1899 / 293 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 12 Dec 1899 18:00:01 GMT) scan diff

steuer 11 Millionen, bei der Salzsteuer 1 Million, bei der

bottich⸗ und Branntweinmaterialsteuer 1 Million, bei der Brausteuer 2 Millionen, beim Wechselstempel 1 ½ Millionen, bei der Post 9 Millionen, bei den Reichs Eisenbahnen 2 Millionen und ferner bei der Banknotensteuer noch 2 Millionen. Dieser Mehrertrag der Banknotensteuer entsteht, wie Ihnen bekannt, aus der starken Geschäfts⸗ bewegung, die jetzt noch herrscht. Außerdem werden die Einnahmen aus dem Bankwesen sich voraussichtlich auch noch sehr erheblich erhöhen; es ist aber heute noch unmöglich, einigermaßen sichere Ziffern dafür zu geben. Mit noch 2 Millionen an Ausgleichsbeträgen von den an der Reichs⸗ post und der Brausteuer nicht betheiligten Staaten giebt dies (abgesehen von dem Antheil am Gewinn der Reichsbank) den Mehr⸗ ertrag über den Etatsansatz bei den reichseigenen Einnahmen, den ich Ihnen vorher erwähnte, nämlich rund 32 Millionen.

An Mehrausgaben gegenüber dem Etat sind etwa 4 Millionen zu erwarten. Sie vertheilen sich, wie gewöhnlich, auf eine große Reihe kleiner Einzelpesten, und ich halte es nicht für angebracht, die lange Liste dieser kleinen Posten hier dem hohen Hause vorzuführen.

Nun kommen wir zu den Zöllen und Ueberweisungssteuern des laufenden Jahres. Hier finden wir bei den Zöllen ein schätzungs⸗ mäßiges Mehr gegenüber dem Etatsansatz von 25 Millionen, bei der Branntweinverbrauchsabgabe 8 ½ Millionen, bei der Stempelabgabe für Werthpapiere 4 ½ Millionen. Das macht bei den Ueberweisungs⸗ steuern zusammen das Mehr gegenüber dem Etatsansatz von 38 Millionen, das ich Ihnen vorher in runder Summe genannt hatte. Auf diesen Mehrertrag kommt nun die Bestimmung des Schuldentilgungsgesezes vom Jahre 1897 in Anwendung, wonach von der im Etat für 1899 zur Herstellung des Gleichgewichts im ordentlichen Haushalt vorgesehenen Heranziehung der Mittel des außerordentlichen Etats nur Gebrauch gemacht werden darf, soweit der Bedarfsbetrag nicht durch Mehrerträge bei den Ueberweisungssteuern Deckung findet. Der zu Lasten des außerordent⸗ lichen Etats für 1899 vorgesehene Betrag belief sich einschließlich zweier späterer Nachtrags⸗Etats zusammen auf rund 30 ½ Millionen. Diese 30 ½ Millionen kommen also vorweg in Abzug von den Mehr⸗ erträgen, sodaß, vorausgesetzt, daß sich nicht erneut Rückgänge in den Zöllen zeigen, an die Bundesstaaten immer noch 7 Millionen von dem Mehrertrag abfließen würden.

Nun wird Ihnen bekannt sein, meine Herren, daß außerhalb dieses hohen Hanses in einer parlamentarischen Körperschaft des Deutschen Reichs der Zustand der Reichsfinanzen in einem minder günstigen Licht geschildert worden ist, und ich habe Ihnen zu erklären, wie dies zusammenhängt und wie sich der anscheinende Widerspruch löst, der zwischen jener Aeußerung und meinen heutigen Mittheilungen besteht. Diejenige Mittheilung, welche vor etwa 6 Wochen durch die deutsche Presse ging und welche den finanziellen Zustand des Reichs in einem minder günstigen Licht erscheinen ließ, beruhte auf einer Schätzung, die auf Grund der Augustergebnisse, also der ersten 5 Monate des Jahres, aufgebaut war, während meine heutige Schätzung die besseren Ergebnisse der Monate September und Oktober mit berücksichtigt. Ich muß Ihnen zur Erläuterung hiervon einige Ziffern aus den Zoll⸗ erträgen der einzelnen Monate nennen, möchte aber noch voraus⸗ schicken, daß der Vorgriff von 30 ½ Millionen, welcher durch das Schuldentilgungsgesetz vom Frühjahr 1897 gemacht worden ist, selbst⸗ verständlich die wirthschaftlichen Ergebnisse des laufenden Jahres nicht alterieren kann; er kann die finanziellen Ergebnisse herunterdrücken, die wirthschaftliche Lage wird durch ihn aber nicht berührt. Wir hatten an Zolleinnahmen bis zum April 1899 stets ein Mehr gegenüber dem Vorjahre, einzelne Monate mit kleinen Schwankungen vielleicht außer Acht gelassen. Da trat im Mai zum ersten Mal ein Minus von rund drei Millionen ein gegen das Vorjahr. Dieses Minus zeigte sich im Juni mit zwei Millionen, hob sich aber im Juli bereits auf fünf Millionen und fiel im August wieder auf zwei Millionen, sodaß vier Monate hintereinander in den Zolleinnahmen ungünstige Ergebnisse lieferten. Die Ursache davon war, wie Ihnen bekannt, die Aussicht auf eine bessere Ernte und schließlich die bessere Ernte selber. Bereits im September ist dieses Minus aber verschwunden, und es hat sich im Gegentheil in ein Plus von ½ Million verwandelt. Der Oktober brachte wieder einen kleinen Rückschlag, nämlich ein Minus von 1 Million. Ich kann Ihnen aber leicht nachweisen, daß diese minder günstigen Ergebnisse lediglich auf der verminderten Getreideeinfuhr beruhen. Denn wenn man die Getreidezölle bei Seite setzt, haben die sieben Monate von April bis Oktober des laufenden Jahres eine sehr günstige Mehreinnahme bei den Zöllen geliefert, nämlich eine solche von rund 9 Millionen. Wir können also mit Vertrauen in das kommende Jahr blicken.

Ich gehe jetzt zum Etat über, der Ihnen seit einigen Tagen vor⸗ liegt, dem Etat auf das Rechnungsjahr 1900, und möchte zunächst einige allgemeine Bemerkungen vorausschicken. Das Etatsgesetz sowohl wie das Anleihegesetz sind nach den bewährten Mustern gearbeitet, die seit langen Jahren bei diesen Gesetzen üblich gewesen sind. Nun liegt Ihnen aber bereits seit dem vorigen Winter die Reichsschuldenordnung vor, und es ist begründete Aussicht vorhanden, daß diese Reichsschuldenordaung dem⸗ nächst zur Berathung gelangt und voraussichtlich vor der Be⸗ schlußfassung über den Etat zum Gesetz wird. Selbstverständlich wird der Text zum Etatgesetz und zum Anleihegesetz dann diejenigen Aen⸗ derungen zu erfahren haben, welche aus dem Wortlaut der Reichs⸗ schuldenordnung, wie sie eben Gesetz werden wird, hervorgehen.

Außerdem unterscheidet sich der vorliegende Etat von seinen Vorgängern dadurch, daß im Haupt⸗Etat auch die Reichspost nebst der Reichzbruckerei und die Reichs⸗Eisenbahnen mit einem Brutto⸗ Etat eingestellt sind. Es entspricht dies den Wünschen, welche seiner Zeit aus diesem hohen Hause geäußert worden waren, und läßt die Bilanzsumme des Etats anscheinend über 400 Millionen höher erscheinen. In Wirklichkeit ist dieser Unterschied nicht vorhanden, indem nun statt der Nettoergebnisse die Brutto⸗ ergebnisse der Post und Eisenbahn in Einnahme und Ausgabe im Haupt⸗Etat aufgeführt sind. Um jedoch den Vergleich zwischen den Etats zu erleichtern, ist der Denkschrift zum Etat ein vollständiger Netto⸗Etat zur Erläuterung beigegeben worden.

Ferner finden Sie eine formelle Abweichung gegen die früheren Etats im Wegfall der Spalte, welche die künftig fortfallenden laufenden Ausgaben besonders kennzeichnet. Diese Spalte war eigentlich seit langer Zeit überflüssig. In den wenigsten Fällen inter⸗

essierte es das hohe Haus, in welchen Fällen es handelt sich meist um untergeordnete Posten die fortlaufenden Ausgaben einmal

ollten, und d 1 Gegentheil ist dadurch, daß in den Bemerkungen zu den einzelnen Positionen das Anfangsjahr einer jeden solchen Bewilligung kenntlich

gemacht ist, die Uebersicht erleichtert worden.

An eigentlichen Neuerungen im Etat finden Sie herzlich wenig. Es haben nur verschiedene Dinge ihren Ausdruck gefunden, die in⸗ zwischen anderswo gesetzlich festgelegt waren und die deshalb zu Be⸗ denken und Bemängelungen kaum Anlaß geben werden.

Die neue Militär⸗Strafgerichtsordnung tritt mit dem 1. Oktober des nöchsten Jahres in Geltung, es mußte also für die letzten sechs Monate des Rechnungsjahres Vorsorge getroffen werden. In der Anlage Va finden Sie das Reichs⸗Militärgericht, während die übrigen Neuschaffungen auf diesem Gebiete, die unteren Instanzen, in die Etats des Heeres und der Marine eingearbeitet sind.

Dann kommt eine wirthschaftlich sehr wichtige Vergrößerung des Etats, wenn auch die Summe, welche angefordert wird, herzlich gering ist. Das ist der Postcheckverkehr. Sie finden in der Anlage XIVa die für das kommende Jahr hierfür vorgesehenen Ausgaben zusammen⸗ gestellt. Eine Denkschrift über das Wesen dieses Verkehrs, welche hier zur Berathung kommen wird, wird dem hohen Hause Gelegenheit geben, diese wichtige Neuerung gründlich zu erörtern. Ich zweifle nicht, daß sie auf allen Seiten mit Beifall begrüßt werden wird.

Beim Reichs⸗Invalidenfonds finden Sie einen erhöhten Ansatz auf Grund des noch in diesem Jahre beschlossenen Gesetzes, welches die Anzahl der aus dem Invalidenfonds zu bedenkenden früheren Kriegstheilnehmer vergrößerte. Die Summe, um welche die Be⸗ willigungen aus dem Invalidenfonds sich im Ganzen erhöhen, beträgt unter Berücksichtigung der Heimfälle an Invalidenpensionen im Ganzen mehr als 2 Millionen Mark. Auch hierfür glaube ich auf allgemeine Zustimmung des hohen Hauses rechnen zu können.

Wenn ich zu den Schutzgebieten übergehe, so möchte ich darauf aufmerksam machen, daß eine durchgreifende Neuregelung statffinden soll bei den Gehältern der Kolonialbeamten, und zwar im Anschluß an das im Reich bestehende Altersstufensystem. Die Denkschrift, welche dem Etat für die Schutzgebiete beigegeben ist, giebt Ihnen ein Bild dieser Regelung, und wir hoffen, daß die Verhältnisse dieser unter sehr schwierigen Umständen in stellenweise schlimmen Klimaten und unter großer körperlicher Anstrengung ihren Dienst versehenden Beamten dadurch eine erfreuliche Besserung erfahren werden.

Außerdem finden Sie bei den Schutzgebieten zum ersten Mal einen spezialisierten Etat für Kiautschou. Die junge Kolonie ent⸗ wickelt sich schneller als irgend eins der anderen Schutzgebiete, und wir haben tretz der kurzen Zeit, daß dieser Theil von China in unserem Besitz ist, dort bereits sehr erfreuliche Ergebnisse im Auf⸗ schwung des Handels zu verzeichnen.

Bei Ost⸗Afrika finden Sie eine Entwurfsrate von 120 000 für das erste Theilstück dir ostafrikanischen Zentralbahn. Die Vor⸗ arbeiten für diese Bahn sind seit mehreren Jahren im Gange, sie haben jedoch noch nicht so weit abgeschlossen werden können, das Ihnen bereits für das kommende Rechnungsjahr 1900 eine Baurate hätte vorgelegt werden können; denn niemand ist der Anforderung einer Baurate ohne gleichzeitige Vorlegung der Kostenanschläge und Pläne so abgeneigt, wie dieses hobe Haus. Gleichwohl kann ich allen denjenigen, welche sich für die Entwickelung von Ost⸗Afrika interessieren, die Versicherung geben, daß es die Absicht der verbündeten Regierungen ist, den Bau kräftig zu fördern und, wenn möglich, noch im Rechnungsjahre 1900 mit dem Bau selber und zunächst mit der Vergebung und der viele Zeit beanspruchenden Beschaffung des zum Bau nöthigen Materials zu beginnen. Es läßt sich erwarten, daß noch vor Feststellung des Ihnen jetzt vorgelegten Etats die Pläne und Kostenanschläge so weit gefördert sein werden, daß eine Anforderung auf Grund derselben möglich wird, und für diesen Fall kann ich namens der verbündeten Regierungen die Zusage geben, daß noch in diesem Winter eine Er⸗ gänzungsforderung für den Bau von Dar⸗es⸗Salam bis Mrogoro eingebracht werden wird.

Sonstige Einzelheiten aus dem Etat hätte ich Ihnen, wenn ich mich nicht in Kleinigkeiten verlieren will, nicht zu nennen. Dagegen finden Sie eine, wenigstens von den Gepflogenheiten der letzten Jahre abweichende Neuerung darin, daß als Begleiter des Etats nicht ein Schuldentilgungsgesetz erscheint, sondern ein Betriebsmittelgesetz. Dieses Gesetz will die möglichen Ueberschüsse aus den Ueberweisungs⸗ steuern zur Verstärkung der Betriebsmittel der Reichskasse zurückhalten; eine Aufhebung der Schuldentilgung für längere Zeit als dieses eine Jahr liegt indessen nicht in der Absicht der verbündeten Regierungen; es soll ein Ausnahmefall sein, um die schreiendsten Schäden im Kassenwesen des Reichs heilen zu helfen. Die Begründung des Ihnen vorgelegten Gesetzes enthält lange Reihen von Ziffern; ich muß es mir versagen, heute auf diese einzugehen, sondern will nur die zwei wichtigsten herausgreifen. Vor zehn Jahren, im Etatsjahre 1889/90, betrugen die Matrikularbeiträge 215 Millionen, im vorliegenden Etat sind sie mit 526 Millionen eingesetzt, sie haben sich also in 10 Jahren auf mehr als das Doppelte, fast auf das 2 ½ fache erhöht. Nun ist ja den Mitgliedern dieses hohen Hauses bekannt, daß seit Beobachtung der sogenannten Spannungstheorie in der Rechnung zwischen Reich und Bundesstaaten die Bundesstaaten in Wirklichkeit im Laufe längerer Zeitabschnitte nicht mehr zahlen, als sie bekommen. Das ist richtig; die Rechnung geht schließlich glatt auf, nicht aber die Zahlung; denn die Bundesstaaten müssen, wenn die Reichskasse nicht überhaupt kalt gestellt werden soll, einen Theil ihrer Matrikularbeiträge im voraus zahlen und bekommen erst nach einer Reihe von Monaten das entsprechende Aequivalent in Ueberweisungen zurück. Es herrscht also eine stete Pendelbewegung zwischen den Kassen der Bundesstaaten und der Reichskasse, und diese Pendel⸗ bewegung ist für beide mehr als unbequem. Wenn ich einen Vergleich aus der Handelswelt nehme: wenn zwei Kaufleute, deren Forderungen und Gegenforderungen sich im Laufe längerer Jahre immer aus⸗ gleichen, sich trotzdem allmonatlich und stellenweise noch bäufiger Zahlungen und Gegenzahlungen zu leisten haben, so werden Sie mir zustimmen, daß der Zwang für den einen Kaufmann, fortwährend eine hohe Kasse zu halten, um an den anderen Zahlungen zu leisten, die er bald, nach Wochen, spätestens nach einigen Monaten, wieder zurück erhält, in hohem Grade unbequem und unwirthschaftlich ist. Die Kaufleute würden schließlich auf ein Mittel sinnen, diese Pendelzahlungen durch ein System dauernder Ausgleichung zu ersetzen, und das ist es, was die verbündeten Regierungen mit dem jetzt vorgelegten Entwurf be⸗

Gvalte ist daher kein Velust; in

Reichskasse noch nicht die genügenden Mittel liefern, um die Zahlung

weisungesteuern zu ersetzen. Ein weiteres Mittel zu diesem Zweck werden Sie finden in einer Reihe von Vorlagen, die dem

Hause gegenwärtig noch nicht zugegangen sind, u

sich auf das Gebiet der Unfallversicherung beziehen.

schüsse, welche die Postverwaltungen Deutschlands an die Versicherungs⸗ anstalten zu leisten haben, gehen stellenweis bis zu einer Höhe, die der Oeffentlichkeit kaum bekannt ist und vielleicht auch nicht allen Mit⸗

gliedern dieses hohen Hauses gegenwärtig sein dürfte; sie haben zu Zeiten die Ziffer von 85 Millionen erreicht, und diese Vorschüsse

theilweis abzubürden, liegt in der Absicht jenes anderen Gesetzes oder

vielmehr jener anderen Gesetze weil die verschiedenen Unfall⸗ versicherungen durch einzelne Gesetze getroffen werden sollen —, die ich soeben erwähnte.

Der Entwurf des Betriebsmittelgesetzes, welches an Stelle des früheren Schuldentilgungsgesetzes tritt, und die Entwürfe dieser ver⸗ schiedenen Abänderungsgesetze auf dem Gebiet der Unfallversicherung, meine Herren, sind also Ihrer ernsten Berücksichtigung werth, wenn Sie wünschen, daß das Kassenwesen des Reichs künftig auf sicherere und bessertragende Füße gestellt werde, als es heute noch der Fall ist. Ich darf, meine Herren, Ihnen eine wohlwollende Berücksichtigung dieses Gesetzes sowohl, wie des Etats⸗ und Anleihegesetzes bestens empfehlen. 6

Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst:

Ebe Sie, meine Herren, in die Berathung des Reichshaushalts⸗ Etats für das kommende Rechnungsjahr eintreten, glaube ich Sie über die Absichten der verbündeten Regierungen in einer Frage unter⸗ richten zu sollen, die in den letzten Wochen den Gegenstand lebhafter Erörterungen in der Presse gebildet hat und die ohne Zweifel auch bei der Berathung des Etats in den Vordergrund treten wird.

Wenn auch der vorliegende Etatsentwurf den Bestimmungen des Flottengesetzes vom 10. April 1898 entsprechend aufgestellt ist, so darf ich doch nicht verhehlen, daß die verbündeten Regierungen zu der Ueberzeugung gelangt sind, daß der damals festgesetzte Sollbestand der Flotte einer Vermehrung bedarf. (Hört! hört! bei den Sozia demokraten.) Die seit Annahme jenes Gesetzes eingettetenen Ver⸗ änderungen aller für die deutschen Seeinteressen in Betracht kommenden politischen Verhältnisse, denen Deutschland bei der Entwicklung seiner Seemacht Rechnung tragen muß, stellen uns vor die ernste Frage, ob wir allen Eventualitäten gegenüber ausreichend gerüstet sind. Die verbündeten Regierungen können diese Frage nicht bejahen. Ich habe daher im Namen der verbündeten Regierungen dem hohen Hause nachfolgende Erklärung abzugeben: 1

Bei der großen Bedeutung, welche die Flottenfrage besitzt, halten sich die verbündeten Regierungen für verpflichtet, dem Reichstage mit⸗ zutheilen, daß sich eine Novelle zum Flottengesetz in Vor⸗ bereitung befindet, die auf eine wesentliche Erhöhung des Sollbestandes der Flotte abzielt. (Hört! hört! links.)

Dabei ist, vorbehaltlich der Beschlußfassung des Bundesraths über die Vorlage, in Aussicht genommen eine Verdoppelung der Schlachtflotte und der großen Auslandsschiffe bei gleichzeitiger Streichung des ganzen Küstengeschwaders.

Eine Beschaffungsfrist für die Vermehrung des Soll⸗ bestandes soll gesetzlich nicht festgelegt werden, vielmehr wird die Zahl der jährlich in den Etat einzustellenden Schiffsbauten der etats⸗

gehen dabei von der Annahme aus, daß den bei der Finanzierung des Etats im allgemeinen festgehaltenen Grundsätzen entsprechend die zur Erreichung des erhöhten Sollbestandes bestimmten Schiffe aus Anleihe⸗

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staats⸗Minister Graf von Bülow: Meine Herren! Die Nothwendigkeit der von den verbündeten Regierungen in Aussicht genommenen Ergänzung und Erweiterung

der Regierung nicht gerade eine leichte. werden wir ermahnt, und bisweilen in einigermaßen stürmischer Weise ermahnt, unsere überseeischen Interessen eifriger zunehmen; auf der anderen Seite heißt es,

wollten. Ich werde mich bemühen, nachzuweisen, daß wir weder in das eine noch in das andere Extrem verfallen sind, noch zu verfallen gedenken, sondern die ruhige Mittellinie einhalten, welche gleich weit entfernt ist von Vernachlässigung wie von Ueberspannung unserer

Ueber einen Punkt kann freilich ein Zweifel nicht obwalten, nämlich daß die Dinge in der Welt auf eine Weise in Fluß gerathen sind, die noch vor zwei Jahren niemand voraussehen konnte. (Be⸗ wegung.) Man hat gesagt, meine Herren, daß in jedem Jahr⸗ hundert eine Auseinandersetzung, eine große Liquidation statt⸗ finde, um Einfluß, Macht und Besitz auf der Erde neu zu vertheilen: im sechzehnten Jahrhundert theilten sich die Spanier und Portugiesen in die neue Welt, im siebzehnten Jahrhundert traten die Holländer, die Franzosen und die Engländer in die Konkurrenz ein, während wir uns untereinander die Köpfe ein⸗ schlugen (Heiterkeit), im achtzehnten Jahrhundert verloren die Holländer und die Franzosen das Meiste, was sie gewonnen hatten, wieder an die Engländer. In unserem neunzehnten Jahrhundert hat England sein Kolonialreich, das größte Reich, das die Welt seit den Tagen der Römer gesehen hat, weiter und immer weiter ausgedehnt, haben die Franzosen in Nord⸗Afrika und Ost⸗Afrika festen Fuß gefaßt und sich in Hinterindien ein neues Reich geschaffen, hat Rußland in Asien seinen gewaltigen Siegeslauf begonnen, der es bis zum Hoch⸗ plateau des Pamir und an die Küsten des Stillen Ozeans geführt hat. Vor vier Jahren hat der chinesisch⸗japanische Krieg, vor kaum anderthalb Jahren der spanisch⸗amerikanische Krieg die Dinge weiter ins Rollen gebracht, große, tiefeinschneidende, weitreichende Ent⸗ scheidungen herbeigeführt, alte Reiche erschüttert, neue und ernste Fermente der Gährung in die Entwickelung getragen. Niemand kann übersehen, welche Konsequenzen der Krieg haben wird, der seit einigen Wochen Süd⸗Afrika in Flammen setzt. (Hört! hört!)

Der englische Premier⸗Minister hatte schon vor längerer Zeit gesagt, daß die starken Staaten immer stärker und die schwachen

künftig genau es ja niemand zum fall kommen

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imm

er schwächer werden würden

5

„Wir können nicht dulden und wollen nicht dulden, daß man zur

mäßigen Feststellung überlassen bleiben. Die verbündeten Regierungen

mitteln bezahlt werden.

des Flottengesetzes von 1898 geht hervor aus der gegenwärtigen Welt⸗

lage und aus den Bedürfnissen unserer überseeischen Politik. In Beziehung auf unsere überseeische Politik ist die Stellung

Von der einen Seite

daß wir schon zu weit engagiert hätten und abenteuerliche Bahnen einschlagen

überseeischen Interessen.

peditiert

bew Richtigkeit . Stehen wir wieder vor einer neuen Theilung der Erde, wie sie vor gerade hundert Jahren dem Dichter vorschwebte? Ich glaube das nicht, ich möchte es namentlich noch nicht glauben. Aber jedenfalls können wir nicht dulden, daß irgend eine fremde Macht, daß irgend ein fremder Jupiter zu uns sagt: Was thun? die Welt ist weggegeben. Wir wollen keiner fremden Macht zu nabe treten, wir wollen uns aber auch von keiner fremden Macht auf die Füße treten lassen (Bravo!), und wir wollen uns von keiner fremden Macht bei Seite schieben lassen, weder in politischer, noch in wirth⸗ schaftlicher Beziehung. (Lebhafter Beifall.) Es ist Zeit, es ist hohe Zeit, daß wir gegenüber der seit zwei Jahren wesentlich veränderten Weltlage, im Hiablick auf die inzwischen erheblich modi⸗ fizierten Zukunftsaussichten uns klar werden über die Haltung, welche wir einzunehmen haben gegenüber den Vorgängen, die sich um uns herum abspielen und vorbereiten, und welche die Keime in sich tragen für die künftige Gestaltung der Machtverhältnisse für vielleicht unabsehbare Z it. Unthätig bei Seite stehen, wie wir das früher oft gethan haben, entweder aus angeborener Bescheidenheit (Heiter⸗ keit), oder weil wir ganz absorbiert waren durch unsere inneren Zwistigkeiten, oder aus Doktrinarismus träumend bei Seite stehen, während andere Leute sich in den Kuchen theilen, das können wir nicht und wollen wir nicht. (Beifall.) Wir können das nicht aus dem einfachen Grunde, weil wir jetzt Interessen haben in allen Welttheilen, wie dies schon während der zweiten Lesung der Flottenvorlage von dem Herrn Abg. Freiherrn von Hertling, von dem verehrten Herrn Abg. Dr. Lieber hervorgehoben worden ist und von Herrn von Bennigsen, den wir leider nicht mehr an seinem Platze sehen. Die

rapide Zunahme unserer Bevölkerung, der beispiellose Aufschwung

unserer Industrie, die Tüchtiskeit unserer Kaufleute, kurz, die gewaltige Vitalität des deutschen Volkes haben uns in die Weltwirthschaft ver⸗ flochten und in die Weltpolitik hineingezogen. Wenn die Engländer von einer Greater Britain reden, wenn die Franzosen sprechen von einer Nouvelle France, wenn die Russen sich Asien erschließen, haben auch wir Anspruch auf ein größeres Deutschland (Bravo! rechts, Heiterkeit links) nicht im Sinne der Eroberung, wohl aber im Sinne der friedlichen Ausdehnung unseres Handels und seiner Stützpunkte. Ihre Heiterkeit, meine Herren, macht mich nicht einen Augenblick irre.

Tagesordnung übergeht über das deutsche Volk. (Lebhafter Beifall rechts. Zurufe links. Glocke des Paäsidenten.) Ich freue mich sagen zu können, daß das bisher im Großen und Ganzen von allen Seiten anerkannt wird.

Mit Frankreich haben wir uns in den bisher vereinzelten Fällen, wo es zu kolonialen Abmachungen kam, immer leicht und immer willig verstäadigt. Bei Rußland haben wir auch in dieser Beziehung ein freundschaftliches Entgegenkommen gefunden, welches wir voll und ganz erwidern. (Bravol rechts.) Die guten Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und uns hat erst vor wenigen Tagen der Prä⸗ sident der Vereinigten Staaten mit einer Wärme hervorgehoben, die uns mit aufrichtiger Genugthuung erfüllt. (Zuruf rechts.) Japan beabsichtigen wir ebenso wenig zu schädigen, wie wir annehmen können, daß dasselbe uns zu beeinträchtigen geneigt sein sollte. Und was England angeht, so sind wir gern bereit, auf der Basis voller Gegenseitigkeit und gegenseitiger Rücksichtnahme in Frieden und Eintracht mit ihm zu leben. Aber gerade weil unsere auswärtige Lage jetzt eine günstige ist, müssen wir dieselbe benutzen, um uns für die Zukunft zu sichern. Daß diese Zukunft eine friedliche sein möge, das wünsche ich, und das wünschen wir Alle. Ob diese Zukunft eine friedliche sein wird, das kann Ihnen niemand sagen. Es ist eine Eigenthümlichkeit unserer Zeit auf dem Gebiet der aus⸗ wärtigen Politik, daß jeden Tag neue Reibungsflächen entstehen können. (Zurufe links.)

In früheren Zeiten lebte die Diplomatie 25 Jahre oder 50 Jahre oder noch länger von einer einzigen Reibungsfläche, und vom Vater auf den Sohn studierte man an einer solchen Wunde herum und dachte nur an sie. Jetzt tauchen jeden Augenblick unvermuthet neue Fragen auf, die bisweilen ebenso schnell wieder ver⸗ schwinden, wie sie gekommen sind, bisweilen sich aber im Hand⸗ umdrehen in sehr bedenkliche und sehr akute Friktionen und Kompli⸗ kationen verwandeln. Wir müssen nicht nur zu Lande, sondern wir müssen auch zu Wasser gegen Ueberraschungen gesichert sein. Wir müssen uns eine Flotte schaffen, stark genug, um einen Angriff ich unterstreiche das Wort „Angriff“; bei der absoluten Friedlichkeit unserer Politik kann immer nur von Vertheidigung die Rede sein —; aber eine Flotte, stark genug, um den Angriff jeder Macht auszu⸗ schließen, müssen wir besitzen. Was wir jetzt versäumen, wenn wir jetzt drei Jahre mehr oder weniger vorübergehen lassen, ohne uns eine solche Flotte zu schaffen, werden wir nicht wieder einbringen können. Gewiß, meine Herren, gerade weil wir keine quantité négligeable in der Welt sind und uns auch nicht als solche behandeln lassen, vermeiden wir um so sorgsamer alles, was den guten Ruf schmälern könnte, den bei allem berechtigten Selbstbewußt⸗ sein uns die Friedlichkeit und die Redlichkeit, das Maßhalten und die Besonnenheit unserer auswärtigen Politik erworben haben. Die deutsche auswärtige Politik das sage ich nicht nur für dieses hohe Haus ist weder habgierig, noch unruhig, noch phantastisch. Wenn die deutsche auswärtige Politik die deutschen Interessen überall wahrt, und mit ruhigem Ernst wahrt, so ist dieselbe andererseits weit entfernt, die Rechte und Interessen Anderer verletzen zu wollen. Was uns in dieser Beziehung hier und da in der ausländischen Presse an phantastischen Plänen sup⸗ wird, beruht auf freier Erfindung. Wenn in der deutschen Presse hier und da Stimmen laut geworden sind, Stimmen, die eine andere Tonart anschlugen, so waren dieselben von keiner maßgebenden Stelle inspiriert und wurden an keiner maß⸗ gebenden Stelle gebilligt. (Hört! hört!) Ich möchte freilich en passant Solchen, die Artikel verfassen oder veranlassen, in denen wir bald hierher und bald dorthin geschoben werden, bald gegen A und bald gegen B, zu erwägen geben, daß dadurch leicht Mißtrauen gegen uns im Auslande erweckt wird. (Sehr richtig!)

Ich möchte ferner hervorheben, daß die Dinge in der Wirklichkeit nicht so einfach und so glatt liegen, wie sie einer lebhaften und üppigen Phantasie erscheinen; daß es nicht schwierig ist, in seinem Studier⸗ zimmer, die Weltkarte vor sich und die Zigarre im Munde, neue Kohlenstationen, Schutzgebiete und Kolonien zu erwerben (sehr gut!

Kiautschou, die Karolinen, Marianen Samoa für Deutsch⸗ land zu erwerben, nicht so ganz einfach war, mit einem Wort, daß die Gedanken leicht bei einander wohnen, die Sachen im Raume aber verdammt hart an einander stoßen. Und vor allem will ich auch heute betonen, daß, wie hoch auch die Ziele liegen, welche unser Patriotismus und unser Vertrauen in den aufgehenden Stern des deutschen Volkes uns stecken und in dieser Beziehung, was Vaterlandsliebe angeht und Vertrauen in die nationale Kraft, läßt sich die Leitung der deutschen auswärtigen Politik von niemand übertreffen, in dieser Beziehung seien Sie ohne Sorge wir doch mit den jetzt vorhandenen und verfügbaren Machtmitteln rechnen. Wie alle Staaten mit maritimen Interessen sind wir schon durch die Nothwendigkeit der Kohlenbeschaffung diese Noth⸗ wendigkeit hat sich gerade während des spanisch⸗amerikanischen Krieges in evidentester Weise herausgestellt, in dieser wie in vielen anderen Fragen hat der spanisch⸗amerikanische Krieg wirklich Fraktur ge⸗ redet —, schon durch die Nothwendigkeit der Kohlenbeschaffung sind wir angewiesen auf die Erwerbung maritimer Stützpunkte. Aber schon aus prinzipiellen Gründen denken wir nicht daran, diesen Be⸗ strebungen einen Umfang zu geben, der uns durch die Mißgunst ge⸗ wisser ausländischer Blätter angedichtet wird, während andererseits der Stand unserer Machtmittel zur See uns nur zu enge Schranken zieht und uns nur zu sehr zwingt, uns nach der Decke zu strecken. Der Kreis und der Umfang unserer überseeischen Interessen da liegt der Kernpunkt der Frage hat sich sehr, sehr viel rascher und sehr, sehr viel intensiver entwickelt als die materiellen Machtmittel, um diese Interessen so zu schützen und zu fördern, wie dies nothwendig ist. Wenn jemals der Gang der Welt⸗ geschichte auf ein Vorgehen rasch, ich möchte sagen, die historische Quittung ertheilt hat, so war dies der Fall, als unmittelbar nach Annahme der Flottenvorlage erst der spanisch⸗amerikanische Krieg, dann die Wirren auf Samoa und dann der Krieg in Süd⸗Afrika unsere überseeischen Interessen an so verschiedenen Punkten in ernste Mitleidenschaft zogen, und das Schicksal uns das ad oculos demonstrierte. Sie werden verstehen, meine Herren, daß ich manches in meiner amtlichen und verantwortlichen Stellung hier nicht sagen kann, daß ich nicht auf jedes i den Punkt setzen kann. Sie werden mich aber doch alle verstehen, wenn ich sage, daß das Schicksal uns an mehr als einem Punkte des Erdballs gezeigt hat, wie dringend und brennend die vor zwei Jahren erfolgte Verstärkung unserer Flotte, wie weise und patriotisch es von diesem hohen Hause war, der Regierungsvorlage seiner Zeit zuzustimmen, und wie unerläßlich durch die inzwischen eingetretenen Ereignisse der ins Auge gefaßte Ausbau des Flottengesetzes vom Jahre 1898 geworden ist.

Meine Herren, eine Politik, die sich von diesem Boden entfernen würde, von diesem soeben von mir gekennzeichneten Boden, dem Boden der Wirklichkeit, wäre keine Realpolitik mehr, und nur eine gesunde Realpolitik koͤnnen und werden und dürfen wir treiben. Wir ver⸗ gessen darum auch bei allem Eifer für die Entwickelung unserer über⸗ seeischen Interessen nicht, daß unser Zentrum in Europa ist, und wir vernachlässigen nicht die Pflicht, für die Sicherheit unserer europäischen Stellung zu sorgen, die beruht auf dem Dreibund, dem unerschütterten Dreibund, und unsern guten Beziehungen zu Rußland. (Bravol rechts.) Die beste Gewähr dafür, daß unsere überseeische Politik immer eine maßvolle und besonnene bleiben wird, liegt in der stets für uns vor⸗ handenen Nothwendigkeit, unsere Kräfte in Europa bereit und ge⸗ sammelt zu halten. Schon weil wir diese Kräfte nicht zersplittern dürfen, werden wir immer nur einen in militärischer und finanzieller Hinsicht sorgsam, gewissenhaft, gründlich und reiflich erwogenen und abgemessenen Theil derselben für überseeische Zwecke bestimmen. Meine Herren, warum verstärken denn alle anderen Staaten ihre Flotte? Doch sicherlich nicht bloß aus Vergnügen am Geldausgeben. (Heiterkeit links.) Italien ist trotz finanzieller Schwierigkeiten immer und immer wieder zu allen Opfern für die Flotte bereit. In Frank⸗ reich kann die Regierung der Volksvertretung kaum genug thun in Ausgaben für Flottenzwecke. Rußland hat das Tempo seiner Flotten⸗ verstärkung verdoppelt. Amerika und Japan machen in dieser Be⸗ ziehung gewaltige Anstrengungen, und England, welches die mächtigste Flotte der Welt besitzt, ist unausgesetzt bemüht, dieselbe zu ver⸗ größern. Ohne eine wesentliche Erhöhung des Sollbestandes unserer Flotte können wir neben Frankreich und England, neben Rußland und Amerika unsere Stellung in der Welt nicht behaupten, und wir haben eine Stellung in der Welt zu behaupten. So wenig wir ohne eine angemessene Landmacht unsere europäische Position wahren können, so wenig können wir ohne eine erhebliche und beschleunigtere Verstärkung unserer Seemacht unsere umfangreichen und immer umfangreicher werdenden überseeischen Interessen und unsere Weltstellung behaupten. Ueber die technische Durchführbarkeit dieser Verstärkung und über manche andere Punkte wird sich mein verehrter Freund, der Herr Staats⸗ sekretär des Reichs⸗Marineamts, auszusprechen haben, über unsere finanzielle Leistungsfähigkeit der Herr Staatssekretär des Reichs⸗ Schatzamts. Vom politischen Standpunkt aus kann im Hinblick auf die gegenwärtige Weltlage und mit Rücksicht auf unsere Lage in der Welt über die Nothwendigkeit der in Rede stehenden Ver⸗ stärkung nicht der mindeste Zweifel obwalten. Ich erfülle lediglich eine Pflicht meines Amts, wenn ich dies in aller Ruhe und ohne jede polemische Schärfe, aber mit voller Ueberzeugung ausspreche. Wenn wir uns nicht eine Flotte schaffen, welche genügt, um unsere überseeischen Unternehmungen, unseren Handel, unsere Landsleute in der Ferne ich erinnere nur an die Vorgänge, die sich jitzt in Venezuela abspielen, wo wichtige deutsche Interessen auf dem Spiele stehen, wo diese sehr erheblichen deutschen Interessen in hohem Grade gefährdet erscheinen, und wohin wir kaum zwei oder drei alte Schulschiffe senden können ich sage, wenn wir uns nicht eine Flotte schaffen, die ausreicht, unseren Handel, unsere Landsleute in der Fremde, unsere Missionen (aha! links) und die Sicherheit unserer Küsten zu schützen, so gefährden wir die vitalsten Interessen des Landes. Um aber diesen unseren Entschluß, diesen unseren festen, unwiderruflichen Entschluß, uns eine solche für Vertheidigungszwecke ausreichende Flotte zu verschaffen, nach außen, vor der Welt und dem Auslande zu dokumentieren, ist nach Ansicht der verbündeten Regierungen die gesetzliche Festlegung des Sollbestandes der Flotte unerläßlich. Meine Herren, die letzten Jahrzehnte haben viel Glück und Macht und Wohlstand über Deutsch⸗ land gebracht. Glück und steigender Wohlstand des Einen pflegen bei dem Anderen nicht immer reine Befriedigung hervorzurufen, das kann

Heiterkeit), daß das aber in der Praxis verwickelter i

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Leben der Völker eine große Rolle. Es ist viel Neid gegen uns in der Welt vorhanden (Zuruf links), politischer Neid und wirthschaftlicher Neid. Es giebt Individuen und es giebt Interessentengruppen und es giebt Strömungen und es giebt vielleicht auch Völker, die finden, daß der Deutsche bequemer war und daß der Deutsche für seine Nachbarn angenehmer war in jenen früheren Tagen, wo trotz unserer Bildung und trotz unserer Kultur die Fremden in politischer und wirthschaft⸗ licher Hinsicht auf uns herabsahen wie hochnäsige Kapaliere auf den bescheidenen Hauslehrer. (Sehr richtig! Heiterkeit.) Diese Zeiten politischer Ohnmacht und wirthschaftlicher politischer Demuth sollen nicht wiederkehren. (Lebhaftes Bravyo.) Wir wollen nicht wieder, um mit Friedrich List zu sprechen, die Knechte der Menschheit werden. Wir werden uns aber nur dann auf der Höhe erhalten, wenn wir eeinsehen, daß es für uns ohne Macht, ohne ein starkes Heer und eine starke Flotte keine Wohlfahrt giebt. (Sehr richtig! rechts. Wider⸗ spruch links.) Das Mittel, meine Herren, in dieser Welt den Kampf ums Dasein durchzufechten, ohne starke Rüstung zu Lande und zu Wasser, ist für ein Volk von bald 60 Millionen, das die Mitte von Europa bewohnt und gleichzeitig seine wirthschaftlichen Fühlhörner ausstreckt nach allen Seiten, noch nicht gefunden worden. (Sehr wahr! rechts.)

In dem kommenden Jahrhundert wird das deutsche Volk Hammer oder Ambos sein.

Vom Standpunkt meines Ressorts, vom Standpunkt der aus⸗ wärtigen Politik, im Namen der höchsten Interessen des Landes bitte ich Sie: bringen Sie der Flottennovelle Wohlwollen entgegen.

Meine Herren, ich will mich zusammenfassen: unsere Politik⸗ unsere überseeische Politik, unsere auswärtige Politik, unsere Gesammt⸗ politik ist eine friedliche, eine aufrichtige, eine selbständige. Wir gehen bei niemand zu Lehen, wir treiben lediglich deutsche Politik. Ob und wann, wie und wo wir genöthigt sein können, zur Wahrung unserer Weltstellung und zur Vertretung unserer Weltinteressen aus unserer bisherigen Reserve hervorzutreten, das, meine Herrren, hängt vom Gang der Ereignisse ab, vom allgemeinen Gang der Ereignisse, den keine einzelne Macht vorzeichnen kann; das hängt ab von Umständen, die niemand im voraus bis ins einzelne zu berechnen vermag. Wir geben uns aber der Hoff⸗ nung hin, und damit will ich schließen, daß, wenn wir bestrebt sind, in einer gährenden Zeit und unter schwierigen, unter oft sehr schwierigen Verhältnissen den Frieden, die Ehre, die Wohlfahrt des Reiches zu wahren, diese unsere Politik und diese unsere Bemühungen getragen sein werden von der Unterstützung dieses hohen Hauses und von der Zustimmung der Nation. (Lebhaftes Bravo.)

Sttaatssekretär des Reichs⸗Marineamts, Staats⸗Minister, Vize⸗Admiral Tirpitz:

Meine Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Reiche⸗ kanzlers und des Herrn Staatssekretärs des Auswärtigen Amts zur Begründung der Nothwendigkeit einer weiteren Flottenverstärkung glaube ich als Staatssekretär des Reichs⸗Marineamts dem hohen Hause eine Aufklärung schuldig zu sein über meine Erklärung im Januar d. J. in der Budgetkommission, daß auf allen Seiten die Absicht bestehe, das Sexennat durchzuführen und die Limitierung inne zu halten.

Meine Herren, als es sich vor 2 ½ Jahren, im Frühjahr 1897, darum handelte, die Gesichtspunkte für die Aufstellung des Flotten⸗ gesetzes zu normieren, ist von mir eine Denkschrift verfaßt worden. Ich glaube, daß es zur Aufklärung über die ganze Flottenfrage bei⸗ tragen wird, wenn ich den wesentlichen Inhalt dieser Denkschrift hier kurz wiedergebe. Die Denkschrift basierte auf rein militärischen Ge⸗ sichtspunkten und führte Folgendes aus:

Zur Bestimmung des Umfangs und der Zusammensetzung der deutschen Marine müsse die schwierigste Kriegslage zu Grunde gelegt werden; denn diejenige Zusammensetzung, welche für die schwierigste Kriegslage ausreichte, würde auch für alle übrigen Fälle ausreichen müssen. Die Zusammensetzung unserer Flotte jedem denkbaren Einzelfalle anpassen zu wollen, würde die Beschränktheit unserer Mittel nicht zulassen.

Die schwierigste Kriegslage tritt für die Marine ein, wenn wir dem größten unter den möglichen Gegnern zur See gegenüber⸗ stehen. Kreuzerkrieg oder transozeanischer Krieg gegen einen solchen Gegner ist mit Rücksicht auf den gänzlichen Mangel an Stütz⸗ punkten unsererseiis und den Ueberfluß an solchen auf der anderen Seite so aussichtslos, daß wir planmäßig auf diese Kriegsart hin nicht organisieren können; wir müssen vielmehr unsere Marine so einrichten, daß ihre höchste Kriegsleistung in einem Vertheidigungskrieg in der Nordsee, in der Seeschlacht daselbst liegt. Nach der Entwickelungskraft unserer Marine, die begrenzt ist durch die Leistungsfähigkeit unserer Schiffbau⸗, Panzer⸗ und Waffenindustrie, ferner durch den Umfang unserer Werften und die Zahl unserer Docks, sowie durch die Möglichkeit, das Offizier⸗ und Chargen⸗ personal zu beschaffen, und endlich in Uebereinstimmung mit unserer seit Jahren erprobten Organisation würden wir im Lauf der nächsten 10 Jahre nicht mehr als etwa zwei Geschwader von Linienschiffen aufzustellen im stande sein. Mit dem Küstenpanzergeschwader der Siegfried⸗Klasse müßten wir als mit einer vorhandenen Größe vor⸗ läufig rechnen.

Für den planmäßigen Auslandsdienst wären so viele Schiffe vorzusehen, als erforderlich sind, erstens um unsere Interssen im Frieden überall kraftvoll vertreten zu können, und zweitens, um gegen halbentwickelte Staaten von geringerer Seemacht stetg ausreichende Streitkräfte zur Hand zu haben. Ueberseeische Kon⸗ flikte mit europäischen Mächten würden in Europa entschieden; bei überseelschen Konflikten mit außereuropäischen Mächten von größerer Seemacht müßten wir auf Theile oder auf die ganze heimische Schlachtflotte zurückgreifen.

Meine Herren, das waren im wesentlichen die militärischen Ge⸗ sichtspunkte, welche für die Ausarbeitung und später für die Festsetzung des Flottengesetzes von 1898 maßgebend gewesen sind. Ich kann nicht leugnen, daß ich sowohl bei der Ausarbeitung dieses Gesetz⸗ entwurfs wie auch nachher bei der Vertretung in diesem hohen Hause mir darüber nicht im Unklaren gewesen bin, daß ein endgültiger Ab⸗ schluß für die deutsche Flotte mit diesem Sollbestand nicht erreicht sein würde, weil dieser Sollbestand in keiner Weise für die beiden gefährlichsten Fälle, die man sich denken könnte, aug⸗

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uch Neid erwechen. Der Neid splelt im Leben des

reichte. Meine Herren, beeinflußt durch die damals von mir erheblich gering geschätzte Leistungsfähi unserer Industrie und der Ent⸗