Es mag für die die so begeistert für diese Bestimmun eintreten, darin eine gewisse persönliche Genugthuung liegen, aber für unser Volksleben wird dabei nichts erreicht. Ich wende mich noch einmal an Ihre politische Einsicht, ob es nicht richtiger ist, das zu nehmen, worin die verbündeten Regierungen mit Ihnen einverstanden sind, oder weitere Forderungen zu stellen, die eine Aussicht auf Ver⸗ wirklichung nicht haben. (Sehr richtig! rechts.)
Nun hat der erste Herr Redner heute gesagt, er und seine Gesinnungsgenossen würden bei ihrer Forderung stehen bleiben auf die Gefahr hin, daß die Vorlage scheitert; wenn es heute nicht wird, wird es in Zukunft doch zur Erfüllung ihrer Wünsche kommen. Ich kank gegen die Zuversicht des geehrten Herrn hier nichts sagen; man soll bekanntlich auch niemals sagen, daß niemals etwas Bestimmtes geschehen werde. Aber das kann ich erklären, daß die Auffassung der verbündeten Regierungen in dieser Frage grundsätzlich so fest steht, nicht getragen von Opportunitätsrücksichten, sondern von grundsätzlichen Anschauungen, daß nach meiner Ueberzeugung keine Aussicht ist, daß auf absehbare Zeit etwas im Sinne des Kommissionsbeschlusses zu stande kommen wird. (Hört! hört!)
Lassen Sie mich das noch mit wenigen Worten rechtfertigen, damit nicht der Standpunkt der verbündeten Regierungen so ausgelegt werden kann, als wenn wir weniger als andere Leute im Lande geneigt wären, den Werth der Sittlichkeit für das Wohl der Bevölkerung zu schätzen, zu vertreten und zu wahren. Die Kommissionsvorlage, wie sie zur Diskussion steht, läßt sich nur unter folgenden Gesichts⸗ punkten rechtfertigen, deren Berechtigung ich, weil die thatsächlichen Voraussetzungen unrichtig, allesammt bestreiten muß. Man geht davon aus, daß zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeiterin ein ge⸗ wisses Pflichtverhältniß bestehe, das dem Arbeitgeber besondere Rück⸗ sichten auferlege und das durch den Arbeitgeber verletzt werde, wenn er der sittlichen Ehre der Arbeiterin zu nahe tritt. Eine solche Supposition ist gegenüber den thatsächlichen Verhältnissen unberechtigt. Leider bestehen derartige Pflichtverhältnisse im Arbeitsverkehr im Großen und Ganzen nicht mehr. Wo sie noch bestehen, beziehen sie sich auf so enge Lebensgebiete, daß sie eine Vorschrift, wie sie hier von so allgemeiner Tragweite vorgeschlagen wird, niemals begründen können. Wir müssen unsere strafgesetzlichen Bestimmungen aber an⸗ schließen an das, was im Leben die Norm ist, nicht an das, was die Ausnahme bildet. Die Voraussetzung Ihres Kommissionsbeschlusses in dieser Beziehung ist aber die Ausnahme und nicht die Regel des Lebens.
Sodann hat der Herr Abg. Heine in seinen Ausführungen vorhin darauf zurückgegriffen, daß zwischen Arbeitgeber und Arbeiterin ein Abhängigkeitsverhältniß bestehe derart, daß die Arbeiterin bis zu einem gewissen Grade ihm gegenüber willenlos sei, daß diese schwache recht⸗ liche Stellung geschützt werden müsse durch ein Gesetz dieser Art. Meine Herren, für die große Mehrzahl unserer Arbeitsverhältnisse be⸗ streite ich diese Abhängigkeit. (Sehr richtig!) Jeder, der im Leben steht, wird sich sagen, daß unsere Arbeiter jetzt rechtlich und, ich glaube auch wohl hinzufügen zu können, thatsächlich der Regel nach so frei stehen, daß niemand genöthigt ist, sich den Gelüsten des Arbeitgebers zu unter⸗ werfen. (Sehr richtig!) Ich will gerne zugeben, daß in einzelnen Theilen des Landes, in gewissen vereinzelten Industrien, auch in ein⸗ zelnen sonstigen Gewerben ausnahmsweise andere Verhältnisse vor⸗ liegen. Der Regel nach werden sie aber nicht vorliegen, der Regel nach steht die Arbeiterin dem Arbeitgeber der Art gegenüber, daß sie sich seinen Versuchen sehr wohl entziehen kann, wenn sie den moralischen Muth dazu überhaupt besitzt. Und diesen moralischen Muth müssen wir bei unserer Bevölkerung voraussetzen. Die Vorlage der Kom⸗ mission hat allerdings, um Einwendungen in diesem Punkte zu be⸗ gegnen, versucht, noch eine besondere Restriktion, wenn ich so sagen soll, an die Bestimmung zu knüpfen, indem sie sagt, es müßte unter allen Umständen die Verführung, die hier strafbar gemacht werden soll, vor sich gehen unter Mißbrauch der wirthschaftlichen Abhängigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeiterin. Ich bin mir bis heute noch nicht klar darüber geworden, wie in der Praxis diese Verletzung einer vermeintlichen wirthschaftlichen Abhängigkeit nachgewiesen werden soll. Wenn Fälle dieser Art vor die Gerichte kommen, dann muß nachgewiesen werden, einmal, daß der Arbeitgeber seine Arbeiterin entweder durch Zuwendung von Vortheilen oder durch Verhängung von Nachtheilen hat verführen wollen, zweitens, daß er sie verführt hat, und drittens, darüber hinaus, als ein besonderes Thatbestandsmerkmal, das objektiv dem Richter nachgewiesen werden muß —, daß die Arbeiterin sich hier befunden hat in einer durch das Arbeits⸗ und Dienstverhältniß begründeten wirthschaftlichen Abhängigkeit und daß diese thatsächlich mißbraucht worden ist. Ich habe mir Mühe gegeben, einen Fall zu konstruieren, in welchem dem Gerichtshofe nachgewiesen werden kann, daß der Arbeitgeber der Arbeiterin nicht nur einen Verführungslohn zugewendet, sondern außerdem noch etwas gethan hat, wodurch das im Dienstverhältniß begründete wirthschaftliche Abhängigkeitsverhältniß mißbraucht wird. Ich habe mir nicht klar machen können, wie dem Richter dieser Nachweis erbracht werden soll. Nach meiner Meinung würde der Paragraph, wenn er, so wie er hier vorgelegt ist, ange⸗ nommen werden sollte, in der gerichtlichen Praxis kaum eine Ver⸗ werthung finden können. Weiter, meine Herren, liegt dem Vorschlag Ihrer Kommission der Irrthum zu Grunde, als wenn gerade in dem Verhältniß der Arbeitgeber zur Arbeiterin eine besondere Abhängigkeit begründet wäre, die Angriffe auf die Ehre der Arbeiterin erleichtert, während in anderen Verhältnissen, in den Verhältnissen insbesondere einer Arbeiterin zu Beamten und Arbeitern aus anderen Geschäften, in anderen Betriebszweigen, oder in den Verhältnissen eines Arbeiters zu einer Arbeiterin innerhalb derselben, Arbeitsstätte solche Verhältnisse nicht vorlägen. Auch das ist ein thatsächlicher Irrthum. Wenn Sie sich die Zustände in solchen Betriebszweigen vergegenwärtigen, in denen es unvermeidlich oder hergebracht ist, daß ein Arbeiter einer Arbeiterin an die Hand gehen muß, daß sie sich gegenseitig unter⸗ stützen müssen, wie das z. B. in der Textilindustrie, im Gast⸗ wirthschaftsgewerbe noch vielfach vorkommt, wie das bei vielen Arbeiten in der Landwirthschaft ebenso der Fall ist, — in allen derartigen Arbeitsverhältnissen läßt sich vielfach zwischen Arbeiter
und Arbeiterin eine Abhängigkeit erkennen, die nicht minder schwer wiegt, vielleicht schwerwiegender ist, als die Abhängigkeit der Arbeiterin gegenüber dem Arbeitgeber und seinen Beamten, denn der Arbeiter, der sich der Mitarbeiterin unsittlich zu nähern sucht, wird jeden Augenblick in die Lage kommen, der Arbeiterin ihre Stellung so zu erschweren, ihre angebliche geringe Brauchbarkeit dem Arbeit⸗
] geber gegenüber so darzustellen, daß die Arbeiterin leicht in Gefahr
kommt, zwischen ihrer Stellung und ihrer Ehre wählen zu müssen. Wie soll es denn nun gerecht sein in dem einen Falle, wo die Abhängigkeit von dem Arbeitgeber mißbraucht wird, den Mißbrauch zu bestrafen, in dem anderen Falle, wo die Ab⸗ hängigkeit einem Mitarbeiter gegenüber bervortritt und von diesem zum Nachtheil der weiblichen Ehre ausgebeutet wird, den gleichen Mißbrauch straflos zu lassen? Wer kann das vor der Gerechtigkeit rechtfertigen? Das heißt doch, die⸗ selbe That, die dem Arbeitgeber gegenüber strafbar er⸗ scheint, dem Arbeiter gegenüber straflos erscheinen zu lassen. Nun hat der Herr Abg. Heine allerdings gesagt, es käme auch zwischen Arbeiter und Arbeiterin so etwas vor, das wäre dann aber meist ein grober Scherz, während, wenn es zwischen einem Arbeitgeber und zwischen einer Arbeiterin passierte, eine schwere Beleidigung der Persönlichkeit vorliege. Ich stehe nicht auf diesem Stand⸗ punkt, ich schätze die Ehre der Arbeiterin dem Arbeit⸗ geber und dem Arbeiter gegenüber nicht verschieden ein, sie ist für mich gleich hoch, und ich wünsche, wenn sie überhaupt durch das Strafgesetz geschützt werden soll, daß sie gegenüber den vermeintlichen groben Scherzen gerade so geschützt wird, wie gegenüber Beleidigung durch den Arbeitgeber. Wohin aber wird die Bestimmung in der Praxis führen? In der Praxis wird es dahin kommen, daß in solchen Fällen, in denen der Arbeitgeber persönlich betheiligt ist, so daß man glaubt, vom Arbeitgeber selbst etwas herausschlagen zu können, der Weg der Strafverfolgung versucht werden wird, in den Fällen dagegen, in denen eine solche Aussicht nicht besteht, weil man nur einen kleinen Beamten oder Aufseher vor sich hat, werden die betreffenden Personen ihre Schande verschweigen. Da wird der Paragraph nicht in Anwendung gebracht werden, weil niemand ein Interesse an der Strafverfolgung zeigt und der Staatsanwalt die Sache zu verfolgen nicht in der Lage ist, bevor der Antrag auf Straf⸗ verfolgung eingegangen ist.
Derartige Experimente der Gesetzgebung können die verbündeten Regierungen nicht mitmachen, so sehr sie mit dem hohen Hause dahin einverstanden sind, daß auf diesem Gebiete Mißstände vorliegen, die schwer auf der Sittlichkeit unseres Volkes lasten.
Meine Herren, wenn Sie irgend einen brauchbaren Weg der Gesetzgebung hier bezeichnen könnten, so würden die verbündeten Regierungen ihn mit Ihnen gehen, aber sie werden keinen Weg gehen, der äußerlich aussichtslos wie innerlich ungerecht ist. So sehr sie mit Ihnen die gemeinen und verächtlichen Schurken verurtheilen, die es wagen, die Stellung einer Arbeiterin in ihrem Geschäft derartig zu mißbrauchen, so werden sie doch immer überlegen müssen, ob die Vorschläge, die zur Abwehr ge⸗ macht werden, praktisch brauchbar und in sich gerecht sind. Das ist von diesem Vorschlag nicht zu sagen, er ist unbrauchbar, er ist unge⸗ recht, deshalb kann ich Ihnen nicht die Aussicht eröffnen, daß die ver⸗ bündeten Regierungen ihre Zustimmung zu einem dahin gehenden Be⸗ schluß des Hauses geben werden. (Bravo!)
Abg. Roeren (Fantr) den Erklärungen der Regierung ist es ja eigentlich zwecklos, sich noch über die Einzelheiten der Fassung zu unterhalten. Wenn der Staatssekretär die Fassung für so kautschuk⸗ artig erklärt, so übersieht er doch offenbar den § 825 des Bürger⸗ lichen Gesecbuche der ebenfalls von dem Mißbrauch des wirthschaft⸗ lichen Abhängigkeitsverhältnisses bei Erzwingung des Beischlafes spricht. Seine Majestät der Kaiser hat am 23. Oktober 1891 in einer Kabinetsordre ausdrücklich ein energisches Vorgehen zur Be⸗ kämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit gefordert. Ein energisches Vorgehen haben aber bei der Berathung des Gesetzes die verbündeten Regierungen nur da entwickelt, wo es sich um Abschwächung des⸗ selben handelte. Diese Haltung ist um so bedauerlicher, weil alle ihre Gründe gegen ein eben so niedriges, wie strafwürdiges Vergehen nicht stichhaltig sind; diese ihre Haltung muß nothwendig zu einer Ver⸗ wirrung der sittlichen Begriffe in der Bevölkerung führen. Die Rechts⸗ lage ist jetzt die: Der Versuch des Verbrechens, welches wir hier treffen wollen, ist nach § 185 strafbar; das vollendete Verbrechen ist aber straf⸗ frei. Soll das so bleiben? Was die Furcht vor Denunziationen und Er⸗ pressungen betrifft, so hat schon der Abg. Heine treffend auf den Majestäts⸗ beleidigungs⸗Paragraphen hingewiesen. Heute genügt die bloße Anzeige der unsittlichen Handlung; nach unserem Antrage muß der Mißbrauch des Dienst⸗ oder möhe— 3 —ener angegeben und unter Beweis gestellt sein, also eine große Anzahl weiterer Thatbestands⸗ merkmale wird verlangt. Nun soll der Antrag eine gewisse Gehässig⸗ keit gegen den Arbeitgeber athmen, ein Mißtrauensvotum gegen diesen Stand darstellen. Unter diesem Gesichtspunkt müßte man doch die ganze Gewerbeordnung ebenso qualifizieren. Die Kommission hat den § 182a mit großer Mehrheit angenommen; ich bitte auch das Plenum, so zu beschließen.
Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren, ich habe vorhin die Fassung der Kommissions⸗ vorlage bemängelt, indem ich bemerkte, daß der Satz, der sich in dieser Vorlage befindet:
unter Mißbrauch einer durch das Arbeits⸗ oder Dienstverhältniß be⸗
gründeten wirthschaftlichen Abhängigkeit für mich nicht verständlich sei. Der Herr Vorredner hat über diese meine Ausführung sich gewundert, da derselbe Satz, den ich hier be⸗ mängelt habe, sich bereits im Bürgerlichen Gesetzbuch, und zwar im § 825, befindet. Wenn der Herr Abg. Roeren die Güte haben will, die beiden Bestimmungen zu vergleichen, dann, glaube ich. wird er sich überzeugen, daß es doch nicht dasselbe ist und daß ich mit meiner Be⸗ mängelung der Kommissionsvorlage Recht hatte. Der Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuchs, um den es sich hier handelt, sagt ganz ein⸗ fach, ohne Rücksicht auf Arbeiter und Arbeitgeber:
Wer eine Frauensperson. . unter Mißbrauch eines Ab⸗
hängigkeitsverhältnisses zur Verführung bestimmt, u. s. w. Ja, meine Herren, da ist das sehr gut verständlich, da giebt es nur zwei thatsächliche Momente, die nachgewiesen werden müssen: die Ver⸗ führung und der Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses. Hier in dem Kommissionsbeschluß habe ich: zanächst das Verhältniß von Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, zweitens die Verführung, drittens die Zuwendung von Vortheilen oder Nachtheilen, und viertens soll daneben noch ein neues, davon unabhängiges thatsächliches Moment treten, die Verletzung einer besonderen wirthschaftlichen Abhängigkeit. Worin das letztere liegen soll, das, meine Herren, begreife ich nach wie vor nicht. Wenn der Paragraph so lautete wie das Bürgerliche Gesetzbuch, würde ich ihn verstehen, so kann ich ihn nicht verstehen.
Dann hat der Herr Abgeordnete sein Befremden ausgesprochen über die Tendenz, die von seiten der verbündeten Regierungen bei der Berathung dieser Vorlage beobachtet werde. Meine Herren, ich glaube, der Herr Abgeordnete hätte dazu keine Veranlassung gehabt, nachdem die Vorlage der verbündeten Regierungen in vielen Punkten gerade den⸗
jenigen Wünschen entgegengekommen ist, die seine Partei hier im Hause
Jahre lang vertreten hat. — Wenn wir bei diesem Entgegenkommen über ein gewisses Maß nicht hinausgegangen sind, so sind wir uns der Gründe dafür vollkommen klar gewesen, und ich habe auch hier im Hause bei der ersten Lesung der Regierungsvorlage ausdrücklich gesagt, daß wir bei aller Bereitwilligkeit, den Wünschen großer Parteien dieses Hauses unsere Hilfe zu leihen, doch nicht in der Lage seien, im wesentlichen weiter zu gehben, als die Vorlage es aussprichtt. Wenn wir im weiteren Verlaufe der Ver⸗ handlungen deshalb Verschärfungsversuche abgewiesen haben, so ist unsere Stellung in dieser Beziehung durchaus verständlich und konsequent.
Wenn der Herr Abg. Roeren sagt, daß diese Stellung der ver⸗ bündeten Regierungen geeignet sei, Verwirrung im Lande über Sittlichkeitsbegriffe herbeizuführen, so ist mir das vollends unbegreif⸗ lich. Meine Herren, wir sind so weit gegangen, daß wir in die Re⸗ gierungsvorlage über das Wohnen der Dirnen eine Bestimmung auf⸗ genommen haben, die gerade aus den Anträgen der Partei des Herrn Abg. Roeren selbst herstammt (Zurufe aus der Mitte), die etzt aber von seiten des Herrn Roeren bekämpft wird. Diejenigen Herren, die in dieser Weise bei einer
wichtigen Frage der Sittenpolizei ihren Standpunkt fundamental
ändern, sind, glaube ich, am letzten berufen, uns vorzuwerfen, daß unsere Haltung geeignet sei, die Sittlichkeitsbegriffe im Lande zu verwirren.
Abg. Dr. Esche (nl.) bedauert namens eines großen Theils seiner Freunde die ablehnende Haltung der Regierung zu § 182a. Nach der Meinung des Redners sei die Bestrafung dieses Delikts um so nothwendiger, als es sich auch vielfach um Ausbeutung der Noth⸗ lage, des Leichtsinns und der Unerfahrenheit handle, und diese Vor⸗ aussetzungen zu einer besonders strengen Strafgesetzgebung gegen den Wucher geführt hätten. Redner erklärt sich für den Antrag Beckh, aber gegen die Anträge der sozialdemokratischen Abgg. Albrecht und Genossen. Hoffentli bis zur dritten Lesung eine Verständigung erreichen lassen.
Abg. Stoecker (b. k. F.): Nicht allein die qualifizierten Aus⸗ wüchse, wie sie im Kupplerthum und Zuhälterthum hervortreten, sind es, welche hier bekämpft werden müssen; man darf nicht nur die giftigen Dünste beseitigen wollen, sondern man muß auch den Sumpf austrocknen. Wohin ist die deutsche Sittlichkeit seit Tacitus' lobendem Urtheil gekommen? Lohnverhältnisse und dergleichen wirken an der Aus⸗ breitung dieses Abgrundes der Unsittlichkeit mit, gewiß, aber nur zu einem kleinen Theil. Die Hauptsache ist die gemeine Verführung, die bisher straflos dasteht. Sittliche Menschen wollen diese Hauptquelle unter Strafe stellen. Ein Spitzbube, der in Noth nach fremdem Gelde greift, ist nichts gegen den Hausherrn, der sechs Dienstmädchen nach einander verführt, wie mir ein solcher Fall genau bekannt ist. Der Staatssekretär will die wirthschaftliche Abhängigkeit nicht als so stark anerkennen. Das gebe ich zu, aber die Abhängigkeit ist doch da, und darum ist dieser Paragraph ein Stück nothwendigen Arbeiterinnenschutzes. Das Arbeitsverhältniß ist ein Autoritäts⸗ und ein Pietätsverhältniß; Autorität und Pietät müssen wieder hergestellt werden. Bei Dienstboten hängigkeitsverhältniß so broß wie möglich und die sittliche Ver⸗ antwortlichkeit des Herrn ebenso groß wie möglich. Sollen nun solche Schurkereien ohne Strafe bleiben? Die Fälle sind nicht so selten, wie die Regierung glaubt; wer im Leben steht, weiß, wie häufig das Glück der Familien auf diese Weise zerstört wird. Diese Zustände fortbestehen zu lassen, können wir nicht auf unser Gewissen nehmen, möge es der Staatssekretär auf sein Gewissen nehmen. Ein Haus⸗ herr, wie ihn der Abg. Heine und ich angeführt haben, ist schlimmer als ein Zuhälter, der verdiente Zuchthaus. Nach unserer sittlichen An⸗ schauung sollte es für die verbündeten Regierungen eigentlich un⸗ möglich sein, einen solchen Antrag abzulehnen.
Abg. Dr. Stockmann (Rp.): Der größte Theil meiner Fraktion steht auf demselben Standpunkt. Wir stimmen ganz in der Tendenz mit dem § 182 a überein, werden aber, wenn auch mit schwerem Herzen, dagegen stimmen, um nicht das Zustandekommen des ganzen Gesetzes zu gefährden.
Abg. Bebel (Sor.) führt aus: Auch bei § 182 b habe die Re⸗ ierung das „Unannehmbar“ gesprochen. Scheiterte jetzt die Vorlage, o wäre es nicht das erste, sondern das dritte oder vierte Mal. Für seine Partei sei der Paragraph der wichtigste, ohne ihn behielte
das Gesetz nur noch ganz geringen Werth. Wie immer dieser Paragraph abgefaßt sein möchte, er wäre für die Regierung unannehmbar. Hier liege eine breite Lücke des r;n vor. Sehr überrascht habe ihn (Redner) und werde die deutsche Arbeiterklasse überraschen, daß zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeiterin kein Pflichtverhältniß bestehe. Theoretisch sei das richtig, aber praktisch ebenso falsch, als wenn gelans werde, der Arbeiter sei überhaupt frei. Es sei die alte manchesterliche Auf⸗ fassung vom freien Vertrage, die hier zu Tage trete, die sonst seit mindestens zwei Jahrzehnten gänzlich überwunden sei. Die Arbeiterin sei gegenüber dem Arbeitgeber noch viel weniger frei als der Arbeiter. Die Arbeiterin könne nicht so leicht ihre Arbeitsstelle wechseln, noch viel weniger den Ort, weil sie nicht einfach auf die Wanderschaft gehen könne, am wenigsten, wenn sie verheirathete Frau sei und Kinder habe; dem müßte auch der Gesetzgeber Rechnung tragen. Die Arbeiterin müßte bei der Abwägung des Für und Wider immer die v. stellen. Die Zustände, in denen sich z. B. die Arbeiterinnen gegenüber dem Aufsichtspersonal im Magdeburgischen befänden, seien derart, d die Arbeiterinnen sich den Gelüsten der Inspektoren fügen ßten. Sie würden vom Felde auf den Boden geschickt, wo sie allein dem Aufsichtspersonal gegenüber⸗ ständen. Füge sich die Arbeiterin nicht, verlasse sie gar die Arbeit, so könne sie sicher darauf rechnen, in der ganzen Gegend keine Arbeit mehr zu bekommen; dieses Boykottverbaltni bestehe, wenn auch die Gründe dafür nicht ausgesprochen würden. Auch kämen alle Augenblicke Fälle vor, wo durch Geld die Zurücknahme der bereits ein⸗ gereichten Klage bewirkt würde. Die bewegliche Klage, welche der Furcht vor Denunziation entspringe, könne einem so abgeschwächten Paragraphen gegenüber nicht mehr auf Beachtung Anspruch machen. Die Sozialdemokraten selbst hätten es in der Kommission ver⸗ anlaßt, daß das Maximum der Strafe nur ein Jahr betragen solle, und auch die mildernden Umstände durchgesetzt. Aber mit der Einschränkung auf Antragsvergehen, wo also nach drei Monaten keine Strafverfolgung mehr eintreten könne, werde der Paragraph nahezu werthlos. Warum das Zentrum jetzt in diesen abschwächenden Antrag willige, begreife er (Redner) nicht, es sei denn, daß das Zentrum auf jeden Fall jetzt etwas zu stande bringen wolle. Es handle sich um eine Ausbeutung der Autoritätsstellung des Arbrit⸗ gebers gegenüber seee Arbeiterin. Dieses Autoritätsverhältniß sei ein so mächtiges, so dominierendes, daß die Arbeiterin des Schutzes des Gesetzes unbedingt bedürfe.
Abg. Dr. von Levetzow (d. kons.): Die meisten meiner Partei⸗ freunde verkennen die 9 der Bestimmung nicht, sind aber der Meinung, daß die Nachtheile überwiegen, und werden um so mehr da⸗ gegen stimmen, als die Vorlage! deren Zustandekommen Sie dringend wünschen, nach den Erklärungen des Staatssekretärs dadurch zu Falle kommen würde.
Hierauf wird ein Schlußantrag angenommen. Nach per⸗ bembsse Bemerkungen der Abgg. von Treuenfels und
eckh (Coburg) wird § 182a unter Ablehnung aller Amende⸗ ments mit schwacher Mehrheit angenommen. Gegen denselben stimmen die freisinnigen Parteien und fast sämmtliche National⸗ liberale, sowie die Reichspartei und ein großer Theil der
Deutschkonservativen. 8 (Schluß in der Zweiten Beilage.)
werde sich zwischen Regierung und Reichstag
ist das wirthschaftliche Ab.
so habe das nur darin seinen Grund, weil die Polizeibehörden sich schämten, Goethe, Schiller, Shakespeare ꝛc. unter Anklage zu stellen,
§ 184 stattfinden. wer Uunzuͤchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen
denn schon 18 Jahre alt?“ gezwungen werden würden, den Buch⸗ händler zum Duell herauszufordern.
Pribüne verlassen hat, mich scharf machen wollte, sondern weil die Regierungen auch zu dieser Frage feste Stellung genommen
8— geben, das hohe Haus hat ja schon genug zu erkennen gegeben, daß
Zweite Beilage nzeiger und Königlich Preußische
Berlin, Mittwoch, den 7. Februar
1900.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
8
Nach § 184, Nummer 1 der Kommissionsfassung soll mit Gefängniß bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu 1000 ℳ oder mit einer dieser Strafen bestraft werden, wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, vertheilt und an Orten, welche dem Publikum zu⸗ gänglich, ausstellt oder anschägt oder sonst verbreitet, sie zum Zweck der Verbreitung hinstellt oder zu demselben Zwecke vor⸗
räthig hält, ankündigt oder anpreist.
g. Dr. Müller⸗Meiningen (fr. Volksp.) beantragt, die
Worte „vorräthig hält“ zu streichen, um den deutschen Sortiments⸗ buchhandel nicht Chikanen auszusetzen. Geheimer Ober⸗Regierungsrath im Reichs⸗Justizamt Dr. von Tischendorf: Auf Grund der bestehenden Strafbestimmungen kann wirksam gegen die darin bezeichneten Delikte Pgangen werden; deshalb haben die verbündeten Regierungen die rweiterung der Strafvorschrift noch dahin erweitert, daß auch die vorbereitenden Schritte, das Feilhalten, Vorräthighalten ꝛc. getroffen werden sollen, immer unter der Voraussetzung, daß sie unsittlichen Zwecken dienen sollen. Aus diesem Grunde ist auch der eben er⸗ wähnte Antrag abzuweisen. „Abg. Roeren stimmt diesen Ausführungen zu und bittet ebenfalls dringend um Ablehnung des Antrags Müller. Die Verbreitung un⸗ züchtiger Bilder und Schriften sei ungeheuer; es gebe Fabriken, die ausschließlich Produkte fabrizierten, wie er (Redner) sie hier auf den Tisch des Hauses niederlege. Die Abänderung des § 184 bezwecke, der Polizei und dem Gericht schon früher, als es jetzt geschehen könne, die Gelegenheit und Berechtigung zum Einschreiten zu geben. Unter Feilhalten verstehe man das thatsächliche Anbieten an eine un⸗ bestimmte Mehrheit von Personen; das Vorräthighalten sei ein anderer Begriff. Käme der Antrag Müller zur Annahme, so würden diese unzüchtigen Dinge nicht weggenommen werden dürfen, wenn sie verpackt im Laden gehalten, statt im Schaufenster ausgestellt Pe Die Besorgniß der Sortimentsbuchhändler sei ganz un⸗ gründet.
Abg. Dr. Hoeffel (Rp.): Der ehrliche deutsche Buchhändler wird hier nicht getroffen. Der Handel mit obseönen Bildern und Schriften ist ein sehr einträgliches Gewerbe. Einen Angriff auf die Kunst kann ich darin nicht sehen, wohl aber bedeutet die weitere vSen auf diesem Gebiet eine große sittliche Gefahr. Als eine
räventivmaßregel zur Ergänzung der Repressivmaßregeln auf dem Gebiet der Prostitution sehen wir diese Maßregel an und werden dafür stimmen.
Abg. Heine erklärt, wenn seine Partei für diesen Passus stimme, so wolle sie damit nicht der mißbräuchlichen Sanktionierung des Begriffs der unzüchtigen Schrift zustimmen, wie sie jetzt schon mebhr⸗ fach durch Richtersprüche festgestellt worden sei. Der heutige § 174 werde durch das Reichsgericht jetzt dahin interpretiert, daß das Erforderniß der Absicht, auf geschlechtliche Erregung hinzuwirken, garnicht mehr nöthig sei, und so sei man glücklich so weit, daß alle möglichen ernsten Kunstwerke und Schriften unter diesen § 184 ge⸗ bracht werden könnten. Wenn das noch nicht allgemein geschehen sei,
nicht vor⸗
Man könne diesen abusus leider auf diesem Wege nicht beseitigen. „Abg. Beckh⸗Coburg bleibt dabei stehen, daß der Begriff „vor⸗ räthig hält“ den Buchhändler sehr leicht in die Gefahr bringen könnte, auf dem Wege des dolus eventualis diesem Paragraphen zu ver⸗ fallen. Mit dem Ausdruck „feil hält“ würde ja schon alles getroffen, was berechtigter Weise getroffen werden solle.
Damit schließt die Diskussion; die Abstimmung soll erst am Schlusse der Erörterung über die einzelnen Nummern des
In Nummer 2 wird derselben Strafandrohung unterstellt,
einer Person unter 18 Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet.
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen beantragt, hier nach der Vorlage die Zahl 18 in 16 zu verändern. Er weist darauf hin, daß es Studenten geben könne, die sich solche Bücher zu Studienzwecken verschaffen müßten, daß es aber auch Königliche Leutnants unter 18 Jahren gebe, die durch die Frage des Buchhändlers: „Herr Leutnant, sind Sie
ausz— ”. Eine solche Bestimmung wie diese würde nur die gefährlichste Hintertreppenkolportage groß ziehen. Die Regierung sollte in diesem Punkt auch einmal fest bleiben.
Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. Nieberding: Meine Herren! Nicht weil der Herr Abgeordnete, der soeben die
aben, habe ich zu erklären, daß die Regierung auf das entschiedenste Werth darauf legt, daß die Fassung der Regierungsvorlage durch Ver⸗ änderung des Worts 18 in 16 wieder hergestellt wird. (Hört! hört !)
ch werde keine ausführlichen Darlegungen zu diesem Standpunkt es willens ist, ohne Rücksicht auf den Standpunkt der Regierung in zweiter Lesung hier die Auffassung der Majorität im Sinne der Kommissionsbeschlüsse festzulegen.
Die Gesichtspunkte, welche die Regierungen bestimmen, sind zweierlei Art. Einmal haben wir hier den lebhaften Wunsch, ebenso wie bei dem § 182 die Gerichte nicht vor die Frage zu stellen, ob bei der einzelnen, zur Untersuchung gezogenen Sache der Angeschuldigte gewußt hat oder hat annehmen können oder darüber hat hinweggehen wollen, daß der junge Mann, an den das corpus delicti verkauft wurde, das 18. Jahr erreicht hat oder nicht. Beim 18. Jahr ist das schwer, beim 16. leicht.
Es treffen nach dieser Richtung hin ganz dieselben Be⸗ denken zu, die ich beim § 182 entwickelt habe. Ich beschränke mich hier darauf hinzuweisen. Zweitens, meine Herren, scheint bei der Kommissionsvorlage ganz vergessen zu sein, daß doch nicht die Mehrzahl unserer jungen Leute, die hier in Betracht kommen, also die über 16 Jahre, auf einem Gymnasium, einer Realschule oder in einem Pensionat sich befinden; die Mehrzahl der jungen Leute von 16 bis 18 Jahren befinden sich im praktischen Leben, in gewerbli cher oder landwirthschaftlicher Thätigkeit, und sie sind dort Situationen ausgesetzt, die an ihre Charakterstärke und ihr Sittlichkeits⸗ gefühl oft viel größere Anforderungen stellen können, als in den Fällen, die hier in Frage stehen. Zur Klarstellung dieser Bestimmung muß ich übrigens dem Herrn Vorredner gegenüber hervorheben, daß es sich hier um den Verkauf von Schriften aus Läden oder im
jungen Leute gedeckt, hier handelt es sich um die unentgeltliche Ab⸗
außerhalb des gewerblichen Verkehrs liegen. Solche Fälle können vorkommen, ich erinnere Sie an den Vertrieb von Schriften durch Hotelportiers, Leute auf den Bahnhöfen, auch sonst finden sich der Gelegenheiten viele, wo derartige Anfechtungen an die Jugend herantreten, ohne daß ein eigentliches Erwerbsgeschäft dabei mitspielt. Davor soll die Jugend geschützt werden, aber im Sinne der verbündeten Regierungen und in Uebereinstimmung mit der grund⸗ sätzlichen Auffassung des Strafgesetzbuchs über das, was auf dem Sittlichkeitsgebiete dem Strafrichter unterliegt, nur diejenige Jugend, die noch der Regel nach in der Familienzucht und in der Schulzucht sich befindet, nicht aber diejenige junge Welt, die der übergroßen Mehrzahl nach bereits ins praktische Leben übergetreten ist, die können wir nach der Richtung hin nicht schützen, die muß selbst Manns genug sein, in der eigenen Brust den Schutz gegen Ver⸗ suchungen zu finden. Wenn Sie bedenken, wie der Herr Vorredner auch bereits angedeutet hat, daß wir eine Menge junger Leute haben, die vor dem 18. Jahre die Universität besuchen, daß eine Menge junger Leute in diesem Alter als Kunstschüler in Ateliers und Aka⸗ demien sich befinden, wenn Sie bedenken, daß ein 17 jähriger junger Mann für reif erachtet wird, in die Armee einzutreten, wo unver⸗ meidlicher Weise manche schlimmere Dinge ihm nahe kommen, als diese, wenn Sie weiter daran denken, welchen Gefahren ein junger Mann ausgesetzt ist im gewerblichen Leben, in das er doch hinein⸗ treten muß (sehr richtig!), — er kann sogar beschäftigt sein in einem Atelier, das mit der Herstellung solcher Sachen beschäftigt ist, er kann in einer Druckerel beschäftigt sein, die Bücher herstellt, welche gerade nicht für die Jugend bestimmt sind, er kann als Verkäufer im Laden stehen, der mit Dingen handelt, die nicht für das jugendliche Auge passen, bedenken Sie, wie an die junge Magd oder an den jungen Burschen auf dem Lande im Wirthschaftsleben manche sittlich nicht unbedenkliche Dinge herantreten (sehr richtig!), denen der junge Mensch aus eigener sitt⸗ licher Kraft gewachsen sein muß — wenn Sie konsequent sind, dann müssen Sie bestimmen, daß ein junger Mensch unter 18 Jahren in Geschäften, welche sich mit der Herstellung von Schriften befassen, oder mit dem Verkauf von Schriften, die für die Jugend nicht geeignet sind, über⸗ haupt gar nicht beschäftigt werden darf. (Sehr richtig!) Dahin würden, Sie mit Ihrem Vorschlage folgerichtig kommen. Be⸗ schränken Sie Ihre Bestimmungen auf dasjenige, was im Leben praktisch durchführbar ist, und stellen Sie nicht Grund⸗ sätze auf, die zu Konsequenzen führen, welche im Leben unbedingt Widerspruch finden müssen. Es wird vielleicht möglich sein, wenn Sie solche Bestimmungen beschließen, und wenn die verbündeten Regierungen Ihnen beipflichten, was ich nicht glaube, ich sage, es würde vielleicht möglich sein, über manche Dinge auf solche Weise äußerlich einen [Schleier zu ziehen, aber Sitte wird unter diesem Schleier nicht gedeihen, sondern Heuchelei und Unwahrheit. (Bravo!) Abg. Roeren: Der französische Senat f Deputilten, denen wir doch — 8e. 1 der Ansicht, . zum Schutz der Jugend bis zu einer noch höheren Altersstufe ge⸗ etzliche Strafvorschriften getroffen werden müssen. Gerade unseren jugendlichen Gymnasiasten, unseren 16., 17jährigen,
kommen diese Bilder in die Hände, und das soll 8 theile bleiben⸗ 9 ad dos soll ohne fittliche Näch
Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Der Herr Abg. Roeren deduziert gerade so wie vorher der Herr Abg. Stoecker. Er führt uns einen einzelnen krassen Fall vor, und dann fragt er, können Sie wohl dulden, daß derartige Dinge im Leben vorkommen? Wir sind alle gewiß darin einig, daß derartige Dinge unbedingt zu verurtheilen sind, aber die Herren bedenken nicht, daß es noch viel andere Sachen sind, die unter dieselbe Strafbestim⸗ mung fallen würden, die auch Sie nicht bestrafen wollen. Sie müssen die Konsequenz einer solchen Strafbestimmung nach allen Seiten ziehen, dann werden sie erkennen, daß solche Forderungen, wie sie hier aufgestellt werden, unhaltbar sind.
Dann sagt der Herr Abgeordnete, in Frankreich habe man ein Gesetz, wonach die junge Welt bis zum 21. Lebens⸗ jahr geschützt ist. Das ist richtig, in Frankreich hat man ein Gesetz erlassen, wonach die Verbreitung solcher Schriften an junge Leute bis zum 21. Jahre verboten ist. Daß die Sache aber einen Haken hat, wenn Sie in diesem Punkte Frankreich und Deutschland vergleichen, wird jeder wahrnehmen, der auch nur einmal nach Paris gekommen ist (sehr richtig! links) und sich unter der Herrschaft des französischen Gesetzes die Zustände angesehen hat, die der Herr Abg. Roeren anscheinend als Muster uns vorhalten will! Die Zustände in Frankreich sind bei weitem schlimmer als bei uns. Worin liegt der Unterschied? Der Unterschied liegt darin, daß in Frankreich das Opportunitätsprinzip bei der Anklage herrscht, bei uns nicht. Wenn unser Volk so leichtlebig wäre, wie das französische, und wenn unsere Staatsanwaltschaft so legre Auf⸗ fassungen hätte, wie die französische Prokuratur, und wenn wir das Opportunitätsprinzip bei der Strafverfolgung hätten an Stelle unseres Prinzips, das den Staatsanwalt unter allen Umständen zum Einschreiten zwingt, dann könnten wir solche Gesetze machen, wie sie in Frankreich gemacht sind. Solange das nicht der Fall ist, können wir auf französische Zustände ebensowenig exemplifizieren wie auf französisches Recht. (Bravo!)
Nach Nummer 3 unterliegt derselben Strafvorschrift der⸗ jenige, welcher Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt, oder solche Gegenstände dem Publikum ankuündigt oder anpreist.
Abg. Dr. Rintelen (Zentr.): Die anständige Presse hat solche schamlosen Annoncen stets abgelehnt; in anderen Blättern aber findet man die anstößigsten Anzeigen von Büchern über Liebe und Ehe, über Beschränkung der Kinderzahl, über unerwünschten Kindersegen, über Verhütung der Empfängniß u. s. w. Dem muß ein Riegel vor⸗
ist ja durch die Nr. 1 dieses Paragraphen vollständig auch für die
gabe unzüchtiger Schriften an junge Leute in solchen Fällen, die
Ueber Nummer 4: „desgleichen, wer öffentliche Ankündi⸗ hamzgen erläßt, welche dazu bestimant sind, unzüchtigen Verkehr erbeizuführen“ findet keine Erörterung statt. In der Abstimmung wird mit den Stimmen der ge⸗ sammten Rechten und des Zentrums § 184 unverändert an⸗ enommen. 123 die Abänderung der Nummer 2 nach dem ntrage Müller⸗Meiningen stimmen auch einige wenige Mit⸗ glieder der Reichspartei. Hierauf wird die Fortsetzung der Berathung auf Mittwo 1 Uhr vertagt. (Danach Interpellation der polnischen Abge⸗ ordneten, betreffend die Handhabung der Vorschriften über die Gerichtssprache.) 8 Preußischer “ 1 Haus der Abgeordneten.
17. Sitzung vom 6. Februar 1900, 11 Uhr. Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1900 wird im Etat der Berg⸗, Hütten⸗ und Salinenverwaltung bei dem Kapitel „Ministerial⸗Abthei⸗ lung für das Bergwesen“ fortgesetzt.
Ueber den ersten Theil der Debatte ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:
Ich habe zu meinem großen Bedauern die Ausführungen des Herrn Abg. von Werdeck nicht persönlich anhören können, wenigstens nicht vollständig. In dem letzten Theil seiner Ausführungen, den ich angehört habe, hat er Bezug genommen auf die gedruckt vorliegenden Nachrichten über die Verwaltung der preußischen Bergwerke, Hütten und Salinen, und zwar unter Bezugnahme auf Seite 7 ausdrücklich hervorgehoben, daß meine Ausführungen nicht richtig gewesen wären. Es sei thatsächlich der Absatz an das Inland zurückgegangen, der Absatz an das Ausland habe zugenommen. Herr von Werdeck hat sich diese Mittheilungen nicht genau angesehen. Da stehen auf Seite 7 ganz ausdrücklich die Beträge angeführt, die nach dem Inlande, und die nach Oesterreich, nach Rußland und nach dem übrigen Ausland abgesetzt sind. Wenn man danach die Beträge zusammenzählt, die überhaupt in das Ausland gegangen sind, so stellt sich die Sache so, daß im Jahre 1896/97 9,9 %, im Jahre 1897 /98 9,8 %, im Jahre 1898/99 9,7 ins Ausland gegangen sind.
Thatsächlich hat also doch der Versand an das Ausland von Jahr iu Jahr abgenommen. Das glaube ich ausdrücklich konstatieren zu müssen, um nicht den Vorwurf auf mich zu nehmen, daß ich Unrichtiges gesagt hätte.
Meine Herren, was die Stellung zu den landwirthschaftlichen Genossenschaften betrifft, so sind wir, glaube ich, in der Hauptsache einig. Ich bin durchaus der Meinung, daß die landwirthschaftlichen Genossenschaften, wenn sie thatsächlich für ihre Mitglieder liefern, Vergünstigungen verdienen. Diese sind ihnen aber auch bisher unter dieser Voraussetzung zugewendet worden. Es handelt sich hier um vier verschiedene Genossenschaften.
Die erste ist die landwirthschaftliche Hauptgenossenschaft zu Berlin. Die genoß die Vergünstigung, daß sie den höchsten Rabattsatz bezog, auch ohne die Verpflichtung zu übernehmen, 50 000 t zu beziehen. Sie hat aber ausdrücklich auf diese Vergünstigung verzichtet, um auch an Abnehmer nach Belieben liefern zu können, nicht bloß an ihre Mitglieder. Dieser Genossenschaft ist also doch kein Unrecht geschehen. Die zweite ist die landwirthschaftliche Zentraldarlehnskasse für Deutschland, deren Interessen auch Herr von Werdeck vertritt. Die hat thatsächlich dasjenige Quantum bekommen, was sie bisher bezogen hat. Nun habe ich den Grundsatz ausgesprochen: in erster Linie müssen wir die bisherigen Abnehmer berücksichtigen und ihnen die bisherigen Quanten zusichern. Die hat aber auch diese Genossenschaft bekommen. Sie genießt auch die Vergünstigung, von der vorher die Rede gewesen ist. Dieser Ge⸗ nossenschaft gegenüber ist doch die Rücksicht beobachtet worden, die thatsächlich beobachtet werden soll und muß.
Nun handelt es sich um die beiden Genossenschaften für Pommern und Westpreußen. Ja, meine Herren, die gehören nicht zu unseren bisherigen Abnehmern, und die Herren sind selbst der Meinung: wir sollen in erster Linie unsere bisherigen Abnehmer berücksichtigen. Die genannten Genossenschaften haben bisher englische Kohlen bezogen und wollen jetzt oberschlesische beziehen. So ist mir wenigstens mit getheilt worden. Daß wir sie dann nur so weit berücksichtigen, al wir überhaupt Kohlen disponibel haben, soweit sie nicht schon a ältere Kunden vergeben sind, das liegt, glaube ich, doch auf der Hand Ich möchte also glauben, daß wir in dieser Beziehung doch alle gethan haben, was möglich ist. Sollten in der Folge diese Genossen schaften oberschlesische Kohlen beziehen wollen, so sind wir selbstverständlich bereit, sie genau so zu behandeln wie alle anderen, also ihnen die gleichen Vergünstigungen zu gewähren; sie mögen sich dieserhalb a die Zentralverwaltung wenden. Was nun aber die bereits vorliegende Abschlüsse betrifft, so kann man daran nichts ändern; die Abschlüss sind nun einmal bindend. Es kann sich nur handeln um die in Zu kunft abzuschließenden Verträge. Darüber, glaube ich, sind wir voll ständig einig: wir liefern, soviel wir können, an das Inland; wi bevorzugen die Genossenschaften und die alten Abnehmer nach de Grundsätzen, die wir bisher befolgt haben. Damit müssen sie sich zufrieden stellen, mehr würde ich zu leisten nicht im stande sein. Da wir nicht mehr Kohlen fördern können, daran können wir nicht ändern.
Abg. Gothein (fr. Vgg.): Die Zunahme der Kohlenförderun um 7 ½ Millionen Tonnen im letzten Pana ist .saderfen dem Inlandkonsum zu gute gekommen. Wir haben 1899 einen Rückgang unserer Kohleneinfuhr um 4 Millionen Doppelzentner gehabt. Die Behauptung des Abg. Bebel im Reichstage, daß die 8
Werke seit Ausbruch des Strikes in Oesterreich vbassch mehr schicken, ist nicht richtig; sie schicken nur das abgeschlossene Quantum hin wie stets bisher. Wenn wir jetzt weniger Kohlen ins Ausland liefern wollten, würde sich das Ausland für immer darauf ein
sonstigen gewerblichen Verkehr garnicht handelt; dieser Verkauf
geschoben werden.
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richten. Auch in einer Zeit, wo man im Inlande mehr braucht, da
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