Material zu verschaffen durch Einforderung von Berichten und Aeuße⸗ rungen der zuständigen Regierungen.
In dieser Hinsicht gehen die Ansichten aber weit auseinander, und es stellt sich heraus, daß bei der Bildung der Handwerkerkammern sich große Schwierigkeiten finden, sodaß anzunehmen ist, daß die Errich⸗ tung der Handwerkerkammern nicht in so kurzer Zeit erfolgen kann, wie der Herr Abg. Schwarze es wünscht. Das schadet aber auch nach meiner Ansicht nichts, und zwar deshalb nicht, weil ja die Wahlkörper, aus denen die Handwerkerkammern hervorgehen sollen, nur die korporierten Handwerker sind. Man muß daher dem Hand⸗ werk auch eine gewisse Zeit lassen, um sich zu korporieren, sei es in freien oder in Zwangsinnungen, sei es in Handwerker⸗Vereinigungen.
Nun hat der Herr Abg. Schwarze gesagt, er vermisse namentlich, daß die Regierung nicht auch ihrerseits in Aussicht genommen habe, neben der Thätigkeit der Handwerker⸗ kammern auch ihre Verwaltungsbehörden in eine entsprechende Thätigkeit zu setzen und dafür die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich bin auch der Meiuung, daß, wenn wir die Land⸗ wirthschaftskammern eingerichtet haben, es nothwendig sein wird, eine korrespondierende Einrichtung, sei es bei den Regierungen, sei es bei den Ober⸗Präsidien, zu treffen, um die Thätigkeit der Handwerkerkammern fruchtbar zu machen. Wie aber diese Einrichtungen zu treffen sind, wird erst dann zu beurtheilen sein, wern feststeht, für welche Bezirke die Handwerkerkammern zu errichten sind. Das ist aber gegenwärtig noch Frage der Erwägung; zur Zeit ist es also noch nicht möglich, nach dieser Richtung hin unsere Thätigkeit zu beginnen.
Im übrigen kann ich nur wiederholen, was ich schon öfter ausgesprochen habe, daß es vor allen Dingen wesentlich ist, die materielle Lage des Handwerks zu heben, und daß zu diesem Zweck es wesentlich ist, das genossenschaftliche Leben unter den Handwerkern zu fördern. Bereits im vorigen Jahre habe ich gesagt, daß nach dieser Richtung hin die einleitenden Ver⸗ fügungen erlassen sind, daß bereits in mehreren Regierungsbezirken mit der Bildung solcher Genossenschaften begonnen ist, daß wir In⸗ struktoren angenommen haben, die in die einzelnen Bezirke entsendet werden, um zur Bildung solcher Genossenschaften anzuregen. Diese einleitende Thätigkeit hat inzwischen entschieden Früchte getragen: 150 Genossenschaften sind gebildet und ungefähr 40 sind noch in der Bildung begriffen, sodaß konstatiert werden kann, daß das genossenschaftliche Leben unter den Handwerkern im Wachsen begriffen ist. Wenn diese Genossenschaften sich zu Ver⸗ bänden zusammenschließen, sind sie in der Lage, die erforderlichen Kredite aus der Zentralgenossenschaftskasse zu bekommen, der ja erhöhte Mittel zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt werden, sodaß dem Hand⸗ werk die Möglichkeit eröffnet ist, auf den Gebieten des Kredits und der Ausrüstung mit Motoren und solchen Hilfsmitteln, die zur Hebung des Handwerks nothwendig sind, sich das erforderliche Geld zu ver⸗
schaffen.
Nun hat Herr Schwarze gesagt, daß die geringe Summe von 10 000 ℳ, die vorgesehen ist für die Unterstützung des Handwerks, für die Bildung von Genossenschaften unzureichend ist. Ich meine auch, daß sie auf die Dauer nicht aus⸗ reicht; aber wenn wir mit den geringen Mitteln im vergangenen Jahre einen solchen Effekt erzielt haben, können wir vor⸗ läufig mit dem Erzebniß zufrieden sein.
Unseren Wünschen auf Erhöhung dieses Fonds stand auch das Bedenken entgegen, daß man mit einer gewissen Vorsicht verfahren muß. Die Erfahrung lehrt, daß leicht auch Bildungen eintreten, die nicht haltbar sind und nachher wieder zusammenbrechen; man muß sich also vor Ueberstürzungen hüten. Das war der Grund, den Fonds in diesem Jahre auf den geringen Betrag einzuschränken.
Ich kann meine Ausführungen schließen, indem ich wiederhole: nach der Bewegung, die im ganzen Lande entstanden ist, auf Hebung des Kleinbetriebs und des Handwerks, und nach der Auffassung, von der die Regierung sich leiten läßt, ist die Hoffnung begründet, daß Handwerk und Kleinbetrieb wohl Aussicht haben auf eine glücklichere Zukunft, als es die Gegenwart ist. (Bravo!)
Abg. Wallbrecht (nl.) schließt sich dieser Hoffnung an und bittet den Minister, in jeder großen Stadt eine Baugewerkschule ein⸗ zurichten. Die Eltern würde ihre Kinder gern solchen Schulen an⸗ vertrauen, und damit würde dem Bestreben entgegengearbeitet werden, daß jeder seine Kinder zu Beamten machen möchte. Für die gewerb⸗ lichen Schulen müsse besonders nach der Richtung hin gesorgt werden, daß die einmal herangezogenen Lehrer auch den Schulen erhalten bleiben. Das sei immer sehr schwer gewesen, weil die Lehrer denen an den höheren staatlichen Lehranstalten nicht gleichgestellt seien. Diese Gleichstellung sei unbedingt erforderlich.
Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Lüders: Die Ver⸗ handlungen über diese Frage haben noch nicht beendigt werden können; es wird also die Gleichstellung erst zu einem späteren Zeitpunkte erfolgen können.
Abg. Gothein (fr. Vgg.): Ich habe den Minister des Innern gefragt, auf Grund welcher gesetzlichen Vorschriften er sich für be⸗ rechtigt hält, Delegirte der Landwirthschaft in die städtischen Markt⸗ kommissionen zu schicken. Der Minister des Innern wies mich an den Handels⸗Minister. Nach der Gewerbeordnung wird die Markt⸗ ordnung festgestellt durch die Gemeindebehörden. Für Breslau ist eine rdnung für den Getreidemarkt festgestellt, und trotzdem wird die Stadt gezwungen, jeden beliebigen, von der Landwirth⸗ schaftskammer bestimmten Delegirten in die Kommission aufzu⸗ nehmen, obwohl die Gewerbeordnung als Reichsgesetz dem preußischen Gesetz über die Landwirthschaftskammern vorgeht. Die Orzanisation des Handwerks ist schwer durchzuführen. Ich beneide den Minister um diese Aufgabe garnicht. Wenn er sie löst, wird dem Handwerk damit nicht geholfen, da der Schwerpunkt des Hand⸗ werks nicht mehr in den Städten, sondern auf dem Lande liegt. Diese über das Land zerstreuten Meister kann man nicht organisieren zum gemeinsamen Ankanf von Maschinen, zu Ein⸗ und Ve aufs⸗ genossenschaften ꝛc. Der Verein für Sozialpolitik hat sich das Ver⸗ dienst erworben, durch seine Untersuchungen 1⸗ er zu haben, daß ein Theil des Handwerks allerdings rettungelos dem Untergange preisgegeben ist, daß aber neue Handwerkszweige entstehen. Wenn ein Theil der kleinen Meister zu Werkmeistern in den Se. Betrieben wird, so befinden sie sich dabei meistens viel besser als früher die Kleinmeister. Ein wunder Punkt ist die Heimarbeit, namentlich im Schneidergewerbe. Schmoller und Böhmert haben nachgewiesen, daß der Mittelstand nicht verschwindet, sondern sich anders c altet. Wenn er abhängig wird, so hilft dagegen nur, daß er politisch selbständig bleibt, daß jeder, der die von ihm abhängigen Personen politisch beeinflußt, als nicht anständig betrachtet wird. Solche wirthschaftlichen Umwandlungen darf man nicht aufhalten, weil man sonst lediglich unerfüllbare Heffnungen hervorruft. Herr Hahn hat geglaubt, einen Unterschied machen zu sollen zwischen der Industrie, welche für den Export, und derjenigen, welche für den inneren Markt arbeitet. Wenn die Exportindustrie durch die Mac Kinley Bill ꝛc. geschädigt wird, so entsteht gleich ein allgemeiner Nothstand in der
Industrie, ein Drücken der Preise und eine Ueberproduktion. Die ganze Industrie ist eben solidarisch mit einander verbunden, mag sie für den Inlands⸗ oder den Auslandsbedarf arbeiten. Der Handels⸗ Minister betheiligt sich hoffentlich fleißig an den Arbeiten des wirth⸗ schaftlichen Ausschusses, der auch eine Produktionsstatistik auf⸗ stellen soll. Dieselbe wird ergeben, daß die in einer Waare steckende Arbeit das einzig wirklich Nationale daran ist, nicht der Stoff, aus dem sie hergestellt ist. Bezüglich Oberschlesiens habe ich gefunden, daß selbst bei den Kohlen 46 % auf die eigent⸗ lichen Arbeiterlöhne entfallen, bei den Blei⸗ und Zinkwerken sogar über 55 %. Je komplizierter ein Fabrikat ist, desto größer ist der Antheil der menschlichen Arbeit daran. Unsere Einfuhr besteht zu † aus Rohprodukten und Halbfabrikaten, unsere Ausfuhr dagegen zu 4 aus Fertigfabrikaten. Ueber 7 ¾ Millionen Menschen leben von der Ausfuhr, und ein Theil der übrigen Einwohner lebt von der Arbeit für diese 7¼ Millionen Menschen. Das sollte auch die Landwirth⸗ schaft bedenken und sollte sich in ihrem eigensten Interesse hüten, die
Exportindustrie zu schädigen.
Abg. Felisch (kons.): Ich halte eine Erhöhung der Aus⸗ gaben für die Förderung des EE“ für Kleingewerbe⸗ treibende für nothwendig, da die Hoffnung vorhanden ist, daß das Kapital der Zentralgenossenschaftskasse erheblich erhöht wird. Bisher hat das Handwerk von dieser Kasse nur wenig erhalten. Es muß aber für die nöthige Verbreitung des genossenschaftlichen Ge⸗ dankens gesorgt werden. Handwerksmeister können sich dann bei billigem Kredit gemeinschaftlich Maschinen anschaffen, z. B. die kleinen Unternehmer aus dem Holzgewerbe Holzbearbeitungsmaschinen. Ich beneide den Minister, daß er die schöne Aufgabe hat, die Hand⸗ werkerorganisation durchzuführen. Wer den Minister um diese Auf⸗ gabe nicht beneidet, kann ein warmes Herz für den Handwerkerstand nicht haben. Wenn wir dem Handwerk nicht die Organisation wieder schaffen, durch die es groß geworden ist, wenn wir nicht die goldene Dreizahl: Meister, Geselle und Lehrling, wieder schaffen, dann wird das, was wir geschaffen haben, nur ein halbes Werk bleiben.
Abg. Dr. Langerhans (fr. Volksp.): Die feste Anstellung von Lehrern an den Fachschulen wird an dem Unvermögen der Gemeinden und der Innungen scheitern. Kleine Gemeinden können keine Fach⸗ schulen mit festen Lehrerstellen und keine Fortbildungsschulen aus eigenen Mitteln errichten. Wenn Handwerksmeister als Lehrer an⸗ gestellt werden sollen, so können dabei sehr leicht Mißgriffe vorkommen. Sachverständige zur Beaufsichtigung der gewerblichen Schulen werden sich sehr schwer finden. Baugewerkschulen sind sehr schön, aber man darf sie nicht für wenige Schüler einrichten. Die Regierung geht ja mit der Gründung solcher Schulen in hinreichendem Maße vor. Um die Organisation beneiden wir das Handwerk nicht. Wir stehen nicht auf dem Standpunkt des laissez aller, wir wollen nur nicht unnütze Gesetze haben.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.): Ich stehe allerdings auf einem etwas anderen Boden als Herr Gothein. Ich halte es für die Aufgabe des Staats, den selbständig thätigen gewerblichen Mittelstand zu kräftigen und zu stützen. Es wäre ver⸗ kehrt, dasjenige, was absterben muß, künstlich am Leben zu erhalten. Wir dürfen uns der Hoffnung hingeben, daß unter kräftiger Hilfe des Staats ein großer Theil des Handwerks sich gesund und lebensfähig erhalten kann. Der Minister at eine allerdings sehr schwere Aufgabe bekommen, die aber, wenn sie gelöst werden kann, von großer Bedeutung ist für die Entwickelung des Handwerks. Ich fürchte, die Schwierigkeiten, welche der Durch⸗ führung des Gesetzes entgegenstehen, werden sich mehren, wenn es
darum handelt, die freien Innungen in Zwangsinnungen überzuführen und neue Zwangsinnungen zu bilden. Die Bezirks⸗ regierungen werden nicht im stande sein, diese Arbeiten leicht zu bewältigen. Wenn die österreichischen Innungen so liebevoll gefördert werden, so liegt das nicht nur an der besseren wirthschaftlichen Aus⸗ bildung, sondern auch daran, daß die dabei betheiligten Beamten den gewerblichen Verbältnissen viel näher stehen als unsere Re⸗ gierungs⸗Präsidenten. Wir müssen an den Gedanken herantreten, eine weitere Dezentralisation der Verwaltung zu Gunsten des Hand⸗ werks vorzunehmen. Die Staatsregterung hegt die Absicht, mit der Errichtung von Handwerkerkammern provinzielle Zentralstellen zur Förderung des Handwerks einzurichten. Solche Zentralstellen haben sich in Württemberg, Baden und Hessen als überaus wirksam er⸗ wiesen. Die Förderung des Genossenschaftswesens ist für das kleine Gewerbe von größter Bedeutung, und ich freue mich, daß bereits so gute Erfolge erzielt sind. Das Fortbildungsschulwesen wird zur 88 gewerblichen Ausbildung der Lehrlinge nicht ausreichen, weil unsere Lehrer dem Handwerk nicht nahe genug stehen. In Oesterreich findet für diejenigen, welche sich zu Handwerkern ausbilden wollen, ein mehrjähriger Kursus im Zeichnen ꝛc. statt, der den jungen Leuten schon eine gewisse Handfertigkeit gewährt, ehe sie zu einem Lehrmeister kommen. Es müßte auch den Handwerkern selbst noch die Möglich⸗ keit zur Weiterbildung in ihrem Gewerbe gegeben werden, wie dies in Oesterreich der Fall ist. Der Besuch von Meisterkursen wird in Oesterreich gefördert durch die Gewährung von Stipendien u. s. w. Diese österreichische Einrichtung sollte der Minister, auch auf die Gefahr hin, daß es etwas Geld kosten wird, bei uns durchführen. Das Geld, welches dafür ausgegeben wird, wird gute Zinsen tragen.
Abg. Gothein: Ein warmes Herz für das Handwerk bekundet man auch dadurch, daß man ihm keine Kur einredet, die nicht helfen kann. Trotz der vielgerühmten Fürsorge befindet sich das Handwerk in Oesterreich noch schlechter als bei uns. Den über das platte Land und in den kleinen Städten zerstreuten Handwerkern kann mit Motoren und mit Einkaufsgenossenschaften u. s. w. nicht geholfen werden, am wenigsten aber durch die Unterdrückung der Maschinenindustrie. Ge⸗ setze sind ein nothwendiges Uebel. Wenn sie nicht einmal nothwendig sind, dann bleiben sie ein einfaches Uebel. Dahin gehören solche schwerfälligen Organisationen, die den Handwerkern nicht nützen.
Abg. Rickert (fr. Vgg.): Durch eine Verfügung vom Sommer vorigen Jahres hat der Handels⸗Minister die Ziele der Fortbildungsschulen höher gesteckt. Das war erfreulich; aber es hat eine gewisse Erregung unter den Lehrern hervorgerufen, daß die bisher für die Stunde auf 2 ℳ bemessene Bezahlung in Westpreußen auf 1,50 oder höchstens 1,75 ermäßigt werden soll. Wie kann man jetzt in der Zeit der Erhöhung der Lehrer⸗ und Beamtengehälter für diese Arbeit der Lehrer eine Ermäßigung verlangen?
Geheimer Regierungs⸗Rei Simon: Die im vorigen Sommer erlassenen Vorschriften über die Fortbildungsschulen stehen mit dieser Ermäßigung der Lehrergehälter nicht im Zusammenhang. Wir mußten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln außerordentlich sparsam umgehen. Es wurden für die Besoldung der Lehrer 400 000 ℳ ver⸗ langt, während nur 300 000 ℳ zur Verfügung standen. Wir haben in größeren Städten, wo über 2 ℳ gezahlt wurden, nach billigeren Lehrkräften gesucht, dafür aber auch in anderen Fällen höhere Zah⸗ lungen geleistet, wo die bisherigen nicht ausreichten; wir haben ferner eine geringere Zahl von Klassen geschaffen und die allgemeinen Ver⸗ waltungsausgaben eingeschränkt. Trotzdem ist det Fonds immer noch um 60 000 ℳ überschritten worden. Es sind nun allerdings im Etat 75 000 ℳ mehr verlangt, aber wir werden dafür auch neue Fort⸗ bildungeschulen einrichten und namentlich das Fortbildungswesen auf die Mädchen ausdehnen müssen.
Abg. Latacz (Zentr.) empfiehlt ebenfalls eine Vermehrung der Fortbildungsschulen, wünscht aber neben der fachlichen Ausbildung auch die Förderung der religiösen und sittlichen Erziehung. Man solle die Ziele der Fortbildungsschulen nicht allzu hoch schrauben, aber auch nicht auf den Kreis der Lehrgegenstände der Volksschule beschränken. Es sei erfreulich, daß dafür gesorgt werden solle, daß die Lehrer, welche an Fortbildungsschulen unterrichten, durch einen besonderen Kursus Uebersicht über die gewerblichen Verhältnisse erhalten sollen.
Geheimer Regierungs⸗Rath Simon macht darauf aufmerksam, daß die im vorigen Sommer erlassenen Vorschriften nur⸗Normal⸗ vorschriften, aber nicht in allen Einzelheiten für alle Schulen bindend sind.
Abg. Ehlers (fr. Vgg): In Westpreußen und Posen hat der Staat die Fortbildungsschulen übernommen, währ i
schlossen werden.
Lande die Gemeinden dafür eintreten. Da ist es nicht richtig, daß der Staat, um zu sparen, das Gehalt der Lehrer ermäßigt zu einer Zeit, wo die Beamten⸗ und Lehrergehälter im übrigen erhöht worden sind. Bei uns wird der Widerstand gegen eine Vermehrung der Ausgaben für das Fortbildungsschulwesen nicht liegen. .
Das Gehalt des Ministers wird bewilligt. Bei den Gehältern der Ministerialbeamten spricht
Abg. Hermes (fr. Volksp.) seine Befriedigung darüber aus, daß eine bautechnische Hilfskraft zur Beaufsichtigung des Gewerbe⸗ schulwesens berufen werden solle; der Minister hätte aber auch eine schultechnische Hilfskraft zu gleicher Zeit berufen sollen.
Bei den Ausgaben für den Börsenkommissar in Berlin richtet Abg. Gothein an den Minister die Frage, was diese Beamten über die Mißstände an den Börsen berichtet und ob sie dieselben ab⸗ gestellt haben. G“
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:
8
Ich kann in Beantwortung der an mich gerichteten Frage mich
auf die kurze Antwort beschränken, daß die Berichte der Börsen⸗ kommission mir keinen Anlaß geben, anzunehmen, daß das Börsen⸗ gesetz diejenigen Zwecke nicht erreichen werde, welche ihm zu Grunde gelegen haben. (Bravol rechts.)
Abg. Freiherr von Erffa (kons.): Aus den Worten des Herrn Gothein schließe ich, daß eine stille Sehnsucht nach der Zeit vor Erlaß des Börsengesetzes vorhanden ist. Diese schöne Zeit ist vor⸗ über. Das Börsengesetz ist vorhanden und zu meinem Bedauern leider noch nicht ganz durchgeführt. Die liberale Presse, die eine so große Abneigung gegen die Junker hat und ein so treuer Schild⸗ knappe für die Börsenmänner ist, behauptet, daß das Börsengesetz die Landwirthschaft geschädigt habe. Ich kann nur die gute Wirkung des Gesetzes für die Landwirthschaft konstatieren. Der Getreidetermin⸗ handel ist dezentralisiert worden; Berlin ist nicht mehr der Haupt⸗ platz; der Effektivhandel ist erheblich erstarkt. Die Zentralstelle der Landwirthschaftskammern giebt täglich die Preisnotierung heraus; jeder Landwirth kann sich danach über die Preise orientieren. Durch den Strike der Berliner Börse sind wir zu dieser werthvollsten Ein⸗ richtung des Börsengesetzes gekommen. Die Börsennotizen haben sich als entbehrlich bewiesen, da 160 gelesene Zeitungen die Notierungen der Zentralstelle veröffentlichen, welche auch von den Proviant⸗ ämtern anerkannt werden. Der Polizei⸗ Präsident von Berlin und das Statistische Amt des Reichs benutzen ebenfalls diese Notierungen, die freilich von der der Börse ergebenen liberalen Presse bemängelt werden. Die Notierungen zerfallen in drei Gruppen: Lokalnotierungen ohne Unterschied der Qualität, No⸗ tierungen der größeren Handelsplätze nach einer bestimmten Qualität und endlich Weltmarktspreise. Kann es bessere Notierungen geben? Durch den Strike der Börse ist dieses für die Landwirth⸗ schaft so wichtige Ergebniß erzielt worden. Das Sprungweise der früheren Preisbewegung ist ersetzt durch eine stetige und ruhige Be⸗ wegung der Preise. Die Einfuhr von Getreide ist gesunken, weil das Börsenspiel gefehlt hat, weil es sich nicht mehr lohnte, große Massen an die Börse zu bringen. Die Mitläufer der Spekulanten⸗ firmen werden dadurch vor Schaden bewahrt. Die Landwirthschaft ist also mit der Wirkung des Börsengesetzes zufrieden, und wir können nur wünschen, daß das, was zur völlihen Durchführung fehlt, auch noch geschieht, daß alle Winkelbörsen, vamentlich in Berlin, ge⸗ Der Bezirksausschuß hat die freie Vereinigung im Feenpalast nicht als eine Börse anerkannt. Wie kann man ohne Börseneinrichtungen zu gleichmäßigen Preisnotierungen kommen? b holt das Ober-Verwaltungsgericht das vom Bezirksausschuß Versäumte nach und vernimmt Zeugen. Der Minister sollte die Ent⸗ scheidung nach Möglichkeit beschleunigen, damit endlich der Zustand aufhört, daß in der Hauptstadt keine amtlichen Preisnotierungen er⸗ folgen. Sollte das Ober⸗Verwaltungsgericht das Urtheil des Bezirks⸗ ausschusses bestätigen, dann muß unzweifelhaft eine Novelle zur Deklaration des Börsengesetzes erlassen werden. Der Täuschung sollte sich aber niemand hingeben, daß der börsenmäßige Terminhandel, der F die öffentliche Meinung gerichtet ist, wieder eingerichtet werden önnte.
Abg. Richter (fr. Volksp.): Eine Börsendebatte habe ich nicht für nöthig gehalten, weil wir im Reichstage, vor den eigentlich diese fhage gehört, diese Debatte erst gehabt haben. Der Vorredner hätte eine wohlvorbereitete Rede auch wohl ohne die Frage des Herrn Gothein gehalten. Der Vorredner lobt die neue Einrichtung der Notierung der Zentralstelle und bezeichnet sie als eine Wirkung des Börsen⸗ gesetzes. Die Preisnotierungen sind früher schon schneller verbreitet worden durch „Wolff's Telegraphenbureau“. Das einzige Neue ist die Umrechnung. Das ist eine Verbesgerung, für die man aber das Börsen⸗ esetz nicht gebraucht hätte. Die Preise anderer Orte sind auch früher shen telegraphisch mitgetheilt worden. Bei aller Zufriedenheit hat der Vorredner beklagt, daß es keine amtliche Preisnotierung in Berlin giebt, und hat den Minister gebeten, diesem Uebelstande abzuhelfen. Graf Schwerin hat selbst zugegeben, daß die Umgebung von Berlin unter dem Fehlen der Berliner Notierungen leide. Der Mangel der neuen Notierungen bleibt bestehen, daß sie nur von den Produzenten ausgehen. Aus Ursachen, die mit dem Börsengesetz garnicht zu⸗ sammenhängen, sondern mit den Ernteverhältnissen, sind die Preise gestiegen; das deckt manches zu, was sonst als Wirkung des Börsen⸗ gesetzes hervortreten würde. Der Mangel eines börsenmäßigen Terminhandels ist eine Erschwerung im internationalen Ausgleich. Die Verminderung der Einfuhr ist eine Folge der reichlicheren Ernte Deutschlands, nicht eine Wirkung des Börsengesetzes. Der Minister soll die Winkelbörsen schließen. Der Begriff Börse scheint allein nicht mehr auszureichen. Der Vorredner hat das Urtheil des Bezirks⸗ ausschusses kritisiert und vorgeschlagen, wie das Ober⸗Verwaltungs⸗ gericht verfahren soll, als ob dasselbe ein agrarisches Ministerium sei, welches von hier aus Instruktionen entgegenzunehmen hätte. Die Vorstandsmitglieder der Feenpalast⸗Versammlung haben an der Ver⸗ öffentlichung der Preise in keiner Weise mitgewirkt. Die Preis⸗ veröffentlichungen beweisen nichts für das Vorhandensein einer Börse; denn es werden auch Preise von Waaren mitgetheilt, für die gar keine Börse besteht. Das Urtheil des Eöö hat lediglich einen theoretischen Werth; denn selbst wenn das Polizei⸗ resolut aufgehoben werden sollte, so würde die Versammlung im Feen⸗ palast 8 nicht wieder stattfinden. (Zuruf: Kloster!) Das Urtheil würde doch nicht gelten für die Versammlung in der Heiligengeist⸗ straße. † Dazu wäre ein neues Polizeiresolut erforderlich. Schließlich müßte das Zusammenwohnen unserer Getreidehändler in einem Hause verboten, und es müßte beim Telephonverkehr neben das Fräulein ein Delegirter der Landwirthschaftskammer gestellt werden. Der Vor⸗ redner hat den Getreideterminhandel als gerichtet bezeichnet. Sorgen Sie (rechts) lieber dafür, daß man nicht Ihre Politik der Verkehrs⸗ beschränkungen als gerichtet bezeichnen kann! 1
Abg. Graf von Kanitz (kons.): Herr Richter sieht wohl ein, daß es ein Fehler war, das Börsengesetz im Reichstage zu stande kommen zu lassen. Wenn die Berliner Getreidehändler immer noch klagen, so mögen sie doch das Termingeschäft ins Ausland verlegen, wie uns immer gedroht worden ist. “
““
88
EE113“
zum Deutschen R No 50.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:
Meine Herren! Ich habe zwar keinen Beruf, mich in den Streit der Meinungen einzumischen, der so oft und in so ausgedehntem Maße zwischen den entgegengesetzten Auffassungen in diesem Hause geführt worden ist. Ich möchte nur glauben, daß für die Erledigung unserer heutigen Aufgaben es zweckmäßig ist, wenn ich einige kurze Bemerkungen mache, die den Standpunkt der Regierung darlegen, um dadurch vielleicht abkürzend auf den Gang der Verhand⸗ lungen selbst einzuwirken und Mißverständnissen vorzubeugen.
Meine Herren, die Regierung ist der Meinung, daß die Er⸗ fahrungen, ob und in wie weit das Börsengesetz in allen seinen Theilen sich bewährt habe, noch nicht als vollständig abgeschlossen zu betrachten sind, daß noch weitere Erfahrungen abzuwarten sind, um zu beurtheilen, ob und in wie weit eine Aenderung, Vervollständigung oder sonstige Korrektur des Börsengesetzes in Aussicht zu nehmen ist. Inzwischen aber hält die Regierung an der Auffassung fest, die ich hier wiederholt ausgesprochen und gerechtfertigt habe, daß sie befugt ist, Privatbörsen zu nöthigen, sich unter das Gesetz zu stellen, wenn sie ihnen den Charakter einer Börse beilegt. Sie hat von dieser ihrer Befugniß in einem Falle Gebrauch gemacht. Dagegen ist der Weg der verwaltungsgerichtlichen Klage beschritten und in der Entscheidung des Bezirksausschusses ist der Regierung die von ihr in Anspruch genommene Befugniß abgesprochen worden. Ich enthalte mich jeglicher Prüfung, jeglicher Kritik dieses Urtheils. Es ist dagegen die Berufung ein⸗ gelegt an die oberste Verwaltungsinstanz. Die Entscheidung derselben bleibt lediglich abzuwarten. So lange die Entscheidung nicht ergangen ist, wird die Regierung von der Befugniß einen weiteren Gebrauch nicht machen. Diese Erklärung kann ich hier abgeben im Ein⸗ verständniß mit dem gesammten Königlichen Staats⸗Ministerium. Sollte die Entscheidung in der Folge zu unseren Gunsten erfolgen, so wird natürlich in jedem einzelnen Fall bezüglich solcher Privateinrichtungen, von welchen in Frage kommt, ob sie Börsencharakter haben oder nicht, eine sorgfältige, genaue Prüfung vorzubehalten sein.
Im übrigen muß ich sagen, die Regierung steht auf dem Stand⸗ punkt, daß sie allerdings für erwünscht hält, daß regelmäßige Preis⸗ notierungen stattfinden, sei es einer Börse, sei es eines Marktes, aber öffentliche Preisnotierungen, bei denen sowohl die Käufer wie die Ver⸗ käufer mitwirken. Solche Preisnotierungen haben wir nicht, seit⸗ dem die Produktenbörse sich aufgelöst hat; wir müssen uns an deren Stelle mit dem begnügen, was uns einerseits von der Zentralnotierungsstelle der Landwirthschaft geboten wird und auf der andern Seite seitens des Reichs in der Einrichtung einer ähnlichen Notierungsstelle geschaffen ist, deren Vervollkommnung und Fortbildung noch der Erwägung unterliegt. (Hört! hört!)
Die Einrichtung einer Börse oder eines Marktes hier in Berlin, die ich meinerseits für erwünscht halte, ist eben nicht Sache der Regierung; sie ist Sache der Interessenten. Die Regierung hat ihrerseits nur die Genehmigung dazu zu ertheilen, wenn seitens der Interessenten eine ähnliche Einrichtung geplant und planmäßig zur Genehmigung vorgelegt wird. Die Regierung ist auch gern bereit, wenn aus den Kreisen der Betheiligten solche Anträge an sie gelangen, diese Anträge zu fördern und zu unterstützen, denn sie legt, wie gesagt, Werth darauf, daß öffentliche Preisnotierungen stattfinden.
Dabei muß ich bemerken: so verdienstvoll auch die Preisnotierungen von der Zentralstelle sein mögen, sie können jedenfalls die Notierungen eines öffentlichen Marktes, einer Börse deshalb nicht vollständig ersetzen, weil die Preisnotierungen eines öffentlichen Marktes, einer Börse aus dem lebendigen Handel, dem Kontakt der entgegen⸗ stehenden Meinungen, aus dem Angebot und dem Gegenangebot hervor⸗ gehen. (Sehr richtig!) Das ist der /Werth der Preisbildung eines öffentlichen Marktes, einer Börse im Gegensatz zu nachträglichen statistischen Ermittelungen. Eine solche Preisbildung wünschen wir für die Folge, und wir würden es nur mit Freude begrüßt haben, wenn aus den Kreisen der Interessenten eine solche Einrichtung ge⸗ schaffen wird, sei es, daß die Produktenbörse wiederhergestellt wird, sei es, daß, wenn die Kaufleute sich weigern, die Produktenbörse wiederherzustellen, eine andere gleichwerthige Einrichtung an ihre Stelle tritt. (Lebhaftes Bravo.)
Abg. Graf von Schwerin⸗Löwitz (kons.): An anderen Orten gehen die Regierungs⸗Präfidenten damit um, Marktkommissionen für den Getre dehandel ins Leben zu rufen. Ein Getreidehandel besteht auch in Berlin; es liegt also kein Grund vor, in Berlin nicht ebenso wie anderwärts vorzugehen und einen Markt einzurichten. Damit würde auch eine richtige Preisnotierung eintreten. Den landwirthschaftlichen Interessenten genügen die Notierungen der Land⸗ wirthschaftskammern durchaus und den Interessenten des Effektiv⸗ handels ebenfalls. Ich fürchtete schon bei den Verhandlungen des Börsenausschusses, daß die Notierungen der Landwirthschaftskammern dem Mißtrauen der Händler begegnen würden. Das ist eingetreten, aber nicht in dem Maße, wie ich annahm. Denn thatsächlich sind die Preisnotierungen der Zentralstelle zur Grundlage für den ganzen Getreidehandel geworden, weil sie mit der strengsten Objektivität fest⸗ gestellt werden. Früher wurde gesagt, der Terminhandel wirke garnicht auf die Preise; jetzt soll das Fehlen desselben die Preise drücken! Die Disparitat zwischen dem Preise in Deutschland und dem auf dem Weltmarkt ist geringer, als sie früher war. Die Disparität gleich bei der Umrechnung in Betracht zu ziehen, hat man nach längerer Er⸗ wägung bis jetzt bei der Zentralstelle abgelehnt.
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:
Meine Herren! Ich habe mir das Wort erbeten zu einer kurzen berichtigenden Bemerkung gegenüber einer unzutreffenden Voraus⸗ setzung, von der Herr Abg. Graf Schwerin ausgegangen ist. Herr Graf Schwerin ist der Meinung gewesen, daß im Landwirthschafts⸗ ammergesetz der Regierung die Verpflichtung auferlegt wäre, Märkte
Verpflichtung auferlegt, dafür zu sorgen, daß Marktkommissionen rrichtet werden, in denen die Landwirthschaft vertreten ist. Das liegt auch dem Erlaß des Herrn Ministers des Innern zu. Grunde.
Berlin, Sonnabend, den 26. Februar
Darin ist in Aussicht genommen, daß überall da, wo Märkte bestehen, Marktkommissionen gebildet werden, in denen die Landwirthschaft vertreten ist, dagegen die Errichtung der Märkte selbst bleibt Sache der Interessenten.
Abg. Gothein bittet um eine klarere, weniger deutungsfähige Antwort seitens des Ministers und fährt dann fort: Es haften an den Börsen immer noch die Vorwürfe. Sie haben ein Recht, zu fragen, ob sich denn die Mißstände wirklich vorgefunden haben, welche zur Bestellung des Staatskommissars geführt haben. Meine Anfrage hat nicht die Frage des Getreidehandels berührt; denn die Getreidebörse C es bei uns ja nicht mehr. Die Getreide⸗ händler und Müller haben sich der Eingabe der Bromberger Handels⸗ kammer um Wiedereinführung des Terminhandels fast nirgends angeschlossen. Trotz allen Rühmens über die Notierungen der Zentral⸗ stelle verlangt man nach amtlichen Notierungen der Börse. Wenn wir eine gute Welternte haben, dann werden einige aus Amerika an⸗ kommende Schiffsladungen, wenn sie nicht durch Terminhandel ver⸗ theilt werden können, auf den Markt im Ganzen drücken. Die Ent⸗ scheidung des Ober⸗Verwaltungsgerichts ist eine reine Doktorfrage; denn die Versammlungen im Feenpalast werden nicht wieder eröffnet werden. Herrn Grafen von Schwerin empfehle ich das Studium des § 69 der Gewerbeordnung, welcher den Gemeinden die Einrichtung der “ überträgt. Die Regierung kann keine Märkte auf eigene Faust einrichten.
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:
Nachdem der Herr Vorredner die vorher an mich gerichtete Frage, ob aus den Berichten der Börsenkommissarien sich Mißstände beson⸗ derer Art ergeben hätten, unter anderem dahin präzisiert hat, ob nach den Berichten der Börsenkommissarien unrichtige Notierungen vor⸗ gekommen seien, kann ich diese Frage mit Nein beantworten. Im übrigen sind mancherlei Ausstellungen an den auf den Börsen be⸗ stehenden Einrichtungen und Usancen und Vorschläge zu ihrer Ver⸗ besserung gemacht worden. Ich habe es aber nicht für angängig ge⸗ halten, hier in eine detaillierte Erörterung dieser Vorschläge kinzu⸗ treten, um so weniger, als ich sie vorläufig als Interna der Ver⸗ waltung betrachte.
Abg. Schwarze (Zentr.): Die Preise der Zentralstelle sind nicht lediglich Preise der Verkäufer.
Abg. von Arnim k(kons.): Der Vorredner hat Recht; es giebt schon mehrere kleinere Börsen, welche bei der Feststellung der Preise mitwirken. Durch die Beseitigung des Termingeschäfts ist der Import von ausländischem Getreide vermindert worden.
Abg. Graf von Schwerin⸗Löwitz: Wenn unsere Notierungen deshalb mangelhaft sind, weil sie nur von Verkäufern herrühren, so 8 der Wunsch nach Einrichtung neuer Getreidemärkte durchaus egründet.
Abg. Richter: Es ist leichter, einen Mohrenkopf weiß zu waschen, als jemand von der Rechten von seinen vorgefaßten Meinungen über den Getreidehandel abzubringen. Herr von Arnim ist der Ansicht, daß die Verminderung des Imports eine Folge des Börsengesetzes ist. Ist die Ausfuhr von Roggen von Deutschland nach Böhmen etwa auch eine Folge des Börfengesetzes Es handelt sich darum, daß .9 1 Deutschland, aber sonst in der Welt eine schlechte Ernte vorliegt.
Das Gehalt des Börsenkommissars wird bewilligt.
Um 4 ¾ Uhr wird die weitere Berathung bis Sonnabend 12 Uhr vertagt. (Vorher zweite Berathung der Vorlage über die Zentrolgenossenschaftskass und Interpellation von Brock⸗ hausen, betreffend die Besteuerung der Waarenhäuser.)
“ Statistik und Volkswirthschaft.
Die Eisenbahnen “ im Betriebsjahre 1896/97.
Personenverkehr. Der Personenverkebr hat in dem zehn⸗ jährigen Zeitraum von 1886/87 bis 1896/97 einen weiteren er⸗ freulichen Aufschwung genommen. Im Jahre 1896/97 wurde bei
einer durchschnittlichen Betriebsliänge von 45 110 km. eine Einnahme von 444,61 Millionen Mark gegen 284,63 Millionen Mark im Jahre 1886/87, mithin ein Mehr von 159,98 Millionen Mark = 56,2 v. H., erzielt, obwohl die Betriebslänge durch den Hinzutritt neuer Bahnen nur um 21,6 v. H gestiegen ist. Jedes Kilometer brachte eine Einnahme von 9856 ℳ gegen 7671 ℳ im Jahre 1886/87, mithin ein Mehr von 2185 ℳ, d. s. 28,5 v. H. Dagegen ist die Einnahme für je 1000 Achskilometer der Personen⸗ und Gepäckwagen von 117 auf 107 ℳ zurückgegangen, was sich vornehmlich durch den Hinzutritt neuer Bahnen mit anfänglich geringem Verkehr erklärt. An der Gesammteinnahme aus allen Verkehrszweigen war die Ein⸗ nahme aus dem Personen⸗ und Gepäckoerkehr mit 28,04 v. H. gegen 27,85 v. H. im Jahre 1886/87 betheiligt. Die reine Personenbeförderung, einschließlich Militär⸗ und Sonderzüge, hat ein Mehr von 153,12 Millionen Mark, d. s. 55,7 v. H., die Beförderung von Geväck und Hunden ein solches von 4,34 Millionen Mark, d. s. 47 v. H, aufzuweisen, während die Nebenerträge einen Zuwachs von 2,53 Millionen Mark, d. s. 683,8 v. H., erzielten. Die erhebliche Steigerung der Nebenerträge ist hauptsaͤchlich durch die Einführung der Bahnsteigkarten entstanden, was vornehmlich auf den Staatsbahnen zutrifft, bei denen die Ein⸗ nahmen von 0,29 auf 2,87 Millionen Mark = 889,7 v. H. zugenommen haben. Während die Einnahme aus der I. Klasse eine Steigerung von 5,04 Millionen Mark = 38,3 v. H., die der II. Klasse eine solche von 27,51 Millionen Mark = 36,2 v. H. erreicht, hat die Einnahme aus der III. Klasse einen Zuwachs von 70,47 Millionen Mark = 51,1 v. H. und die aus der IV. Klasse einen solchen von 44,85 Millionen Mark = 109,4 v. H. aufzuweisen. Die erheb⸗ liche Steigerung der Einnahme aus der 17. Klasse ist, obgleich bei einer großen Anzahl von Bahnen eine solche nicht besteht, namentlich auf eine Vermehrung der Züge mit Wagen dieser Klasse sowie darauf zurückzuführen, daß die Wagen inzwischen größtentheils mit Sitzplätzen eingerichtet worden sind. Bei einer Bevölkerung von 52,73 Millionen im Jahre 1896/97 gegen 47,10, Millionen im Jahre 1886/87 entfallen auf jeden Einwohner im Jahre 1896/97 durchschnittlich 12 Eisenbahnfahrten egen durchschnittlich sechs im Jahre 1886/87, dagegen ist die durch⸗ schnittlich zurückgelegte Wegelänge von 28 auf 23 km. gesunken. In dem Rückgang kommt die beträchtliche Zunahme des Stadt⸗ und Vorortverkehrs zum Ausdruck. An Personenkilometern sind im Jahre 1896/97 im Ganzen 15 117,33 Millionen gegen 8363,73 Millionen im Jahre 1886/87, also reichlich 80 v. H. mehr, zurück⸗ gelegt worden; auf 1 km der durchschnittlichen Betriebs⸗ länge beträgt die Zunahme 48,6 v. H. An dieser Zunahme sind die Staatsbahnen mit 90,2 v. H. bezw. 46,6 v. H. be⸗ theiligt. In der Personenfrequenz auf das Betriebekilometer nimmt die baverische Ludwigsbahn im Jahre 1896/97 mit 2,26 Millionen die erste Stelle ein. Ihr folgen die Main⸗Neckar⸗Eisenbahn mit
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ichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staa
1,24, die Cronberger Eisenbahn mit 0,57, die Lübeck⸗Büchener Eisen⸗ bahn mit 0,43, die sächsischen Staatseisenbahnen mit 0,42, die Zittau⸗ Reichenberger Eisenbahn und die preußischen Staatseisenbahnen mit je 0,38, die hessische Ludwigs⸗Eisenbahn und die badischen Staats⸗ eisenbahnen mit je 0,35, die württembergischen Staatseisenbahnen mit 0,29, die pfälzischen Eisenbahnen mit 0,28, die Reichseisenbahnen mit 0,27 und die Königsberg⸗Kranzer Eisenbahn mit 0,26 Millionen. Von den zurückgelegten Personenkilometern entsielen auf die I. Klasse 229,01 Millionen (161,37), auf die II. Klasse 2200,25 Millionen (1423,85), auf die III. Klasse 7549,77 Millionen (4344,16), auf die IV. Klasse 4328,78 Millionen (1982,17) und auf Militär 809,52 Millionen (451,18). Bei allen Klassen ist somit eine Zunahme eingetreten, und zwar bei der I. Klasse um 41 v. H., bei der II. Klasse um 54,5 v. H, bei der III. Klasse um 73,8 v. H., bei der IV. Klasse um 118,4 v. H. und bei dem Militär um 79,4 v. H. Die prozentuale Steigerung der Personen⸗ kilometer ist indessen bei allen Klassen höher als die der Einnahme; die durchschnittliche Einnahme für ein Personenkilometer hat im Jahre 1886/87 3,29 ₰ betragen und ist auf 2,83 ₰ im Fahre 1896/97 zurückgegangen. Die Ursache für diese rund 14 v. H. betragende Ermäßigung ist theils in der Herabsetzung der Fahrpreise der verstaatlichten Privatbahnen und im Naheverkehr, theils in der vermehrten Ausgabe von Arbeiterfahrkarten, der stärkeren Benutzung der Zeitkarten und in der durch Freigabe der Schnellzüge, Ausdehnung der Gültigkeitsdauer ꝛc. begünstigten Zunahme des Rück⸗ fahr⸗ und Rundreiseverkehrs, sowie in der vermehrten Benutzung der IV. Klasse gegenüber den höheren Klassen zu erblicken. Während die Ausnutzung der bewegten Plätze in den drei oberen Klassen zurückging, nämlich in der I. Klasse von 9,11 auf 8,77 v. H., in der II. Klasse von 20,34 auf 19,73 v. H., in der III. Klasse von 25,00 auf 24,93 v. H., ist sie in der IV. Klasse von 29,62 auf 34,67 v. H. gestiegen.
Güterverkehr. Wie der Personenverkehr, hat auch der Güter⸗ verkehr hinsichtlich des Umfanges und der Erträgnisse in dem zehn⸗ jährigen Zeitraume von 1886/87 bis 1896/97 eine erhebliche Stei⸗ gerung erfahren. Während die Einnahme im Jahre 1886/87 692,84 Millionen Mark betragen hat, ist sie im Jahre 1896/97 auf 1071,27 Millionen Mark gewachsen, mithin hat eine Zunahme von 378,413 Millionen Mark oder von 54,6 v. H. statt⸗ gefunden. Jedes Kilometer brachte eine Einnahme von 23 361 ℳ gegen 18 403 ℳ, also 26,9 v. H., mehr ein. Die Einnahme für je 1000 Achskilometer der Güterwagen hat sich von 9ĩ3 auf 99 ℳ gehoben. Diese Steigerung, die auf den ersten Blick befremden könnte, weil der durchschnittliche Frachtertrag für das Tonnenkilometer, wie weiter unten bemerkt, herabgegangen ist, rührt von der Erhöhung des Ladegewichts der Güterwagen her. An der Gesammteinnahme aus allen Verkehrszweigen war die Einnahme aus dem Güterverkehr mit 67,56 v. H. gegen 67,82 v. H. im Jahre 1886/87 betheiligt.
Von der Einnahme aus dem Güterverkehr entfallen im Jahre 1896/97 1041,79 Millionen Mark auf Frachterträge, 1,61 Millionen Mark auf die Entschädigung für die Beförderung von Postgut und 27,87 Millionen Mark auf Nebenerträge, gegen 672,62 Millionen Mark, 1,45 Millionen Mark und 18,77 Millionen Mark im Jahre 1886/87. Hiernach sind die Frachterträge, die aus der Beförderung von Eil⸗ und Expreßgut, Frachtgut, Militär⸗ gut, Vieh, Leichen und frachtpflichtigem Dienstgut nebst Baumaterialien erzielt wurden, um 54,9 v. H., die Entschädigung für die Beförderung von. Postgut um 11,0 v. H. und die Nebenerträge um 48,5 v. H. gestiegen.
Von den Frachterträgen ausschließlich derjenigen für Militärgut und für frachtpflichtiges Dienstgut nebst Baumaterialien, die sich wegen der darin eingetretenen grundsätzlichen Aenderungen zum Vergleich nicht eignen, haben im Jahre 1895/97 die einzelnen Tarifklassen mehr eingebracht als im Jahre 1886/87:
A. Nach dem einheitlichen deutschen Gütertarif: das Eil⸗ und Expreßgut. . 8,23 Mill. Mk. oder 42,40 v. H. das Stückgut einscht. des Spezialtarifs für bestimmte Srd1111“ 46,75 das Frachtgut in Wagenladungen: der Nlase I 11u““ 27,39 .““ 69,57 „ Spezialtarifklasse A 2 3,74 14,89 1“ Eö31“ 42,93 EööI1“ 150,99 1111“ B. Nach Ausnahme⸗ und sonsti⸗ gen abweichenden Tarifen: das Eil⸗ und Expreßgut, das Stückgut und die Wagen⸗ ladungen von 5 bis 10 t aus⸗ Gv11““ die Wagenladungen von 10 t und darker . .. 666 8 8 C. Der Viehtransport. 5,57 „ „
Die Anzahl der zurückgelegten Tonnenkilometer der gegen Frachtberechnung beförderten Güter mit Ausschluß des Postgutes ist von 16 489,01 Millionen Mark im Jahre 1886/87 auf 26 672,02 Millionen Mark im Jahre 1896/97, also um 61,76 v. H. gestiegen. Bei Zurückführung der geleisteten Tonnenkilometer auf 1 km der durchschnittlichen Betriebslänge hat sich eine Zunahme von 437 965 Tonnenkilometern im Jahre 1886/87 auf 581 637 Tonnenkilometer im Jahre 1896/97, mithin um 143 672 Tonnenkilometer oder 32,80 v. H. ergeben. Die geringere Zunahme der Verkehrsdichtigkeit gegenüber der des Verkehrsumfanges erklärt sich daraus, daß die neu hinzugetretenen Strecken den älteren Bahnen hinsichtlich der Verkehrs⸗ dichtigkeit beträchtlich nachgestanden haben. An den Zunahmen der geleisteten Tonnenkilometer im Ganzen und auf das Betriebskilometer sind die Staatsbahnen mit 64,89 und 26,92 v. H. betheiligt.
In der Tonnenfrequenz auf das Betriebskilometer nimmt die Main⸗Neckar.Eisenbahn mit 0,98 Millionen die erste Stelle ein. Ihr folgen die Reichseisenbahnen mit 0,86 Millionen, die pfälzischen Eisenbahnen mit 0,76 Millionen, die preußischen Staatseisenbahnen mit 0,69 Millionen, die Peine⸗Ilseder Eisenbahn mit 0,62 Millionen, die sächsischen Staatseisenbabnen mit 0,57 Miliionen, die badischen Staatseisenbahnen mit 0,50 Millionen, die Ostpreußische Südbahn mit 0,41 Millionen, die bayerischen Staatseisenbahnen mit 0,39 Millionen, die Lübeck⸗Büchener und die Zschipkau Finsterwalder Eisenbahn mit 0,38 Millionen, die Eisern⸗Siegener Eisenbahn mit 0,36 Millionen und die hessische Ludwigseisenbahn mit 0,35 Millionen.
Die durchschnittliche Einnahme auf einen Tonnen⸗ kilometer aller gegen Frachtberechnung beförderten Güter ist von 4,08 auf 3,91 ₰ gefallen. Die danach eingetretene durchschnittliche Verbilligung der Frachten um rund 4 v. H. erklärt sich aus Tarifermäßigungen verschiedener Art, wie Herabminderung der Seae essasn Versetzung vieler Artikel in niedrigere Tarifklassen, erweiterte Einführung ermäßigter Ausnahmetarife für Massentrans⸗ porte ꝛc. Auf die Abnahme der durchschnittlichen Einnahme auf einen Tonnenkilomcter beim Viehtransport von 8,64 auf 8,14 3 =
5,79 v. H. ist neben der Einführung von Frachtermäßigungen auf einzelnen Eisenbahnen die Ausdehnung der direkten Expedition lund