine Ansicht nicht ausspreche. (Méline rief dazwischen: Ich will sie nicht aussprechen.) Cavaignac bestand auf der sofortigen Besprechung. Der Minister⸗Präsident Méline schloß sich dem Antrage Perier de Larsan an, wies darauf hin, wie unpolitisch es sei, eine Agitation weiter zu unterhalten, welche schon zu lange gewährt hobe⸗ und fügte hinzu, daß das Kabinet, falls die Kammer ich für die sofortige Berathung ausspreche, vfinfernn werde. Der Antrag Perier de Larsan wurde hierauf mit 310 gegen 252 Stimmen angenommen und die Sitzung geschlossen.
Gestern Nachmittag fanden in Paris abermals mehrere Kund⸗ gebungen statt, darunter zwei erheblichere in der Rue Montmartre und auf dem Boulevard bei der Rue Drouot, woselbst eine aus Tausenden von Studenten und zahlreichen Neugierigen zusammengesetzte Menge „Tod den Juden!“ und „Nieder mit Zola!“ rief. Die Polizei zerstreute die Menge und nahm sieben Verhaftungen vor. Zu einer gestern Abend abgehaltenen Versammlung im Tivoli⸗ Vauxhall, welche von der Redaktion der „Libre Parole“ ver⸗ anstaltet worden war, hatte sich eine zahlreiche Menschenmenge ein⸗ gefunden. Die Antisemiten gingen, nach dem Bericht des „W. T. B.“, im Saal umher mit Fahnen, auf denen die Worte: „Tod den Juden!“ standen. Die Anarchisten stießen Rufe aus, unter denen „Es lebe die Kommune!“, „Es lebe die soziale Revolution!“ am häufigsten wiederkehrten. Schließlich wurden Rochefort und Drumont zu Ehren⸗Präsidenten gewählt, während der Redakteur Guérin der „Libre Parole“ den Vorsitz übernahm. Die Wahl war von dem heftigsten Tumult begleitet. Die Anarchisten begannen von neuem zu lärmen und rissen die Fahnen herab, mit denen der Saal geschmückt war. Hieraus ent⸗ wickelten sich heftige Zusammenstöße mit den Antifemiten, bei denen einige Personen verletzt wurden. Aus dem Lärm hörte man die Rufe: „Tod den Juden!“, „Nieder mit Rochefort!“ Trotz der wüsten Scenen begann der frühere Boulangist Thiébault eine Rede gegen die Anhänger Dreyfus' zu halten, und beantragte schließlich eine Tagesordnung, welche gegen die Beleidigungen der Armee durch die Juden und ihre Verbündeten Einspruch erhebt und ver⸗ sichert, die Pariser Bevölkerung sei bereit, die Regierung bei den Maßnahmen, welche durch die Sorge für den Frieden diktiert würden, zu unterstützen. Während der Verlesung dieser Tages⸗ ordnung kam es zu neuen Schlägereien. Die eine Partei stimmte die Marseillaise, die andere die Carmagnole an. Dazwischen ertönten Ruse und Gegenrufe. Schließlich kam es wegen einer Fahne, welche die Anarchisten abgerissen hatten, zu einem so heftigen Zusammen⸗ stoß, daß eine Abstimmung über die Tagesordnung unmöglich wurde und die Antisemiten den Saal verließen, um in dem Bezirk des Chateau d'Eau, dem Bastille⸗Viertel und vor dem Cercle militaire weitere Kundgebungen zu veranstalten. Die Anarchisten, etwa 1000 Personen, blieben im Tivoli zurück. Bei den Zusammenstößen im Tivoli sollen etwa 30 Personen verwundet worden sein. Um 11 ½ Uhr war der Saal gänzlich geräumt, die Kundgebungen setzten sich aber in den Straßen fort. Ein Volkshaufe, welcher sich nach dem Cercle militaire begeben wollte, wurde auf dem Boulevard des Italiens angehalten und zog dann vor die Redaktion der „Libre Parole“, wo er unter dem Rufe „Tod den Juden!“ ein Kundgebung veranstaltete. Die Polizei zerstreute die Manifestanten und nahm 5 Verhaftungen vor. Eine andere Gruppe, welche von dem früheren boulangistischen Deputirten Millev oye geführt wurde, gelangte vor den Cercle militaire. Die 5g suchte eine Kundgebung zu verhindern und nahm einige Ver⸗
aftungen vor. Millevcye setzte es aher durch, daß die Gruppe vor dem Cercle militaire unter dem Rufe: „Es lebe die Armee!“ vorbei⸗ ziehen konnte. Nach einer kurzen Ansprache entließ Millepoye die Gruppe mit dem Zuruf: „Auf morgen!“ Inzwischen durchzog eine Schaar von 300 Studenten das Quartier St. Martin unter dem Rufe: „Nieder mit Zola!“, wurde aber nach einem Zusammenstoß mit der olizei zerstreut. Im Quartier Latin kam es zu einigen unerheblichen undgebungen.
Auch aus verschiedenen Städten der Provinz werden antisemitische Kundgebungen gemeldet, so aus Bordeaux, Clermont⸗Ferrand, Grenoble und Nancy. In Marseille veranstalteten etwa drei⸗ tausend Personen unter den Fenstern des Offizierkasinos Kund⸗ gebungen und riefen wiederholt: „Es lebe die Armee!“ Auch Blumen⸗ sträuße wurden dort nicdsegehest. Die Offiziere erschienen auf dem Balkon und riefen: „Es lebe Frankreich!“ Eine Schaar von Studenten und jungen Leuten durchzog die Straßen unter den Rufen: „Nieder mit den Juten! Nieder mit Zola!“ Vor den Häusern der Zeitungen fanden Beifallsäußerungen statt. Dann trennte sich die Menge ohne weiteren Zwischenfall. Eine gesonderte Gruppe zertrümmerte die Spiegelscheiben an Läden, die Juden gehören. In Lyon veranstalteten Studenten vor dem „Journal du Peuple“, welches für Zola Partei genommen hatte, Kundgebungen und zertrümmerten die Fensterscheiben des Haufes. Das Personal des Blattes sesbt⸗ sich zur Wehr; einige Studenten wurden durch Stockschläge und verwundet 1
8 8 8 Der Papst hielt gestern bei dem Empfange von etw 400 römischen Patriziern eine Ansprache, in welcher er, dem „W. T. B.“ zufolge, die Huldigung derselben als Bethätigung der unauflöslichen Allianz zwischen dem Papstthum und einer Stadt bezeichnete, welche den Charakter eines heil'gen Ortes habe. Der Papst wies die Ansichten, welche diese Treue als unheilvoll für das Vaterland dar⸗ stellten, zurück. Die Nation werde solange kein Heil haben, als sie dem Einfluß der Sektierer ausgesetzt sei. Schließlich forderte der Papst zur Uebung von frommen Werken und Tugenden auf, welche die beste Bürgschaft des Heils inmitten der schwierigen Zeiten seien. 1“
b Türkei. Das modisizierte Abkommen über die Anleihe ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ vorgestern von dem Ministerrath Fenechmrict und dem Sultan zur Sanktionierung unterbreitet worden.
Die mit Leontjew nach St. Petersburg entsandte abessynische Mission ist von Odessa in Konstantinopel eingetroffen.
Rumänien. 8
Der König hat, wie „W. T. B.“ meldet, die De⸗ mission des Justiz⸗Ministers Djuvara angenommen und den Ackerbau⸗Minister Stolojian interimistisch zugleich mit dem Justiz⸗Portefeuille betraut.
8 Bulgariiien.
Die Fürstin Marie Louise ist, wie „W. T. B.“ 2n gestern Abend von einer Prinzessin entbunden worden. 8
Schweden und Norwegen.
Der schwedische Reichstag ist heute eröffnet worden. Das Budget weist, wie „W. T. B.“ meldet, 124 Millionen Gesammtausgaben auf und fordert u. a. die Bewilligung von 50 000 Kronen zur Erhöhung der Apanage des Kron⸗ prinzen un inweis auf die von dem norwegisch
88 1“
in Santa Clara einen Mordversuch
Storthing vorgenommene Herabsetzung derselben um die gleiche Summe, ferner 350 000 Kronen zur Befestigung der Stadt Göteborg, 3 000 000 Kronen zu anderen Befestigungswerken und 6 500 000 Kronen zum Bau neuer Kriegsschiffe.
— Amerika.
Aus Havanna wird gemeldet, daß ein gewisser Picou 3 gegen den dortigen Präfekten gemacht habe. Der kommandierende General in Se. Clara habe die sofortige Verhaftung des Verbrechers ewirkt.
Die Anführer der freiwilligen Truppen in Havanna haben ihre Zustimmung zu dem gesetzmäßigen Zu⸗ stand erneuert und ihre Unterstützung zur Aufrechthaltung der Ordnung angeboten. — Der Direktor des Blattes „Recon⸗ centrado“ ist verhaftet worden.
88
das „Reuter'sche Bureau“ aus Peking vom gestrigen Tage meldet, hielt das Tsung⸗li⸗Namen vor⸗ soßtern Abend eine Konferenz wegen der vorgeschlagenen briti⸗ chen Anleihe ab. Der großbritannische Gesandte habe für die finanzielle Unterstützung unter anderen Bedingungen auch die Eröffnung von Talienwan und Nanning als Vertragshäfen gefordert. Der russische und der französische Gesandte hätten sich den britischen Vor⸗ schiogen. widersetzt. Eine weitere Konferenz solle heute statt⸗ nden.
Demselben Bureau zufolge ist Chang⸗Yin⸗Ham zum Gouverneur von Schantung ernannt woreen.
Parlamentarische Nachrichten
Die Berichte über die gestrigen Sitzungen des Reichs⸗ tages und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
— In der heutigen (19.) Sitzung des Reichstages wurde die zweite Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichshaushalts⸗Etats für das Jahr 1898, und zwar des Etats des Reichsamts des Innern, bei dem Titel „Staatssekretär“ fortgesetzt.
Der Abg. von Kardorff (Rp.) nahm als erster Redner die in der letzten Sitzung begonnene Erörterung über den ver⸗ traulichen Erlaß des Staatssekretärs in Betreff der eventuellen Abänderung des § 153 der Gewerbeordnung wieder auf. Er bezeichnete diesen Erlaß als einen seinem Inhalt nach völlig selbstverständlichen, dessen Geheimhaltung keineswegs absolut geboten gewesen sei. 8
(Schluß des Blattes.)
— In der heutigen (4) Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten, welcher der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministe⸗ riums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel, der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen, der Minister für Landwirth⸗ schaft ꝛc. Freiherr von Hammerstein und der Minister des Innern Freiherr von der Recke beiwohnten, wies zunächst der Präsident von Kröcher darauf hin, daß der Abg. Dr. Virchow gestern zum 25. Male zum Vorsitzenden der Rech⸗ nungskommission gewählt worden sei, und serach ihm unter allseitigem Beifall den Dank des Hauses dafür aus, daß er 25 Jahre hindurch als Vorsitzender dieser Kommission seine bnaph bemessene Zeit den Geschäften des Hauses gewidmet
abe.
Sodann wurde die erste Berathung des Staatshaus⸗ halts⸗Etats für 1898/99 fortgesetzt.
Bei Schluß des Blaties hatte der Abg. von Eynern nl.) das Wort.
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Dem Hause der Abgeordneten ist nachstehender Entwurf eines Gesetzes wegen Abänderung des Gesetzes vom 26. April 1886 (Ges.⸗Samml. S. 131), betreffend die Be⸗ förderung deutscher Ansiedelungen in den Pro⸗ vinzen Westpreußen und Posen, zugegangen: 18
Einziger Artikel. 8
Das Gesetz vom 26. April 1886 (Gesetz⸗Samml. S. 131), be⸗
treffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, wird, wie folgt, abgeändert:
1) Der im § 1 der Staatsregierung zur Verfügung gestellte Fönde von 100 Millionen Mark wird auf 200 Millionen Mark erhöht⸗
2) Im § 8 fallen die Worte „bis zum 31. März 1907“ und der Schlußsatz weg.
Die diesem Gesetzentwurf beigegebene Begründung lautet, wie folgt:
Das Gesetz vom 26. April 1886 (Gesetz⸗Samml. S. 131), be⸗ treffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Pro⸗ vinzen Westpreußen und Posen, hatte sich die Aufgabe gestellt, gegen⸗ über der in steigendem Maße und unter Verhreasah der deutschen Elemente sich vollziehenden Ausbreitung der polnischen Natio⸗ nalität in diesen Provinzen das Deutschthum durch Ansiedelun deutscher Bauern und Arbeiter zu stärken Es bezweckte, dur
Seßhaftmachung deutscher Landwirthe zu verhindern, daß sich das
Nationalitätenverhältniß noch weiter, als es ohnehin schon geschehen, zu Ungunsten des Deutschthums verschiebe. Während das Gesetz auf diese Weise sein Ziel unter dem Gesichtspunkte der Abwehr be⸗ drohlicher Bestrebungen verfolgte, bezweckte es gleichzeitig, durch Hebung der Landeskultur im Wege einer planmäßigen Kolonisation der beiden Provinzen deutschem Geist und deutscher Sitte dort mehr und mehr Eingang zu schaffen.
Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts haben die Nothwendig⸗ keit eines solchen Vorgehens der Staatsregierung bestätigt.
Die Verschiebung des Stärkeverhältnisses zwischen den beiden Nationalitäten zum Nachtheil der Deutschen hält an und hat im Gefolge die Entstehung einer großen Zahl ländlicher Kleinwirthschaften, die nach einem von polnischer Seite mit großem Eifer geleiteten Gütertheilungssysteme geschaffen werden. Von diesen ländlichen Kleinbetrieben nimmt die polnische Bevölkerung in stxtis wachsendem Umfange Besitz unter Bedingungen, die dem Deutschen eine seinen Bedürfnissen entsprechende Lebenshaltung und das Fortkommen auf solchem -g nicht ermöglichen. So macht sich auf dem platten Lande eine steigende Zunahme des polnischen Kleingrundbesitzes bemerkbar, in seinem Erfolge noch unterstützt durch die Anziehungs⸗ kraft, die der Westen auf die Deutschen in den Ansiedelungsprovinzen ausübt. Aber auch in den Städten zeigt sich mehrfach eine Ueberhand⸗ nahme der polnischen Nationalität in den Mittelständen, eine strenge
8 Absonde
“
Verhaltnisse der A
Dienstbarmachung der durch vacte Kultur erzeugten Intelligenz zu
ionalpolnischen Zwecken. Diese Sonderbestrebungen haben zu einer Eüiehacfune der Gegensätze und schließlich zu einer Haltung des Polenthums in Wort und Schrift geführt, die in einer Bedrängung der deutschen Bevölkerung in sozialer und wirthschaftlicher Beniehung ihre Wirkung äußert. 1
Einer solchen Eatwickelung muß die Staat sregierung zum Schutze der hierdurch bedrohten Deutschen wie zur Erhaltung des Friedens und der Wohlfahrt der Staatsbürger mit Entschiedenheit entgegentreten. Sie hat sich deshalb im Stande der Abwehr ge⸗ eöthigt gesehen, mit dieser Vorlage auf dem von ihr mit dem Gesetze vom 26. April 1886 beschrittenen Wege weiter zu gehen.
Durch dieses Gesetz war der Staatsregierung für die Zwecke der Besiedelung ein Fonds von 100 Millionen Mark zur Verfügung gestellt worden, dessen Höhe, wie die Begründung erkennen läßt, mehr schätzungsweise, als nach bestimmten rechnerischen Unter⸗ lagen bemessen war. Es liegt auch in der Natur der Sache, daß weder die Preisverhältnisse der für die Besiedelung zu er⸗ werbenden Güter und die Eehegin für ihre Verbesserung und Anpassung an den kleinbäuerlichen Betrieb noch der Umfang der dem Fonds wieder zufließenden Einnahmen beim Erlaß des Gesetzes auch nur mit einiger Sicherheit übersehen werden konnten. Dieser Fonds erweist sich nachgerade als nicht zureichend, um die Ziele des Gesetzes mit dem Nachdruck, den die Gestaltung der Fera in den Ansiedelungsprovinzen erfordert, zu betreiben und in dem Maße zu verwirklichen, daß das deutsche Element gegenüber den nationalpolnischen Bestrebungen eine ausreichende und nachhaltige Stärkung erfährt. 1b
Nach der letzten Denkschrift der v“ (Druck⸗ sachen für 1896/97 Nr. 81 des Herrenhauses, Nr. 83 des Abgeordnetenhauses) waren bis Ende des Jahres 1896 ins⸗ gesammt 183 Liegenschaften mit einem Flächeninhalt von 92 724 ha für den Kaufpreis von rund 56 Millionen Mark erworben. Hiervon waren 34 689 ha mit 1975 Kolonisten besiedelt. Unter Berücksichtigung der im Jahre 1897 unverhältnißmäßig gestiegenen Besiedelungsziffer und unter Zugrundelegung der bis⸗ herigen Durchschnittsgröße der Besiedelungen einschließlich der Land⸗ ausstattungen für die öffentlichen Verbände ist anzunehmen, daß mit
Ende des laufenden Etatsjahres 2200 Ansiedler auf einer Fläche von
etwa 44 000 ha angesetzt sein und daß bei Zunahme des Grund⸗ erwerbs bis zu 100 000 ha sonach rund 56 000 ha zur Begebung übrig bleiben werden.
In Würdigung der namhaften Schwierigkeiten, die die Lösung jeder kolonisatorischen Aufgabe bietet, ist dieses Ergebniß befriedigend und erfolgreich zu nennen, um so mehr, als nicht verkannt werden darf, wie sich für den Fortgang der Besiedelung hier naturgemäß Verzögerungen dadurch ergeben, daß auf die Verkäuflichkeit geeigneter Güter ein Einfluß nicht geübt werden kann. Dazu kommt, daß die erworbenen Güter der Regel nach erst während eines längeren oder kürzeren Zeitraums verbessert und für die Umwandlung in bäuerliche Anwesen eingerichtet werden müssen, und daß eine die nationalen und wirthschaftlichen Ziele des Ansiedelungs⸗ gesetzes gleich sorgfältig berücksichtigende Auswahl unter dem Ansiedler⸗ angebot die Zahl der brauchbaren Bewerber erheblich vermindert. Trotz dieser Schwierigkeiten ist bereits in umfassendem Maße, wie die dem Landtage alljährlich zugehenden Denkschriften im einzelnen nach⸗ weisen, die Landeskultur in den beiden Provinzen gehoben worden durch die Melioration der vielfach verwahrlosten Güter, durch Aus⸗ legung eines rationellen Wege⸗ und Grabennetzes über alle Theile des zur Hesievelung bestimmten Gebiets, durch die Einführung zweck⸗ dienlicher Wirthschafte'methoden auf den zwischenzeitlich verwalteten Gütern und durch Schaffung lebensfähiger mittlerer und kleinerer bäuerlicher Betriebe an Stelle der ehedem um ihre Existenz kämpfenden Großwirthschaften. 1
Durch Heranziehung gesitteter, arbeitsamer und kapitalkräftiger Elemente aus allen Theilen Deutschlands ist der ländlichen Bevölke⸗ rung der Ansiedelungsprovinzen ein werthvoller Gewinn an Intelli⸗ genz zugeführt worden, der sich allenthalben sowohl in der fort⸗ schreitenden Entwickelung der wirthschaftlichen Lage der einzelnen Ansiedler, als auch in der Hebung und Kräftigung des Gemeinsinns äußert. Wie einerseits mit Erfolg auf dem Zusammen⸗ schluß der Ansiedler zu genossenschaftlichen Vereinigungen zwecks höherer Verwerthung der landwirthschaftlichen Erzeugnisse hingewirkt worden ist, so hat g die Regelung der öffentlich⸗rechtlichen Verhältnisse in 80 Geweinden durch reichliche Ausstattungen eine besondere Fürsorge erfahren.
Auch in finanzieller Hinsicht ist der leitende Gesichtspunkt in der Begründung des Gesetzes vom 26. April 1886 seither festgehalten worden, daß eine angemessene Schadloshaltung des Staats sicher zu stellen ist und daß man sich, ohne finanzielle Vortheile für ihn ge⸗ winnen zu wollen, im Großen und Ganzen mit einer mäßigen Ver⸗ zinsung des aufgewendeten Kapitals begnügen muß, wenn die Ziele des Gesetzes erreicht werden sollen.
Es wird, selbst unter Mitberücksichtigung der allgemeinen Ver⸗ waltungskosten, eine Verzinsung des gesammten aufgewendeten Kapitals von über 2 ½ % erzielt werden. Bringt man daneben die Erhöhung der Steuerkraft in Anschlag, die sich aus dem Ersatz des angekauften, vielfach schwachen Großgrundbesitzes durch einen leistungsfähigen mittleren und kleineren Besitz ergiebt, sowie die Ausgaben zu allgemeinen Zwecken der Landeskultur und zu öffentlichen Einrichtungen, wofür zum theil sonst andere Staatsmittel hätten verwendet werden müssen, so ist das Opfer, das dem Staate durch diese Kolonisierungsaufgabe auferlegt wird, ein verhältnißmäßig geringes zu nennen. Es verliert in dem Maße an Belang, in welchem man die Stärkung des Deutsch⸗ thums und die kulturelle Hebung der Ansiedelungsprovinzen vom Standpunkte ihrer hohen sozialpolitischen und wirthschaftlichen Be⸗ deutung würdigt.
Für ein weiteres zweckförderndes Vorgehen der Ansiedelungs⸗ Kommission ergiebt sich nun aber ein Hemmniß in der Bemessung des durch Gesetz vom 26. April 1886 bereit gestellten Fonds. Mit Abschluß des Etatsjahrs 1897/98 werden unter Verwendung aller dem Fonds bis dahin gemäß § 8 a. a. O. wieder zuge. flossenen Beträge gegen 80 Millionen verausgabt sein. 8 würden demnach der Ansiedelungs⸗Kommission am 1. April 1898 nur noch 20 Millionen und diejenigen Rückeinnahmen zur Verfügung stehen, die dem Fonds bis zum 31. März 1907 als dem Zeitpunkte zufließen, von dem ab sie den allgemeinen Staats⸗Einnahmen hinzutreten. Nach dem Schlußsatze des § 1 a. a. O. soll mit der käuflichen Erwerbung von Grundststücken nur in dem Umfange vorgegangen werden, daß hinlängliche Mittel zur Bestreitung der für die erstmalige Einrichtung und die erstmalige Regelung der Gemeinde⸗Kirchen⸗ und Schulverhältnisse der Ansiedelungen erforderlichen Kosten übrig bleiben. Die vorherige Bemessung dieses Kostenaufwandes ist überaus schwierig; um so vorsichtiger muß bei Veranschlagung des zurück zu behaltenden Betrages verfahren werden. Nun ist nach den bisherigen Erfahrungen anzunehmen, daß der vorstehend nachgewiesene Fondsrest am 1. April 1898 zuzüglich der künftigen
Linnahmen zum weitaus größten Theile erforderlich sein wird, um die erwähnten Einrichtungen auf den noch unbesiedelten Flächen der erworbenen Güter von rund 56 000 ha zu bestreiten. Es würden also von diesem Fonds nur noch einige wenige Millionen zu ferneren Gatsankäufen Verwendung finden dürfen, und es hätte die Ansiedelungs⸗ Kommission im nächsten Etatsjahre bereits mit der Abwickelung ihrer Geschäfte zu beginnen.
„Dies hieße, der kolonisatorischen Arbeit mitten in ihrer Ent⸗ wicklung und ihren Erfolgen Halt gebieten und überdies zu einem Zeitpuntt, wo die starken Gegenströmungen einen besonders kräftigen Schutz des Deutschthums erfordern, und wo angesichts der großen
rundbesitzbewegung vor welcher unter den noch fortdauernd ungünstigen landwirthschaftlichen Verhältnissen auch ein Theil des deutschen Grund⸗ esitzes in den Ansiedelungsprovinzen nicht mehr stand zu halten ver⸗ mag, der Staatsregierung in erhöhtem Maße die Aufgabe erwächst, auf eine umfassende und in ihrer Bedeutung weit über die Gegenwart hinausreichende Verbesserung der landwirthschaftlichen und sozialen
d sprovinzen hinzuwirken. Unterließe dies
1“
Grund: Nebel auf
der Staat und verzichtete er auf jede fernere Nachfrage na rund⸗ besitz, so würde alsbald die schon jetzt, zumal auf 0 nach. Eund. rührige private Parzellierungsthätigkeit in verstärktem Grade einsetzen und bei der geringen Kapitalkraft der zunäͤchst betheiligten eingesessenen Hnerlichehs gehölerung zur E“ Schaffung lebensunfähiger en und zu einer bedenkliche 1 In “ Fnbeine chen Proletariatsbildung in Aus diesen Gründen erachtet es die Staatsregierung für geboten, den durch § 1 des Gesetzes vom 26. April 1886 bereitgegtelken Fonds auf 200 Millionen Mark zu erhöhen. Eine solche Fondsverstärkung wird sie in die Lage setzen, mit Nachdruck und dauerndem Erfolge in die noch anhaltend lebhafte Grundbesitzbewegung zu Gunsten des Deutschthums einzugreifen und den Plan der S. Besiedelung in einem Maßstabe zu entwerfen und durchzuführen, wie ihn die sötianalpgstische Lage in den Ansiedelungsprovinzen nothwendig er⸗ Diese Möglichkeit wird der Staatsregierung um so erer gewährleistet, wenn die Beschränkung der inner n die Rückeinnahmen dem Ansiedelungs onds wieder zufließen, beseitigt wird, wie dies schon in der Regierungsvorlage des Gesetzes vom 26. April 1886 vorgesehen war. Während hierdurch der Staats⸗ regierung eine für die Lösung ihrer Aufgabe erwünschte Bewezungs⸗ freiheit eingeräumt wird, schafft die auch fernerhin in Geltung bleibende Bestimmung des § 8 a. a. O., daß jene Rückeinnahmen alljährlich in den Staatshaushalts⸗Etat aufzunehmen sind, dem Ver⸗ fassungsrecht sowohl, wie dem Budgetrecht des Landtages Genüge.
Nr. 2 des „Eisenbahn⸗Verordnungsblatts“, beraus⸗ Fee im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 14. Januar, at folgenden Inhalt: Erlasse des Ministters der öffentlichen Arbeiten: vom 3. Januar 1898, betr. Einrichtungen, die es den Reisenden er⸗ leichtern, sich auf den Eisenbahnstationen zurechtzufinden; vom 4. Ja⸗ nuar 1898, betr. Vorprüfung der Genehmigungsgesuche zu Dampf⸗ kesselanlagen und ihrer Unterlagen; vom 5. Januar 1898, betr. Bil⸗ dung von Direktionsgruppen für Stellenbesetzungen. — Nachrichten.
Statistik und Volkswirthschaft.
Zur Arbeiterbewegun g.
Zum Ausstande der englischen Maschinenbauarbeiter
meldet „W. T. B.“ weiter aus London: Die Gesellschaft der Angestellten im Maschinenbau⸗Gewerbe in London richtete am Montag an den Arbeitgeber⸗Verband ein Schreiben, in welchem sie offiziell mittheilt, sie ziehe die Forderung des Achtstundentages zurück, und die Hoffnung ausdrückt, die Arbeitgeber würden nunmehr die Sperr⸗Ankündigungen zurückziehen. Die Gesellschaft hat auch mehrere Abordnungen an die Arbeitgeber entsandt. Ferner wird aus Manchester berichtet, daß noch von einer Reihe weiterer Firmen Sperr⸗ ankündigungen erlassen worden sind. Auch die Firma Golloway, die größte Dampfkesselfabrik der Welt, befindet sich unter ihnen. In Glasgow hat eine Anzahl unionistischer Arbeiter um Wieder⸗ aufnahme in die Schiffsbauhöfe gebeten. Aus Ancona meldet „W. T. B.“: Durch ein sozialistisches Manifest war die Bevölkerung aufgefordert worden, gegen eine hier erfolgte Erhöhung der Brotpreise zu protestieren. Gestern Vormittag begaben sich etwa 100 Frauen mit ihren Kindern nach dem Rathhause, um eine Herabminderung der Brotrreise zu verlangen. Der Bürgermeister versprach, alsbald entsprechende Maßnahmen zu treffen. Inzwischen hatte sich eine große Zahl von Männern dazu gesellt. Einige Kinder warfen Steine gegen die Fenster des Rathhauses. Nachdem die den Platz vor dem Rathhause gesäubert hatte, ergoß die Menge sich, von der Polizei verfolgt, in die Straßen und zertrümmerte durch Stein⸗ würfe mehrere Schaufenster; infolgedessen wurden die Geschäfte ge⸗ schlossen. Es kam zu Tumulten; einige Beamten der öffentlichen Gewalt und eine Frau wurden verwundet. Mehrere Verhaftungen wurden vorgenommen. Die Kundgebung wurde fortgesetzt, um die Entlassung der Verhafteten zu erwirken, und die Ruhe erst Abends wieder hergestellt.
Aus Wasbhington wird dem Londoner „Daily Chroniele“ gemeldet: 15 000 Arbeiter und Arbeiterinnen der Baumwoll⸗ spinnereien haben die Arbeit niedergelegt; der Ausstand nimmt an Ausdehnung zu.
— Verkehrs⸗Anstalten.
Laut ö aus Goch ist die erste englische Post über Vlissingen vom 17. Januar ausgeblieben. Grund: Nebel auf See.
Laut Telegramm aus Köln (Rhein) ist auch die zweite englische Post über Ostende vom 17. Februar ausgeblieben. See und Zugverspätung in Belgien.
1M“ 8 “ 1“
v“
1““ 1“ 8 8 “ v“ Bremen, 17. Januar. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd. Dampfer „Mainz“, n. Brasilien best., 15. Jan. Dover passiert. „Werra“ 15. Jan. v. New⸗York n. Bremen abgeg. „Witte⸗ kind“ 16. Jan. Reise v. Southampton n. d. La Plata fortges. „Pfalz“ 16. Jan. vom La Plata in Antwerpen eingetr. „Sachsen“ 16. Jan. Reise v. Port Saiden. Ost⸗Asien fortges. ehaedh de a. d. Reise n. Baltimore 15. Jan. Prawle oint passiert. 6 21 pgg. Januar. (W. T. B.) Dampfer „Weimar“, n. New⸗York best., 17. Jan. Mittags Lizard passiert. „Prinz⸗ Regent Luitpold“ 17. Jan. Mrgs. in Southampton angek. „Ems“ 17. Jan. Vm. Reise von Gibraltar n. New⸗York fortgesetzt.
Hamburg, 17. Januar. (W. T. B.) Hamburg⸗Amerika⸗ Linie. Dampfer „Polaria“, von Hamburg kommend, ist gestern in St. Thomas eingetroffen. 8
London, 17. Januar. (W. T. B.) Castle⸗Linie. Dampfer „Avondale Castle“ ist auf der Füüimress gestern in London an⸗ gekommen. D. „Dunolly Castle“ ist auf der Ausreise am Sonnabend in Kapstadt eingetroffen. D. „Garth Castle“ ist auf der Ausreise am Sonnabend von Southampton abgegangen. D. „Lismore Castle“ ist auf der Ausreise gestern in Mauritius angekommen.
Rotterdam, 17. Januar. (W. T. B.) Holland⸗Amerika⸗ Linie. Dampfer „Werkendam“ von New⸗York gestern Vorm. nach Amsterdam abgegangen. D. „Edam“, von Amsterdam nach New⸗York, und „Veendam“, von New⸗York nach Rotterdam, haben
heute Vorm. Seilly passiert.
Theater und Mufik.
Königliches Schauspielhaus. Gestern Abend ging Goethe’s politisches Drama „Die Auf⸗
geregten“ in einer ergänzenden Bearbeitung von Felix von
St li um ersten Mal und mit schönem Erfolge in In diesem fragmentarischen Werk, welches s den Jahren 1793 und 1794 stammt, gab Goethe
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den Empfindungen Ausdruck, welche die französische Revov. lution in süchn rachrn. Der Dichter selbst weist deutlich auf die
Art der empfangenen Eindrücke in seiner „Campagne in Frankreich“ und in seinen „Annalen“ hin und spricht sich über den er⸗ schütternden geschichtlichen Vorgang dahin aus, „daß ihn der Umsturz des Vorhandenen schrecke, ohne daß eine Ahnung zu ihm spreche, was denn Besseres, ja nur anderes daraus erfolgen
solle.“ Es verdrießt ihn, „daß dergleichen Influenzen sich auch nach
Deutschland erstrecken und verrückte, ja unwürdige Personen das Hest ergreifen“. Aus solchem ärgerlichen Humor entstanden der „Bürger⸗ general“, „Die Aufgeregten“ und die „Unterhaltungen deutscher Aus⸗ gewanderten“, und diese Nachbildungen des Zeitsinns blieben ihm eine Art „gemüthlich tröstlichen Geschäfts“. Die „Aufgeregten“ sind schlichte Dorsbewohner, denen einige herübersprühende Funken aus der düsteren Gluth der französischen Revolution das Gehirn versengt haben, und welche unter der Leitung eines großsprecherischen, feigen Prahl⸗ hanses, des Chirurgus und Barbiers des Dorfs, alte Ge⸗ rechtsame, welche ihnen die rechtlich denkende Gräfin frei⸗ willig zugestehen zegf. mit Gewalt ertrotzen und noch einige Vortheile darüber hinaus bei dieser Gelegenheit erlisten wollen. Goethe erwägt in dem Lustspiel sorgfältig und klug die Rechte und Pflichten der Herrscherin und der Beherrschten, welche, wenn beide Theile von edlen und rechtlichen Gesinnungen in ihrem Verhalten bestimmt werden, allezeit und allerorten in wohlthätiger Eintracht zusammenwirken können. So hatte der Dichter das unvollendet gebliebene Werk angelegt, und genau nach seinen Aufzeichnungen ist es von F. von Stenglin ergänzt worden. Der Bearbeiter hat den zweiten Akt geschickt mit dem dritten zusammengezogen. Die fingierte Nationalversammlung, in der die Schloßherrschaft und die Bauern sich gegenseitig aussprechen wollen, hat er nach den kurzen Andeutungen Goethe's selbständig ergänzt und dann den bei Goethe fehlenden letzten Akt angefügt. Das Werk, wie es jetzt vorliegt, besitzt zunächst kulturhistorische Bedeutung durch die Eigenart der Charaktere und der sozialen Ver⸗ hältnisse, welche geschildert werden. Die dichterische Kraft Goethe’s tritt in einzelnen starken Empfindungen und sprühenden Geistes⸗ funken unverkennbar hervor; aber die innere Unlust an dem Stoff hat wohl seine Gestaltungskraft beeinträchtigt. Man muß sich an der vornehmen Ruhe genügen lassen, mit welcher der Gegenstand behandelt wird. Einen derberen, possenhafteren Ton, der für einzelne scenische Vorgänge ganz am Platze ist, schlägt Stenglin an und erzielt damit kräftige humoristische Wirkungen. — Die Einstudierung und Inscenierung des Stückes war mit großer
Sorgfalt vorbereitet worden. Frau Meyer (Gräfin), Fräulein
Lindner (Luise) und Herr Keßler (Hofrath) verkörperten mit Anmuth und Würde drei schöne Charaktere. Fräulein Hausner verlieh der gutherzigen, aber ungestümen Komtesse Friederike, welche mit
angelegter Flinte von dem tückischen Amtmann ein veruntreutes Dokument
und damit den Bauern ihre Rechte erobert, die erforderliche Energie. Die verliebte schwache Tochter des Chirurgus gab Fräulein
von Mayburg liebenswürdig und natürlich. Herr Purschian spielte
einen leichtfertigen Baron mit vornehmer Zuruüͤckhaltung, und Herr Vollmer wurde als Träger der Hauptrolle, der des prahlerischen, selbstgefälligen Chirurgus Breme von Bremenfeld, durch seinen drolligen Humor auch der Held des Abends. “
Die schnell zu Ruf gelangte Sängerin Fräulein Clara Butt gab am Donnerstag v. W. im Saal der Philharmonie ein Konzert mit dem vom Kapellmeister Rebizdek dirigierten Orchester des Hauses. Sie trug Beethoven's „In questa tomba“, Händel's „Ombra mai fu“ und Gesänge von Schubert, Schumann und Anderen vor. Ihre Altstimme ist von auffallend schönem Klang, aber noch nicht vollkommen ausgebildet und konnte sich hauptsächlich aus diesem Grunde dem Orchester gegenüber nicht immer genügend Geltung ver⸗ schaffen. Dennoch wurde ihr so lebhafter Beifall zu theil, daß sie Bohm’s „Still, wie die Nacht“ und ein englisches Lied zugeben konnte. Das Orchester, das außer der Ouvertüre zu „Fidelio“ von Beethoven noch mit einer Ballade von E. E. Taubert die Hörer er⸗ freute, verdient Anerkennung. — Der Pariser Pianist Herr drss ed Cortot, welcher vor kurzem von Herrn Edouard Risler hier eingeführt wurde, gab ebenfalls am Donnerstag im Saal Bechstein einen eigenen Klavierabend, der den Zuhörern die erwünschte Gelegenheit brachte, den Künstler auch einmal allein zu hören. Beethoven's Sonate: „Abschied, Trennung und Wiedersehen“ (op. 81 a) sowie die A-dur-Sonate (op. 101) desselben Meisters trug der Pianist mit musterhaft dscdhe⸗ Technik und mit einer Tiefe der Auffassung vor, die großen Ein⸗ druck auf die Hörer machte. Die männliche, kraftvolle Art des An⸗ schlags war in den S. durchaus am Platze, während in der Cantilene manchmal mehr Weichheit zu wünschen blieb. Außerdem spielte der Künstler noch kleinere Stücke von Chopin und Liszt, die gleichfalls mit wohlverdientem Beifall aufgenommen wurden. — Das dritte Konzert des Böhmischen Streichquartetts der Herren Hoffmannn, Suk, Nedbhal und Professor Wihan, welches an demselben Tage in der Sing⸗Akademie stattfand, ge⸗ staltete sich durch die Mitwirkung des Herrn Edouard Risler zu einem besonders interessanten Ereigniß. Mit großer Kraft und Präzision führte der letztere den Klavierpart in dem F-moll-⸗Klavierquintett (op. 34) von Brahms durch. Sowohl diese Nummer wie die beiden Quartette des Pro⸗ gramms: A-moll von R. Schumann und Cis-moll (op. 131) von Beethoven, wurden von den Konzertgebern in der gewohnten tadel⸗ losen Aussührung zu Gehör gebracht. — Auch im großen Saal des Architektenhauses fand an demselben Tage eine musikalische Veranstaltung statt. Der „Hugo Wolf⸗Verein“ gab hier ein Konzert, in welchem eine große Anzahl von Liedern des Komponisten, dessen Namen der Verein trägt und 81 Werken er Eingang ver⸗ schaffen will, zur Aufführung gelangten. Der Tenorist Herr Ludwig Heß, der seine Studien auf der Königlichen Hochschule unter Leitun des Professors Otto gemacht hat, sang zuerst drei ernste Lieder na Texten von Mörike: „Wo find' ich Trost?“ „An den Schlaf“ und „Auf ein altes Bild“, in welchen seine klangvolle, wohlgeschulte Stimme und sein ausdrucksvoller Vortrag gut zur Geltung kamen. Im weiteren Verlaufe des Abends trug derselbe noch einige heitere Lieder nach Eichendorff'schen Texten vor, von denen auf allgemeinen Wunsch „Verschwiegene Liebe“ und das zum ersten Male esungene „Lieber Alles“ wiederholt wurden. Auch die Sängerinnen Fräufein Juana beß und Margarete Tochtermann sowie der Baritonist Hjalmar Arlberg brachten eine Reihe von Ge⸗ sängen des Komponisten, welchen außer von den vorgenannten Dichtern, Texte von Goethe und Heyse zu Grunde lagen, wirkungsvoll zu Gehör. Unter diesen gefielen besonders die an Brahms'sche Vor⸗ bilder erinnernden Lieder „Um Mitternacht“ und „Nun laß uns das Fenster schließen“’. Das Publikum bekundete durch zahlreichen Besuch und regen Beifall sein Interesse an den Bestrebungen des Vereins.
„In der Sing⸗Akademie gab der Königlich sächsische Konzert⸗ meister Henri Petri am Sonnabend ein Konzert unter Mitwirkung des Pbilharmonischen Orchesters. Der hier nicht mehr un⸗ bekannte Künstler, welcher die „Gesangsscene’ von Spohr, die Variationen für Violine von Joachim und das D-dur-Konzert von Beethoven zu Gehör brachte, erfreute sowohl durch Wärme und Lebendigkeit des Tons, wie die seinem Vortrage eigene künstlerische Empfindung. Die zahlreichen Hörer nahmen jede Nummer mit leb⸗ haftem Beifall auf. — Im Saal Bechstein fand gleichzeitig ein Klavier⸗Abend von Vera Maurina aus Moskau statt, in welchem die aus der Schule Emil Sauer's hervorgegangene, begabte Künstlerin zum ersten Mal vor dem hiesigen Publikum er⸗ schien. Mit großer Kraft des Anschlags und Sicherheit im Technischen verband sie zugleich eine seelenvolle und stets fesselnde Art des Vortrags. Daß sie von dem Pedal nur mäßig Gebrauch machte, sei ebenfalls besonders anerkannt. Sie spielte die Orgel⸗ Prentaßte und Fuge in D-dur von Bach⸗Busonf, in der die rapiden
ktavengänge beider Hände Bewunderung verdienten, außerdem Beethoven’'s Sonate in G-dur (op. 31), die 25 Variationen nebst Fuge über ein Händel'sches Thema von Brahms, sowie kleinere Piscen von Chopin, Arensky, Tschalkowsky, E. Sauer und Liszt. Das
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