1898 / 76 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 29 Mar 1898 18:00:01 GMT) scan diff

Lande umhergefragt hätte nach der Meinung der Mehrheit der Wähler. Die Mehrheit der Wähler steht nicht hinter der Mehr⸗ heit des Reichstages. Selbst an der Küste ist die Mehrheit nicht für die Vorlage. Die Abgeordneten sollen auch in solchen die Führer des Volkes sein. Die Massen werden sich mit der n”g befreunden in dem Maße, wie die allgemein herrschende Unzufriedenheit abnimmt und die wohlwollende Meinung der Reate⸗ rung sich in Thaten umsetzen läßt. Solche patriotischen Wahl⸗ parolen, wie Flottenvermehrung und Heeresverstärkung, bringen außer⸗ ordentliche Verschiebungen mit sich. Ich halte es für wünschenswerth, daß die nächsten Wahlen sich unter der Parole wirthschaftlicher

ragen vollziehen. Herr Schädler hat weniger für die Gegner des enkrums gesprochen als Herr Hilpert, der auf die Nothlage der aandwirthschaft hingewiesen hat. Das ist der Hauptgrund, welcher viele Abgeordnete der Vorlage gegenüber bedenklich macht. Herr Richter focht den häuslichen Streit mit Herrn Rickert in breiter Form vor dem Hause aus. Herr Richter hat die Gewohnheit, wenn er etwas verweigern will, zu erzählen, was er unter anderen Umständen bewi igt haben würde. Wenn das andere gefordert würde, würde er es ebenfalls ablehnen, denn er ist die Personifikation des Verneinens geworden. Die Aus⸗ führungen des Staatssekretärs Grafen Posadowsky über die Noth⸗ wendigkeit der Einfuhr von Lebensmitteln kann ich nicht billigen. Herr von Bennigsen hatte einen sehr guten Tag. Vor allen Dingen war es erfreulich, daß er Herrn Richter bemerklich machte, daß in keinem anderen Staat ein Parlamentarier das Heer und die Marine so zum Exerzierplatz der Opposition mache, wie dies Richter ihut. Seine Rede war gleichsam sein Schwanengesang. Ein Widerspruch war es nur, daß er meinte, die Stimmung im Lande sei für die Flottenvermehrung, während er nachher vor der Auflösung warnte. Die jenseits der Begriffe von Vaterland und Monarchie stehenden Sozialdemokraten haben allerdings sehr freies Spiel: sie können lediglich für die Rechte des Reichstages eintreten. Herr Bebel würde vielleicht besser thun, wenn er französischer Bürger würde und sich ins dortige Parlament wählen ließe, um den Franzosen klar zu machen, daß wir den Frieden nicht stören wollen. Herr Bebel er⸗ klärte es für vermessen, daß die deutsche Flotte es mit der englischen aufnehmen solle. Die deutsche Flotte würde es in unsern Gewässern mit der englischen Flotte aufnehmen müssen. Sie würde es machen wie die 300 Spartaner, die auch nicht hoffen konnten, die Millionen⸗Armee des Kerxes aufzuhalten. Daß das Zentrum die nationale Wehrkraft stärkt, wird ihm nicht schaden. Die Nationalliberalen sind deshalb zurückgegangen, weil sie in wirthschaftlichen Fragen nicht Farbe bekannt haben. Die Sozial⸗ demokraten sollten konsequent sein und erklären: wir bewilligen nichts mehr für die Flotte, sondern verkaufen die Schiffe; denn eine un⸗ zureichende Flotte ist schlimmer als gar keine; sie müßten die Kolonien weggeben und die deutsche Handelsflotte unter den Schutz Englands und Nord⸗Amerikas stellen. Herr Spahn zerstörte die Legende, als ob Windthorst gegen die Vorlage stimmen würde. Es ist von der veränderten Stellung des Zentrums vielfach die Rede gewesen. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß nach meiner Meinung das Zentrum, insbesondere die Führer der Mehr⸗ heit, sich um das Vaterland wohlverdient gemacht haben dadurch, daß sie eine Verständigung über die Vorlage zu stande gebracht haben. Das ist würdig zur Seite zu stellen der Unterstützung des Bismarck bei der Schaffung des Schutzes für die nationale rbeit. Durch solches Vorgehen wird schließlich doch noch einmal die Kluft zwischen den beiden Konfessionen überbrückt werden. Ohne Beseitigung des Kulturkampfes und seiner Nach⸗ wehen wird es nicht möglich sein, den Umsturz zu bekämpfen. Die gesetzliche Festlegung der Flotte ist durchaus nothwendig. Wenn Windthorst gegen die gesetzliche Festlegung des Heeres war, so haben sich seitdem die Zeiten eben geändert. Denn die Nachfrucht des Fort⸗ schritts, die Sozialdemokratie, ist üppig ins Kraut geschossen und die Vertheidigung des Landes muß ihr gegenüber gesichert sein. Wir glauben nicht, daß neue Steuern für die Flotte nothwendig sein werden. Und wenn die Mittel nicht ausreichen sollten, so sind die schwächeren Schultern geschützt durch die feierliche Erklärung der ver⸗ bündeten Regierungen. Ein besonderes Mißtrauen brauchen wir nicht zu haben. Diejenigen, die gegen die Weltpolitik ankämpfen, kommen viel zu spät, denn Deutschland steht schon längst in der Weltpolitik. Deutschland wird auch ohne Genehmigung der Herren von der Linken seine weltgeschichtliche Mission erfüllen. Deutschland wird seine Mission in Einklang bringen müssen mit dem Schutz der nationalen Arbeit. Das ist aber nicht möglich auf dem Wege der bisherigen Handels⸗ verträge. Deutschland muß und kann bald dahin gelangen, die für seinen Bedarf erforderlichen Mittel selbst zu produzieren, wenn die Landwirthschaft genügend geschützt wird. Die Freihändler müssen

etzt einsehen, daß ihre Theorie nicht mehr aufrechtzuerhalten ist in

em Augenblick, wo England einen größeren Zollverband mit seinen Kolonien gründen will, und wo andere Staaten ihre Schutzzölle erheblich erhöhen. Wir hoffen, daß die verbündeten Regierungen den Mahnungen des Herrn Richter nicht folgen, sondern für die Interessen des Mittelstandes sorgen zum Schutz der nationalen Arbeit. Unsere Flotte wird selber vafär sorgen, daß sie, wenn sie es noch nicht ist, Fald populär wird. Abg. Fürst Radziwill (Pole): Ich möchte mir einige Be⸗ merkungen erlauben in Beantwortung der Rede des Grafen Posa⸗ dowsky auf meine Ausführungen. Der Staatssekretär hat mich daran gemahnt, Vorgänge der Landesgesetzgebung eines Einzelstaates nicht hier im Reiche zur Sprache zu bringen. Wenn es wahr ist, daß ein Einzelstaat gesetzgeberisch in der Weise vorgeht, daß er ausgesprochener⸗ maßen darauf ausgeht, einen Theil der Staatsbürger und der Reichs⸗ bürger in eine wirthschaftlich gedrücktere, beschränktere Lage zu bringen, so leidet darunter das ganze Deutsche Reich. Es ist mir daher unerfindlich, wie der Staatssekretär meinen Ausführungen widersprechen konnte. Er führte aus, daß die preußische Regierung die Polen nicht unterdrücken wolle. In seiner persönlich wohlwollenden Meinung mag er diese Ansicht haben. Aber hundertmal beredter sprechen die Thatsachen, welche seitens der preußischen Verwaltung uns auf Schritt und Tritt ent⸗ egentreten. Der Staatssekretär meinte, wenn wir die nationale Bebeutung der Flotte anerkennen und doch dagegen stimmen, so sei das ein Widerspruch. Mit äußerster Deutlichkeit habe ich mich be⸗ müht, diesem Eindruck entgegenzutreten. Ich möchte doch darauf hin⸗ weisen, daß wir den Hauptgrund unserer Ablehnung herleiten aus dem Aeternat der Polenvorlage, welche dem preußischen Abgeordneten⸗ hause jetzt vorliegt. Die Deckungsfrage hat auch für unsere wirth⸗ schaftlich niedrigstehenden Landestheile eine andere Bedeutung als für das übrige Deutschland. Das Vorgehen der preußischen Regierung, welches in ganz frivoler und unbegründeter Weise erfolgt ist, muß uns zur ablehnenden Stellung bringen.

Präsident Freiherr von Buol bezeichnet das Wort „frivol“ als unparlamentarisch.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Sie werden es mir nachfühlen, daß ich bei einer Debatte, die mit der Frage der Behandlung der Unterthanen polnischer Zunge in den ehemalig polnischen Landestheilen nichts gemein hat, nur mit äußerstem Widerstreben und zwar gezwungen noch einmal in die Debatte eingreife. (Zuruf.) Es ist wichtig, unter Umständen das letzte Wort zu haben, mein verehrter Herr

Abgeordneter!

Wenn der Herr Abg. Fürst Radziwill gesagt hat, das Verhalten der preußischen Regierung wäre ein frivoles, so muß ich das selbst⸗ verständlich mit größter Entschiedenheit zurückweisen. (Bravo! Sehr gut!) Es giebt vielleicht wenige Leute in der preußischen und Reichs⸗ verwaltung ich kann das sagen, weil ich 22 Jahre amtlich in polnischen Landestheilen thätig gewesen bin (hört, hört), die die Ver⸗

den Verhältnissen der einzelnen Personen solche Fühlung haben, wie ich es durch 22 Jahre gehabt habe.

Wenn ich auf die Angriffe des Fürsten Radziwill antworten wollte, so müßte ich indeß auf die Verhältnisse der polnischen Landes⸗ theile, auf die Stellung der polnischen Bevölkerung zur preußischen Regierung in einem Umfang eingehen, der mir mit den Verhandlungen des Reichstages durchaus unvereinbar scheint. (Sehr richtig!) Ich kann aber dem Herrn Fürsten Radziwill die Antwort nicht erlassen, daß, wenn er solche Angriffe gegen die preußische Re⸗ gierung richtet, das Verhalten eines Theils der pol⸗ nischen Bevölkerung zu den Maßregeln der preußischen Re⸗ gierung entschieden Anlaß gegeben hat. (Sehr richtig!) An dem Tage, wo die polnische Bevölkerung in ihrer Gesammtheit der preußischen Regierung die Ueberzeugung einflößen wird, daß sie sich un⸗ trennbar mit der preußischen Monarchie verbunden fühlt (sehr wahr!), sobald keinerlei Aeußerungen in der Presse und in öffentlichen Ver⸗ sammlungen mehr fallen werden, die uns die Ueberzeugung beibringen müssen, daß in vielen polnischen Herzen eine entgegengesetzte Hoffnung waltet (Zuruf), an dem Tage, wo Sie uns die Ueberzeugung beibringen werden, daß die Gesammtheit der polnischen Bevölkerung ihre ganze Zukunft nur in der Entwickelung Preußens und Deutsch⸗ lands erblickt an dem Tage wird selbstverständlich auch das Ver⸗ halten der preußischen Behörden und der preußischen Politik ein wesentlich anderes sein können. (Bravo!)

Abg. Freiherr von Hodenberg (b. k. F.): Was der Staats⸗ sekretär Graf Posadowsky gegen Herrn Roeren vorbrachte, mußten wir Welfen auch auf uns beziehen. In Hannover wird die Verstärkung der Flotte als eine deutsche Angelegenheit aufgefaßt, während die Ver⸗ stärkung der Landarmee immer als eine solche betrachtet wird, die sich einmal gegen die anderen deutschen Einzelstaaten richten könnte. ie Flotte ist deshalb an sich populär; aber wenn man von Weltmacht⸗ politik spricht, und das ist etwas anderes als Weltpolitik, so befürchtet das Volk, daß neue Steuern gefordert werden. Wir haben uns der Erkenntniß nicht verschließen können, daß gegenüber dieser Vorlage der Vorwurf der Uferlosigkeit nicht mehr erhoben werden kann. Wir haben uns für die Flottenverstärkung entschieden; aber daß wir deshalb uns binden sollen, halten wir nicht für nothwendig. Wir verlangen dasselbe Vertrauen seitens der Regierung, welches sie für sich verlangt. Wir werden daher gegen die Bindung stimmen. Der wirthschaftliche Aufschwung, von dem Herr von Kardorff sprach, ist erst in der Aera der Handelsverträge eingetreten. Wir würden zufrieden sein, wenn wir das Vertrauen zur Regierung hätten, daß wir mit Pauschquanten wirthschaften könnten. Es ist nicht meine Aufgabe, die Abstimmung des Zentrums zu kritisieren. Psychologisch merkwürdig ist, daß in dem Augenblick, wo der chauvinistische Gedanke im Absterben begriffen ist, er vom Zentrum wieder ins Leben gerufen wird. Windthorst hat unter Umständen auch lange und geschickte Rückzugsreden halten können. Aber wir wollen uns ein Wort von ihm zu eigen machen, das ich hiermit der Majorität des Reichstages, welche die Vorlage genehmigen wird, empfehle; er sagte nämlich: jedem Versuche, die Rechte des Volkes zu schmälern, müsse ein unbeugsamer Widerstand entgegengesetzt werden.

Abg. Rickert (fr. Vgg.): Von chauvintstischen Gedanken habe ich im Zentrum nichts gemerkt. Es handelt sich lediglich um die Vertheidigung des Vaterlandes. Ich habe keine andere Partei provo⸗ ziert; meine Ausführungen waren nur eine Antwort auf die Rede des Abg. Galler. Ich habe davon gesprochen, daß die Parteischablone bei Fragen der Landesvertheidigung nicht gelten soll. Darin soll ein un⸗ berechtigter scharfer Angriff liegen. Eine feindliche Landung wird schwer möglich sein, aber ein Bombardement der Küstenstädte wäre möglich, wenn nicht eine Küstenflotte vorhanden ist. Als der Kontre⸗ Admiral Tirpitz über diese 8 sprach, wo waren Herr Bebel und Herr Richter? Aber hier, wo wir über die unter dem Amtsgeheimniß mitgetheilten Dinge nicht reden können, kommen sie mit ihren Angriffen gegen mich. Was foll man dagegen machen, wenn Herr Richter einzelne Stellen ohne jeden Zu⸗ sammenhang aus meinen Reden herausgreift? Was würde Herr Richter sagen, wenn ich das mit seinen Reden machen wollte? Bei der letzten Militärvorlage hat er von neuen Steuern ge⸗ sprochen. Wo sind denn die neuen Steuern? Wenn der Plan der Regierung zur Durchführung kommt, dann haben wir immer erst eine halb so große Flotte wie Frankreich. Das wird Deutschland wohl noch bezahlen können. Die Scozialdemokraten wollen keine Flotte und kein Heer. Herr Bebel sollte darauf achten, daß der „Vorwärts“ nicht solche Dinge schreibt wie, daß die Schweiz durch die sie um⸗ gebenden Staaten gezwungen sei, für ihre Vertheidigung etwas zu thun. Was der kleinen Schweiz recht ist, sollte doch dem Deutschen Reiche billig sein. Ich wollte mich nur rechtfertigen, wenn ich heute unter absolut veränderten Verhältnissen einen anderen Standpunkt einnehme als früher. Heute liegt ein fester und klarer Plan vor, der nicht über die finanziellen Kräfte des Landes hinaus⸗ geht. Ich werde daher mit voller Ueberzeugung für den materiellen Theil der Vorlage stimmen.

Abg. Bindewald (Reformp.): Ich bin mir der Schwierigkeit meiner Aufgabe bewußt. Wir können den Ausführungen des Herrn Liebermann von Sonnenberg zum großen Theil beipflichten. Es sind durchaus nationale Gesichtspunkte, welche die Mehrheit meiner Freunde veranlassen, für die Vorlage einzutreten. Ich nehme aber nationale Gesichtspunkte auch für die Minderheit unserer Partet in Anspruch. Aus der Rede des Herrn von Levetzow habe ich nicht ent⸗ nommen, daß nach Annahme der Vorlage bessere Tage für die Landwirthschaft anbrechen werden. Die Annahme der Marinevorlage wird uns noch mehr als bisher zur Ent⸗ wickelung Deutschlands als Industriestaat drängen und damit auf die Bahn der Handelsverträge. Unsere Landwirthe können bauen, was sie wollen, sie können ihre Produkte nicht absetzen, weil die hre. dukte des Auslandes ihnen Konkurrenz machen. Unsere Ausfuhr besteht in Industrieerzeugnissen; das alles bestätigt uns die Vermuthung, da man Deutschland zum Industriestaate machen will. Wir halten diese Politik für die falscheste, die wir uns denken können; denn Deutsch⸗ land steht und fällt mit seinem Bauernstande. Es ist nur so lange unabhängig, als es das erzeugt, was es braucht. Die Entwickelung zum Industriestaate bedeutet den Untergang Deutschlands. Das ver⸗ anlaßt die Minderheit meiner Freunde, gegen die Vorlage zu stimmen. Wenn uns bindende Zusagen bezüglich der Landwirthschaft gemacht worden wären, so hätte die Sache vielleicht ein anderes Angesicht bekommen. Die Landwirthschaft ist der Jungbrunnen, aus dem ein Volk frische Kraft schöpft.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Ueber unsere Stellung zum Marine⸗ Etat konnte nach meiner Erklärung kein Zweifel obwalten. Wir wollten laut Fraktionsbeschluß alle ersten Raten mit Ausnahme von zweien bewilligen. Herr Rickert hat die Landungsgefahr und die Gefahr des Bombardements jetzt für die Flottenvorlage geltend emacht. Warum hat er das nicht schon früher Pthan; In der ommission ist davon gar keine Rede gewesen. Aber sind nicht dafür die Küstenbefestigungen vorhanden und die Torpedoflotte? Alles, was Herr Rickert früher vorgebracht hat, gilt auch heute noch. Herr von Bennigsen hat am Donnerstag aus⸗ eführt, daß man in keinem Parlament der Welt eine derartige Bpposshion in Fragen der Landesvertheidigung kenne. In keinem Lande der Welt ist es üblich, sich derartig auf das Ausland zu berufen und es als Muster hinzustellen, wie es hier der Fall ist. Eine solche Bindung des Etats, wie sle dieses Gesetz bringt, ist in keinem Staate einem Parlament auch nur angesonnen worden. In England herrscht das Parlament, ebenso in Frankreich, wo das arlament sich viel tiefer in die Dinge einmischt als bei uns. Die

igenartigkeit unserer Verhältnisse nöthigt aber zu unserem Vorgehen. Die Strömung ist zwar gegen mich gewesen, aber während dreißig

Jahre Phabe ich zur Abstellung mancher Mißbräuche ein erhebliches

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Theil beigetragen. Die Regierung wäre nicht zur zweijährigen Dienst⸗ zeit gekommen, wenn wir nicht darauf hingedrängt hätten. Herru von Bennigsen muß ich den Vorwurf machen, daß er nicht seinerseits Widerstand genug entwickelt hat, sonst hätten wir mehr konstitutio⸗ nelle Zugeständnisse erreicht. Durch den hannoverschen Flügel der Nationalliberalen sind manche Beschränkungen in die Verfassung ge⸗ kommen, die wir hätten vermeiden können. Dieses Uebel hat weiter um sich gegriffen und greift jetzt auf die Marine über. Herr von Bennigsen erschwert durch sein Verhalten den Widerstand gegen die Maßregeln der Regierung noch mehr. Man stellt es so dar, als wenn wir gegen alle militärischen Forderungen gestimmt hätten. Das macht nach außen einen gewissen Eindruck, weil wir da, wo wir zustimmen, keine großen Worte machen, z. B. bei der großen Artillerieforderung des vorigen Jahres. Die 4000 neuen Kanonen predigen mehr das Evangelium, von dem neulich die Rede gewesen ist, als die ganze Flotte. Nationale Fragen sind alle Fragen, die wir hier behandeln; denn bei allen Fragen leitet uns der Wunsch, für das Beste der Nation zu wirken.

Abg. Dr. von Bennigsen (nl.): Die Diskussion ist ja er⸗ schöpft. In England machen die Führer der Parteien, die sonst die Opposition auf das Schärfste betreiben, wenn sie die Gegenpartei in der Regierung stürzen wollen, solche Fragen der nationalen Ver⸗ theidigung und ähnliche Fragen niemals zum Gegenstand der Oppo⸗ sition. Herr Richter meinte, ich hätte die Interessen des Parlaments preisgegeben. Ich bin mit meinen Freunden anderer Stimmung ge⸗ wesen als Sie und Ihre Freunde, Herr Richter. Ich habe auf dem Standpunkt gestanden, daß es in den neuen Ver⸗ fassungseinrichtungen in Deutschland nichts Gefährlicheres und Verhängnißvolleres hätte geben können, als die Kraftprobe gegenüber der Regierung auf das Gebiet der Landesvertheidigung zu verlegen. Wenn Herr Richter mir vorwirft, ich hätte wiederholt durch die Art und Weise, wie ich Personen und Parteien angriffe, zur Verbitterung der Parteien beigetragen, so muß ich doch sagen: mit Herrn Richter verglichen, fühle ich mich von aller Schuld frei. Der Grundsatz „noblesse oblige“ kann auch einmal auf diese Dinge Anwendung finden, und ich will Herrn Richter in seiner Minderheit gern lassen, daß er das letzte große Wort in dieser Angelegenheit gehabt hat.

Abg. Bebel (Soz.) bemängelt nochmals die Bindung des Reichstages durch das Gesetz, welche er für überflüssig erklärt, da das Zentrum Regierungspartei geworden sei, und es auch nach den nächsten Wahlen bleiben werde.

Abg. Graf von Mirbach (d. kons.): Namens meiner Freunde habe ich dem Staatssekretär der Marine zu erklären, daß, so werth⸗ voll seine Ausführungen über die Flotte waren, wir seinen wirthschaft⸗ lichen Ausführungen doch nicht zustimmen können. Seine Aus⸗ führungen sind wohl nur dahin zu verstehen, daß gegenwärtig Nahrungsmittel eingeführt werden müssen. Wir sind Gegner der Deckungsfrage; deshalb ist die Auffassung, die Herr Schmidt⸗Warburg in Uebereinstimmung mit Herrn Lieber ausgesprochen hat, für uns indiskutabel. Ich würde die Frage der Deckung noch schärfer als meine Freunde zurückgewiesen haben, wenn nicht die Herren aus dem Zentrum darauf Werth legten, um die nationale Vorlage für sie annehmbar zu machen. Ich befinde mich damit in Uebereinstimmung mit meinen Freunden im ganzen Lande.

Abg. Graf von Arnim (Rp.): Herr Richter bezeichnete die vertraulichen Mittheilungen in der Kommission als ein Kunststück; es habe sich dabei garnicht um geheime Dinge gehandelt. Ich will doch darauf hinweisen, daß die Herren Richter und Bebel dagegen kein Wort der Erwiderung hatten. In Bezug auf die Bindung hat das englische Parlament der Regierung viel weitergehende ertheilt: auf 7 Jahre sind 400 Millionen bewilligt worden, nicht unter jährlicher Prüfung, sondern nur unter Rechnungslegung. Die Nationalversammlung zu Frankfurt hat 1848 sich für die planmäßige Schaffung einer Flotte, der eine unabhängige Stellung angewiesen werden müsse, ausgesprochen. Diese unabhängige Stellung wollen wir schaffen. Es handelt sich dabei um eine

große nationale Frage; diese Empfindung wird besonders getheilt von 8

den Deutschen im Auslande, unter denen es keine Herren giebt, die der uferlosen Negation sich zuneigen. In dem amerikanischen Bürger⸗ kriege hat die Blockade in den Südstaaten die Wirkung gehabt, daß die Soldaten der Süd⸗Armee auf Viertelrationen sesett wurden. Die Sozialdemokraten sind allerdings konsequent in ihren Gefühlen bezüglich der Vaterlandsliebe, und dabei steht ihr Gefühl unter dem Gefrierpunkt. Ich freue mich, daß die Kämpfe um die Flotte auf⸗ hören, und im Innern freuen sich die Herren von der Linken ebenso; denn sie haben das Gefuͤhl, daß die Mehrheit der Bevölkerung für die Vermehrung der Flotte ist. Die Anträge zur Deckungsfrage sind nur ein Rückzugsmanöver. 3

Nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Liebermann

can

von Sonnenberg, Richter, Ahlwardt und Rickert

wird nach 5 Uhr die Debatte geschlossen.

Die einzelnen Paragraphen werden angenommen, ebenso schließlich die Vorlage im Ganzen.

Es folgt die Berathung des folgenden, von allen Parteien, mit Ausnahme der Sozialdemokraten und der Welfen, unter⸗ stützten schleunigen Antrages der Abgg. Dr. von Levetzow und Genossen:

„Die verbündeten Regierungen zu ersuchen: 1) wegen Er⸗ richtung eines Standbildes für den Hochseligen Kaiser

Friedrich auf Reichskosten dem Reichstage baldigst eine Vorlage

zu machen, in welcher auch die Kosten der Vorarbeiten in ange⸗ messener Höhe erfordert werden; 2) die Entscheidung über die Ge⸗ staltung des Standbildes und über den für dasselbe zu wählenden Vla der Entschließung Seiner Majestät des Kaisers anheim u eben.“

Abg. Dr von Lepetzow (d. kons.): Die Namen aus allen Par⸗ teien des Hauses, die sich unter dem Antrage befinden, überheben mich der Begründung des Antrags vor dem Reichstage. Ein deutsches Herz erwärmt nichts so und nichts regt die Begeisterung so an, als Heldenthum und Tragik. Beides war vereint im Leben und Sterben unseres Kaisers Friedrich. Wenn Sie dem Antrage Fee.; zu⸗ stimmen, so erfüllen Sie eine Pflicht der Dankbarkeit des Vater⸗ landes, und ich sollte meinen, in solcher Pflichterfüllung könnten wir und sollten wir einmüthig sein.

Abg. Singer (Soz.): Meine Freunde können dem Wunsche des Antragstellers nicht nachkommen. Unsere Grundsätze und Anschauunge über das herrschende System und die leitenden Persönlichkeiten ver⸗ bieten uns, Mittel zu bewilligen, welche für eine monarchische Ovation bestimmt sind. Gegenüber dem ersten Theil der Aus⸗ führungen des Antragstellers muß ich sagen, daß es als ohn erscheint, wenn man von dieser Seite aus den Antrag in der Zeis begründen hbört, welche Kaiser Friedrich regierte, die e und die sozialdemo⸗ kratische Presse ihn gegen die Rüpeleien der konservativen Presse in Schutz nehmen mußten. (Präsident Freiherr von Buol ruft den Redner zur Ordnung.) habe bezüglich der konservativen Presse gebraucht. 3 8

Abg. Beckh (fr. Volksp.): Als Süddeutscher kann ich dem An⸗ 1rage nur vollkommen zustimmen. Wir Süddeutschen haben die Heldengestalt des Kaisers Friedrich begrüßt als einen Mann, der sich

die Herzen des Volkes zu gewinnen verstand. Gerade weil wir so

denken, würden wir wünschen, daß das Denkmal auf einem Platze aufgestellt wird, wo jeder, der aus Süddeutschland hierher kommt, es sofort erblickt. . Der Antrag wird darauf gegen die Stimmen der Soziab⸗ demokraten und Welfen angenommen. Schluß 5 ½ Uhr. Naͤchste Sitzung Dienstag 12 Uhr. (Rechnungen und dritte Lesung des Etats.) . ¹

während feststeht, daß während der 99 Tage,

den Ausdruck Rüpeleien nur

Ueber den Beginn der Sitzung Nummer d. Bl. berichtet worden.

Namens der Finanzkommission berichtet Freiherr von Durant über den Antrag des Ober⸗Bürgermeisters Zweigert⸗ Essen: die Regierung aufzufordern, in den Staatshaushalt für 1898/99 diejenigen Mittel einzustellen, welche nothwendig sind, um den an den von dem Staat und anderen gemeinschaftlich zu unterhaltenden höheren Lehr⸗ anstalten angestellten Direktoren und Lehrern diejenigen Gehaltsbezüge vom 1. April 1897 ab zu

ewähren bezw. nachzuzahlen, welche die an den rein taatlichen Anstalten angestellten Lehrpersonen seit diesem Fe beziehen. Der Berichterstatter beantragt, den

ntrag abzulehnen und die Petition des Magistrats in Glei⸗ witz um Regelung der Gehälter des Leiters und der Lehrer an der dortigen Königlichen Ober⸗Realschule durch die Ab⸗ lehnung des Antrags für erledigt zu erklären. Nach dem Referat des Berichterstatters handelt es sich hierbei nur um sechs Kompatronatsanstalten, nämlich in Breslau, Gleiwitz, Merseburg, Bielefeld, Essen und Aachen.

Wirklicher Geheimer Ober-Finanz⸗Rath Dr. Germar bemerkt, daß die Regierung von vornherein den Lehrern der Kompatronatsanstalten vom 1. April 1898 ab die Gehaltserhöhung habe gewähren wollen, wenn die Verhandlungen mit den Städten über die Neuordnung der Besoldungsverhältnisse abgeschlossen seien, daß aber solchen Beschlüssen eine rückwirkende Kraft nicht gegeben werden könne; dagegen sprächen budgetrechtliche Bedenken. Keineswegs seien aus Versehen, wie man diese Lehrer bei der Gehaltsaufbesserung unberücksichtigt Ober⸗Bürgermeister Zweigert erkennt die Gründe der Regierung geen seinen Antrag nicht als durchschlagend an, streicht aber mit

ücksicht auf die budgetären Bedenken die Worte „in den Staats⸗ haushalt für 1898/99“ in seinem Antrag und ersetzt das Wort „ein⸗ zustellen“ durch „bereitzustellen“. Es liege auf jeden Fall eine un⸗ gerechte Behandlung der Lehrer der Kompatronatsanstalten vor, und er bitte daher um Annahme seines Antrags.

Wirklicher Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Dr. Germar hebt noch⸗ mals hervor, daß die Regierung nicht anders habe handeln können und an dem Grundsatze streng festhalten müsse, daß die Gehaltsaufbesserungen immer erst mit dem Beginn des neuen Etatsjahrs eintreten können. Würde in diesem Falle rückwirkende Kraft beschlossen, so würde eine ganze Fluth von Klagen anderer Beamten kommen. Es könne auch nicht die eine oder andere Kompatronatsanstalt vorweg berücksichtigt werden; es stehe noch nicht fest, ob z. B. Breslau auch seinerseits die Gehaltsaufbesserung durchführen wolle.

Ober⸗Bürgermeister Becker⸗Köln spricht sich für den Antrag Zweigert aus. Für die Elementarlehrer sei seiner Zeit die Gehalts⸗ aufbesserung zurückdatiert worden, hier solle dies mit einem Mal nicht gehen. Jetzt, wo der Staat reichlich Geld habe, könne man den Lehrern an den Kompatronatsanstalten die erhöhten Bezüge wohl gönnen.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:

Ja, meine Herren, der Herr Finanz⸗Minister sowohl wie ich würden ja den Lehrern gewiß sehr gern das gönnen, daß sie für das Jahr noch die Beträge bekommen. Die Bedenken, die dagegen sprechen, sind aber schwer, so schwer, daß ich Ihnen nur rathen kann, dem Antrage der Kommission zu folgen.

Meine Herren, der ganze Antrag des Herrn Ober⸗Bürgermeisters Zweigert ist verspätet, er hätte im vorigen Jahre eingebracht werden müssen, als die Staatsregierung sagte: Genau so wie wir es im Jahre 1872, früher gemacht haben, wollen wir jetzt zunächst die Lehrer an den staatlichen Anstalten, also nur die unmittelbaren Staats⸗ beamten, in Konsequenz der Gehaltserhöhung aller unmittelbaren Staatsbeamten aufbessern. Damals waren Zweifel zu er⸗ heben. Darüber bestand kein Zweifel, daß die Lehrer an Kompatronatsanstalten nicht zu den unmittelbaren Staats⸗ beamten gehören. Damals hätten die Bedenken geltend ge⸗ macht werden müssen, dann hätte man ihnen etatsmäßig Rechnung tragen können, wenn man einen Billigkeitsanspruch hätte anerkennen wollen. Ich will einen solchen garnicht bestreiten. Es ist wahr, daß die Analogie auf den ersten Blick dafür zu sprechen scheint. Aber andererseits: muß denn alles gleich behandelt werden? Das ist die Konsequenz des Herrn Ober⸗Bürgermeisters Zweigert, daß alles über einen Kamm geschoren, vollständig gleichmäßig behandelt werden soll; und das läßt sich nach meiner Ueberzeugung nicht durchführen. Das soll man auch nicht durchführen wollen. Es ist niemals durch⸗ geführt, und da sich diese Sache für dieses Jahr garnicht mehr machen läßt wir haben ja das Geld nicht, wo soll es her⸗ genommen werden? so sage ich: warum sollen diese Lehrer an den Kompatronatsanstalten, die nicht reine Staatsanstalten find, nicht mit den Lehrern an den subventionierten, nicht⸗staatlichen Anstalten gleich behandelt werden? Diese bilden doch auch eine große Anzahl von Lehrern, die dann kommen und sprechen würden: wenn ihr unsern Kollegen an diesen sechs Anstalten einen Billigkeits⸗ oder Gerechtigkeitsanspruch zugesteht, daß ihnen rückwärts für ein Jahr nochmals das erhöhte Gehalt gewährt wird, warum gebt ihr es uns nicht auch, warum zwingt ihr die Städte nicht? Das letztere haben wir nicht gewollt, weil wir den Gemeinden gegenüber Billigkeit walten lassen wollten und sie nicht zu Ausgaben nöthigen wollten, unter denen sie vielleicht in großer Zahl erlegen wären. Bei dem Lehrer⸗ besoldungsgesetz hat es ganz anders gestanden. Da waren es nicht bloß die Städte und Gemeinden, denen die Lasten auferlegt wurden, sondern da stellte auch der Staat seinen Zuschuß vom 1. April vorigen Jahres zur Verfügung. So liegt hier die Sache nicht. Deshalb möchte ich Sie dringend bitten, lassen Sie es dabei, wie es immer gewesen ist. Nicht so liegt die Sache, daß die Kompatronatsanstalten in allen ihren Rechtsverhältnissen vollständig gleich behandelt werden mit den nicht⸗ staatlichen Anstalten, aber so liegt die Sache, daß die Verhältnisse

der Lehrer an diesen Kompatronatsanstalten je und je in Preußen gleichmäßig pari passu behandelt worden sind mit den Verhältnissen der Lehrer an den nicht subventionierten Anstalten. Ist das immer geschehen, so wird es auch jetzt geschehen können. Die Staatsregierung hat die Mittel jetzt zur Verfügung gestellt, sie sind eingestellt für alle die Anstalten, die im vorigen Jahre nicht be⸗ rücksichtigt worden sind; es können nunmehr diese Aufbesserungen mit staatlichen Beihilfen durchgeführt werden. Das sind Dinge, die auch im anderen Hause vollkommen Anerkennung gefunden haben. Ich kann wiederholen, was der Herr Kommissarius schon ausgeführt hat: wenn Sie anders beschließen, so bringen Sie die Regierung in die Lage, einem Beschluß gegenüberzustehen, dem sie nach ihrer ganzen etatrechtlichen Grundanschauung garnicht Rechnung

ist in der gestrigen

tragen kann, wenn sie nicht alles über den Haufen stürzen will, was

wir bisher als etatrechtliche Ordnung angesehen haben. Das ist doch für ein Parlament ein außerordentlich schwerwiegendes Bedenken, und man muß sich die Sache genau ansehen, ehe man die Regierung in iese Bahn drängt. Darauf würde man in künftigen Zeiten nur zu leicht wieder zurückkommen können. Wie die Dinge liegen, kann ich Ihnen nur empfehlen, es bei den Beschlüssen Ihrer Kommission zu belassen und ihnen zu folgen.

Graf von Zieten⸗Schwerin warnt vor der Annahme des Antrags Zweigert, dessen Konsequenzen sich noch garnicht übersehen ließen. Der laufende Etat sei doch abgeschlossen und lasse sich nicht mehr ändern.

Ober⸗Bürgermeister Bender⸗Breslau bemerkt, daß Breslau gerade mit Rücksicht auf das Verhalten des Staats gegenüber den Kom, patronatsanstalten die Aufbesserung seinerseits abgelehnt habe, weil der Staat auch nichts für die Kompatronatsanstalten thun wolle. Auch bezüglich der Reliktenversorgung der Lehrer mache der Staat die größten Schwierigkeiten. Weder das finanzielle, noch viel weniger das formelle Bedenken dürfe ausschlaggebend sein. 1

Ober⸗Bürgermeister Zweigert bemerkt, daß die Lehrer der Kompatronatsanstalten, welche „Königliche Lehrer’ an „Königlichen Anstalten“ seien, nicht begreifen könnten, weshalb sie anders behandelt würden, als die Lehrer an den rein staatlichen Anstalten und auch die Lehrer der städtischen Anstalten in derselben Stadt.

Graf von Zieten⸗Schwerin bestreitet, daß der Staat seiner⸗ seits nicht den Zuschuß für die Lehrer der Kompatronatsanstalten zahlen wolle. Die Verschiedenheit in derselben Stadt sei ja unan⸗ senehm⸗ aber wie solle es sonst in Breslau gemacht werden, wo es taatliche, Kompatronats⸗ und städtische Anstalten gebe?

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Der Herr Ober⸗Bürgermeister Bender hat eigentlich für uns plaidiert, denn er hat eine ganze Menge Unter⸗ schiede festgestellt, die zwischen den Kompatronatsanstalten und reinen Staatsanstalten bestehen. Wenn Herr Ober⸗Bürgermeister Bender gemeint hat, daß es wohl zu erwägen wäre, ob man die ganzen Ver⸗ hältnisse der Kompatronatsanstalten ändern möge, so stimme ich ihm insoweit vollkommen zu, daß ich auch nicht gerade für diese Ver⸗ hältnisse schwärme. Communio est mater insidiarum! Das be⸗ währt sich auch bei diesen Anstalten, die gemeinsam vom Staat und Anderen unterhalten werden. Meine Herren, das sind aber alte, historisch gewordene Verhältnisse, und daran zu rütteln, und eine neue Ordnung herzustellen, ist überaus schwer, wenn man da nicht fremde Rechte verletzen will. Das kann der Staat nicht einseitig thun, das ist ganz selbstverständlich, denn er muß mit den Korporationen, die ihm zur Seite und gegen⸗ überstehen, verhandeln und sehen, wie er sich mit ihnen einigt. Wir sind schon bei einigen dieser Anstalten in Verhandlungen über eine solche Einigung begriffen. Meine Herren, das ganze Verlangen, wie es in diesem Antrage des Herrn Ober⸗Bürgermeisters Zweigert zu Tage tritt, hat eigentlich zur Voraussetzung, daß diese Anstalten, diese Kompatronate, im wesentlichen doch genau so anzusehen sind, wie die staatlichen. Aber dies ist nicht der Fall. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß die Pensions⸗ und Reliktenbezüge bei ihnen nicht aus der Staatskasse, sondern aus Anstalts⸗ oder besonderen Fonds, die zu diesem Zwecke besonders gebildet sind, bestritten werden. Ferner, daß den Lehrern, wenn sie an eine unmittelbare Staatsanstalt versetzt werden, ein gesetz⸗ licher Anspruch auf Gewährung von Reise⸗ und Umzugskosten nicht zusteht (Ruf: Doch!), ein Zeichen, daß man sie niemals als unmittelbare Staatsbeamte, wie die Lehrer an den staat⸗ lichen Anstalten behandelt hat. Ein weiterer Unterschied ist, daß die an den Kompatronatsanstalten zurückgelegte Schuldienstzeit den als Beamten in den unmittelbaren Staatsdienst übernommenen Lehrern bei der Pension zwar angerechnet werden kann, daß diese Anrechnung aber ausdrücklicher Königlicher Genehmigung bedarf. Und endlich wollen wir doch fragen: Wer ernennt denn die Lehrer? Da sind die Verhältnisse ganz verschieden. In Breslau und Gleiwitz steht das Lehrerwahlrecht dem Kuratorium zu, in Merseburg dem Domkapitel, und nur bei der Berufung des Rektors und Prorektors alternierend mit dem Staat; jedoch stellt das Domkapitel wieder die Vokation aus, selbst wenn der Staat ernannt hat. Das ist doch keine Staatsanstalt. Da besteht doch ein himmelweiter Unterschied. Aehnlich ist es in Bielefeld, wo das Kuratorium das Lehrerwahlrecht hat, und noch bei anderen Anstalten, namentlich in Essen, wo der Rektor vom Staat ernannt wird, die Oberlehrer alternierend, ebenso die technischen und die Hilfslehrer vom Staat. In Aachen am Karlsgymnasium werden der Direktor und die Hilfslehrer vom Staat ernannt, die Oberlehrer schlägt der Verwaltungsrath vor, und die städtischen Be⸗ hörden, wenn ich nicht irre, wählen. Aus alledem geht hervor, daß erhebliche Unterschiede zwischen den staatlichen und Kompatronats⸗ anstalten bestehen. Aber darüber würde man hinwegkommen können.

Es ist ja richtig, daß man den Lehrern das gönnen könnte, wenn nicht die schwersten Bedenken vorlägen, die Herr Graf von Zieten⸗ Schwerin so außerordentlich richtig dargestellt hat. Ich würde mich als Mitglied des Herrenhauses bedenken, für den Antrag Zweigert zu stimmen, auch wenn es sich nicht um die Summe von 35 000 handelte, vielmehr schon bei der Summe von 3500, bei 350, ja bei 35 In diesen großen Dingen soll man nicht nach der Größe und Geringfügigkeit der Summe fragen, sondern nur darnach, ob es dem Prinzip einer geordneten Finanzverwaltung entspricht. Und zu einer Ordnung, wie sie in unserer Finanzverwaltung stabiliert ist, gehört auch, daß aus den für die Zukunft bereit stehenden Mitteln rückwärts nicht geholfen werden kann. Ich kann deshalb nur bitten, bleiben Sie bei dem Beschlusse Ihrer Kommission.

Wirklicher Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Dr. Germar hebt noch⸗ mals die budgetrechtlichen Bedenken hervor.

Ober⸗Bürgermeister Bender bemerkt, daß er in diesem Falle arnicht für Breslau gesprochen habe, da Breslau die Sache abgelehnt abe, also nicht getroffen werde.

Ober⸗Bürgermeister Fuß⸗Kiel hält es nicht für unzulässig, die Gehaltsaufbesserung zurückzudatieren. Die Städte hätten auch für

ihre Anstalten die Gehaltsaufbesserung nachzahlen müssen und seien dazu vom Staat indirekt gezwungen worden.

Nach einigen weiteren Bemerkungen des Grasen von ieten⸗Schwerin und des Berichterstatters Freiherrn von urant wird der Antrag Zweigert abgelehnt und die Petition für erledigt erklärt.

Mehrere Petitionen um Regelung der Gehaltsverhältnisse der Leiter, Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen höheren Mädchen⸗ schulen und an den öffentlichen Mittelschulen sowie der für Mittel⸗ schulen bezw. F. rectoratu geprüften Lehrer an den Realschulen und um gesetzliche Anerkennung der den Bestimmungen über das Mädchenschulwesen vom 31. Mai 1894 entsprechenden Mädchenschulen als höhere Lehranstalten werden auf Antrag des Berichterstatters der

Petitionskommission Freiherrn von Bodenhausen⸗Degener der Regierung als Material überwiesen. T. ernfctht m.

Bezüglich der Petition des Generals von Brauchitsch namens des Berliner Männerbundes zur Bekämpfung der Unsittlichkeit um Unterstützung der Bestrebungen zur Bekämpfung der Unsittlichkeit namentlich im Sinne der sogenannten lex Heinze beantragt der Be⸗ richterstatter der Petitionskommission Herr von Platen: in Er⸗ wägung, daß bereits der Reichstag mit der Berathung des Gesetzent wurfs beschaͤftigt ist und der Vertreter der Regierung in der Kom missionssitzung erklärt hat, daß die preußische Staatsregierung da Zustandekommen eines diesbezüglichen Gesetzes ernstlich zu fördern be⸗ strebt ist, über die Petition zur Tagesordnung überzugehen. Der Referent berichtet eingehend über die Kommissionsverhandlungen und bemerkt, daß es nach der Ansicht der Kommisston neben der Ver⸗ schaärfung der Strafparagraphen gegen die Unsittlichkeit auch auf die christliche Erziehung des Volks ankomme.

Freiherr von Durant meint, daß die dauernde Heilung der Schäden, welche die Petition veranlaßt hätten, nur von innen herau erfolgen könne, daß mit staatlichen Machtmitteln nichts erreicht werde vielmehr der Staat bei allen gesetzgeberischen Schritten auch die sitt liche Seite wahrnehmen müsse.

Ober⸗Bürgermeister Struckmann⸗Hildesheim bemerkt dagegen daß der Staat auch mit seinen Machtmitteln die Unsittlichkeit be kämpfen müsse.

Das Haus beschließt nach dem Antrage des Berichterstatters.

Ueber die Petition der Frau Hanna Bieber⸗Böhm und des Rechtsanwalts A. Goldschmidt in Berlin namens des Vereins „Jugendoschutz“ um Beseitigung der Schutzlosigkeit der Frauen wie der zunehmenden sittlichen Gefährdung der Jugend, insbesondere um Anstellung von Polizeimatronen und weiblichen sowi Errichtung von Zwangserziehungshäusern, Kinderhorten und Volks kindergärten beantragt Berichterstatter Herr von Platen mit Rück sicht auf die Erklärungen des Regierungs⸗Kommissars in der Kom missionssitzung zur Tagesordnung überzugeben.

Das Haus beschließt ohne Debatte demgemäß.

Schluß gegen 4 ½ Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 12 Uhr. (Kleinere Vorlagen. Gesetzentwurf, betreffend die Zentral⸗Genossenschaftskasse. Ansiedelungsgesetz für West⸗ preußen und Posen. Petitionen.) 1

Haus der Abgeordneten. 57. Sitzung vom 28. März 180. Auf der Tagesordnung steht die dritte Berathung des Staats haushalts⸗Etats für 1898/99.

Ueber den ersten Theil der Debatte ist schon berichtet worden.

In der Spezialberathung macht beim Etat des See⸗ handlungs⸗Instituts

Abg. Lückhoff (fr. kons.), wie hier kurz wiederholt sei, darau Vneeht daß die Seehandlung infolge der ungünstigen Ergeb nisse der Landesflachsspinnerei in dem letzten Jahre eine bedeutend Unterbilanz aufgewiesen habe, so daß man beinahe in Zweifel komme könne, ob dieses Institut noch aufrecht zu erhalten sei. Erfreulich sei es, daß die Staatsegierung in den letzten Jahren den inländischen Flachs⸗ bau begünstigt habe; es müsse aber noch mehr geschehen in Bezug auf das Röstverfahren.

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Zu meinem Bedauern ist der Dezernent der Seehandlung nicht anwesend; ich bin daher nicht in der Lage, auf diese speziellen Fragen, die soeben erörtert sind, genau antworten zu können.

Der Herr Vorredner hat gemeint, es sei doch mindestens zweifel⸗ haft, ob es rathsam sei, dieses Institut weiter beizubehalten, da es keine Rente liefere, vielmehr zeitweilig mit erheblicher Unterbilanz arbeite. Diese Frage ist auch in der Regierung oft erwogen worden, und ich kann sagen: ich bin über diese Spinnerei auch wenig erfreut, und die gestellte Frage läßt sich noch weiter erwägen; aber der gegen⸗ wärtige Augenblick scheint mir doch nicht der geeignete zu sein. Diese Fabrik war total veraltet; genügende Einrichtungen, moderne Maschinen waren nicht vorhanden, und da haben wir uns entschlossen, sie vollständig umzubauen und den modernen Anforderungen entsprechend herzustellen. Das ist nun noch nicht mal ganz zu Ende, und ich glaube nicht, daß der Herr Vorredner darin Recht hat, daß es möglich gewesen sei, während dieses vollständigen Umbaues die alte Fabrik in vollem Gang und Betrieb zu erhalten. Es sind sehr große Störungen und Hindernisse dadurch entstanden, und dadurch erklärt sich auch das Defizit, welches gerade in diesem Jahre in so hohem Maße stattgefunden hat. Im Jahre vorher war sie eben in einem Zustand, daß sie überhaupt nichts verdienen konnte, da habe ich gesagt: entweder muß sie verkauft werden, oder wir müssen für eine ordnungsmäßige Einrichtung sorgen. Das letztere ist erfolgt, und man muß nun erst abwarten, welche Erfolge sich ergeben werden.

Ich habe übrigens schon vor längerer Zeit die Seehandlung an⸗ gewiesen, dafür zu sorgen, daß dem inländischen Flachsbau nach allen Richtungen hin Förderung zu theil werde, und namentlich auch mit der Frage der Unterstützung des neuen Röstverfahrens nach allen Richtungen hin sich eingehend zu beschäftigen. Die Staatsregierung unterstützt ja schon eine private Versuchs⸗ anstalt, und wir erreichen dabei vielleicht mehr, als wenn wir nach dem Wunsche des Herrn Vorredners dem Direktor den Befehl geben, seinerseits neue Erfindungen zu machen und in dieser Beziehung mehr zu leisten als ein Spezialist, der sich besonders auf diese Frage ge⸗ worfen hat. So weit sind wir im preußischen Staat noch nicht, daß unsere Beamten nicht bloß korrekt verwalten, sondern daß wir ihnen auch aufgeben können, Erfindungen zu machen. Die Erfindungen entstehen auf eine andere Weise, und die Verpflichtung, Erfindungen zu machen, kann man doch den Beamten nicht auferlegen.

Wenn aber solche Wünsche an das Institut geknüpft werden wie der Herr Vorredner es that, so muß ich sagen, daß dann aller dings die Frage gerade wird zurücktreten müssen, ob das ganze Unter nehmen aufzugeben ist. Ich bin der Meinung, daß die Spinnerei möglichst so eingerichtet werden muß, daß sie als Muster⸗Institu dienen kann. Solche Staatsinstitute müssen nach meiner Meinung auch mal Experimente und Versuche machen, vor denen sich ein Privatunternehmer scheut. Die ganze Sache werden wir im Aug behalten. Ich bedaure, daß ich keine detailliertere Auskunft ertheilen kann. Beim Ordinarium des Etats der Eisenbahnverwal tunh hausen (kons.) ei d

.von Riepenhausen (kons.) eine a Miethecntschäbigungen für die N⸗ dae vie * Sommerkarten von den pommerschen Ostseebädern nach Oesterreich⸗ Ungarn; nachdem die säͤchsische Eisenbahnverwaltung

gezeigt, solle es auch die preußische Verwaltung thun. Ulten di Badegäste nach Belgien u. s. w. gehen? 8 h 8 g 8

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Den Wohnungsgeldzuschuß kann ich nicht ändern, da derselbe auf Gesetz beruht. ““

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