1899 / 87 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 13 Apr 1899 18:00:01 GMT) scan diff

Elsaß⸗Lothringen. 1 „. Der Landes⸗Ausschuß erledigte vorgestern die er Lesung des Gesetzentwurfs zur Ausführung der Eenhes i ordnung. Die Vorlage wurde einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen. Sodann gelangte der Antrag des Abg. Rust zur 86 wonach die Regierung ersucht werden soll, eine gesetzliche Regelung der Arbeiterverträge für die Landwirthschaft herbeizuführen. Der Antrag wurde der vierten Kommission überwiesen.

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n 85 8 81

Oesterreich⸗Ungarn. W116“

11 zum Reichsrath für den oberösterreichischen Großgrundbesitz wurde an Stelle des Grafen Falkenhayn Graf Dürkheim mit allen abgegebenen Stimmen gewählt.

Frankreich.

Der Untersuchungsrichter Pasques verhörte gestern nochmals Déöroulède und Habert. Beide erklärten, daß sie von ihren früheren Aussagen nichts zurückzunehmen, den⸗ selben auch nichts hinzuzufügen hätten. Infolge dessen wurde die Untersuchung endgültig abgeschlossen. Die Akten werden nunmehr der Staatsanwaltschaft übergeben werden, damit diese über die weitere Verfolgung der Sache ihre Entscheidung treffe.

Italien.

Der König und die Königin sind gestern Vormittag an Bord der „Savoja“ unter dem Salut der italienischen und französischen Kriegsschiffe in Cagliari eingetroffen. Unmittelbar darauf begab sich, wie „W. T. B.“ berichtet, der Kapitän Cardier, Generalstabs⸗Chef des französischen Geschwaders, mit einer Dampfschaluppe nach der „Savoja“, um dem König den Gruß der französischen Regierung zu über⸗ bringen. Die Majestäten, welche von dem Minister⸗Präsidenten Pelloux und dem Minister der öffentlichen Arbeiten Lacava begleitet waren, wurden am Lande von den Spitzen der Zivil⸗ und Militärbehörden sowie dem Erzbischof empfangen und von einer ungeheuren Menschenmenge jubelnd begrüßt. Auf dem ganzen Wege bis zum Königlichen Palast bildeten zahlreiche Vereine Spalier. Die Menge durchbrach die polizei⸗ lichen Absperrungen, umringte den Wagen und begrüßte die Majestäten mit begeisterten Zurufen. Sodann begleitete sie den Wagen bis zum Königlichen Palast, wo der König und

die Königin auf dem Balkon erschienen und Allerhöchst⸗

denselben neue Ovationen dargebracht wurden. Am Nachmittag machten der König und die Königin eine Fahrt durch die Hauptstraßen der Stadt und wurden überall mit großem Enthusiasmus begrüßt, der in der Römischen Straße seinen Höhepunkt erreichte. Wie diesTribuna“ meldet, wird Italien bei der Konferenz im Haag durch den Botschafter Grafen Nigra, den italienischen Gesandten im Haag Grafen Zannini, den General Zuccari und den Schiffskapitän Bianco vertreten sein. 8 Spanien. 1 Der Kriegs⸗Minister, General Polavieja hat, wie „W. T. B.“ aus Madrid meldet, die wichtigen Punkte der Provinzen Valencia und Catalonien mit starken Truppen⸗ abtheilungen besetzen und die Garnisonen mehrerer Orte ver⸗ stärken lassen. Der Kreuzer „Venadito“ ankert zur Ueber⸗ wachung der Küste bei Los Pasajes. 8 Die Regierung hat den General Rios beauftragt, sich mit dem General Otis wegen der Räumung Zamboangas und des Sulu⸗Archipels in Verbindung zu setzen.

Griechenland.

Das Kabinet hat, dem „W. T. B.“ zufolge, nunmehr seine Entlassung gegeben; der König hat beschlossen, Theotokis mit der Bildung eines neuen Kabinets zu beauftragen. Der⸗ selbe wird beute Audienz haben. Es heißt, Theotokis werde das Portefeuille des Innern und Romanos das der aus⸗ wärtigen Angelegenheiten übernehmen.

In der gestrigen Sitzung der Deputirtenkammer wurden bei der Wahl des Präsidenten 225 Stimmen ab⸗ gegeben; hiervon erhielten Asama dos (Trikupist) 128 Stimmen, der Regierungskandidat Topalis 28 und der Delyannist Roma 37 Stimmen.

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Amerika.

Die Regierung von Uruguay hat einen Erlaß ver⸗ öffentlicht, durch welchen im Kriegsbudget eine jährliche Er⸗ sparniß von 50 000 Doll. erzielt werden soll.. Polynesien. 111“

Das „Reuter'sche Bureau’“ hat aus Apia nachstehende Meldung erhalten: Eine gemischte britisch⸗amerikanische Truppe von 105 Mann gerieth am 1. April in einen von Mataafa⸗Leuten gelegten Hinterhalt; sie war gezwungen, sich nach dem Strand zurückzuziehen. Drei Offiziere, nämlich der Leutnant Freeman vom britischen Kreuzer „Tauranga“, welcher die Abthei⸗ lung befehligte, und zwei Amerikaner vom Kriegsschiff „Philadelphia“, wurden getödtet. Ihre Leichen wurden später enthauptet aufgefunden. Zwei britische und zwei amerikanische Matrosen wurden ebenfalls getödtet. Der Hinterhalt befand sich auf einer deutschen Plantage, deren Geschäftsführer verhaftet wurde. Derselbe wurde an Bord des britischen Kriegsschiffes „Tauranga“ gebracht und dort in Haft gehalten infolge der Abgabe eidlicher Erklärungen, daß man gesehen habe, wie er Mataafa⸗Leute zum Kämpfen ermuntert habe. Die an dem Kampfe theilnehmenden Mataafa⸗ Leute waren etwa 800 an Zahl. In einem früheren Gefechte wurden 27 Mataafa⸗Krieger getödtet, während die Europäer keine Verluste erlitten.

Wie das „Reuter'sche Bureau“ weiter berichtet, war, den aus Auckland eingegangenen Nachrichten zufolge, der Kampf

in der Nähe von Apia am 1. April sehr hestig. Die amerika⸗

nischen und britischen Matrosen wurden wiederholt von den An⸗ greifern, welche sie durch ihre numerische Uebermacht zu be⸗ wältigen suchten, zurückgeschlagen. Die Leichen der gefallenen Offiziere und Matrosen wurden mit militärischen Ehren in Mulinuun bestattet. Vierzig Mataafa⸗Leute wurden getödtet und eine Anzahl verwundet. Die letzteren wurden von den Aufständischen mitgenommen.

Ueber diesen Vorfall, welcher sich an demselben Ort er⸗

eignet zu haben scheint, wo im Dezember 1888 der Zusammen⸗ stoß zwischen dem Landungskorps der deutschen Kriegsschiffe „DOlga“, „Adler“ und „Eber“ stattfand, liegt aus amtlicher deutscher Quelle folgende, aus Apia vom 5. d. M. datierte

Die Engländer haben das Dorf (Name unleserlich) jeden Tag beschossen. Sowohl Tanu⸗ wie Mataafa⸗Leute plündern fremdes Eigenthum. Am 1. April ist eine britisch⸗amerikanische Landungstruppe von 70 Mann in einen Hinterhalt bei Vailele gerathen, wobei drei Offiziere gefallen und zwei Landungs⸗ Feschüss genommen worden sind. Die Kriegsschiffe haben die Beschießung erneuert.

Das „Reuter’'sche Bureau“ meldet ferner aus Apia vom 3. April: Bei der Ankunft des britischen Kriegsschiffes „Tauranga“ erließen der britische und der amerikanische Konsul eine Proklamation, um Mataafa eine zetzte Gelegen⸗ heit zum Einlenken zu geben. Die französischen Geist⸗ lichen versuchten gleichfalls, ihren Einfluß geltend zu machen, aber alle Anstrengungen schlugen fehl. Die Auf⸗ ständischen fuhren in der Plünderung fremden Eigenthums fort, zerstörten Brücken und verbarrikadierten die Wege. Nach dem Gefechte am 29. März wurden mehrere Aufstän⸗ dische von den Anhängern Malietoa's getödtet und verwundet, worauf die letzteren die Köpfe der Gefallenen im Triumph durch Apia trugen. Kapitän Stuart, der Besehlshaber der „Tauranga“, war hierüber außer sich, ging zu Malietoa und drohte, jeden Mann niederzuschießen, den er hierbei betreffe. Malietoa erließ eine diesbezügliche Proklamation. Der deutsche Konsul schric⸗ an den Admiral Kautz und fragte, ob zwei große christliche Nationen einen solchen barbarischen Mißbrauch billigten, der gegen die christlichen Gesetze und gegen den Beschluß des obersten Gerichtshofes ver⸗ stoße. Der Admiral sandte eine spitze Erwiderung: er sei völlig damit einverstanden, daß der Gebrauch unmenschlich sei, müsse aber darauf hinweisen, daß, wenn der deutsche Konsul den Beschluß des obersten Gerichtshofes vom Januar aufrechterhalten hätte, kein Blutvergießen noth⸗ wendig gewesen wäre, und daß, obschon es ein alter Brauch auf Samoa sei, er doch erst vor zehn Jahren der Welt be⸗ kannt geworden sei, als die Köpfe einiger ehrlicher deutscher Soldaten von dem barbarischen Häuptling Mataafa abge⸗ schnitten worden seien, welchen der Vertreter der großen christlichen Macht Deutschland jetzt unterstütze. Die Samoaner erzählen, Mataafa sei bei drei Gelegenheiten entschlossen ge⸗ wesen, sich zu ergeben, aber der deutsche Konsul habe ihm ge⸗ rathen, es nicht zu thun. Jetzt erkläre Mataafa, er werde sich nie ergeben, sondern bis zum Tode kämpfen.

In Washington sind, dem „Reuter'schen Bureau“ zu⸗ folge, die Nachrichten aus Samoa mit großer Besorgniß aufgenommen worden. Der britische Botschafter bedauerte auf das tiefste, daß die Kollision in dem Augenblick eingetreten sei, wo er gehofft habe, daß die Verwickelung auf dem Wege zur Regelung sei. Die britischen Beamten hegten indessen das Vertrauen, daß hiermit die Aussichten auf eine Verständigung nicht vernichtet seien. In diplomatischen Kreisen sei man geneigt, die Nachrichten als sehr ernst zu behandeln. Es werde erktärt, daß scharfe Differenzen zwischen dem britischen und dem deutschen Auswärtigen Amt bezüglich der Ab⸗ reise der Kommission am 19. April beständen. Groß⸗ britannien habe neue Einwendungen so verwickelter Art erhoben, daß dieselben nicht auf telegraphischem Wege ver⸗ handelt werden könnten. Deutschland halte sich unter diesen Umständen für berechtigt, mit der Ernennung seines Kommissars noch zurückzuhalten. Die ganze Samoag⸗Frage schwebe gegenwärtig nicht zwischen den drei Mächten, sondern zwischen Deutschland und Großbritannien. Die Nachrichten aus Samoa seien von der Regierung und den Departements nahezu mit Bestürzung aufgenommen worden, die höheren amtlichen Kreise weigerten sich, über die Sache zu sprechen.

Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichstages

befindet sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

In der heutigen (64) Sitzung des Reichstages, welcher der Staatssekretär des Reichs⸗Postamts von Podbielski beiwohnte, wurde zunächst die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend einige Aenderungen von Bestimmungen über das Postwesen, fortgesetzt.

Erster Redner war der Abg. Fischbeck (fr. Volksp.). Bei Schluß des Blattes nahm der Staatssekretär des Reichs⸗ Postamts von Podbielski das Wort zur Erwiderung.

Das Haus der Abgeordneten begann „in der heutigen (54.) Sitzung, welcher der Vize⸗Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel, der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen und der Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammerstein bei⸗ wohnten, die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend den Bau eines Schiffahrtskanals vom Rhein bis zur Elbe.

Zur Begründung desselben nahm zunächst der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen das Wort, dessen Rede beim Schluß des Blattes noch fortdauerte und morgen im Wortlaut wiedergegeben werden wird. 1“

8 E111

Nr. 15 der „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Ge⸗ sundheitsamts“ vom 12 April hat folgenden Inhalt: Personal⸗ Nachrichten. Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten. Zeitweilige Maßregeln gegen Pest. Desgl. gegen Procken. Aus dem statistischen Jahrbuche von Paris, 1896. Mittheilungen aus Britisch⸗Ostinrien, 1897. Gesetzgebung u. s. w. (Preußen.) Ziegeleien. (Oesterreich. Kärnten.) Tortenbeschau. Masern. (Italien.) Unterricht in der Hygiene ꝛc. (Schweiz. Kanton Zürich.) Milch und Milchprodukke. (Rußland.) Tokayer Wein. Sanitas Hygienic Embrocation. S. 284. (Serbien.) Essigessenz. (Congostaat.) Wermutohaltige Spirituosen. (Argentinische Republik.) Branntwein, Wein, Oel. Gang der Thierseuchen im Deutschen Reiche, 31. März. Viehquarantäge⸗Anstalten im Deutschen Reiche, 4. Vierteljahr. Maulserche in Dänemark. Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen. (Schweiz.) Verhand⸗ lungen von gesetzgebenden Körperschaften. (Ungarn.) Thierärztlicher öffentlicher Dienst. Vermischtes. (Baypern.) Viehversicherung, 1897/98. (Hamburg.) Verwaltungsbericht, 1897. (Oesterreich.) Vieh⸗ und Fleischbeschau. Geschentliste. Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Deszl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Witterung. Beilage: Gerichtliche Entschei⸗

dungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege (Kur⸗

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pfuscher).

Nachricht vor:

AAüatistk and Volkswirthschaft.

SDer Zug nach der Stadt in Wärtremberg.

Seit einiger Zeit bildet „der Zug nach der Stadt“, unter

man im wesentlichen den Zug nach den größeren Wohnonten versteht, ein oft wiederkehrendes Thema für Erörterungen in Wissenschaft und Presse. Leider ist dieser „Zug“ statistisch garnicht unter Beobachtung gestellt. Mit Aufhebung aller eeschränkungen der Freizügkeit sind auch alle Bestimmungen gefallen, weiche eine ver⸗ waltungsmäßig geordnete statistische Anschreibang der Ab⸗ und Zuzüge betrafen, obschon durch eine derartige, rein registrierende Erfassung dieser für alles öffentliche Leben so wichtigen Bewegungen die Freiheit des Einzelnen keinerlei Einbuße erlitten hätte bezw. erleiden würde. Seit 1871 ist es daher nur möglich, jenen „Zug“ „mittelbar“, d. h.

in seinem Ergebniß an einem bestimmten Zeitpunkt, zu fassen, nämlich

bei den Volkszählungen. Dies geschieht dadurch, daß man die Geburten und Todesfälle, welche innerhalb eines zwischen je 2 Volkszählungen, in einer „Stadt“ ꝛc. vor sich gehen, bucht, an den Zählungstagen alle Ortsanwesenden nach ihrem Geburtsort fragt und auf diese Weise feststellt, inwieweit die betreffende „Stadt“ ꝛc. durch eigenen Zuwachs und inwieweit sie durch Einwande⸗ rung sich vergrößert hat. Auch diese Berechnung hat jedech bedauer⸗ liche Lücken; einmal kann sie die von der betreffenden „Stadt’ ꝛc. fortgezogenen Personen weder nach ihrer Zahl noch nach ihrer Ge⸗ bürtigkeit fassen, sodann kann sie die Identnät der Personen nicht fest⸗ stellen und überhaupt keinerlei Bewegungsvild geben. Wenn also bei⸗ spieleweise am 2. Dezember 1895 in Berlin 27 103 Ausländer fest⸗ gestellt worden sind, am 1. Dezember 1890 aber nur 17 886, so ist nicht anzunehmen, daß in der Zwischenzeit einsabh zu den 17 886 weitere 9217 hinzugekommen sind, sondern daß ein steter Ab⸗ und Zu⸗ vng stattgefunden hat, welcher am 2. Pezember 1895 mit der sisfer 27 103 balanciert hat. Dieser rege „Menschenwechsel“, „Be⸗ völkerungsaustausch“, oder wie man das Ab⸗ und Zugehen vorüber⸗ gehend oder dauernd Anwesender nennen mag, gleicht also in der That dem Strom, dessen Wassermasse und Wassertheilchen sich stets ändern. Bis jetzt ist daher dieses Gebiet der Massenbeobachtung auch nur von einzelnen Städten aus gepflegt worden, und zwar besonders von den Großstädten, welche angesichts ihres starken Wachsthums ein großes Interesse an einer genauen Untersuchung ihrer Bevölkerungselemente nehmen müssen und welche großentheils in ihren eigenen statistischen Aemtern die hier unbedingt erforderlichen geschulten Organe besitzen. Wienln so der gründlichen Untersuchung erhebliche Hindernisse durch die Unzulänglichkeit der Beobachtungsmittel e wachsen, so läßt sich doch schon aus den allgemeinen Umrissen manche wichtige Schlußfolgerung ziehen, was auch seiner Zeit an dieser Stelle nach den endgültigen Ergebnissen der letzten Volkszählung für Preußen geschehen ist. Vor kurzem sind in den amtlichen württembergischen statistischen Veröffent⸗ lichungen auch für das Konigreich Württemberg einige Ergebnisse vor⸗ geführt worden, die außerhalb desselben ein nicht geringeres Interesse beanspruchen dürfen. Nach dem „Statistischen Handbuch für Württem⸗ berg“ (Jahrg. 1897) zählte das Königreich im Jahre 1895 9388 be⸗ sonders benannte Wohnplätze, und zwar: 145 Städte, 1299 Pfarr⸗ dörfer, 436 Dörfer, 109 Pfarrweiler, 3201 Weiler, 2671 Höfe, 1527 sonstige Einzelwohnsitze. Diese 9388 Wohnplätze sind zu 1911 „poli⸗ tischen Gemeinden“ zusammengefaßt. Es würde zu weit geführt haben, wenn man für alle 9388 Wohnplätze die Zu. und Abnahmen u. s. w. jeweils hätte berechnen wollen. Man hat sich daher damit begnügt, die „politischen“ Gemeinden nach den Veränderungen und eigenartigen Zusammensetzungen ihrer Volkszahlen zu betrachten. Am 2. Dezember 1895 wurden gezählt:

Orts⸗ anwesende

158 321 119 386 266 404 537 040

a

Nicht. ortsgebürtige Ortsanwesenden . ..

u 410 971 267

in Stuttgart. .

Gemeinden von 20 000/100 000

Gemeinden von 5000/20 000

Gemeinden unter 5000 Einw. tm Königreich Württemberg 2081 151 706 015 33,9

Nach Ortsgrößenklassen betrug am 2. Dezember 1895 die

Za. (+) b on das 2 u⸗ ezw.

.“ (—) seit n orts⸗ 1. Dezember 1890.

in den anwesende Gemeinden mit lährlich b in % der überhaupt mittl Bevölk.

8 504 0 755 + 18,87 9 324 + 15,05 2316 + 7,83 2720 + 5,86 3 298 + 4,63 1 189 047

ö“

5 bevölk. über 100 000 Einw. 24,831 100 20 100 000 4 119 386

158 32+

8s

5 20 000 30 266 404[+ 82

+

+

1 1

4 5 000 14 61 891 3 4 000 28 94 151 2 3 000 60 143 891 1 2 000 3766 502 581 500 1 000 703¹ y502 2531— 6 342 2,5] unter 500 695] ꝙ232 1731 4752, 4,05 Schon diese Allgemeinbilder sind hochbedeutsam. In allen größeren Gemeinden des Landes ist noch nicht einmal die Hälfte der Ortsanwesenden ortsgebürtig; in den kleineren Gemeinden von unter 2000 Einwohnern dagegen dürften die Ortsgebürzigen durchschnittlich erheblich über 75 % hinausgehen. Eine Einzeldarstellung der 35 größeren Gemeinden (Stat. Handbuch, Jahrgang 1896) zeigt, daß die Zahlen der Garnisonstädte naturgemäß durch die zahl⸗ reichen nicht orts gebürtigen Militärpersonen beeinflußt werden, doch sind diese Einwirkungen, wie aus den entsprechenden Verhältnißzahlen für das weibliche Geschlecht allein hervorgeht, nicht in erster Reibe wirksam; denn die Prozentzahlen der Nichtortsgebürtigen waren bei den Hervertseden 2. Bereee 5 „bei den weiblichen überhaupt: Personen: Stuttgart 862,3 60,9 CIn“” Hdlbhsonn3536I1186181616 Ludwigsburg. . 666“ 8 FPbhhgen 11“* egen in den nicht mit Militär belegten Städten: EEOE113116 Göppingen 5 a S Ravensburg.. 6021 K“ 1 54,0 Ddiese eigenartige Zusammensetzung kann naturgemäß nicht ohne starken Einfluß auf den Charakter der größeren Gemeinden sein. . Mit welcher Schnelligkeit die Veränderungen vor sich gehen, zeigt die zweite der oben gegebenen Uebersichten. Die Gemeinden von unter 2000 Einwohnern nahmen in den 5 Jahren 1890/95 durchschnittlich um so rascher ab, je kleiner sie waren; umgekehrt nahmen die größeren Gemeinden durchschnittlich um so rascher zu, je größer sie waren. Die Verhältnißzahlen der an das württembergische Eisenbahnnetz an⸗- geschlossenen Bevölkerungen zeigen einen ganz ähnlichen Aufbau. In den 5 Jahren 1890/95 hat die Gesammtbevölkerung Württem⸗ bergs um 44 629 Köpfe zugenommen. Der Ueberschuß der Gebotenen über die Gestorbenen betrug aber in dem zwischen den 2 Volks⸗ zählungen liegenden Zeitraum 95 479, es fehlten somit 50 850 Köpfe. 22052 von diesen Fehlenden sind ais über deutsche Häfen und über

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8

Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam (überseeisch) Ausgewanderte nach⸗

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wiesen, die übrigen 28 798 sind spurlos verschwunden. Sie würden

4 den umliegenden Ländern und sonst in Eurspa aufgefunden worden sein, wenn man dort im Jahre 1895 überall eine Volkszählung ge⸗

habt und dabei auch nach dem Geburtsort gefragt und die betreffenden Zahlen auch für das Königreich Württemberg festgestellt hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall; nicht einmal für das Devtsche Reich war bei der Volkszählung vom Jahre 1895 die Frage nach dem Geburts⸗ ort vorgeschrieben. 5

Nach dem Befunde der Volkszählung allein könnte es den Anschein gewinnen, als ob von 1890 bis 1895 nur in den Gemeinden von 5000 und mehr Einwohnern Menschen zugewachsen wären; denn die 35 Gemeinden von je über 5000 Einwohnern haben allein um 48 583 Köpfe zugenommen, während das ganze übrige Land um 3954 Köpfe abgenommen hat. Thatsächlich ist aber gerade das Gegentheil der Fall. Der durchschnittliche jährliche natürliche Zuwachs durch Geburtenüberschüsse hat in den letzten 10 Jahren bei den 35 größten Gemeinden 8,9 000 der mittleren Bevölkerung betragen, bei dem Landesreste dagegen 9,7 %. Die Landbevölkerung hat also abgenommen, obschon sie in derselben Zeit mehr Menschen geliefert hat. Die Zunahme der größeren Gemeinden ist demnach eine noch bedeutungsvollere (desgleichen die Abnahme der kleineren), als die Zahlen erscheinen lassen, weil bei den Verschiebungen zu Gunsten der größeren Gemeinden die nur zu einem kleinen Theil mitgenommenen kleinen Kinder nicht voll zur Geltung kommen; es sind also weit mehr Erwachsene nach den größeren Gemeinden gezogen, als die Zunahme erkennen läßt. 1

Thatsache ist, daß auf dem 86 790 ha großen Landgebiet der 35 Gemeinden von über 5000 Einwohnern seit 1890/95 sich wiederum die Menschen enger zvusammengedrängt haben, sodaß am 2. Dezember 1895 6,27 Menschen auf 1 ha kommen gegen 5,71 am 1. Dezember 1890, während im Landesrest auf 1 ha am 1. Dezember 1890 0,83, am 2. Dezember 1895 nur noch 0,82 Menschen entfallen. „Die Landfläche des Köninreichs Württemberg“, sagt das Statistische Landesamt, „fängt thatsächlich an zu veröden, die früber gleichmäßigere Vertheilung der Menschen auf die Bodenfläche ist im Schwinden begriffen.“

1 Einiges Licht auf die den Bewegungen etwa zu Grunde liegenden tieferen Ursachen vermögen einige bei anderer Gelegenheit gewonnene Ziffernreihen zu werfen. Schon aus dem Zusammenhalt der Er⸗ scheinungen mit der Größe der Gemeinden ist zu schließen, daß die Abnahmen hauptsächlich auf Abnahmen der landwirthschaftlichen Be⸗ völkerung zurückzuführen sind; diese Abnahme erhält ihre Bestätigung durch die Thatsache, daß von der am 14. Juni 1895 gezählten orts⸗ anwesenden Bevölkerung auf die Land⸗ und Forstwirthschaft entfielen in den Gemeinhen von über 8

I. 100 000 Einwohnern (Stuttgart) 2,7 %

II. Gemeinden von 20 000/100 000 . 7,4 %

III. 3 5000/20 000 11,6 %

IV. 2000/,5000 . . 30,1 %

N. 1. unter 2000 Einwohnern 65,0 %, Würde man die unter V. befaßten Gemeinden noch weiter unter⸗ theilen, so würde der Prozentsatz bei den Gemeinden mit 500 und weniger Einwohnern wohl bis über 90 % steigen. Eine weitere Be⸗ stätigung dafür, daß die Abnahmen mit der Lage der landwirthschaft⸗ lichen Wevölkerung zusammenhängen, bildet die Thatsache, daß gerade diejenigen Oberämter, welche am 14. Juni 1895 die ver⸗ hältnißmäßig zahlreichste landwirtbschaftliche Bevölkerung auf⸗ weisen, mit denjenigen Oberämtern zusammenfallen, welche von 1890/95 verhältnißmäßig am stärksten abgenommen haben. Die infolge der allgemeinen Verkehrsentwickelung veränderte Lage der landwirthschaftlichen Erwerbsarbeit bringt naturgemäß auch eine un⸗ günstigere Lage des Kleingewerbes und des Kleinhandels mit sich; diese letzteren haben sowohl unter veränderter Kaufkraft ihrer Kunden⸗ kreise als unter der großen Erleichterung aller Arten von auswärtigem Waarenkauf zu leiden. L

Bisher baben wir uns mit den Verschiebungen beschäftigt, welche durch Betrachtung der an den „Stichtagen“ der Volkszählungen „orts⸗ anwesenden“ Personen festgestellt werden können. Man muß sich aber bewußt bleiben, daß die Beziebungen zwischen Bevölkerung und Wohnort noch reichere und merkwürdigere sind, als aus jenen Zahlen hervorgeht. So gut man unterscheiden kann zwischen Ortsgebürtigen und Zugezogenen, zwischen Ortsbürgerlichen und Nichtbürgerlichen, zwischen wirklichen Ortsbewohnern (mit festem Wohnsitz) und vorüber⸗ gehend Anwesenden, so aut kann man auch unterscheiden zwischen Orts⸗ arbeitenden und Ortsnächtigenden. In der That giebt es für sehr viele Gemeinden des Landes eine Arbeitsbevölkerung, welche sich nach Schluß der Arbeitszeit in die umliegenden Orte zerstreut, und diese Arbeits⸗ bevölkerung giebt uns auch den Schlüssel zum Verständniß für diese ganze eigenthümliche Bewegung der Menschen. Der treibende innere Grund ist das Streben nach Verwerthung der Arbeitskraft bezw nach rentablerer Verwertbung der Arbeitskraft. Zunächst geht die arbeitsuchende Person zu Fuß zur Arbeitsstätte und kommt Mittags und Abends wieder keim; wenn die Entfernung größer wird, nur noch Abends, und zwar theils zu Fuß, theils durch die Eisenbahn. Wird die Ent⸗ fernung noch größer, so wird täglich die Fahrt nach der Arbeitsstätte und zurück mit der Eisenbahn gemacht; werden die Verhältnisse noch ver. wickelter, so wird die Hinfahrt am Montag früh und die Rückfahrt am Sonnabend Abend bewerkstelligt und in der Zwischenzeit am Arbeitsort

enächtigt. Wir haben in den einzelnen Orten die verschiedensten

ischungen von derartigen Fällen vor uns: von vorübergehendem Besuch, von vorübergehendem Aufenthalt bis zur endgültiten und völligen Verlegung des Wohnsitzes in die Nähe des Arheit platzes. Die „Arbeits⸗ bezw. Tagesbevölkerung“ der Wohnorte deckt sich noch in vielen Fällen mit der Nachtbevölkerung, in vielen aber nicht mehr (besonders nicht in größeren Städten mit ihren Stadttheilen und Vor⸗ orten). Einige Anhaltspunkte über die stattfindenden Bewezungen in Württemberg geben die von der Eisenbahnverwaltung ausgegebenen Arbeiter⸗Wochenkarten nach einer oder beiden Richtungen, sowie die sogenannten Arbeiter⸗Rückfahrkarten; erstere berechtigen zu ein⸗ oder zweimaliger Fahrt an sechs Tagen in der Woche, letztere zu einmaliger Hin⸗ und Rückfahrt am Anfang bezw. am Schluß der Woche. In den „Mittheilungen des König⸗ lichen Statistischen Landesamts“ finden sich Nachweisungen über die Zahl der Arbeiter⸗Wochenkarten und der Rückfahr⸗ karten, welche in und nach Stuttgart gelöst worden sind Danach ist die Zahl der Arbeiter⸗Wochenkarten für Fahrten nach beiden Richtungen in allen württembergischen Eisenbahnstarionen zu⸗ sammen in den Jahren 1890/96 von 220 893 auf 417 494 gestiegen, die Zahl der Karten nach nur einer Richtung in den Jahren 1893/96 von 37 173 auf 75 368. Die Arbeiter⸗Rücksahrkarten mit einmaliger Gültigkeit hin und zurück in der Woche sind erst am 15. August 1897 eingeführt worden. Alle diese Karten werden naturgemäß von solchen Personen benutzt, welche in oder bei den Abgangsstationen wohnen, aber in oder bei den Ankunftsstationen arbeiten. Im Jahre 1897/98 (1. April bis 31. März) haben 92 942 Arbeiter. Wochenkarten im Stuttgarter Haupt⸗ oder Westbahnhof ihren Endpunkt gehabt, während nur 28 294 von Stuttgarts Bahnhöfen aus abgegangen sind. Nimmt man an, daß auf jede Person 50 Karten kommen, was sehr hoch gerechnet ist, so hätte man mindestens 1800 bis 2000 Personen, welche täglich durchschnittlich auf den verschiedenen Bahn⸗ höfen mit verschiedenen Zügen eintreffen, während nur etwa 550 bis 600 die Stadt verlassen, um auswaͤrts zu arbeiten; bei den Rückfahrkarten würden sich etwa 310 bis 350 bezw. 20 bis 25 ergeben, sodaß einer Ankunft von etwa 2000 bis 5000 Per⸗ sonen ein Abgang von etwa 600 bis 650 entsprechen würde. Diese Zahlen würden aber das Minimum nach unten ergeben. Dabei sind diejenigen Personen, welche aus der Umgebung zu Fuß ankommen, und diejenigen, welche z. B. die Straßenbahn, ein Zwetrad benutzen, nicht gerechnet. Die Stationen, aus welchen täglich Leute mit Arbeiter⸗Fahrkarten nach Stuttgart fahren, ver⸗ theilen sich auf die 14 Oberämter Stuttgart⸗Land, Cannstatt, Eßlingen, Göppingen, Kirchheim, Nürtingen, Reutlingen, Böblingen, Leonberg, Ludwigsburg, Besigheim, Waiblingen, Backnang, Schorndorf. Man sieht, die Zufahrtszone ist etwa der vierte Theil des ganzen Königreichs; die nur einmal wöchentlich Zu⸗ und Zurück⸗

fahrenden zeigen eine noch weitere Zone. Es wird anzunehmen sein,

daß die aus Stuttgart hinausfahrenden Inhaber von solchen Karten sozial in anderer Lage sind als die hineinfahrenden, und daß es sich dabei vorzugsweise um solche Geschäfte handelt, welche regelmäßig einzelne Arbeitskräfte auf längere oder kürzere Zeit entsenden. ierüber können naturgemäß nur Vermuthungen aufgestellt werden. erartige Dovppelexistenzen, welche den Tag in der hier liegenden Arbeitsstätte, die Nacht in der dort liegenden Wohnstätte verbringen, sind ganz neue Erscheinungen im alten Rahmen des Gemeindelebens, ja des volklichen Zusammenlebens überhaupt. Die alte Gemeinde⸗ einheit ist da und dort in Auflösung begriffen, die veränderten Arbeits⸗ und Lebensverhältnisse haben alte Sitten und Gewohnheiten gesprengt, der „Zug nach der Stadt“ besteht nicht etwa bloß in Wohnsitz⸗ verlegungen von der einen Gemeinde in die andere, er ist vielmehr ein Ausdruck ganz neuer Kombinationen zwischen Arbeits⸗ und Wohn⸗ stätten. Die Rufe nach gemeindlicher, staatlicher, sogar „nationaler“ Wohnungsreform, nach „Industriestraßen“, nach Verlegung der Industrie aufs Land u. s. w. sind die Symptome der veränderten Gesammtlage. Der Staatsbürger, der 5 bis 20 km von jedem Bahnnetz entfernt ist und vergebens seine Arbeitskraft anzuwenden strebt, und derjenige, der im Landesmittelpunkt seinen Grundbesitz an Werth sozusagen von selbst steigen sieht, sind die Endglieder einer verzweigten Personenkette, deren Einzelglieder von dem Verkehrs⸗ umschwung in verschiedener Art und in verschiedenem Grade be⸗ troffen werden.

Nech bliebe übrig, darüber Rechenschaft zu geben, welche Folgen die Verschiebungen im sozialen Leben mit sich bringen. Darüber, welcherlei Volksbestandtheile sich nach der Stadt drängen, sind neuer⸗ dings jahlreiche Vermuthungen aufgestellt worden. Was die alten Geschichtsschreiber berichten, daß z. B. in Rom zur Kaiserzeit von überall her die Zweifelbaften“ Elemente zusammengeströmt seien, das sagen manche Schriftsteller der Gegenwart auch von den Großstädten unseres Zeitalters; andere sagen das Gegentheil. Einzelne allgemeine, merkwürdige, soziale wie anthropologische That⸗ sachen lassen sich einwandsfrei feststellen, so beispielsweise das Zu⸗ sammenströwen von Israeliten in den Städten bezw. Großstädten. Von den 12 245, 13 331, 12 639, 11 887 Israeliten, welche z. B. in Württemberg bei den Volkszählungen von 1871, 1880, 1890, 1895 gezählt wurden, waren 1817, 2485, 2758, 2718, also 14,84 %, 18,64 %, 21,82 % und 22,86 % in Stuttgart gezählt worden, im Jahre 1871 war also nur ¼, im Jahre 1895 dagegen beinahe †¼ aller Ifraeliten Württembergs in Stuttgart ortsanwesend. Ferner ist Thatsache, daß die Verlegung fast aller höheren Unterrichts⸗ und Erziehungsanstalten, der Kunst⸗ und Wissenschaftsinstitute und Sammlungen aller Art u. s. f. in größere Orte die Einwohner dieser Orte, wie der bekannte Statistiker Georg von Mayr dies zutreffend nennt, „unterrichtsgelegener“ macht, woraus z. B. die starke prozen⸗ tuale Betheiligung der Israeliten, die verhältnißmäßig schwache der Katholiken sich vielfach erklären mag, da naturgemäß ortsansässige Eltern ihre Kinder leichter in solche Anstalten schicken können. Gerade dieser Gesichtspunkt ist beispielsweise für den „Zug nach der Stadt“ bei denjenigen Kreisen sehr wirksam, welche nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind.

8 CW1 Zlur Arbeiterbewegung.

In Dresden haben, wie die „Lpz. Ztg.“ berichtet. 100 Schmiede⸗ gehilfen am Montag wegen Lohnstreites die Arbeit eingestellt. (Vgl. Nr. 73 d. Bl.)

In Wilsdruff sind nach einer Mittheilung desselben Blattes am Sonnabend 160 Holzarbeiter in den Ausstand eingetreten, da ihre Forderungen 58stündige Arbeitszeit in der Woche, Er⸗ höhung der Löhne durch Einführung eines entsprechenden Tarifs mit 5 bis 10 % Zuschlag, 18 Mindestlohn für gelernte Arbeiter, Arbeitsschluß und Lohnzahlung Sonnabends Nachmittags 4 Uhr nicht bewilligt worden sind. Mit Ausnahme des Besitzers einer Möbelfabrik, der die Forderungen bewilligte, haben die Meister und Fabrikanten sich durch Vertrag gegenseitig verpflichtet, keinen v von einem dortigen Arbeitgeber während des Ausstands ein⸗ zustellen.

Aus Crimmitschau wird der „Geraer Ztg.“ geschrieben: Die hiesigen Textilarbeiter haben dem Spinner⸗ und Fabrikanten⸗ verein folgende Forderungen unterbreitet: Verkürzung der Arbeitszeit von 11 auf 10 Stunden, dabei gleichbleibender Lohn für die im Tagelohn und 10 % Lohnerhöhung für die im Accord⸗ lohn Arbeitenden, Bezahlung der Nebenarbeit und Be⸗ schaffung guten Trinkwassers. Begründet werden diese Forderungen damit, daß nahezu 17 Jahre vergangen seien, seit die Arbeitszeit ver⸗ kürzt worden ist, und daß der heutige Maschinenbetrieb für den Arbeiter aufreibender geworden sei.

In Nürnberg haben, wie die „Münch. N. N.“ melden, die Zimmerleute beschlossen, bei solchen Arbeitgebern, welche nicht 13 Lohn für die Stunde zahlen, die Arbeit einzustellen.

Aus Karlsbad berichtet ein Wiener Telegramm des „W. T. B.“: Nachdem vorgestern eine Anzahl Bauarbeiter die Arbeit niedergelegt haben, hat sich, wie die Blätter aus Karlsbad melden, der Ausstand zu einem allgemeinen entwickelt. Der Bezirkshauptmann verbot An⸗ sammlungen und Umzüge; mehrere Ansammlungen von Arbeitern wurden durch die Gendarmerie zerstreut. Im Laufe des gestrigen Tages wurden drei Personen verhaftet. Auf Ansuchen der Behörden ist aus Eger ein Bataillon Infanterie eingetroffen. Bisher sind keine Ruhestörungen vorgekommen. 1

Aus Seraing wird dem „W. T. B.“ gemeldet: Dreitausend Grubenarbeiter sind in den Ausstand getreten und verlangen eine 15 %ige Lohnerhöhung. Man befürchtet, daß der Ausstand sich auf den ganzen Lütticher Grubenbezirk ausdehnen wedee.

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Saatenstand in Rumänien.

Blukarest, den 1. April. Der in den letzten Wochen reichlich

gefallene Schnee und Regen haben dem Ackerboden die zur Bebauung erforderliche Feuchtigkeit zugeführt, sodaß die Frühlingseinsaat unter normalen Verhältnissen vor sich geht.

Die Herbstsaat stebt im allgemeinen gut. Die anhaltend kalte Temperatur ist insofern günstig, als sie das unerwünschte zu schnelle Wachsthum auf den Feldern verhindert.

Deer Stand des Rapses ist ein besonders guter. Saatenstand und Getreidehandel in Bulgarien.

Varna, den 5. April 1899. Die Herbstsaaten baben im allgemeinen sehr gut überwintert; durch die ausgiebigen Niederschläge und warmen, sonnigen Tage des letzten Monats ist auch das neue aufkeimende Sommergetreide äußerst günstig beeinflußt worden, sodaß die Landwirthe auf Grund des jetzigen Saatenstandes eine ergiebige Ernte für dieses Jahr erwarten. b

88 Monat Mhr. hat das Varnaer Getreidegeschäft erheblich zu⸗ genommen, dessen Aufschwung hauptsächlich dem Weizen zu gute kam. Während die Getreideausfuhr nach den griechischen Inseln nachgelassen hat, fanden die bulgarischen Zerealien an den englischen und belgischen Getreidemärkten größeren Absatz als bisher.

Das Hauptexportprodukt bildete Mais, welcher trotz seiner steigen⸗ den Preisnotierungen in großen Mengen ausgeführt werden konnte, und dessen Stocks man in Höhe von etwa 10 000 t noch abzustoßen edenkt. ö“” 3 8 Das Baltschiker und Kowarnaer Getreidegeschäft ist für diese Saison nahezu beendet; die dortigen geringen Hartweizen⸗ und Gerste⸗ vorräthe werden von Spekulanten in Erwartung besserer Preise urückgehalten. 8 gi6 Getreide⸗Durchschnittspreise betrugen pro Doppelzen

ko Bord: 8 . für Weizen 13,50 Fr.,

Gerste

Im letzten Monat wurden ausgeführt aus Varna Weizen nach der Türkei. England Belgien Mais nach der Fürae nach Frankreich. 89% Faande 1ö“ Gerste nach der Türkei. Hafer nach Frankreich. Hirse 8 nach der Türkei.

1 8 . In den die Berichterstattung der land⸗ und forstwirthschaftlichen Sachverständigen bei den Kaiserlichen Vertretungen im Auslande ent⸗ haltenden Beilagen zu den Nrn. 6 und 7 der „Mittheilungen der Deutschen Landwirthschafts⸗Gesellschaft“ führt der Sachverständige für die südamerikanischen Staaten in Buenos Aires seinen eingehenden Bericht über den chilenischen Ackerbau zu Ende und schließt daran den ersten Theil einer Abhandlung die

chilenische Viehzucht.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten.

(Aus den „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheit Nr. 15 vom 12. April 1899.)

8 Pest und Cholera. Britisch⸗Ostindien. Kalkutta. In der Zeit vom 5 bis 11. März starben 15 Personen an Cholera, 5 an Pocken und 249 Fiebern; an Pest erkrankten 83 und starben 68.

Britisch⸗Ostindien. Vom Ausbruch der Pest im Herbst 1896 an bis einschl. Januar 1899 sind bei den Behörden zur Meldung gelangt: aus der Stadt Bombay über 36 000 Erkrankungen, aus dem Dharwar⸗Bezirk 36 459, Satara⸗Bezirk annähernd 26 000, Belgaum⸗Bezirk 23 800. Kolapur⸗Staat 13 000, den übrigen Staaten und Bezirken der Präsidentschaft Bombay (ausschl. Poona mit 9397) 50 000, der Stadt Kurrachee 6608, und sonst aus der Provinz Sindh ungefähr 2000, aus dem Hoshiarpur⸗Bezirk des Pun jab 937, Jullunder⸗Bezirk 2591, aus Saharanpur in den Nordwestprovinzen 275, dem Wardha⸗ Bezirk in den Zentralprovinzen 163, den Bezirken der Provinz Madras mehr als 1000, dem Staate Hyderabad 5000 (davon aus dem Lingsugar⸗Bezirk 3200), dem Sirohi⸗Staate in Rajputana 117, aus Mysore ungefähr 9000 (davon aus Bangalore 3300, aus dem dortigen Kantonnement 3837). Die Zahl der Pesttodesfälle für die angegebene Zeit ist nicht genau fest⸗ zustellen, doch beträgt sie wahrscheinlich gegen ¼ Million, über 200 000 Peststerbefälle sind behördlich angemeldet.

In der Zeit vom 26. Februar bis 4. März hat die Seuche in der Stadt Bombay mit 978 Todesfällen gegen 934 in der Vor⸗ woche noch eine weitere Zunahme erfahren. In der gleichnamigen Präsidentschaft ist die Zahl der an Pest Gestorbenenen von 1500. auf 1300 gefallen, in Kurrachee von 8 auf 36 gestiegen. Im Jullunder⸗ Bezirk kamen 9 Erkrankungen zur Kenntniß, in Kalkutta 29 mit 21 Todesfällen (darunter einige verdächtige). Eine Zunahme der Seuche wurde in den Kolar⸗Goldfelderbezirken und im nördlichen Arcot⸗Bezirk der Provinz Madras festgestellt. Ein merklicher Wechsel hat im Staate Hyderabad nicht stattgefunden, im Anantapurbezirk (Prov. Madras) war eine Besserung zu ver⸗ eichnen.

e Einer Meldung vom 10. März zufolge ist die Pest in 2 Dörfern der Provinz Bengalen im Faridpur⸗ und Vacca⸗Bezirk aus⸗ gebrochen. 8 1 8

In Kurrachee zeigte die Seuche neuerdings eine weitere Zu⸗ nahme; sie verursachte in den Tagen vom 8. bis 14 März 7, 19, 12, 12, 15. 14, 21 Erkrankungen und 5, 9, 6, 10, 10, 13, 15 Todesfälle.

Nach einer anderen Meldung sind innerhalb der am 5. März endenden Woche an Pest gestorben: in der Präsidentschaft Bombay einschl. der Provint Sindh 2493 Personen (davon in der Stadt Bombay 1036), in Kurrachee 52, in Thana 142, in Satara 130, in der Präsidentschaft Madras 128 (davon im nördlichen Arcot⸗ Bezirke 69), im Staate Mysore 180, im Staate Hyderabad 88,

in Kalkutta 21. Gelbfieber.

In der Woche vom 21. bis 27. Januar sind in Rio de Janeiro 28 Todesfälle an Gelbfieber und 10 an accesso pernicioso gemeldet; von hier aus ist Gelbfieber nach Viectoria (Espirito Santo) ver⸗ schleppt worden, woselbst vom 12. Dezember v. J. bis 4 Februar 50 Erkrankungen mit 20 Todesfällen gezählt wurden.

Verschiedene Krankheiten.

Pocken: Antwerpen 2, Moskau 8 Todesfälle; Antwerpen (Krankenhäuser), Paris je 5, St. Petersburg 36 Erkrankungen; Genickstarre: New PYork 12 Todesfälle; Tollwuth: Rom 1 Todes⸗ fall; Milzbrand: Moskau 1 Todesfall; Varizellen: München 39, Wien 63 Erkrankungen; Keuchhusten: London 57 Todesfälle; Reg.⸗⸗ Bez. Schleswig 70, München 50, Wien 100 Erkrankungen; Influenza: Berlin, Hamburg je 12, Altona, Frankfurt a. M., Leipzig je 4, Braunschweig, Bremen, Breslau, Kottbus, Magdeburg je 3, Barmen. Danzig, Hildesheim je 2, Kopenhagen 9, London 102, Moskau 5, New York 8, Paris 70, St. Petersburg, Prag, Wien je 3 Todesfälle; Nürnberg 555, Hamburg 71, Kopenhagen 131, St. Petersburg 30, Stockholm 43 Erkrankungen; Lungenentzündung: Reg.⸗Bez. Schleswig 121, München 78 Er⸗ krankungen. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern (Durchschnitt aller deutschen Berichtsorte 1886/95: 1,15 %): in Halberstadt Erkrankungen kamen vor in Berlin 43, im Reg.⸗Bez. Aachen 224, in Budapest 130, Edinburg 188, Kopenhagen 106, New York 280, St. Petersburg 97, Prag 22, Stockholm 26, Wien 325 desgl. an Scharlach in Berlin 49, Breslau 42, im Reg.⸗Beg. Arnsberg 153, in Budapest 33, Kopenhagen 84, London (Krankenbäuser) 167, Neaw York 182, Paris 156, St. Petersburg 40, Wien 59 desgl. an Diphthe rie und Croup in Berlin 82, im Reg.⸗Ber. Arnsberg 137, in München 57, Kopenhagen 45, London (Krankenhäuser) 121, Rew York 203, Paris 70, St. Petersburg 87, Stockholm 96, Wien 66 desgl. an Unte leibstyphus in Budapest 25, Paris 41, St. Petersburg 203.

Der Ausbruch der Maul⸗ und Klauenseuche ist dem Kaiserlichen Gesundheitsamt gemeldet worden vom städtischen Vieh⸗ se zu Stettin am 11. April.

Hinter⸗Indien.

Wegen Auftretens der Beulenpest in Hongkong ist der dortige Hafen durch Bekanntmachung der Kolonial⸗Regierung in Singapore vom 15. März d. J. für verseucht erklärt worden.

Alle von dort kommenden Schiffe werden dis zum neunten Tage nach der Abfahrt oder nach Auftreten des letzten an Bord vorge⸗ kommenen Falles der Krankbeit oder dis zur Freigabe durch den Ge⸗

E— der Kolonie bis auf westeres unter Quarantäne ge⸗

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