In der gestrigen Sitzung des Kolonialraths Ueee der Antrag der Herren Dr. Schöller und Genossen auf Verleihung einer Landkonzession im nordwestlichen Kamerun und der An⸗ trag der Herren Deuß und Genossen auf Verleihung einer Konzession zur Errichtung einer Transport⸗, Plantagen⸗ und Handelsgesellschaft im Seengebiet von Deutsch⸗Ostafrika auf der Tagesordnung. Der Direktor der Kolonial⸗Abtheilung des Auswärtigen Amts, Wirkliche Geheime Legationsrath Dr. von Buchka stellte fest, daß eine Verpflichtung zur Vorlegung der vorgenannten Anträge an den Kolonialrath zur gutacht⸗ lichen Aeußerung nicht bestehe; die Vorlegung erfolge aber bereitwilligst mit dem Bemerken, daß eine Stellungnahme der Kolonial⸗Abtheilung zu den Anträgen noch nicht statt⸗ efunden habe. Es wurde die Generaldebatte über den Antrag des Dr. Schöller eröffnet. Die sehr lebhafte De⸗ batte wurde um 1 Uhr durch eine längere Pause unterbrochen und um 2 ⁄½ Uhr fortgesetzt. Vor Eintritt der Pause wurde ein Telegramm Seiner Majestät des Kaisers an Seine Hoheit den Herzog⸗Regenten Johann Albrecht von Mecklenburg⸗ Schwerin als Antwort auf das am vorgestrigen Tage seitens des Kolonialraths abgesandte Huldigungs⸗Telegramm ver⸗ lesen (s. u.). — Hhllt
18 19 Nachmittags⸗Sitzung theilte der Kolonial⸗Direktor mit, daß Herr Dr. Schöller u. Gen. sich bereit erklärt haben, u. a. folgende Verpflichtungen zum Zweck des Erwerbs der Konzession zu übernehmen: Drei Viertel des Ver⸗ waltungsraths, der Vorsitzende desselben, sämmtliche Mitglieder des Direktoriums müssen Deutsche sein; die Gesellschaft hat den Handel zu fördern, das Land durch Expeditionen und zweckmäßig erscheinende Verkehrsmittel zu erschließen, Plantagen und Faktoreien anzulegen; bei Gewinnung des Gummi ist auf einen Fortbestand des Gummibaumes Bedacht zu nehmen. Auch hieran knüpfte sich eine längere Debatte. Es wurde so⸗ dann einstimmig beschlossen:
„Der Kolonialrath empfiehlt, bei Ertheilung von Land⸗ konzessionen diese neben der Aufbringung eines ausreichenden Kapitals von der Erfüllung bestimmter, durch die Konzessionäre zu übernehmender Verpflichtungen abhängig zu machen, welche die Erschließung des Konzessionsgebiets durch die Konzessionäre thatsächlich gewährleisten und es sichern, daß Dritte an der Erschließung durch die Konzessionäre nicht gehindert werden. Bestehende fremde Interessen dürfen seitens der Konzessionäre nicht beeinträchtigt werden. Bei Nichterfüllung dieser Ver⸗ pflichtung wird die Konzession nach bestimmter Frist hinfällig. Bei Verleihung von Befugnissen öffentlich⸗ rechtlicher Natur sind für die Kolonialverwaltung die zur Wahrnehmung der öffentlichen Interessen erforderlichen Vor⸗ behalte zu machen, insbesondere gilt dies für Konzessionen zu Wege⸗, Eisenbahn⸗, Kanal⸗Anlagen und Dampsschiffsverbin⸗ dungen, für Handelsmonopole und ausschließliche Bergwerks⸗ konzessionen.“
Von einer Spezialdebatte wurde Abstand genommen.
Hierauf vertagte sich der Kolonialrath um 5 ½ Uhr Nach⸗ mittags bis heute Vormittag 10 Uhr. v“ 111111614“
Das in dem gestrigen Bericht erwähnte, von dem Kolonialrath an Seine Majestät den Kaiser ab⸗ gesandte Huldigungs⸗Telegramm hatte nachstehenden Wortlaut: 19. „Eure Kaiserliche und Königliche Majestät wollen Allergnädigst geruhen, den Ausdruck freudigsten Dankes des heute zusammengetretenen Kolonialraths für die diplomatisch in so hervorragender Weise durch⸗ geführte Erwerbung der Inselgruppen der Karolinen, Palau und Marianen huldvollst entgegenzunehmen. Der Kolonialrath erblickt in dieser bedeutsamen Vermehrung unseres überseeischen 5. einen hocherfreulichen Akt Eurer Majestät Weisheit und Aller⸗ gnädigsten Fürsorge für die weitere Ausgestaltung unserer Kolonten in der Südsee, für die Entwickelung unseres dortigen Handels und füfr die Förderung und Kräftigung der Machtstellung des Deutschen Reichs. AIm Anftrage der Mitglieder des Kolonialraths Johann Albrecht, Herzog zu Mecklenburg.“
Hierauf ist, wie „W. T. B.“ meldet, folgendes Antwort⸗
Telegramm Seiner Majestät des Kaisers eingegangen: „Neucs Palais, den 12. Juni 1899.
Indem Ich mit Befriedigung von der patriotischen Kundgebung der Mitglieder des Kolonialraths aus Anlaß der Erwerbung der Karolinen⸗, Palau⸗ und Marianen⸗Inseln seitens des Deutschen Reichs Kenntniß nehme, bitte Ich Eure Hoheit, dem Kolonialrath für dies erneute Zeichen seines Vertrauens in Meine auswärtige Politik Meinen Kaiserlichen Dank zu sagen. Wilhelm, I. R.“
8 11u“““ 1134“*“ TEEö1“ * 3i . vut elenae⸗
Der Kaiserliche Botschafter in Konstantinopel, Staats⸗ Minister Freiherr Marschall von Bieberstein hat einen ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub angetreten. Während der Abwesenheit desselben fungiert der Erste Sekretär der Kaiser⸗ lichen Botschaft, Legationsrath von Schloezer als Geschäfts⸗ träger.
Der Regicrungs⸗Assessor Koeppel zu Osterode ist der Königlichen? gierung zu Königsberg, der Regierungs⸗Assessor Goede zu Kobsenz der Königlichen Regierung zu Stettin, der Regierungs⸗Assessor Schlegelberger zu Wiesbaden der Königlichen Regierung zu Oppeln und der Regierungs⸗Assessor Dr. Krummacher zu Berlin der Königlichen Regierung zu
Magdeburg zur weiteren dienstlichen Verwendung uüberwiesen
worden.
Der Regierungs⸗Assessor Dr. Freiherr von der Goltz Kolberg ist bis auf weiteres dem Landrath des Kreises iederbarnim im Regierungsbezirk Potsdam zur Hilfeleistung
in den landräthlichen Geschäften zugetheilt worden.
1222 .. c. E11“
Laut telegraphischer Mittheilung ist S. M. S. „Frithjof“, Konmandant: Korvetten⸗Kapitän Kalan vom Hofe, am 13. i in K gen angekommen und beabsichtigt, am 17. i wieder in See zu gehen. S. M. S. „Beowulf“,
Konmandant: Kapitän zur See von Heeringen, ist am
13. und beabsichtigt,
88
in Eide Hardanger veen 7
I
I
Seine Königliche Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogthums Braunschweig, ist, wie die „Allg. Ztg.“ berichtet, vorgestern Abend von Kissingen nach
Hesses e bhne mus Ueber das Befinden Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs ist gestern in Darmstadt folgendes Bulletin ausgegeben worden: 1 — ö Im weiteren Verlauf der Krankheit Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs ist keine Komplikation eingetreten. Die besorg⸗
nißerregenden Krankheitserscheinungen sind verschwunden. bes nene Dr. Eigenbrodt. Dr. Riegel.
Sachsen⸗Altenburg. 8 Seine Hoheit der Herzog ist nach beendeter Kur vor⸗
13½
gestern von Karlsbad wieder in Altenburg eingetroffen.
. Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. aürn: Seine Königliche Hoheit der Herzog ist gestern von London nach Coburg zurückgekehrt.
In dem gemeinschaftlichen Landtage der Ferseg. thümer Coburg und Gotha ist, wie die „Goth. Ztg.“ be⸗ richtet, gestern von dem Abg. Dr. Heusinger der nach⸗ stehende dringliche Antrag eingebracht worden:
In Erwägung, daß der gemeinschaftliche Landtag sich mit der Erklärung des Herrn Staats⸗Ministers vom 9. Juni d. J nicht beruhigen kann, in der weiteren Erwägung, daß durch § 71 des Staatsgrundgesetzes das Verhältniß der vereinigten Herzogthümer zum Herzog gemeinsam ist, ersucht der gemeinschaftliche Landtag die Herzogliche Staatsregierung, ihm noch vor der dem Vernehmen nach unmittelbar bevorstehenden Vertagung des gemeinschaftlichen Landtages über die betreffs der Thronfolge getroffenen Vereinbarungen Kenntniß zu geben und nach der Vertagung den Landtagsausschuß über alle weiteren, auf die Thronfolge sich beziehenden Fragen auf dem Laufenden zu erhalten.
Seine Durchlaucht der Fürst hat sich heute zu mehr⸗
8
wöchigem Aufenthalt nach Teplitz begeben.
jenn Reuß j. L. nes8
Der Landtag ist gestern wieder zusammengetreten. T ““ 1 1 “ Aäö6lsaß ⸗Lothringen. 8029 88 s; Der Landesausschuß verhandelte gestern über die Petition der Städte Straßburg, Hagenau, Metz und Bolchen, künftig für die Gemeinderathssitzungen der größeren Städte Elsaß⸗Lothringens die Oeffentlichkeit zuzulassen. Colmar, Gebweiler, Mülhausen und andere hatten sich gegen die Oeffent⸗ e ausgesprochen. Namens der Regierung erklärte, wie 9 Ir .
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T. B.“ berichtet, der Staatssekretär von Puttkamer, er stehe grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß auf den Wunsch der erstgenannten Städte einzugehen sei, und mache nur einige Vorbehalte technischen Inhalts. Fkrssnolcd r8 ⸗ ütazs bnichoKHil10 . SirtIu A. cief.
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hin. SDesterreich⸗Ungarn.
Die beiden Fraktionen der Unabhängigkeitspartei er⸗ klärten, wie dem „W. T. B.“ aus Budapest gemeldet wird, in der heutigen Parteikonferenz, sie nähmen das zwischen dem Minister⸗Präsidenten von Szell und dem Grafen Thun ab⸗ geschlossene Ausgleichskompromiß unter Wahrung ihres prinzipiellen Standpunktes an. Die klerikale Volkspartei nimmt das Kompromiß ohne Bedingung anmg. Großbritannien und Irland.
Ein Blaubuch über die Petition der Uitlanders in Transvaal an die Königin ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern ausgegeben worden. In der am 10. Mai abgesandten Antwort auf die Petition erkennt der Staatssekretär für die Kolonien Chamberlain die Berechtigung der Beschwerden voll an und hebt jene, welche die persönlichen Rechte der Uitlanders berühren, besonders hervor, da sie gegen den Geist, wenn nicht sogar gegen den Buchstaben der Konvention verstießen. Großbritannien sei nicht geneigt, von seiner reservierten Haltung abzugehen; es könne aber nicht auf die Dauer die exceptionelle, willkürliche Behandlung der Uitlanders unbeachtet lassen, so wenig wie die Gleichgültigkeit der Südafrikanischen Republik gegenuüͤber freundschaftlichen Vorstellungen „ deren eifriges Bestreben darauf gerichtet sei, eine Intervention in ihre inneren Angelegenheiten zu verhindern. Chamberlain giebt zum Schlusse den Rath zu einer Zusammenkunft zwischen Sir Alfred Milner und Krüger. Das Blaubuch enthält ferner eine Depesche Sir Alfred Milner's an Chamberlain vom 4. Mai. In derselben wird darauf hingewiesen, daß die Lage immer kritischer werde, und gesagt, die Versuche, die Reformbewegung als eine künstliche darzustellen, seien eine willkürliche Verdrehung der Wahrheit. Die politischen Unruhen würden nicht eher enden, als bis die Uitlanders dauernd zur Theilnahme an der Regierung zugelassen würden. Die Politik, die Dinge gehen zu lassen, wie sie wollten, sei Jahre lang geübt worden mit dem Resultat, daß die Lage immer schlechter geworden sei. Das Schauspiel, daß die Unlanders sich vergebens an Großbritannien um Hilfe wenden müßten, untergrabe den Einfluß und das Ansehen Groß⸗ britanniens und mache die holländischen Kolonisten abspenstig. Nichts werde der verderblichen Propaganda Einhalt thun, 82 der bindende Beweis, daß die Regierung Ihrer Majestät ent⸗ schlossen sei, sich nicht aus ihrer Stellung in Suͤd⸗Afrika drängen zu lassen.
Im Unterhause erklärte gestern der Staatssekretär für die Kolonien Chamberlain im Anschluß an die Mittheilung, daß das oben erwähnte Blaubuch erschienen sei: die Regierung warte noch auf Depeschen des Gouverneurs der Kapkolonie mit vollständigen Berichten über die Konferenz, bevor sie ihm weitere Weisungen sende. Im weiteren Verlauf der Verhandlung führte Chamberlain aus, er habe keine Nachricht darüber erhalten, daß die Regierung von Transvaal kürzlich Waffen und Munition unter die Boeren in Natal habe vertheilen lassen und die
eigenen Unterthanen Großbritanniens gegen dasselbe bewaffnet habe. Labouchere stellte die Frage, ob Chamberlain die Mittheilung gesehen habe, daß der Gouverneur Sir Alfred Milner das Verlangen des Präsidenten Krüger nach einem Schiedsgericht über alle Streitpunkte und alle zukünftigen Differenzen als billig anerkannt habe. Der Staatssekretär für die Kolonien Chamberlain verlas hierauf eine Auf⸗ klärung Sir Alfred Milner'’s, in welcher es heißt, die Erklärung 1des Präsidenten Krüger sei eine Schlußfolgerung aus seinen
(Sir Alfred Milner’s) Aeußerungen. Er betrachte diese Schlußfolgerung jedoch nicht als berechtigt und 88 dieselbe auch sofort richtiggestellt. Die Stellung, welche er einge⸗ nommen habe, sei in seinem Telegramm vom 8. Juni prä⸗ isiert. Es folgt nun ein Auszug aus dem bereits bekannten e. Sir Alfred Milner’s und die Bemerkung, daß er deutlich erklärt habe, ein Schiedsgericht über alle strittigen Fragen und Differenzen könne Großbritannien nicht zulassen, und ebenso deutlich, daß Großbritannien über keine Frage den Schieds⸗ spruch einer fremden Macht gestatten könne. Was die Stel⸗ lung des Präsidenten Krüger zu dieser Frage betreffe, so habe derselbe nie erklärt, was er unter einem Schiedsgericht ver⸗ stehe, und habe auch keinen definitiven Vorschlag gemacht. Andererseits habe er (Sir Alfred Milner) aus einer Be⸗ merkung des Präsidenten geschlossen, daß dieser bereit sei, das Verlangen des Schiedsspruchs durch fremde Mächte aufzugeben. Chamberlain schloß seine Bemerkungen mit dem Hinweis darauf, daß Präsident Krüger nach der Konferenz einen neuen Antrag, betreffend das Schiedsgericht, gestellt habe, welcher dahin gehe, daß der Präsident dieses Gerichts ein Ausländer sein solle. — Auf eine Anfrage Hogan’s, ob das jüngst mit der Regierung der Tonga⸗Inseln geschlossene Abkommen nicht thatsächlich ein britisches Protektorat über diese Inseln be⸗ deute, erklärte der Parlaments⸗Sekretär des Aeußern Brodrick, daß dies nicht der Fall sei. In Beantwortung weiterer Anfragen bemerkte derselbe, es habe sich im britisch⸗russischen Abkommen betreffs Chinas nicht
eine Ausdehnung der russischen Interessensphäre, sondern um eine Festsetzung der Grenzen gehandelt, innerhalb welcher die britische Regierung keine Konzessionen nach⸗ suchen oder russische Gesuche um solche beanstanden wolle. Die große Mauer Chinas hilde die natürliche Theilung und sei die Grenze der Mandschurei in der Provinz Mukden. Provand fragte an, ob es wahr sei, daß der Vize⸗König von Nanking dem britischen Konsul in Shanghai die Erlaub⸗
rung gewährt und dann auch das britische Verlangen erfüllt worden sei. Der Parlaments⸗Sekretär des Aeußern Brodrick erwiderte, die Regierung habe keine Gerüchte erhalten. Auf Wunsch einer britischen Firma, welche sich über die Unzuträglichkeiten beklagt die ihr durch das ohne hinreichende
Geschäftsträger der chinesischen Regierung Vorstellungen ge⸗ macht, worauf dem Vize⸗König von Nanking die Weisung zu⸗ gegangen sei, die Ausfuhr von solchem Reis zu gestatten, welcher vor dem Datum der Veröffentlichung des Verbots gekauft sei. Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde die
habe, Anzeige
Ausfuhrverbot von Reis erwachsen seien, habe der britische
1
niß zur Verschiffung von Reis für die Garnison in Wei Hai⸗ Wei mit der Begründung verboten habe, daß die Reisausfuhr untersagt sei, daß dagegen dem russischen Konsul eine gleiche Erlaubniß für die Garnison in Port Arthur auf seine Forde⸗
8
Bestätigung dieser
88
dritte Lesung der Londoner Lokalverwaltungsbill und
der Finanzbill ohne Abstimmung genehmigt. 8 S
Frrrankreich. .
möge. Poincaré in das Elysée und konferierte mit diesem längere Zeit. begeben. an * 1 Die Anklagekammer hat in dem Prozeß gegen Picquart
8
erkannt, daß kein Grund zur Verfolgung desselben vorliege, da, wie in den Urtheilsgründen erklärt werde, das Urtheil des Kassationshofes und die in der Sache eingeleitete Untersuchung I
Der Präfident der Republik Loubet hatte, dem „W. T.B.“ zufolge, gestern Vormittag eine Besprechung mit den Präsi-⸗ denten des Senats und der Deputirtenkammer, in welcher er den Wunsch äußerte, daß die Krisis eine schnelle Lösung finden Nachmittags berief der Pee den Deputirten
Heute wird sich Poincaré abermals in das Elyséöe
dargethan hätten, daß die gegen Picquart erhobenen Anklagen
in offenbarem Widerspruch mit dem Ergebniß dieser Unter⸗-⸗
suchung und dem Urtheil des Kassationshofes ständen.
Das Zuchtpolizeigericht verurtheilte gestern den Baron
Christiani, welcher in Auteuil den Präsidenten Loubet
thätlich angegriffen hatte, zu vier Jahren Gefängniß. ee 1
4 ni sig Rußland. 1 Wie „W. T. B.“ aus
Fonds zu bilden und besondere Regeln auszuarbeiten, um all⸗ mählich für diese Bauern Grundbesitz anzukaufen. sei beauftragt worden, eigens hierzu eine Kommission zu bilden.
Italien. Die „Agenzia Stefani“ meldet:
laub na sei und wo er Besitzungen habe. Während eines Ausfluges sei der General von französischen Gendarmen unter dem Ver⸗ dacht der Spionage verhaftet worden.
Vor Beginn der gestrigen Sitzung der Deputirten⸗
kammer wurde dem neugewählten radikalen Abgeordneten von Mailand Musi von der äußersten Linken eine Ovation bereitet.
eine Pflicht zu erfüllen. Wenn man seiner Bitte kein Gehör
schenke, werde das Land darüber urtheilen, wer die Verant⸗ (Lärm und Widerspruch auf übrigen Der Minister⸗Präsident Pelloux bedauerte, daß
wortlichkeit der äußersten Linken, Bänken.) nach so vielen Sitzungstagen noch nicht ein Artikel der Vorlage über die 9
zu tragen habe. lebhafter Beifall auf den
worden sei,
sugreifen. Die Kammer und die Regierung hätten das
echt, dieser unerträglichen Sachlage gegenüber Abhilfe zu
schaffen. Er wolle für den Augenblick keinen Vorschlag machen, aber die Kammer warnen, damit sich feber der Ver⸗
antwortlichkeit für die etwa eintretenden Ereigni
v. rechts und im Zentrum, Zwischenrufe auf der äußersten Linken.) Der Minister⸗Präsident verlangte schließlich, daß der die heutige dem die äußerste Linke Ein⸗ spruch erhoben und namentliche Abstimmung über den Antrag
Entwurf, betreffend das bevoiser sche Budget, au Tagesordnung gesetzt werde. Na
Helsingfors berichtet, melden die dortigen Blätter, der Kaiser habe aus einem Vortrage über die Abrechnung des finländischen Senats vom Jahre 1896 ersehen, daß 34 Proz. der finländischen Bauern (sogenannte Torpar) ohne Grundbesitz seien. In Anbetracht dieser traurigen Lage der Bauern habe der Kaiser befohlen, jährlich aus den 18 Resten der Budgetsummen mit zwei Millionen Mark einen e
Der Senat 1
0 Der General Giletta di San Giuseppe, Kommandant der Brigade von Cremona “ und in Pleeng in Garnison, habe sich mit regelrechtem Ur⸗ ns
der Grafschaft Nizza begeben, von wo er gebürtig 8 58
ber Der Präsident Chinaglia forderte nach der Er⸗ öffnung der Sitzung die Linke auf, die Obstruktion aufzu-⸗ geben, und fügte hinzu, er glaube mit dieser Aufforderung
politischen Maßnahmen angenommen und daß die große Anzahl der eingebrachten Unteranträge und die Erklärungen mehrerer Redner deutlich die Absicht zeigten, in die Arbeit der Kammer störend ein-⸗
se bewußt sei. 8
8 I
des Minister⸗Präsidenten verlangt hatte, wurde dieser Antrag mit 272 gegen 52 Stimmen angenommen. Nach einer längeren Rede des radikalen Deputirten Sichel über die Vor⸗ lage, betreffend die politischen Maßnahmen, beschloß die Kammer, daß künftig die Sitzungen spätestens um 8 Uhr Abends geschlossen werden sollen. Die Sitzung wurde sodann aufgehoben. 3 Spanien.
Nach einer dem „W. T. B.“ zugegangenen Meldung aus Madrid wurde gestern im Senat der Bericht der Kom⸗ mission über die Abtretung der Karolinen⸗, Marianen⸗ und Palau⸗Inseln verlesen und die Dringlichkeit der Berathung erklärt. Der deutsche Botschafter von Radowitz wohnte der Verlesung des Berichts bei. 8 “
“
6 Niederlande.
Wie das „Reuter'sche Bureau’ aus dem Haag meldet, hielt die Unterkommission, welche sich mit der Frage der Ausdehnung der Genfer Konvention auf den Seekrieg beschäftigt, gestern unter dem Vorsitz des niederländischen Delegirten, Professors Dr. Asser eine Sitzung ab. Professor Renault (Frankreich) legte den Entwurf des Redaktionscomités vor. Derselbe enthält 10 Artikel, welche zum größten Theil an⸗ genommen wurden. Der Entwurf bestimmt, daß hch Fahreuße. welche als Militärhospitale dienen oder augenscheinlich dazu be⸗ stimmt sind, Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen Hilfe zu bringen, ebenso wie solche Fahrzeuge, welche auf Kosten von Privatleuten oder öffentlich anerkannten Rettungsgesellschaften zur Hilfeleistung ausgerüstet sind, von der Beschlagnahme ausgenommen sein sollen. Zu Artikel 6 wird der amerika⸗ nische Delegirte Mahan einen Abänderungsantrag einbringen, welcher dahin geht, über die rechtliche Stellung von Schiff⸗ brüchigen und Verwundeten, welche zufällig auf dem Schiff einer neutralen Macht Zuflucht gefunden haben, Bestimmungen zu treffen. Es wurde ferner angeregt, die Fähgs, des Rothen Kreuzes durch ein Abzeichen ohne religiöse Bedeutung zu ersetzen. Hierzu gaben die Vertreter der Türkei und von Siam Erklärungen ab
8* 11.““
Aus Konstantinopel meldet das Wiener
Korresp.⸗Bureau“, infolge neuerer Vorgänge im Vilajet Bitlis und des Umstandes, daß die Nachrichten über dieselben heimlich angeschlagen worden seien, hätten wieder Verhaftungen und Repatriierungen in Konstantinopel lebender Armenier aus den Provinzen stattgefunden. 8
Rumänien.
Nach dem nunmehr vorliegenden endgültigen Ergebniß der Wahlen zur Deputirtenkammer wurden, dem „W. T. B.“ zufolge, gewählt: 149 Konservative, 13 Junimisten und 7 Liberale verschiedener Schattierungen. 7 Stichwahlen sind erforderlich. 7 Konservative wurden mehrfach gewählt. Die Opposition dürfte nach Erledigung der Stichwahlen etwa 22 Sitze erlangen. Bei den gestrigen Senatswahlen im ersten Wahlkörper wurden 43 Konservative, 4 Junimisten und 6 Liberale verschiedener Schattierungen gewählt. 7 Stich⸗ wahlen sind erforderlich. Die Wahlen verliefen in voll⸗ ständiger Ruhe. “
Bulgarien. 8
Nachdem die Sobranje am Montag vier Abgeordneten⸗ Mandate für gültig und zwei für ungültig erklärt hatte, begann, wie „W. T. B.“ berichtet, die Opposition nach 7 ½ stündiger Dauer der Sitzung, mit Berufung auf die vor⸗ gerückte Abendstunde Lärm zu machen und Obstruktion zu treiben, um die Fortsetzung der Sitzung zu verhindenrr.
8 65 Asien.
Aus Bombay wird dem ‚Reuter’'schen Bureau“ gemeldet, daß die in den Bezirken Madura und Tinevelly aus⸗ gebrochenen Unruhen bedenklich an Ausdehnung gewönnen. Neun Sepoys seien am vergangenen Sonntag von 200 Auf⸗ ständischen angegriffen worden, die Sepoys hätten Feuer ge⸗ geben und sechs der Angreifer getödtet. Aus allen Orten würden Ruhestörungen und ein Anwachsen des Aufstandes gemeldet; die Grenzstädte würden von Truppen bewacht. Die Auf⸗ ständischen steckten die Dörfer in Brand, zwei Dörfer seien bereits eingeäschert.
Nach einer Meldung desselben Bureaus aus Manila ist üe die Mittheilung dorthin gelangt, daß der Höchst⸗ ommandierende der Aufständischen, General Luna und sein Adjutant, Leutnant Pasco Ramon am 8. Juni von Wach⸗ mannschaften Aguinaldo's in dessen Hauptquartier erstochen worden seien. General Luna habe sich dorthin begeben, um mit Aquinaldo zu berathen; er sei mit den Wachmannschaften in einen Wortwechsel gerathen und habe seinen Revolver gezogen, worauf die Leute ihn und seinen Adjutanten mit den Bajonetten nieder⸗ gestochen hätten.
Polynesien. „Pon.
Der Vorsitzende der Samoa⸗Kommission Tripp hat, wie das „Reuter'sche Bureau“ aus Washington meldet, dem Staatssekretär Hay mitgetheilt, das Werk der Kommission schreite langsam, aber in befriedigender Weise fort; die Arbeiten würden bald abgeschlossen s cein.
Fbnmp e
Parlamentarische Nachrichten.
wewm; Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichs⸗ tages befindet sich in der Ersten Beilage.
— In der heutigen (92.) Sitzung des Reichstages, welcher der Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von osadowsky beiwohnte, wurde die dritte Berathung des ntwurfs eines Invalidenversicherungsgesetzes mit er Spezialberathung fortgesetzt. di Es liegen im Ganzen 47 Anträge vor, von denen aber B meisten nur redaktioneller Art sind. Bis zum Schluß des lattes wurden die §§ 1—4 unverändert und der § 5 (Be⸗ dundere Kasseneinrichtungen) mit einem Kompromißantrag der n gg. Dr. Hitze (Zentr.) und Genossen, der dahin geht, daß ie Kassenleistungen auch den Reichszuschuß mit umfassen ollen, angenommen.
12. bis 14. Juni in Nüruberg. Montag, den 12. Juni.
Die heutige erste Sitzung wurde von dem Vorsitzenden des Vereins, Baurath Bissinger⸗-Nürnberg, Morgens 9 ¼ Uhr im Saale des „Museums“ eröffnet. Der Vorsitzende begrüßte zunächst die Ehren⸗ gäste: den Regierungs⸗Präsidenten Dr. von Schelling als Vertreter der bayerischen Staatsregierung, den Regierungsrath von Saint⸗George als Vertreter der Mittelfränkischen Kreisregierung, den Ersten Bürger⸗ meister der Stadt Nürnberg Dr. von Schuh, den Divisions⸗Kom⸗ mandeur, Generalleutnant von Haag, den Professor Dietz als Ver⸗ treter der Technischen Hochschule München, den Direktor des Germanischen Museums von Bezold, den Fabrikanten Seyler, als Vertreter der Handelskammer, den Hofrath Dr. Caro als Vertreter des Vereins deutscher Chemiker, den Ingenieur Schrödter als Ver⸗ treter des Vereins deutscher Eisenhüttenleute sowie andere Abgeordnete von Behörden und technischen Unterrichtsanstalten. Dann schilderte er in seiner Eröffnungsrede die Entwickelung des nunmehr 43 Jahre alten Vereins seit dessen Bestehen Aus dem darauf vorgetragenen Geschäftsbericht des Vereins⸗Direktors für das abgelaufene Jahr ist hervorzuheben, daß die Mitgliederzahl auf 13 600, die Auflage der Vereinszeitschrift auf die Ziffer 16 000 angewachsen ist.
Der Rest der ersten Sitzung war Vorträgen gewidmet. Als erster Redner sprach Professor Doer fel⸗Prag „über die Dampf⸗ überhitzung bei Corliß⸗Maschinen“. Der Vortragende er⸗ örterte die Ursachen der im Dampfmaschinenbau bemerkbaren Rück⸗ kehr zu auslösenden Ventilsteuerungen, an welchem durch viele Jabre nur Sulzer und Augsburg festgehalten hatten, und die nun auch wieder zunehmende Anwendung von Drehschiebern, insbesondere mit zwangsläufigem Antrieb. Mit diesen hat der Vortragende in Böhmen 1881 begonnen⸗ (Ausführungen von E. Skoda, Pilsen) und deren vorzügliche Eignung für Steuerung von Niederdruck⸗Zylindern mit 2 oder 4 unten liegenden Dreh⸗ schiebern nachgewiesen. Solche sind jetzt sehr allgemein in Gebrauch. Wenig später gelangten Maschinen (seit 1884) in Verbindung mit Flachreglern für Hochdruckzylinder zur Ausführung. Hiervon sind die Schnellläufer „Doerfel⸗Pröll“ allgemein bekannt, es sind aber auch sehr zahlreiche große liegende und stehende Betriebsmaschinen (Compound⸗ und Dreizylindermaschinen bis zu 1000 PS.) ausgeführt worden, welchen hohe Oekonomie und lautloser Gang nachgerühmt werden darf. Die Drehschieber erweisen sich für hohe Kolben⸗ geschwindigkeit durch reichliche Querschnitte und bequeme Dampfwege bei kleinem schädlichen Raum als sehr geeignet; es scheint, daß sie in⸗ folge dessen insbesondere bei kleinen Füllungsgraden günstiger arbeiten als selbst auslösende Ventilmaschinen, wie aus Verbrauchszahlen hervorgeht. Der Drehschieber zeigte sich aber bisher etwas zu empfindlich gegen hohe Dampfdrücke und verlangt geeignete Zylinderöle. Der Vortragende suchte die Hauptursache der mitunter auftretenden Schwierigkeiten in einem grundsätzlichen Fehler in der Art und Weise der Schieberbewegung mit Hilfe der Blattspindel und zeigte dies an einem Modell. Eine neue, von ihm unter Mithilfe seines ehemaligen Assistenten O. Podleyschi, Werkstätteningenieur der Maschinenfabrik F. Ringhoffer in Prag, konstruterte Schieberfassung erweist sich als wesentlich günstiger. Bei sachgemäßer Ausführung, deren Grundlagen eingehend erörtert wurden, verhält sich der Drehschieber auch bei Ueberhitzung sehr befriedigend. Neuere Erfahrungen zeigen, daß auch bei Ueberhitzung die Vollkommenbeit der Maschine von größtem Werth ist, weil die Vortheile hoher Expansion nicht in dem Maß durch Niederschlagverluste geschädigt werden wie bei nassem Dampf. Die Corliß⸗Maschine ermöglicht daher schon bei mäßigen Temperaturen sehr günstige Resultate und verspricht auch bei Zwischenüberhitzung vorzügliche Erfolge. Der Vortragende besprach schließlich hierauf be⸗ zügliche eigene Versuche und solche der Elsässer Maschinenbau⸗Aktien⸗ gesellschaft.
Es folgte ein Vortrag des Zivilingenieurs Kullmann⸗Nürn⸗ berg „über den Stand der Wasserversorgung in Bayern“. Der Vortragende bemerkte, daß die Ausgestaltung der Wasserversorgung von Städten und Gemeinden in Bayern um die Mitte der 70 er Jahre begonnen und sich seitdem zu einer hohen Vollkommenbeit entwickelt habe Heute entbehrt kein Ort mit über 5000 Einwohnern einer Wasserversorgung. Die Hauptstadt München hat 138 000 cbm Wasser pro Tag zur Verfügung und dürfte damit, Rom ausgenommen, die bestversorgte Stadt des europäischen Kontinents sein. Verbraucht werden in München pro Tag 82 000 chm oder 1951 pro Kopf und Tag. Weiter schilderte der Redner die Wasserversor⸗ gungen von Nürnberg, Würzburg und Fürth. Letztere ist besonders aus dem Grunde interessant, weil dort (zum ersten Mal in Bayern) Gasmaschinen zum Antriebe der Pumpen benutzt worden sind. Einen Beweis, wie sehr auch kleinere Gemeinwesen bestrebt sind, ihre Wasser⸗ versorgungen in die Höhe zu bringen, liefern die Städte Kulmbach und Ansbach. Kulmbach, ein Städtchen mit 8000 Einwohnern, be⸗ zieht sein Wasser auf eine Entfernung von 16 km aus dem ßFichtel⸗ gebirge; die Leitung für Ansbach mit 16 000 Einwohnern ist sogar 25 km lang und muß dabei einen Häügelrücken überschreiten, der eine Hebung des Wassers um 113 m bedingt. Kleine und länd⸗ liche Gemeinwesen werden in der Beschaffung der Wasserversorgung durch ein seit 1878 bestehendes technisches Bureau unterstützt, welches dem Ministerium des Innern unterstellt ist. 262 Wasserleitungen sind bereits von diesem Bureau ausgeführt; im Durchschnitt sind dazu 26 % Zuschuß geleistet worden. Ermöglicht wurde diese Begründung kleiner Werke durch die Entwickelung der Benzin⸗ und Petroleum⸗ motoren; zur weiteren Förderung dürfte besonders der Elektromotor berufen sein.
Als letzter Reduer sprach Ingenieur Erhard über Nürnbergs Metallindustrie. Diese Industrie theilt sich, wie der Vor⸗ tragende ausführte, in zwei Gruppen, nämlich einerseits den modernen Maschinenbau, die Elektrotechnik, den Fahrradbau und dergl. und andererseits die aus dem Mittelalter stammenden Industrien, wie die Blattmetall⸗ und Bronzefarbenerzeugung, die Fabrikation leonischer Drähte und daraus gefertigter Waaren, die Reißzeugfabrikation, die Metallspielwaarenerzeugung ꝛc. Da Nürnberg von den Fundstätten des Erzes und der Kohle weit entfernt liegt, die anderwärts das Aufblühen neuzeitlicher Industriezweige begünstigen, so ist der hohe Stand der Technik in Nürnberg fast ausschließlich der industriellen Begabung und dem Fleiße der Fabrikanten sowie den weitreichenden Handelsbeziehungen zu verdanken. — Trotz der ungünstigen geographi⸗ schen Verhältnisse besteht ein umfangreiches Walzwerk in Nürnberg, welches jedoch bezeichnender Weise lediglich Alteisen als Rohmaterial benutzt. Die größten Werke Nürnbergs sind die nunmehr mit der Augsburger Maschinenfabrik vereinigte Maschinenbau⸗Aktiengesellschaft Nürnberg vorm. Klett u. Co. mit 3500 Arbeitern und einer Jahres⸗ produktion von 13 Millionen Mark und die Elektrizitäts⸗Aktiengesell⸗ schaft vorm. Schuckert u. Co., die bei einem Personalstande von 8000 Beamten und Arbeitern einen Jahresumsatz von 46 ½ Millionen Mark erzielt. — Ueberaus rasch hat sich der Fahrradbau entwickelt, dessen Jahresproduktion auf rund 10 bis 12 Millionen Mark veran⸗ schlagt wird, sodaß Nürnberg heute infolge seiner zahlreichen Fahrrad⸗ werke das deutsche Coventry genannt werden kann. Durch die Fahrradfabrikation wurden viele kleinere Betriebe zur Erzeugung von Nebentheilen in Nürnberg ins Leben gerufen. Besonders lohnend war in dieser Hinsicht die Fabrikation der Stahlkugeln für die Lager, die jedoch durch eine wilde Spekulation schwere Einbuße erlitt. In ber⸗ vorragendem Maße ist in Nürnberg und Fürth auch die Fabrikation von Haushaltungsartikeln, Brauereimaschinen, Draht⸗ und Messing⸗ waaren und dergl. vertreten. — Zu den historischen Industrien Nürn⸗ bergs zählt namentlich die Blattmetallschlägerei. Die Herstellung der dünnen Blättchen, bei der man bisher vergebens Maschinenbetrieb versuchte, ist schwer und zeitraubend. Die Metallblätter werden hierbei in Formen aus Goldschlägerhäutchen geschlagen, die aus dem Blinddarm des Rindes hergestellt sind. Aus den Abfällen der Metallschlägerei, dem sogenannten Schabin, früher durch Zerreiben die Bronzefarben erzeugt, die heute direkt aus dem Rohstoff in Stampfmühlen gewonnen werden. Blattmetalle und Bronze⸗ farben bilden einen Hauptausfuhrartikel von Nürnberg und
dauptverxsammlune des Vereins deutscher 1
wurden
1 Fürth. — Die Industrie der leonischen Waaren wurde durch Emigranten aus der Gegend von Lyon nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1683 nach Nord⸗Bayern verpflanzt. Unter leonischen Drähten versteht man im allgemeinen vergoldete, versilberte oder zementierte Kupferdrähte von höchster Feinheit, die theils unmittelbar, theils als Plätte oder Lametta, d. s. flach ge⸗ walzte Drähte, als Bouillons, d. s. über Nadeln gesponnene, raupen⸗ artig gekrauste Draht⸗ und Plättgebilde; als Brokat, d. i geschnittene Plätte, und als Flittern, d. s. flachgeschlagene Drahtringelchen, in den Handel keommen. Im Zusammenhang mit der Erzeugung der leoni⸗ schen Drähte steht deren Verarbeitung zu Gold⸗ und Silbergespinnsten, Tressen, Schnüren, Litzen, Fransen, Spitzen und dergl., welche haupt⸗ sächlich zur Herstellung von Kirchenparamenten, Stickereien, Militär⸗ abzeichen u. s. w. dienen. — Bedeutend ist auch die Reißzeugfabrikation, welche ihren Ursprung in alte Zeit zurückführt. Schon Regiomontanus ließ sich im 15. Jahrhundert in Nürnberg wegen der daselbst ver⸗ sertigten Instrumente nieder. Heute zählt die Reißzeugfabrikation etwa 60 Betriebe, die sich den Weltmarkt erschlossen haben. — All⸗ gemein bekannt sind die Nürnberger Spielwaaren. Die Zinnfiguren, die in gravierten Schieferformen gegossen werden, bilden oft kleine Kunstwerke. Blechspielwaaren, wie Kreisel, mechanische Figuren, Schwimmspielwaaren, Zauberlaternen und dergl. werden in großen Fabriken unter Anwendung neuzeitlicher Werkzeugmaschinen in außerordentlichen Mengen erzeugt; Modellspielwaaren ahmen die Einrichtungen der Eisenbahnen und Dampfschiffe, der Dampf⸗, Gas⸗, und Elektromotoren nach, und Experimentierkästen dienen zur Einführung des Knabengeistes in die Grundlehren der Mechanik und Physik. Die Gesammtproduktion der Nürnberger Spielwaaren wird auf 10 bis 12 Millionen Mark geschätzt; den Vertrieb nach dem Aus⸗ lande besorgen hauptsächlich große Exporthäuser. — In allen Zweiger der Nürnberger Metallindustrie ist ein Zug nach Vervollkommnung der Fabrikate wahrzunehmen, und es steht zu hoffen, daß an Stelle des fast verächtlich klingenden „Nürnberger Tandes“ das ursprüngliche alte Wahrwort „Nürnberger Hand geht durch alle Land“ wieder in Umlauf komme.
Nachmittags folgte ein Festmahl im Hercules⸗Velodrom, an dem etwa 700 Personen theilnahmen. An der Tafel der Ehrengäste sah man zahlreiche Vertreter der staatlichen und städtischen Be⸗ hörden. Aus der Reihe der Trinksprüche seien hervorgehoben der des Vereinsvorsitzenden, Bauraths Bissinger auf Seine Majestät den Kaiser und Seine Königliche Hoheit den Prinz⸗Regenten von Bayern, des Bauraths Rieppel⸗Nürnberg auf die bayerische Staats⸗ regierung, des Regierungs⸗Präsidenten Dr. von Schelling auf die deutsche Industrie, des Geheimen Regierungsraths Rietschel⸗Berlin auf die Stadt Nürnberg und des Bürgermeisters Dr. von Schuh auf den Verein deutscher Ingenieure.
Mit einer Festvorstellung im Apollo⸗Theater fand der erste Tag seinen Abschluß.
Dienstag, den 13. Juni.
In der heutizen zweiten Sitzung wurden die geschäftlichen Angelegenheiten erledigt. Zum Vorsitzenden des Vereins für die Jahre 1900 und 1901 wurde Herr Lemmer, Direktor der Ma⸗ schinenfabrik vorm. G. Luther, Aktien⸗Gesellschaft in Braunschweig, gewählt. Die Grashof⸗Denkmünze, eine alljährlich verliehene Auszeichnung für hervorragende technische Leistungen, wurde Herrn Baurath Rieppel, Direktor der Maschinenbau⸗Aktien⸗Gesellschaft Nürnberg, zuerkannt. Herr Baudirektor Professor von Bach wurde zum Ehrenmitglied des Vereins ernannt.
Aus den weiteren Verhandlungen ist zu erwähnen, daß für eine Reihe wichtiger technischer Versuche, wie über Wassergehalt im Kesseldampf, Vergleiche von Schmierölen, Festigkeit von Schrauben, Festigkeit von Bronze bei hoher Temperatur, Wirkung von Dampf⸗ maschinenregulatoren, Kraftverluste bei Riemen⸗ und Seiltrieb, Wir⸗ kung des Winddrucks, Verwendung überhitzten Dampfs in Dampf⸗ maschinen, Wärmedurchgang durch Heizflächen erhebliche Geldmittel bewilligt worden sind.
Für die Weltausstellung in Paris 1900 ist eine umfassende Be⸗ richterstattung in der Zeitschrift des Vereins ins Auge gefaßt.
Eine langjährige Vereinsarbeit ist dadurch zum Abschluß ge⸗ kommen, daß das internationale metrische Gewindesystem für Be⸗
festigungsschrauben in der Form, wie es im vorigen Jahre von einem internationalen Kongreß in Zürich aufgestellt wurde, genehmigt worden ist. 8ese
Zum Ort der nächstjährigen Hauptversammlung wurde Köln bestimmt.
E“ Zur Arbeiterbewegung. 1 1
Aus M.⸗Gladbach wird der „Köln. Ztg.“ vom gestrigen Tage gemeldet: Die Färberbewegung nimmt keinen größeren Umfan an. Mehrere Werke erzielten Einigungen, nur in einem Betrie legten die Arbeiter nach voraufgegangener Kündigung die Arbeit nieder. (Vgl. Nr. 134 d. Bl.)
In Hildesbeim endete einer Mittheilung desselben Blattes zufolge der Tischlerausstand mit einer Niederlage der Gesellen, deren Hauptforderung, die Verkürzung der Arbeitszeit, von den Meistern nicht bewilligt wurde.
Aus Hamburg wird der „Ostsee⸗Ztg.“ zur Lohnbewegung der Schiffszimmerleute in Hamburg und Umgegend geschrieben: Eine Mitgliederversammlung der Zahlstellen Hamburg, Reiherstieg und Veddel des Verbandes der Schiffszimmerer Deutschlands fand am letzten Sonntag statt. Die Tagesordnung lautete: Unsere Lohn⸗ forderung und Bericht der am 4. d. M. gewählten Unterhandlungs⸗ kommission. Diese ließ mittheilen, daß den Werftbesitzern das Er⸗ suchen, den Stundenlohn, der bisher 46 ₰ betrug, auf 50 ₰ zu er⸗ höhen, unterbreitet worden sei; es hätten Unterhandlungen stattge⸗ funden, die Lohnaufbesserung wurde aber nicht bewilligt. Der Arbeit⸗ geberverband von Hamburg⸗Altona wolle weder von einer Verkürzung der Arbeitszeit noch von einer Lohnerhöhung etwas wissen. Von einer Arbeitseinstellung müsse unter den obwaltenden Umständen Abstand genommen werden, da die Organisation der Schiffszimmerer dies nicht zulasse. Die Versammlung einigte sich schließlich dahin, die Arbeit am Montag zu den alten Lohnbedingungen (46 ₰ für die Stunde) vorläufig wieder aufzunehmen.
In Leipzig dauert der Ausstand der Stuckateurgehilfen, der vor zwei Wochen begonnen wurde, unverändert fort. Die Zahl der gegenwärtig noch im Ausstande befindlichen Gehilfen beträgt, der „Lpz. Ztg.“ zufolge, 93, darunter 67 Verheirathete mit 166 Kindern. Es ist aber von der Leitung des Ausstandes 597 eine dringendern Be⸗ treibung der Abreise, insbesondere der ledigen Ausständigen, ins Auge gefaßt, wenn der Ausstand nunmehr nicht beigelegt werden sollte.
Aus Zeitz wird der „Mgdb. Ztg.“ zur Lohnbewegung der Bergarbeiter unter dem 12. Juni berichtet: Bis jetzt ist noch nichts über die Stellungnahme der Grubenverwaltungen zu der For⸗ derung einer zehnprozentigen Lohnaufbesserung für die Bergarbeiter im Zeitz⸗Meuselwitz⸗Weißenfelser Braunkohlenrevier bekannt ge⸗ worden. Im benachbarten Groitsch haben bereits einige zwanzig Arbeiter die Arbeit niedergelegt. Wie die Lohnbewegung verlaufen wird, läßt sich heute noch nicht überblicken, da die Verwaltungen bis
In Nürnberg sind, wie den „Münch. N. N.“ gemeldet wird, die Bäckergehilfen in eine Lohnbewegung eingetreten. 8
Hier in Berlin verhandelte eine Maurerversammlung am Montag über die Frage: Umgegend zu der vom Arbeitgeberverband angedrohten Aussperrung?“ Wie die „Voss. Ztg.“ mittheilt, wurde folgender Antrag ange- nommen: Die Versammlung erklärt, dem Verlangen des Arbeit⸗ 8 geberbundes, die jetzt zu Gunsten der Erringung des 65 Pfg.⸗Stunden.
erklärt sich aber zu jeder Zeit bereit, mit dem Arbeitgeberverban
zu unterhandeln, um die Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen;] gegenseiti b
zum 15. Juni um eine Erklärung gebeten sind.
F8 „Wie stellen sich die Maurer Berlins und
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lohnes ruhenden Bauten wieder zu besetzen, nicht Folge zu geben, sie