1900 / 11 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 Jan 1900 18:00:01 GMT) scan diff

ist vorgenommen von den sachverständigen uns beigeordneten Organen. Es finden aber neuerdings Erhebungen statt, ob die Duͤrchschnitts⸗ heuer, die inzwischen schon provisorisch auf 50 erhöht worden ist, noch weiter erhöht werden kann. Eine rückwirkende Kraft kann aber dieser Festsetzung von 50 nicht beigelegt werden.

Sächsischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Ministerial⸗ Direktor Dr. Fischer: Meine Herren! Zu meinem Bedauern bin ich durch dienstliche Geschäfte behindert gewesen, der heutigen Sitzung von Anfang an beizuwohnen. Wie mir nun mitgetheilt worden ist, hat der Herr Abg. Sachse einzelne Fälle aus Sachsen hier vorgeführt, die, wenn sie wahr wären, ja überaus be⸗ trübend sein würden. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten habe ich das Stenogramm der Sachse'schen Rede eingesehen und daraus entnommen, daß er behauptet hat, unsere Berg⸗ inspektoren haben nach verschiedenen Richtungen hin Falsches in ihren Berichten behauptet, insbesondere haben sie sich Unrichtigkeiten zu Schulden kommen lassen in der Berichterstattung, betreffs Abschaffung der Sonntagsschichten und der Doppelschichten der Maschinenwärtter. Außerdem hat er eines Falles gedacht, in dem ein Maschinenwärter 30 Stunden hintereinander gearbeitet haben soll entgegen den gesetzlichen Vorschriften. In seinem Stenogramm steht, wahrscheinlich infolge eines Mißverständnisses, dies sei geschehen auf dem „Württem⸗ bergschacht; ich nehme an, daß der „Brückenbergschacht“ gemeint ist. Es wäre nun zu wünschen gewesen, daß der Herr Abg Sachse die Güte gehabt hätte, diesen letzten Fall zur Kenntniß der sächsischen Berginspektion zu bringen. Da er aber vorgezog n hat, hier seiner EFrwähnung zu thun, werden wir selbstverständlich nicht ermangeln, unsere Regierung von den Ausführungen des Abg. Sachse in Kenntniß zu setzen. Es steht hiernach zu erwarten, daß insbesondere der letzt⸗ erwähnte Fall genau erörtert werden wird, und daß, wenn er sich als wahr bestaͤtigen sollte, meine Regierung sofort das Geeignete verfügen wird, um die Vorkommniß solcher Mißstände für die Zeraeit zu ver⸗ hindern. Ich wollte mir nur erlauben, diese kurze Ecklärung hier abzugeben. b

Abg. Schrader (fr. Vgg.) kommt auf die gestern behandelte Wohnungsfrage zurück und macht darauf aufmerksam, daß es sich dabei um eine Frage handele, die den Reichstag und die Oeffentlichkeit schon 20 Jahre beschäftige und die eigentlich schon spruchreif sei.

Abg. Molkenbuhr erklärt, er bleibe dabei stehen, daß die See⸗Berufsgenossenschaft zu kostspielig verwaltet werde, und daß die Matrosen einen Rechtsanspruch, nicht nur einen Billigkeitsanspruch auf eine höhere Rente hätten.

Abg. Dr. Oertel⸗Sachsen (d-kons.): Das Börsengesetz ist in drei Punkten noch nicht zur vollen Ausführung gekommen. Die Frühbörse muß dem Gesetz unterstellt werden. Nachdem die Börse im Feen⸗ palast geschlossen worden ist, muß auch diejenige in der Heiligengeiststraße demselben Schicksal unterliegen. Ebenso müssen deren handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte dem Börs engesetz unterstellt werden. Wir wollten hier⸗ über mit größerer Ausführlichkeit reden, sehen aber davon bis zur dritten Lesung ab, weil, wie wir hören, Schritte im Gange sind, die solchen Beschwerden abzuhelfen geeignet sind. Zweck des Börsengesetzes war es jedenfalls, Lieferungsgeschäften ein Ende zu machen. Ist das nach dem vorliegenden Gesetz nicht möglich, so muß das Gesetz revidiert werden.

Direltor im Ministerium für Handel und Gewerbe Hoeter: Nach⸗ dem der erwähnte Geschäftsverkehr in der Börse der Heiligengeist⸗ straße begonnen hat, ist seitens der Rerhst g ea das Erforderliche geschehen, um den dort sich entwickelnden Verkehr zu beobachten. Die in dieser Beziebung gegebenen Weisungen sind nachdem das Ober⸗ Verwaltungsgerichts⸗Erkenntniß ergangen war, wiederholt und an sämmtliche Börsen „Aufsichtsbeamten, nicht allein an die von Berlin, gerichtet worden. Daraufhin sind weitläufige, sehr schwierige Ermittelungen angestellt worden, die nahezu als ab⸗ geschlossen bezeichnet werden können. Jedoch mit Rücksicht auf die augenblicklich stattfindenden Verhandlungen wird die Entschließung des preußischen Handels⸗Ministers voraussichtlich in der allernächsten Zeit erfolgen, falls nicht diese Verhandlungen zu einem friedlichen Aus⸗ gleich, der unter allen Umständen vorzuziehen ist, führen. Damit würde gleichzeitig auch die Frage des hiesigen Frühmarktes ihre Er⸗ ledigung finden.

Abg. Roeren (Zentr.): Das wörseng, ch hat bisher schon eine sehr wohlthätige Wirkung gehabt, auch das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb hat sich bewährt. Es sind aber ganz wunderbare gericht⸗ liche Entscheidungen erfolgt, die Unnfriedenheit erregt haben. Man hat das Gesetz nicht nach seinem Geist, sondern lediglich formalistisch nach dem Buchstaben interpretiert. Der Rechtsprechung ist allerdings durch dieses Gesetz ein ganz neues Gebiet eröffnet worden. Es ist zu erwarten, daß sich die Richter allmählich in das Gesetz hineinleben. Eine Revision ist nur noth⸗ wendig in Bezug auf den Ausverkaufsschwindel, der jetzt nah den Entscheidungen des Reichsgerichts in viel größerer Blüthe steht, als

vor Erlaß des Gesetzes.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Ich freue mich, daß der Herr Vorredner der Ansicht ist, daß man jetzt gegenüber den Klagen der Gewerbetreibenden über das Gesetz, betreffend den unlauteren Wettbewerb, noch nicht an eine neue gesetzgeberische Hilfe denken könne. Zwei Erfolge kann man dem Gesetz jedenfalls nachrühmen. Erstens haben die marktschreie⸗ rischen Anpreisungen erheblich abgenommen, und ferner ist strafrecht⸗ lich in einzelnen Fällen auf Grund dieses Gesetzes sehr energisch ein⸗ geschritten worden. Nun ist ja zu meinen Händen auch eine Reihe von Anträgen gekommen, die erheblich schärfere Bestimmungen ver⸗ langen. Ich glaube aber, diejenigen Interessenten, welche derartige

Anträge gestellt haben, sind sich nicht klar darüber, daß, wenn man ihren Anträgen durch Gesetz wirklich stattgäbe, der freie Wettbewerb auf dem Gebiete des Handels zum theil überhaupt lahmgelegt würde. Ich freue mich deshalb, wie gesagt, daß sich der Herr Vorredner ledig⸗ lich darauf beschränkt hat, hervorzuheben, daß die Auslegung des Reichsgerichts über die Frage des Ausverkaufs seinen Auffassungen nach nicht dem Geist und dem Zweck entspreche, in welchem die be⸗ treffende gesetzliche Bestimmung erlassen worden ist. Ich nehme keinen Anstand, zu erklären, daß, wenn ich heute in der Lage wäre, als richterlicher Beamter eine Entscheidung zu diesem Paragraphen zu fällen, ich auch das Verfahren des Nachschiebens beim Ausverkauf für gesetzlich nicht zulässig erklären würde. Jeder Mensch, der in einen Ausverkauf geht, nimmt an, daß eben nur der Rest der Waaren⸗ bestände wegen Aufgabe oder Verlegung des Geschäfts ausverkauft wird (sehr richtig! in der Mitte und rechts), und nach meiner Ansicht hört der Begriff „Ausverkauf“ auf, wenn fortgesetzt neue Bestände zugeschoben werden. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Das Erkenntniß des Reichsgerichts ist aber einmal ergangen, und man wird abwarten müssen, ob nicht vielleicht dieses höchste Gericht auch seinerseits zu einer anderen gesetzlichen Ueberzeugung kommen kann. Ich werde aber aus den Anregungen des Herrn Vorredners Veranlassung nehmen, durch Erhebungen festzustellen, ob überhaupt in dem Umfange, wie er das annimmt, das Ausverkaufswesen jetzt wieder zu einem Unfug geworden ist, ob in der That in dem Umfange, wie er annimmt, scheinbare Ausverkäufe, möchte ich sagen, vorgenommen werden, die auch nach meiner Ueberzeugung keine Ausverkäufe sind, weil die Vorräthe fortwährend sich ergänzen. Sollte das Reichsgericht nicht zu einer anderen rechtlichen Ueberzeugung gelangen, und sollten

Fassung giebt.

Pablikums immer kleiner würde, der deshalb nur eine Waare kauft, weil auf dem Schaufenster die Ankündigung steht: hier findet ein Ausverkauf statt. (Heiterkeit.)

den Gewohnheiten des Publikums wenig ändert.

gesetz will ich nicht sprechen, sind. Daß in Preußen weibliche Fabrik⸗Inspektoren angestellt werden,

Schließlich aber wünschte ich, meine Herren, daß der Kreis des

Sie sehen, daß ein Gesetz an Ueber das Börsen⸗ da Ausgleichsverhandlungen im Gange

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vgg.):

wenn auch nur in geringer Zahl, können wir nur billigen. Bei der Auswahl der Persönlichkeiten sollte man sehr vorsichtig sein. Sollten uns die Fabrik⸗Jaspektoren⸗Berichte im Original vorgelegt werden unter voller Namensnennung der Inspektoren, so würden wir das mit Freuden begrüßen. Wir würden dann die Berichte auch früher erhalten als bisher. Ebenso erfreulich ist die Trennung der Kesselrevision von der Gewerbe⸗Inspektion in Preußen; die Gewerbe⸗ Inspektoren werden fortan freie Hand haben. Ein Fortschritt in den Lohnverhältnissen der arbeitenden Klassen ist nicht zu leugnen. Das 19. Jabrhundert ist das Jahrhundert der Sozialreform gewesen. Uebelstände sind in Industriegebieten vorhanden, aber tausend Hände find bereit, die geschlagenen Wunden zu heilen. Zu diesem Zweck muß die Zahl der Fabrik⸗Inspektoren vermehrt und diese ganze In⸗ stitution zur Reichssache gemacht werden.

Abg. Rosenow (Soz.) weist auf die große Zahl der in der Zigarren⸗Hausindustrie beschäftigten Schaulkinder hin. Die Eltern seien von den schrecklichen Gesundheitsverhältnissen der Arbeit ihrer Kinder vollkommen überzeugt, aber sie könnten nichts dagegen thun, weil sie selbst zu wenig verdienten. Die Fabrikanten um⸗ gingen das Gesetz dadurch, daß sie die Arbeiten von den Kindern zu Hause machen ließen. Seine (Redners) Partei wolle die Lage der Hausindustrie verbessern und zu diesem Zwecke Enqubten veranstalten. Leider werde sie darin von der Reichs⸗ regierung wenig unterstützt. Die traurigen Verhältnisse der Haus⸗ Spielwaarenindustrie des sächsischen Erzgebirges sollten vor allen Dingen festgestellt werden. Eine sechsköpfi ze Arbeiterfamilie ver⸗ diene für die Fabrikation von Holzthieren wöchentlich 5b Man gehe um die Feststellung dieser Dinge beinahe herum wie die Katze um den heißen Brei. Die Arbeiterschutzgesetzgebung müsse auf die Hausindustrie ausgedehnt werden. b Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Auch ich könnte die Mittheilung der Fabrik⸗Inspektoren⸗Berichte im Original nur mit Freuden begrüßen. Dagegen könnte ich mich mit einem deutschen Fabrik⸗Inspektorat nicht einverstanden erklären.é In Preußen könnte ja beispielsweise dem Handels⸗Ministerium ein General⸗Fabrik⸗Inspektor beigegeben werden, der für eine einheitliche Berichterstattung zu sorgen hätte. Im allge⸗ meinen aber sollte die Sache in den Händen der Landesregierungen bleiben. In der Frage der Hausindustrie finden Erhebungen statt; wir wären gerne bereit, auch gesetzgeberische Schritte zu thun. Abg. Möller.Duisburg (nl.): Die Verbindung der Kesselrevision mit der Fabrik⸗Inspektion hatte auch ihre guten Seiten; natürlich unter der Voraussetzung, daß die eine Arbeit nicht auf Kosten der anderen vorgenommen würde. In diesem Falle würde die Zahl der Beamten vermehrt werden müssen. Die Kesselrevisoren sollten eine Assistenten⸗ zeit durchmachen. Die von Herrn Rosenow gewünschte sozialpolitische Statistik müßte selbständig, nicht in Verbindung mit der Produktions⸗

statistik gemacht werden. Abg. Hoch (Soz.) kritisiert das Verhalten der Aufsichts⸗ und

Polizeibehörden gegenüber den sozialdemokratisch organisierten Arbeitern und bemängelt die Bauaufsicht. Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner: Ich will ganz kurz, meine Herren, auf einzelne Punkte antworten, die hier noch berührt sind. Was zunächst die Berichte der Gewerbe⸗Inspektoren anbetrifft, so werde ich, nachdem ich die Wünsche des Hauses kenne und die Zu stimmung zu meiner Anregung gefunden habe, mich mit den ver⸗ bündeten Regierungen dahin in Verbindung setzen, ob es nicht prak⸗ tisch wäre, die Berichte der Gewerbe⸗Aufsichtsbeamten nach einem Formular, in einheitlicher Form so herzustellen, und zwar so, daß auch der Bericht für jeden einzelnen Landestheil einzeln abgegeben werden kann. Dann können die Berichte je nach ihrem Fortschritt, sobald der Druck eines Bandes fertig ist, sofort publiziert und dem Reichstage zugestellt werden. Liegen die Berichte sämmtlich im Druck vor, so kann im Reichsamt des Innern ein eingehendes, gründliches Sachregister aufgestellt werden und nachträglich ebenfalls in die Hände der Herren Reichstagsmitglieder gelangen. Ich glaube, dann wird diese ganze Frage aus der Welt geschafft sein, und Sie werden das Mittel haben, sich auf die leichteste Weise über alle einzelnen Fragen der Berichte selbst eingehend zu unterrichten. Man ist auch auf die Produktionsstatistik zurückgekommen. Davor möchte ich dringend warnen, die Produktionsstatistik, die handels⸗ politische Zwecke verfolgt, mit irgend welchen Zwecken zu ver⸗ binden, die auf sozialpolit ischem Gebiet liegen. Um Ihnen einen Begriff davon zu geben, was das für eine Arbeit war, wie sie ich kann sagen noch in keinem Staate der Welt geleistet worden ist, so gestatte ich mir, Ihnen mitzutheilen, daß an 53 000 Betriebe Fragebogen von uns versandt sind, daß hiervon 46 000 beant⸗ wortet wurden und 7000 Antworten noch ausstehen, für welche zum theil die Frist für die Beantwortung noch nicht abgelaufen ist. Also alle die Befürchtungen, die man gegen die Erhebung der Produktions⸗ statistik hegte, daß die Fragen garnicht oder sehr unvollständig beant⸗ wortet werden würden, haben sich nicht erfüllt, denn wenn von 53 000 Fragebogen schon 46 000 beantwortet und nur noch 7000 rückständig sind, die wahrscheinlich auch noch beantwortet werden werden, so ist das meines Erachtens ein glänzendes Resultat, das wir dem Verständniß und dem Interesse zur Sache, welches in den betheiligten Kreisen der Industrie herrscht, verdanken. Außerdem soll diese Produktions⸗ statistik noch weiter fortgesetzt und, um ein genaues Bild von der heimischen Produktion zu haben, von Zeit zu Zeit erneuert werden. Wenn wir wissen, was in Deutschland an Waaren erzeugt wird, was nach Deutschland von gleichwerthigen Waaren eingeführt und ausge⸗ führt wird, so können wir ganz genau den deutschen Verbrauch be⸗ rechnen und haben damit eine Grundlage für die Beurtheilung unserer wirthschaftlichen Arbeit, für unsere ganze Zoll⸗ und Handelspolitik, wie sie bisher meines Wissens überhaupt noch kein einziger Staat ge⸗ wonnen hat. Ich komme zum Schluß mit einigen Worten auf die Vorwürfe, die bezüglich der Aufsicht im Baugewerbe erhoben sind. Zunächst werde ich mir gestatten, nachdem diese Frage immer von neuem wiederbolt ist, einfach das Rundschreiben zu veröffentlichen, daß ich an die verbündeten Regierungen in dieser Beziehung gerichtet habe. Ich kann versichern, daß in fast allen deutschen Staaten daraufhin jetzt entweder gesetzgeberische Maßnahmen, wie in Sachsen, oder eingehende Polizeiverordnungen vorbereitet sind oder, wie in einer Anzahl kleiner Staaten, die Bedingungen für den Bauschutz jetzt ausdrücklich in die Bauerlaubniß aufgenommen werden. Sobald alle diese gesetzgebe⸗ rischen und Verwaltungsmaßnahmen abgeschlossen sind, werde ich Ge⸗

auf Grund meines Rundschreibens geschehen ist, und sollte sich 88 zeigen, daß das noch nicht ausreicht, so werde ich mich mit einem er⸗ neuten Ersuchen an die verbündeten Regierungen wenden. Im übrigen aber kann ich erklären, daß sich auch der Verband der Bau⸗Berufs⸗ genossenschaft ausdrücklich bereit erklärt hat, eine größere Anzahl von Beauftragten zur Besichtigung der Bauten anzustellen, und zwar Be⸗ auftragte, welche eine entsprechende fachtechnische Vorbildung haben. Diese Verhandlungen sind im Gange, und ich bin sicher, sie werden zu einem befriedigenden Abschluß führen.

Abg. Sachse bleibt dabei, daß die Zahl der Unfälle im Bergwerksbetriebe zugenommen habe, weil die Habsucht der Gruben⸗ besitzer die erforderlichen Schutzvorrichtungen verhindere. In einem Jahre seien mehr Bergarbeiter verwundet worden als im Kriege 1870/71, in einem so ruchlosen Kriege. Als Bergwerks⸗Direktor könnte er (Redner) jeden Tag fungieren. Der Abg. Hilbck sei noch im Jahre 1864 an der Berliner Üniversität gewesen, 1866 aber schon Bergwe ks⸗Direktor geworden. Woher habe er in zwei Jahren seine praktischen Erfahrungen genommen? Geheimer Ober⸗Bergrath Dr. Fürst stellt fest, daß die Unfallstatistik sich in den letzten Jahren in Deutschland günstiger gestaltet habe. Die Verhältnisse in Belgien seien nur scheinbar günstiger. Die Statistik sei dort nicht so genau wie in Deutschland.

Abg. Hilbck: Ich möchte doch Verwahrung dagegen ein⸗ legen, daß der Abg. Sachse den Krieg von 1870, den wir in der Nothwehr geführt haben, als einen ruchlosen bezeichnet.

Präsident Graf von Ballestrem; Ich hätte diesen Ausdruck jedenfalls gerügt, wenn der Abg. Sachse gesagt hätte, daß der Krieg von unserer Seite ruchlos angefangen worden wäze. Ich habe aber angenommen, daß er damit ausdrückte, wir wären in ruchloser Weise mit Krieg überzogen worden.

Abg. Hilbck (fortfahrend): Ich habe mich vor meinem Studium 2 ½ Jahre praktisch bethätigt und später ein so gutes Examen bestanden, daß ich mit einem Stipendium der Regierung die Bergwerke anderer Länder studieren konnte.

Die Ausgaben für das Gehalt des Staatssekretärs werden

bewilligt.

Um 5 ½ Uhr wird die weitere Berathung auf Freitag 1 Uhr vertagt. (Vorher werden die von den Abgg. Freiherr von Stumm (Rp.), Dr. Schädler (Zentr.) und Albrecht (Soz.) sn dem Invalidenversicherungs⸗Gesetz beantragten Resolutionen erathen werden.)

Preußischer Landtag. 3. Sitzung vom 11. Januar 1900, 11 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die Berathung und Be⸗ schlußsa ssanß⸗ verbunden mit einer allgemeinen Diskussion, über die geschäftliche Behandlung des Gesetzentwurfs, betreffend die Zwangserziehung Minderjähriger.

Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben: Meine Herren! Es ist ein dunkles und tiefernstes Kapitel unseres Volkslebens, das die Vorlage, die Ihrer Berathung unterbreitet worden ist, aufschlägt. Jeder, der mit offenen Augen die Verhältnisse rings um uns herum betrachtet, der namentlich einen Blick wirft auf die Verhandlungen vor den Schranken der Gerichte, insbesondere der großen Städte, der kann sich der Auffassung nicht verschließen, daß in weiten Kreisen eine zunehmende und die Zukunft unseres Volks⸗ lebens gefährdende Verwahrlosung eingerissen ist. Nicht fest haften mehr wie früher die geheiligten Bande alter Ordnung, der Respekt vor Kirche und Schule, die Ehrfurcht vor Eltern und Anverwandten. Weite Kreise der jugendlichen Bevölkerung, sich frei wähnend von diesen althergebrachten und altgeheiligten Rücksichten, stürmen in das Leben hinaus, ihren eigenen Weg suchend, und jener Kompasse beraubt, irren sie sehr oft ab vom richtigen Wege. Meine Herren, daß eine solche zunehmende Verwahrlosung unter den jugendlichen Elementen sich bemerkbar gemacht hat, das geht leider zum aller deutlichsten aus der Kriminalstatistik hervor. Die Kriminalstatistik weist von Jahr zu Jahr eine zunehmende Betheiligung der jugend⸗ lichen Elemente an den Straffällen auf. Die Begründung der Vor⸗ lage giebt nähere Daten in dieser Beziehung, von denen ich mir nur einige wenige zur Illustrierung der Vorlage Ihnen mitzutheilen er⸗ lauben möchte.

Im Jahre 1882 fanden 30 697 Verurtheilungen Jugendlicher statt, im Jahre 1896 43 962 das bedeutet eine Steigerung um 43,2 % und im Jahre 1897 ist die Zahl sogar auf 45 327 ge⸗ stiegen also gegen das Jahr 1882 eine Steigerung um 47,3 %. Auch relativ hat die Antheilnahme der Jugendlichen an den Verbrechen und Vergehen zugenommen, indem auf 100 000 Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren im Jahre 1882 568 Verurtheilungen kamen, im Jahre 1896 dagegen 697, so daß eine Steigerung um 22 % eingetreten ist. Auch diese relative Steigerung ist um so bedenklicher, als die relative Steigerung der Kriminalität im allgemeinen, also bei den Erwachsenen, 16 % betragen hat, so daß also auch hier die relative Zunahme bei den Jugendlichen noch eine erheblich größere gewesen ist als bei den sonstigen Elementen der Bevölkerung. Und, meine Herren, die Theilnahme der Jugendlichen hat sich gerade auf die be⸗ denklichsten Arten der Vergehen und Verbrechen erstreckt; namentlich bei allem, was an Gewaltthätigkeit grenzt, finden wir die jugendlichen Elemente der Bevölkerung in besonderem Maße betheiligt. Die Ver· hältnißzahl der Verurtheilungen wegen gefährlicher Körperverletzung ist von 1882 bis 1896 um 112 % gestiegen. Die Verurtheilungen wegen Sachbeschädigung haben sich um 48 % vermehrt, die Ver⸗ urtheilungen wegen Nöthigung und Bedrohung haben sich verdreifacht. Von den im Jahre 1898/99 in die preußischen Strafanstalten eingelieferten Zuchthausgefangenen waren nicht weniger als 26 % vor dem 18. Lebensjahre bestraft, und nach einer im Jahre 1894 stattgehabten Erhebung waren von den vorhandenen 17 867 Zuchthaut⸗ gefangenen der preußischen Monarchie 9489 oder 53 % mehr alz dreimal bestraft. Diese mehr als dreimal Bestraften müssen fast ganz⸗ nämlich zu 93 %, als unverbesserlich, als aus dem Rahmen der gesell schaftlichen Ordnung herausfallend erachtet werden, und von diesen unverbesserlichen Elementen waren nicht weniger als 34 % berecits vor dem 18. Lebensjahre bestraft.

Meine Herren, diese Daten sind in der That erschreckend und müssen Jedem, der es ernst meint mit unserem Vaterlande, zur Pflich machen, hier die bessernde Hand anzulegen und zwar umsomehr, als das Maß der Verschuldung bei diesen Vergehen nicht immer klar im stellen ist. Wie weit diese große Kriminalität der Jugendlichen au eigenes Verschulden zurückzuführen ist, wie weit auf die verbrecherisch oder verderbliche Umgebung, in der diese Elemente groß gewolden sind, das läßt sich nicht feststellen. Zweifellos ist, daß die Umgebung⸗

in der That die Mißstände im Ausverkaufswesen so groß sein, wie der Herr Vorredner es darstellt, ägen, ob

legenheit nehmen, eine Zusammenstellung dessen zu veröffentlichen, was

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namentlich verbrecherische, ihre Pflicht verabsäumende Eltern,

überaus ungünstigen Einfluß auf die Jugend ausüben, und es ist wohl eins der trübsten und unsere Hilfe heischenden sozialen Bilder das wir sehen können, diese jugendlichen Elemente, welche die Ge⸗ fängnisse und Zuchthäuser bevölkern, weil sie von vornherein im elter⸗ lichen Hause der richtigen Anleitung entbehrten, ja vielfach geradezu Aber selbst wo

auf den Weg des Verbrechens gewiesen worden sind. ein Verschulden der Eltern nicht stattfindet, sind vielfach Vermögens losigkeit, Verarmung, Krankheit oder sonstige Umstände vorhanden, di

es nicht möglich machen, die Aufsicht über die Kinder zu üben; und selbst wo die Eltern ihre Pflicht thun, ist es vielfach der innewohnende Hang zum Verbrechen, die verbrecherische Anlage, die allmählich vom

Wege des Rechten herab und die Arme des Verbrechens treibt

Meine Herren, diese Dinge zu bessern, ist eine eminente Aufgabe aller Derjenigen, die berufen sind, hier die bessernde Hand anzulegen, und

ich meine, dazu sind in Arster Linie die Kirche und Schule berufen.

Namentlich der Einwirkung der Kirche ist es in erster Linie zu danken, daß noch so viele Elemente vom Verderben zurückgehalten wurden, unter ihrer Einwirkung wird es hoffentlich auch gelingen, weite Kreise unserer Neben der Kirche hat eine große Anzahl freiwilliger Vereine, die auf freier Liebes⸗ thätigkeit beruhen, diese Thätigkeit auch in der Richtung einer Ver⸗

Bevölkerung auf den rechten Weg zurückzuführen.

besserung dieser Zustände entfaltet.

In der Denkschrift ist eine kurze Nachweisung gegeben, aus der die Herren ersehen wollen, daß 678 Erziehungsanstalten theils auf

freiwilliger Liebesthätigkeit, theils auf religiöser Grundlage beruhend sich der verwaisten, verlassenen und verwahrlosten Kinder angenommen haben, mit einer Jahresausgabe von nicht weniger als 11 Millionen Mark und 30 000 Zöglingen. Ich halte es für meine Pflicht, an

dieser Stelle meinem lebhaften Dank Ausdruck zu geben für Alles, was diese Vereinigungen, namentlich auch die kirchlichen Vereine beider

Konfessionen, in dieser hingebenden und überaus mühsamen Liebes⸗ thätigkeit an den Aermsten unseres Volkes gethan haben. Aber diese Thätigkeit ist bisher nach mannigfacher Richtung ein⸗ geschränkt gewesen. Die Gesetzgebung hatte nicht die nöthigen Zwangs⸗ mittel gegeben, die erforderlich waren, um diesen Vereinen den vollen Nutzen ihrer Thätigkeit zu sichern. Denn die Vereine waren in ihrer Thätigkeit auf die Eltern angewiesen, nur freiwillig konnten die Kinder unter Zustimmung ihrer Eltern in die Anstalten gebracht werden und insofern diese Zustimmung fehlte, fehlte es an Zwangsmitteln, die Kinder in den Anstalten festzuhalten. Wir haben leider sehr oft die Erfahrung machen müssen, daß die Eltern aus Kurzsichtigkeit oder aus Eigennutz die Kinder zurücknahmen, sobald sie in das erwerbsfähige Alter traten, auch wenn die Umgebung, in die die Kinder zurücktraten ebenso ungünstig auf sie wirken mußte, wie es früher der Fall War⸗ und die Erziehung der Kinder noch in keiner Weise pollendet bönr. Trotz dieser beiden Momente, bevor die Erziehung vollendet ist, die Kinder noch in der Erziehung behalten zu können, ist die wichtigste Aufgabe, die die Gesetzgebung hat. In dieser Beziehung hat sie das bisher nicht gethan, was vom Standpunkte der ethischen und sozialen Fürsorge für diese Elemente des Volkes nothwendig war. Der erste Versuch in Preußen ist gemacht durch das Gesetz vom

13. März 1878, das Gesetz beschränkte sich aber lediglich auf Kinder vom vollendeten 6. bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, und zwar nur auf solche, die mit dem Strafrichter in Berührung gekommen sind. Nur solche Kinder, die eine strafbare Handlung begangen haben, des straf⸗ mündigen Alters wegen aber nicht zur Verfolgung gezogen werden können, konnten zur Zwangserziehung überwiesen werden. Nun liegt es aber auf der Hand, daß der Umstand, daß ein Kind vor den Straf⸗ richter kommt, durchaus nicht allein beweisend ist für die Verrohung oder Verwahrlosung des Kindes; die Verwahrlosung kann genau so gut eingetreten sein und ist sehr oft eingetreten, ohne daß es gerade zu einem Verbrechen oder Vergehen kommt, und ohne daß das Kind vor die Schranken des Gerichts geführt wird.

Solche Kinden, die nicht vor den Strafrichter kommen, konnten bisher nicht zur Zwangserziehung überwiesen werden, wenn es auch im eigenen Interesse des Kindes noch so nothwendig war, es aus der bisherigen Umgebung herauszureißen und das Kind in eine gesunde Umgebung zu bringen und einer Erziehung zu unterwerfen, die hoffen ließ, daß es auf den rechten Weg zurückkommen werde.

Bei den Jugendlichen über 12 Jahre, zwischen 12 und 16 Jahren, war nur auf Grund des § 56 des Strafgesetzbuchs dem Strafrichter die Möglichkeit gegeben, diese Jugendlichen einer Besserungsanstalt zu überweisen. Wenn in Verneinung der ausreichenden Urtheilsfähigkeit eine Strafe nicht erfolgte, dann war der Richter in der Lage, den Betreffenden einer Besserungsanstalt zu überweisen, eine Be⸗ fugniß, von der die Gerichte nur sehr mäßigen Gebrauch gemacht nur etwa tausend solche Jugendliche befinden sich in einer

alt.

Ueber 16 Jahre hinaus war überhaupt die Möglichkeit bisher nicht gegeben, eine Zwangserziehung eintreten zu lassen, und dies ist meines Erachtens als ein besonderer Mangel der bisherigen Gesetz⸗ gebung anzusehen, denn gerade diese Jugendlichen zwischen 16 und 8 Jahren finden wir sehr zahlreich bei allen Vergehen und Ver⸗ 5 namentlich auch gewaltthätiger Art, betheiligt, und ein Blick n die Gerichtsfäle, namentlich auch von Berlin, beweist Jedem, in welchem Maße diese Jugendlichen sich an Gewaltthätigkeiten, Auf⸗ ruhr, Auflauf u. s. w. betheiligten. Und, meine Herren, ich kann e es nicht verhehlen, daß sich ein Prozeß in diesem letzten 5 hier abgespielt hat, der die Aufmerksamkeit des ganzen Volkes 8 as lebhafteste in Anspruch genommen hat, der in der That den s; nahe gelegt hat, Jugendliche, auch wenn sie majorenn sind,

zwar gerade Jugendliche aus den oberen Ständen, der Zwangs⸗ 88 überweisen zu können.

glaube mich mit diesem hohen Hause darüber einig zu wissen

e tiefsten Bedauern und der tiefsten Entrüstung Reeü e 18 die die Hingabe für König und Vaterland, für den lehen a. Allgemeinheit, die eine schlichte und einfache Lebensweise 8n 12 ihren Stolz gehalten haben, jugendliche Elemente, dieser 8 Epher Traditionen uneingedenk, ein frevles Leben in Genußsucht Cn. 8. ihre Aufgabe gehalten haben. (Lebhaftes Bravo!) Ich nn i. 8 betheiligten einsichtigen Elemente müssen diesem Treiben S en entgegentreten und verhindern, daß diese jugendlichen

se 8 berechtigten guten Ruf der Kreise und der Eltern, von vethelnnte stammen, beeinträchtigen. Ich habe einem der Haupt⸗ ede n. der meiner Verwaltung unterstellt war, absichtlich nicht Dlerivd m erbetenen Abschied bewilligt, sondern ihn auf Grund des nargesetzes aus dem Dienste entlassen, und ich werde unnach⸗

3 A11AA6“ 1.“ 5 Pflichten als Staatsbeamte vereinbar halten. (Lebhafte

e] kommenden § 1666 Folgendes:

„untergebracht wird.“

mundete Kind. Er ist an die Beschränkung des § 1666

soweit es sich um Vater oder Mutter handelt; dbräget rechtigt, das Kind der Zwangserziehung zu überweisen, wenn er es im des Kindes liegend erachtet.

o segensreich diese Vorschriften nd, so ü

der Ausbildung. durch die ““ 2g schaftsrichter ist außer stande, sie zur Durchführung zu bringen, sofern es an einem Organ fehlt, das die Kosten der Zwangserziehung zu übernehmen hat. Die Eltern der hier in Betracht kommenden Kreise sind meistens dazu nicht im Stande und sofern nicht aus öffentlichen Mitteln die Kosten gedeckt perden, würden diese höchstwichtigen Paragraphen auf dem Papier stehen ung nicht zur Ausführung kommen. Deswegen sind fast alle Bundes⸗ staaten dazu übergegangen, Institutionen zu schaffen, die ihrerseits die Zwangserziehung thatsächlich in Vollzug setzen. Artikel 135 des Ein⸗ führungsgesetzes giebt dazu die Möglichkeit. Er bestimmt in einem weiteren Satze des Absatzes 1: „Die Anordnung nämlich der Zwangserziehung kann außer den Fällen der §§ 1666, 1838 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur erfolgen, wenn die Zwangserziehung zur Verhütung des völligen sittlichen Verderbens nothwendig ist“. Wir haben geglaubt, von dieser Befugniß auch Gebrauch machen zu müssen; denn gleichviel, ob Verschulden der Eltern vorliegt oder nicht. und gleichviel, ob die Kinder schon mit dem Strafrichter Bekannt⸗ schaft gemacht haben oder nicht, es ist in ihrem Interesse und im Interesse der Gesellschaft unerläßlich, sie der Zwangserziehung zu überweisen, wenn eine völlige sittliche Verwahrlosung zu besorgen ist. Auf diesem Gedanken beruht der § 2 der dem hohen Hause unterbreiteten Vorlage, der in Ne. 1 die beiden Fälle des Bürger⸗ lichen Gesetzbuchs wiedergiebt, dann in Nr. 2 das bisher bestehende 18 8 Se von 1878 und dann in Nr. 3 den von mir eben erwähnten wichtigen Fall berührt, de F h n Fall der allgemeinen sittlichen Ich glaube mich für heute bei der Generaldiskussion auf diese Punkte beschränken zu können und ich möchte nur noch zum § 15, der die Frage der Kosten betrifft, mich in Kürze äußern. In dem in meinem Ministerium aufgestellten Gesetzentwurf war eine Drittelung der Kosten vorgesehen in der Weife, daß ein Drittel auf die Ortsarmenverbände, ein Drittel auf die Provinzen als Träger der Landarmenpflicht und ein Drittel auf den Staat entfielen. Diese Drittelung der Kosten hat mancherlei für sich; denn es ist unzweifel⸗ haft, daß, wenn die Zwangserziehung rechtzeitig ausgesprochen wird die Ortsarmenverbände, die Provinzen als Landarmenverbände und der Staat entlastet werden, indem seine Gefängnisse und Zucht⸗ häuser nicht mehr in dem Maße bevölkert werden. Bei der Wichtig⸗ keit der Gesetzesvorlage habe ich die sämmtlichen Landes⸗Direktoren des Staats zu einer Konferenz gebeten, und bei dieser Konferenz ist einstimmig gebeten worden, von einer Heranziehung der Gemeinden ganz abzusehen. Die Herren Landes⸗Direktoren, die mit dieser Materie auf das eingehendste vertraut sind, befürchteten von einer solchen Betheiligung der Gemeinden einmal den Erfolg, daß nicht rechtzeitig und nicht oft genug die Anträge auf Einleitung der Zwangs⸗ erziehung gestellt werden, weil die Gemeinden dann ein materfelles Interesse daran hätten, einen solchen Antrag nicht zu stellen. (Sehr richtig!) Sie befürchteten ferner, daß schließlich doch bei einer großen Anzahl von unvermögenden Gemeinden die Kosten auf die Provinz als Land⸗ armenverband fallen würden und das Ganze nur eine große Schreiberei ohne erheblichen Nutzen geben würde. Aus diesem Grunde haben die Landes⸗Direktoren einmüthig gebeten, diese Drittelung aufzugeben und wieder auf den Maßstab des Gesetzes von 1878 zurückzugehen, nämlich auf die Halbierung der Kosten zwischen der Provinz und dem Staat. Ich bin dem Vorschlage gefolgt und kann den betheiligten Spitzen der Provinzen wie dem Herrn Finanzminister nur dankbar sein, daß sie sich bereit erklärt haben, diese Mehrkosten auf ihre Schultern zu übernehmen. Ich glaube mich auf diese Momente beschränken zu können; die einzelnen Punkte zu besprechen, wird die Diskussion und die Verhand⸗ lung in der Kommission noch Veranlassung geben. Ich darf noch einmal Ihrer Erwägung anheimgeben die außerordentliche Wichtig⸗ keit der Vorlage in religiöser, sittlicher und sozialer Beziehung. Es handelt sich darum, schwere Schäden des Volkslebens zu beseitigen und gefährdete Kreise unseres Volkes wieder unserem Volksleben und unserer Gesittung zurückzugewinnen. Das hohe Haus hat allen nach dieser Richtung hin ihm von der Staatsregierung unterbreiteten An⸗ trägen stets ein besonderes Maß von Sachkenntniß und Entgegen⸗ kommen entgegengebracht, und die Staatsregierung giebt sich der Hoff⸗ nung hin, daß es auch bei dieser Vorlage der Fall sein und die Re⸗ gierung so in den Stand gesetzt werden wird, diese schweren Schäden mit Nachdruck zu bekämpfen und auch auf dem hier in Rede stehenden Gebiete die Zukunft unseres Volkes sicher zu stellen. (Bravo!)

err von Below⸗Saleskegi . ü daß be erste That des Ministers eest, ener äane dieser Vorlage gewesen sei: sie zeige, daß er ein offenes Auge für die Schäden unseres öffentlichen Lebens habe. Alle gesetzlichen Maß⸗ nahmen reichten aber nicht aus, wenn nicht die Religion und die ihre Hilfe böten. Der Hauptgrund der Verwahrlosung der

ugend liege in der schlechten Erziehung in vielen Familien der unteren

Klassen. Der Vertheilung der Kosten nur auf Stadt und Provinzial⸗ verband unter Weglassung der Gemeinden könne er ö zu⸗

ti g gegen alle Elemente einschreiten, die ein derartiges Leben

Meine Herren, war die bisherige Gesetzgebung ni um die Zwangserziehung Minderjähriger Tb wendig, so sind wir, gottlob, durch das Bäürgerliche Gesetzbuch in dese⸗ Beziehung einen wesentlichen Schritt weiter gekommen. Das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt in dem hauptsächlich hier in Betracht

„Wird das geistige oder leibliche Wohl des Ki

fährdet, daß der Vater das Recht der Sorge 11 68 86 Kindes mißbraucht, das Kind vernachlässigt oder sich eines ehr⸗ losen oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht, so hat das Vor⸗ mundschaftsgericht die zur Abwendung erforderlichen Maßregeln zu treffen. Das Vormundschaftsgericht kann insbesondere anordnen daß das Kind zum Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Fa⸗ milie oder in einer Erziehungsanstalt oder einer Besserungsanstalt

§ 1838 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gi ähnli giebt dann ähnliche, weitergehende Rechte dem Vormundschaftsrichter über das

8 Graf von Mirbach: Auch meine politischen Freunde stehen de

haus hat sich schon einmal i

gegen eine weitere Belast d vinzen ausgesprochen; aber hier verlangt der Staat ung der Pre⸗ neuer Anstalten durch die Kommunalverbände. In den Städten

beiter. Was dabei aus den Kindern werden soll, ist 1 1 1 „ist ja klar. Di E wird durch das vee. 1. afecat! 88 2s r ovelle zur Gewerbeordnung wird daran nichts ändern. Die Kom⸗ von der Regierung eine Revision der Provinzialdotationen Herr von Helldorff bemerkt, daß ebenso wichti ie di 86s hecg ee hncr sen Frag⸗ de Cesfiur sin 2 eien und an den Mindestfordernden ver eben würden. Zur Zwangserziehung in Anstalten ei si 9* Ieen dieser Kinder. Anstalten könnten ve S . 88 8”” mit 8e. zu einer richtigen Er⸗ g ausgestattet seien. ie Kinder mü⸗ Landwirthschaft oder im Handwerk unterwiesen ö 8 52 lange die Fürsorge der Anstalt genießen, bis sie im Leben allein fest, dastehen können. Sonst fielen sie in die Verwahrlosung b Die Aufsicht der Behörden müsse reformiert werden; viele S 3 ohlthaten, welche das Institut der Waisenräthe bringen solle es nur auf dem Papier. Aus den Verwahrlosten rekrutierten sich ie Verbrecher, welche dem Staate Millionen kosteten; deshalb sei es unangebracht, wenn der Staat in der Frage der richtigen Erziehung

der Frher sparen wollte. reiherr von Durant: Die Hauptursache d . 6g der Jugend liegt in der von . 1e des Christenthums, welche theils bewußt, theils aus Nichtachtung mehr und mehr um sich gegriffen hat. Nur von v heraus können diese äußeren Schäden geheilt werden. n der Jugend wird schon der matertalistische, auf Gewinn .“ ee bemec. und großgezogen. eit gegen den Nächsten ist heute die Richtschnur für das ei . deln. ren Felc 8 de. die vSedhne Fun f wünschte 85 bei e seit, daß die Firma Krupp das Gerücht, d 8 Fh ““ I Krieg liefere, c. ves en. läre. ru 1 Füäc gbrn 8 ätzen des Christenthums ist das beste reiherr von Manteuffel: Ich danke dem Mini ü voßrer die Wünsche der Landes⸗Direktoren, an deren . eilzenommen habe, im wesentlichen berücksichtigt hat. Die jetzige 1“ .n 12. ü⸗ st nicht ausreichend. Von zwei in ixdorf wurde der ält nur mit einem BVerweis bestraft, 8p 1 . Zwangserziehung überwiesen; das ist ungerechtfertigt 885 daß es in den Anstalten auch Prügel giebt ist 1A““ 1 In FG Kommission muß auch die erörtert werden, und das Ab wird dann hoffentlich diese finanzielle Frage ins RLecetdnctenbane Provinzen wären mit einer Theilung der Kosten in dem Sinne ein⸗ daß der Staat zwei Drittel übernimmt. Den größten ortheil von der Ausdehnung der Zwangserziehung hat ja auch der Staat. Die Provinzen werden besonders viele Kosten dadurch haben daß sie neue Erziehungsanstalten bauen müssen, denn die Unterbringung 858 E“ anderen Familien ist nicht zu empfehlen S ffe, a esetz angeno n wird; F 8 denen mit aee de S ö“ wird; den Haupttheil der er⸗Bürgermeister Delbrück⸗Danzig spricht namens der Li die Zustimmung zur Vorlage aus, theilt aber die enobirden Eedinten in Bezug auf die Aufbringung der Kosten; denn die Provinzen seien schon dinreichend belastet. Wenn aber hierbei die Frage der Pro⸗ vinzialdotationen aufgerollt werde. könne daran leicht diese Vorlage scheitern. Die Belastung der Provinzen sei ganz verschieden, die Armenlast drücke im Osten mehr als im Westen. Hoffentlich werde 1 Felc ö sei, die Regierung auch die Hand die Provinzialdotati CE 85 ationen und das Besteuerungsrecht der

Damit schließt die Diskussion. Die Vorl ird ei W von überwiesen. v ach einem Schreiben des Justiz⸗Minist is Redakteur der sozialdemokratischen Plts vneef 1 Gegich Zeleihigung des Herremmause⸗ bestraft worden, und das . em Herrenhause die Befugniß öffentli des I“ . ““ Dem Antrage des Berichterstatters der Geschäftsord 2 E“ Ferhrrrc nen ab dengsscha naordnunge⸗ . er Publikationsbefugniß in di er as 1 vagene- fugniß in diesem Falle keinen on Seiner Majestät dem Kaiser und König i folgendes Telegramm eingegangen: „Ich spreche 52 ö. hause für die Mir aus Anlaß der Geburt des dritten Sohnes Meines Bruders, des Prinzen Heinrich von Preußen, dar⸗ geürnc 8 8 wärmsten Dank aus 6 ie itglieder ie 8 . Telegramms stehend an. ö1“ 1 8 Uhr. Nächste Sitzung unbestimmt.

34 Haus der Abgeordneten.

3. Sitzung vom 11. Januar 1900, 11 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die Verlesun olgende Interpellation der Abgg. Arendt⸗Labiau hns Celgenber „Inwiefern erachtet die Königliche Staatsregierung die im vorigen Sommer im Anschluß an die Abstimmung dritter Lesung über die Kanalvorlage gegenüber einer Anzahl von Staats⸗ beamten von ihr getroffenen dienstlichen Maßnahmen im Einklang mit den Vorschriften der Artikel 83 und 84 der Ver⸗ fassung?“ Der Reichskanzler und Präsident des Staats⸗Minist 88 d . eriums Fürst zu Hohenlohe erklärt sich bereit, die sofort zu beantworten. sic 8 Begründung der Interpellation erhält darauf das Abg. von Köller (kons.): durchzubringen, zu

8

Die Regierung hat, um

Kanalvorlage Maßregeln 19 Zuflucht * nommen, die ohne Vorgang sind. Vor der Abstimmung, als die Mehrheit für die Vorlage immer zweifelhafter wurde, ge⸗ brauchte der Reichskanzler und Minister⸗Präsident dem Hause ge en⸗ ůber Worte, welche sich nur als eine Drohung deuten lassen Am Morgen der entscheidenden Abstimmung in dritter Lesung zitierte der Minister des Innern die kanalgegnerischen Abgeordneten der Rechten, die in Staatsämtern standen, und wies sie auf ihre Dienstpflichten hin. Wußte der Minister nicht, daß dies mit der Ver⸗ fassung in Widerspruch steht? Sind die Beamten nicht im Gegentheil verpflichtet, sich von der Erfüllung ihrer Pflicht weder durch Er⸗ öffnung von Vortheilen, noch durch Androhung von Nachtheilen ab⸗ halten zu lassen? (Die weiteren Ausführungen des Redners werden auf der Tribüne nur sehr schwer im Zusammenhang verständlich.) Gewiß kann die Regierung jederzeit die sogenannten politischen Beamten zur Disposition stellen. Aber das Gesetz von 18201 ist nach Emanation 2 Verfassung erlassen worden; hätte es diese ändern sollen, so hätte as in dem Gesetz seinen Ausdruck finden oder mindestens eine zwei⸗ malige Abstimmung vorgenommen werden müssen. Die Verfassung aber will gerade auch die Beamten gegen solche Mahregeln sicher

stimmen. Er beantrage die Ueberweisung der T . mission von 15 Mitgliedern. 1“

stellen. Ich traue den sämmtlichen Disziplmierte von ihnen trotz des Schicksals, das ihm wsderfahren ist. noß seiiner

Tendenz der Vorlage sehr sympathisch 8 1San9 b gegenüber, we a Fraktion noch nicht mit der Vorlage beschäftigt ö

wächst die Verwahrlosung der Jugend rapid, aber ebenso j 8 dem platten Lande infolge der Vagabundage ., ben escharc 4-

8g

Die Rücksichtslosig⸗