sie wolle die bestehende Staatsordnung nicht gefährden. (Sehr gut!
gefesselt. Es sind nicht alle frei, die potten. lage gehört eigentlich in eine Raritätensammlung, denn der kon⸗ stitutionelle Einfluß des Parlaments wird darin gleichzeitig theoretisch anerkannt und praktisch aus der Welt geschafft. Der starke Mann, den Herr Bassermann ankündigt, der kommen und das Wahlrecht ehmen könnte, der findet schon die halbe Arbeit gethan, wenn schwache Männer sich finden und heute diese Vorlage annehmen. Nachdem man 1898 den Reichstag auf ein Minimum gebunden hat, will man ihn jetzt auf ein viel höheres Minimum binden. Solche Vollmacht zu geben, setzt ein besonderes Maß von Vertrauen voraus. Liegt Anlaß zu einem solchen Maße des Vertrauens auch nur nach der technischen, nach der militärischen Seite vor? Wie können wir das Vertrauen haben, daß diese selbe Regierung das Gesetz bis 1916 in einer Weise ausführen werde, welche nicht eine Beschränkung der onstitutionellen Rechte herbeiführt? Von dem konstitutionellen Recht können wir nicht so viel preisgeben, wie hier gefordert wird. Auf die großen kulturellen Gesichtspunkte soll man sich uns gegenüber dech nicht berufen. Wir haben sie vor Allem im Auge. Ich brauche nur auf die Worte hinzuweisen, welche aus Kaiserlichem Munde gefallen sind, welche allerdings nicht im „Reichs⸗
Anzeiger“ gestanden haben, das aber auch nicht nöthig haben, weil sie ein
ausländischer Herrscher, Kaiser Alexander, gesprochen hat. Redner verliest ein langes Aktenstück und schließt mit der Ausführung, daß diejenigen sich um das Vaterland verdient machen, welche nicht auf eine über⸗ stürzte Rüstungspolitik sich einlassen. Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner: Meine Herren! Ich möchte zunächst an eine Bemerkung an⸗ knüpfen, die der geehrte Herr Vorredner gemacht hat. Er erklärte nämlich, er könnte zu der Regierung kein Zutrauen haben, weder auf technischem noch auf militärischem Gebiete. Diese Aeußerung hat mich überrascht; denn ganz Europa, der ganze Erdball, kann man sagen, hat zu unserer militärischen Leistung, zu unserem militärischen Ver⸗ ständniß bisher das größte Zutrauen. (Sehr wahr! rechts und bei den Nationalliberalen.) Wir gelten als Muster und Lehrer für die ganze Welt auf diesem Gebiet, und ich glaube, eine glorreiche Kriegs⸗ geschichte hat bewiesen, daß die deutschen Regierungen auf militärischem Gebiet in der That im höchsten Maße sachverständig sind. (Bravo!) Ich müßte mich sehr täuschen — ich habe leider das Belags⸗ exemplar nicht hier —, wenn ich nicht in einer Zeitung in den letzten Monaten gelesen hätte, daß der Herr Abg. Haußmann oder ein 1 raktionsgenosse von ihm in einer öffentlichen Versammlung erklärte: 8 ie Sozialdemokratie hat ihre Gedanken von uns; die Gedanken, die die Sozialdemokratie vertritt, sind eigentlich zuerst von der füddeutschen Volkspartei proklamiert worden. Ich bin heute durch die Rede des Herrn Abg. Haußmann an diese Zeitungslektüre erinnert worden; denn seine Auffassungen über die Vorlage unterschieden sich in nichts von den Ausführungen des Herrn Abg. Bebel. (Lebhafter Widerspruch links. Bravo! rechts.) Seine Ausführungen waren ebenso theoretisch, ebenso ablehnend wie die Ausführungen des Herrn Abg. Bebel, aber, und darauf will ich später zurückkommen, die Ausführungen des Herrn Abg. Bebel sind mir verständlicher, weil der Abg. Bebel überhaupt von einem ganz anderen Staatswesen ausgeht, von einem Staatswesen, was noch nicht existiert, während die süddeutsche Volkspartei doch bisher erklärt hat,
rechts.)
Dann hat der Herr Abg. Haußmann fortgesetzt die konstitutionellen Bedenken gegen die Vorlage ins Feld geführt. Ja, meine Herren, ich halte mich für einen ehrlich konstitutionellen Mann, und behaupte, daß ich ganz ebenso konstitutionell gesinnt bin wie der Herr Abg.
außmann; aber wenn man eine große Maßregel der nationalen Landesvertheidigung mit solchen kleinen konstitutionellen Bedenken be⸗ kämpfen will, dann muß ich glauben, hat der Herr Redner die Be⸗ deutung der Vorlage überhaupt nicht erkannt. (Widerspruch links.) Die Reden, die ich heute von Herrn Abg. Bebel und Herrn Abg. Haußmann gehört habe, waren mir sehr alte Bekannte. Die preußische Regierung hat in der Konfliktzeit ein Buch herausgegeben: Reden, gehalten in der Konfliktzeit aus Anlaß der Militärreorganisa⸗ tion; da finden Sie ganz dieselben konstitutionellen und theoretischen Gründe gegen die Militärorganisation angeführt, die heute gegen die Marineverstärkung geltend gemacht werden. Mun, meine Herren, frage ich Sie, was sind denn das für Gründe, die gegen diese militärische Vertheidigungsmaßregel geltend gemacht werden? Wenn wir unsere Flotte verstärken, werden es die anderen Staaten auch thun, die Mißgunst des Auslandes wird nur
regt werden u. s. w. Wenn wir uns seiner Zeit von solchen Ge⸗ danken hätten leiten lassen, wäre nie die preußische Armee reorganisiert worden, dann hätten wir auch nie ein Deutsches Reich bekommen (lebhafter Widerspruch links, lebhafter Beifall rechts) und das deutsche Volk würde nicht die glänzende und großartige Entwickelung, den Aufschwung der Industrie, den Aufschwung seiner ganzen Kultur erfahren haben, den Sie heute selbst gepriesen. (Lebhafter Widerspruch links, lebhaftes Bravo rechts und bei den Nationalliberalen.)
Und nun, meine Herren, wie kann eine Regierung konstitutioneller verfahren, als wir bei dieser Vorlage verfahren sind? Wir erklären offen, die Verhältnisse haben sich geändert, wir werden darüber nähere Auskunft in der Kommission ertheilen, wir sehen ein, wir müssen eine stärkere Flotte haben, wir bitten den Reichstag, das Sexennat dadurch zu beseitigen, daß er dieser Vorlage zustimmt. Dem gegen⸗ über hat der Herr Vorredner gesagt: ja wir, der Reichstag, sind ge⸗ bunden, die Regierung hält sich aber nicht für gebunden. Meine Herren, gewiß ist die Regierung an das Sexennat gebunden, und zwar solange, bis durch einen Beschluß der Majorität des Reichstages ein neues Flottengesetz von Ihnen genehmigt ist. Also die Bindung bleibt, bis durch gegenseitiges Uebereinkommen zwischen Reichstag und verbündeten Regierungen ein anderes Flottengesetz vereinbart ist. Unsere gegenseitige Lage ist also vollkommen paritätisch, sie ist mehr, sie ist auch vollkommen konstitutionell.
Können Sie aber wirklich einer Regierung, die das Gefühl der Verantwortlichkeit trägt für die Sicherheit des Landes, für die Sicherheit unserer gesammten Verkehrsbeziehungen nach außen, zu⸗ muthen, daß sie, obgleich sie zur pflichtmäßigen technischen Ueberzeugung gekommen ist, die Flotte genügt in dem Bestande, wie er ist, nicht den militärischen Anforderungen, die wir an sie stellen müssen, trotz⸗ dem schweigt? Es ist meines Erachtens durchaus zutreffend von dem Freiherrn von Wangenheim betont, eine Regierung würde ihre Pflicht gegen das Vaterland verletzen, wenn sie dann nicht den Muth hätte, vor die gesetzgebende Versammlung mit einer neuen Vorlage zu treten. Wenn Sie von uns verlangten, daß wir trotzdem in dieser mechanischen Weise an Ihrem Schein festhielten, meine Herren, dann kann ich nur sagen: dann würde Vernunft Unsinn. Wir müssen den Verhältnissen
wir können jeden Tag Gott danken, daß wir noch unter einer starken
hin richten, daß die Flotte militärisch nicht nothwendig ist — darüber werden wir uns in der Kommission unterhalten —, Sie können Ihre Angriffe aber nicht darauf basieren, daß wir vor zwei Jahren andere Ansichten gehabt und jetzt unsere Ansichten aus dringenden Gründen geändert haben. (Sehr richtig! rechts.)
Ich wende mich nun mit einigen Worten zu dem Herrn Abg. Bebel. Ich bin mir zuerst zweifelhaft gewesen, ob ich überhaupt auf die Ausführungen des Herrn Abg. Bebel antworten soll; denn er hat seine Rede mit den Worten begonnen: wir werden gegen jede Flottenvorlage stimmen. Mit einem Gegner, der auf diesem Standpunkt steht, kann man über eine Flottenvorlage überhaupt nicht mehr rechten. Es sind aber einige andere Bemerkungen, die mich doch zu einer kurzen Entgegnung veranlassen.
Herr Abg. Bebel hat hingewiesen auf Frankreich, auf England und hat erklärt: Deutschland will zum Schutze seines Handels, zum Schutze seiner internationalen Beziehungen eine stärkere Flotte, und nun sehen Sie einmal nach Frankreich, sehen Sie nach England hin, die beide eine unendlich viel größere, stärkere Flotte haben; dort ist, dessen ungeachtet, der Handel, die ganze Ausfuhrbilanz zurückgegangen. Zunächst kann ich für die letzten Jahre, was Frankreich betrifft, fo unbedingt diese Behauptung nicht bestätigen. Aber abgesehen davon, wir haben nie behauptet, daß wir durch eine große Flotte auch einen großen Handel erzeugen können; sondern wir haben um⸗ gekehrt gesagt: wenn wir einen großen überseeischen Handel haben, dann müssen wir natürlich auch zu dessen Schutz eine große Flotte haben. Das sind ein paar logisch und ursächlich vollkommen ver⸗ schiedene Begriffe. Wenn Herr Abg. Bebel, wie es ja scheint, fran⸗ zösische und englische Zeitungen studiert und namentlich englische und französische wirthschaftliche periodische Literatur studiert hat, dann wird er ganz genau wissen, daß die französischen und die englischen Wirthschaftspolitiker selbst die rückgängigen Er⸗ scheinungen, von denen Herr Abg. Bebel gesprochen hat und die keineswegs in dem Umfange vorhanden sind, wie er sie darstellt, auf ganz andere Ursachen zurückführen, die ich aber hier absichtlich nicht erörtern will. Ja, meine Herren, wenn erst ein⸗ mal alle die Ideale verwirklicht sein werden, die man auf gewissen Friedenskongressen predigt, dann werden wir keine Flotte mehr nöthig haben, aber auch keine Armee mehr. So lange wir aber noch in dem engen Raum der Welt stehen, so lange wir uns noch vertheidigen müssen, sind wir gezwungen, uns auch die Vertheidigungsmaßregeln zu schaffen, uns die Waffen bei Zeiten zu schmieden, die wir für noth⸗ wendig halten.
Der Herr Abg. Bebel hat sich auch veranlaßt gesehen, hier auf Einzelheiten, die eigentlich mit der Flotte gar nicht zusammenhängen, zu sprechen zu kommen — beispielsweise auf die Entlassung eines Werkführers oder eines Prokuristen — ich habe das nicht ganz ver⸗ standen — in einer Fabrik. Ich halte es wirklich für sehr bedenklich, auf solche private Verhältnisse überhaupt in einer gesetzgebenden Versammlung zu sprechen zu kommen. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe nicht die Ehre, den Herrn Fabrikbesitzer Loewe zu kennen, und ich glaube, ich habe ihn noch nie in meinem Leben gesehen. Aber hier gilt der Grundsatz: „Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede, man muß sie hören alle beede“, wie im Frankfurter Römer angeschrieben steht. Man muß zunächst wissen, wie die Entlassung zu stande gekommen ist, und man kann nicht eine aufregende Nachricht hier von der Tribüne des Reichstages, in die Massen werfen, ohne genaue Prüfung des einzelnen Falls. Ich be⸗ dauere, daß unsere Gesetzgebung keine Handhabe giebt für den Privat⸗ mann, sich gegen solche Angriffe, die unkontroliert in parlamentarischen Versammlungen ausgesprochen werden, auch gesetzlich zu wehren! (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, nun noch einige Worte zum Schluß! Der Herr Abgeordnete Bebel hat gesprochen von all den schönen Kultur⸗ aufgaben, die wir erfüllen könnten, wenn wir nicht eine große Flotte und eine noch größere Armee hätten. Solche larmoyanten Ausführungen sind in meinen Augen ohne jeden Werth. So lange sich noch die Dinge hart im Raum anennanderstoßen, muß man den thatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragen. Wenn er zuletzt Bemerkungen in Bezug auf die Monarchie gemacht hat, so kann ich nur sagen — und ich glaube, die große Mehrheit des Hauses wird mit mir dieses Gefühl theilen —,
Monarchie leben (Bravo! rechts), daß die Tendenzen, die der Herr Abg. Bebel vertritt, noch nicht maßgebend geworden sind; denn wenn diese Tendenzen je maßgebend sein sollten, so würden mit dem Staat auch all die schönen Kulturpläne zusammenfallen, die er uns heute an die Wand gemalt hat. (Beifall rechts. Unruhe und Wider⸗ spruch links.)
„Abg. Nißler (d. kons.): Als süddeutscher Bauer erkläre ich, daß ich mein Ja⸗Wort noch nicht festlege. Auch für mich sind Bedürfniß⸗ frage, Deckungsfrage und Leistungsfähigkeit maßgebend; auch ich lasse mich vollständig von dem nationalen Gedanken leiten. Ein ein⸗ zelner unglücklicher Krieg würde unserem nationalen Vermögen mehr Schaden zufügen als diese Leistung für die Flotte. Für die Deckung ist keine Spur in der Vorlage geboten. Man soll die Reichen und Reichsten besteuern; die können es leisten und haben auch das Meiste davon. Es wäre sehr angebracht, wenn über die Verhältnisse und die Leistungs⸗ fähigkeit der Landwirthschaft eine amtliche Statistik noch vor der Berathung der neuen Handelsverträge aufgemacht würde. Die heimische Landwirthschaft muß untersützt, aber sie darf nicht existenzlos gemacht werden. Für die süddeutsche landwirthschaftliche Fraktion bedeutet die Flotte ohne Zweifel eine neue Konkurrenz. Die land⸗ wirthschaftliche Frage wird immer in den Hintergrund gestellt; ich weise auch meinerseits auf das Fleischschaugesetz hin, welches noch immer in der Kommission ist. Der freihändlerische Zug, der durch die deutsche Wirth⸗ schaftspolitik geht, muß verlassen werden. So gut wir anerkennen, daß die Industrie die Flotte braucht, so müssen die Industriellen einschlagen in die Hand, die wir ihnen bieten. Die Flotte ist bisher beim Land⸗ volke nicht beliebt; es steht ihr in der That kühl bis ans Herz hinan egenüber. Aber die Flotte wird sehr pepulär werden, wenn unseren
ünschen, wie ich sie andeute, entgegengekommen wird. Was der deutsche Bauer werth ist, sieht man an den Buren. Der Bauern⸗ stand ist die Stütze des Thrones und des Altars. Geht die Regie⸗ rung auf die Wünsche der Landwirthschaft ein, dann werde ich für die Vorlage stimmen.
Staatssekretär des Reichs⸗Marinea S Mi
Vize Tbaatase Tirpitz: 4 1“ Ich muß mich gegen eine Bemerkung des Herrn Abg. Haußmann wenden, daß die verbündeten Regierungen gewissermaßen einen Pakt mit dem hohen Hause geschlossen hätten, für sechs Jahre nichts weiter zu fordern, als das Gesetz von 1898 vorsieht. Der Herr Abg. Hauß⸗
Rechnung tragen, und Ihre ganze Deduktion kann sich deshalb immer
ersten Flottengesetz als auc⸗ zim jenem Flottengesetz selbst. dabei einen Passus vo Mevelcher lautet:
Da einar wa etwas Dauerndes und Feststehendeg s, muß, müss opee Indiensthaltungen gesetzlich gesichert sein,
und er hat Laraus hergeleitet, daß die verbündeten Regierungen weiteren Forderungen nicht kommen könnten. Dieser Passus, . Herren, wenn man ihn in seinem Zusammenhange liest — Se 8 bitte, mir zu gestatten, es vorzulesen — bezieht sich lediglich auf d Organisation der einen Schlachtflotte, die in dem Gesetz gefore wurde. Es heißt da:
Wie später näher ausgeführt, hängt von dem Umfange de Indiensthaltungen die zu wählende Organisation der Schlachtflott, und als Folge derselben die Art der im Frieden vorzubereitenden Mobilmachungs⸗ und Operationspläne ab. Da eine Organisaticg etwas Dauerndes und Feststehendes sein muß, müssen auch die zm Innehaltung der Organisation erforderlichen Indiensthaltungn dauernd d. h. gesetzlich gesichert sein.
Dann ist auf Seite 10 hingewiesen, wo ausgeführt ist, weshalh 5⸗ eine Geschwader ein aktives und das andere ein Reservegeschwader ein soll. b Der Herr Abg. Haußmann hat ferner aus § 7 des Geseyzes welcher auf Vereinbarung zwischen den verbündeten Regierungen e. dem Reichstage zu stande gekommen ist, geschlossen, daß hierin i formaler Pakt enthalten sei. Er sagte, daß der Reichstag nicht ne pflichtet wäre, für alle einmaligen Ausgaben des Marine⸗Etats mehr als 409 Millionen zu bewilligen, und er schließt daraus, daß diet Nichtverpflichtung bewiese, daß ein gewisser formaler Pakt geschlossen ist. Der Herr Abg. Hausmann stellt diese Behauptung auf, ohne die Vorgänge des näheren zu kennen. Dieser Ausdruck „nicht verpflichter⸗ ist aus dem Grunde seiner Zeit in der Kommission hineingesett worden, weil, wenn er nicht hineingesetzt worden wäre, aus § 2, den Ersatzparagraphen, nach dem Gesetz gefolgert werden könnte, daß in Sexennat 80 Mill. Mark mehr als 409 Mill. Mark hätten zur Ver⸗ ausgabung kommen müssen. Ich kann aber auch einen klassischen Zeugen dafür anführen, daß von einem formalen Pakt keine Rede sein kann. Der Herr Abg. Richter — und ich glaube, den wird der Hen Abg. Haußmann wohl als genügende Autorität in dieser Beziehung anerkennen — hat am 7. Dezember 1897 auf eine Rede des Hem Grafen von Limburg geantwortet:
Der Herr Graf sagte am Anfang seiner Rede: auch die Re⸗ gierung ist ja gebunden. Nachher ist ihm aber doch eingefallen, daß das doch eigentlich nicht im Gesetz steht. Die Regierung kam künftig eben so viel mehr fordern, wie sie in diesem Jahre mehr gefordert hat. Vom Standpunkt der Regierung ändert sich garnichtz.
Das drückt die formale Situation durchaus korrekt aus.
Abg. Freiherr von Hodenberg (b. k. F.): Der Abg. Bebel hat heute nicht so serr als Sozialdemokrat, wie als guter Deutscher und echter Friedensfreund gesprochen. Wir haben fir das Gesetz von 1898 gestimmt, allerdings nicht für die Bindung, denn wir sahen voraus, daß diese Bindung doch nicht haltbar sem würde. Die Flbottenagitation, besonders soweit sie von den Interessenten betrieben wurde, hat allgemeine Mißzbilligung erfahren und den Gebildeten gezeigt, daß es mit dem sittlichen Standard gewisser Kreise des deutschen Volks nicht weit her ist. Hen August Scherl erzählt in seinem Blatte „Die Woche“, Auflage 300 000, die ganze Lappalie koste nur 450 000 000 ℳ Es giebt aber Leute, welche es genauer wissen. Solche Dinge sind doch sebr be⸗ dauerlich; nicht minder, wenn der Generaldirektor des Norddeutschen Lloyd, Wiegand, sich für die Vorlage vernehmen läßt und dabei auf die Kohlennoth und die Verproviantierungsschwierigkeiten hinweist, welche die verstärkte Flotte zu verhindern berufen sei. Der Schutz des Handels allein kann nicht der Zweck der Flotte sein, Aus manchen Aeußerungen ließe sich ableiten, daß es nur auf eine Weltmachtpolitik um jeden Preis abgesehen ist. Das muß uns doppelt vorsichtiz machen. Die Deckungsfrage kommt für und erst in zweiter Reihe. Diejenigen, die die Suppe eingebrockt haben, sollen sie auch ausessen; die Matrikularbeiträge müssen eben erhöbt werden, wodurch dann ja auch den Mittelstaaten das Rückgrat gegen die Berliner Forderung gestärkt wird. Die Landwirthschaft aller Parteien in Hannover hat von der Vorlage dieselbe Meinung, wie Herr Diederich Hahn. Wir stimmen auch für die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission. Sollten wir im Mai oder Juni nach Hause geschickt werden: wir sind gerüstet.
Abg. Dr. Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode (d. kons.): Ich protestiere lebhaftest gegen die Unterstellung, als ob wir keine Friedensfreunde seien. Wir wünschen, mit allen Mächten, auch mit England, in Frie en und Freundschaft zu leben; die Mißstimmung phen England wird hoffentlich nur vorübergehender Natur sein. e Spitze des Gesetzes ist gegen keine bestimmte Macht gerichtet. Wir unterscheiden uns darin von Herrn Bebel, daß wir kein Milip⸗ heer und keine Milizflotte haben wollen, weil dann die lieben Nachbarn sofort über uns herfallen würden. (Zurufe: Buren!) Ueber die wollen wir uns beim Militär⸗Etat unterhalten. soll nach einer Behauptung der „Germania“ den Versuch gemacht haben, bei der letzten Militärvorlage auf einen Kor flikt hinzuarbeiten, indem ich auf Ablehnung bei Zentrums⸗Kommissionsmitgliedern ge⸗ wirkt hätte. Ich kann mich nicht auf jedes Privatgespräch von vier Jahren festnageln lassen; aber das weiß ich ganz genau, daß ich nicht die Absicht gehabt habe, wegen der 7000 Mann, um die es sich damals handelte, einen Konflikt herbeizuführen, was ganz thöricht gewesen wäre. Ich habe im Gegentheil Alles gethan, das Gesetz unter Dach und Fach zu bringen; einen Kenflitt habe ich für außerordentlich ungünstig gehalten. Auch hier denken wir nicht daran, auf einen Konflikt hinzuarbeiten. Ich gründe meine Ueberzeugung, daß es zu einer Verständigung kommen wird, auf die Meinung des deutschen Volkes, die nicht künstlich gemacht 8 im
Er het
Gegentheil, die vielen künstlichen Agitationen haben mehr ge chadet, als genützt. Landwirthschaft, Handel, Industrie sind nicht Gezner, sondern gehören zusammen. Ginge die Industrie zurück, so würden wir wieder ein getreideausführendes Land werden und kein Getreidezoll der Welt könnte uns dagegen helfen; wir würden zu Getreidepreisen kommen, wie sie Rußland bat; indirekt kommt also die Flottenvorlage unzweifelhaft auch der Landwirthschaft zu gute.
Abg. Graf von Oriola (nl.) polemisiert gegen die von der Abgg. Richter und Bebel auf die Nationalliberalen gerichteten Angrifft.
* Gegen 6 ¾ Uhr wird ein Schlußantrag angenommen.
mann hat dies darzulegen gesucht, sowohl aus der Begründung zum
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Zweite Beilage
8 9. 4 “ 3 . 2. 2 zum Deutschrn Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preu
Berlin, Montag, den 12. Februar
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Persönlich bemerkt der Abg. Dr. Hahn (b. k. F.): Wer mich kennt, wird nicht an⸗ nehmen, daß ich in der Unterhaltung mit Herrn Szmula die deutsche Sprache so ungeschickt gebraucht hätte. Herr Szmula erinnert sich dieses Gesprächs nicht in zutreffender Weise, das nur ein unverbindliches Foyergespräch war. Es hat hier im Reichstage stattgefunden. (Abg. Szmula: Rein!) Herr Szmula beschwerte sich, daß wir Bündler keine polnischen Arbeiter ins Land hineinlassen. Man sei in Schlesien deswegen empört über den Bund der Landwirthe und über mich persönlich und würde mich aufhängen, wenn ich wieder nach Schlesien käme. Er beklagte weiter, daß der Bugd der Land⸗ wirthe in Schlesien Reden für die Flotte halten lasse; ich antwortete ihm, wenn die Flotte Ihnen so unangenehm ist, stimmen Sie doch felbst dagegen. Das frische Gedächtniß eines Vierzigjährigen ist doch mindestens ebenso zuverlässig, wie das schon etwas müde gewordene eines Siebzigjäbrigen. Aba. Szmula: Herr Hahn muß wohl etwas wirr im Kopfe sein. (Der Präsident rügt diesen Ausdruck.) Ich habe nicht gesagt, daß man ihn aufhängen, sondern nach ihm mit faulen Aepfeln werfen würde. Diese Aeußerung hat im Reichstage vor einigen Tagen statt⸗ gefunden, die Aeußerung übder die Flotte dagegen, für deren Wortlaut „bäßlich’ oder „gräßlich“ ich mich noch nachträglich mit meinem Ehrenwort verbürge, ist im großen Foyer des Landtages gefallen. Ich hätte die Sache überhaupt nicht angeschnitten, wenn nicht Freiherr von Wangenheim sie in so unqualifizierbarer Weise dargestellt hätte. Ich hätte geglaubt, daß er als Ehrenmann sein Bedauern darüber ausgesprochen hätte. 1 1 Abg. Freiherr von Wangenheim⸗Pyritz: Ich habe Herrn Szmula mit keinem Worte genannt, sondern mich nur gegen die Artikel der „Germania“ gewandt. 8 Abg. Dr. Hahn: Die ganze Art dieses scherzhaften Gesprächs zwischen mir und dem 28. Szmula beweist, daß es sich nicht um den leisesten Versuch handeln konnte, die Flotte zu diskreditieren oder das Zentrum zu beeinflussen, dagegen zu stimmen; dazu ist mein Einfluß deim Zentrum auch wohl viel zu gering. Diese harmlosen Worte (Rufe links: Harmlos!) — wohin kommen wir denn, wenn wir die alten Gepflogenheiten nicht mehr aufrecht erhalten wollen? — sind in der „Germania“ zu einer solchen Räubergeschichte geworden, daß der „Arizona⸗Kicker“ sein Vergnügen daran haben würde. . Abg. Szmula: Freiherr von Wangenheim hat verschwiegen, daß ich ihm gestern die Mittheilung gemacht habe, daß zu meinem Bedauern die Angelegenheit durch mich gegen meinen Willen ins Publikum gekommen ist; Freiherr von Wangenheim hatte also keine Berechtigung, sich so gegen mich zu äußern. Die Vorlage wird der Budgetkommission überwiesen. Schluß 7 Uhr. Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. (Freundschaftsverträge mit Tonga und Samoa, Interpellation der Polen wegen der Gerichtssprache.)
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Preußischer Landtag. Heaus der Abgeordneten. 21. Sitzung vom 10. Februar 1900, 11 Uhr.
Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1900 wird im Etat der Justizverwaltung fortgesetzt. Abg. Dr. Rewoldt (fr. kons.) wünscht, daß die juristischen Prüfungen an den kleineren Universitäten, z. B. in Greifswald, ver⸗ mehrt würden, damit der Zustrom der Juristen von den größeren Universitäten nach den kleineren abgeleitet werde, und bedauert ein Landgerichtsurtheil, das dem öffentlichen Rechtsbewußtsein widerspreche. Ein Kaufmann in Charlottenbur habe ein junges Mädchen auf der Straße belästigt und, weil sie ihn abgewiesen, von einem Schutzmann sistieren lassen unter der An⸗ schuldigung, daß sie ihn angesprochen habe. Wegen Beleidtgung und reiheitsberaubung angeklagt, habe sich der Kaufmann damit ent⸗ chuldigt, daß er eine Bierreise in Berlin gemacht habe. Der Staats⸗ anwalt habe drei Monate Gefängniß und Ehrverlust beantragt, die Straskammer aber nur auf 300 ℳ Geldstrafe erkannt. Der Redner wünscht ferner die Ausdehnung der Krankenversicherung auf die niederen
Beamten des Justizdienstes.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Bezüglich der Erweiterung des Bezirks für die Prüfungskommission in Greifswald haben sich, seitdem die Frage zum letzten Mal hier im Hause erörtert wurde, die Verhältnisse nicht ge⸗ ändert; im Laufe der letzten Jahre ist diese Angelegenheit nicht Gegen⸗ stand weiterer Erwägungen im Justiz⸗Ministerium gewesen. Ich werde nach Einsicht des stenographischen Berichts — ich habe die Aus⸗ führungen des Herrn Abgeordneten nicht von Anfang an gehört — Veranlassung nehmen, noch einmal an eine Prüfung dieser Frage heranzutreten, will aber schon jetzt bemerken, daß dieser Erweiterung doch nach der bisherigen Auffassung recht erhebliche Bedenken entgegen⸗ gestanden haben.
Was den von dem Herrn Abg. Dr. Rewoldt erwähnten Fall an⸗ betrifft, in welchem eine Straf kammer im Gegensatz zu dem von den Staatsanwalt gestellten Antrage, der auf 9 Monate Gefängniß sich richtete, für einen sehr groben Exzeß auf eine Geldstrafe von 300 ℳ und auf Freisprechung von zwei Anklagepunkten erkannt hat, so ist mir dieser Vorgang, der sich, glaube ich, erst in den letzten Tagen zugetragen hat, auch nur oberflächlich aus den Zeitungen be⸗ kannt. Wenn die Sache sich so verhält, wie sie hier vorgetragen worden ist, so würde auch ich die Entscheidung, die in dieser Sache gefällt worden ist, für eine sehr bedauerliche halten. (Bravo! rechts.) Ich kenne aber die Sache nicht genau genug, um ein unbedingtes Urtheil in der Sache abgeben zu können. Da es sich um eine Straf⸗ kammersache handelt, würde auch die Staatsanwaltschaft kaum in der Lage sein, noch eine anderweite Entscheidung berbeimführen, da ja nur das Rechtsmittel der Revision zulässig ist. Ich werde aber jedenfalls mich über diese Angelegenheit näher informieren, mir die Akten kommen lassen und davon Einsicht nehmen.
Was endlich den letztangeregten Punkt, die Ausdehnung der Krankenkassenversicherung auf gewisse Beamtenkategorien betrifft, so schweben darüber Verhandlungen, über deren Stand mein Herr Kom⸗ missar in der Lage sein wird, nähere Auskunft zu geben.
Geheimer Ober⸗Justizrath Vierhaus macht Mittheilung von dem Gange dieser Verhandlungen und hofft, daß den niederen Beamten bald die Segnungen der Krankenversicherung zu theil werden.
Abg. Dr. Lorichius (nl.) wünscht, daß die Ausführung der Grundbuchordnung in Hessen⸗Nassau möglichft schonend erfolge, u
verlangt ferner den Neubau eines Zentralgefängnisses beim Ober⸗ landesgericht in Frankfurt a. M. 8— Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Ich kann namens der Justizverwaltung nur meine im vorigen Jahre abgegebene Erklärung wiederholen, daß wir bestrebt sein werden, die Mühe der Grundbuchanlegung im Bezirke des ehe⸗ maligen Herzogthum Nassau für die dortige Bevölkerung nach Mög⸗ lichkeit zu erleichtern.
Die daran von dem Herrn Abg. Dr. Lotichius angekaüpfte Klage über die Höhe der Gerichtskosten und speziell der Grundbuchkosten glaube ich, im allgemeinen nicht weiter erörtern zu müssen gegenüber meiner gestrigen Erklärung. Dieser Erklärung scheint aber von Herrn Dr. Lotichius eine größere Tragweite beigelegt worden zu sein, als in meiner Absicht lag. Ich glaube nicht, daß ich gestern so weit gegangen bin, zu versichern, daß im nächsten Winter ein neues Gerichtskostengesetz werde vorgelegt werden. Meine Versicherung hat sich zunächst darauf beschränken müssen, daß die Unterlagen für die Prüfung, ob ein solches Gesetz vorzubringen sein wird, im nächsten Winter dem Landtage unter⸗ breitet werden sollen. Ein weiteres Versprechen konnte ich nicht geben; es hängt das auch nicht von mir allein ab, es haben noch andere Faktoren mitzureden.
Im übrigen glaube ich, daß die Klagen in Bezug auf die Grundbuchkosten vom speziell nassanischen Standpunkte aus kaum be⸗ gründet erscheinen werden, weil es sich gerade in Nassau bei dem dort außerordentlich zersplitterten Grundbesitz vornehmlich um kleinere Objekte handeln wird und für die kleinen Obielte bekanntlich die Grundbuchkosten schon eine Ermäßigung in dem Gesetz von 1895 auf Kosten der großen Objekte erfahren haben.
Was endlich die Errichtung eines neuen Zentralgefängnisses für den Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt betrifft, so sind die in dieser Beziehung schwebenden Verhandlungen zu einem Abschluß noch nicht gelangt. Die Verhandlungen sind im Gange, sie werden fort⸗ gesetzt. Die Justizverwaltung hat das allergrößte Interesse dabei, bald zu einem weiteren großen Gefängniß im Frankfurter Bezirk zu gelangen und so aus dem sehr wenig erfreulichen Zustand in Eberbach herauszukommen, womit ja zugleich der Zweck erreicht werden würde, daß diese schöne alte Abtei einem idealeren Zweck gewidmet werden könnte, als es im Augenblick der Fall ist. Zu welchem Ergebniß aber die schwebenden Verhandlungen führen werden, darüber bin ich absolut nicht in der Lage, hier eine Meinung auszusprechen. Viel⸗ leicht wird ja der Umstand, daß der Dominialweinbergsbesitz im Rheingau sich erweitert hat, bewirken, daß auch die landwirthschaftliche Verwaltung ein größeres Bedürfniß an der Inanspruchnahme der Räume im Kloster Eberbach hat und deshalb vielleicht in verstärktem Maße dem Wunsch der Justizverwaltung unterstützend beitritt, daß wir dort herauskommen. (Bravo!)
Abg. Hobeisel (Zentr.) befürwortet, daß für die jugendlichen Gefangenen nicht nur Gottesdienst, mit dem es allein nicht gethan sei, sondern auch ein regelmäßiger Schulunterricht eingerichtet werde. In der Remuneration der betreffenden Lehrer dürfe der Staat aber nicht zu sparsam sein. Eine derbe Züchtigung sei für die Jugead viel besser, als wenn man sie vor den Staatzanwalt bringe. Ueber die Prügel⸗ strafe im Gefängniß wolle er sich nicht äußern. Auf die Jugend im Gefängniß müsse nicht nur durch die Freiheitsstrafe eingewirkt werden, man müsse auch das Gemüth der Kinder beeinflussen; die aus dem Gefängniß entlassene Jugend müsse zu tüchtigen Meistern gebracht werden. In Schlesien fehle es an polnischen Geistlichen in den Ge⸗ fängnissen.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Die Befolgunz des von dem Herrn Abg. Hoheisel am Schlusse seiner Bemerkungen ausgesprochenen Wunsches, dem ich eine innere Berechtigung keineswegs abspreche, wird auf erhebliche praktische Schwierigkeiten stoßen. Es ist nicht möglich, in den Gefängnissen Niederschlesiens, von denen wohl hauptsächlich der Herr Abg. Hoheisel gesprochen haben wird (Abg. Hoheisel: Mittelschlesien!), — oder Mittelschlesien — auch für Geistliche, Lehrer und Beamte zu sorgen, die der polnischen Sprache mächtig sind, für die vereinzelten Fälle, in denen dort auch Verurtheilte polnischer Zunge zur Straf⸗ vollstreckung gebracht werden. Und etwa diese polnischen Gefangenen nun nach Oberschlesien zu schicken, wo Beamte und Geistliche sind, die diese Sprache beberrschen, das würde unter Umständen eine wesentliche Verschärfung der Strafe für die polnischen Gefangenen enthalten, wenn sie so weit von ihrer augenblicklichen Heim⸗ stätte weggebracht würden. Ich weiß nicht, ob es möglich sein wird, in dieser Beziehung den Wünschen des Herrn Abgeordneten zu genügen.
Wer der Gewährsmann des Herrn Abg. Hoheisel ist, der ihm über meine angeblichen Absichten bezüglich der Höhe der Remuneration für die Nebenthätigkeit von Lehrern in den Gefängnissen für Jugend⸗ liche die Mittheilung gemacht, die der Herr Abgeordnete vorhin er⸗ wähnt hat, weiß ich nicht; jedenfalls habe ich niemanden ermächtigt, eine solche Erklärung abzugeben. Ich kann die Versicherung geben, daß die Justiwverwaltung durchaus geneigt und gewohnt ist, den Lehrern im Nebenamt für den Unterricht in Gefängnissen eine angemessene Remuneration zu bewilligen. Die Frage wird durch Verträge überall geregelt. Mir sind Beschwerden, daß die Remuneration etwa zu niedrig be⸗ messen sei, daß ein unangemessener Druckauf die Lehrerausgeübt würde, nicht bekannt geworden. Für die im Hauptamt angestellten Lehrer in den großen Anstalten für Jugendliche werdea als maßgebend die Gehalts⸗ sätze für Volksschullehrer nach den dafür bestehenden Grundsätzen betrachtet.
8 Klagen über die Zustände im Spandauer Gefängniß, soweit
dort Strafen an Jugendlichen vollstreckt werden, werden im wesent⸗ lichen durch eine Anordnung gegenstandlos werden, die dahin getroffen ist, daß sowohl in Spandau wie in Charlottenburg nur ganz kurze Strafen an jugendlichen Personen vollstreckt werden sollen, alle Strafen dagegen von längerer Dauer ia denjenigen Anstalten zur Vollstreckung gebracht werden sollen, die mit besonderen Einrichtungen für jugend⸗
Abgeordneten geäußerten Wunsche näherzutreten. Im übrigen erkenne ich vollständig an, was der Herr Abgeordnete gesagt hat in Bezug auf die Erziehung der jugendlichen Gefangenen. Seweit dabei auch die Frage erörtert worden ist, was mit den jugend⸗ lichen Gefangenen zu geschehen habe, nachdem sie ihre Strafe verbüßt haben, wie also für ihr besseres Fortkommen und dafür, daß sie in eine gute Umgebung gebracht werden, zu sorgen sei, so liegt das ja im wesentlichen außerhalb des Bereichs der Gefängnißverwaltung; es fällt der freiwilligen Liebesthätigkeit zu, für dieselben zu sorgen. Ich muß sagen, daß ich diese Thätigkeit aus vollem Herzen anerkenne, und daß mit ihr Hand in Hand zu arbeiten, die Gefängnißverwaltungen, wenn sie nach meinen Intentionen vorgehen, sehr gern bereit sein werden. Ich werde mich freuen, wenn ein solches Zusammenarbeiten zu diesem sehr guten und edlen Zweck sich überall mehr und mehr entwickelt. Denn niemand wird verkennen, von wi großer Bedeutung es ist, daß die Sorge für die Besserung der Ge⸗ fangenen nicht mit dem Augenblick ihr Ende erreicht, wo sie die Strafe verbüßt haben. Die Zucht in den Gefängnißschulen muß natürlich eine strenge sein; sie macht aber nicht entbehrlich oder sie schließt nicht aus die Anwendung des Strafgesetzes gegen jugendliche Personen, soweit dieselben gegen Strafgesetze verstoßen haben. Daß unter Umständen eine strenge Schulzucht ein besseres Ergebniß zu erzielen geeignet sein möchte wie die Anwendung des Strafgesetzes, gebe ich ohne weiterez zu. Vielleicht kommen wir dazu, daß das Strafmündigkeitsalter, wie es erstrebt wird und den Gegenstand der Erwägung bildet, hinausgeschoben werde, sodaß die ganz jugendlichen Personen nicht mehr vor den Strafrichter gebracht werden. Dann würde sich auch die Möglichkeit ergeben, besonders wenn das Gesetz über die Zwangserziehung zustande kommt, das dem Hause gegenwärtig vorliegt, an die Stelle der Anwendung des Strafgesetzes andere Besserungsmittel treten zu lassen wie die Vollstreckung der Gefängniß⸗ strafe. 1 6
bo ent wert sich darüber, daß ein rheinischer vecatssn b Sene 1.b wegen ihres Gewerbebetriebes für unglaubwürdig erklärt habe. Der Richter sei allerdings nach Opladen versetzt, habe aber in Köln Wohnung genommen. Es müsse auch mehr für die Justizvflege gesorgt werden. Die Einwirkung auf daz Gemüth der jugendlichen Gefangenen dürfe nicht von der Höhe des Budgets des Finanz⸗Ministers abhängen. Der eigentliche Zweck der Strafe sei die Besserung, nicht die Strafe selbst.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Der Herr Abg. Pleß hat hier einen Vorgang zur Sprache gebracht, der auch in den Zeitungen vielfach erörtert, aber sowohl in den Zeitungen wie auch durch den Herrn Abgeordneten nicht durchaus richtig dargestellt worden ist. Die Sache ist einfach die: ein Amtsrichter bei dem rheinischen Amtsgericht Ratingen in der Nähe von Düsseldorf hat bei Aufnahme eines gerichtlichen Akts, zu dem fremde Persogen vor ihm erschienen waren, die von diesen Fremden mitgebrachten Rekognitionszeugen beanstandet mit der Be⸗ gründung, es seien Gastwirthe, und die Rekognition durch Gastwirtbe entbehre der nöthigen Zuverlässigkeit, weil diese Herren leicht geneigt seien, jeden, der bei ihnen mal eine Flasche Wein getrunken habe, zu rekognoszieren. Diese Bemerkung war zweifellos unangemessen und enthielt eine uaberechtigte Kränkung eines achtungswerthen Standes. Die Betheiligten haben sich beschwert, und nach eingehender Unter⸗ suchung ist dem betreffenden Amtsrichter durch den Landgerichts⸗ Präsidenten eine ernstliche Mißbilligung seines Verhaltens aus⸗ gesprochen.
Ich glaube, damit hätte die Sache als abgethan an⸗ gesehen werden können. Die Herren haben aber die An⸗ gelegenheit zum Gegenstand einer großen Agitation gemacht. Die gesammten Gastwirthsvereine in Preußen sind, glaube ich, aufgefordert worden, wegen dieser Kränkung und Beleidigung ihres Standes Beschwerde zu führen. Sie haben sich erst bei dem Oberlandesgerichts⸗Präsidenten und dann, als sie dort keinen Erfolg hatten, auch bei mir beschwert. Ich bin der Meinung, daß die Sache durch das, was der Landgerichts⸗Präsident gethan hat, genügend erledigt war, daß zu weiteren Disziplinarmaßregeln kein Anlaß gegeben, und daß die Sache nicht dazu angethan ist, über Gebühr aufgebauscht zu werden. (Bravo!)
Es war nun die Stellung des Herrn in seinem gegenwärtigen Amte durch Anfechtungen, die er dort erlitt, erschwert. Ich habe ihn daher mit seiner Zustimmung nach Opladen versetzt, das ist ein Ort, der mit Ratingen ungefähr auf der gleichen Stufe steht. Wenn nun aber behauptet wird, es sei diesem Herrn von der Justizverwaltung gestattet worden, in Köln seine Wohnung zu nehmen, so ist diese Behauptung gänzlich unbegründet. Die Sache liegt so, daß der Herr in Opladen keine Wohnung finden konnte und infolgedessen in dem nahen Köln für sich und seine Familie eine Wohnung gemiethet hat. Die Eisenbahnverbindungen sind dort sehr gute; man fährt in 10 oder 12 Minuten von Köln nach Opladen, und der Herr hat gemeint, er könne von Köln aus, wo er die Nächte zu⸗ brachte, auch seine dienstlichen Obliegenheiten erfüllen. Von einer Zustimmung der Justizverwaltung zu diesem Schritt ist gar keine Rede gewesen. Sobald ich aus den Zeitungen Kenntniß davon er⸗ halten habe, bin ich der Sache näher getreten. Der Herr hat sich damit entschuldigt, daß es ihm trotz aller Mühe nicht gelungen sei, ein Unterkommen in Opladen zu finden, und daß er sich daher in einer Nothlage befunden habe. Ich habe diese Gründe nicht anerkannt und habe den Herrn angewiesen, wenigstens für seine Person sofort seinen ständigen Wohnsitz in Opladen als seinem Amtssitz zu nehmen, und zwar nicht nur für den Tag, sondern auch für die Nacht, und womöglich bis Ostern, wo Wohnungen wahrscheinlich frei werden, auch seine Familie dort unterzubringen. Wie da von einer Ver⸗ günstigung seitens der Justizverwaltung die Rede sein kann, ist mir unverständlich. Ein solches Urtheil kann nur auf falschen Mitthei⸗ lungen über die Thatsachen beruhen, die ich mich freue, richtig gestellt zu haben. (Bravo!l)
Abg von Pappenheim (kons.) wäünscht eine Neuregelung der
liche Personen versehen siad. Ich glaube, es wird deshalb auch für
kunft das Bedüärfaiß nicht vorliegen, dem von dem Herrn
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Verhältnisse bei der Hinterlegung von Werthpapieren; jetzt scheine
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