Wagschale legen, und man kann sich nicht theoretisch in eine Erwägung einlassen: wie viel hat der Eine in diesem Ber⸗ hältniß gelernt, und wie viel der Andere in jenem?, sondern man muß da die gesammte Qualifikation in Berücksichtigung iehen, und ich glaube, auch nach dieser Richtung liegt kein Anlaß vor, sich darüber zu beunruhigen, daß wir noch 132 Militär⸗
Postämter besitzen. Es ist noch von der mittelbaren und un⸗
mittelbaren Schädigung gesprochen worden; es ist unter anderem,
was letztere anlangt, ausgesprochen worden, daß eine Entmuthigung
Fr unsere Zivilbeamten sich aus diesem System ergeben müsse.
eine Herren, wir müssen uns doch aber vergegenwärtigen, daß kein
Anwärter für die höhere Laufbahn zur Verwaltung kommt, der nicht
wüßte, daß diese 132 Offizier⸗Postämter existieren und daß ihm der
Zutritt zu denselben also verschlossen ist. Ich möchte auch darauf
aufmerksam machen, daß, wie man nicht in unverhältni n. gr.
Umfang Eleven für die höhere Laufbahn zuläßt, eine Beschädigung
dieser Anwärter ja garnicht eintreten kann; wir nehmen
eben nur in dem Umfange Posteleven an, daß die mit Zivil⸗ anwärtern zu besetzenden Stellen ausreichen zur Placierung dieser
Eleven. Ich möchte zum Schluß noch darauf aufmerksam machen,
daß bei den wiederholten Erwägungen, die stattgefunden haben, über
die früher gefaßten Resolutionen regierungsseitig alle betheiligten
Instanzen zu der Anschauung gekommen sind, es wäre an dem über⸗
kommenen Zustande nichts zu ändern. Ich glaube, Ihnen nach⸗
gewiesen zu haben,. meine Herren, daß sich die Verhältnisse inzwischen nicht so geändert haben, um bei den Regierungen eine Aenderung dieser Außaffung berbeizuführen, und ich habe deswegen das hohe
— zu bitten, von der Annahme des gestellten Antrags Abstand zu
nehmen.
Abg. Dr. Graf zu Stolberg⸗Wernigerode (d. kons.): Wenn wir in diesen Militär⸗Postämtern einen Theil der Offtziere, die ihre Dienste dem Vaterlande geleistet haben, unterbringen können, so ist das erfreulich; man kann nur bedauern, daß nicht noch mehr derartige Aemter vorhanden sind. Praktische Gründe hat der Abg. Kopsch nicht vorgebracht, sondern nur theoretische Einwendungen. Daß die Militär⸗Postämter ebenso gut verwaltet werden, wie die Zivil⸗ ämter, kann ich nach eigener Erfahrung aus meinem Wohnort in Schlesien feststellen; gegen das “ ist keinerlei Klage laut geworden. Für die alten Soldaten haben die Freisinnigen nur eine platonische Liebe; sie gönnen ihnen alles Mögliche, aber für den Foftätenft. für den Eisenbahndienst und den Gemeindedienst halten
e 8 nicht für geeignet. Ich kann die Postverwaltung nur bitten, auf dem bisherigen Wege fortzufahren. Der Antrag wird gegen die Stimmen der Sozialdemo⸗ kraten und der freisinnigen Volkspartei abgelehnt.
Bei den Ausgaben für die Ober⸗Post⸗ und Ober⸗ Telegraphensekretäre sowie für die Post⸗ und Telegraphensekretäre berichtet
Abg. Dr. Paasche über die Petitionen der betreffenden Beamten und beantragt im Namen der Budgetkommisston: über die
ESingaben, betreffend Gleichstellung der Postsekretäre mit den Gerichts⸗
sekretären hinsichtlich der Besoldung, unter Berücksichtigung der in
ige Aussicht gestellten allgemeinen Personalreform zur Tages⸗
ordnung überzugehen. Die Reichs⸗Postverwaltung habe sich bereit
erklärt, eine Statistik darüber vorzulegen, wie viele Sekretäre in ihren Stellen blieben und nicht in höhere Stellen aufrückten.
Abg. Dr. Müller⸗Sagan (fr. Volksp.): Be wurde immer auf Preußen viafehiete, wenn im Reiche eine Gehaltserhöhung gefordert wurde; jetzt sollen sich die Postsekretäre nicht einmal mehr auf ihre
prrufiis n Kollegen, die Gerichtssekretäre, berufen. Das Hsöchst⸗
ehalt der Postsekretäre sollte erhöht werden, zumal davon nament⸗ ich die älteren Sekretäre betroffen werden, die in ihrer Stellung leiben, sodaß sie noch auf eine Erhöhung ihres Gehalts rechnen önnen. Ich stehe heute auf einem verlorenen Posten, hoffe aber, daß
Wunsche der Beamten olge gegeben wird.
Die Gehälter der Sekretäre werden genehmigt.
Bei den Gehältern der Post⸗ und Telegraphen⸗
ssistenten kommt Abg. Werner (Reformp.) auf die Maßregelungen von Assistenten zurück und spricht die Hoffnung aus, daß der Staatssekretär ntersuchungen darüber anstellen werde. Daß die etatsmäßige An⸗ eellung nach 8 jähriger, statt, wie bisher, na 10jähriger Dienstzeit
erfolgen solle, sei erfreulich. Die Assistenten beschwerten sich aber arüber, daß die Militäranwärter ihnen im Gehalt und in der Be⸗ echnung der Dienstzeit vorgezegen würden.
6 bg. Dr. Müller⸗Sagan: Das Haus hat mehrmals beschlossen, aß die Assistenten durch die Einführung der Dienstaltersstufen in hren Bezügen nicht geschädigt werden sollten. In der Kommission st es als ein Vortheil bezeichnet worden, daß den Assistenten die
Gehaltserhöhung jetzt von selbst zufalle, während sie früher von dem
elieben der vorgesetzten Behörde abhängig war. Trotz dieses Vor⸗ heils ist der Ausfall einer jährlichen Einnahme von 100 ℳ immer⸗ hin als eine erbebliche Schädigung zu betrachten.
Staatssekretär des Reichs⸗Postamts von Podbielski:
Um zunächst auf die Anfrage, betreffend die Schutzleute und
endarmen, zu erwidern, so handelt es sich hier um Beamte, und wollten wir dieser Beamtenkategorie das zugestehen, so müßten wir es allen anderen zugestehen; das sind immer die Konsequenzen. Auf der einen Seite erinnern sich die Herren, daß sie Soldaten gewesen sind, und verlangen gleiche Anstellung mit Militäranwärtern, auf der anderen Seite sind sie Beamte und wollen nicht die Konsequenzen ihrer neuen Stellung ziehen. Darin liegt die Schwierigkeit.
Was die Bemerkungen des Herrn Abg. Müller anlangt, so ist ja ein gewisses Wohlwollen von seiner Seite nicht zu verkennen; aber es werden hier einfach neue und alte Verhältnisse durcheinander ge⸗ worfen. Der Zugang von jährlich 2000 Postassistenten, wie Sie ihn im Etat finden, ist eine Konsequenz unserer neueren Festlegung. Nun können wir doch nicht auf einmal, nachdem wir diesen Zugang all⸗ jährlich haben, die Verhältnißzahlen des alten Systems bei der Be⸗ rechnung zu Grunde legen. Darin liegt die falsche Rechnung. Ich glaube, hierin wird mir das hohe Haus zustimmen, daß, nachdem wir auf der eine Seite soviel Zugang an Postassistenten alljährlich im Interesse der Nichtangestellten einsetzen, wir die alte prozentuale Zahl nicht in Rechnung stellen können.
Bei den Ausgaben für Telegraphen⸗ und Fern⸗ s[prech⸗Gehilfinnen spricht F
Abg. Dr. Hamm acher (nl.) seine Befriedigung darüber aus, daß die Fernsprech⸗Gehilfinnen jetzt den Telegraphen⸗Gehilfinnen gleichgestellt
seien, was früher nicht der Fall gewesen; jetzt bekämen die Damen gleichmäßig nach vr. s Dienstzeit ein Tagegeld von 4 ℳ
Abg. Singer (Soz.) entgegnet: Die Damen träten aber mit einem Tagegeld von 2,25 ℳ in ihren Dienst ein, wovon sie nur leben könnten, wenn sie einen Heschuß von ihrer Familie erhielten. Die tägliche Dienstzeit sei sehr lang, namentlich bei der Anstrengung der Nerven, sodaß man fragen müsse, ob nach 9 Jahren, nach welchen Pensions⸗ berechtigung eintreten solle, überhaupt noch einzelne von diesen Damen
in Thätigkeiten wären. Redner tadelt ferner, daß die Damen die Stellvertretungskosten für ihren Erholungsurlaub tragen müssen.
Staatssekretär des Reichs⸗Postamts von Podbielski:
Es ergeben sich immer ganz eigenthümliche Konsequenzen, wenn man die verschiedenen Reden der Herren zusammenhält. Auf der einen Seite wird mir gesagt — ich gebe zu, mit vollem Recht —: verbillige den Betrieb des Telephons, des ganzen Fern⸗ sprechwesens. Ich antworte: Ja, ich kann es doch nur, meine Herren, wenn ich auch eine billigere Verwaltung habe. Jetzt kommt aus
demselben Munde mir wieder entgegen: die Fernsprechgehilfinnen wie die Herren wissen.
müssen alle 3 ℳ haben. Wie soll ich das zusammen machen? Das kann der größte Künstler nicht. Die Fernsprechgebühren sind nur dann zu verbilligen, wenn wir eben eine billige, einfache Verwaltung haben. Weiter, meine Herren; wenn diese Fernsprechgehilfinnen in der ersten Zeit 2,25 ℳ als Entlohnung erhalten, so be⸗ denken Sie auch, daß sie zu Anfang noch nicht in der Lage sind, Vollkommenes zu leisten, denn die Fertigkeit nimmt erst mit den
Jahren zu.
Die Frage der Statistik ist bereits in der Budgetkommission er⸗ örtert worden. Dort habe ich bereits dem Herrn Abg. Singer ent⸗ gegengehalten: wir haben diese Damen erst seit neun Jahren; wir beschäftigen weibliche Personen nicht wie andere Länder seit Jahr⸗ zehnten. Erst jetzt vollendet sich das neunte Jahr; auch war es im Anfang eine ganz geringe Zahl, wie Sie selbst wissen; eine Statistik kann ich also erst in Jahren aufmachen, ich kann höchstens im nächsten Jahre sagen, wie die Verhältnisse des ersten Jahrganges liegen. In dieser Richtung habe ich in der Budgetkommission, glaube ich, erklärt, daß der Hauptsache nach in diesem Jahrgang nur Abgänge vorhanden sind, die auf Verheirathung dieser jungen Damen zurückzuführen sind.
Abg. Prinz zu Schönaich⸗Carolath (19. Wenn der Wunsch ausgesprochen wird, daß die Frauen anders behandelt werden sollen als die Männer, dann wird dies dazu benutzt werden, die geringe Be⸗ schäftigung der Frauen, die jetzt eingeführt ist, zu vermindern. Die Frauen müssen dieselben Mühen und Lasten ertragen wie die Männer, sonst werden sie von der Verwaltung außer Thätigkeit gesetzt werden. Der Andrang der Frauen zu diesem Dienst ist so groß, daß die Ver⸗ waltung garnicht alle Ansprüche befriedigen kann. Durch die Art und Weise, wie das Publikum das Telephon behandelt, entsteht eine Belästigung der Nerven der Telephon⸗Gehilfinnen, die wohl vermieden werden könnte.
Abg. Dr. Müller⸗Sagan: Die Männer werden sich hüten, den Dienst von 7 Stunden täglich, 49 Stunden wöchentlich, zu dem billigen Satze zu übernehmen, den die Frauen erhalten. Eine Ver⸗ billigung der Telephongebühren schlechthin wird nicht verlangt, sondern nur eine Verbilligung an kleinen Orten, aber nicht auf Kosten der Telephonistinnen. Ich möchte die Postverwaltung bitten, vicht durch Abschaffung der zweiten Hörrohre ꝛc. die Verbilligung herbeizuführen.
Direktor im Reichs⸗Postamt Sydow: Das liegt der Verwaltung fern. Die Umwandlung der schrankförmigen Telephone in die tisch⸗ förmigen erfordert erhebliche Mehrausgaben. Die Beseitigung der zweiten Hörrohre erfolgt nur, weil das verbleibende eine Rohr so kräftig konstruiert ist, daß man das zweite entbehren kann. Die Ersparung bei der großen Anzahl von Avpparaten ist schon be⸗ deutend. Diese Ersparnisse sollen für die kleinen Fernsprechzentralen verwendet werden. Wir werden genoöͤthigt sein, zur Doppelleitung überzugehen; ehe wir das thun, werden wir sehen müssen, wie wir die dafür erforderlichen Gelder ersparen wollen.
„Abg. Dr. Lingens (Zentr.) Pänbt daß man von seiten des Reichstages in dieser komplizierten Verwaltung kaum etwas ändern Fehrne⸗ die Gehilfinnen seien ja auch mit ihrer Lage vollständig zu⸗
eden.
Zu den Gehältern der Post⸗Unterbeamten beantragt die Budgetkommission: „den Reichskanzler zu ersuchen, das Anfangsgehalt der Post⸗Unterbeamten von 800 auf 900 ℳ zu erhöhen und die im Rechnungsjahre 1898 hierfür noth⸗ wendigen Mittel durch einen Ergaͤnzungs⸗Etat anzufordern.“
Nach dem Etat sollen nur die vor dem 1. April 1895 vorhanden gewesenen Unterbeamten ein Anfangsgehalt von 900 ℳ erhalten.
Ebenso beantragt die Budgetkommission, das e der Landbriefträger von 900 ℳ auf 1000 ℳ zu erhöhen.
Der Abg. Singer beantragt dagegen, für die Unter⸗ beamten ein Minimalgehalt von 900 ℳ allgemein, nicht bloß die am 1. April 1895 vorhanden gewesenen Unterbeamten, und für die Landbriefträger ein Höchstgehalt von 1000 ℳ (statt 900 ℳ) direkt in den Etat einzustellen und nicht erst durch einen Ergänzungs⸗Etat anzufordern.
Abg. Singer führt aus: Der große Andrang zu den Stellen der Unterbeamten und Landbriefträger sei nur ein Beweis dafür, wie schlecht die wirthschaftlichen Zustände auf dem Lande seien. Die staatsrechtlichen Bedenken, daß der Reichstag nicht berechtigt sei, Aus⸗ gaben in den Etat einzustellen, erscheine ihm (Redner) wunderbar. Der Reichstag müsse auch das Recht haben, die Ausgaben vermehren zu können, sonst sei er ein minderwerthiger Faktor der Gesetzgebung gegenüber dem Bundesrath. Durch ihre An⸗ träge wolle die Budgetkommission diesen staatsrechtlichen Schwierig⸗ keiten aus dem Wege gehen. Die Anträge würden aber ebenso er⸗ folglos sein wie die entsprechenden Anträge in der vorigen Session. Der Hinweis auf Preußen sei durchaus unzulässig. Die Fin elftnaten hätten sich mit ihren Beamtengehältern nach dem Reiche zu richten.
Kaiserlicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath, Kommissar des Bundesraths Neumann: Meine Herren! Die Stellung der ver⸗ bündeten Regierungen zu der staatsrechtlichen Frage ist dem hohen Hause bekannt, also hier nicht weiter zu erörtern. Ich habe lediglich einige Zahlen zu berichtigen, die der geehrte Herr Vorredner vorbrachte. Danach könnte es scheinen, als habe die Reichsverwaltung „durch Einführung des Dienst⸗ altersstufensystems etwas für die Reichskasse eingewonnen, dem ist nicht so. Der Herr Vorredner hat lediglich die Etats zur Hand genommen, um festzustellen, wieviel früher an eine bestimmte Beamtenkategorie zu zahlen gewesen ist, und wieviel jetzt gezahlt wird. Das ist, glaube ich, nicht der feste Grund, auf dem man zur Würdigung der Verhältnisse kommen kann. Nicht die etatsmäßige Ausgabe, sondern die Istausgabe für die betreffenden Beamten wird das Entscheidende sein. Seitdem die Altersstufen bei der Post ein⸗ Feführt sind, also seit dem 1. April 1895. liegen die abgeschlossenen Rechnungen schon für zwei Jahre vor. Es ist anzuerkennen, daß die Einführung des neuen Systems nicht gleichmäßig gewirkt hat, insofern als die Aufrückungsaussichten für einige Beamte sich verschlechtert, für andere dagegen sich verbessert haben. Die Postunterbeamten ge⸗ hören aber nicht zu denjenigen Kategorien, bei denen eine Verschlechterung der Aufrückungsaussicht eingetreten ist. Das hohe Haus wird sich erinnern, daß gerade zu Gunsten dieser Post⸗Unterbeamten sowohl der Schaffnerklasse als auch der Landbrief⸗ träger eine ganze Reihe von — ich möchte sagen, künstlichen Anrech⸗ nungsvorschriften im Einvernehmen der Budgetkommission und dem hohen Hause getroffen worden ist, um die Aussichten der Betreffenden auf dem Stand zu erhalten, auf dem sie sich befinden. Das Rech⸗ nungsresultat für das erste Jahr nach Einführung der Altersstufen ist nun Folgendes: Bei der Schaffnerklasse, Tit. 25 des Post⸗Etats, sind nicht weniger, sondern mehr ausgegeben, 421 512 ℳ als unter den gleichen Verhältnissen bei Fortdauer des früheren Systems ausgegeben worden wären. Bei den Landbriefträgern aber sind es 46 153 ℳ Mehrausgabe. Für das zweite Jahr nach Einführung des neuen Sypstems liegen die Rechnungen ebenfalls vor; hier freilich nur für alle oberen und unteren Beamten der Post ge⸗ meinsam, und da kann ich kurz das Schlußfazit mittheilen, daß pro Kopf der sämmtlichen Postbeamten, alle Kategorien zusammengerechnet, 29 ℳ mehr ausgegeben sind im Jahre 1896/97 als in dem Jahre kurz vor Einführung des Altersstufensystems. Es konnte nicht un⸗ widersprochen bleiben die Angabe des Herrn Abg. Singer, die darauf hindeuten würde, daß die Postunterbeamten erheblich schlechter fort⸗ gekommen sind; daß sie besser fortgekommen sind, geht schon aus der Thatsache hervor, daß die Aufrückungsfrist der Schaffnerklasse, die früher 24 und mehr Jahre betrug, auf 21 Jahre heruntergeset
Abg. von Kardorff (Rp.): Die Einstellung von Ausgab
den Etat ist eine Aufgabe der Verwaltung, nicht des Reichstages 8
errn Singer werden wir uns schwerlich verständigen können, denn das Streben der Sozialdemokratie geht ja darauf hinaus, den Reichstag zu einem Konvent zu machen, der souverän das ganze Land regiere. Herr Lenzmann behauptete neulich, daß ich mich gegen die Erhöhung der Ge⸗ hälter der Post Unterbeamten erklärt hätte, weil ein großer Andran zu diesen Stellen stattfinde. Das habe ich nicht gesagt, nur, daß man zwischen dem Westen und Osten unterscheiden müsse; im Osten seien die Gehälter durchaus ausreichend.
Abg. Mül ler⸗Fulda (Zentr.): Im preußischen Landtage sind Gehaltsverbesserungen in den Etat aufgenommen worden. ch be⸗ trachte das allerdings auch nur als Ausnahme, aber staatsrechtlich zulässig ist ein solches Verfahren. Wir haben diesmal einen Nachtrags⸗ Etat gefordert, um den Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Es wird sich wohl die Gelegenheit und Möglichkeit finden, die erforder⸗ lichen 1 ½ Millionen im Wege eines Nachtrags⸗Etats zu beschaffen.
Abg. Werner (Reformp.): Auf das Vorangehen des preußischen Landtages setze ich kein großes Vertrauen. In dieser wichtigen Frage hätte die Regierung die Initiative ergreifen müssen. Bis durch eine Neuregelung des Wohnungsgeldzuschusses die Unter⸗ schiede zwischen dem Osten und Westen ausgeglichen werden können, werden noch mehrere Jahre vergehen. Darauf können wir aber mit der Aufbesserung der Gehälter der Post⸗Unterbeamten und der Land⸗ briefträger nicht warten. Redner schließt mit der Hoffnung, daß die Anträge der Kommission Erfolg haben würden.
1 Dr. Hammacher (nl.); In Bezug auf die Grundfrage selbst ist keine einungsverschiedenheit vorhanden, es handelt sich nur um die thatsächliche Frage, ob wir die Mehrausgaben in den Etat einstellen oder einen Hachkrags⸗Etat verlangen sollen. Man kann nur dann mit Gewissen für die Erhöhung der Gehälter der Staats⸗ sekretäre timmen, wenn die Gehälter für die Beamten, welche sich Jahre lang mit einem nothdürftigen Einkommen haben begnügen I 8. e 7. R
g. Dr. Lieber (Zentr.): Nach der Meinung des Reichstages lag schon im vorigen Iebe⸗ für die Post⸗Unterbeanbten und für die Landbriefträger dieselbe Nothwendigkeit einer Erhöhung der Gehälter vor wie für die anderen Postbeamten, für welche im vorigen Jahre Gehaltserhöhungen bereits beschlossen worden sind. Wenn Herr von Levetzow gemeint hat, der Staatssekretär könne den Antrag auf Er⸗ höhung der Gehälter für die Unterbeamten verständiger Weise garnicht einbringen, weil es dann heißen würde: er wolle seine 6000 ℳ mehr haben, so kann ich sagen: Im Reichstage wird niemand auf einen solchen Gedanken kommen, und um die öffentliche Meinung wird der Staats⸗ sekretär sich wohl nicht besonders kümmern.
Abg. Graf von Roon (d. kons.): Die Sozialdemokraten haben es leicht, sich über etatsrechtliche Bedenken hinwegzusetzen; sie lehnen ja den Etat ohne weiteres ab und benutzen die ganze Etatsverhandlung nur zu agitatorischen Zwecken. Wir können nicht eine Faae. Klasse von Unterbeamten herausgreifen, denn es giebt viele Unter eamten, die noch viel hilfsbedürftiger sind. Redner erklärt sich gegen die
Anträge der Budgetkommission, zumal durch die Verminderung der
Gehälter der Staatssekretäre schon ein unberechtigter Druck auf die Regierung auszuüben versucht worden sei.
Abg. Müller⸗Fulda (Zentr.): Es handelt sich für das Reich nur um diese beiden Beamtenklassen, die übrigen Beamten, an di man noch denkt, sind preußische Beamten, die uns hier nichts angehen
Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten wird der Singer abgelehnt; der Antrag der Kommission wir
egen die Stimmen einiger Konservativen angenommen. Di usgaben für die Post Unterbeamten und Landbriefträger werden ebenfalls angenommen.
Für Vervollständigung der Telegraphen⸗ und Telephonanlagen sind 4 436 000 ℳ mehr als im laufenden Etet fmigesel. (Zentr.) weist darauf hin, daß die Handels
. umann entr.) we arau n, 0 ie andels⸗ eheen po Bielefeld mehrfach schen in h S
Mindesteinnahme angeboten habe. Die Erfüllung dieses Wunsches sei von Jahr zu Jahr zugesagt, aber immer wieder verschoben worden.
Direktor im Reichs⸗Postamt Spdow: Derartige Fälle sind sehr zahlreich; die Herstellung aller gewünschten Leitungen würde aus den mehrgeforderten 4 436 000 ℳ nicht bewirkt werden können. Bielefeld soll aber demnächst auf irgend eine Weise eine Verbindung mit dem
Industriebezirk erhalten. Abg. von Kardorff kündigt einen Antrag an, die Telephon⸗
anlagen auf dem platten Lande zu vermehren.
Die Mehrforderung sowie der Rest der dauernden Aus⸗ gaben werden bewilligt, ebenso ein Theil der einmaligen Aus⸗
gaben. 1 Um 61 ¼ Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag
2 Uhr vertagt (außerdem Etat des Auswärtigen Amts und der Schutzgebiete).
Haus der Abgeordneten. 8 15. Sitzung vom 7. Februar 1898.
Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Disziplinarverhältnisse der Privatdozenten an den Landesuniversitäten, der Akademie zu Münster und dem Lyceum Hosianum zu Braunsberg.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:
Meine Herren! Die Vorlage, die Sie heute beschäftigen wird, war schon am Ende der vorigen Session des Landtages fix und fertig gestellt; es war auch bereits die Allerhöchste Ermächtigung zur Einbringung ertheilt worden. Da kam der Schluß des Landtages heran, und das Staats⸗Ministerium war vor die Frage gestellt, ob wir in den letzten Tagen der Tagung des Landtages die Vorlage noch einbringen wollten oder nicht. Das Staats⸗Ministerium hat sich dazu entschlossen, die Frage zu verneinen, weil voraussichtlich doch eine endgültige Erledigung der Vorlage nicht herbeigeführt worden wäre. Selbstverständlich waren wir in der Lage, nunmehr gleich bei dem Anfang der jetzigen Tagung den Entwurf einbringen zu müssen, und das haben wir auch gethan.
Seit dem Bekanntwerden der Vorlage hat sich eine gewisse leb⸗ hafte Erörterung an diesen Entwurf geknüpft, und wenn er nach seiner! innerlichen Bedeutung vielleicht mich nicht dazu nöͤthigte, ihm ein Wort des Geleits mit auf den Weg zu geben, so scheint mir doch die Sache, wie sie sich durch die öffentliche Erörterung gestaltet hat, stark darauf hinzuweisen, Ihre Aufmerksamkeit für einige Be⸗ merkungen zu erbitten, mit denen ich den Gesetzentwurf einleiten und Ihnen die Gesichtspunkte darlegen möchte, von denen die Staats⸗ regierung bei der Aufstellung und bei der Einbringung dieses Gesetz⸗ entwurfs ausgegangen ist. Ich werde mich bemühen, das ganz objektiv und sine ira et studio zu thun.
Zunächst steht im Vordergrund, wie bei jeder Gesetzesvorlage, die Bedürfnißfrage: die Frage, ob es nöthig ist, dieses Gebiet, um das es sich hier handelt, im Wege der Gesetzgebung zu regeln und zu ordnen. In dieser Beziehung erlaube ich mir, Folgendes zu bemerken. Die Disziplinarverhältnisse unserer Universitätslehrer sind zur Zeit
— derart geordnet, daß die Professoren dem allgemeinen Disziplinarrecht
ahren die Aus⸗
dehnung der Fernsprechanlagen im Rheinland und in Westfalen bean⸗ tragt, auch einen dnaligen Zuschuß oder die Garantie einer
der Beamten unterworfen, daß sie dem Gesetz über die Dienst⸗ vergehen der nicht richterlichen Beamten vom 21. Juli 1852 unterstellt sind. Damit ist für diese Kategorie von Universitätslehrern die Frage erledigt. Sie steht garnicht zur zur Diskussion, sie kommt zunächst hier nicht weiter in Frage.
Aber, meine Herren, anders liegt die Sache bei den Privat⸗ dozenten. Die Disziplinarverhältnisse der Privatdozenten sind über⸗ haupt nicht gesetzlich geordnet. Ihre Rechtsverhältnisse finden nur in statutarischen Bestimmungen und auch nicht überall ihre Erwähnung. Ja, meine Herren, für einzelne Universitäten — ich nenne ausdrück⸗ lich hier Kiel, Münster und Braunsberg — fehlt es bezüglich der Privatdozenten an jeder selbst statutarischen Ordnung. An anderen Universitäten ist diese Materie in den Universitätsstatuten mehr oder weniger lückenhaft behandelt. So ist es in Greifswald, Halle und Marburg. Bei den meisten Universitäten geben aber auch nicht einmal die Uni⸗ versttätsstatuten Auskunft, sondern nur die Fakultätsstatuten, und diese sind vielfach von einander abweichend und enthalten zum theil bloße Andeutungen.
Sie sehen, meine Herren, wie lückenhaft, spärlich und dürftig hiernach die Rechtsquellen auf diesem Gebiete fließen. Aber um so bunter und unerträglicher ist das Durcheinander ihres Inhalts, um so unklarer und ungenügender ist das Bild, welches die Quellen dem nach einer sicheren Rechtsordnung suchenden Auge darbieten. Dabei steht natürlich zunächst im Vordergrund die wichtige Frage: in welchen Fällen ist denn überhaupt ein Disziplinarvergehen anzunehmen, wann kann man gegen einen Privatdozenten einschreiten, welche Thatsachen, welche Handlungen berechtigen, bedingen, unter Umständen erfordern ein Einschreiten der Disziplinarbehörden? Meine Herren, ich sehe dabei ab von den einfachen Ordnungsstrafen, von den Verweisen und Verwarnungen. Ich unterschätze sie nicht, sie sind sehr wichtig, und wir werden uns auch, wie ich hoffe, im Laufe der Berathung dieses Entwurss auch über diese Frage unterhalten.
Aber diese beiden Ordnungsstrafen treten doch weit zurück gegen die Hauptsache, nämlich gegen die Frage der Remotion, der Entziehung der venia legendi. Meine Herren, gerade diese Hauptfrage, wann die Remotion eines Privatdozenten erfolgen kann oder muß, wird in den Statuten, wie Sie sich überzeugen werden, in völlig ungenügender Weise behandelt. Ich will hier einige Beispiele anführen, die ich mir notiert habe. In Greifswald und Halle ist in dieser Beziehung alles schlechthin dem freien Ermessen der Dis⸗ ziplinarbehörden überlassen. In den Königsberger Statuten heißt es, daß die Lizenz — wörtlich — „unter bewegenden Um⸗ ständen“ zurückgenommen werden kann. Am besten steht die Sache noch in Berlin, Bonn und Breslau, wo wenigstens wiederholte oder gröbere Verstöße, Anstößigkeiten, vorausgesetzt werden. Aber, meine Herren, daß auch diese Formulierung dem unbeschränkten Ermessen noch immer Thor und Thür öffnet und offen läßt, das, glaube ich, liegt so auf der Hand, daß ich darauf hier garnicht weiter einzugehen brauche.
Nun, die nächstwichtige Frage auf diesem Gebiete ist die: wer ist denn nun die zuständige Disziplinarbehörde? Wem steht denn die Be⸗ fugniß zur Remotion eines Privatdozenten zu? Meine Herren, Sie werden mir zugeben, wenn die Disziplinarbehörde mit einiger Sicherheit und mit Gerechtigkeit ihre Aufgabe erfüllen soll, dann muß diese Frage klar sein: sie muß wissen, ob sie zuständig ist oder nicht. Wie steht nun die Sache? Wir haben hier genau dasselbe unsichere und unklare Bild wie bei der ersten Frage, wenn ein Diszi⸗ plinarvergehen eines Privatdozenten vorliegt. Bei einigen Universitäten ist die Befugniß, disziplinarisch einzuschreiten und den Privatdozenten zu removieren, den Fakultäten beigelegt, vorbehaltlich entweder einer vor⸗ gängigen oder bei anderen einer nachträglichen Anzeige an den Minister. Bei anderen Universitäten beschränkt sich die Zuständigkeit der Fakultäten darauf, den Antrag auf Remotion bei dem Minister m stellen; dann hat der Minister zu entscheiden. Noch andere haben selbständig über die Remotion zu beschließen, aber vorbehaltlich eines Rekurses an den Minister. Meine Herren, derartige Verschiedenheiten, die doch unhaltbar sind auf diesem Gebiete, wo es sich um das Wohl und Wehe eines Gelehrten handeln kann, derartige Verschiedenheiten finden sich nicht etwa bloß zwischen Universität und Universität, nein, bei ein und derselben Universität sind auch die Fakultätsstatuten ganz verschieden. Ich habe mir hier
notiert, daß z. B. in Breslau die medizinische Fakultät zur Remotion
der Zustimmung des Ministers bedarf. Die übrigen Fakultäten be⸗ dürfen dieser Zustimmung nicht, sie haben aber dem Minister Anzeige zu machen. Und auch dabei findet wieder ein Unterschied statt: die beiden theologischen Fakultäten müssen die Anzeige vorher erstatten, bei der juristischen und der philosophischen Fakultät genügt die nachträg⸗ liche Anzeige. Ja, meine Herren, man sucht hier vergeblich nach einer faßbaren, brauchbaren ratio legis, nach der sich mit Sicherheit verfahren läßt. Aber noch mehr im Vordergrunde des Interesses steht die Frage: wie verhält es sich denn mit der Befugniß des Ministers, unmittelbar und ohne vorgängigen Antrag der Fakultät, die Remotion eines Privatdozenten zu verfügen? In den Statuten von Halle, Greifs⸗
wald, Königsberg wird diese Befugniß expressis verbis anerkannt;
die übrigen Statuten schweigen. Daraus, meine Herren, hat sich eine
Koöontroverse ergeben aus Anlaß eines bestimmten Falles, auf den wir wohl
noch zurückkommen werden, den ich aber jetzt noch nicht erwähnen will⸗ Es hat sich die Kontroverse ergeben, ob dem Minister nicht an diesen Fakultäten kraft des staatlichen Aufsichtsrechts die Befugniß der Remotion zusteht. Ich will in diesem Augenblick auf diese Kontroverse nicht eingehen, ich will mich nur auf die Bemerkung beschränken, daß die Praxis sämmtlicher Ministerien von jeher diese Frage bejaht hat. Ich be⸗ jahe sie auch.
Diese kurze Skizze des bisherigen Rechtszustandes wird ja ge⸗ nügen; sie wird Ihnen ungefähr ein Bild von der unbefriedigenden Art der Ordnung dieser Angelegenheit, wie sie jetzt vorhanden ist, verschaffen, und ich glaube, ich habe damit das Bedürfniß nach einer anderweitigen Ordnung dieser Angelegenheit luce clarius dargelegt.
Nun bleibt mir noch übrig, mich kurz darüber zu äußern, in
welcher Weise die Staatsregierung den Versuch gemacht hat, diesem Bedürfniß gerecht zu werden. Wir sind davon ausgegangen — und ich bin überzeugt, Sie alle werden das auch als richtig anerkennen —, daß die Privatdozenten keine Beamten sind; sie sind weder Beamte noch Professoren; aber sie stehen in einer beamtenähnlichen Stellung, die mit der der Professoren die allernächstliegenden Analogien hat. Sie sind nicht angestellt, sie sind nicht aus Staatsmitteln besoldet, sie nd nicht beeidigt; aber sie theilen mit den Professoren die Funktion, nicht bloß wissenschaftliche Arbeit zu leisten, nicht bloß die Wahrheit
wissenschaftlich zu erforschen — das kann auch der nicht akademisch thätige Privatgelehrte thun, das thun auch die Akademien —; die Privatdozenten haben, wie die Professoren und in Konkurrenz mit ihnen, unter staatlicher Autorität und unter staatlichem Schutz — darauf lege ich den Nachdruck und das Gewicht: unter staatlicher Autorität und unter staatlichem Schutz — eine öffentliche Lehr⸗ thätigkeit zu üben, sie haben ihre Vorlesungen innerhalb des Lehr⸗ bereichs, welches ihnen von der Fakultät zugewiesen ist, in staatlichen Räumen unter Benutzung staatlicher Lehrmittel, Institute und Anstalten ganz frei, ebenso zu lesen wie jeder Professor. Ein Privat⸗ dozent kann nicht nur dasselbe Kolleg lesen wie ein Professor seines Faches; meine Herren, wir haben es hier in Berlin erlebt, ich selbst habe es erlebt, daß junge, rednerisch begabte, wissenschaftlich sehr tüchtige und durch ihre ganze Persönlichkeit den Studierenden an⸗ genehme und sympathische Privatdozenten die Kollegien großer, alt⸗ berühmter Professoren gesprengt haben. Nun, meine Herren, daraus ergiebt sich, daß die Privatdozenten in Bezug auf die Lehrthätigkeit ganz ähnliche Aufgaben haben wie die Professoren. Dazu kommt noch eins: die Bescheinigungen der Privatdozenten über die bei ihnen gehörten Vorlesungen haben völlig gleiche Geltung mit denen der Professoren. Niemand hat ein Recht, den Studierenden etwa zu hindern, bei einem Privatdozenten Vorlesungen zu hören, oder ihn zu zwingen, bei Professoren, die etwa von der Regierung als besonders genehm bezeichnet wurden, seine Vorlesungen zu hören. Nein, meine Herren, das Kolleg des Privatdozenten gilt für den künftigen Beamten, Geist⸗ lichen, Lehrer, Arzt genau so viel wie das des Professors. Hieraus aber, meine Herren, ergiebt sich schon die ungemein große Bedeutung, die das Privatdozententhum auch für den Staat hat. Es kommt noch hinzu, daß das Privatdozententhum die Vorstufe für die Professur ist, und niemand, meine Herren, denkt daran, an dieser Lehrthätigkeit und an diesem wesentlichen Stück der akademischen Freiheit der Privat⸗ dozenten auch nur ein Jota zu ändern. Das müssen wir haben, das haben wir immer gehabt, und das hat sehr gut und nützlich und an⸗ regend gewirkt.
Jedenfalls ergiebt sich hieraus, daß die Privatdozenten mit keiner Kategorie angestellter Beamten eine größere Gleichartigkeit haben als mit der der Professoren. Daraus haben wir die, wie mir scheint, ganz unbestreitbar berechtigte Folgerung gezogen, daß die Disziplinar⸗ verhältnisse der Privatdozenten mit denen der Professoren möglichst gleichartig zu ordnen wären. Wir schlagen Ihnen demgemäß vor, das Disziplinargeset vom 21. Juli 1852 in seinen entsprechenden Abschnitten einfach auf die Privatdozenten Anwendung finden zu lassen — aber wohl zu merken, mit gewissen, aus der Natur der Sache und aus der abweichenden Rechtsstellung der Privatdozenten sich ergebenden Abweichungen.
Die hauptsächlichste und am weitesten gehende dieser Ab⸗ weichungen besteht darin, daß wir in erster Instanz nicht den Disziplinarhof, wie bei den Beamten, sondern die Fakultät berufen haben, nun über die Remotionsfrage Entscheidung zu treffen, dieselbe Fakultät, welche den Privatdozenten bei seiner Habilitation zur Lehr⸗ thätigkeit zugelassen hat. Meine Herren, ob sich aus diesem Vor⸗ schlage ein besonderes Mißtrauen gegen die Fakultäten herleiten läßt, das darf ich, glaube ich, Ihrem Ermessen getrost anheimstellen. Mir erscheint die ganze Konstruktion nach der Natur dieses Verhältnisses, wie ich es Ihnen eben geschildert habe, so einfach, ich möchte sagen, so selbverständlich, daß ich von vorn herein sagen kann, daß, nachdem ich mir darüber klar war, daß die gesetzliche Regelung hier geboten sei, ich nie auf einen andern Gedanken gekommen bin.
Für die zweite Instanz, für die Berufungsinstanz, die ja das Disziplinargesetz von 1852 vorsieht, beläßt es der Entwurf bei dem allgemeinen Beamtendisziplinarrecht, bei dem Staats⸗Ministerium als der entscheidenden Spruchbehörde. Dabei ergiebt sich aus dem Disziplinargesetz, daß das Staats⸗Ministerium keinen Beschluß fassen kann ohne vorgängiges Gutachten des Disziplinarhofs, und nur, wenn der Disziplinarhof sich für die Remotion und nicht etwa für eine mildere Beurtheilung der Sache ausgesprochen hat, kann das Staats⸗ Ministerium nach dem Vorschlage des Entwurfs auf Remotion erkennen.
Nun, meine Herren, möchte ich hier in Parenthese bemerken, daß während der Vorarbeiten zu dem vorliegenden Entwurf die Frage sehr eingehend zur Erwägung gekommen ist, ob es sich vielleicht empfehlen würde, auch für die Berufungsinstanz von dem allgemeinen Disziplinar⸗ recht abzuweichen und an Stelle des Staats⸗Ministeriums etwa das Ober⸗Verwaltungsgericht zu setzen. (Sehr richtig!) Wir haben das sehr gründlich erwogen. Ich habe die Sache natürlich auch im Staats⸗Ministerium zur Sprache gebracht. Meine Herren, wir haben die Frage aus sachlichen Gründen, wie Sie aus dem Entwurf ent⸗ nehmen können, verneint; ich behalte mir vor, diese Gründe, sei es im Plenum, sei es in der Kommission, in die, wie ich hoffe, die Vorlage wohl verwiesen werden wird, eingehend darzulegen. Ich gebe gern zu, daß prima vista manches dafür spricht. Aber ich glaube auch, sehr gewichtige und schwerwiegende Gründe formeller und materieller Art anführen zu können, die für unsere Ansicht sprechen — kurz, darüber werden wir uns später noch unterhalten.
Nun, meine Herren, das ist in der Kürze der wesentliche Inhalt unseres Gesetzentwurfs. Er ist in allen seinen Bestimmungen so einfach und klar, und er enthält so wenig eine Verschärfung des bis⸗ herigen Rechtszustandes, daß ich in der That zu der Erwartung be⸗ rechtigt zu sein glaubte, er würde namentlich in den betheiligten akademischen Kreisen allgemeine Zustimmung finden. Darin habe ich mich getäuscht. Namentlich hat sich in Berlin in akademischen Kreisen eine erhebliche Dpposition angesehener Männer, unter denen sich sehr gute Freunde von mir befinden, gegen diesen Entwurf geltend gemacht. Für mich ist das ganz erstaunlich gewesen. In der Presse ist der Entwurf als ein Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft, als ein Exzeß der Bureaukratie, als ein Maulkorbgesetz für die Privatdozenten bezeichnet und noch mit ähnlichen, ebenso liebenswürdigen Prädikaten bedacht worden.
Nun, meine Herren, ich habe, wie es meine Pflicht ist, alle Einwen⸗ dungen, die gegen den Entwurferhoben sind, sehr sorgfältig und eingehend
geprüft, wie ich glaube vorurtheilslos; denn meine Meinung ist es nicht,
den Universitäten zu nahe zu treten, sondern ich halte die Universi⸗ täten für ein Kleinod unseres Staats, bei denen man mit der äußersten Vorsicht vorgehen soll und sich hüten soll, ihnen irgend eine Schädi⸗ gung zuzufügen — die Universitäten brauchen wir, sie brauchen freilich auch uns.
Nun, meine Herren, alle Einwendungen, die gegen das Gesetz erhoben sind — das kann ich mit ehrlicher Stirn versichern —, sind sehr gründlich geprüft. Aber ebenso ehrlich kann ich versichern, daß
ich Stichhaltiges, was mich überzeugt hätte, wir hätten hier einen Mißgriff gemacht, nicht gefunden habe.
Nun würde es ja in diesem Moment, meine Herren, viel zu weit führen, wenn ich auf alle Einzelheiten hier eingehen wollte. Das ist auch garnicht nöthig, das wird einem späteren Stadium der Be⸗ rathung vorzubehalten sein. Aber ich bitte um die Erlaubniß, nur noch einen Punkt streifen zu dürfen, und zwar um deswillen, weil er in unmittelbarer Beziehung zu den Motiven steht, weil es sich um einen Widerspruch gegen die Motive handelt, den ich doch unmöglich unwidersprochen lassen kann. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist gesagt: der Entwurf wolle den Privatdozenten eine gesichertere Rechtsstellung geben, als sie bisher gehabt haben.
Diejenigen von den Herren, welche die Diskussion in der Presse einigermaßen verfolgt haben, werden auch sofort herausfühlen, daß dieser Punkt eigentlich die Achse war, um die sich ein großer Theil der ganzen öffentlichen Erörterung über diesen Punkt gedreht hat.
Nun, meine Herren, diese Bemerkungen der Motive, daß der Gesetzentwurf den Privatdozenten eine gesichertere rechtliche Stellung geben würde, als sie bisher gehabt haben, ist sehr lebhaft angegriffen; sie ist als ganz unverständlich bezeichnet; Andere haben gesagt: das ist eine Finte, mit der der Minister bloß seine böse Absicht, die freie Wissenschaft zu unterdrücken und ihr an den Kragen zu gehen und Gesinnungsriecherei und Gesinnungsverfolgung zu treiben, verkappen möchte. Meine Herren, ich will mich dagegen nicht ver⸗ wahren; ich treibe keine Gesinnungsriecherei und Verfolgung, aber ich habe das hier tausendmal erklärt und bleibe dabei stehen: ich ver⸗ werfe sie sittlich und halte sie für so dumm und thöricht, daß ich schon aus dem Grunde auf diesen Boden nie trete. Also ich will mich gegen diese ganzen Vorwürfe, die sich ja aus der Lebhaftigkeit der Diskussion sehr leicht erklären, hier garnicht weiter verwahren.
Aber, meine Herren, die Behauptung, daß dieser Gesetzentwurf die Rechtslage der Privatdozenten nicht verschlechtert, sondern ver⸗ bessert, diese Behauptung halte ich aufrecht, und es ist sehr leicht, ihre Richtigkeit zu beweisen. Er verbessert zunächst — vielleicht in noch mehr Punkten, aber ich habe mir fünf Punkte notiert, in welchen ganz entschieden es zweifellos ist, daß eine Verbesserung der Rechts⸗ lage der Privatdozenten durch den Entwurf herbeigeführt werden wird.
Meine Herren, zur Zeit fehlt es für die Disziplinarverhältnisse der Privatdozenten an jeder gesetzlichen Grundlage; sie sind nur in Universitäts⸗ und Fakultätsstatuten, und auch da nicht einmal überall behandelt. Diese Statuten sind einseitig von der Staatsgewalt erlassen, sie können rechtlich ohne jeden Zweifel auch jeder Zeit geändert werden durch Allerhöchste Verordnung, zum theil sogar durch Ministerialerlasse, auf demselben Wege, wie sie entstanden sind. Kommt dieser Entwurf zu stande, so fällt diese einseitige Aenderungsbefugniß selbstverständlich weg.
Zweitens: die Voraussetzungen, unter denen ein Privatdozent dis ziplinarisch bestraft werden kann, sind jetzt, wie ich Ihnen dargelegt habe, überaus lax formuliert; zum theil sind sie in das willkürliche Ermessen der Disziplinarbehörden gestellt. Künftig wird dafür die ganz bestimmte Normierung des § 2 des Disziplinargesetzes von 1852 maßgebend sein; es wird einer entsprechenden thatsächlichen Fest⸗ stellung bestimmter Handlungen bedürfen, die jetzt, wenn man die Sache auf die Spitze treibt, nicht erforderlich snd. Wenn von Ge⸗ sinnungsriecherei die Rede sein könnte, so würde der jetzige Rechts⸗ zustand sie zulassen; der künftige schließt sie aus, denn er hat nur mit Handlungen und Thatsachen zu thun.
Drittens: Bis jetzt giebt es für Remotionsfälle der Privat⸗ dozenten auch nicht den Schatten einer Vorschrift über das inne⸗ zuhaltende Verfahren; nirgends ist vorgeschrieben, auch daß er nur gehört werden muß. In Zukunft, meine Herren, soll ein förmliches, mit den Rechtskontrolen, die dem Rechtsbewußtsein unserer Zeit ent⸗ sprechen, versehenes Disziplinarverfahren stattfinden. Daß das keine Verschlechterung der Lage der Privatdozenten ist, liegt doch wohl auf der Hand.
Viertens: Bisher haben mehrere Fakultäten das Recht, die Remotion selbständig zu verfügen, ohne daß es dagegen auch nur einen Rekurs giebt. Künftig sollen die Privatdozenten eine kollegia⸗ lische Berufungsinstanz haben. Das ist doch keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung ihres Rechtszustandes.
Fünftens endlich hat der Minister bisher an drei Universitäten, nämlich Greifswald, Halle und Königsberg, kraft ausdrücklicher Bestim⸗ mung der Statuten das Recht, die Remotion ohne jede Konkurrenz der Fakultät zu verfügen. Für die übrigen Universitäten nimmt er kraft des staatlichen Aufsichtsrechts diese Befugniß in Anspruch, die zwar von her⸗ vorragenden Seiten bestritten, von anderen wissenschaftlichen Autori⸗ täten aber vollkommen anerkannt ist. Meine Herren, diese Befugniß des Ministers fällt mit dem Gesetz weg; an deren Stelle tritt eine vollkommen klare gesetzliche Bestimmung. Nun, meine Herren, daß hiernach die Rechtsstellung der Privatdozenten nicht verschlechtert, son⸗ dern daß sie verbessert wird, das halte ich für ganz unwiderleglich, und deshalb halte ich auch an diesem Satze der Motive durchaus fest.
Ganz ähnlich steht es mit den übrigen gegen die Vorlage er⸗ hobenen Einwendungen; indessen ich bin bereits ausführlicher geworden, als es Ihnen und mir lieb sein kann; ich will mich deshalb auf die Bemerkung beschränken, daß ich hoffe, es wird in der Kommission ganz mühelos gelingen, ein Einverständniß zu er⸗ zielen, und damit der auf diesem Gebiete des Universitätslebens zur Zeit herrschenden Verwirrung ein gesetzliches und heilsames Ende zu bereiten.
Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Die früheren Kultus⸗Minister von Raumer und von Mühler haben von ihrer angeblichen Befugniß aus⸗ gedehnten Gebrauch gemacht, aber immer unter Widerspruch der Uni⸗ versitäten und Fakultäten. Wenn die Minister ein solches Recht gegen⸗ über den Korporationen beanspruchen, so müssen sie beweisen, daß sie dieses Recht haben, und es darf der Beweis, daß ein folches echt nicht besteht, nicht den Korporationen zugeschoben werden. Eine Ein⸗ schränkung der Freiheit der Korporationen kann jedenfalls nur soweit gestattet werden, als das staatliche Interesse es erfordert. Mit den Beamten sind die Privatdozenten nicht zu ver leichen, denn
die Beamten haben ihren fest umschriebenen Pflichtenkreis, der für die Privatdozenten nicht vorhanden ist. Vielleicht wird sich die
freiheit garantieren, aber dabei auch daran denken, daß die Ver⸗ faffung, welche die Lehrfreiheit garantiert, auch die Grundlage bildet ür unsere monarchisch ausgestaltete Staats⸗ und Gesellschafts ordnun 2 die auch von den Privatdozenten nicht angetastet werden darf. Wfe wünschen vneenenc Entscheidung in dieser Frage. Redner schließt mit dem Antrag auf Verweisung der Vorlage an eine Kommission von 21 Mitgliedern.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.) Ich will
Kommission dazu entschließen, diesen Pflichtenkreis der Privat⸗ 8 dozenten etwas mehr zu umschreiben; man wird ihnen viagt. .