1900 / 20 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 22 Jan 1900 18:00:01 GMT) scan diff

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Deutscher Reichstag.

1081. Sitzung vom 20. Januar 1900, 1 Uhr. Die zweite Lesung des Reichshaushalts⸗Etats für 1900 wird bei dem Etat des Reichskanzlers und der

Reichskanzlei fortgesetzt.

Abg. Dr. Hahn (b. k. F.): Der Bund der Landwirthe hat sich für das Verbindungsverbot und dessen Aufrechterhaltung nicht engagiert. Was ihm und was überhaupt dem Lande mißfällt, ist der Modus, wie die Aufhebung erfolgt ist; wir vermissen bei dem Reichs⸗ kanzler die Konsequenz. Ebenso muß uns in hohem Grade Wunder nehmen, daß der Kanzler jetzt die Sozialdemokratie als eine vorübergehende Erscheinung betrachtet, dieselbe Sozialdemokratie, gegen die er eine Reihe der einschneidendsten gesetzgeberischen Maßregeln in Vorschlag gebracht hat. Waz die auswärtige Politik betrifft, so sagt heute der „Lokal⸗Anzeiger“, daß nicht die Rede des Staatssekretärs Grafen von Bülow, sondern die Rede des Herrn Liebermann von Sonnenberg die Stimmung eines großen Theils der deutschen Nation gekenn⸗ zeichnet habe. Um so mehr bedauere ich, daß man gestern keine Be⸗ sprechung beliebte, um auch die Meinung anderer Parteien zu Worte kommen zu lassen. Sehr zu beklagen ist, daß Graf von Bülow das Machtmittel der Volksstimmung einfach England gegenüber aus der Hand gab. Trotz der schließlich erzielten Erfolge hat der Staats⸗ sekretär die Thatsache nicht aus der Welt schaffen können, daß Eng⸗ land sich erlaubt hat, drei Wochen lang uns eine ganz unerhörte Be⸗ handlung angedeihen zu lassen. Das allgemeine Vertrauen, welches Fürst Bismarck genoß, hat sich leider auf seine Nachfolger nicht über⸗ tragen. Graf Caprivi und Freiherr von Marschall besaßen es nicht. Als dann Fürst Hohenlohe und Graf von Bülow kamen, athmete man auf im Deutschen Reich. Aber die Wege, welche die Politik des letzteren, besonders gegen die Engländer, eingeschlagen hat, mußten abermals allgemeines Kopfschütteln erregen. Man hat einen geheimen Vertrag abgeschlossen mit England, man hat England freundliche Besuche gemacht zu einer Zeit, wo die allgemeine Meinung in Deutschland dahin ging, daß man sich mit England weniger als je einlassen dürfe. Nach dem Telegramm an den Präsidenten Krüger haben wir sogar eine moralische Mitver⸗ antwortung dafür, daß die Buren jetzt im Kampfe für ihre Frei⸗ heit mit den Engländern stehen. Ausschlaggebend sind für die Be⸗ urtheilung der Staatsmänner nach dem Fürsten Bismarck deren An⸗ schauungen auf dem Gebiete der Wirthschaftspolitik. Graf Caprivi schloß den deutsch⸗österreichischen Handelsvertrag, um Oesterreich ‚wirthschaftlich zu stärken; diese für Deutschland Gefahr drohenden wirthschaftspolitischen Bahnen hat auch der jetzige Reichskanzler nicht verlassen. Wir haben Nord⸗Amerika gegenüber den Kürzeren gezogen; die Union chikaniert uns auf alle mögliche Weise bei der Verzollung, mit den Uesprungs⸗Attesten u. s. w., die Ausfuhr deutscher Produkte nach Amerika nimmt ab. Beim Zucker haben die Amerikaner direkte Differenzierung zu unseren Ungunsten eintreten lassen. Aber was geschieht? Nicht etwa rücksichtsloseste Repressivpolitik, sondern ein Fleischschaugesetz, welches nur Amerika zu gute kommt. Wie hat der Staatssekretär Graf von Posadowsly einem solchen Gesetz seine Zustimmung geven können? In dem Verhaltea Deutschlands zu Amertka haben die politischen Rücksichten der auswärtigen Politik die Rücksi ht auf die wirthschaftlichen Anforderungen Deutsch⸗ lands b siegt, ist die Bismarck'sche Tradition völlig verleugnet worden. Gewiß hat die Spiritus⸗, die Zackergesetzgebung auf die Interessen der GLandwirthschaft erhebliche Rücksicht genommen, aber die Transitläger bestehen nach wie vor; auf Mühlen⸗Konten werden die größten Kredite den Interessenten gewährt; der deutsche Eichen⸗ schälwald bleibt ungeschützt: überall wird das Exportinteresse einiger weniger Großbetriebe bevorzugt. Gestern hat der Kanzler auf eine Versammlung im Hannöverschen Bezug genommen; ich bemerke ihm gegenüber, daß mein Freund Dr. Rösicke nicht in der Versammlung geredet hat, in welcher die Resolution gegen den Reichskanzler angenommen wurde. Er hat also diese Resolutson nicht veranlaßt. Die Landwirthe am Niederrhein verlangten in einer solchen Versammlung im Anschluß an die Zentrumspolitik, wie sie sich ausdrückten, daß auch die Landwirthe mit dem Kanzler do ut des- Politik trieben. Ich glaube durchaus nicht, daß das Zentrum jemals do ut des-Politik getrieben hat, aber ich bin verpflichtet, diese An⸗ sicht der rheinischen Landwirthe hier zu erwähnen. So sehr ich meine schwachen Kräfte anstrengte, ich vermochte nicht, sie von der Nichtberechtigung dieses Verlangens zu überzeugen. Es giebt auch viele füddeutsche Landwirthe, die schon die letzte Heeresvermehrung nicht mitmachen wollten. So kann man direkt von einer erbitterten Volksstimmung sprechen. Auch ist an der Küste der Elbe⸗ und Weser⸗

ündung die Stimmung gegenüber dem neuen Flottenplan recht kühl; man chreibt mir direkt, das es damit nichts sei, und daß sich der Wahl⸗ reis sogar nach einem anderen Vertreter umsehen müsse, wenn der isberige Abg. Diedrich Hahn nicht bald einen kräftigeren Ton an⸗ chlüge. Ich lasse mich dadurch keineswegs beirren, ich halte die lottenvermehrung aus nationalen Gründen für selbstverständlich. ie Beiugnahme des Abg. Rickert auf den Fürsten Bismarck, nach dessen Ausspruch einen Getreidezoll von 3 auch der errückteste Agrarier nicht fordern würde, hat heute bei den total eränderten wirthschaftlichen heimischen und internationalen Ver⸗ ältnissen keinen Sinn mehr. Eine Regierung ohne die Agrarier ann ich mir nicht denken; ohne unsere Mitwirkung würde es voll⸗ ommen ausgeschlossen sein, eine Reihe wichtiger Gesetze zu stande zu bringen. Es genügt nicht, daß die Regierun rein äußerlich sich dazu bekennt, Bismarck'sche Politit auch auf wirtgschaftlichem Gebiet u verfolgen; es muß mehr geschehen. Ich freue mich über den Wirthschaftlichen Ausschuß. U'berhaupt haben wir in dem Grafen von Posadowsly einen sehr tüchtigen Berather der Landwirthschaft; eider dringt er mit seinen Anschauungen nicht immer durch. hoffe, daß er mit seinen Anschauungen über die des Auswärtigen Amts und des Staatssekretärs Freiherrn von Thielmann den Sieg davontragen möge.

Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst: 1 Ich nehme das Wort nur, um einen Jerthum des Herrn Vor⸗ redners klarzustellen. Ich habe gestern nicht von Herrn Roesicke ge⸗ sprochen; ich habe nur von einer Versammlung gesprochen, die im Hannöverschen stattgefunden hat, und ich wußte garnicht, daß Herr Roesicke an dieser Versammlung theilgenommen hat. Ich habe diese Versammlung erwähnt, lediglich, um zur Kenntniß des Reichstages eine abenteuerliche Resolution zu bringen, in welcher gesagt worden war, daß ich, der Reichskanzler, Deutschland zu einem Industriestaat machen wollte, indem ich über die Landwirthschaft hinwegginge.

Abg. Bebel (Soz.) führt aus: Schon vor Wochen habe der „Hannoversche Courier“ mitgetheilt, daß kurz vor Ausbruch des englischen Krieges gegen Transvaal 30 000 deutsche Gewehre über

China als Pianos verpackt nach Transvaal verschickt worden seien. Wenn das in deutschen Blättern stehe, sei es doch kein Wunder, wenn die Eagländer mißtrauisch würden und sich vorsähen. Der Abg. von Kardorff gehöre zu jenen Herren, welche schmerz⸗ lich davon berührt seien, daß es kein Scohziaälistengesetz Bis jetzt babe er sich noch immer nicht eines Besseren belehren lassen. Wenn er meine, Fürst Bismarck habe vor der Sozialdemokratie nicht die Waffen gestreckt, so sei das wahr, aber er werde auch nicht behaupten wollen, daß der Fürst in dem Kampfe gegen sie besondere Lorbeeren davon getragen habe. Fürst Bismaick's Politik habe zwei große Niederlagen zu verzeichnen: die im Kulturkampfe und die im Kampfe gegen die Sozialdemokratie. Durch den Kulturkampf sei die Zentrumspartei die ausschlaggebende Partei, durch den Kampf gegen die Sozial⸗ demokraten seien diese die größte Partei im Deutschen Reich geworden, wie die Wahlstimmen bewiesen. Wenn heute ein Sozialistengesetz gemacht würde, dann würde binnen drei Tagen die sozialdemokratische Partei organisiert sein, und der Kampf würde in noch ganz anderer Weise als früher geführt werden. Man spreche immer vom Terrorismus

der Arbeiter; welche Mittel die Sozialdemokraten besitzen sollen, diesen auszuüben, davon schweige man sorgfältig. Man verschweige auch, wie die Strafgesetze gegen die Sozialdemokraten, und nur gegen diese, von den Gerichten ausgelegt und angewendet würden. enn eine Partei gegen die Arbeiter Terrorismus übe, dann sei es gerade die konservative. Könnten die Arbeiter auf dem Lande das Versammlunasrecht, das Koalitionsrecht ausüben, so ständen sie nicht noch unter der Gesindeordnung, an deren Aufhebung nicht zu denken sei? Die Konservativen seien die größten Feinde des land⸗ wirthschaftlichen Arbeiters. Daß sich die Regierunz gegen die An⸗ griffe wegen Aufhebung des Verbindungsverbots vertheidige, sei ihre Sache. Es habe ja doch drei Jahre gedauert, bis das Versprechen eingelöst worden sei und es sei doch, ganz gegen das Versprechen im preußischen Abgeordnetenhause, versucht worden, gegen die Aufhebung reaktionäre Kompensationen einzutauschen. Wäre jene Gesetzesvorschrift allgemein geltend gemacht worden, so hätte sie den Bund der Land⸗ wirthe zu allererst treffen müssen. Unausgesetzt habe dieser das Verbot übertreten, ohne daß von einer Verfolgung die Rede war. Was hätten die Sozialdemokraten von der Aufhebung des Ver⸗ bindungsverbots gehabt? Die ganze sozialdemokratische Fraktion habe Aenderungen an ihrer Organisation nach Aufhebung desselben für unnöthig erachtet. Wenn man also glaube, daß durch diese Ecrungenschaft die Sotaldemokratie neue Machtmittel in die Hände bekommen habe, so täusche man sih. Der Kanzler habe die Meinung des Kaisers übernommen, daß die Sz'ial⸗ demokratie eine vorübergehende Erscheinung sei, die sich austoben werde. Die Sozialdemokratie werde aber erst auflösen, wenn sie ihr Endziel erreicht habe, dann habe ihre Existenz⸗ berechtigung mit ihrer Existenznothwendigkeit aufgehört. Aber in ab⸗ sehbarer Zeit mit dem Verschwinden der Sozialdemokratie rechnen zu wollen, sei eine Täuschung derer, welche die elementarsten Begriffe der Entwickelung verkannten. Uebrigens habe es friher geheihen, die Sozialdemokratie sei eine Sorte Menschen, nicht werth, den Namen Deutsche zu tragen, oder jeder Sozialdemokrat sei ein Reichs⸗ und Vaterlandsfeind. Nachdem auch der Kanzler sich mit diesem Aus⸗ spruch des Kaisers einverstanden erklärt habe. . (Präsident Graf von Ballestrem erklärt, wenn der Redner sich auf die Worte des Reichskanzlers beziehe, werde er ihn nicht unterbrechen; wenn er sie aber als eine Aeußerung Seiner Majestät des Kaisers bezeichne, so könne er das nicht zulassen, denn sie habe nicht im „Reichs⸗Anzeiger“ gestanden.) Bei der Wichtigkeit derartiger Aeußerungen für das öffentliche Leben werde er (Redner) es sih überlegen, ob er künftig auf den „Reichs⸗Anzeiger“ abonnieren solle. Nachdem der Reichskanzler jene Aeußerung seinerseits acceptiert habe, werde doch wohl auch die Zeit vorbei sein, wo er mit Umsturz⸗ gesetzen und ähnlichen Vorlagen vorgehe. Der Staatssekretär Graf von Posadowsky schildere die Entwickelung der Sozialdemokratie auch nicht ganz zutreffend. Das Hauptresultat der letzten Gewerbezählung sei, daß in dem kurzen Zeitraum von 14 Jahren die Zahl der selbständigen wirthschaftlichen Existenzen ganz enorm abgenommen habe; das sei die Folge der kapitalistischen Entwickelung und der Hauptgrund für die Eatwickelung der Sozialdemokratie. Diese werde eine Politik, welche Deutschland ein agrarisches Land, also ein armes Land bleiben lassen wolle, welche das durch eine Politik der Theuerung zum Nachtheil der arbeitenden Klassen erreichen wolle, nach wie vor bekämpfen. Der Abg. von Kardorff spreche vom Kampf gegen das Großkapital. Habe nicht der Abg. von Kardorff in innigster Gemeinschaft mit Herrn von Bleichröder in der Gründer⸗ zeit sich ganz hervorragend an der Gründung der Laurahütte und zahl⸗ reicher anderer Gründungen bethätigt? Habe er nicht die kolossalsten Gründergewiane eingesteckt (Abg. von Kardorff: Nein!) und beziehe er nicht noch jetzt als Aufsichtsrath der Zmkhütte jährlich 27 000 Tantiome? Habe der Abg. von Kardorff nicht sogar erklärt, er müsse seinen parlamentarischen Einfluß auch in materieller Hinsicht aus⸗ nützen? Der Abg. von Kardor habe sich redlich bemüht, für den Kapitalismus zu arbeiten, er sei einer der Väter der Sozialdemokratie.

Abg. von Kröcher (d. kons.); Gewiß ist wie alles, wie auch die französische Revolution, die Sozialdemokratie eine vorübergehende Er⸗ scheinung; aber sie birgt auch Gefahren in sich, welche die Regierung zu bekämpfen suchen sollte. Statt das zu thun, hat sie zwei Dinge geschehen lassen, welche die Sozialdemokratie fördern mußten. Wollte man auf der Arbeitswilligenvorlage nicht bestehen, dann hätte man sie doch besser gar nicht einbringen sollen; die einfache Hin⸗ nahme der Ablehnung ist eine Förderung der Sozialdemokratie. Auch auf das ausgepustete Ei des Verbindungsbots muß ich zurückkommen. Wir wollten durchaus, daß der Reichskanzler sein Versprechen einlöste; wir bedauern nicht so sehr die Aafhebung, als den Zeitpunkt, in dem si⸗ geschehen ist. Glaubte er, das Ver⸗ sprechen geben zu müssen, dann sollte er die Aufhebung gleich herbei⸗ führen und nicht warten, bis er es in der letzten Minute thun mußte. Wäre der Kanzler wegen dieses Versprechens abgetreten, so wäre es von dem neuen Kanzler auch nicht zecht gewesen, wenn er das Versprechen des Vorgängers nicht hielt; es sei denn, daß ein völliger Systemwechsel eintrat. Regie⸗ rungen sollen sich überhaupt nicht ohne Noth vinkulieren; Regierungen sollen mehr durch Thaten als durch Worte sprechen. Graf Posadowsky zitiert das Wort des Fürsten Bismarck: Politik ist die Kunst des Möglichen. Es kommt nur darauf an, was man für möglich hält. Ich glaube nicht, daß die beiden Heroen der beiden letzten Jahrhunderte, Friedrich der Große und Bismacck, das für Deutschland geleistet hätten, was sie geleistet haben, wenn sie diesen kühlen Begriff über Möglich und Unmöglich gehabt hätten wie der Staatssekretär Graf von Posadowsky.

Abg. Fürst von Bismarck (b. k. F.): Der Abg. Bebel hat gesagt, der erste Reichskanzler habe sich mit dem Sozialistengesetz keine besonderen Lorbeeren erworben. Das ist Ansichtssache. Der erste Reichskanzler hat oft erklärt, daß ihm viel mehr an der Anerkennung seines Allerhöchsten Herrn gelegen wäre, und von diesem hat er so viel Lorbeeren und Anerkennung für seine Haltung in Bezug auf das Sozialistengeset gehabt, wie kein anderer Minister je von seinem Souverain. Wenn das Sozialistengesetz schließlich nicht so wirksam war, wie es ursprünglich gedacht und ein⸗ gebracht war, so trug der damalige Reichstag die ganze Schuld. Er hat nicht nur das erste Sozialistengesetz abgelehnt, sondern auch das zweite wesentlich abgeschwächt. Es stand dem Abg. Rickert vor Weihnachten nicht wohl an, zu sagen, das Sozialistengesetz habe nicht nur nicht gewirkt, sondern die Sozialdemokratie befördert, da er selbst mit der Reichstagsmehrheit die Vorlage der Regierung wesent⸗ lich abgeschwächt hat. Hätte die dam lige einheitliche, starke Re⸗ gierung die freudige Zustimmung der Mehrheit der Ordnungsparteien gehabt, so wäre der Verlauf der Wahlen ein anderer gewesen. Was die Zahlen der Sozialdemokratie anbetrifft, so ist schon von anderen Rednern und auch vom Regierungstische darauf hin⸗ gewiesen worden, daß man sämmtliche sozialistische Stimmen den überzeugten Anhängern der Partei nicht zuzählen darf. Graf Posadowsky hat mit Recht gestern von den vielen Unzufriedenen aus den Staatsbetrieben gesprochen, die ihrerseits gewiß nicht Sozial⸗ demokraten in dem Sinne sein wollen, daß sie die letzten Konsequenzen ziehen möchten in dem, was Herr Bebel heute wieder als Endziel proklamiert hat. Ich will nicht sagen, auf die Hälfte, aber auf einen sehr erheblichen Bruchtheil der Stimmen können Sie nicht unbedingt rechnen in Ihrem Zukunftsstaat. Wenn der Abg. Bebel fälschlich sagte, daß bis zum Jahre 1890 das Sozialisten⸗ gesetz die Zahl der Sozialdemokraten vermehrt hätte, so ist dem ent⸗ schieden zu widersprechen. Der große Aufschwung, den die sozia⸗ listischen Stimmen 1890 nahmen, war dadurch bedingt, daß es schon bekannt war, es würde eine andere Haltung der Regierung eintreten und kein Sozialistengesetz mehr eingebracht werden. Das war bei den Wahlen namentlich den Parteiführern bekannt. Ich möchte dabei noch einer Legendenbildung ent⸗ gegentreten. Es ist vielfach, auch in Schriften von Lehrern der sozialpolitischen Wissenschaft, gesagt worden, Fürst Bismarck hätte das Soztalistengesetz nicht verlängern wollen. Das ist ein Irrthum. Der erste Reichskanzler hat seinerseits taktisch immer daran festgehalten, daß er als Präsident Bundesraths nicht vor

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wollte,z wenn er sie auch sehr wohl vor einem Plenarbeschluß machen wollte. Er hat dem damaligen Führer der konservativen Partei zu verstehen gegeben, daß, wenn das Plenum das Gesetz damals so an⸗ nehmen würde, wie die Nationalliberalen es wollten, und wenn dafür eine Mojorität vochanden sein würde, die Regierung es acceptteren würde; er könne aber nicht von Bundesraths wegen sofort erklären: wir beuger uns vor dem Kommissionsbeschluß. Ich kann Ihnen von den wenigen klassischen Zeugen aus den da⸗ maligen Verhandlungen den vor mir sitzenden Herrn von Kardorff nennen, der damals in Friedrichsruh und Berlin thätig gewesen ist. Wenn das Sozialistengesetz damals verlängert worden wäre, und wenn die damaligen Kartellparteien sich auf den einzig möglichen Standpunkt gestellt hätten, so würde wahrscheinlich die Wahl eine andere gewesen sein. Wenn der Abg. Bebel in sehr hohen Tönen davon sprach, daß ein Sozialistengeset wesentlich zur Stärkung seiner Partet beitragen würde, so müßte er logischerweise selbst eins einbringen. Wenn es Ihnen aber keinen Nuten bringt, so ist es verständlich, daß Ihre Presse sowie die Presse der radikalen Linken sich auf das schärfste gegen ein solches Gesetz ver⸗ wahrt. Aber das Sozialistengesetz hatte vom staatlichen Standpunkt aus wenigstens den Nutzen, daß es Klarheit schaffte für die unsicheren und ununterrichteten Leute im Lande, wie die Regierung der Sozial⸗ demokratie gegenüber steht. Jetzt ist das nicht der Fall, ist vielfach verwischt, die Zeitungen werden wenig gelesen oder mißverstanden, Klarheit ist nicht vorh.mnden. Daß Herr Bebel in üblicher Weise alles heruntergerissen hat, was für die Arbeiter geschehen ist, sind wir an ihm gewohnt. Er meint, zufrieden würden wir ihn nie stellen; das ist auch schön, denn mit der Zufriedenheit hört das Streben auf. Aber die berechtigten Wäünsche, wie sie seitens der wohlmeinenden, man kann sagen, väterlichen Regierung des ersten Deutschen Kaisers anerkannt wurden, sind im Deurschen Reich in einem Maße befriedigt, wie in keinem anderen Lande. Seldst ein gereifter Mann, wie der Abg. Bebel, wird zugeben ich will den Gemeinplatz nicht wiederholen: Rom ist nicht an einem Tage erbaut worden —, daß doch sehr viel erreicht ist. Oo man das dem Streben der Sozialdemokratie verdankt, darüber will ich nicht streiten. Aber die Herren sollten die uabestreitbare Thatsache aner⸗ kennen, daß in den letzten 20 Jahren in keinem Staat so viel für die arbeitenden Klassen geschehen ist wie im Deutschen Reich. Die be⸗ rechtigten Wünsche sind möglichst berücksichtigt, und das Korrelat war die Repression gegen die Fuͤhrer der trregeleiteten Massen. Die irre⸗ geleiteten Massen sollten mit landesväterlicher Fürsorge behandelt werden, wie es in der November⸗Botschaft des alten Kaisers dargelegt war. Wenn der Abg. Bebel dem ersten Reichskanzler alle möglichen Motive unterschob, namentlich bezüglich der Schutzzollgesetzgebung, so war dessen Leitmotiv jedenfalls nicht, Geld zu schaffen nur füͤr die Armeevermehrung, sondern sein warmes patriotisches Herz wollte für den Wohlstand der Nation sorgen. Seiner Zeit mußten die Hoch⸗ öfen ausgeblasen werden, weil die Eisenzölle fielen. Die land⸗ wirthschaftlichen Zölle wurden erst später in die Diskussion eworfen. Die Arbeiter wurden durch das Ausblasen der Hochöfen arbeitslos. Daz Motiv war also nicht die an sich übrigens nicht verwerfliche Idee, Geld zu gewinnen, um die so theure Armee zu bezahlen, sondern für die Arbeiter zu sorgen, die schutzlos der Konkurrenz des Auslandes preisgegeben waren. Eine gestrige Aeußerung des Herrn Reichskanzlers kann von den Zeitungslesern irrthümlich ausgelegt werden. Er sagte nach dem Be⸗ richt eines hochoffiziösen Blatts, der „Neuesten Nachrichten“: „Ich halte es nicht für zweckmäßig, wenn die konservalive Partei oder einzelne ihrer Mitglieder solche Machtmittel in Form von Gesetz⸗ entwürfen jahraus jahrein an die Wand malen, besonders wenn diese Entwürfe schließlich die Zustimmung des Reichstages nicht finden.“ Mir ist nicht bekannt, daß irgend ein Mitglied der konser⸗ vatwen Partei Gesetzentwürfe an die Wand gemalt habe, d. h. beantragt habe, welche die Zustimmung des Reichstages nicht fanden. Wohl aber ist dies dem Herrn Reichslanzler selbst mit drei Gesetz⸗ entwürfen innerhalb weniger Jahre passiert. Am 12. Januar 1895 sagte der Reichskanzler: „Dies ist das Mindestmaß desjenigen, mit dem die Regierung sich begnügen kann.“ Dieses Mindestmaß wurde zwei Monate darauf unter dem Hohngelächter des Reichstages in Paragraphen dutzendweise abgelehnt, und der Rest war Schweigen. Wenn Graf Posadowsky es für ein sittliches Erforderniß für die Regierung hielt, nach Ablehnung des Vereinsgesetzes das Verbindungs⸗ verbot aufzuheben, i

einem Kommissionsbeschluß des Reichstages eine eüar gits machen

so sind wir ja alle der Meinung, daß das Verbindungsverbot den Ausdruck von dem ausgepusteien Et wohl verdiente. Wir wenden uns nur gegen den modus procedendi dabei. In Bezug auf die „vorübergehende Erscheinung“ der Sozlaldemokratie stimme ich Heren von Kröcher bei und hoffe, daß der Reichskanzler damit Recht haben möge. Vorübergehend ist auch die französische Revolution gewesen, es kommt nur darauf an, was übrig bleiot. Niemand wäre befriedigter als wir quälte sich doch nie⸗ mand gern, auch hier nicht im Reichstage —, wenn wir uns nicht mehr mit der Sozialdemokratie zu quälen hätten. Aber der Glaube an die Theorie der Mauserung ist durch den letzten sozialdemokratischen Parteitag in Hannover grausam zerstört worden. Wenn die Führer, die ja zu ehrlich sind, um das zu thun, zugäben: wir wollen doch eine radikale Reformpartei werden, dann wäre die Sozialdemokratie vorübergehend. Die Herren stellen sich aber außerhalb der Verfassung ich gehe nicht soweit zu sagen außerhalb der Gesetze und bekennen durch ihre Haltung und Worte, daß sie Republikaner sind; das sind ja olle Kamellen. Wenn die Sozialdemokratie sich zu einer radikalen Resormpartei mausern könnte und die Verfassung anerkennen wollte, dann wollte ich die Theorien begrüßen, die gestern vom hohen Bundesrath dargelegt sind. Bei meiner Verehrung für den Grafen Posadowsky ich bin auch über⸗ zeugt, daß gerade die Landwirthschaft keinen besseren Freund im Ministerium hat als ihn kann ich seine Deduktionen über die Sozialdemokratie doch nicht vorübergeben lassen. Sollte seine Theorie acceptiert werden, so müßten wir erst eine parlamentarische Regierung haben. Das geht in Ländern wie Frankreich und England, wo die jeweilige Mehrheit den Regierun sausschuß ernennt. Da hat auch das ganze Parlament und felbst die Wähler eine ganz andere Verantwortung, aber bei uns mit monarchischer Regierung ist es Pflicht für die Beamten der Regierung, die Führung zu behalten und aufklärend, bändigend und repressiv zu wirken, nicht die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: es empfiehlt sich, vorläufig einmal die Dinge laufen zu lassen, bis die Mehrheit der Bevölkerung besser informiert ist. Graf Posadowsky hat gestern als negative Seite die Möglichkeit offen gelassen, daß auch mit Repressionen gegen die Führer, welche die Massen irreleiten, eingeschritten werden könnte. Pabei hoffe ich wenigstens, daß die Dinge nicht gar zu weit gehen. Graf Posadowsky sagte, daß die Erfolge des ersten Reichskanzlers bedingt seien durch ein Fe Zusammen⸗ treffen großer geschichtlicher Ereignisse. iese Ereignisse sind doch aber in gewissem Sinne erst herbeigeführt worden. (Staats⸗ sekretäur des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posa⸗ dowsky⸗Wehner: Natürlich.) In der Rede steht es aber so, als ob diese Ereignisse unabhängig von dem ersten Reichs⸗ kanzler gekommen wären. Und wenn solche Ereignisse auch von einem Minister nicht geschaffen wurden, so mußte er doch im stande sein, diese wahrzunehmen und auszunutzen; ich verlange garnicht einmal, daß er sie selbst herbeiführte. Ich glaube im Sinne des Grafen von Posadowsky zu handeln, wenn ich seine Worte so interpretiere. (Zu⸗ stimmung des Staatssekretärs Grafen von Posadowsky). Um die gestrige Haltung meiner Freude zu rechtfertigen, erinnnere ich an die Worte des Grafen Bülow: „Mit der Rücksicht auf den Ernst der gesammten politischen Lage u. s. w.“ Wenn der Leiter der auswärtigen Politik sich so aussprach, sollte das dem Reichstage genügen, und man sollte eine solche Sache nicht noch breiter treten. Ich bin in der⸗ selben Lage, wie der Abg. Bebel, die Interpellation nicht unter⸗ schrieben zu haben; das erklärt sich aber daraus, daß ich keiner Fraktion angehöre. Die Erklärungen der Regierung lauteten be⸗ friedigend; man konnte in so ernster, schwieriger Situation nicht mehr verlangen. Auch die Abgg. Hahn und von Liebermann