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keit geben, sich selbst ebenso zu versichern, wie ihre Arbeiter. Eine
82. Sitzung vom 15. Mai 1899, 1 I
Die zweite Berathung des Entwurfs eines Inva⸗ lidenversicherungsgesetzes wird fortgesetzt.
§ 8 betrifft die freiwillige Versicherung. Nach der Vor⸗ lage sollten nur diejenigen Personen, auf welche der Bundes⸗ rath die Versicherungspflicht ausdehnen kann (die Haus⸗
ewerbetreibenden) und diejenigen, welche gegen Gewährung eien Unterhalts beschäftigt oder zu vorübergehenden Dienst⸗ leistungen benutzt werden, sich freiwillig versichern können; diejenigen, welche aus einer versicherungspflichtigen Beschäf⸗ tigung Ausscheiden, sollen die Versicherung freiwillig fort⸗ setzen können. 8
Die Kommission will die freiwillige Selbstversicherung auch folgenden Personen, sobald sie das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gestattet wissen: 1) den Betriebsbeamten, Werkmeistern, Technikern, Handlungsgehilfen und sonstigen Angestellten, Lehrern, Erziehern und Schiffsführern, die zwar mehr als 2000, aber nicht mehr als 3000 ℳ Gehalt haben; ferner 2) den Gewerbetreibenden und sonstigen Betriebsunter⸗ nehmern, welche nicht regelmäßig mehr als zwei versicherungs⸗ pflichtige Lohnarbeiter beschäftigen, sowie den Hausgewerbe⸗ treibenden, soweit auf sie nicht vom Bundesrath die Ver⸗ sicherungspflicht erstreckt worden ist.
Abg. Richter (fr. Volksp.) beantragt, die Regierunge⸗ vorlage wiederherzustellen.
ie Sozialdemokraten beantragen, die Nr. 1 (Betriebsbeamten ꝛc.) zu streichen.
Außerdem liegt noch ein redaktioneller Antrag der Abgg. von Loebell (d. kons.) und Genossen vor.
Abs. Richter widerspricht zunächst dem Wunsche des Bericht⸗ erstatters, zugleich die §§ 16, 32 und 104 (Warttzeit, Erlöschen der Anwartschaft und Gültigkeitsdauer der Quittungskarten) zur Debatte zu stellen, und bezeichnet die Kommissionsänderung als eine fundamen⸗ tale Verschlechterung des ganzen Gesetzes, welche Millionen von Personen umfasse. Es ist bedauerlich, fährt der Redner fort, daß eine so wichtige Frage, die mit der Verlage in gar keinem sachlichen Zusammenhang steht, vor einem so außerordent⸗ lich schwach besetzten Hause verhandelt wird. Es würden mehrere Hunderttausende in Betracht kommen, wenn man die Person mit 2000 bis 3000 ℳ Einkommen in die Versicherung hineinzieht, und wenn man die selbständigen Gewerbetreibenden ebenfalls versichert, so würde es sich um Millionen handeln. Die Kaiserliche Bot⸗ schaft spricht garnicht von den kleinen Unternehmern, sondern nur von den Arbeitern. Im Namen der Mittelstandspolitik hat man in der Kommisston diese Ausdehnung der Versiche⸗ rung beschlossen. Die Mitttelstandspolitik ist eine Sammlung von allerlei Rezepten. Hört denn der Mittelstand bei 3000 ℳ auf ?7 Die Privatversicherung würde ja durch die Indalidenversicherung außer Thätigkeit gesetzt werden. Der Begriff der Invalidität ist bei den Unternehmern nicht derselbe wie bei den Arbeitern. Wenn ein Betriebsunternehmer körperlich schwächer wird, braucht er für seinen Betrieb noch nicht Invalide zu sein, wenn er mithelfen kann. Wenn die kleinen Unternehmer Geld übrig haben, so sollten sie das Geld in ihrem Geschäft anlegen und nicht in den Invaliden⸗Versicherungsanstalten sich ansammeln lassen. Die Betheiligten haben diesen Einschluß in die Invaliden⸗ versicherung garnicht verlangt. Die Versicherungsanstalten sind nicht in der Lage sich über diesen Kommissionsbeschluß gutachtlich zu äußern. Nach der Gesundheit der Versicherten, nach ihrem Alter ꝛc. wird nicht gefragt. Da ein Zwang zur Versicherung nicht vorliegt, so können sich schlechte und gute Risiken nicht ausgleichen, die ersteren werden sich daher vordrängen. Man hat nicht einmal eine Untersuchung darüber angestellt. Die Kommission hat deshalb vorgeschrieben, daß die Versicherung vor dem 40. Lebensjahre begonnen werden muß. Wie leicht kann der Arbeitgeber nachkleben, da er allein dafür verantwortlich ist, während beim Arbeiter doch zwei Personen betheiligt sind. Früher waren wenigstens zur Deckung des Reichszuschusses Zusatz⸗ marken nothwendig. Je mehr man den Reichszuschuß ausdehnt, desto mehr erweckt man die Begehrlichkeit der Massen. Der Reichszuschuß geht schon über den Staatssozialismus hinaus. Schließlich kommt man dazu, jedem, der 70 Jahre alt wird, eine Rente von Staats⸗ wegen zu geben. Der Reichszuschuß wird im Beharrungszustand 68 Millionen betragen bei gleichbleibender Bevölkerung; da die Be⸗ völkerung sich vermehrt, wird der Reichszuschuß 100 Millionen über⸗ steigen. Wo soll das herkommen?
Abg. von Loebell empfiehlt seinen redaktionellen Antrag, der
auch die freiwillige Fortsetzung der Versicherung von der Bedingung abhängig machen wolle, daß die Versicherten die Lebensgrenze von 40 Jahren noch nicht überschritten haben. Die Festsetzung der Grenze von 3000 ℳ sei ein mißliches Verfahren; aber man habe eine Einkommens⸗ grenze schon bei der Versicherungspflicht mit 2000 ℳ festsetzen müssen. Warum sollte man diejenigen, welche wenig über 2000 ℳ verdienten, von der Möglichkeit der freiwilligen Versicherung ausschließen? Wichtiger sei die Versicherung der Gewerbetreibenden. Der Bundes⸗ rath könne die Hausgewerbetreibenden und diejenigen, welche einen Lohnarbeiter beschäftigten, für versicherungspflichtig erklären. Die Kleingewerbetreibenden hätten vielfach den Wunsch ausgesprochen, sich ebenso versichern zu dürfen, wie sie ihre Arbeiter versichern müßten. Die Lage der Altentheiler auf dem Lande sei recht schlecht; man könne es ihnen nicht verdenken, daß sie sich eine Rente erwerben wollten. Im Interesse der Mittelstands politik, deren Programm bisher nur zu einem kleinen Theile habe erfüllt werden können, werde seine (des Redners) Partei für den Antrag der Kommission stimmen; sie werde auch weiter dar⸗ nach streben, dieses Programm durchzuführen. Die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit sei auch bei den Arbeitgebern auf Grund des § 4 sehr leicht. Man sollte sich durch den Abg. Richter nicht irre machen lassen und die soialpolitische Pflicht erfüllen, den Mittelstand zu schützen, dessen die Monarchie nicht entbehren könne. „Abg. Wurm (Szz.): Wenn die Konservativen für den Mittel⸗ stand etwas thun wollten, dann hätten sie die Zwangsversicherung ausdehnen sollen; der jetzige Vorschlag wendet den selbständigen Existenzen nur etwas zu auf Kosten der noch ärmeren, die sterben, ehe sie in den Genuß einer Rente kommen. Denn die Selbständigen önnen die Rente nicht aus ihren eigenen Beiträgen erwerben, weil diese viel geringer sind als eine Jahresrente.
Abg. von Salisch (d. kons.): Die Ausdehnung der freiwilligen Versicherung wird eine gewisse Gefahr in sich schließen; dagegen hat die Kommission aber gewisse Vorsichtsmaßregeln angewendet. Die
eersonen, welche sich auf Grund des § 8 so spät versichern, werden
ltersrenten überhaupt niemals erwerben können, sondern nur Invalidenrenten. Darin liegt eine gewisse Ausgleichung. Für Be⸗ triebsbeamte ist ein Einkommen über 2000 ℳ manchmal nicht soviel werth, wie das Einkommen unter 2000 ℳ für Arbeiter. Besser wäre für diese Betriebsbeamten die Versicherungspflicht anzu⸗ nehmen. Abg. Roesicke⸗Dessau (b. k. F.) hält auch dafür, daß die Vor⸗ schrift des § 8 über den Rahmen des Gesetzes hinausgehe. Der größte Theil der Betriebsbeamten, Werkmeister ꝛc. werde allerdings zumeist mit weniger als 2000 ℳ Gehalt anfangen; sie würden daher das Recht haben, sich freiwillig weiter zu versichern. Aber anders liege es bezüglich der Gewerbetreibenden. Die Zahl der Ge⸗ werbetreibenden mit einer Hilfskraft oder ohne jede Hilfskraft belaufe sich auf 2 200 000. Die Kommission wolle auch noch die Gewerbe⸗ treibenden sich versichern lassen, welche zwei Lohnarbeiter beschäftigten. Das könnte doch zu bedenklichen Konsequenzen führen.
Abg Dr. Hitze (Zentr.): Besser wäre es, das Handwerk und die Landwirthschaft von der Versicherung auszuschließen; aber da dies nicht geschehen ist, muß man den kleinen Unternehmern die Möglich⸗
Spekulation ist dabei nicht möglich, weil die Wartezeit für die frei⸗ willige Versicherung auf 400 Wochen, also 8 Jahre, erhöht worden ist.
Abg. Dr. Oertel⸗Sachsen (d. kons.): Die Anregung zu dieser Selbstversicherung ist aus den Kreisen des Mittelstandes hervor⸗ gegangen. Als undurchführbar haben die verbündeten Regierungen den Beschluß der zweiten Lesung der Kommission nicht bezeichnet, wenngleich sich noch Bedenken dagegen geltend gemacht haben. Die heutige Debatte kommt mir vor wie eine Kanonade, ich will nicht sagen gegen Spatzen, denn das würde herabwürdigend sein, sondern gegen sozialpolitische Friedens⸗ tauben. Es sollen nur die Gewerbetreibenden neu zur Ver⸗ sicherung zugelassen werden, welche zufällig nicht vorher in versicherungs⸗ pflichtiger Beschäftigung gestanden haben; haben sie in solcher Be⸗ schäftigung gestanden, so können sie sich schon jetzt frei villig ver⸗ sichern. Wenn für die Selbstversicherung keine Neigung da ist, so wird die Konsequenz des Antrages eine sehr geringe sein.
Abg. Franken (nl.) emfiehlt die Wiederherstellung der Regierungsvorlage. 88 1“
Abg. Richker: Wenn man den Staatssekretär nicht hier sähe, so könnte man meinen, daß die Regierung gegen diese Sache garnichts einzuwenden hätte, obgleich sie in der Kommission dieselben Bedenken wie wir geltend gemacht hat. Nach Herrn Hitze würden wir zur allgemeinen Versicherung und zum vollständigen Sozialismus kommen. Wenn die Förster und Inspektoren mit mehr als 2000 ℳ Gehalt sich versichern sollen, nun so können sie das, da sie meist mit einem geringeren Gehalt als 2000 ℳ anfangen. Wenn sie längere Zeit in einer Stellung sind, dann sollten ihre Arbeit⸗ geber, die Gutsbesitzer, ihnen eine Pension gewähren und sie nicht auf die Invalidenversicherung verweisen. Sind Gehilfen und Familienangehörige gleichbedeutend? Man spricht von der großen Mittelstandspolitik und zu gleicher Zeit davon, daß von der Ver⸗ sicherung kein erheblicher Gebrauch gemacht werden würde. Wir haben genug Versicherungszwang, gegen dessen Ausdehnung auch das Zentrum früher Bedenken hatte. Da in der Kommission § 8 mit 14 gegen 13 Stimmen angenommen ist, so möchten wir nicht, daß die Ab⸗ stimmung durch ein schwach besetztes Haus erfolgt. Ich beantrage deshalb, die Abstimmung über § 8 zu vertagen. Was Sie sonst thun wollen, muß ich Ihnen überlassen.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Der Herr Abg. Richter hat seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß ich zu diesem Paragraphen zur Vertheidi⸗ gung der Regierungsvorlage nicht das Wort ergriffen habe. Ich gestatte mir, dem Herrn Abgeordneten zu erwidern, daß die Vertreter der verbündeten Regierungen selbstverständlich auf dem Standpunkt der Regierungsvorlage stehen, so lange nicht der Bundes⸗ rath anderweitige Beschlüsse gefaßt hat. Die Stellung der verbündeten Regierungen zu diesem Paragraphen ist auf Seite 233 und 234 des Berichts so eingehend dargelegt, daß ich es wirklich für eine unnöthige Verzögerung der wichtigen Debatten halten würde, wenn ich das, was in dem Kommissions⸗ bericht zum theil auf Grund stenographischer Niederschrift niedergelegt ist, wiederholen wollte. Wir legen uns allerdings in diesen ganzen Verhandlungen ein großes Maß von Selbstbeschränkung auf, weil wir das dringende Interesse haben, daß dieses Gesetz so bald wie möglich zur Verabschiedung komme, weil wir innerlich davon überzeugt sind, daß in dem Gesetz ein großer sozialpolitischer Fortschritt zum Besten der deutschen Arbeiter liegt. (Sehr richtig!)
Im übrigen gestatte ich mir doch, zu bemerken, daß, wenn die Vertreter der verbündeten Regierungen verpflichtet sein oder den Wunsch begen sollten, gegen jede Abänderung eines Paragraphen, die in der Kommission beliebt ist, das Wort zu ergreifen, die Debatten hier nie enden würden (sehr richtig); denn die allermeisten Paragraphen der Regierungsvorlage sind geändert. Wir werden, wenn die Vorlage aus der zweiten Lesung hervorgegangen ist, die Bilanz ziehen, welche Verbesserungen, welche Verschlechterungen die Vorlage enthält, und werden dann in der Lage sein, auf Grund dieser Bilanz uns schlüssig zu machen, ob wir die Vorlage annehmen können oder nicht. (Sehr richtig!
Abz. von Salisch tritt nochmals für die Beschlüsse der Kom⸗ mission ein.
Abg. Richter: Es war angedeutet worden, daß gegen die Be⸗ schlüsse der Kommission zweiter Lesung die anfänglichen Bedenken der Regierung nicht mehr beständen. .
Die Abstimmung über § 8 wird ausgesetzt.
Nach § 10 soll auch derjenige eine Invalidenrente erhalten, welcher während 26 Wochen (bis jetzt: „während eines Jahres“) ununterbrochen erwerbsunfähig gewesen ist.
Die Sozialdemokraten beantragen, statt 26 Wochen zu setzen 13 Wochen.
Die Kommission beantragt in Bezug auf diese Frage folgende Resolution: 5
„die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage eine
Novelle zum Krankenversicherungsgesetz vorzulegen, durch welche in
dessen § 6 die Worte: (Krankenversicherung hört auf) „mit dem Ab⸗
lauf der dreizehnten Woche“ durch mit dem Ablauf der 26. Woche“
ersetzt und die entsprechenden Abänderungen der damit zusammen⸗
hängenden Bestimmungen herbeigeführt werden.“ Abg. Freihberr von Richthofen⸗Damsdorf (d. kons.) empfiehlt die Resolution unter Hinweis auf die Kommissionsverhandlungen, in welchen die verbündeten Regierungen in Auesicht gestellt hätten, daß eine solche Aenderung der Krankenversicherung gemacht werden könne in der Weise, daß vielleicht ein Theil der Krankenfürsorge während der zweiten dreizehn Wochen von den Versicherungsanstalten über⸗ nommen werde. Abg. Molkenbuhr (Soz.): Bei der Schaffung des Gesetzes ist es versäumt worden, einen Zusammenhang zwischen der Kranken⸗ und der Invalidenversicherung herzustellen. Das kann jetzt nachgeholt werden, und zwar ohne Schwierigkeiten bezüglich derjenigen 8 300 000 Arbeiter, welche bereits gegen Krankheit versichert sind. Für die anderen drei Millionen, namentlich für die landwirthschaftlichen Arbeiter, muß allerdings anderweitig gesorgt werden.
Abz. Trimborn (Zentr.) hält es für besser, daß nach der 13 Woche nicht die Invalidenversicherung eintrete, sondern die Kranken⸗ versicherung die Sache weiterführe, nachdem sie einmal die ärztliche Behandlung begonnen habe. Manche Krankenkassen hätten ja schon die Fürsorge für 26 Wochen übernommen.
„Abs. Stadthagen (Soz.) bedauert, daß man bei dieser wichtigen Angelegenheit wiederum mit einer Vertröstung auf eine Aenderung der Krankenversicherung komme. Wenn die Invaliden⸗ versicherung nach der 13. Woche einträte, so würde das den Arbeitern mehr nützen. 3
Abg. Freiherr von Richthofen⸗Damsdorf: Die Wünsche der Arbeiter sind insoweit berücksichtigt, als man von einem Jahr auf 26 Wochen herabgegangen ist, und der andere Wunsch soll durch die Resolution erfüllt werden. “
Abg. Trimborn: Es ist nicht ausgeschlossen, daß man später die Invalidenversicherungsanstalten zu Beiträgen von der 13. Woche ab heranzieht. 4
Abg. Fischbeck (fr. Volksp.) erklärt sich für den Kommissions⸗ antrag und für die Resolution.
Abg. Stadthagen weist darauf hin, daß die Württemtergische Versicherungsanstalt sich für die Herabsetzung auf 13 Wochen aus⸗ gesprochen habe, ebenso wie die Aerzte; auch der Tuberkulosen⸗Kongreß werde wohl denselben Beschluß fassen, man könnte den Beschluß
§ 10 wird unverändert angenommen; über die Resolution wird bei dritter Lesung abgestimmt werden.
der Invalidenversicherungsanstalten. Das Heilverfahren kann von ihnen übernommen werden, wenn dadurch die Erwerbs⸗ unfähigkeit verhindert werden kann. Der Erkrankte kann in einer Heilanstalt untergebracht werden, aber wenn er ver⸗ heirathet ist, nur mit seiner Zustimmung und unter Ge⸗ währung eines Theils des Krankengeldes an seine Familie.
des Versicherten in einer Heilanstalt das ganze Krankengeld gewährt werden.
Abg. Molkenbuhr weist darauf hin, daß die Invaliden⸗ versicherungsanstalten nur zufällig von solchen sie interessierenden
näher ständen, könnten in einem früheren Stadium eingreifen und die demjenigen, der sich dem Heilverfahren entzogen habe, die Rente ab⸗
deshalb gestrichen werden. 3 1 bg. Dr. Hitze erklärt sich für den Kommissionsantrag.
wonach die Renten zum theil in Naturalleistungen gegeben werden können.
aussetzung des Anspruchs) werden angenommen. Die Debatte übere 8 16 (Wartezeit) wird ausgesetzt bis zur Erledigung es S 8.
Nach § 17 gelten als Beitragswochen die Zeit des mili⸗ tärischen Dienstes und bescheinigter Krankheit, ausgenommen, wenn die Krankheit die Folge einer Betheiligung an Schlä⸗ gereien ꝛc. oder geschlechtlicher Ausschweifung ist.
„geschlechtlicher Ausschweifung“ zu streichen.
verbreitung gefördert werden könnte. treten diesem Antrage bei.
und Militärpensionsgesetz eine ähnliche Bestimmung nicht bestehe.
§ 17 bleibt unverändert.
Nach § 20 sollen die Beiträge so bemessen werden, daß durch dieselben gedeckt werden die Kapitalwerthe der den Ver⸗ sicherungsanstalten zur Last fallenden Beträge der Renten, die Beitragserstattungen und die sonstigen Aufwendungen der Versicherungsanstalten. Bis zur Festsetzung eines anderen Beitrages sind die wöchentlichen Beiträge zu messen in Lohn⸗ klassen I auf 14 J, II auf 20, III auf 24, IV auf 30 und V auf 36 ₰. Eine Prüfung soll alle zehn Jahre er⸗ folgen und eine Aenderung des Beitrages von der Ge⸗ nehmigung des Reichstages abhängig sein.
Die Sozialdemokraten beantragen, die Beiträge in den ersten beiden Lohnklassen auf 6 und 10 ₰ festzusetzen und für jeden Wochenbeitrag einen Reichszuschuß von je 10 ₰ durch eine Reichs⸗Einkommensteuer von dem Einkommen über 3000 ℳ aufbringen zu lassen.
Abg. Richter beantragt, den § 20 auf die Festsetzung der Beiträge auf 14, 20, 24, 30 und 36 ₰ zu beschränken.
auf einen früheren Antrag des Abg. von Ploetz hin.
Abg. Freiherr von Richthofen⸗Damsdorf: Dieser Antrag hat allerdings in der konservativen Partei noch manche Anhänger, aber die Partei hat ihn niemals zu dem ihrigen gemacht. Redner stellt und begründet einen Antrag, wonach eine Erhöhung der Beiträge erfolgen müßte, wenn durch Prüfung die Unzulänglichkeit der Beiträge nachgewiesen würde.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich kann ebenfalls das hohe Haus nur bitten, dem Antrage des Herrn Abg. Freiherrn von Richthofen zuzustimmen. Der Gedanke des Gesetzes ist doch, daß die gesetzlichen Mindest⸗ leistungen desselben erfült werden müssen, theils purch den Reichs⸗ zuschuß, theils durch die Beiträge. Daraus folgt aber ganz von selbst, daß, wenn der Reichszuschuß und die hier an⸗ genommenen Beiträge erwiesenermaßen sich rechnungsmäßig als nicht ausreichend herausstellen, eine Erhöhung der Beiträge erfolgen muß, soweit nicht etwa auf Grund eines Vorschlages der verbündeten Regierungen der Reichstag eine Erhöhung des Reichszuschusses beschließen sollte. Wenn hiernach in dem Paragraphen, wie er jetzt in der Kommission gestaltet ist, die anderweitige Fest⸗ setzung der Beiträge von einer Zustimmung des Reichstages abhängig gemacht wird, so, glaube ich, kann es nur zu einer Klarlegung des rechtlichen Sachverhalts dienen, wenn der Antrag des Herrn Abg. Freiherrn von Richthofen angenommen würde, welcher bestimmt, daß die Genehmigung der Erhöhung der Beiträge erfolgen muß, insoweit rechnungsmäßig nachgewiesen ist, daß die bisherigen Beiträge nicht ausreichen. Ich möchte, um für die Zukunft dieses Sachverhältniß, wie es in der Kommission ebenfalls nicht bestritten ist, auch gesetzlich festzulegen, dringend bitten, dem Antrage des Herrn Freiherrn von Richthofen Ihre Zustimmung zu ertheilen. —
Abg Schmidt⸗Elberfeld (fr. Volkep) hält es für nothwendig, den Kommissionsbeschluß anzunehmen, und zwar mit der Maßgabe, daß die Grundlagen für die Beitragsberechnungen gesetzlich festgelegt würden. Der Antrag der Sozialdemokraten würde nicht nur den Arbeitern der untersten Lohnklasse einen Vortheil verschaffen, sondern auch den Arbeitgebern, und zwar gerade denjenigen, welche die niedrig⸗ sten Löhne bezahlten, namentlich dem Großbetriebe in der Landwirth⸗ schaft. Es würde sich der Reichszuschuß um 30 Millionen erhöhen, und diejenigen, zu deren Gunsten diese Summe verwendet würde, die größeren Landwirthe, würden nicht in erster Linie dazu beitragen. Es würde eine Prämie auf die Herabdrückung der Löhne in die erste und zweite Lohnklasse gesetzt werden. Abg. Richter: Der sozialdemokratische Antrag ist früher von konservativer Seite vertreten worden, ein Zeichen, daß der Staats⸗ sonialismus sehr verwandt ist mit dem wirklichen Sozialismus. Daß für die Festsetzung der Beiträge die Zustimmung des Reichstages nothwendig ist, ist selbstoerständlich, da es sich um eine Zwangs⸗ steuer von über 100 Millionen Mark jährlich bandelt. Früher sollte jede Versicherungsanstalt ihre Beiträge allein festsetzen. Jetzt soll die Sache einheitlich gemacht werden. Mein Antrag unterscheidet sich nur sormell von dem Kommissionsvorschlage; die Beiträge werden festgesetzt und wenn sie geändert werden sollten, so wird dadurch ein Reichsgesetz erforderlich sein. Direktiven sind für den Gesetzgeber selbst erforderlich, während sie früher für die einzelnen Versicherungsanstalten und den Bundesrath nothwendig waren. 5 Abg. Dr. Hitze hält es ebenfalls für ausgeschlossen, daß durch eine Gesetzesvorschrift ein zukünftiger Reichstag gebunden werden könnte. Der Antrag des Abg. Freiherrn von Richthofen würde seinen
vielleicht bis nach Abschluß dieses Kongresses aus
Zweck nicht erreichen
§ 12 betrifft die Uebernahme des Heilverfahrens seitens
Die Sozialdemokraten beantragen, daß die Ein⸗ leitung des Heilverfahrens erfolgen muß, wenn die Kranken⸗ kasse es beantragt; der Familie soll im Fall der Unterbringung
Fällen Kenntniß erhielten; die Krankenkassen, welche dem Versicherten Einleitung des Heilverfahrens beantragen. Die Bestimmung, daß erkannt werden solle, entipreche nicht humanen Grundsätzen und müßte 1
§ 12 wird unverändert angenommen, ebenso die auch auf das Heilversahren sich beziehenden §§ 12 a bis 12d und § 13,
§§ 14 (Rentenberechtigung der Ausländer) und 15 (Vor⸗
Die Sozialdemokraten beantragen, die Worte
„ Abg. Stadthagen begründet dies damit, daß sonst leicht ge⸗- schlechtliche Krankheiten vernachlässigt und dadurch deren Weiter⸗ 8
Die Abgg. Roesicke⸗Dessau (b. k. F.) und Dr. Kruse (nl.) 8
Abg. Bebel (Soz.) macht darauf aufmerksam, daß im Beamten-⸗
Abg. Wurm empfiehlt den sozialdemokratischen Antrag und weist
Abg Freiherr von Richthofen⸗Damsdorf bittet, seinen An⸗ rag vorläufig arzunehmen vorbehaltlich einer besseren Fassung, und bestreitet nochmals, daß die Konservativen sämmtlich für den Antrag des Abg. von Ploetz gewesen seien. 1 de Abg. Molkenbuhr führt aus, daß durch die Reichs⸗Einkommen⸗ steuer Personen, die sonst nicht zur Javalidenversicherung beitrügen, „B. die Banquiers, herangezogen werden könnten. Man könnte die Arbeiter der ersten und zweiten Lohnklasse von jedem Beitrage be⸗ freien und die 6 bezw. 10 ₰ den Arbeitgebern auferlegen.
Abg. Roesicke⸗Dessau erklärt sich gegen den Antrag des Abg. Freiherin von Richthofen, wenn derselbe für die dritte Lesung wieder eingebracht werden sollte. 8— Abg. Stadthagen hält die Zustimmung des Reichstages für nothwendig, wenn der Bundesrath die Beiträge festsetze.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich glaube, daß der Fall ziemlich klar liegt. Während bisher dem Reichs⸗Versicherungsamt die Normierung der Beiträge zustand, wird sie in Zukunft, wenn diese Vorlage Gesetz wird, dem Bundesrath zustehen. Der Bundesrath würde also be⸗ stimmen können: von dem und dem Zeitpunkt ab werden die Beiträge in der und der Höhe erhoben. Um aber diese Bestimmung aktions⸗ fähig zu machen, muß selbstverständlich dem Reichstage eine Vorlage unterbreitet werden, in welcher der Nachweis zführt wird, aus welchen Gründen eine Ermäßigung oder Erhöhung der Beiträge möglich, bezüglich nothwendig ist. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, daß, wenn der rechnungs⸗ mäßige Nachweis geführt ist, daß mit der Höhe der bisherigen Bei⸗ näge die Leistungen der Versicherungsanstalten nicht mehr aufrecht grhalten werden können, der Reichstag dann auch seinerseits die Ver⸗ pflichtung hat, wenn er diesen Nachweis als erbracht ansieht, die Ge⸗ nehmigung zur beantragten Erhöhung der Beiträge zu geben; denn wenn er diese Genehmigung nicht geben würde, würde ja die ganze Versicherungseinrichtung in der Luft schweben oder sozusagen suspendiert werden. Es wird also Sache der Regierung sein, in dieser Vorlage den Nachweis der Nothwendigkeit oder der Möglichkeit ihrer Anträge zu erbringen, damit der Reichstag die nachgesuchte Genehmigung er⸗ theilen kann.
Abg. Richter: Sie sehen schon jetzt, wie viele staatsrechtliche Unklarheiten hier vorkommen können. Das Einfachste ist, die Bei⸗ träge gesetzlich festzusetzen und also auch ihre Aenderung lediglich im Reschsgesetz vorzunehmen. Deshalb sollte man die Beiträge nicht nur für 10 Jahre festlegen. Denn wenn eine Verständigung einmal nicht zu stande käme, würden die Beiträge in der Luft schweben.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Ich glaubte, ich hätte die Bedenken, die gegen diese Fassung bestehen könnten, vollkommen beseitigt; denn ich habe ausdrücklich er⸗ klärt: wenn eine anderweite Festsetzung der Beiträge vom Bundesrath gewünscht wird, muß er dem hohen Hause eine Vorlage machen. In welcher Form das Haus diese Vorlage dann erörtern wird, das ist meines Erachtens seine Sache. Würde aber beispielsweise eine Er⸗ höhung der Beiträge nothwendig sein, und das Haus würde trotz des rechnungsmäßigen Nachweises des Bedürfnisses diese Erhshung der Beiträge ablehnen, meine Herren, dann allerdings schwebte vor⸗ läufig die Ausführung des ganzen Gesetzes in der Luft. Das ist aber cbenso, als wenn man voraussetzte, daß einmal das hohe Haus den verbündeten Regierungen die Matrikularbeiträge versagen würde. Ich glaube, auf solche unmöglichen Voraussetzungen braucht man die Kon⸗ struktion eines Gesetzes nicht zu basieren. —
Abg. Schmidt⸗Elberfeld hält es für zweckmäßig, über die Grundsätze der Bilanzaufstellung der Versicherungsanstalten eine Vor⸗ schrift ins Gesetz aufzunehmen. Den staatsrechtlichen Bedenken könne man dadurch begegnen, daß man vorschreibe, daß die Beiträge durch Gesetz festgesetzt werden müßten. 2
Abg. Richter meint, daß danft beim Nichtzustandekommen eines Gesetzes eine Lücke entstehen würde.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Ich kann nur dringend bitten, es bei der Kommissionsvorlage zu belassen. Wenn wir die Genehmigung zur anderweitigen Festsetzung, namentlich zur Erhöhung der Beiträge nicht be⸗ kommen sollten, wären wir wenigstens in der Lage, die bis⸗ herigen Beiträge fortzuerheben. (Sehr richtig! rechts.) Damit ist die Fortexistenz der ganzen Versicherungseinrichtung gesichert. (Sehr richtig! rechts.) Wenn aber ein Gesetz zur Festsetzung der Beiträge überhaupt und zu deren Erhebung nach 10 Jahren noth⸗ wendig wäre, und es käme ein solches Gesetz für eine erneute Fest⸗ setzung der Beiträge nicht zu stande, so würden die Versicherungs⸗ anstalten ohre Einnahmen sein, und es könnten sich die Verhältnisse so gestalten, daß im Falle des Nichtzustandekommens eines Gesetzes die ganze Invaliditätsversicherung in Frage stände. Ich glaube, eine solche Konstruktion des Gesetzes würde für die verbündeten Regierungen voll⸗ kommen unannehmbar sein.
Abg. Büsing (ul.) tritt ebenfalls für den ommissions⸗ beschluß ein. 8 “
§ 20 wird darauf unverändert nach dem Beschluß der Kommission angenommen.
Präsident Graf von Ba llestrem bittet die Anwesenden, ihre heute abwesenden Freunde aufzufordern, morgen zu erscheinen, damit die zurückgestellten Abstimmungen vorgenommen werden könnten.
Nach 6 Uhr wird die weitere Berathuntg bis I6X“
Preußischer Landtag.
67. Sitzung vom 15. Mai 18b9. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Be⸗
rathung des Berichts der XIV. Kommission über den Antrag der Abgg. Gamp (fr. kons.) und Genossen, betreffend Maß⸗ regeln gegen die in der Landwirthschaft herrschende Arbeiternoth. 8 8 Punkt 10 schlägt die planmäßige Ansiedelung von kleinen und mittleren Landwirthen sowie von landwirthschaftlichen Arbeitern durch Genossenschaftsverbände unter Mitwirkung des Staates in dazu geeigneten Bezirken vor. 1n Abg. Dr. Hirsch (fr. Volksp.) beantragt folgende Fassung: die Förderung der Ansiedelung von kleinen und mittleren Landwirthen und von landwirtbschaftlichen Arbeitern durch Private und Verbände, namentlich in Bezirken mit überwiegendem Groß⸗
Abg. Freiherr von Wangenheim (kons.) erklärt sich gegen diesen Antrag, insbesondere gegen die Parzellierung von Domänen. Die Folge einer solchen Maßregel würde ein landwirthschaftliches Proletariat sein. Welche schlimmen Folgen die Parzellierungen hätten, könne man in Pommern sehen. Wie man aber auch über die Parzellierung denke, die Hauptsache sei, die Arbeiter⸗ noth zu beseitigen, und diese sei dadurch mit bedingt, daß der kleine Besitzer seine Tagelöhner nicht mehr bezahlen könne. Dazu komme, daß die Arbeiter durch gewissenlose Agenten fortgelockt würden. Eine planlose Parzellierung sei ebenso von Uebel, wie eine übermäßige Latifundienbildung. Der Vorschlag, das Familienfideikommißrecht zu beseitigen, sei wohl nicht ernst ge⸗ meint. Redner tritt für die planmäßige Ansiedelung von kleinen und mittleren Landwirthen nach dem Antrage der Kommission ein; die gesetzgeberische Ausgestaltung dieses Gedankens will er der Staats⸗ regierung überlassen.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Das Staats⸗Ministerium kann sich mit dem Antrag der Kommission zu Nr. 10 vollständig einverstanden erklären; das Staats⸗Ministerium ist seit langer Zeit der Ansicht gewesen, daß die agrarischen und sozialen Verhältnisse in den verschiedenen Distrikten des Ostens dringend die Vermehrung von Mittel⸗ und Kleinbesitz er⸗ fordern, daß dies gerade ein Mittel ist gegenüber der Leutenoth, welches zwar nicht unmittelbar in die Augen springen wird, aber für die Dauer die vielleicht wirksamste Hilfe ist.
Meine Herren, die große Kolonisationspolitik der preußischen Könige im vorigen Jahrhundert ist Jahrzehnte hindurch in Vergessen⸗ heit gerathen gewesen und vollständig ins Stocken gekommen. In diesem Jahrhundert war bisher in der Beziehung so gut wie nichts geleistet, wenigstens nichts unter der Mitwirkung des Staates. (Abg. von Riepenhausen: Sehr richtis!) Viele Gründe sind da zr⸗ sammengekommen: die Noth der Finanzen nach den Freiheitskriegen und die Nothwendigkeit für den Staat, sich auf das unmittelbar Dringendste der Aufgaben zu beschränken; verkehrte, durch die französische Revolution hauptsächlich aufgekommene und allgemein verbreitete wirthschaftliche Anschauungen; endlich die Nothwendigkeit Preußens, sich mit anderen dringenden großen Fragen — ich brauche nur an die Errichtung des Deutschen Reiches u. s. w. zu erinnern und die Mittel zu diesem Ziele — zu befassen. Aus allen diesen und anderen Gründen war die große Aufgabe des Staates, die Kolonisation in den östlichen Provinzen, welche nicht vollendet war, wenn sie auch im großen Stil von den preußischen Königen in Angriff genommen, gegenwärtig unbedingt wieder aufzunehmen.
Meine Herren, es ist aber jetzt gegenüber der früheren Aufgahe noch ein dringendes Bedürfniß hinzugekommen: die schlimme Lage der Landwirthschaft, die vielfach am meisten drückt auf diesen Grund⸗ besitz, der, mit Schulden überlastet, nicht überall günstig gelegen ist und sich auf die Dauer schwer wird halten können. Diesen Ueber⸗ gang nun allmählich ohne Katastrophe zu gestalten und so auch die an und für sich vorhandene sozialpolitische Aufgabe zu erfüllen, die Bevölkerung, und namentlich die seßhafte Bevölkerung im Osten, wo ja Mangel an industrieller Thätigkeit vorhanden ist, zu vermehren, — drängt um so stärker nach den gleichen Zielen.
Meine Herren, es waren ja, als zuerst der Gedanke auftauchte, in dieser Beziehung die Mitwirkung des Staats anzurufen, von zwei Seiten starke Bedenken vorhanden. Einmal von derjenigen An⸗ schauung aus, die da sagte: was braucht sich der Staat da einzumischen, das macht sich alles von selbst; macht nur die Grundbesizer frei, die Freiheit wird alles kurieren; zweitens aber von der anderen Seite, die fürchtete, es würde ins Ungemessene hinein eine Zerstückelung des größeren Grundbesitzes damit eingeleitet werden. Ich glaube, beide Wider⸗ sacher sind heute durch die Erfahrung geheilt. Die bloß kapitalistische Anschauung, die namentlich auch in der Stein⸗Hardenberg'schen Gesetz⸗ gebung — man braucht ja nur die Motivierung der damaligen Gesetze nachzulesen — vorherrschte, hat sich auf dem Gebiet einer zweck⸗ mäßigen Bodenauftheilung nicht als fruchtbar erwiesen. (Sehr richtig! rechts.) Wir sind erst weiter gekommen, nachdem wir mit dem so viel angefochtenen Prinzip der Rentengutsbildung, welches allein dem Wesen der Landwirthschaft entspricht, vorgegangen sind und nicht mit Verkäufen bei baarer Zahlung und Hypothekenbelastung. Von da an schreitet diese Bewegung ihren ruhigen, sicheren Gang vorwärts.
Wir haben schon durch die General⸗Kommissionen aufgetheilt 86 447 habis Schluß des Jahres 1898, durch die Ansiedlungs⸗Kommission 60 757 ha, also zusammen 146 000 ha. Sie wollen bedenken, wie langsam und schrittweise naturgemäß eine solche Umformung im Besitzstande vor sich geht und wie kurze Zeit erst verflossen ist, seitdem wir da ordentlich in Thätigkeit gekommen sind. Es bedurfte ja auch mancher Erfahrungen, ja sogar mancher Fehlgriffe, daß man mit dieser schwierigen Aufgabe wieder umgehen lernte, die unsere Behörden vollständig vergessen hatten. Außerdem sind bei der Ansiedelungs⸗ Kommission noch verschiedene Tausend Hektar zur Bildung von Wegen und zur Herstellung von Gemeinbesitz, die ich hier nicht genau angeben möchte, verwandt worden.
Wir haben durch die General⸗Kommissionen bereits mittlere und lleinere Güter gebildet in der Zahl von 7824 und durch die Ansiedlungs⸗ Kommission von 2947. Man kann ja sagen, das ist ja nicht viel, und ich habe vielfach gelesen: was will das sagen gegenüber dieser kolossalen Leutenoth, das schlägt ja nicht zu Buche, da können wir lange weiter kolonisieren, ehe wir zu einem Ziele kommen. Wenn man aber diese Zahlen übersetzt in Dörfer, dann hat die Sache schon ein ganz anderes Gesicht, und wenn man erwägt, daß diese Zahlen Familien bedeuten, die sich in Kind und Kindeskindern weiter vermehren werden, wenn man erwägt, daß in diesem Jahre die Ansiedelungs⸗Kommission allein wahrscheinlich 20 neue deutsche Dörfer bildet, und man multipliziert das mit 10, so ist das schon eine sehr bedeutende Summe. Man muß nicht glauben, daß man diese Dinge gewissermaßen aus dem Aermel schütteln kann, bloß durch Kapital und Einwirkung der Be⸗ hörden willkürlich zu beschleunigen im stande ist. Aber die Aussichten lassen sich in jeder Weise günstig an. Namentlich bei der An⸗ siedlungs⸗Kommission bewerben sich um diese neuen Rentenstellen immer mehr Leute, die schon ein erhebliches Kapital bilden; vor allem ist der Zuzug aus dem Süden und Westen, was ja gerade ganz besonders erwünscht ist, in der letzten Zeit sehr gewachsen, und wir dürfen wohl hoffen, daß die in dem deutschen Bauernstand — Gott sei Dank! — noch vorhandene Neigung, eine eigene Scholle und eigenen Besitz zu
Nun hat der Herr Vorredner, mit dessen Ausführungen ich mich
im allgemeinen ganz einverstanden erklären kann, darauf hingewiesen daß in der ganzen Summe der Maßregeln, welche der Staat zur För⸗ derung dieses großen agrarpolitischen und sozialwirthschaftlichen Unter⸗ nehmens leisten kann, gegenwärtig sich eine Lücke befindet, die wir auszufüllen suchen müssen. Allerdings die General⸗Kommissionen wirken für alle Provinzen; die Ansiedelungs⸗Kommission hat eine be⸗ sondere Natur und eine besondere Aufgabe, sie macht alles in Regie bis zur Ansiedelung selbst; ihre Existenz und Wirksamkeit und Form der Arbeit ist durch die nationalpolitische Aufgabe bedingt. In den übrigen Provinzen handelt es sich wesentlich um agrarpolitische Auf⸗
gaben, da wirken, wie gesagt, die General⸗Kommissionen allerdings; aber ihre Wirksamkeit ist sehr eingeschränkt und gehemmt durch folgende Thatsache:
Wir haben keineswegs unternommen, die Bildung von Klein⸗ und Mittelbesitz für den Staat zu monopolisieren und alles in Regie zu machen, und wir können das auch nicht; es würde, nach meiner Meinung, dem Gang der Sache schaden, wenn sich der Staat eine solche Aufgabe beilegen wollte, wenn er die private Bildung von Klein⸗ und Mittelgütern überhaupt zu verbieten unternehmen wollte. Abgesehen von der kolossalen finanziellen Belastung, die dadurch dem Staat erwachsen würde, abgesehen von den großen rechtlichen Zweifeln zegenüber dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch, die nach meiner Meinung überhaupt nicht zu überwinden sind —, abgesehen davon glaube ich auch, daß es die Sache nur verlangsamen und erschweren müßte, wenn der Staat sich in dieser Beziehung eine Art von Monopol beilegen wollte. Wir müßten also die Privatthätigkeit in dieser Beziehung freilassen. Wir können die nöthigen gesetzlichen Kautelen schaffen, wie ich glaube; z. B. das Ansiedlungsgesetz muß wohl demnächst in einigen Punkten, wie das auch schon der volkswirthschaftliche Ausschuß der Pommerschen Landwirthschaftskammer vorgeschlagen hat, modifiziert werden. Aber das Geschäft selbst allein zu übernehmen, mit einem neuen Beamtenheer das auszuführen, noch eine neue gewaltige, fast unausführbare Aufgabe auf den Staat zu übernehmen, davon müssen wir nach meiner Meinung absehen.
Nun sind aber aus der privaten Thätigkeit unzweifelhaft erheb⸗ liche Mißstände, namentlich in der Provinz Pommern, hervorgerufen; wir haben, wie der Herr Vorredner sich ganz richtig ausdrückt, geradezu haarsträubende Verhältnisse in einzelnen Fällen leider be⸗ obachtet. Es wird daher die Aufgabe sein, zu erwägen, wie wir in dieser Beziehung eine bessere Aufsicht und Kontrole und bessere Garantien für eine solide, nicht wucherische Durchführung der Zer⸗ schlagung eines größeren Gutes und dessen Verwandlung in Kleinbesitz erreichen. Die Hauptschwierigkeit, die sich für Privatunternehmer herausgestellt hat, liegt in dem Mangel des sehr bedeutenden Be⸗ triebskapitals, das solide Privatunternehmer nothwendig brauchen. Wenn jemand als einzelner oder als Gesellschaft, als Genossenschaft ein Gut zu diesem Zweck ankauft, so hat er nicht bloß den überschießenden Kaufpreis zu bezahlen, sondern, wenn er Rentengüter bilden will, muß er auch die ganzen Hypotheken regulieren — dazu gehört natürlich ein sehr bedeutendes Betriebskapital —, er muß die nöthigen Einrichtungen, Wege u. s. w. schaffen, alle die Anforderungen erfüllen, die an die Gemeinde in gemeinwirthschaftlicher und kommunal⸗ wirthschaftlicher Beziehung zu stellen sind, und die ihm als Be⸗ dingung für die Ansiedelung gestellt werden. Häufig hat er zwei Jahre — vielleicht noch längere Jahre, wenn besondere Schwierig⸗ keiten, namentlich auch bei der Hypothekenregulierung entstehen — zu warten, bis er den Lohn für seine Arbeiten und seine Auslagen be⸗ kommt, nämlich die Rentenbriefe.
So sind wir bei der Staatsregierung — wie das auch von Pommern aus angeregt ist — auf den Gedanken gekommen, ob der Staat in dieser Beziehung nicht helfen kann, und ich hoffe, daß Ihnen noch in dieser Session ein Gesetzentwurf zugehen kann, welcher nach der bezeichneten Richtung hin Abhilfe zu schaffen geeignet ist. Der Gedanke ist dieser. Wir wollen einen Theil des Reservefonds bei den Rentenbanken bis zu 10 Millionen der Seebandlung überweisen, zu dem Zweck, um vermittelnd bei diesen Güterauftheilungen das Betriebs⸗ kapital eines Einzelnen oder eines Unternehmens zu ergänzen. Wenn das geschähe — und das kann ohne Risiko für den Staat geschehen, ich würde mich selbst auch nicht scheuen, wenn wirklich ein kleines Risiko dabei wäre, — so werden diejenigen Gutsbesitzer, welche die Sache selbst ohne Hilfe eines dritten Unternehmers durchführen wollen, bei der Seehandlung den nöthigen Zwischenkredit bekommen können. Zugleich aber werden sich allmählich solide, mit mäßigem Verdienst zufriedene sachkundige Unternehmer finden, welche, gut geprüft nach allen Richtungen seitens der Behörden, das Vertrauen verdienen, daß die Seehandlung mit ihnen in Beziehung tritt. Diese Leute werden die unsachkundige und rein wucherische Güterschlächterei allmählich bei Seite bringen; sie werden den Ruf haben: daß sie mit den Behörden in Verbindung sind, sie handeln unter Kontrole und mit Zustimmung der Behörden; sie werden so das allgemeine Vertrauen gewinnen. Aber mehr, meine Herren: man wird ihnen naturgemäß die Bedingung stellen, daß der Plan der Zertheilung, den sie vorlegen, von den General⸗Kommissionen begutachtet und nur dann angenommen wird, wenn die General⸗Kommissionen das zustimmende Gutachten abgeben, daß z. B. der Plan an sich zweckmäßig, wirthschaftlich vernünftig und der Boden von einer Beschaffenheit ist, daß auch die Ansiedler darauf weiter kommen können, daß die Ansiedler nicht übersetzt, ihnen nicht zu hohe Preise abgefordert werden; alle diese Dinge muß die General⸗ Kommission begutachten, und auf Grund eines solchen begutachteten Vorgehens erst wird die Seehandlung eingreifen. Das nenne ich — ich glaube, auch der Herr Vorredner wohl — ein planmäßiges Vorgehen, daß diese wilde Privatwirthschaft allmählich, ohne daß man sie gerade verbietet, durch ein wirklich planmäßiges, die Garantie des dauernden Woblstandes der Ansiedler darbieten des Verfahren ersetzt wird. Meine Herren, ich glaube, es ist doch in Wahrheit eine der wichtigsten Aufgaben des preußischen Staates, hier einzugreifen. Wir haben endlich wieder begriffen, daß die Gesetze, die auf das mobile Kapital anwendbar sind, vielfach für den Grund und Boden nicht passen (sehr richtig! rechts), und darnach handeln wir jetzt. Der Staat, der auf diesem Grund und Boden gewachsen ist, hat an der Art der Bodenvertheilung ein ganz anderes Interesse als an der Vertheilung des mobilen Besitzes, und wenn der Staat dieser Auffassung gemäß handelt, so glaube ich, sollte er die Zustimmung aller Parteien im Lande finden. Welche
haben, auch trotz der großen industriellen Entwickelung — und das
grundbesitz, insbesondere auch durch Parzellierung von Staats⸗ domänen sowie durch Beseitigung des Familienfideikommißrechts.
sehen wir ja auch in diesem Jahre — stärker ist als die Neigung, als Tagelöhner oder industrieller Arbeiter zu leben.
Bedenken sind damals erhoben, wie wir die Rentengutsbildung einleiteten, und welche Mißverständnisse walten in dieser Be⸗ ziehung noch heute, selbst bei hervorragenden Gelehrten, die be⸗