1900 / 43 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Feb 1900 18:00:01 GMT) scan diff

ihnen Nutzen hat. Die Diensteintheilung des Fahrpersonals von Elsaß⸗Lothringen ergiebt für die meisten Beamten eine durch⸗ schnittliche tägliche Dienstdauer von 12 Stunden. Der Beamte, der zum Schutze des Publikums da ist, muß doch vor Allem von seinen Vorgesetzten in den Stand gesetzt werden, allen seinen Dienstobliegen⸗ heiten gerecht zu werden. Was soll werden, wenn die jetzt angebahnte Personentarifreform nicht zu stande kommt?

Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:

Meine Herren! Auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Hauß bezüglich der Reform der Personentarife will ich hier nicht näher eingehen; ich beziehe mich auf das, was ich bereits gesagt habe, und möchte nur kurz die Frage des Herrn Abgeordneten beantworten, was nun geschehen solle, wenn aus der jetzt angebahnten Reform der Personentarife nichts wird. Diese Frage kann ich kurz dahin beantworten, daß ich das selbst noch nicht weiß; das wird sich finden, wenn abzusehen ist, zu welchem Ergebniß die Verhandlungen, namentlich mit den süd⸗ deutschen Bahnen, die ja möglicherweise in separato eingeleitet werden, führen werden.

Ich möchte nun noch hinzufügen, daß, wenn die Reform, wie wir hoffen, Erfolg hat, der erste Paragraph des neuen Tarifs voraussichtlich der sein wird: es giebt weder Kilometerhefte, noch Fahrscheinhefte, noch Rückfahrkarten, noch Ladekarten, Saisonkarten, Sonntagskarten und dergl., sondern es giebt in Zukunft ein einfaches Billet und daneben noch Karten für gewisse soziale Sonderbedürfnisse und dergl. Aber was werden wird, wenn die Reform nicht zu stande kommt, darüber kann ich mir erst ein Urtheil bilden, wenn die betreffende Thatsache vorliegt.

Indeß gestatte ich mir, auf eine weitere Bemerkung des Herrn Abg. Hauß Einiges zu erwidern: Wenn derselbe meinte, daß die württembergischen Landeskarten in außerordentlich großem Umfange benutzt würden, so ist er im Irrthum. Diese Benutzung ergab im Jahre 1898 3,2 % der gesammten Einnahmen aus dem Personenverkehr. Die Kilometerhefte werden allerdings viel umfangreicher benutzt; ihre Benutzung stellt sich zur Zeit auf etwa 27 %. Die badische Ver⸗ waltung verkennt aber, wie ich wohl glaube anführen zu dürfen, keineswegs neben den Vortheilen der Einrichtung auch deren Schatten⸗ seiten. Was dabei überwiegt, der Vortheil oder der Nachtheil, das bleibe dahingestellt, ebenso dahingestellt, wie die zukünftige Gestaltung der Personentarife auf den Reichs⸗Eisenbahnen. Im übrigen weiß der Herr Abg. Hauß des liegt klar zu Tage⸗ wenn einer den Atlas in die Hand nimmt —, daß die Reichs⸗Eisen⸗ bahnen im wesentlichen in demselben Gleise gehen müssen wie die süddeutschen Bahnen, und daß es dringend wünschenswerth ist, daß in der Beziehung, wenn die große allgemeine Tarifreform nicht zu stande kommt was ich immer noch hoffe —, wenigstens innerhalb des süddeutschen Gebiets eine thunlichste Einigung in Bezug auf das Personentarifwesen sich vollzieht.

Der Herr Abg. Hauß hat dann eine Klage vorgebracht, der sehr leicht abzuhelfen ist, von der mich eigentlich wundert, daß er gerade als Bewohner von Elsaß⸗Lothringen sie erhebt, nämlich, daß die großen internationalen D⸗Züge auf zu vielen Stationen in Elsaß⸗Lothringen halten. Das können wir sofort abstellen. (Heiterkeit.) Aber ich glaube, wir würden damit einen großen Schrei der Entrüstung im ganzen Lande hervorrufen. Wir gehen allmählich auch darauf aus, die D⸗Züge vom lokalen Verkehr zu entlasten. Das wirksamste Mittel zu diesem Zweck würde darin bestehen, daß die Züge nicht halten. Ein nicht so radikales, aber immer noch recht erfolgreiches Mittel ist die Platzkarte. Von der Bedeutung der Platzkarte nach dieser Richtung haben sich die übrigen deutschen Bahnen später als wir, aber ebenso vollständig überzeugt. Wir können die D⸗Züge noch nicht von allen den Stationen loslösen, auf denen sie jetzt halten, weil erst dafür gesorgt sein muß, daß andere Verbindungen, die ungefähr denselben Werth für die betreffenden Stationen haben, hergestellt sind.

Der Herr Abg. Hauß hat schon anerkannt, daß die Verwaltung sich in der Beziehung bereit erklärt hat, entgegenzukommen und all⸗ mählich den Fahrplan in diesem Sinne umzugestalten. Dann wird er es auch erleben, daß die D⸗Züge künftig an jenen Orten vorbeisausen.

Was die Beamtenfrage anbetrifft, so ist auch sie hier vielfach erörtert worden. Wir sind stetig in der Beziehung vorangeschritten, den Beamten keine übermäßigen Dienstbelastungen zuzumuthen, den Dienst so zu gestalten, daß ein Mann mittleren Durchschnitts ihn gut bewältigen kann. Der Eisenbahndienst ist aber kein so schematischer, daß man ohne weiteres für jeden Dienst genau die Dauer vor⸗ schreiben kann. Wir können nur durchschnittliche Maximal⸗ schranken setzen, nicht aber sagen: der Zugbeamte soll in jedem Fall nur 11 Stunden Dienst haben. Dann würden wir erleben, daß wir mitten auf der Strecke halten müssen und die Herren Schaffner sich verabschieden, da ihre Uhr mit 11 Stunden ab⸗ gelaufen. Das ist nicht möglich. Unregelmäßigkeiten sind in dem großen Eisenbahndienste niemals ganz zu vermeiden. Sie mit Ent⸗ lastungen auszugleichen, ist das Bestreben der Verwaltung.

Wenn der Herr Abg. Hauß gesagt hat, es seien ihm verschiedene Fälle mitgetheilt worden, in denen das nicht der Fall gewesen wäre, wirkliche Härten in der Inanspruchnahme des Personals vor⸗ gelegen haben, so haben wir in den Kommissionsverhandlungen den Herrn Hauß gebeten, uns diese Fälle mitzutheilen, damit ich in der Lage bin, als Aufsichtsbehörde dem nachzugehen und Remedur zu schaffen. Diese Fälle sind aber nicht mitgetheilt worden, weder in den Kommissionsverhandlungen noch heute. Ich richte daher nochmals an den Herrn Abg. Hauß die Bitte, diesem meinem Er⸗ suchen zu entsprechen, es wird sich dann finden, ob die Angaben richtig sind oder nicht; derartige Angaben sind öfters mit Vorsicht auf⸗ zunehmen.

Endlich Bischweiler eins der grausigsten Unglücke, die ich in meinem langen Eisenbahndienst erlebt habe, ein Unglück, das mir lange nach gegangen ist, aber das, wie die meisten dieser Unglücke, auf einer Kombination von Vernachlässigung und Fehlern beruht, deren jeder einzelne nicht hingereicht hätte, das Unglück herbeizuführen. Ich will darauf hier nicht näher eingehen, zumal ja die verwaltungzseitige und gerichtliche Untersuchung über den Fall noch nicht abgeschlossen ist.

Der Herr Abg. Hauß hat, ebenso wie das in der Kommission auch von anderen Herren geschehen ist, bemängelt, daß der Post⸗ wagen, der in diesen D⸗Zug in Weißenburg eingesetzt worden war, um in Straßburg wieder ausgesetzt zu werden, von geringerem Gewicht gewesen ist als die Wagen des D⸗Zuges, das ist richtig; es war em Dreiachser, während die Wagen des D⸗Zuges vier Achsen hatten. Immerhin kann man aber nicht behaupten, daß das ein leichter Wagen ist, der bei jeder Gelegenheit, wo es einmal Stücke giebt, sofort zertrümmert wird.

Es ist das Wagenmodell, welches in der ganzen Welt heutzutage noch läuft. Die schweren D⸗Zugwagen sind noch lange nicht überall so verbreitet wie bei uns in Deutschland und namentlich in Preußen. In vielen anderen Ländern kennt man keine anderen Wagen für Post⸗ wagen als diese Dreiachser, die ja nach manchen Richtungen hin auch viel zweckmäßiger sind als die schweren Vierachser: der Postwagen muß häufig aus⸗ und eeingestellt werden, er bedarf auch vielfach in den großen internationalen Zügen nicht so viel Inhalt, daß die großen Vierachser voll ausgenützt werden, kurz und gut, es ist eine ganze Reihe von Gründen, die es auch für die Postverwaltung offenbar nicht immer thunlich und auch nicht immer, glaube ich, rätblich erscheinen lassen, namentlich für so kurze Strecken, gleich vierachsige Wagen einzustellen. Wenn der Herr Abg. Hauß dazu die Bemerkung gemacht hat, daß die Einstellung des Postwagens direkt hinter dem Tender, wo er zu gleicher Zeit die Rolle eines Schutzwagens zu spielen hatte, ent⸗ gegen den gegebenen Vorschriften erfolgt sei, so ist das nicht ganz richtig. Es steht in den Vorschriften nur „thunlichst“. Das ist ein weiter Begriff. Wir sind augenblicklich und das Bischweiler Unglück hat Veranlassung dazu gegeben mit Er⸗ mittelungen beschäftigt, ob bezüglich der Stellung des Postwagens in den Zügen etwas zu ändern sei. Den Postwagen in die Mitte des Zuges zu stellen, ist meistens aus Betriebsrücksichten kaum thunlich, ihn an das Ende zu stellen, ist nach meiner Meinung und nach meinen langjährigen Erfahrungen mindestens ebenso gefährlich, wie wenn man ihn vorne einstellt. Ein großer Theil der perniziösen Unglücksfälle entsteht durch Hintendrauffahren. Diese Fälle sind verhältnißmäßig häufiger und in ihren Folgen ver⸗ derblicher, als das Aufstoßen vorne, denn bei dem Aufstoßen von vorne bildet schon die Lokomotive mit dem Tender einen sehr wirk⸗ samen Puffer. Also nach der Richtung hin soll sicher nichts ver⸗ säumt werden. Wir fühlen uns voll verantwortlich nicht nur für unsere Leute, sondern auch für die Postbeamten und für jeden Passagier, der überhaupt im Zuge ist. Wie die Frage aber nach jeder Richtung hin zweckmäßig zu lösen sein wird, das, meine Herren, wird zur Zeit noch näher untersucht. 8

Abg. Riff⸗Straßburg (fr. Vgg.): Die Erklärung der Regierung über die Reform der Personentarife hat sehr enttäuscht. Da der Bischweiler Eisenbahnunfall noch den Gegenstand der Untersuchung bildet, werde ich jetzt darauf nicht weiter eingehen. Bei dem Unfall

haben fünf Beamte einen gräßlichen Tod erlitten; ich nehme an, daß es weder der Eisenbahn“⸗, noch der Postverwaltung einfallen wird,

ihre rechtlichen Verpflichtungen zu vollem Schadenersatz irgendwie zu⸗

bestreiten. Im diesjährigen Etat ist noch keine Position erschienen, welche erkennen läßt, ob die Eisenbahnverwaltung unsere Re⸗ solution wegen Beseitigung der Niveauübergänge bei Straßburg aus⸗ führen will. In der sonnificn hörten wir, daß dies im nächsten Etat geschehen soll; man will aber durchaus die Stadt Straßburg beitragspflichtig machen. Die Kommission hält aber an ihrem vor⸗ jährigen Standpunkt fest. Gegen die Einführung von Verkehrs⸗ verbilligungen wird geltend gemacht, es liege kein wirthschaftliches Bedürfniß vor; die Ausgaben der Eisenbahnverwaltung seien im beständigen Wachsen begriffen, und man fahre in anderen Ländern weit theurer als bei uns. Der letztere Grund ist doch ganz und gar nicht von Bedeutung; außerdem wäre noch zu prüfen, ob dlese Behauptung überhaupt richtig ist. Vor einigen Jahren erst ist der Personentarif in Frankreich heruntergesetzt worden, und aus⸗ giebig ist dabei die dritte Klasse berücksichtigt worden. Wie ein rother Faden zieht sich durch sämmtliche Jabhresberichte der Handelskammer von Straßburg das Verlangen nach einer Reform der Personentarife, und ursprüglich hat auch die Eisenbahnverwaltung dieser Frage wohlwollend gegenübergestanden. Nach einigen Jahren ist der Wind umgeschlagen, Kilometerhefte u. s. w., die früher in Aussicht gestellt waren, wurden zurückgewiesen, dagegen eine allgemeine Ermäßigung der Tarife und Beseitigung aller besonderen Bestim⸗ mungen angekündigt. Im Jahre 1899 hörte man von einer Vereinfachung der Tarife, woneben aber auch noch die Ermäßigung erwähnt wurde; heute aber ist auch die Ermäßigung gänzlich verschwunden. Wenn eine Eisenbahnverwaltung so große Ueberschüsse hat wie die Reichs⸗ Eisenbahnen, so kann man sich nicht hinter die steigenden Ausgaben zurückziehen; bei so günstiger finanzieller Sttuation können die Erträg⸗ nisse leicht eine kleine Minderung erleiden, uad es ist sogar fraglich, ob diese Minderung überhaupt eintritt. Herr Paasche hat allerdings schon ig der Kommission gemeint, die Rentabilität der Reichseisenbahnen sei zu hoch berechnet. Das größte Hinderniß für die Entwickelung des Lokalverkehrs ist, daß die elsässischen Eisenbahnen hauptsächlich als strategische Bahnen im Interesse der Landesvertheidigung aus⸗ gebaut sind. Es bleibt uns Elfässern, denen diese Fragen sehr am Herzen liegen, leider nichts übrig, als an dieser Stelle die Aufmerk⸗ samkeit der Oeffentlichkeit auf unsere Wünsche und Anliegen zu lenken.

Abg. Graf Svon Bernstorff⸗Lauenburg (Rp.): Es ist doch sehr gut, daß die angekündigte Vereinfachung noch nicht eingetreten ist, denn die Aufhebung der Rundreisebillets, der kombinierten Hefte, auch der Retourkarten, würde sehr zu bedauern sein. Ich habe ein ziemlich umfangreiches Eisenbahnreisebudget in meinen Privatverhältnissen; aber ein einzelnes Billet kommt bei mir fast nie vor. Ich richte nochmals an die Verwaltuug die Bitte, diese bequemen Einrichtungen nicht auf⸗ zugeben, vielmehr die Gültigkeit der Retourbillets ganz allgemein auf 10 Tage zu verlängern. Die Eisenbahnverwaltung hat die Ent⸗ lastung des Lokalverkehrs durch die Platzkarte herbeizuführen gesucht; aber eine Ermäßigung des Preises, wenn es sich nur um kurze Strecken handelt, wäre zu empfehlen.

Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:

Meine Herren! Ich möchte die Sorge des Herrn Grafen von Bernstorff, daß in Zukunft, wenn die Personentarifreform wirklich nach dem von mir angedeuteten Programm durchgeführt ist, das Reisen unbequemer wird, zu zerstreuen versuchen. Der Herr Ab⸗ geordnete verwechselt die Tarifbildung mit Rabattgewährung einerseits und der Einrichtung der Billets andererseits. Was man vielfach jetzt nicht mehr für gerechtfertigt erachtet und deshalb abschaffen will, ist der Rabatt, der auf Rückfabrtkarten und Fahr⸗ scheinhefte gegeben wird. Dagegen kann und wird die Bequemlichkeit, die in den Fahrscheinhesften und Rückfahrtkarten liegt, unbedenklich erhalten werden. Es wird voraussichtlich ich bin ja nicht allein derjenige, der darüber zu entscheiden haben wird, sondern die anderen deutschen Staats⸗Eisenbahnverwaltungen haben im gegebenen Falle ebenso mitzusprechen das Fahrscheinheft in Zukunft genau so eingerichtet sein wie heute, nur daß es etwas mehr kosten wird (Heiterkeit links), und zweitens, daß statt der Rückfahrtkarte man in Zukunft zwei einzelne Karten zu lösen hat. (Zurufe links.) Das ist das System gewesen, welches von vornherein seitens der Reichs⸗ Eisenbahnverwaltung und seitens der preußischen Staatsbahnverwaltung ins Auge gefaßt worden ist, und ich bemerke dem Herrn Abg. Riff gegenüber, daß in diesem Standpuakt gar kein Wechsel eingetreten ist, Wund daß auch der von Herrn Riff verlesene Passus aus dem Schreiben der General⸗Direktion Straßburg, wie Herr Riff bei nochmaliger Prüfung finden wird, genau damit übereinstimmt. Da ist die Rede von einer Ermäßigung der Normalpreise, also derjenigen für die einfachen Fahrkarten. Eine solche muß natür⸗

licherweise eintreten, sonst würde eine Vertheuerung des durchschnitt, lichen Fahrpreises die Folge sein, was ein jeder von uns für aug, geschlossen hält. Nicht anders ist der Inhalt des Schreibens von Straßburg zu verstehen, obwohl dieses nicht von mir veranlaßt worden sondern eine selbständige Aeußerung der General⸗Direktion ist.

Abg. Leinenweber inl.) empfiehlt der Eisenbahn. Verwaltung eine Reihe neuer Eisenbahn⸗Verbindungen der Pfalz mit den Reichs⸗ landen in Erwäaung zu ziehen.

Abg. Dr. Müller⸗Sagan: Die Tarifreform ist bisher immer dahin verstanden worden, daß es sich nicht nur um eine Vereinfachung sondern auch um eine Ermäßigung handeln sollte. Die Eisenbahn habe ja doch das Verkehrsmonopol. Nach der Reichsverfassung hat das Reichs⸗Eisenbahnamt die Aufgabe, auch auf die Verbiltligung der Tarife hinzuwirken. Wie kann man behaupten, daß kein Bedürfniß für die Verbilligung vorhanden ist? Die Herabsetzung der Tarife für die Urlauber wird ziemlich unfreundlich zurückgewiesen, obwohl doch z. B. der auf Urlaub fahrende Kadett nur 1 zu bezahlen hat der Bauernsohn aber nach wie vor 1,5 entrichten soll. Redner kommt dann auf die Kontrole der Eisenbahnlektüre, soweit sie in den Bahnhofsbuchhandlungen dargeboten werde. Er bemängelt das zur An⸗ wendung kommende Kontrolsystem; gerade die Bahnverwaltung sei nicht dazu da, Parteipolitik zu treiben. Wenn der „Vorwärts“ nicht verkauft werden dürfe, so sei das nicht ein Nachtheil, sondern ein Vor⸗ theil für die Sozialdemokratie.

Abg. Hauß: Ich muß sehr bedauern, daß man noch immer nicht weiß was aus der seit 10 Jahren schwebe den Tarifreform überhaupt werden wird. Wenn Elsaß⸗Lothringer nach der Schwezz reisen wollen meiden sie die Reichs⸗Eisenbahn und treten die Reise mit dem Kilo⸗ meterheft von einer badischen Station an. Warum müssen wir gerade in Elsaß⸗Lothringen die D⸗Züge benutzen? Weil wir keine Lokalzüge haben; der theure Schnellzug muß bei uns dem Lokalverkehr dienen. Für die Beschwerden der Beamten über Dienstüberbürdung habe ich ja schon auf die Dienstinstruktion hingewiesen, aus der sich diese Ueber⸗ bürdung ganz von selbst ergiebt. Für die Müller'’sche Resolution werden wir stimmen; wir bitten aber auch um die Berücksichtigung der Raiffeisen⸗Vereine bei Gewährung freier Rückfahrt vom Ver⸗ bandstage.

Abg. Dr. Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode (d. kons.): Für die Herabsetzung des Tarifs für beurlaubte Soldaten giebt es erhebliche wirthschaftliche und soziale Gründe. Wir befürworten diese Herabsetzung. Die Beseitigung der Rückfahrkarten ist durchaus am Platze; sie waren berechtigt, als wir noch mit den Privatbahnen kämpften; heute haben sie keine Berechtigung mehr. Die übrigen Er⸗ leichterungen kommen im wesentlichen nur den großen Städten zu gute; die Bewohner der Kleinstädte und des platten Landes haben nichts davon. Eine allgemeine Herabsetzung der Personentarife soll statt⸗ wenn ihr eine Herabsetzung der Gütertarife voraufgegangen ein wird.

Abg Schrader (fr. Vgg.): Von dem Programm Mavybach, das vor 10 Jahren auch die Zustimmung der verbündeten Regierungen hatte, ist es jetzt ganz still geworden. Was jetzt gescheben soll, ist Wegfall der Retourbillets unter Ermäßigung des einfachen Fahr⸗ preises; für alles Uebrige, Rundreisebillets u. s. w., hat nach der Meinung des Herrn von Thielen der größte Theil des Publikums kein Interesse. Ich meine im Gegentheil, das Publikum hat an der Reform, die jetzt geschaffen werden soll, gar kein Interesse, wohl aber ein großes Interesse daran, daß die Verbilligungen, die jetzt bestehen, bestehen bleiben. Durch den Wegfall der Bäderkarten werden die gesammten Ostseebäder sehr ge⸗ schädigt werden. Die Fahrscheinhefte sind in gewissem Sinne un⸗ bequem, aber das Publikum nimmt die Unbequemlichkeit wegen der Preisermäßigung gern auf sich. Mit den bisherigen Ermäßiguagen im Personen⸗ wie im Güterverkehr hat die Verwaltung doch keine schlechten Erfahrungen gemacht, sondern ihre Einnahmen stetig wachsen sehen. Die vierte Klasse muß endlich aufgehoben werden.

Der Abg. Hauß hat inzwischen eine Resolution eingebracht, welche die freie Rückfahrt für die Mitglieder von Raiffeisen⸗ schen Darlehnskassen, Mitglieder landwirthschaftlicher Kreis⸗ vereine ꝛc. bei der Theilnahme an Verbandstagen befürwortet.

Abg. Graf von Bernstorff⸗Lauenburg bestreitet, daß nur die großen Städte von den Rundreisekarten Vortheil haben.

Abg. Gamp (Rp.) führt aus, daß die Auffassung des Abg. Müller, daß das Reichs⸗Eisenbahnamt auf Grund der Verfassung die Tarifermäßigung zu betreiben habe, nicht zutreffe. Ueber Er⸗ mäßigungen könne nur derjenige befinden, in dessen Verwaltung sich das Eisenbahnnetz finde. Ein Vorwurf gegen die Verstaatlichung der Eisenbahnen lasse sich aus der Lage der Tariffrage nicht herleiten. Einen Anspruch auf Berücksichtigung hätten die Ostseebäder doch auch nicht. Wenn weiter nichts geschehen solle, als daß die vierte Klasse abgeschafft und der Preis der vierten auf die dritte übertragen werde, so sei damit niemandem ein Dienst erwiesen. In der zweiten Klasse fahre man jetzt in Deutschland besser als im Auslande in der ersten. Den Antrag Müller wegen der Personentarife sollte der Reichstag ablehnen. Die Rente der Reichsbahn sei nur 3 27 %.

Abg. Dr. Müller⸗Sagan: Es muß doch bei der Beurtheilung dieser Rente erwogen werden, daß eine große Menge von Aufwendungen für die Reichseisenbahn im Landesvertheidigungsinteresse erfolgen. Ich habe nichts dagegen, wenn neben der Personentarifermäßigung auch eine Ermäßigung der Frachttarife erfolgt; ich habe den Antrag nur eingebracht, weil die Kommission eine Ermäßigung der Kohlentarife ausdrücklich in einer Resolution empfohlen hat. Ich erweitere aber, um den Herren entgegenzukommen, meinen Antrag dahin, daß er sich auch auf die Herabsetzung der Gütertarife erstrecken soll. Auch die Reichs⸗Eisenbahnverwaltung hat doch die Aufgabe zu werben, um die Symvathie der Bevölkerung für Deutschland zu gewinnen, und dazu gehören auch Verkehrserleichterungen und Verkehreverbilligungen.

Abg. Dr. Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode: Soviel ich weiß, befinden sich bei sämmtlichen deutschen Eisenbahnen derartige Posten, wie sie Herr Müller erwähnt hat, Aufwendungen, die im Interesse der Landesvertheidigung gemacht sind. Herr Schrader meint, das Publikum habe kein Interesse an der Vereinfachung der Tarife, wie sie der Minister plant; er hätte Recht, wenn er sagte: das groß⸗ städtische Publikum. Man soll die Tarife thunlichst den Selbst⸗ kosten entsprechend regulieren; das ist doch ein ganz allgemeiner Standpunkt.

Abg. Schrader tritt den Ausführungen des Abg. Gamp ent⸗ gegen. Daß die Einrichtungen zur Erleichterung und Verbilligung des Verkehrs in erheblichem Umfange auch der Stadt Berlin zu gute kämen, sei ja zuzugeben, aber daß sie ihr ausschließlich zu gute kommen sollen, sei doch eine außerordentliche Uebertreibung.

Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:

Meine Herren! Die Erörterungen über die Reform der Personen⸗ tarife haben allmählich einen mehr und mehr akademischen Charakter angenommen. Es wird geredet und gestritten über ein Kind, das noch nicht geboren ist, über seine Eigenschaften, seine Entwickelungs⸗ fähigkeit u. s. w. Und bis zur Geburt des Kindes wird nach meiner Ueberzeugung noch geraume Zeit vergehen. Denn einer solchen, ganz Deutschland umfassenden Tarifreform stehen, wie ich mir bereits wiederholentlich in diesem hohen Hause, zuletzt, meine Herren, in der Budgetkommission, erlaubt habe auszuführen, gerade im Personenverkehre besondere Schwierigkeiten entgegen. Sie beruhen, mit zwei Worten gesagt, darin, daß das ganze System der Beförderung der Reisenden in Süddeutschland ein anderes ist, als in Norddeutschland. In Süddeutschland bestehen für die Be⸗ förderung der Reisenden nicht vier, sondern nur drei Wagenklassen, und wird für das Gepäck kein Freigewicht gewährt. Hierzu tritt eine Reihe sonstiger Abweichungen. Kilometerhefte und Landeskarten sind füddeutsche Sondereinrichtungen; die Berechnung und Erhebung der

Schnellzugszuschläge findet in Süddeutschland nach anderen Grund⸗ sätzen statt als in Norddeutschland u. s. w.

Nun wird es außerordentlich schwierig sein, die historisch fest⸗ gewurzelten Einrichtungen in dem einen oder dem anderen Lande auf⸗ zuheben und zu einer gemeinschaftlichen Einrichtung zu kommen. Nordddeutschland wird seine vierte Klasse nicht darangeben, und Süd⸗ deutschland hat nicht nur keine Neigung, sie einzuführen, sondern sogar ein ausgesprochenes Vorurtheil gegen die vierte Klasse. Damit ist aber die allgemeine Einführung gleicher Tarifsätze für ganz Deutschland ausgeschlossen. Die Sätze eines Dreiklassen⸗ systems können nicht auf einen Tarif mit vier Wagenklassen übertragen

werden. Ich habe mich auch nur dahin ausgesprochen, daß sich unter den

zur Erwägung stehenden Reformplänen jedenfalls derjenige befindet, der aadikal verfährt, in der Weise, wie ich es dargestellt habe, alle Anomalien Fbeseitigt und dafür den Preis des sogenannten Normalbillets ermäßigt, sodaß in der durchschnittlichen Einnahme aus dem Personenverkehr eeine Erhöhung, freilich aber auch keine durchgreifende Ermäßigung eeintritt.

Meine Herren, der Herr Abg. Schrader hat hervorgehoben, daß es zur Privat⸗Eisenbahnzeit doch viel besser gewesen sei, da hätte

man eine feste Staats⸗Aufsicht gehabt, die manchmal sogar den Privatbahnen recht lästig gewesen wäre. (Heiterkeit.) Wir haben hier nur von Tarifen geredet; ich glaube nicht, daß wir beide wir, sind beide lange Jahre hindurch

Direktoren von Privatbahnen gewesen uns eines Falles erinnern können, in dem die Staatsaufsichtsbehörde damals also der Reichs⸗

Eisenbahnkommissar, späterhin Reichs⸗Eisenbahnamt, uns in Tarif⸗

sachen je lästig geworden ist. Die Tarife wurden, da die Maximal⸗

sätze sehr hoch gestellt waren, ziemlich selbständig seitens der Privat⸗ bahnen gestaltet, und zwar in der Hauptsache naturgemäß im Interesse der Unternehmer, der Erwerbsgesellschaften, die die Eisenbahnen betrieben.

(Sehr richtig! rechts.) Erst nach der Verstaatlichung ist in dieser Beziehung ein ganz anderes System, ein ganz anderer Geist in die Eisenbahnverwaltungen gekommen. Seit der Ver⸗ staatlichung sind Tarifermäßigungen auf beiden Gebieten, auf dem Gebiete des Personenverkehrs, wie namentlich aber auch auf dem Gebiete des Güterverkehrs, in ganz außerordentlichem Umfange vorgenommen. (Sehr richtig! rechts.) Wir haben einmal eine Aufstellung gemacht; danach ergab sich, daß das Land ungefähr 100 Millionen jährlich weniger bezahlt infolge der Tarif⸗ ermäßigungen, die eingetreten sind. Man mag nun diese Rechnung revidieren, sie läßt sich vielleicht nach manchen Richtungen hin anzweifeln; aber, so viel ist sicher, daß ganz enorme Summen dem Lande durch die Tarifermäßigungen, die allmählich ein⸗ getreten sind, erspart werden. Von einer Tariferhöhung ist überhaupt niemals mehr die Rede, und Tariferhöhungen sind seinerzeit bei den Privatbahnen nicht selten vorgekommen.

Meine Herren, man mag doch einmal einen Tarif einer alten Privatbahn, ich will einmal sagen, aus dem Ende der siebenziger Jahre, in die Hand nehmen, der Anhalter Bahn beispielsweise (Zuruf) oder der rheinischen Bahn ich will mich selbst nicht besser machen (Heiterkeit) oder der Köln⸗Mindener, und vergleichen, was die einzelnen Artikel heute be⸗ zahlen und was sie damals bezahlt haben, vergleichen, was die Passagiere bezahlt haben in den einzelnen Klassen damals und heute, und vergleichen, wie sie heute gefahren werden und wie damals! Wenn die Einwirkung des Reichs⸗Eisenbahnamts auf die Gestaltung der Eisenbahntarife in den Bundesstaaten keine sehr große ist, so liegt das nicht an den Satzungen des Reichs⸗Eisenbahnamts oder der Art der Ausführung derselben, es liegt an der Bundesverfassung, die den einzelnen Bundesstaaten in diesen Dingen eine große Selbst⸗ ständigkeit in ihrem Lande überläßt.

Nun komme ich zum Schluß noch auf eine Angelegenheit, die eigentlich in den großen Rahmen der Erörterungen nicht ganz hinein⸗ paßt. Es ist, wie ich vorhin gehört habe, eine Resolution be⸗ antragt, die sich dahin ausspricht, der Reichstag möge sich für die Verbandstage der Raiffeisen'schen Genossenschaften interessieren und den Herrn Reichskanzler ersuchen, diesen eine Preis⸗ ermäßigung zu gewähren. Meine Herren, ganz unmaßgeblich bin ich der Meinung, daß derartige Dinge doch eigentlich in den Landes⸗ regierungen ausgetragen werden müssen (sehr richtig! rechts), und daß man es wohl der Reichs⸗Eisenbahnverwaltung überlassen kann, in Konkurrenz mit der Landesregierung für Elsaß⸗ Lothringen diese hochwichtige Frage, wer von den Verbänden eine Preisermäßigung für seinen Verbandsfesttag erhalten soll, zu erörtern. Ich erkläre mich sehr gern bereit, diese hochwichtige Frage nochmals mit der Landesregierung in Erwägung zu ziehen und, wenn es möglich ist, dem Wunsche, der hier in Form einer Resolution an den Reichstag gebracht werden soll, auch ohne diese Resolution zu entsprechen.

Abg. Gamp: Ich habe nicht gesagt, daß die Eisenbahnverwal⸗ tung nur nach fiskalischen Gesichtspunkten erfolgen soll; ich bleibe dabei, daß über Ermäßigung nur diejenige Stelle zu entscheiden hat, welche die Verantwortung dasür hat. Thatsächlich sind in jedem Jahr hundert Tarifermäßigungen erfolgt.

Damit schließt die Debatte. Die Abstimmung über die Resolution wird bis zur dritten Lesung zurückgesetzt.

Bei den Ausgaben der Betriebsverwaltung bemängelt der

Abg. Hauß, daß unter den Beamten Listen zum Beitritt zum Flottenverein kursiert hätten. Das Sammeln für Ehrengeschenke müßte generell verboten werden. .

Geheimer Ober⸗Regierungsrath im Reichsamt für die Verwaltung der Reichs⸗Eisenbahnen Glöckner: Ueber den ersteren Punkt kann ich mich nicht äußern. Es handelt sich da wohl um eine Privatsache. Das Sammeln für Geschenke ist bereits verboten worden. 3

Abg. Werner (Reformp.) befürwortet die Wünsche der Betriebs⸗ sekretäre auf Gehaltsaufbesserung. Für das Examen, das man ihnen zumuthe, fehle es an Normen. Auch die Telegraphisten wünschten eine Besserstellung, und der Minister habe einer Deputation Hoffnung gemacht. Die Eisenbahn⸗Telegraphisten hätten eine sehr schwere, ver⸗ antwortungsvolle Stellung. Das Gleiche gelte von den Loko⸗ motivführern, deren Besserstellung der Minister um so mehr ins Auge fassen sollte, als er sein Wohlwollen für sie offen er⸗ klärt habe. Namentlich sollten ihre Pensionsverhältnisse anders

eregelt werden. Endlich sollte man auch den Lademeistern eine Er⸗ öhung ihres Gehalts gönnen. Man werfe ihm (Redner) vor, daß er die Beamten aufreize. Dieser Vorwurf sei unberechtigt, denn seine Beschwerden seien begründet. Der Kaiser habe gesagt: Er wolle zufriedene Beamte haben. Möge dies Wort zur Wahrheit werden.

Abg. Dasbach (Zentr.) tritt ebenfalls für die Eisenbahn⸗ Telegraphisten ein. Auf großen Stationen nähmen die Telegraphisten

ogar die Telegramme von Privaten an, und daraus erwachse dem Eisenbahnfiskus eine nicht unerhebliche Einnahme. Dafür bekämen

2 keine Vergütung. Um so nothwendiger sei eine Gehalts⸗ erhöhung. Geheimer Ober⸗Regierungsrath Glöckner: Auch in diesem Jahre ist eine sehr erhebliche Zahl von Eisenbahn⸗Betriebssekretären in die Stellen von Eisenbahn⸗Sekretären aufgerückt. Eine Gehaltserhöhung für die Betriebssekretäre ist im vorigen Jahre von der Budgetkommission abgelehnt worden. Betriebs⸗Eisenbahn⸗Sekretäre können nicht das Gehalt der Eisenbahn⸗Sekretäre beanspruchen, wenn sie nicht deren Funktionen ausüben. Die Leistungen der Eisenbahn⸗ Telegraphisten sollen von uns nicht herabgesetzt werden. Aber sie haben nicht das Gleiche zu leisten, wie die Stationsbeamten. Sie leisten auf keinen Fall dasselbe wie die anderen Telegraphisten, wenigstens nicht im Durchschnitt. Den Lokomotivführern steht die Verwaltung mit dem größten Wohlwollen gegenüber. Die doppelte Anrechnung der Dienstzeit ist aber bedenklich, weil sie das Beamten⸗ 5 durchbrechen würde, das nur die Kriegsjahre doppelt rechnet. ndere Beamte, wie die Lootsen, Grenzaufseher, könnten dasselbe Verlangen stellen. Die Lokomotivpführer kommen verhältnißmäßig früh zu dem Höchstgehalt. An die Vorbildung der Lademeister werden keine aroßen Anforderungen gestellt, und sie werden für ihre Leistungen ausreichend besoldet.

Abg. Riff weist darauf hin, daß Beamten, die früher den Telegraphisten und Lademeistern dem Range nach gleichgeachtet worden seien, eine Gehaltsaufbesserung gewährt worden, die den Telegraphisten versagt geblieben sei; darin liege eine Verletzung der Parität.

Abg. Cahensly (Zentr.) tritt für den von der Kommission aus Anlaß einer Petition gefaßten Beschluß ein, dem Reichskanzler zu empfehlen, daß den seit länger als 25 Jahren im Dienste befind⸗ lichen Betriebssekretären, welche nicht zu Eisenbahn⸗Sekretären er⸗ nannt werden könnten, durch Zulage eine Verbesserung ihrer Lage zu theil werde. 8

Abg. Möller⸗Duisburg (nl.) wünscht, daß mindestens die besser vorgebildeten Telegrapbisten besser gestellt werden. Die Lage der Lokomotivführer habe sich insofern verbessert, als ihre Arbeitszeit ver⸗ kürzt worden sei. Infolgedessen habe sich aber ihr Nebeneinkommen vermindert, und das sei eine Härte, die nur durch eine Gehaltsauf⸗ besserung ausgeglichen werden könne.

Abg. Werner glaubt, daß es finanziell nicht viel ausmachen würde, wenn man den Eisenbahn⸗Betriebssekretären, die das Eisen⸗ bahn⸗Sekretär⸗Examen nicht mehr machen könnten, eine kleine Ge⸗ haltsaufbesserung gäbe. Er würde nichts dagegen haben, wenn man die Eisenbahn⸗Telegraphisten erster und zweiter Klasse schüfe. In anderen deutschen Staaten wie Oldenburg u. s. w. zählten die Eisen⸗ bahn⸗Telearaphisten zu den Subalternbeamten.

In dem Dispositiv der Ausgaben für Bezüge und Löhne der nichtetatsmäßigen Beamten, der Bediensteten und Arbeiter, sowie Stellenzulagen wird auf Antrag des Abg. Möller⸗ Duisburg hinzugefügt: „Theuerungszulagen für Unterbeamte“.

Der Rest des Ordinariums wird ohne Debatte ange⸗

nommen und gegen 6 Uhr die weitere Berathung auf Freitag

1 Uhe vertaatcl.

25. Sitzung vom 15. Februar 1900, 11 Uhr.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1900 wird im Etat des Ministeriums des Innern bei dem Ausgabetitel „Gehalt des Ministers“ fortgesetzt.

Abg. Stanke (Zentr.) dringt auf eine möglichst baldige Lösung der Arbeiterfrage für die Landwirthschaft durch Zulassung von aus⸗ ländischen Arbeitern. Aus seinem Wahlkreise Ratibor seien 49 Arbeiter ausgewiesen worden, weil sie sich lästig gemacht hätten, darunter auch Dienstmädchen von 14 Jahren. Wie diese sich lästig machen könnten, sei nicht begreiflich. Die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter sei bei uns so beschränkt, daß diese nach Oesterreich hinübergingen, wo sie größere Freiheit hätten.

Abg. Goldschmidt (fr. Volksp.): Der Minister hat es gestern abgelehnt, auf den Zusammenhang der verzögerten Bestätigung der Wahl des Berliner Ober⸗Bürgermeisters mit der Friedhofsangelegenheit einzugehen. Trotz der Ernennung eines neuen Ministers hat sich die Bestätigung noch bis zum Jahresschluß hingezogen. Es scheint also, daß dieselben Gründe dafür maßgebend waren, wie unterdem früheren Minister, das heißt, daß die Regierung erst die Entscheidung des Ober⸗Verwaltungs⸗ gerichts abwarten wollte; obwohl der frühere Minister den Zusammen⸗ hang dieser beiden Dinge bestritt, ist er jetzt doch klar. Wenn wir eine Ministerverantwortung hätten, hätte der Minister gestern die Antwort nicht ablehnen können. Die „Frankfurter Zeitung“ weist auf die Eigenthümlichkeit hin, daß in Berlin der Ober⸗Präsident und der Polizei⸗Präsident etwas zu sagen haben, und meint, daß eine der veiden Instanzen fortfallen könne. Der Erlaß über den Gebrauch der Wassen ist vom Hause und im Lande aufs Schärfste verurtheilt worden, der Minister läßt sich aber nicht darauf ein. Der Minister sollte antworten, gleichviel ob ein freisinniger oder konservativer Ab⸗ geordneter ihn fragt.

Abg. Dr. Heisig (Zentr.) bittet, daß die Verkaufsstunden an Sonn⸗ und Feiertagen auf dem Lande mehr den lokalen Bedürfnissen entsprechend gelegt werden, er hält spätere Nachmittagsstunden für besser geeignet als die Stunden von 12 bis 2 Uhr. Der Redner wünscht ferner, daß den ausländischen Arbeitern wenigstens in Aus⸗ nahmefällen die dauernde Niederlassung und Naturalisation in Preußen gestartet werde.

Abg Motty (Pole) beschwert sich über die Bemerkung des Ministers, daß die polnischen Abgeordneten wieder eine Polendebatte insceniert hätten; dieser Ausdruck entspreche nicht der Würde des Hauses. (Präsident von Kröcher: Was der Würde des Hauses entspricht, habe ich zu bestimmen.) Wenn er (Redner) von byzantinischem Deutsch⸗ thum sprechen wollte, würde er die berechtigte Entrüstung des ganzen Hauses hervorrnfen. Alle Völker, die Gott geschaffen habe, verdienten die gegenseitige Achtung. Den Polen sei ihre Religion, ihre Sprache und ihre Tradition von den preußischen Königen gewährleistet worden. Alle müßten ein Interesse daran haben, daß sich beide Nationalitäten, das Deutschthum und das Polenthum, frei entwickelten. Man solle sich nicht einbilden, daß man die Polen unterdrücken könne; sie lebten und würden leben.

Abg. von Jagow (kons.): Was die Polenfrage betrifft, so müssen wir verlangen, daß sich jeder Einwohner unseres Staats als preußischer Unterthan fühlt. Ich habe mich nicht wegen meiner Thätigkeit gegen die Polen gebrüstet, wie Herr von Jazdzewski gestern annahm, sondern nur in einer Versammlung meiner Wäͤhler, denen ich Rechenschaft über meine parlamentarische Thätigkeit ablegte, mich gegen die Angriffe des „Goniec“ vertheidigt, daß ich zu Unrecht eine Rüederlassung von Ordensschwestern verhindert habe. Diese Nieder⸗ lassung wäre gesetzwidrig gewesen. Daß die polnischen Beamten in den vpolnischen Landestheilen Schwierigkeiten hervorrufen, entspricht

den Thatsachen.

Abg. Rickert (frs. Vgg.): Die Opposition des Bundes der Landwirthe auf aktuellem Gebiet ist thatsächlich gefährlicher als die der Sozialdemokratie. Der Bund der Landwirthe hat die Kanalvorlage zu Fall gebracht. Der Landrath von Flensburg hat amtlich erklärt, daß ihm ein derartig gemeingefährliches Treiben, wie das des Bundes der Landwirthe, nie bekannt geworden sei. Wie hat man nicht in der letzten Generalversammlung des Bundes unsern Herrn Reichskanzler behandelt. Sie benutzen eben Ihre Macht. Aus Ihren Reihen ist der Ausdruck gefallen: „Ein Bennigsen ist gefährlicher als 50 Bebel.“

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neunkirch (fr. kons.) tritt nochmals dafür ein, daß der Kreis der Geschäfte, in denen der Land⸗ rath selbständig zu entscheiden habe, vergrößert werde. Es würde viel weniger Schreiberei verursachen, als wenn über alles erst weiter an andere Instanzen berichtet werden müsse. Der Landrath habe jetzt mit

dem Bureau so viel zu thun, daß seine persönliche Fühlung mit dem Kreise darunter leide, deshalb müsse ihm ständig ein Assessor beigegeben

werden, um ihn in der Bureauthätigkeit zu entlasten. Daß der Minister in dem Fall von St. Goar Rede und Antwort gestanden habe, damit könne er (Redner) nur einverstanden sei. Ueber die Ausbildung der Verwaltungsbeamten urtheile Herr Friedberg von der hohen Warte des Katheders aus, auch Herr Schmitz kenne die Dinge nur als Jurist, aber nicht selbst als Verwaltungsbeamter. Die Juristen

seien geneigt, die Gesetze zu formalistisch auszulegen ohne Rücksicht

auf die ganze historische Entwickelung. Die Aufhebung des Sozialistengesetzes bedinge nicht, wie Herr Barth meine, daß die Regierung den Kampf gegen die Sozialdemokratie einstelle. Das Ober Verwaltungsgericht habe wiederholt erkannt, daß wegen der Gemeingefährlichkeit der Sozialdemokratie ein Sozialdemokrat nicht Beamter sein könne, und daß kein Beamter der Sozial⸗ demokratie Vorschub zu leisten habe. Ein Vergleich zwischen dem Bunde der Landwirthe und der Sozialdemokratie sei nicht angebracht. Herr Barth sehe allerdings den Bund durch eine schwarz gefärbte und die Sozialdemokratie durch eine bedenklich rosig gefärbte Brille an. Die Kanalfrage sei lediglich eine Zweckmäßigkeitsfrage gewesen, und man müsse es beinahe als groben Unfug ansehen, wenn die Kanalvorlage derart in den Mittelpunkt der Politik gestellt werde, wie es geschehen sei.

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.): Meine Bemerkungen über die Gefährlichkeit der Agttation des Bundes der Landwirthe müssen doch nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen sein. Das Ober⸗Verwaltungs⸗ gericht hat sich nur dahin ausgesprochen, daß es sich nicht mit der Stellung des Beamten verträgt, sich eine Begünstigung der Sozial⸗ demokratie zu Schulden kommen zu lassen. Das ist ganz meine Meinung, der Beamte soll überhaupt keine Partei be⸗ günstigen, sondern alle Parteien gleichmäßig behandeln. Eine andere Frage ist es, ob es klug sei, die Sozialdemokratie mit anderen Maßen zu messen. Man kann der Sojzial⸗ demokratie gar keinen größeren Gefallen thun, weil dies für sie wirbt. Die Beamten werden also indirekt aufgefordert, die Sozialdemokratie in dieser Weise zu fördern. Die ungerechte Behandlung führt die Arbeiter, die noch nicht Sozialdemokraten sind, dieser Partei zu. Der Bund der Landwirthe gilt allerdings als Stütze des Staats. In der aktuellen Politik der Regierung ist aber die Sozial⸗ demokratie der Regierung ganz ungefährlich, während ihr der Bund der Landwirthe die schärfste Opposition macht. Die Sozial⸗ demokratie hat mit der Regierung und mit uns zusammen die Gold⸗ währung, die Grundlage unserer wirthschaftlichen Entwickelung auf⸗ recht erhalten. Herr Dr. Arendt ist ein lebendiges Beispiel der Un⸗ klarheit der Bimetallisten. Immer das Gegentheil von dem, was er prophezeite, ist eingetroffen. Die Regierung kann Gott danken, daß sie klug genug gewesen ist, nicht auf die Sirenenklänge der Bimetallisten zu hören. Die Handelsverträge sind als rettende That bezeichnet worden. Ich stehe auf demselben Standpunkt. Jeder Handelsvertrag, wenn er auch eine Ermäßigung der Getreidezölle bringt, wird die Zustimmung der Volksvertrekung finden. Eine Auflösung wegen der Ablehnung eines solchen Handelsvertrages möchte ich erleben. Die Kanalfrage soll eine Zweckmäßigkeits⸗ frage sein. Alles ist schließlich eine Zweckmäßigkeitsfrage. Hier aber war die Regierung solidarisch für die Kanalvorlage eingetreten, hatte sie als von größter Bedeutung hingestellt und alles aufgeboten, um sie durchzubringen. In dieser Frage, in der Gold⸗ währung, in der Handelsvertragspolitik befindet sich der Bund der

Landwirthe in der schärfsten, ausgesprochensten Opposition. Auf der

anderen Seite gehen die Sozialdemokraten, die doktrinären Philister, mit der Regierung. Es ist daher unverständlich, wie die Regierung dem Bund mit solcher Konnivenz gegenübersteht, die Sozialdemokratie aber aufs schärfste bekämpfen kann. Sie sollte lieber gegen den Bund Front machen, anstatt das Wolkenkackucksheim der Sozial⸗ demokratie zu verfolgen.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch: Handel und Goldwährung machen die ganze Welt des Herrn Barth aus. Daher beurtheilt er auch die Sozialdemokratie falsch. Wir reizen die Beamten nicht zu ungesetzlicher Behandlung der Sozialdemokratie auf. Herr Barth hat bewiesen, daß er die Rechtsprechung des Ober⸗Ver⸗ waltungsgerichts nicht kennt. Dasselbe hat festgestellt, daß die Sozial⸗ demokratie keine gleichberechtigte Partei ist, weil sie sich gegen unsere ganze Rechtsordnung und Staatsverfassung richte. Wenn ein so kluger Mann wie Herr Barth die Sozialdemokraten noch als Theoretiker anfieht, so muß das durch solche Reden eingelullte Volk aufgerüttelt werden, damit es die Gefährlichkeit der Sozialdemokratie erkennt. Wenn jemand die Sozialdemokratie gefördert hat, so sind es Herr Barth und seine Gesinnungsgenossen gewesen.

Abg. Dr. Arendt (fr. kons.): Herr Barth hält die Goldwährung für die Grundlage der Verfassung; er verwechselt eben Staat und Kapitalismus. Die Bimetallisten haben nur ein internationales Vor⸗ gehen gewollt. Eine solche internationale Vereinbarung müßte also nicht nur Deutschland, sondern alle anderen Staaten mit unter⸗ graben. Wie kann man also behaupten, daß der Bimetallismus Deutschland zerrütten würde? Herr Barth hat uns über seine Stellung zur Sozialdemokratie die Augen geöffnet. Die Sozialdemo⸗ kratie weiß, warum sie für die Goldwährung ist; diese dient zum schnelleren Zusammenbruch unserer Gesellschaftsordnung. Die Golddecke ist heute wieder zu kurz. Es wird Gold genug produziert, gber es wird festgehalten. Und eine Goldproduktion in der jetzigen Höbe ist nicht tauernd aufrecht zu erhalten. Dank der Technik konnte man die Goldproduktion beschleunigen; aber nur umso schneller wird sie nach⸗ lassen. Was dann? Ein Anschein für das Nachlassen der Produktion ist schon vorhanden. Ich stehe auf dem Standpunkt des Professors Sueß⸗Wien, daß die letzte große Fluthwelle der Goldproduktion da ist und balb vorübergehen wird. Herr Bamberger hat einmal gesagt, die Goldwährung habe mehr Glück als Verstand gehabt. Daß England seiner Zeit trotz der Versprechungen Balfour'’s in beispiel⸗ loser Weise wortbrüchig wurde, konnte ich allerdings nicht vorhersehen. Der Burenkrieg sollte uns eine Lehre sein, wie weit es kommt, wenn der Kapitalismus Über⸗ mächtig wird. Daher der Haß gegen den Bund der Landwirthe, denn dieser ist eine Vormacht gegen den Kapitalismus. Daß die Landwirthschaft bei den Handelsverträgen vernachlässigt worden, ist doch allseitig anerkannt. Wie kann man den Bund der Landwirthe und die Sozialdemokratie vergleichen? Der Bund hat bei nationalen Fragen noch nie versagt. Daß der Abg. Barth den Bund für minder werth hält als die Sozialdemokratie, zeigt nur seine großkapitalistische Auffassung. Der Bund ist königs⸗ treu. Man kann dem Reichskanzler nicht den Vorwurf ersparen, daß er manchesterliche Politik treibt, aber er würde es weit von sich weisen, den Bund für minder werth als die Sozialdemokratie anzu⸗ sehen. Die Sozialdemokratie raubt der Bevölkerung systematisch den Sinn für alle großen nationalen Ideen und schafft eine tiefe Kluft zwischen den Ständen, die in einem Staate mit allgemeiner Wehrpflicht und allgemeinem Stimmrecht um so gefährlicher ist. Die Sozialdemokratie will die Verfassung untergraben und stürzen. Herr Barth nimmt dieselbe Stellung ein, wie die Girondisten in Frankreich, wenn diese viel⸗ leicht auch nicht so ausgesprochen großkapitalistisch waren. Die Girondisten haben ein rechtzeitiges Eingreifen verhindert und sind zuerst der dadurch herbeigeführten Revolution zum Opfer gefallen. Die Preisgabe der nationalen Produktion würde allerdings unsern Staat in seinen Grundfesten erschüttern können, aber ich boffe, daß in dem Kampf gegen die Sozialdemokratie der Bund der Landwirthe einen wichtigen Faktor abgeben wird.

bg. Dr. Barth: Die Goldwährung habe mehr Glück als Verstand, soll Bamberger gesagt haben. Der Bimetallismus hat kein Glück gehabt, damit will ich nicht behaupten, daß er das andere hat. Die Handelsvertrags⸗ und Goldwährungspolitik des Freisinns und der Sozialdemokratie hat die Königliche Staatsregierung mit⸗ gemacht. Also was Herr von Zedlitz uns vorwirft, das möͤge er doch auch an den Minister des Innern richten, dessen Etat wir be⸗ rathen. Wenn jeder so behandelt werden soll, wie er es verdient, so würde das eine sonderbare Art Regiererei werden; denn soll etwa Herr von edlitz bestimmen, was jeder verdient? In einem Rechtsstaate muß eder nach Recht und en behandelt werden. Es giebt kein Gesetz, nach welchem die Sozlaldemokratie anders behandelt werden

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