Zeit kann daran ebenfalls garnicht gedacht werden. Den Herrn Abg. Hahn möchte ich darauf hinweisen, daß in der Unfall⸗ versicherungs⸗Novelle, die dem letzten Reichstage vorgelegt ist, aus⸗ drücklich vorgesehen war, daß für die seefahrende Bevölkerung, weil die Seeleute allerdings ein Alter von 70 Jahren meist nicht erreichen, mit der Alters⸗ und Invaliditätsversicherung und Unfallversicherung auch die Wittwen⸗ und Waisenversicherung ver⸗ bunden werden sollte; und wenn wir diese Novelle wieder vorlegen, wird sich jedenfalls diese Bestimmung zum Besten der Seeleute auch wieder in der Novelle finden. Es ist ferner vom Ausscheiden er land⸗ wirthschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten aus der sozialpolitischen Gesetzgebung, speziell aus der Altersversicherung die Rede gewesen. Meine Herren, ich glaube, eine Regierung thut gut, sich möglichst bald über das auszusprechen, was sie will und was sie nicht will, und ich kann aufs bestimmteste erklären, daß für die verbündeten Regierungen der Gedanke, irgend welche Schichten der Arbeiterbevölkerung, die sich jetzt der Vortheile der sozialpolitischen Gesetze erfreuen, wieder auszuscheiden, vollkommen indiskutabel ist. (Bravo!l) Was würde man wohl im Lande sagen, nachdem uns schon Vorwürfe gemacht sind, daß wir aus sachlichen Gründen eine Novelle sechs, acht Monate später vorlegen, wenn wir, sage ich, die große Schaar der landwirthschaftlichen Arbeiter und Dienstboten der Vortheile der sozialen Gesetzgebung wieder berauben wollten? (Sehr richtig!) Das wäre eine Frage, die man vielleicht diskutieren könnte, wenn wir noch vollkommen res integra hätten. Da kann ich mir einen Stand⸗ punkt denken, den ich dahin etwa präzisieren würde: wir wollen erst einmal sehen, wie das Gesetz in den Verhältnissen funktioniert, aus denen heraus die Nothwendigkeit des Gesetzes besonders hervorgegangen ist, wo auch die Ausführung desselben sich leichter gestaltet, d. h. in den Städten, und wollen dann erwägen, ob man diese Gesetzgebung auch auf das platte Land überträgt. Aber auch, wenn man diesen Weg gegangen wäre, so würde es ein außer⸗ ordentlich schwieriger gewesen sein, weil selbstverständlich nament⸗ lich da, wo ländliche Ortschaften und Städte ineinanderfließen, es zu sehr mißlichen Vergleichen geführt hätte, wenn ein Arbeiter, weil er in der Stadt verunglückt oder alt und invalid geworden ist, eine Rente bekam und ein anderer, der zehn Schritte davon wohnte, eine solche nicht erhielt. Meine Herren, das sind Vortheile, die, wenn man sie erst einmal der arbeitenden Bevölkerung gewährt hat, man ihr unter keinen Umständen wieder nehmen kann, und ich glaube, wenn man diesen Versuch machte, würden wir einem sehr gewaltigen Sturm aus der arbeitenden Bevölkerung auch auf dem Lande entgegen⸗
gehen.
Meine Herren, es ist auch vielfach von Vereinfachung der sozial⸗ politischen Gesetze die Rede gewesen. Wenn man über diese Materie sprechen will, muß man zwei ganz verschiedene Gesichtspunkte unter⸗ scheiden: einmal die Last als solche, und dann die Wege, um diese Last rein geschäftlich möglichst erträglich zu machen. Die Last als solche ist übernommen worden und kann meines Erachtens nicht wieder er⸗ leichtert werden. Es war ein gewaltiger Schritt, den die Gesetzgeber des Deutschen Reichs machten, als sie die Invaliditäts⸗ und Alters⸗ versicherung einführten; aber ich halte es für ganz undenkbar, daß man irgendwelche Gesetzesveränderungen behufs Zurücknahme dieses Schrittes vornimmt, die doch immer nur zum Schaden derjenigen sein könnten, die entweder schon berechtigt sind, oder wenigstens zum Schaden großer Versicherungsklassen, die berechtigt werden können. Aber auch die Frage der Vereinfachung liegt denn doch nicht so gefechtsklar, wie das heute dargestellt wurde. Ich kann versichern, daß bei dem Reichsamt des Innern Akten⸗ volumen und ganze Stöße von Brochuren liebenswürdiger und theil⸗ nahmsvoller Menschen liegen, die uns Vorschläge gemacht haben, wie wir wohl auf dem einfachsten Wege von der Welt alle die Schwierig⸗ keiten aus dem Wege räumen könnten, die jetzt bei der Ausführung des Gesetzes täglich hervortreten. Wenn man aber diesen Vorschlägen näher nachgeht, findet man in der Regel, daß sie vollkommen un⸗ gangbar sind, und daß die Vorschläge nur darauf beruhen, daß der edelherzige Verfasser die Details des Gesetzes nicht genügend beherrscht. (Heiterkeit.)
Meine Herren, ich möchte die ganze sozialistische Gesetzgebung mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vergleichen. Diese hat länger als 50 Jahre gebraucht, um in der Vollkommenheit zu funktionieren, wie sie das heute thut Die allgemeine Versicherungs⸗ pflicht greift aber unendlich viel weiter, auch nach der betheiligten Kopfzahl, als die allgemeine Wehrpflicht, und ich glaube, man bewegt sich in Täuschungen, wenn man annimmt, daß durch irgend eine Novelle, die die verbündeten Regierungen im nächsten Jahre vorlegen würden, plötzlich der Stein der Weisen gefunden werden könne, daß alle Belästigungen, die mit dem Gesetz verbunden sind, aufhören und die Sache vollständig glatt und beschwerdelos funktio⸗ nieren würde. Ich möchte schon jetzt darauf hinweisen, daß ein solcher Weg ungangbar ist. Man kann allmählich reformieren, man kann einige Belästigungen durch eine andere Konstruktion vermeiden, wie das schon in der Novelle versucht worden ist, man kann auch durch eine Lokalisierung der Versicherungsorgane, wie ich das schon bei der Generaldiskussion ausgeführt habe, den Arbeitgebern und Arbeitern das Gesetz sozusagen mundgerechter machen, indem man ihnen eine Masse Arbeit abnimmt und eine Berathunzsstelle bildet für beide Parteien. Man kann endlich auch im Laufe der Entwickelung daran denken, die drei großen Faktoren: die Berufsgenossenschaften, die
Krankenversicherungs⸗Kassen, die Alters⸗ und Invaliditätsversicherungs⸗ Anstalten, zu verschmelzen. Ich glaube aber, meine Herren, wenn man das auf einmal machte, würden die Belästigungen für das Publikum viel größer sein, als bei dem jetzigen Zustand. Diese Vereinigungen lassen sich nach meiner innersten Ueberzeugung nur im Laufe von vielen Jahrzehnten durchführen. Was prima vista ge⸗ sscchhehen kann, was ohne grundstürzende und wesentlich vertheuernde Maßregeln geschehen kann, das wollen wir in der nächsten Novelle versuchen; aber die besitzenden Klassen und die Arbeitgeber werden sich fortgesetzt vergegenwärtigen müssen: es ist zwar eine große Last, die den besitzenden Klassen zu Gunsten der ärmeren Volksklasse auferlegt ist, diese Last muß aber schließlich ohne Murren getragen werden. (Bravo!)
Abg. Dr. Paasche (nl.): Der kleine bäuerliche Besitzer ist schon ohnehin materiell in keiner glänzenden Lage; ihn drücken die Beiträge relativ viel härter als den Industriellen. Doch sind die Fälle, wo er sich dieser Pflicht entzieht, so selten, daß kein Grund vorliegt, 8. Landwirthschaft im allgemeinen an ihre sittliche Pflicht
Abg. Freiherr von Stumm (Rp. richtet an die Regierung das dringende Ersuchen, auf die Forderungen einer Herabsetzung der Altersgrenze oder Erhöhung der Invalidenrente nicht enatlsesen weil dann das Ziel der Errichtung einer Wittwen⸗ und Waisenversicherung in immer weitere Ferne rücken werde. Gegen den im Vorjahre ge⸗ machten Vorschlag der Errichtung einer fünften Lohnklasse spricht sich der Redner noch nachträglich aus; er halte es überhaupt für einen Fehler, daß man nicht an der von der Regierung vorgeschlagenen Einheits⸗ rente festgehalten habe.
vng. Singer ist der Meinung, daß die Reliktenversicherung sofort eingeführt werden könnte und doch auch die anderen geforderten Verbesserungen des Gesetzes nicht zu unterbleiben brauchten. Wenn es bei der Einheitsrente auf eine Rente herauskomme, wie sie jetzt die besser gelohnten Arbeiter erhielten, so sei er mit den Wünschen des Vorredners einverstanden. Aber die Parteigenossen des Freiherrn von Stumm stellten sich bei solchen Forderungen doch immer eine Abrundung nach unten vor. Weiter wendet sich Redner gegen die Bemerkung des Abg. Paasche, der sich in der Budgetkommission viel unbedingter dahin ausgesprochen habe, daß der kleinländliche Besitzer sich in zahlreichen Fällen einfach seiner Pflicht entziehe.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich will mir nur eine ganz kurze Bemerkung ge⸗ statten. Es mag richtig sein, daß in den ersten Jahren der Funktionierung des Gesetzes die Kontrole des Markenklebens auf dem platten Lande eine ungenügende und namentlich minderwerthiger war als die in den Städten. Das liegt an den lokalen Ver⸗ hältnissen; in den Städten, wo die Arbeitgeber auf einen verhältnißmäßig engen Raum zusammengedrängt sind, ist die Kontrole natürlich viel leichter als auf dem platten Lande, wo die Arbeitgeber auf vielen Quadratmeilen zerstreut wohnen, wo infolge dessen die Kontrole, ob jeder Arbeitgeber seiner Pflicht genügt, unendlich viel schwieriger, zeitraubender und kostspieliger ist. Aber ich muß doch zugestehen, daß sich ganz offenbar in den letzten Jahren die Kontrole auch in den Landkreisen erheblich verbessert hat, und was speziell Ostpreußen betrifft, so ist ja durch amtliche Publi⸗ kationen von uns nachgewiesen, daß in Ostpreußen, selbst wenn jeder Arbeitgeber die letzte Marke geklebt hätte, die er zu kleben hatte, schon am 1. Januar 1897 bei der Altersversicherungsanstalt ein Defizit von fünf Millionen verbleiben müßte.
Es ist von den Herren Vorrednern hingewiesen worden einer⸗ seits auf die Herabsetzung der Altersgrenze für die Altersrente und andererseits auf die Wittwen⸗ und Waisenversicherung. Gegenüber diesem Gedanken halte ich es für ganz gut, wenn ich sofort einmal kurz andeute, welche finanzielle Folgen diese beiden Maßregeln haben würden. Wenn die Altersgrenze von 70 Jahren nur auf 65 herab⸗ gesetzt wird, so würde jede Marke 5 ½ ₰ mehr kosten. Würde die Alters⸗ grenze aber auf 60 Jahre herabgesetzt, so würde sich jede Marke um fast 13 ₰ erhöhen. Die Zahl der jährlich zugehenden Alters⸗ renten, die jetzt 30 234 beträgt, würde sich bei einer Herabsetzung der Altersgrenze auf 65 Jahre auf 56 140 erhöhen und gleichzeitig würde eine Mehrbelastung der Versicherungsanstalten bezüglich des Arbeitgebers und Nehmers um 30 % eintreten. Würde dagegen die Altersgrenze auf 60 Jahre herabgesetzt, so würde sich der jährliche Zugang der Altersrenten auf 80 750 erhöhen und die Versicherungs⸗ anstalten bezüglich die Arbeitgeber und ⸗Nehmer würden um 60 % höher belastet werden.
Was ferner die Wittwen⸗ und Waisenversicherung betrifft, so ist für die erste Beitragsperiode, das heißt für die Zeit von 1890 bis 1900, eine versuchsweise Berechnung der eventuellen Belastung aufgestellt worden, und dabei ist ermittelt, daß in der ersten Beitragsperiode, wenn vom 1. Januar 1897 ab jede Wittwe nur die bescheidene Summe von 60 ℳ jährlich erhielte und jedes Waisenkind die Summe von 32 ℳ, ein Deckungskapital von 349 Millionen erforderlich wäre, und daß sich jede Marke um 22,83 ₰ erhöhen müßte. Meine Herren, ich kann deshalb den Ausführungen der einzelnen Herren Vorredner nur zustimmen: es empfiehlt sich auf diesem Gebiete die allergrößte Vorsicht.
Nach einer kurzen Erwiderung des Abg. Dr. Paasche auf die letzte Aeußerung des Abg. Singer wird die Debatte geschlossen und der Titel bewilligt.
Bei Kap. 7 b der Ausgaben: „Reichskommissariate“, Tit. 1, „Auswanderungswesen“, 5 t
Abg. Dr. Hahn an, was seit den letzten Debatten in Bezug auf die Ueberwachung der Ausrüstung der Auswandererschiffe geschehen sei, um den vielfach hervorgetretenen Klagen den Boden zu entziehen. Bei dem Norddeutschen Lloyd seien ja einige dankenswerthe Reformen eingetreten. Inzwischen sei aber aus dem neu installierten Lade⸗Offizier ein Lade⸗Inspektor geworden: sehr zum Nachtheil für die Offiziere, die nun nicht mehr einen ihnen helfenden, sondern einen vorgesetzten Beamten erhalten hätten. Redner fragt ferner an, ob der Lloyd und auch die an⸗ deren Dampfergesellschaften die Aerzte ohne Besoldung anstellten, weil sie darauf rechneten, daß immer junge Aerzte vorhanden sein würden, welche gern eine Seereise machen wollten. Im Interesse der Gesund⸗ heit der Lash iere sollten doch auch ältere Aerzte eingestellt werden. Auf den S ssfer der Gesellschaften sehe man jetzt sehr viele farbige Mannschaften. Die Handelsmarine habe die nationale Aufgabe, dem Staat für die Kriegsmarine das Material zu liefern; sie dürfe nicht bloß der Billigkeit wegen farbige Mannschaften haben. Bei der neuen Seemannsordnung müsse auch die Stellung der Schiffsoffiziere eine andere werden.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Der Herr Vorredner ist zunächst eingegangen auf die Frage der Bemannung der Schiffe, ob man nicht im Interesse der Sicherheit der Auswanderer auf den Schiffen ganz allgemeine Vorschriften erlassen könnte, mit wie viel seebefahrenen Leuten das einzelne Schiff zu bemannen wäre. Wir sind bisher diesen Weg der Reglementierung nicht gegangen, weil man in England auf diesem Gebiete keine besonders glücklichen Erfahrungen ge⸗ macht hat. Es existiert j; in England ein sogenanntes Untermannungsgesetz, welches die Regierung berechtigt, falls ein Schiff nicht genügend bemannt ist, im einzelnen Falle dasselbe anzu⸗ halten; es existiert aber keine Bestimmung in England darüber, mit wie viel Mann das einzelne Schiff nach seiner Größe bemannt sein muß. Es haben sich in England ganz außerordentliche technische Schwierigkeiten einer derartigen Reglementierung entgegengestellt, und wir haben deshalb bei uns den Versuch einer derartigen Reglementierung noch nicht gemacht.
Dagegen ist in den Ausführungsvorschriften zum Auswanderer⸗ gesetz vorgesehen, daß jedes Rettungsboot mit vier ruderkundigen Leuten besetzt sein soll. Um bei eintretenden Unglücksfällen absolut sicher zu sein, daß jeder an seiner Stelle ist, daß ordnungsmäßig die Rettungsboote heruntergelassen und bemannt werden, haben die Aus⸗ wanderungskomnissare jetzt schon wiederholt sogenannte Bootsmusterungen angesetzt; wenn sie ein Auswanderungsschiff besichtigten, so ließen sie
mit den Mannschaften exerzieren und diese Rettungsmanöver ausführen. Ich erhielt in dieser Beziehung erst kürzlich den Bericht eines Ans⸗ wanderungskommissars, woraus hervorgeht, daß gerade auf den Schiffen
des Norddeutschen Lloyd diese Rettungsmaßregeln bei der Probe
ganz ausgezeichnet funktionierten.
Der Herr Vorredner ging auch auf die Frage der Schotten ein. Bezüglich der Anbringung von Schotten sind ja durch die Unfall⸗ versicherungsvorschriften der Seeberufsgenossenschaften ziemlich ausfübr⸗ liche Vonschriften ergangen. Man hat aber, wie ich mich im Laufe des letzten Soͤmmers in Bremen auf einem Feuen Dampfer des Nord⸗ deutschen Lloyd überzeugte — die Nachricht ging auch in die Zeitungen über — in Bezug auf Bedienung der Schotten einen außerordent⸗ lichen Fortschritt gemacht dadurch, daß man beim Platz des Kapitäns einen optischen Telegraphen anbringt, auf dem genau abzulefen ist, ob die Schotten geschlossen sind oder nicht, und welche Schotten offen sind, welche nicht, sodaß der Kapitän die Schotten, die geschlossen sein sollen, aber nicht geschlossen sind, im Augenblick der Gefahr oder sonst während der Fahrt sofort schließen lassen kann.
„ Bezüglich der sogenannten Löschungs⸗ oder Ladungs⸗Offiziere ist bisher nicht bekannt geworden, daß der bisherige Ladungs⸗Offizier in Antwerpen sich in einen Ladungs⸗Inspektor verwandelt hat. Ich werde der Frage nachgehen, kann aber sagen, daß der Norddeutsche Lloyd bei den Verhandlungen über die Dampfersubventions⸗Vorlage ausdrücklich erklärte, er wolle eventuell auch in Singapore einen solchen Ladungs⸗Offizier anstellen.
Der Herr Vorredner meinte auch, man soll darauf halten, daß nicht solche jungen Aerzte, die einmal eine Seefahrt mitmachen wollten, auf den Schiffen mitgenommen würden. Ja, es ist gewiß erwünscht, daß ältere, erfahrene Aerzte die Schiffe begleiten; es fragt sich nur, ob solche auch geneigt sind, fortgesetzt die Strapazen einer
Seereise auf sich zu nehmen. (Sehr richtig!) Ich glaube, gerade
wenn es tüchtige Aerzte sind, werden sie es vorziehen, ihre Praxis auf dem sicheren Lande auszuüben, um diejenige auf den Schiffen jüngeren Kräften zu überlassen. 11“
Zum Schluß komme ich auf die Frage der farbigen Mann⸗ schaft. Entsprechend den Anregungen im hohen Haufe, haben wir statistische Erhebungen angestellt über das Verhältniß der farbigen Mannschaften zu den europäischen. Dabei ergab sich, daß zu Beginn 1897 auf 117 Schiffen auf Fahrten in tropischen Gewässern und in der ostasiatischen Küsten⸗ fahrt 2241 farbige Leute verwandt wurden, d. h. 5,47 % ver ge⸗ sammten Besatzung unserer Kauffahrteiflotte; rechnet man nur die 1127 Dampfschiffe, dann 8,54 %. Die Farbigen werden vorzugs⸗ weise als Heizer und als Trimmer, d. h. als Kohlenzieher, auf jenen 117 Schiffen verwendet; ich glaube aber auch: mit gutem Grunde. Denn die Körperanstrengung bei 25 bis 60 Grad Celsius im Maschinenraum ist so enorm, daß in der That die Farbigen als Maschinisten wefentlich ver⸗ wendbarer sind als Europäer. Es giebt auch Rhedereien, die das Maschinen⸗ personal doppelt besetzen, d. h. aus farbigen und europäischen Mannschaften, und Farbige nur eintreten lassen auf tropischen Fahrten, diese Mann⸗ schaften aber wieder ablösen, sobald die tropische Zone pafsiert ist. Es war für jene Anregung im Reichstage hauptsächlich die Ver⸗ muthung maßgebend, daß durch die starke Verwendung farbiger Mann⸗ schaftan de* Heuern gedrüch wzten, Dafürhat, sich natürlich ein konkreter Beweis nicht erbringen lassen. Da aber die farbigen Mann⸗ schaften wesentlich billiger zu haben sind als die europäischen und außerdem nach ihrem Heimathsbrauche in Silber bezahlt werden und den hiesigen Rhedereien dann noch die Valutadifferenz zu gute kommt, so liegt natürlich in der Verwendung der farbigen Mannschaften ein gewisses Unterbieten. Diese Erwägungen haben mich veranlaßt, an die Regierungen der Seebundesstaaten das Er⸗ suchen zu richten, auf die Verwendung der farbigen Mannschaften bei ihrer Kauffahrteiflotte ihr Augenmerk zu richten und jedenfalls dahin zu wirken, daß in dieser Beziehung ein gewisses Maß im Interesse unserer inländischen Matrosen innegehalten werde. Denn wir haben nicht nur das Interesse, unsere Heuern nicht zu sehr drücken zu lassen, sondern auch dasjenige, daß es unserer Flotte an geeignetem Material für ihre Rekrutierung nicht fehlt. Ich möchte aber doch erklären, daß wir in dieser Beziehung viel günstiger stehen als andere Länder, denn die sämmtlichen fremden Dampferlinien nach Ost⸗ Asien mit einer einzigen Ausnahme haben farbiges Persenal von †½ bis ⅛ der gesammten Schiffsmannschaft. Ich glaube, der Herr Vor⸗ redner wird sich durch diese Erklärungen befriedigt finden und sehen, daß wir dieser Frage unsere Aufmerksamkeit in gebührendem Maße zugewendet haben.
Abg. Frese (fr. Vgg.) weist darauf hin, daß beim „Nordd Lloyd“ die Schotten⸗ und Bootsmanöver durchaus zweckentsprechend eingeübt würden. Ueber vegecha g Beschaffenheit der Wohnungen der Offiziere sei nur von einigen Offizieren geklagt worden, denen man die Möglichkeit entzogen habe, ihre Zimmer zu vermiethen. Durch diese Vermiethungen und durch die sich daraus ergebenden Be⸗ ziehungen zu Passagieren seien Unzuträglichkeiten entstanden, die ab⸗
estellt werden mußten. Die Aerzte hätten durchaus nicht unentgeltlich hre Dienste zu leisten; sie erhielten 120 ℳ monatlich und noch 75 ℳ Entschädigung für Waͤsche. Die Einstellung farbiger Mannschaften
sei eine gute That zu Gunsten der Weißen, dse in den Tropen durch⸗ aus nicht so den Strapazen gewachsen seien wie jene.
Abg. Dr. Hammacher (nl.): Der Abg. Hahn hat bei dieser Gelegenheit nicht Dinge vorgebracht, die zum Auswanderungswesen gehören, sondern er hat nur das Streben gezeigt, ein Privatunter⸗ nehmen zu tadeln. Dieser Gewohnheit wollen wir nicht folgen; ich erhebe dagegen grundsätzlich Widerspruch.
Abg. Dr. Hahn: Diese Animosität mir gegenüber verstehe ich nicht recht. Ich hätte diese Dinge freilich auch bei der Postdampfer⸗ subvention besprechen können; ich bin nur durch den schnellen der Verhandlungen daran verhindert worden. Ich will den „ deutschen Lloyd“ durchaus nicht diskreditieren; dafür kann ich mich die Unbefangenen berufen. Allen meinen Beschwerden hat man in gewisser Beziehung Rechnung getragen. Ich habe ja auch Wünsche einzelner Personen vorgebracht, sondern diejenigen Vereins: der Seesteuerleute an der Weser und der Aerzte im all⸗
gemeinen. Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Was Herr Hahn vorgebracht hat, geht den Reichstag, die He und die Reichsgefetzgebung gar nichts an. Ich glaube auch nicht, daß eine Me
Offizieren des „Norddeutschen Lloyd“ sich an Herrn Hahn wendet, um ihn zum Sprachrohr zu machen; höchstens könnten ehemalige ent⸗ lassene Offiziere sich dies erlaubt haben. halte es nicht für richtig, die Aufmerksamkeit des Reichstages auf diese querelles Hin-
zulenken.
Abg. Frese: Herr Hahn hätte erst die Beschwerden untersuchen ficcegen Lloyd“ interpellieren sollen, ehe er den Reichsdag n Bewegung setzte.
Abg. D b Nicht von entlassenen Seeoffizieren, brden vex dem Verein der Seesteuerleute habe ich mein, Material erhalten. Ich
wollte Mißstände beseitigen, die die Arbeitsfreudigkeit der Schiffs⸗ offiztere beeinträchtigen und damit die Sicherheit der Schiffe gefährden.
Der Titel wird bewilligt. 1b
ür den Börsenausschuß und die Berufungskammer in Ehrengerichtssachen gegen Börsenbesucher sind Tagegelder ꝛc. in Höhe von 25 000 ℳ ausgeworfen.
Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.): Alle Handelskammern und die sonst berheiligten Korporationen as übereinstimmend der Ansicht, daß das SeeLegela nichts tauge. Der Börsenkommissar hat bisher noch gar keine Rolle gespielt; das Terminregister steht bloß auf dem Papier. Die Bremer Handelskammer stellt mit Stolz fest, daß dieses Register nur aus unbeschriebenen Blättern besteht. Diejenigen, die in Berlin sich hatten eintragen lagen, haben später darauf verzichtet. Das Ehrengericht ist in einem Falle in Wirksamkeit getreten, der eine Ironie auf das Börsengesetz ist; denn der Fall betraf einen Hamburger Kaufmann, der als nicht in das Terminregister Ein⸗ getragener sich weigerte, die Differenzen zu zahlen. Es wurde dieses Verfahren, obwohl es dem Börsengesetz entspricht, als nicht mit der kaufmännischen Ehre vereinbar erklärt. Auch mit den Vorschriften über die Emissionen ist nichts erreicht worden. Die Prospekte sind zu einem bedenklichen Umfang an⸗ geschwollen. Deshalb beschränken die Emissionsfirmen ihre Anzeigen auf die Börsenblätter allein, das allgemeine Publikum erfährt nichts davon. Das Schlimmste ist aber die Produktenbörse; die größte Pro⸗ duktenbörse der Welt, die Berlins, ist beseitigt worden. Das war nicht so ganz einfach, aber nach längeren Bemühungen ist es den Verwaltungsbehörden gelungen, dieses Ergebniß zu erzielen. Die Kaufleute ließen es sich nicht gefallen, daß Agrarier in den Börsen⸗ vorstand deputiert werden sollten. Sie ließen die ganze Börse fahren und diese Börse könnte ja nun ganz mit Agrariern besetzt werden, welche von der Sache nichts verstehen. Die Schädigung durch diese Maßregel fällt bloß auf die Landwirthschaft. Ich weise auf die Petitionen der Bromberger Handelskammer an den Reichskanzler hin, in welchen um Aufhebung des ganzen Börsengesetzes gebeten wird, und zwar im Ip der Landwirthschaft. Derselben Ansicht ist die Handerekaamer ür das Herzogthum Anhalt. Der ganze deutsche
ndel, das ist oft ausgesprochen worden, schuldet der Berliner Pro⸗ duktenbörse den lebhaftesten Dank für den Nachdruck, mit welchem - die Ehre des Handelsstandes vertheidigt hat. Wir sind jedenfalls außerordentlich froh, daß wir für dieses Gesetz die Verantwortlichkeit nicht zwe htagen haben. .
Abg. Gamp (Rp.): Für die meisten Bestimmungen des Ba eil⸗ gesetzes hat der ganze Reichstag gestimmt, mit Ausnahme höchstens der Freisinnigen, deren Autorität in diesen Fragen doch so gelitten hat, daß Herr Barth keine Ursache hat, in diesem wegwerfenden Ton zu sprechen. Die Anregung der Bromberger Handelskammer wegen Aufhebung des ffsacelash hat bei den anderen Handelskammern nicht überall Nachfolge gefunden. Es ist erreicht, was früher nicht immer der Fall war, daß die Regierung sich durch den Börsen⸗ kommissar über die Börsenverhältnisse informieren kann. Schadet es etwas, daß das Börsenregister keine Rolle gespielt hat? Jedenfalls ist das Privatpublikum der Spekulation ferngeblieben, das beweist der Rückgang der Börsensteuer. Auch die Bedeutung des Ehren⸗ erichts unterschätzt Herr Barth; sie liegt in einer abschreckenden irkung. Die Vorschriften über die Emissionsprospekte bestanden früher schon bei der Berliner Kaufmannschaft, sie wurden nur nicht immer beobachtet. Der Vormundschaft der Bromberger und Anhaltischen Handelskammer bedarf die Landwirthschaft nicht. Be⸗ fremdet hat es mich, daß der Redner in der Betheiligung von Land⸗ wirthen an dem Börsenvorstand eine Ehrenkränkung findet. Sind die Kaufleute in Königsberg weniger ehrenhaft als die Berliner, weil dort ein Landwirth mitwirkt? Wenn die Preise in Deutschland wirklich 10 — 20 ℳ niedriger wären als nach dem Weltmarktpreise, wie kann da noch ein einziges Korn ausländischen Getreides ein⸗ geführt werden? In Gerste haben wir kein Termingeschäft, und dennoch besteht das Geschäft weiter. Wir wollen mit der Be⸗ Fütbens 2r Börsengesetzes nochsetwas warten, bis wir mehr za⸗ ahrung haben. .
Abg. Dr. Barth: Die Tiefe der Kenntnisse des Herrn Gamp zeigt sich darin, daß er sagt: Es giebt ganze Geschäftszweige, bei denen kein Terminhandel besteht. Ja, es liegen für die Gerste garnicht die Vorbedingungen eines solchen Handels vor.
Abg. Graf von Arnim (Rp.): Ich bestreite, daß sich auf natürlichem Wege die Preisregulierung im Termingeschäft vollzog. Kohn und Rosenberg, Ritter und Blumenfeld, das sind die Männer der natürlichen Preisregulierung. Infolge des Verbots des Termin⸗ handels haben wir einen stetigen Entwickelungsgang der Preise zu beobachten; während in New⸗York der Preis um 29 ℳ gestiegen und gefallen ist, betragen bei uns die Schwankungen 3 ℳ Die großen Preisschwankungen kommen nur gewissen Existenzen, aber nicht den produktiven Ständen zu gute. Herr Barth könnte doch aus Amerika wissen, daß dort allgemein das Verbot des Terminhandels verlangt wird. Ueber das Börsengesetz zu urtheilen, ist jetzt noch nicht die richtige Zeit; denn das Fesc ist bisher noch nicht ganz durchgeführt worden. Aber den Wunsch möchte ich aussprechen, daß das Urtheil des Ober⸗Verwaltungsgerichts so rechtzeitig gesprochen wird, daß, falls der Spruch des Bezirks⸗Ausschusses bestätigt wird, der Reichstag die Möglichkeit hat, das Börsen sch zu ergänzen. Der Bezitts⸗Kusschuß hat sich nur auf juristische Deduktionen be⸗ schränkt, aber keine Notiz davon genommen, daß während des Bestehens der Versammlung im Feenpalast“ die Presse übereinstimmende Preisnotizen veröffentlichte. Der Zweck des Börsengesetzes ist zum theil erreicht in der Stetigkeit der Preise und der Verdrängung kleiner Jobber und des Privat⸗ publikums von der Börse. Dem Zustande muß ein Ende gemacht werden, daß von zwei Privatvereinigungen, von denen sich die eine in ein Kloster geflüchtet hat, waäͤhrend die andere sich als Frühbörse be zeichnet, diejenigen ausgeschlossen werden, welche an der Produkten⸗ börse vertreten zu sein ein Interesse haben, nämlich die Landwirthe. Mit dem Ideal des Herrn Barth, daß es gleichgültig sei, ob in⸗ ländisches oder ausländisches Getreide verkauft wird, werden wir uns niemals befreunden können.
Abg. Dr. Paasche: Wenn das Börsengesetz Mängel hat, so sind die Frsifinzigen daran Schuld. Daß die Börsg garnicht ver⸗ vefsenunse ähig sei, diese Meinung war selbst in der Reihe der Freisinnigen nicht durchweg vertreten. Was heute schlecht ist, ist nicht 8 das Börsengesetz zurückzuführen. Das Terminregister hat Herr Barth früher nicht so abfällig beurtheilt; denn er wollte bei der Berathung des Gesetzes nicht das Register, sondern nur die Ge⸗ bühr beseitiat wissen. 1 3 11“
Um 6 ¼ Uhr wird die weitere Debatte bis Dienstag
Uhr vert 8
u““ 1 Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
7. Sitzung vom 24. Januar 189b8.
* 89
Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aufhebung der Ver⸗ pflichtung zur Bestellung von Amtskautionen.
8
Abg. Rickert (fr. Vgg.): Die Vorlage enthält einen wesent⸗ lichen Fortschritt, den ich vor wenigen Monaten noch nicht erwartet hatte, als ich die Hoffnung aussprach, daß eine derartige Vorlage gemacht werden möchte. Die Uebelstände, die sich bei dem Kautions⸗ wesen herausgestellt haben, sind viel schlimmer, als man hat. Bei der Eisenbahnverwaltung betragen die Kosten für das Kautionswesen 65 000 ℳ, das Risiko der Verwaltung aber höchstens 35 000 ℳ; dem gegenüber ist die moralische Wirkung der Kautionen doch eine 19 geringe. Es wäre wünschenswerth, daß im Reiche die gleiche Maßregel durchgeführt würde. Ob die zweijährize Frist nothwendig ist. erscheint mir doch
zweifelhaft. Daß 93 Millionen Staatspapiere für das Reich und
835 auf den Markt kommen, wird keinen großen Effekt machen. ie Vorlage ist ein Beweis des Vertrauens der Regierung zu den Beamten, und ich habe die Zuversicht, daß dies Vertrauen nicht Fetänscht werden wird. Jeder Beamte wird sich einer verschärften
ontrole unterwerfen; denn die Kautionen haben die Kassenrevisoren in eine gewisse Vertrauensseligkeit versetzt.
Iö des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine verehrten Herren! Bei den Anschauungen, die sich ge⸗ legentlich. der Besprechung dieser Frage wegen Aufhebung der Kautionen im vorigen Jahre schon von verschiedenen Seiten kund⸗ gethan haben, und bei der ausführlichen Motivierung dieses Gesetzes, die den Herren vorliegt, kann ich mich sehr kurz fassen und brauche auf die ganze Materie nicht tiefer einzugehen. Wenn ich im vorigen Jahre mich noch nicht bestimmt ausdrücken konnte, so lag das einfach daran, daß das Ministerium eine bestimmte Stellung zur der Frage noch nicht genommen hatte. Die Frage, ob man die Kautionen ganz aufheben oder vielleicht etwas Anderes an die Stelle der bisherigen Art setzen solle, hatte schon sehr lange geschwebt. Ich muß allerdings bekennen, daß ich im vorigen Jahre auch noch nicht entschlossen war, wie die Sache zu machen sei. Man dachte damals vorzugsweise daran, Beamtenvereinigungen zu bilden unter staatlicher Leitung, welche durch die solidarischen Haftungen der einzelnen Mitglieder dieser Ver⸗ einigungen mindestens oder annähernd die Garantien geben sollten, wie die bisherige Kaution durch Pfandbestellung. Wir haben uns aber überzeugt bei unserer Prüfung, daß auch dieser Weg große Bedenken hat. Einmal wäre es doch schon ein sehr bedenklicher Schritt, ohne den Willen der betreffenden Beamten sie zu einer solchen solidarischen Haftung für die Handlungen Anderer zu zwingen. Uebt man aber keinen Zwang aus, so würde die Sache überhaupt ja nur Stückwerk gewesen sein, die Verwirrung wäre vielleicht noch größer geworden. Dann würde aber auch bei solchen Vereinigungen die Verwaltung wieder erhebliche Kosten verursacht haben, und man hätte damit das eine Ziel einer Verminderung der unnöthigen Kosten der Verwaltung nicht unbedingt gebotener Kautionen nicht erreicht. Wir haben daher die Anerbietungen, die wir namentlich bekamen von dem hannöverschen Beamtenverein, ablehnen müssen, und nach und nach überzeugten sich alle Ressorts, wovon einige schon seit längerer Zeit auf dem Boden der völligen Aufhebung der Kautionen gestanden hatten, daß das einzig Richtige sei, hier, wie der Herr Abg⸗ Rickert gesagt hat, funditus einzugreifen und die Kautionspflicht für die Forderungen des Staates überhaupt aufzuheben. Meine Herren, ich habe allerdings die Ueberzeugung nach und nach gewonnen, daß der Staat durch die Aufhebung der Kautionen irgend einen wesent⸗ lichen Schaden nicht leiden wird. Diejenigen Beamten, die sich über Ehre und Treue hinwegsetzen, welche kriminelle Bestrafungen riskieren und den Verlust ihres Amtes, werden sich auch durch den Umstand, daß sie eine Kaution gestellt haben, schwerlich vor Verbrechen ab⸗ halten lassen, sie greifen dann aber viel tiefer in die Kasse, als die Kaution beträgt, — sie riskieren eben alles; auf diese Beamten wird die Kautionsstellung einen, wie man früher sagte, psychologischen Eindruck überhaupt nicht machen. Diejenigen aber, welche glauben, daß ihre Unterschlagungen, ihre rechtswidrigen Ein⸗ griffe in die Kasse verborgen bleiben, welche sich in selchen Illusionen bewewen, wadden sich zach nicht rühren lassen durch die Thatsache, daß sie eine Kaution gestellt haben, weil sie die Hoffnung haben, es wird ihre Handlung schließlich auf die Kaution selbst keinen Einfluß haben.
In den zahlreichen Fällen, wo aus Versehen, aus einer gewissen Nachlässigkeit Defekte in der Kasse entstehen, haben wir immer noch die Garantie der Abzüge, falls der betreffende Beamte im Dienst bleibt, und ich glaube, auch auf solche Fälle, wo durch Irrthümer, Versehen und Mangel an Aufmerksamkeit Defekte entstehen, hat die Thatsache der gestellten Kaution keinen Einfluß. Dies wird aber noch viel deutlicher, wenn man in Erwägung zieht, daß eine sehr große Anzahl von Kautionen garnicht aus eigenem Vermögen der Beamten gestellt sind, daß nicht bloß in sehr vielen Fällen dritte Personen aus Freundschaft oder aus verwandtschaftlichen Gründen die Kautionen gestellt haben, sondern daß besondere Einrichtungen bestehen, Banken, welche gegen eine angemessene Vergütung und Provision für den betreffenden Beamten die Kaution stellen. Wenn ein Beamter aber sich entschließt, in rechtswidriger Absicht den Staat zu benach⸗ theiligen, dann wird er auch nicht davor zurückscheuen, die betreffende Bank zu schädigen. Wir glaubten daher, schon aus allen diesen Gesichtspunkten ohne Bedenken die Kautionen vollständig aufheben zu können.
Nun, meine Herren, ist es allerdings richtig, daß der entscheidende & / ad hierfür gewesen ist das Vertrauen, welches die Erfahenng in vollem Maße gerechtfertigt hat, auf die durchgängige Redlichkeit und Pflichttreue der preußischen Beamten. Wenn, wie aus der Statistik hervor⸗ geht, die Zahl der Defekte in den größten Verwaltungen Preußens, wo häufig sehr schnell gearbeitet werden und in der Eile gebucht und kontroliert werden muß, durchschnittlich so gering ist, so deutet das darauf hin und beweist, daß wir unsern preußischen Beamten sehr viel Vertrauen schenken können, und wenn wir das bisher Lonnten,-so werden wir es auch für die Zukunft können.
Meine Herren, wenn man unter diesen Umständen ohne Bedenken für den Staat die Kautionen preisgeben konnte, so war dies auch Pflicht der Staatsregierung, weil wir dadurch den Beamten eine schwere Last und der Staatsverwaltung große Weiterungen abnahmen. Ich bin überzeugt, die kautionspflichtigen Beamten werden in diesem Vorgehen der Staatsregierung aufs neue erkennen, wie fürsorglich die Staatsregierung für ihre Beamten, soweit das irgend möglich ist, eintritt.
Endlich, meine Herren, muß man darauf hinweisen, daß eine sehr große Anzahl von Beamten, welche täglich in der Lage sind, die Staatskasse weit mehr zu schädigen als die kautionspflichtigen Be⸗ amten, bisher keine Kaution stellten, und daß dadurch eine außer⸗ ordentliche Ungleichheit in dem Verhältniß der einzelnen Beamten⸗ kategorie zu einer andern hervorgerufen wird.
Ich gehe weiter auf die Sache nicht ein. Ich glaube, das hohe Haus wird mit der Staatsregierung diesen Sprung wagen und mit dem Herrn Abg. Rickert die Ueberzeugung gewonnen haben, daß diese Maßregel uns nicht gereuen wird.
Nun fragt der Abg. Rickert: Wie steht’'s denn im Reich? Ich kann nur sagen, daß die Reichsressorts auf demselben Standpunkt stehen, der in dieser Vorlage von den preußischen Ressorts eingenommen wird. Meines Wissens ist auch schon eine Vorlage wegen Auf⸗ hebung der Kautionen in der Reichsverwaltung beim Bundesrath
vorgelegt worden. Wir müssen also die Entscheidung des Bundes⸗ raths abwarten. Ich hoffe, daß der Bundesrath sich der Vorlage geneigt zeigen wird.
Der Abg. Rickert hat nun gemeint, es habe den Anschein, daß es eigentlich nicht nöthig gewesen wäre, eine Frist von zwei Jahren zu setzen. Diese Frist ist allerdings nur, wenn ich so sagen soll, eine äußerste Kautel für unvorhergesehene Fälle. Ein Finanz⸗Minister verpflichtet sich nicht gern, zu einer bestimmten Zeit solche bedeutenden Summen freizugeben. Er verpflichtet sich nicht gern. Wenn wir beispielsweise unruhige Zeiten bekämen, wenn Kitegsgefahr drohen sollte, so würde man wahrscheinlich doch Bedenken tragen, solche Summen auf einmal auf den Markt zu werfen. Sollte das aber nicht kommen, so bin ich allerdings der Meinung, daß wir keine Ursache haben werden, unter den gegenwärtigen Verhältnissen diese Frist überhaupt inne zu halten. Wir werden dann nicht vielleicht gleichzeitig an einem Tage alle Kautionen herausgeben; wir werden mit den kleinen Kautionen der unteren Beamten anfangen und dann weiter hinaufgehen, um so mehr, als bei den großen Kassen die Beamten ihre Kautionen meistens aus eigenen Mitteln gestellt haben.
In denjenigen Fällen, wo die Kautionen bisher gestellt wurden durch allmähliche Abzüge vom Gehalt, was gerade für die minder⸗ besoldeten Beamten oft außerordentlich lästig war und dieselben mannigfach sogar in Schulden gebracht hat, wird natürlich sofort das allmähliche Abziehen aufhören; es hat ja keinen Zweck, noch eine Kaution allmählich entstehen zu lassen, wo man schon entschlossen ist, sie überhaupt zu beseitigen. (Sehr richtig!)
Die Herren brauchen sich also an dieser Frist nicht zu stoßen. Ich werde schon Sorge tragen, daß die Frist, wenn die Zeiten so bleiben, wie sie heute sind, nicht ganz benutzt wird, und daß alsbald mit der Herausgabe der Kautionen begonnen wird.
Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat dann die Gerichts⸗ vollzieher erwähnt. Wir haben doch Bedenken getragen — da der Staat einen Zwang gegen das Publikum übt, bestimmten Gerichts⸗ vollziehern die Aufträge zu ertheilen, die ja in der Regel auf Ein⸗ ziehung von Geld für die Auftraggeber hinauslaufen — für diese Gerichtsvollzieher zu Lasten der Auftraggeber — nicht zu Lasten des Staats — diese Sicherheit in der Kaution einzuziehen. Es kann ja sein, daß die Gerichtsvollzieher nun sich zu Verbänden vereinigen, zu solchen solidarisch haftenden Genossenschaften zusammentreten; dann werden auch die Gerichtsvollzieher in dieser Be⸗ ziehung entlastet werden. Würde eine anderweitige Ordnung des Gerichtsvollzieherwesens eintreten — und natürlich hat man ja immer den Finanz⸗Minister in Verdacht, daß er dagegen sei, was hier in keiner Weise zutrifft —, so könnte man ja auf die Frage zurück⸗ kommen, ob in dieser Beziehung eine andere Entscheidung zu treffen sei. Ich kann den Herren nur rathen, in dieser Beziehung nicht weiter zu gehen als die Vorlage.
Ich möchte daran noch eine weitere Bemerkung knüpfen. Meine Herren, der Staat tritt in Zukunft gewissermaßen als Selbstver⸗ sicherer auf. Auf der einen Seite erspart er sehr bedeutende Ver⸗ waltungskosten, die thatsächlich in den meisten Verwaltungen höher gewesen sind als die durchschnittlichen Defekte. Aber soweit noch Defekte en 7, versichgrt Och der Staat selbst. Das kann der Staat thu- Ich möchte aber bemerken, meine Herren, daß die Ge⸗ meinden, namentlich kleine Gemeinden und Korporationen, Stiftungen keineswegs aus dem Vorgehen des Staats schließen sollen, daß sie das nun ebenso machen können. Der Staat versichert auch seine Gebäude nicht gegen Brandgefahr; wenn der einzelne das aber unterläßt, so handelt er verkehrt. Ich hebe dies ausdrücklich hervor, damit nicht im Lande der Gedanke entsteht bei den Gemeinde⸗ und Stiftungs⸗ beamten u. s. w., daß sie nun ohne weiteres auch befreit werden müssen; da liegt die Frage anders und muß da ganz selbständig ent⸗ schieden werden.
Meine Herren, endlich möchte ich von dieser Stelle aus noch unseren bisher kautionspflichtigen Beamten ans Herz legen, daß sie doch nun nicht, wenn sie ihre Gelder frei bekommen, soweit sie ihnen selbst gehören, sich bewegen lassen, höher verzinsliche Papiere mit geringerer Sicherheit einzutauschen gegen diese sicheren preußischen Kon⸗ sols. Ich sage das im Interesse der Beamten selbst. Uebrigens habe ich auch den Glauben, daß unsere Kassenbeamten, die doch meistens große Sicherheitskommissarien sind (Keiterkeit) und vorsichtig zu handeln gewohnt sind, dieser Verführung nicht erliegen, sondern die preußischen Konsols nachher in ihren Schrank legen, die Zinsen davon beziehen, ein sicheres kleines Kapital besitzen und sich nicht auf gefährliche Spekulationen einlassen werden. (Bravo!)
Abg. Haacke (fr. kons.): Ich begrüße die Vorlage ebenfalls mit Freude, weil sie besonders den Beamten, welche sich die Kaution bei einer Bank gegen sehr hohe Zinsen und Amortisation beschaffen mußten, eine große Erleichterung bringt. Durch die Annahme der Vorlage verdienen Sie sich den Dank von 36 000 Beamten.
Aöö des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Ich möͤchte, um keine Unklarheiten entstehen zu lassen ausdrücklich nochmals betonen, daß dies Gesetz sich bloß bezieht auf wirkliche Beamte. Wir haben eine Reihe von Fällen in Personen, die wir Bedienstete nennen wollen, die aber keine Beamtenqualität haben, doch staatliche Gelder oder Gelder von Privaten im Auftrage des Staats einzunehmen und abzuführen oder zu verwalten haben. Auf solche Nichtbeamte bezieht sich dies Gesetz nicht, da würde in Zukunft den einzelnen Verwaltungen vorbehalten bleiben müssen, ob sie glauben, vertragsmäßig eine Kaution von den be⸗ treffenden Personen fordern zu sollen oder nicht. Dazu gehören z. B. die Lotteriekollekteure, es gehören dazu die Spezialbaukassen⸗Rendanten, es gehören wahrscheinlich — die Frage ist kontrovers — die Forst⸗ Unterrezeptoren dazu. Das sind Kaufleute oder andere Personen, denen die Hebung von Forstgefällen, Forsteinnahmen vertragsmäßig übertragen wird. Der Zweifel bei der letzten Kategorie, ob sie wirkliche Beamtenqualität haben oder nicht, muß natür⸗ lich nachher im Verwaltungswege zur Entscheidung gebracht werden. Ich wollte aber ausdrücklich hervorheben, daß solche Per⸗ sonen, die auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages, nicht kraft ihrer Stellung als Beamte kautionspflichtig sind, unter dies Gesetz nicht fallen.
Dann wollte ich noch bemerken, daß, was rie Frist der Rückgabe betrifft, wir nicht die Absicht haben, die Rückgave abhängig zu machen von einer vorher ertheilten Decharge des Rechnungsführers. Sonst ist es üblich gewesen, daß bei Todesfällen, Pensionierungen u. f. w. die gestellten
Kautionen erstzurückgegeben wurden nach ertheilter Decharge. Das kann sich