Staatssekretär des Reichs⸗Postamts von Podbielski: Meimne Herren! Ich muß auf einige Punkte eingehen, die der Herr Vorredner angeführt hat, weil sie doch vielleicht im Lande zu irrthümlichen Auffassungen Veranlassung geben können. Es war mir ja nach der vorjährigen Stellung, die die Fraktionsgenossen des Herrn Vorredners eingenommen haben, nicht weifelhaft, daß sie prinzipielle Gegner des ersten Theils der Vorlage sind, und daß sie sich zu warmen Vertheidigern der Privatbeförderungsanstalten aufwerfen würden.
Zunächst habe ich mich gewundert, daß er, obgleich er, soviel ich weiß, in naher Beziehung zur freisinnigen Zeitung steht, entweder seine Ausführungen aus dem „Berliner Tageblatt“ entnommen hat, oder vielleicht selbst der Urheber dieser neuesten Leistung des „Berliner Tageblatts“ ist, in dem ich beinahe mit denselben Worten apostrophiert werde über meine Beziehungen zur Sozialdemokratie. Nun, meine Herren, diesen Vorwurf nehme ich sehr gern hin. Ich bin nicht verwundert gewesen, daß die Herren durch Beifallsäußerungen dem zugestimmt haben, um mich eventuell an anderer Stelle zu denunzieren, als wenn ich in irgend einer Beziehung zur Sozialdemokratie stände. Mein bisheriges Verhalten und meine prinzipielle Stellung, die ich vor dem Reichstage und vor dem Lande jederzeit eingenommen habe, lehren das Gegentheil. Aber es ist ganz wunderbar, was mir heute vorgeworfen wird, ich hätte so wenig Material gegen die Privatbeförderungs⸗
anstalten vorgebracht. Durch alle Preßorgane geht im Gegen⸗ satz hierzu es hindurch, daß in dem, was ich gestern ausgeführt habe, ich mich absolut befleißigt habe, fachlich zu sein. Ich habe in meiner ersten Einführungsrede nichts über die Privatbeförde⸗ rungsanstalten und ihre Leistungen gesagt; ich habe lediglich auf eine Rede des Herrn Dr. Pachnicke erwidert und erst hier kurze Andeu⸗ tungen gegeben. Es hat mir hierbei völlig fern gelegen, das ge⸗ sammte Material vorzulegen. Es ist nicht ein dürftiges Material, wie der Herr Vorredner anführt, es ist ein ziemlich umfassendes. Darin gebe ich dem Herrn Vorredner vollkommen Recht: über die Brauchbarkeit entscheidet das Publikum, derjenige, der die Anstalt benutzt. Das liegt auf einem anderen Felde. Hier handelt es sich um die prinzipielle Entscheidung, und da möchte ich wiederholen, was ich gestern schon erwähnte, daß Deutschland allein sich bis jetzt den Luxus der Privatbeförderungsanstalten geleistet hat. Den weiteren Vorwurf des Herrn Vorredners anlangend, daß es sich im § 3 um Beseitigung der Anstalten bis auf die letzte handelt, glaube ich, er hat nicht den Text des Gesetzes gelesen. Es handelt sich nicht um Packete, sondern lediglich um offene Briefsendungen, wie ch es gestern anführte, und wie § 3 es ganz deutlich ausdrückt: um Briefe, Drucksachen, Karten, Waarenproben, also Da ist ihm wohl ein kleiner Irrthum (Zustimmung des Abg. Fischbeck.) Es handelt sich hier also nicht darum, ob es der verbündeten Regierungen würdiger ge⸗ wesen wäre, ein Verbot auszusprechen, sondern ich bin der Meinung, daß nur die klaren Konsequenzen von dem gezogen worden sind, was seitens der Privatbeförderungsanstalten bei den verschiedenen Verhandlungen aus⸗ gesprochen worden ist: daß sie nicht in der Lage wären, weiter zu bestehen, wenn der geschlossene Brief ihnen genommen würde. Ich habe aus⸗ geführt, daß die Reichs⸗Postverwaltung nur um deswillen die Kon⸗ essionspflicht für nothwendig erklärt, um eigenthümliche Mani⸗ pulationen zu verhindern, wie sie leider in kleineren Orten heute schon vorkommen, indem irgend jemand Werthzeichen ausgiebt, sie verkauft, Pauend auf die Vertrauensseligkeit des Publikums, und nachher verschwindet. Es kann zweifellos nicht der Wunsch des Reichstages sein, solchen Unter⸗ nehmungen Thür und Thor zu öffnen.
Meine Herren, nachdem ich so gezeigt hade, daß die Konzessions⸗ pflicht nothwendig ist, möchte ich auch weiter darauf hinweisen — wie ich in meiner gestrigen Rede schon sagte — es ist nicht mein Stand⸗ punkt, sondern die verbündeten Regierungen sind der Ansicht —, daß nur aus Billigkeitsrücksichten eine Entschädigung gewährt werden
Ich habe das ausdrücklich hervorgehoben, weil ich zu dieser
Erklärung beauftragt war.
Was weiter die Ausführungen anbetrifft, daß diese großen Einnahmen, die die Reichs⸗Postverwaltung jetzt hat, lediglich aus den großen Städten kämen, und daß, wie der Herr Vorredner sagte, die großen Städte nochmals dafür bluten sollen und gewissermaßen noch⸗ mals zu Leistungen herangezogen werden, so möchte ich zunächst be⸗ merken, meine Herren: die Einnahmen der Verwaltung gehen nicht lediglich aus dem Postverkehr hervor, sondern es kommt das gesammte Fernsprech⸗ wesen, es kommen eine ganze Menge von Einrichtungen, die in früheren Jahren getroffen sind, in denen das Geld investiert ist, und die jetzt Erträge abwerfen, naturgemäß hinzu. Ich will nicht etwa eingehen auf die Kontroversen mit der preußischen Regierung und die Forderungen, die eventuell für unentgeltliche Benutzung der Eisen⸗ bahnbeförderung von anderer Seite des öfteren erhoben werden; aber ich glaube, die Herren werden bei ruhiger und objektiver Prüfung in der Kommission doch den Eindruck gewinnen, daß wir zweifellos, wollen wir in unserm Vaterlande den Weg der Verkehrs⸗ erleichterungen gehen, den zu gehen ich mich immer wieder bereit erklärt habe, wir nur dann dazu kommen können, wenn Ueberschüsse vorhanden sind. Ich bin nicht persönlich beinflußt worden, viel Geld n schaffen, um ein fiskalisches Prinzip — das ist der beliebte Ausdruck — hochzuhalten. Meine Herren, wenn ich eine sparsame Verwaltung führe, so ist das — das gebe ich im — von meinem Standpunkt als konservativer Mann eine Nothwendigkeit. (Zuruf links.) Ich bin nicht ein Verschwender, der das Geld hinauswirft, sondern bemühe mich, möglichst viel Geld füc das Reich zu schaffen, und wenn ich sparsam verwalte und Ver⸗ kehrserleichterungen einführe, so glaube ich, diene ich dem Lande besser, als wenn ich einfach das Geld wegthue und nachher der Reichstag berufen sein soll, Deckung zu schaffen. Es ist meiner Ansicht nach viel leichter, aus bestehenden Einnahmen die erforderlichen Ausgaben zu decken, als in die schwierige Lage hineingebracht zu werden, in der der Reichstag doch schon öfter gewesen ist, für Deckung ven Aus⸗ gaben sorgen zu müssen. Jede neue Belastung irgend eines anderen Gewerbes oder einer anderen Einnahmequelle hat viel größere Schwierig⸗ eiten. Wir greifen unter allen Umständen viel tiefer ein, als wenn heute wenige Pfennige von jedem Einzelnen beigetragen werden bei der Be⸗ nutzung der Verkehrsanstalten. Meine Herren, ich sage ganz offen, ich erwarte nicht, daß man mich lobt; aber ich freue mich, daß ich sberhaupt durch eine sparsame Verwaltung wenigstens dazu beitragen kann, daß sich die Reichs⸗Einnahmen in guter Verfassung befinden.
tungen viel zu hoch, und es wird viel davon abgehandelt werden müssen, wenn die Vorlage annehmbar werden soll. Nach den Motiven scheint es, als ob man annim daß die Erweiterung des Postmonopols nothwendig sei, weil man diese weitere Ausdebnung früher übersehen habe. Dem ist aber nicht so. Das Thurn⸗ und g⸗Monopol bestand als Postregal bis zum Jahre 1867. Damals wurde für das norddeutsche Gebiet das Postwesen anderweit geregelt, wobei zum Ausdruck ge⸗ kommen ist, daß auf das Monopol verzichtet werden könnte. Fft will man etwas, was damals mit gutem Vorbhedacht beseitigt ist, wieder einführen. Das Postmonopol besteht eben nur, soweit es die davon betroffenen Gegenstände umfaßt. Jetzt soll ein neuer Gegen⸗ stand monopolisiert werden. Daraus allein, daß die Post gewisse Verpflichtungen hat, deren Erfüllung ihr Opfer auferlegt, kann eine solche Erweiterung des Monopols nicht hergeleitet werden. Trotz aller unrentablen Leistungen hat ja dennoch das Reich einen stetig steigenden Reinüberschuß, der auch den berechneten Ausfall von 8 ½ Millionen um ein Vielfaches überwiegt. Mit jedem neuen Monopol wird überdies eine neue Menge direkt vom Staate abhängiger Existenzen geschaffen. Dem Erwerbsleben dürfen nur diejenigen Schranken gezogen werden, welche die Erdrückung der Schwächeren durch die Stärkeren verhindern. Von diesem Standpunkte aus bestreite ich die Nothwendigkeit der Erweiterung des Monopols. Die Auffassung, daß der Staat die Gewerbe, sobald sie eine gewisse Rentabilität erlangt haben, verstaatlichen, monopolisieren müsse, wurde 1884 von dem steaatssozialdemokratischen Professor Adolf Wagner und wird heute von den Herren Sozialdemo⸗ kraten vertreten. Der Vorwurf des Verdienenwollens kann doch nicht nur einseitig gegen die Privatposten, sondern müßte gegen das ganze Erwerbsleben des Volkes erhoben werden. Daß die Privatposten deshalb aufgehoben werden müssen, weil bei ihnen das Brief⸗ geheimniß nicht sicher gewahrt ist, ist ein ganz haltloser Einwand; es ist durchaus Sache des Publikums, wie weit es ihnen Ver⸗ trauen schenken will; darin hat sich die Postverwaltung garnicht einzumischen. Ohne die Resultate der Privatposten hätten wir die Aussicht auf ermäßigte Posttarife überhaupt nicht erhalten. Die Unterdrückung der Privatposten wäre ein fundamentaler Mißgriff. Die Anstalten und ihre Angestellten sollen entschädigt werden; aber wer entschädigt denn das Publikum, das doch den größten Nachtheil von der Neuordnung hat? Auch diese längst nothwendig gewordenen Reformen nur gegen Erhöhung der Einnahmen zu bewilligen, und das noch dazu bei solchen Ueberschüssen, ist das berechtigt, ist das auch nur mit dem Zweck der Postverwaltung vereinbar?
Abg. Dr. Oertel⸗Sachsen (d. kons.): Wir schließen uns dem An⸗ trag Hasse an, die Vorlage der Budgetkommission zu überweisen. Nach der bisherigen Debatte erscheint des Schifflein der Vorlage allerdings erheblich überlastet; hoffentlich bringt die Kommissions⸗ berathung die nöthige Erleichterung. Uebertriebene Fiskalität kann man der Vorlage nicht zum Vorwurf machen. Auf die Ein⸗ nahmen aus der Verwerthung des großstädtischen Verkehrs kann die Verwaltung natürlich nicht verzichten. Die Leipziger Prirat⸗ post hat das den Anstalten im allgemeinen gespendete Lob nicht immer verdient. Jedenfalls ist die Ausdehnung des Monopols auf den geschlossenen Ortsbrief uns sympathisch; für die offenen Sendungen sehen wir eine Nothwendigkeit nicht ab. Die Aus⸗ dehnung des Postzwanges für Zeitungen stößt auch bei uns auf Be⸗ denken; jedenfalls genügt der zweimeilige Umkreis lange nicht mebhr. Den Zeitungstarif haben wir uns freilich anders gedacht, und hoffent⸗ lich wird der Staatssekretär hier mit sich reden lassen, damit etwas dem Durchschnittswunsch Entsprechendes geschaffen wird. Daß die Post gegenwärtig bei der Zeitungsbeförderung mit Verlust arbeitet, ist in der Begründung nicht bewiesen. Die Prinzipien des neuen Tarifs sind berechtigt, aber die Sätze sind zu hoch. Die Grundgebühr könnte vielleicht ganz wegfallen, dafür müßte der Abonnementspreis berücksichtigt werden. Die kleine Provinzpresse muß geschont werden, mit den großen Inseratenblättern braucht man kein Mitleid zu haben. Vielleicht läßt sich dieser Theil der Vorlage herauslösen und zunächst in einer Konferenz aller betheiligten Zeitungs⸗ arten und ⸗Industrien gesondert erörtern. Die Welt würde nicht untergehen, wenn der neve Zeitungstarif erst im nächsten Jahrhundert in Kraft träte.
Staatssekretär des Reichs⸗Postamts von Podbielski:
Meine Herren! Nur einer Ausführung möchte ich entgegentreten, nämlich der, daß die Reichs⸗Postverwaltung Zinsen erhält für das Geld, welches den Zeitungsverlegern gewöhnlich in sechs Monatraten ausgefolgt wird. Die Reichs⸗Postverwaltung befindet sich leider fort⸗ gesetzt in einem Vorschuß bei der Reichs⸗Hauptkasse. Wie Sie wissen, hat die Verwaltung die Unfall⸗ und Invalidenrenten zu bezahlen, und am Schluß des Jahres beträgt die Schuld der Postverwaltung bei der Reichshauptkasse 70 bis 75 Millionen. Es ist also ausgeschlossen, daß die Verwaltung auf irgend einem Gebiet Zinsen zu erzielen vermag. Abg. Dasbach (Zentr.): Ich leugne nicht, daß wir durch den Staatssekretär von Podbielski manche kleine Verbesserung bekommen haben. Aber Oesterreich hat schon im Jahre 1884 den einfachen 20 g⸗Brief eingeführt, ebenso ist in England das Maximalgewicht für Briefe viel höher als in Deutschland. Jetzt endlich kommt man auch bei uns mit der Erhöhung, aber man knüpft daran eine Menge anderweiter Erschwernisse. Daß die Aufbebung der Privatposten die Vermehrung der abhängigen Staatsbeamten durch die Aus⸗ dehnung des Monopols zur Folge haben wird, ist eine politisch höchst bedenkliche Zugabe. Auch die Postverwaltung macht trotz der entgegen⸗ gesetzten Versicherung des Staatssekretärs Unterschiede nach politischen Gesichtspunkten. Als in Neunkirchen ein Postbau ausgeschrieben wurde, inserierte die Verwaltung nicht in dem verbreitetsten Blatte, dem Zentrumsblatt, sondern in einem politisch ihr genehmeren, welches nur ein Viertel der Abonnentenzahl des anderen hatte. Die Be⸗ schränkung der Spedition durch Expreßboten soll gleiches Recht für Alle schaffen; thatsächlich wird damit eine große Anzahl kleiner und mittlerer Blätter erdrosselt. Im wichtigsten Punkte, dem Postzeitungstarif, erscheint mir die Vorlage schon jetzt als abgelehnt. Der Börsenverein deutscher Buchhändler hat im Interesse der Sortimenter eine Eingabe an den Reichstag gerichtet, worin ausgeführt wird, daß nach dem neuen Tarif die Zeitungen zu billig befördert werden würden. Diese auffallende Stellungnahme ist nichtedestoweniger durchaus berechtigt. Die Sortimenter befassen sich auch mit dem Vertriebe der Zeitungen und Zeitschriften, und sie fürchten von dem neuen Tarif eine ernste Schädigung ihrer Existenz. Da die Entfernung nicht berücksichtigt, also dem Prinzip „Leistung und Gegenleistung“ nicht entsprochen wird, sollte wenigstens ein Prozentsatz, etwa 10 %, des Abonnements⸗ preises in Betracht gezogen werden. Im übrigen hat der Staats⸗ fekretär selbst davon gesprochen, daß einige 80 Vorschläge zur ander⸗ weiten Gestaltung des Post⸗Zeitungsprovisionstarifs vorgelegen haben; vielleicht findet sich darunter irgend ein brauchbarer, der eine gerechte Vertheilung der Lasten ermöglicht und die heutigen Einnahmen nicht schmälert. In der Fommisston werden wir ja wohl Näheres darüber
ren.
Staatssekretär des Reichs⸗Postamts von Podbielski:
Ich glaube ja auch, daß es sich bei den Berathungen in einer Kommission und an der Hand des Materials, welches naturgemäß nicht den einzelnen Herren im Hause und den einzelnen Zeitungsinteressenten zur Zeit zur Verfügung steht — es sich doch wohl ermöglichen lassen wird, die Gründe klar zu legen für die Vorschläge der Reichs⸗Postverwaltung resp. auch zu zeigen, daß bei der Mehrzahl der Vorschläge, die bis jetzt unterbreitet sind, mehr persönliche Motive die Veranlassung sind, daß der Vorschlag immer auf den Betreffenden und nicht auf die Allgemeinheit zugeschnitten ist. Aber, meine Herren, ich habe das Wort nur ergriffen, um hier wiederum einen Punkt zu widerlegen, der auch von dem Herrn Abg.
Dr. Rintelen ( ): Der Preis, den der Staatssekretär für Ebennn seiner ” ist vielen Rich⸗
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Rintelen vorhin erwähnt ist und den auch der Herr Vorredner an⸗
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geführt hat. Er sprach vor allem aus: Das Monopol ist um deswillen für mich unannehmbar, weil dadurch die Zahl der von der Staats⸗ verwaltung abhängigen Beamten so unendlich vermehrt wird. Ja, meine Herren, das Bild ist nicht von der Reichs⸗Postverwaltung, sondern von den Privatposten aufgestellt. Es handelt sich einfach um 170⸗ bis 180 000 Postbeamte und um 2000 bis 2500 Beamte bei den Privatbeförderungsanstalten. Ja, meine Herren, wie das überhaupt in den Vordergrund gerückt werden kann, das ist mir, offen gestanden, nicht ganz erklärlich. Eine Vermehrung findet ja bei der Postverwaltung, wie die Herren aus der Budgetkommision wissen, alljährlich in viel größerem Maße statt als um die 2000 Beamten, die bei den Privatbeförderungsanstalten angestellt sind. Meines Er⸗ achtens ist also das Bedenken, daß man mehr abhängige Beamte schaffe, von keiner Bedeutung.
Abg. Werner (Reformp.) bittet, den Entwurf einer besonderen Kommission zu überweisen, und wünscht, daß aus ihrer Berathung der Vorlage, deren Inhalt er fast durchweg billige, etwas Brauch⸗ bares herauskommen möge.
3 8 Vorlage gehr an eine Kommission von 28 Mit⸗ iedern.
1 Es folgt die erste Berathung des Entwurfs eine
Fernsprechgebührenordnung. 8
Staatssekretär des Reichs⸗Postamts von Podbielski:
Meine Herren! Die Ausdehnung unseres Fernsprechwesens i Deutschland zeigt, daß wir an der Spitze der Entwickelung aller Länder der alten Welt stehen. Wir haben gegenwärtig 720 Orte des Reichs⸗Telegraphengebiets, welche Stadtfernsprecheinrichtungen haben, mit 172 000 Sprechstellen, und es erfolgen an diesen 172 000 Stellen täglich 1 ½ Millionen Gespräche. Die Stadtfernsprech⸗ einrichtungen sind zunächst in den größeren Städten entstanden und haben erst allmählich die mittleren und kleineren Orte mit in den Kreis der Entwickelung gezogen. Im Jahre 1898 sind 180 Städte mit neuen Fernsprecheinrichtungen versehen worden, und im laufenden Jahre ist abermals die Ausrüstung von 250 neuen Orten mit Stadtfernsprecheinrichtungen vorgesehen, sodaß wir in Deutschland sehr bald über 1000 Stadtfernsprecheinrichtungen haben werden. Für alle diese Netze, ob sie groß oder klein sind, ob sie 36 000 Theilnehmer oder nur 36 haben, erhält die Verwaltung von den Angeschlossenen bisher stets die gleiche Jahresgebühr von 150 ℳ Zweifellos hat dieser Einheitssatz für die Verwaltung mancherlei Vorzüge; die Einfachheit in der Feststellung und Erhebung, die Ersparung todter Bureauarbeiter hat ja auch im Brief⸗ und Packetverkehr in stets wachsendem Maße zu Einheitssätzen geführt, auch im Interesse des Publikums, dem die Gewißbeit über die in zahlenden Gebühren von Werth war.
So war es also kein Wunder, daß in Deutschland zunächst der Einheitssatz im Telephontarif zur Einführung gelangte, zu einer Zeit, da die Fernsprechnetze sich auf die ziemlich gleichartigen Verhältnisse weniger großer Städte beschränkten. Aber der Einheitssatz hat die eine große Schwäche, daß er ein Durchschnittsatz ist, der als solcher die einen entlastet und zweifellos die anderen belastet. Darüber ist aus den erwähnten praktischen Gründen hinwegzukommen, so lange die obere und untere Ziffer, zwischen denen der Durchschnitt zu ziehen ist, nahe bei einander liegen, nur um Pfennige oder Groschen von einander abweichen. Sobald aber die Differenz von Pfennigen zum Bielfachen einer Mark anwächst, liegt die Sache wesentlich anders. Und darum handelt es sich beim Fernsprechwesen: denn die Her⸗ stellungs⸗ und Unterhaltungskosten sind in den Orten mit Tausenden von Theilnehmern sehr erheblich höher als in kleinen Netzen. Infolge dessen wird der Einheitssatz von 150 ℳ im Fernsprechgebührenwesen bei uns von allen mittleren und kleineren Orten als ein Mißstand empfunden; dem Reichstage sind in diesem Sinne zahlreiche Petitionen zugegangen, und aus den Verhandlungen der Budgetkommission er⸗ giebt sich dasselbe.
Wie wenig der Einheitssatz hier den Verhältnissen entspricht, läßt sich auch daraus entnehmen, daß außer Deutschland kein größeres Land mit entwickeltem Telephonsystem den Einheitssatz für Fern⸗ sprechanschlüsse beibehalten hat, auch Nord⸗Amerika nicht, wo das Telephon überhaupt die allergrößte Verbreitung gefunden hat. Ueberall finden Sie Abstufungen des Tarifs nach Maßgabe des Nutzens, den die Theilnehmer, und nach Maßgabe der Unkosten, welche die Unter⸗ nehmer haben; überall wird die Gesetzgebung von der öffentlichen Meinung dahin gedrängt, die Fernsprechgebühren soweit als möglich nach Maßgabe der wirklichen Leistungen abzustufen.
Noch auf eine besondere Folge muß ich hinweisen, die das System des Einbeitssatzes im Fernsprechwesen mit sich bringt. Es begünstigt ganz zweifellos die größeren Städte auf Kosten der kleineren und des flachen Landes; nur weil die Theilnehmer hier so viel zahlen müssen, haben die Theilnehmer in größeren Städten so wenig zu zahlen. Gestern wurde von einer Seite die Frage aufgeworfen, ob beim Post⸗ wesen die großen Städte zu Leistungen für das flache Land herangezogen werden. Beim Fernsprechwesen zeigt sich ganz deutlich das Umgekehrte, daß nämlich die kleineren Städte erhebliche Summen aufbringen müssen, damit in den großen Städten die Fern⸗ sprechgebühren so billig sein können, wie sie in Deutschland zur Zeit sind. In anderen Ländern zahlen die Abonnenten der großen Städte erheblich mehr. In London werden 400 ℳ bezahlt, in Paris 320 ℳ, in Brüssel 200 ℳ, in Amsterdam 195, in Budapest 240, in Wien 160, in Kopenhagen 168 ℳ Nun hat diese Bevorzugung der großen Städte auf Kosten der kleinen den großen Nachtheil, daß sie die Ent⸗ wickelung des Fernsprechwesens in jenen künstlich fördert, während sie auf der anderen Seite die Entwickelung in den mittleren und kleineren Städten und auf dem flachen Lande künstlich zurückhält. Die zentralisierende Kraft der größeren Städte wird hierdurch wesentlich erhöht; denn die größeren Städte erhalten einen bedeutenden wirthschaftlichen Vortheil, indem sie alle Nachrichten mittels des Telephons viel schneller bekommen und ver⸗ breiten können als die mittleren und kleinen Städte, welche die Ein⸗ richtung nicht besitzen oder welche für die geringere Ausnutzung einen ebenso hohen Beitrag zahlen müssen wie jene. Ich habe deshalb mir zur Aufgabe gestellt, die Ausdehnung des Fernsprechwesens auf die kleineren Orte und das flache Land nach Kräften zu fördern. Der Reichstag hat ja bereits in dankenswerthem Entgegenkommen in diesem Jahre zum ersten Male besondere Mittel für diesen Zweck be⸗ willigt. Diese Maßregel wird aber erst dann ganz wirksam werden, wenn wir dazu übergehen, die Tarife in den kleineren Orten wesentlich billiger zu gestalten. Die Ermäßigung der Gebühren für die
kleineren Orte und das flache Land ist das Hauptziel, welches der vorliegende Entwurf sich gestellt hat. 1“ 8
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DOb diese Ermäßigung für die kleineren Netze ohne gleichzeitige
Erhöhung für die großen Orte möglich ist, darüber sind die Meinungs⸗ verschiedenheiten entstanden. Ja den großen Städten sagt man: wir wollen nicht mehr zahlen; ermäßigt nur die Theilnehmer⸗ gebühren in den kleineren Städten. Nun möchte ich darauf hinweisen: Berlin besitzt 40 000 Sprechstellen mit 64 000 km Draht. Wenn nun jetzt das Doppelleitungssystem durch⸗ geführt wird, so kommen, da der Kilometer Draht etwa 100 ℳ kostet und auch kostspielige Aenderungen an den Apparaten erforder⸗ lich werden, für Berlin allein schon 6 ½ Millionen an besonderen Kosten in Betracht. Da entsteht die Frage: wie soll die Sache geregelt werden, damit auch für diese erheblichen Reuaufwendungen eine gewisse Verzinsung des Anlagekapitals gesichert ist? Es wäre ja für mich das Allerbequemste und das Populärste zugleich, wenn ich nur mit Ermäßigungen vor⸗ ginge, ohne zugleich Erhöhungen herbeizuführen. Der § 7 des Tarif⸗ gesetzes ermächtigt den Reichskanzler, Ermäßigungen ohne Mit⸗ wirkung des Reichstages eintreten zu lassen. Aber ich meine, ich habe doch auch noch andere Momente zu berücksichtigen, und ich muß mir erlauben, immer wieder darauf hinzuweisen, welche erheblichen Kosten gerade in großen Orten, wie Hamburg, Berlin, Frankfurt u. s. w. durch den nothwendigen Uebergang zum Doppelleitungssystem entstehen.
Man hat mir in einzelnen Blättern entgegengehalten: die verbündeten Regierungen geben für die Kolonien, für Meliorationen u. s. w. viel Geld aus, ohne nach der Ver⸗ zinsung zu fragen; dagegen wird für das Fernsprechwesen eine genaue Gewinnberechnung aufgemacht und theilweise eine Er⸗ höhung der Gebühren gefordert. Aber bei den Landesmeliorationen handelt es sich um wirthschaftliche Vortheile, die für große Landstriche in der Zukunft erwartet werden, und von den Kolonien hoffen wir, daß sie dem gesammten Vaterlande durch Vermehrung seines Handels und Befestigung seiner Weltstellung von Nutzen sein werden. Es ist also sehr verständig, wenn dafür gegeben werden, mögen sie auch erst in der Zukunft Rutzen bringen. Bei dem Telephon dagegen kommt stets nur eine beschränkte Zahl von Staatsbürgern in Frage. Auch in Zukunft wird nicht jeder Bewohner Deutschlands eine Fernsprech⸗ anlage in seiner Wohnung und in seinem Hause haben. Deshalb müssen diejenigen, welche diese Anstalten benutzen, damit rechnen, daß sie die Kosten aufbringen, die nothwendig sind für die Anlage, Unter⸗ haltung, Verzinsung, Bedienung u. s. w.; sie können nicht beanspruchen, daß dazu die übrigen Steuerzahler herangezogen werden. Es läßt sich sehr wohl rechtfertigen, daß der einzelne Angeschlossene zu diesen Kosten den entsprechenden Beitrag liefert.
Ich möchte Sie hier auf eine Broschüre hinweisen, welche von einem Schweizer, Dr. Reinhard, über die Entwickelung des Telephon⸗ wesens in der Schweiz veröffentlicht ist, und zwar erst nachdem dieser Gesetzentwurf dem hohen Hause bereits vorgelegt war. Ich habe an⸗ geordnet, einige Exemplare von dieser Broschüre den Herren in der Kommission zur Verfügung zu stellen. In dieser Broschüre wird an der Hand der in der Schweiz gesammelten Erfahrungen gezeigt, wie es auf die Dauer unmöglich ist, eine gleichmäßige Pauschalgebühr aufrechtzuerhalten, wie es vielmehr nothwendig ist, zu einer Indi⸗ vidualisierung der Fernsprechgebühren überzugehen. Dr. Reinhard hat sich dem Studium dieser Frage speziell in der Schweiz gewidmet und bringt das gesammte Material ganz unabhängig zur Darstellung, kommt aber dabei zu denselben Schlüssen, zu denen auch die Reichs⸗ Postverwaltung in der Begründung dieses Entwurfs gekommen ist.
Meine Herren, ich habe hier schon des öfteren ausgesprochen, daß für den ganzen wirthschaftlichen Aufschwung Deutschlands die Entwickelung unseres Telephonwesens von hoher Bedeutung gewesen ist, und daß wir dadurch in dem wirthschaftlichen Wettbewerb einen erheblichen Vortheil errungen haben. Ich muß aber auch darauf hinweisen, daß das Telephon in gewisser Weise dem Telegraphen Abbruch thut. Ich möchte hier einige Zahlen anführen, die beweisen, daß in der Ver⸗ waltung des Telegraphenwesens doch recht schwierige Verhältnisse vor⸗ liegen. Im Jahre 1897 betrug die Einnahme an Telegrammgebühren (im Gegensatz zu den Fernsprechgebühren) 23 ½ Millionen Mark; die Ausgaben für das Personal der Telegraphie betrugen da⸗ gegen allein 25 Millionen Mark, die Kosten für die Unterhaltung der Linien, Apparate u. s. w. noch 4 Millionen; dies sind also 29 Millionen Ausgaben gegen 23 ½ Millionen Einnahmen, also 5 ½ Millionen Minus. Hierbei sind die Kosten für die Räume, die Amortisation und die Verzinsung des Anlagekapitals vollkommen außer Acht gelassen. Dies Defizit wird um so schwieriger herab⸗ gemindert werden können, wenn das Telephon dem Telegraphen Abbruch thut, und wenn wir nicht in der Lage sind, Einnahmen aus dem Telephonwesen für das Telegraphenwesen zu verwenden. Ich möchte davor warnen, daß wir etwa einem Telegraphendefizit noch ein Telephondefizit hinzufügen. Ich weise darauf hin, wie ich es be⸗ reits an anderer Stelle gethan habe, daß wir dadurch, daß das An⸗ lagekapital sich beim Fernsprechwesen gut verzinst, die Finanzverwaltung gewonnen haben, uns die erforderlichen Mittel zu dessen Ausdehnung stets bereitwillig zur Verfügung zu stellen. Ich habe Gelegenheit gehabt, in der Budgetkommission darauf hinzuweisen, daß alljährlich erhebliche Ueberschreitungen der Ausgabe⸗Titel für die Erweiterung der Fernsprech⸗ anlagen stattgefunden haben, weil das Bedürfniß über Erwarten groß ge⸗ wesen ist, und daß die Telegraphenverwaltung sich von Jahr zu Jahr die Mittel von dem Reichs⸗Schatzamt hat erbitten müssen; dies hat
im Reichstage allseitige Zustimmung gesunden. Ich möchte aber fragen, ob das Reiche⸗Schatzamt diese Mittel bewilligt haben würde, wenn die Verwaltung keine reichliche Verzinsung der geforderten Beträge hätte in Aussicht stellen können. Meine Herren, nun ist mir auch hier der Vorwurf der Fiskalität
geꝛmacht worden, der ja immer sehr leicht bei allen derartigen Gesetzen duvrchtlingt. Es sind Ihnen in der Begründung die Angaben vor⸗
gelegt worden, aus denen Sie ersehen können, daß wir nur auf einen kleinen Ueberschuß rechnen dürfen. Wenn die Vorschläge des Ent⸗ wurfs zur Annahme gelangen, so werden gerade die neu hinzu⸗ kommenden Anlagen in den kleinen Städten und auf dem Lande erheblich weniger zu zahlen haben: dadurch wird sich das Verhältniß von Jahr zu Jahr mehr zu Ungunsten der Verwaltung verschieben, 8 d. b. Orte, in denen billige Anlagen geschaffen werden, werden in größerer Anzahl hinzutreten, während die Zunahme von Orten mit erhöhten Gebühren nicht in Betracht kommt. Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß die Einnahmen des Reichs aus dem Telephonbetriebe in der Zeit von 1881 bis 1897
Summen aus⸗
147 ½ Millionen Mark betragen haben. Dagegen bhat das Reich in derselben Zeit für Betrieb, Unterhaltung, Erweiterung und Neu⸗ herstellung der Telephonaulagen (ausschließlich der Amorti⸗ sation und Verzinsung) 168 Millionen Mark ausgegeben, mit anderen Worten, das Reich bat nicht allein die sämmtlichen Einnahmen, sondern noch 20 ½ Millionen Mark mehr in die Telephonie hinein⸗ gesteckt. Auf dem Papier erscheinen Einnahmen, in Wirklichkeit aber leisten wir alljährlich immer Zuschüsse für Neuanlagen. Ich glaube wirklich nicht, daß der Vorwurf der Fiskalität auf diesem Gebiete zutreffend ist.
Dann ist mir in der Presse entgegen gehalten, ich sollte nur die Tarife ermäßigen, dann würde das stärkere Anwachsen der Theil⸗ nehmerzahl den Gebührenausfall ausgleichen. Dieser Einwand beruht, glaube ich, nicht ganz auf Sachkenntniß. Bei der Eisenbahn, der Post, dem Telegraphen, überhaupt bei den der allgemeinen Benutzung zugänglichen Verkehrsinstituten gleicht unter Umständen vermehrter Verkehr eine Tarisverbilligung aus; anders liegt es beim Telephon; hier dient jeder neue Anschluß immer nur dem betreffenden neuen Theil⸗ nehmer. Eine Vermehrung von Anschlußstellen in einem Amt ruft aber erhöhte Kosten hervor. Werden zwei Personen verbunden, so ist das einfach und billig; kommt der Dritte hinzu, so wollen schon die zwei mit dem Dritten sprechen können. Nun bedenken Sie, daß in Berlin jeder der 36 000 Theilnehmer mit den anderen 35 999 sprechen kann; zu diesem Zweck müssen entsprechende Ver⸗ bindungen hergestellt werden, nicht allein Verbindungen auf dem einzelnen Amt, sondern — Berlin hat 8 Ver⸗ mittelungsämter — auch zahlreiche Verbindungsleitungen zwischen den verschiedenen Vermittelungsämtern. Das erfordert komplizierte Einrichtungen, bedingt durch die größere Theilnehmerzahl. Also, wir können relativ billigere Einrichtungen in kleinen Orten machen als in großen, wo die steigende Zahl der Theilnehmer und Vermittelungs⸗ ämter die Kosten wesentlich steigert. Es ist technisch völlig aus⸗ geschlossen, in Berlin ein einziges Amt für jetzt schon 36 000 Theil⸗ nehmer zu schaffen. Die Einrichtung eines einzigen der acht vor⸗ handenen Vermittelungsämter kostet in Berlin 1 Million. Das zeigt aber, wie erheblich sich die Kosten in großen Städten steigern. In den kleinen Städten läßt sich ein Anschluß um 100 ℳ pro Jahr billiger schaffen als in Berlin und den anderen ganz großen Orten, weil die Verhältnisse dort viel einfacher liegen. Das wird vom Publikum nicht berücksichtigt; man glaubt leicht, mehr Theilnehmer würden die Einrichtung verbilligen; die Verhältnisse liegen aber thatsächlich entgegengesetzt.
Nun verweist man hier und da auf das Ausland. Ich möchte zunächst bemerken, daß die Gebühren in England, Frankreich, Oesterreich⸗Ungarn, Italien, Belgien, Niederlande, auch Rußland höher sind als in Deutschland, ganz zu schweigen von den Vereinigten Staaten. Ebenso sind sie in der Schweiz, wenigstens in mancher Beziehung, im Verfolg des dort zur Einführung gebrachten Einzelgebührensystems wesentlich höher. Geschäfte, die täglich 50 bis 60 Gespräche führen — und ich könnte Ihnen deren in Berlin eine ganze Menge anführen — zahlen in der Schweiz dafür über 800 ℳ jährlich, bei uns dagegen zur Zeit nur 150 ℳ und nach dem Entwurf auch nicht mehr als 180 ℳ
Die einzigen Länder, welche wesentlich billiger sind als wir, sind Schweden und Norwegen, was mir ja öfters vorgehalten wird. Meine Herren, ich habe Gelegenheit gehabt, in der Budgetkommission mich über die dortigen Verhältnisse im einzelnen auszulassen; ich habe aus⸗ einandergesetzt, daß der Werth des Geldes dort ein ganz anderer ist, daß die Arbeitsentlohuung demzufolge dort eine wesentlich billigere sein kann als bei uns, ich würde mich herben Vorwürfen von der linken Seite des Hauses aussetzen, wenn ich daran denken wollte, für 35 bis 36 ℳ monatlich eine Fernsprechgehilfin anzustellen, wie es dort möglich ist. Ich will auch nicht unterlassen, an dieser Stelle darauf hinweisen, daß gerade in Schweden eine Persönlichkeit an der Spitze der Telegraphenverwaltung steht, die sich durch intelligente Leitung des schwedischen Fernsprechwesens große Verdienste erworben hat um die Entwickelung des Telephons nicht allein in Schweden, sondern in der ganzen Welt. Aber meines Erachtens liegt der Hauptgrund für die niedrigeren Tarife in Schweden doch in dem erheblich höheren Werthe, welchen das Geld dort hat.
Meine Herren, ich möchte davon absehen, die einzelnen Punkte des vorgeschlagenen Tarifsystems hier zu erörtern. Ich möchte nur nochmals betonen, daß meines Erachtens die Ermäßigung für die mittleren und kleinen Orte nicht ohne gleichzeitige Erhöhung für die größeren Orte zur Durchführung kommen kann.
Man hat ja auch verschiedene weitere Vorschläge gemacht. Man hat gesagt: ich sollte Abstufungen nicht nur zwischen den verschiedenen Städten, sondern auch unter den Theilnehmern an demselben Ort zu⸗ lassen. Ich glaube, das würde zu unendlichen Komplikationen und Schwierigkeiten führen. Das von Herrn West empfohlene Heil⸗ mittel, mehrere Theilnehmer mittels eines gemeinsamen Drahtes an die Vermittelungsanstalt anzuschließen, ist bereits früher vom Abg. Dr. Müller (Sagan) abgewiesen worden
Die Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft haben auf das amerikanische System des automatischen Umschalters, bei welchem es der menschlichen Vermittelung auf der Zentrale nicht bedarf, auf⸗ merksam gemacht. Ja, meine Herren, die Reichs⸗Postverwaltung ist jederzeit bereit, in eine Prüfung neuer Erfindungen einzutreten, sie hat auch die Absicht, das amerikanische System zu versuchen, ob es aber zu einer wesentlichen Verbilligung führen wird, das muß sich erst zeigen; an Stelle der jetzigen Fernsprechgehilfinnen würden zur Beaufsichtigung, Instandhaltung und Reparatur der höchst komplizierten Apparate wesentlich theurere Beamte, nämlich gewandte Mechaniker, angestellt werden müssen. Ferner liegt ein Bedenken darin, daß zum Betriebe dieses Systems starke Accumulatorenbatterien gehören, zu deren Ladung es elektrischer Zentralanlagen bedarf. An Orten, wo solche fehlen, stößt die Aus⸗ führung auf Schwierigkeiten. Sie sehen, daß die Reichs⸗Postverwal⸗ tung sich auch mit dieser Erfindung beschäftigt hat. Die Verhand⸗ lungen dauern bereits seit über Jahr; sie haben aber noch nicht dazu geführt, daß das System bei uns zur Einführung gelangen könnte.
Meine Herren, man hat in der Presse sogar die Bestimmung des Entwurfs angegriffen, der zufolge dem einzelnen Theilnehmer das Recht zustehen soll, gegen Einzelgebühren zu sprechen. Man hat mir dies fast als Arglist angerechnet. (Zuruf links.) — Ja, Herr Abg. Singer, man hat mir vorgeworfen, auf diese Weise wolle ich diejenigen eliminieren, die wenig sprechen; infolgedessen würde,
während der Wenigsprechende jetzt in der Durchschnittsgesprächszahl
mit einbegriffen ist, künftig die durchschnittliche Zahl der Abonnenten⸗ gespräche höher werden und damit die Abonnementsgebühr wachsen. Meine Herren, ich habe dabei keine andere Absicht als die gehabt, dem Publikum entgegenzukommen, indem denjenigen, die oft von Hause ab⸗ wesend sind oder sonst den Fernsprecher nur selten benutzen, die Ge⸗ legenheit zu einem billigeren Anschluß gegeben werden sollte. Ich erkläre aber von vornherein: liegen dagegen Bedenken vor, so lasse ich die Einzelgebühren fallen.
Ich möchte noch auf einen Punkt eingeben, der für mich sehr interessant zu beobachten war. Es ist in der Oeffentlichkeit auch des⸗ halb Widerspruch gegen den Entwurf erhoben worden, weil er den Vorortsverkehr benachtheilige. Es haben sich z. B. Redner hier in den Berliner Vororten, in Schöneberg, aus diesem Grunde gegen den Tarif erklärt. Ich weiß nicht, wie man zu der Annahme ge⸗ kommen ist, die Vororte würden durch den Entwurf Schaden leiden. Es ist meine Absicht, gerade für die Vororte eine Verbilligung ein⸗ treten zu lassen. Die Herren in Schöneberg hätten wohl besser gethan, zunächst meine Erklärung über diesen Punkt abzuwarten. Das Minimum im Vorortsverkehr ist jetzt 200 ℳ, also die Berliner Ge⸗ bühr von 150 plus 50 ℳ Der Berliner, der nach dem Vorort spricht, zahlt sie nicht, sondern der voraussichtlich minder wohl⸗ habende Vorortsbewohner muß sie entrichten. Es liegt in der Absicht der Reichs⸗Post⸗ und Telegraphenverwaltung, entsprechend den Vorschlägen der Postnovelle auch für den Telephonverkehr der Nachbarorte einheitliche Sätze gelten zu lassen. Man würde künftig in Schöneberg, Charlottenburg, Friedenau ꝛc. zu demselben Satze mit Berlin sprechen können, welcher in Berlin selbst erhoben wird. Wenn der Satz für Berlin, wie der Entwurf vorschlägt, 180 ℳ beträgt, so bedeutet dies für diese Vororte eine Verbilligung um 20 ℳ jährlich pro Stelle. Und ebenso wie für diese, würde es auch in anderen Orten sein, so in Köln mit Mülheim (Rhein), Elberfeld und Barmen. Ich hoffe, meine heutigen Erklärungen werden die Interessenten der Vororte überzeugen, daß sie keine Veranlassung hatten, sich dem Ent⸗ wurf feindlich gegenüberzustellen.
Ich komme nun zu den Gebühren für die Ferngespräche. Die Ermäßigung der Gebühr für die 50 Kilometerzone auf 25 ₰ hat eine erhebliche Zunahme der Ferngespräche zur Folge gehabt. Von seiten des Handels wird es aber als eine Benachtheiligung angesehen, daß bei Gesprächen über 50 km die Gebühr gleich auf 1 ℳ steigt. Die jetzige Vorlage sieht für die nächste Zone bis 100 km 50 ₰ vor; das ist ungefähr die Grenze, die in den einzelnen Landestheilen ausreicht, um die Verbindung mit der nächsten größeren Handels⸗ emporie oder dem Sitze der Regierung zu erhalten. Dieser Vorschlag ist alsbald von dem Verlangen überboten worden, die 50 Pfennig⸗Zone bis auf 150 km auszudehnen. Ich werde in der Lage sein, der Kommission darstellen zu können, daß die Kosten für die Fernleitungen so bedeutend sind, daß wir thatsächlich nicht in der Lage sind, auf 150 km die 50⸗Pfennig⸗Gebühr ausdehnen zu können.
Weiter sind im Entwurf bei den Fernsprechgebühren für größere Entfernungen höhere Sätze als 1 ℳ vorgesehen worden. Wer die Entwickelung unseres Fernsprechwesens überblickt, dem muß es auf⸗ fallen, warum zur Zeit Berlin wie eine Barre den Fernsprechverkehr zwischen dem Osten und dem Westen trennt. Das liegt darin, daß die großen Entfernungen, welche über Berlin hinausgehen, thatsächlich enorme Kosten verursachen und hierfür die jetzige Gebühr von 1 ℳ kein hinreichendes Entgelt bieten wird. Wenn eine Linie, die eine . halbe Million kostet, täglich 100 Gespräche hat, also jährlich rund 30 000 ℳ bringt, so sind diese 30 000 ℳ zweifellos ungenügend, um für Amortisation, Unterhaltung und Bedienungskosten das entsprechende Aequivalent zu bieten. Denken Sie z. B. an die Leitungen, die bereits gebaut sind nach Wien und Pest; denken Sie an die Möglichkeit einer telephonischen Verbindung zwischen Berlin und Paris. Eine mit zwei Doppelleitungen ausgerüstete Telephonlinie von Berlin nach Paris würde der deutschen Verwaltung bis zur französischen Grenze rund 1 Million Mark kosten. Ich frage Sie: mit welchen Gebühren sollten wir auf diesem Drahte auskommen, wenn wir 1 ℳ erheben wollten? Dasselbe gilt von den langen Leitungen im Inlande. Man muß hierbei erwägen, daß bei den langen Leitungen, so lange sie zu . Gesprächen zwischen den Endpunkten benutzt werden, alle dazwischen liegenden Orte von der Benutzung der Leitung ausgeschlossen sind. Wenn z. B. jemand von Frankfurt am Main bis Königsberg durchsprechen soll, dann können während dessen so und so viele Theilnehmer an Zwischen⸗ orten diese Linie auch auf Theilstrecken nicht benutzen. Wenn dafür nicht entsprechende Gebühren erhoben werden, so müßte die Verwaltung einen erheblichen Schaden leiden.
Wenn Sie die Eingaben der Handelskammern und der ver⸗ schiedenen Städte verfolgen, dann werden Sie immer den Wunsch nach möglichst weit reichenden Verbindungen finden. Wir werden immer mehr Fernleitungen bauen müssen; aber diese müssen die Verzinsung aufbringen. Ich habe Ihnen an der Hand der Kosten, die diese Fern⸗ leitungen hervorrufen, gezeigt, daß wir bei einem Satz von 1 ℳ nicht stehen bleiben können. Wenigstens würden wir dann eine künstliche Schranke schaffen. Die Verwaltung kann auf so große Entfernungen einen Draht einem einzelnen Theilnehmer nicht für 1 ℳ zur Verfügung stellen. Darum ist der Vorschlag gemacht, die Gebühren für weite Entfernungen etwas zu erhöhen.
Ich glaube, daß eine nähere Prüfung des Entwurfs zeigen wird, daß es mit der Vertheuerung in den großen Städten thatsächlich nicht so schlimm ist, namentlich auch im Hinblick auf den Uebergang zum Doppelleitungssystem, für welchen der Reichstag in diesem Jahre bereits 2 Millionen bewilligt hat, und welcher schon hinsichtlich der bestehenden Anlagen im Ganzen mindestens 20 Millionen Mark be⸗ anspruchen wird. Im Hinblick hierauf hätten wohl die großen Städte keine Veranlassung, den Tarif zu theuer zu finden. Auch ohne dies Gesetz würde der Uebergang zum Doppelleitungssystem die Erbebung von Zuschlägen zu den bisherigen Sätzen in den großen Städten für alle mit Doppelleitung angeschlossenen Theilnehmer noth⸗ wendig machen. 1
Ich glaube, die Kommission wird wohl in der Lage sein, an der Hand des Materials festzustellen, daß es sich hier in der That nicht um Fiskalität handelt, sondern nur um eine andere Vertheilung der Lasten. Es wird zu prüfen sein, ob die großen Städte dadurch be⸗ nachtheiligt werden, oder ob nicht doch vielleicht die Eingaben aus dem ganzen Lande, welche die kleinen und mittleren Orte entlastet zu sehen wünschen, eine größere Beachtung verdienen. Ich glaube, wir werden auf der Grundlage dieses Entwurfs zu einem wesentlich gesunderen Ausbau des Fernsprechwesens kommen, nicht zu einer künstlichen
Züchtung der großen Netze, wie sie jetzt thatsächlich geschieht.