1900 / 67 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Mar 1900 18:00:01 GMT) scan diff

8 Deenutscher Reichstag. 168. Sitzung vom 15. März 1900, 1 Uhr.

Die Spezialdiskussion dritter Lesung des Gesetzent⸗ wurfs, betreffend Aenderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuchs, wird fortgesetzt.

Die 184 184 b, die gemeinsam diskutiert werden, lauten nach den Beschlüssen zweiter Lesung:

§ 184. Mit Gefängniß bis zu einem Jahre und mit Geld⸗ strafe bis zu 1000 oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer

1) unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feil⸗ hält, verkauft, vertheilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder onschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorräthig hält, ankündigt oder anpreist;

2) unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter 18 Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet;

3) Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist;

4) öffentliche Ankündigungen erläßt, welche dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen.

Neben der Gefängnißstrate fann auf Verlust der bürgerlichen Sisese⸗ sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden.

§ 184 a. Mit Gefängniß bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 600 wird bestraft, wer Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Scham⸗ gefühl gröblich verletzen, einer Person unter 18 Jahren gegen Ent⸗ gelt überläßt oder anbietet oder zu geschäftlichen Zwecken oder in der Absicht, das Schamgefühl zu verletzen, an öffentlichen Straßen, Plätzen oder anderen Onten, die dem öffentlichen Verkehr dienen, in Aergerniß erregender Weise ausstellt oder anschlägt.

§ 184 b. Mit Gefängnißstrafe bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu 1000 wird bestraft, wer öffentlich theatralische Vorstellungen, Singspiele, Gesangs⸗ oder deklamatorische Vorträge, Schaustellungen von Personen oder ähnliche Aufführungen veran⸗ staltet oder leitet, welche durch gröbliche Verletzung des Scham⸗ oder Sittlichkeitsgefühls zu erregen geeignet sind.

Gleiche Strafe trifft Denjenigen, welcher in öffentlichen theatralischen Vorstellungen, Singspielen, Gesangs⸗ oder deklama⸗ torischen Vorträgen, Schaustellungen von Personen oder ähnlichen Aufführungen durch die Art seines Vortrags oder Auftretens das Scham⸗ oder Sittlichkeitsgefühl gröblich verletzt.

Der Abg. Beckh⸗Coburg (fr. Vp.) beantragt die Streichung der §§ 184 a und 184 b und die Streichung der Worte „vorräthig hält“ in § 184.

Der Kompromißantrag will in § 184 Nr. 2 den Wortlaut der Vorlage wiederherstellen: „Unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter 16 Jahren eegen Entgelt überläßt oder anbietet“; ferner soll danach § 184 a olgende Fassung erhalten: „Mit Gefängniß bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 600 wird bestraft, wer Schriften, Abbildungen oder Dar⸗ 8. welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen,

1) zu geschäftlichen Zwecken an öffentlichen Straßen,. Plätzen oder an anderen Orten, die dem öffentlichen Verkehr dienen, in Aergerniß erregender Weise ausstellt oder anschlägt;

2) deeen Pss unter 16 Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet.“

Desgleichen § 184b (der als § 183a vor § 184 einge fügt werden soll):

88 „Wer innerhalb öffentlicher Schaustellungen, Aufführungen oder Vorträge von Gesangs⸗ und sonstigen Unterhaltungsstücken öffentlich ein Aergerniß giebt durch eine Handlung, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzt, wird mit Gefängniß⸗ Snele zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu 1000 estraft.“

Der Abg. Schrader (fr. Vgg.) beantragt, an Stelle des § 184 a zu setzen: „Mit Geldstrafe bis zu 150 oder mit Haft wird bestraft, wer den Anordnungen zuwider handelt, welche bezüglich der Aus⸗ sstellung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen an öffent⸗ lichen Straßen, Plätzen oder anderen Orten, die dem öffentlichen Verkehr dienen, erlassen sind.“

Der Antrag findet jedoch nicht die genügende Unterstützung.

Abg. von Vollmar (Soz.) führt aus, es sei demüthigend und entwürdigend, daß man, nachzem man den ganzen Schmutz des Zu⸗ hälterthums in vergangenen Tagen durchgewühlt habe, sich jetzt in derselben Vorlage Paragraphen zuwenden müsse, die von Konst und Lit-katur handeln. Die Freunde des Gesetzes hätten sich in Schilde⸗ rungen der Verrohung und Entsittlichung unseres Zeitalters ergangen, als wenn man sich in einem Sodom und Gomorrha befände. Solche Klagen hätten aber die Moralisten zu jeder Zeit erhoben. Das griesgrämige Alter blicke mit einem gewissen Bedauern auf die zurückgelegte Jugend zurück und klage über Verschlechterung der Welt. Die Literatur aller Zeiten enthalte den Satz: „Jetzt ist es am schlechtesten.“ Unsere Zeit sei in sittlicher Beziehung gew ß kein Ideal, die Sozialdemokraten hätten dies vor allem betont, aber im allgemeinen befinde man sich in einem, wenn auch langsamen Aufwärtssteigen. Soweit sittliche Rohheit vorhanden sei, hänge sie nicht mit der Kunst und dem Kulturwerk zusammen, sondern die sozialen Ursachen lägen in dem Kontrast zwischen Reichthum und Massenelend. Gerade die Unbekanntschaft der großen Masse mit dem Kunstideal verhindere die Veredelung des Geistes, des Geschmacks und sei an der Verrohung schuld. Man habe sich bemüht, die Bedeutung des Kunstparagraphen abzuschwächen. Man wolle nur die nackte Gemeinheit und die jämmerliche Un⸗ zucht bekämpfen, sagten die Herren. Diese Milde sei verdächtig. In der zweiten Lesung habe der Abg. Roeren gesagt: „Wenn Suder⸗ mann von der Bühne verschwände, so würde kein anständiger Mensch ihm eine Thräne nachweinen.“ Jetzt in der dritten Lesung würden auf einmal die Geschwister Barrison ins Feld geführt, und man spreche von Gummiartikeln. Wenn man nur die nackte Gemeinbeit beseitigen wolle, wozu dann dieser Aufwand gesetzgeberischer Maß⸗ regeln? Die Polizei habe doch Machtbefugvisse genug, und was man da beklage, bätte mit obrigkeitlicher Genehmigung geschehen müssen. Ein Richter, wie der Abg. Gröber, bederke nicht, daß alles, was man bekämpfe, schon durch die bisherige Gesetzgebung ge⸗ deckt sei. Seldst die Verletzung der guten Sitte sei schon strafbar. Er (Redner) erinnere nur an das Vorgehen der Polizei gegen Kunstwerke; sollten diese Dinge in Berlin nicht so geüdt werden, wie das ja der Staatssekretär behaupte, so wäre Berlin eben eine Auenahme. Die Tendenz gehe dahin, alles auf den Standpunkt der Mädchenpensionate, der Schuljugend zu nivellieren. Die alte katholische Kirche sei vorurtheilslos genug gegen die antike Kunst ge⸗ wesen, sie fühlte sich dadurch in ihrer Sittenreinheit nicht bedroht, und die Scheu vor der Nacktheit sei erst aufgetreten, als die Kunst unvermögend geworden sei, das von der Natur Geschaffene richtig wieder⸗ zugeben; als diese Kunst wieder erwachte und die Päpste hätten an der Renaissance den hervorragendsten Antheil —, da sei auch die Kunst der Darstellung des Nackten wieder zu höchster Blüthe erstanden. Am Sitze des Hauptes der Christenheit sei man damals nicht prüde gewesen; Redner erinnert an die Mandragola, an die Kiythia; die erstere sei so ziemlich das schlimmste, was unter den § 184 a falle. Der auch von Katholiken verehrte Overbeck habe die Venus von Mllo als ein Kunftwerk gefeiert, dem jede sinnliche Wirkung fern liege; ein Münchener katholisches Blatt habe aber diese selbe Venus als eine sinnlich wirkende Nudität, als eine Obscönität bezeichnet. Veremundus sage in seiner

allerdings zunächst an die französischen und belgischen Zentrumsmänner gerichteten Schrift: Die katholische Kirche sei um mehrere Jahr⸗ hunderte zurück, sie sei verbauert, sie verstehe die Zeit nicht mehr, sie sei zu einer Gemeinschaft von Illiteraten geworden; sie habe so viele Dummheiten, so vielen Blödsinn gemacht, daß sie mit Recht der all⸗ gemeinen Verochtung anheimfiele. In Bayern sei gesagt worden, das Zentrum müsse darnach streben, das Nackte aus der Kunst soweit irgend möglich zu beseitigen. Der nackte Körper werde aber stets eine Hauptaufgabe und ein Prüfstein des höchsten künstlerischen Willens sein. Der Dichter, der Dramatiker müsse ferner das Leben schildern, wie es sei, nicht wie es zu bestimmten Zwecken dargestellt werden solle; er dürfe nicht vorübergehen an einem so wichtigen Problem, wie es das erotische zu allen Zeiten gewesen sei und bleiben werde. Nun suche man damit zu trösten, die Richter würden schon das Richtige treffen. „Das Schamgefühl gröblich verletzend, ohne unzüchtig zu sein“, eine solche Bestimmung sei aber der reine Kautschuk. Nicht besser stehe es mit dem Einwand, das unverdorbene Volksgefühl werde leicht erkennen, was Schamgefühl sei. Das Zusammenleben der Brautleute werde aber z. B. in vielen Gegenden Deutschlands für keine unmoralische Handlung gehalten; sie sei aber zu einer solchen gestempelt worden; wo bleibe da die entscheidende Rücksicht auf das Volksgefühl? In Stuttgart seien sogar Leute aus dem bayerischen Gebirge schon wegen ihrer nackten Kniee, in der Pfalz seien die nackten Arme der Schulmädchen als unsittlich erklärt worden. Als Gipfel der Uasittlichkeitsanschauung müsse wohl gelten, daß man sich schäme, nackt ins Wasser zum Baden zu gehen. Aus solchen Anschauungen komme dann die Verdammung naͤckter künstlerischer Darstellungen bei den Leuten aus dem Velke, weil sie solche nie gesehen und noch weniger zu verstehen gelernt haben. Das Volk sei also zu dieser richtigen Urtheilsbildung nicht berufen; dazu bedürfe es des gebildeten Theils desselben. Wer heute behaupte, das un⸗ verdorbene Volksgefühl könne ein unparteiisches Urtheil abgeben, der täusche sich, oder es stecke dahinter eine Schmeichelei, welche darauf aus⸗ gehe, dem Volke seine eigene Kunstauffassung als die richtige beizu⸗ bringen. Die Künstler hätten also Recht gehabt, kräftig auf den Kern der Sache loszugehen und sich durch die juristischen Zwirnsfäden nicht beirren zu lassen. Der Abg. Gröber habe den Münchener Protest besprochen und gemeint, in München habe man kräftiger gesprochen als anderswo. Er (Redner) habe die Resolution nicht verfaßt, aber er könne nicht leugnen, daß die frische, kräftige Sprache ihm sehr ge⸗ fallen habe. Ueber die Unsachlichkeit und Maßlosigkeit der Sprache jener Versammlung habe man im Reichstage nicht Worte genug finden können; aber an das Wort vom Splitter und Balken habe man nicht gedacht, den Riefenbalken im eigenen Auge habe man nicht cesehen. In der Münchener Versammlung sei alles, wa, in der Münchener Gesellschaft angesehen sei, Männer wie Frauen, anwesend gewesen. Gleichzeitig habe eine Zentrumsversammlung in dem⸗ selben Hause getagt; der Vorsizende derselben habe über die Protestversammlung bemerkt: dort tage man im Namen der Un⸗ sittlichkeit und der Fleischeslust. Wenn auch diese Prüfung zu so pielen anderen noch über Deutschland kommen sollte, wenn die Vorlage Gesetz würde, die Kunst werden sie doch nicht umbringen. Die Sozial⸗ demokratie werde an der Seite von Kunst, Wissenschaft und Literatur kämpfen, und es werde eine Zeit kommen, wo Kunst, Wissenschaft 8te ie die treuesten Bundesgenossen der Sozialdemokratie sein würden.

Abg. Himburg (d. kons—.): Von Kunst und Wissenschaft ist in den Paragraphen überhaupt nichts enthalten; ich weiß also nicht, was diese Rede für einen Zweck hatte. Eme erhebliche Aenderung haben die Kompromißanträge nur bezüglich des Theaterparagrapben vorgeschlagen. Die Annahme des Zentrumsantrags läßt erhebliche Konflikte zwischen Polizei und Gericht befürchten, welche wir nicht haben möchten; anderer⸗ seits muß das Schamlose auf der Bühne schärfer angefaßt werden können. Die Schamlosigkeit liegt immer in der Art der Darstellung; die Darsteller können jedes Stück durch Zuthaten, Gesten ꝛc. ins Gemeine ziehen. Den Theaterunternehmer und den Theaterleiter hinterher dafür zu bestrafen, die beide für gemeine Improvoisationen nicht verantmwortlich sind, halten wir nicht für angezrigt, wenn sie nichts zur Veranlassung dieser Unsittlichkeiten gethan haben. Die Unsittlichkeit soll von der Bühne verschwinden oder muß wenigstens sehr eingeschränkt werden. In diesem Sinne bitten wir Sie, unsere Anträge anzunehmen.

Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fr. Volksp): Die Protest⸗ bewegung im Volke ist hier sehr abfällig beurtheilt worden; Herr Stoecker hat sie als Wind bezeichnet. Warum reden Sie denn einen ganzen Tag in den Wind hinein? Warum schicken Sie denn Ihre bedeutendsten Leute, Herrn Roeren, Herrn Gröber ꝛc. vor? Sie täuschen sich und wollen Andere täuschen. Die ganze Protest⸗ bewegung liegt Ihnen ganz gehörig im Magen; Ihre Heiter⸗ keit über diese Protestbewegung zeigt, daß Sie von diesen Kundgebungen getroffen worden sind; und das freut uns sehr. Die Rede des Abg. Roeren war eine Vertheidigungsrede. Sie sind die Angeklagten (Bewegung im Zentrum und rechts); jꝛwohl, Sie sind die Angeklagten vor einem großen Theil des Publikums; Sie haben auch als Angeklagte das Recht der Vertheidigung und haben davon einen sehr ausgiebigen Gebrauch gemacht. Hätten Sie sich dech nur einen Moment gefragt, was denn die Ursache dieser so spontanen Bewegung sei? Ich bedauere aufrichtig alle Excesse dieser Bewegung, ich bedauere, daß Herr Roeren schmähende Zschriften bekommen hat; aber Herr Roeren hat es selbst verschuldet, daß es dahin kommen mußte. Herr Roeren macht der Bewegung den Vorwurf der Geschmacklosigkeit. Er hat den Dr. Hirth in München, einen der angesehensten Männer, implicite als einen unsittlichen Menschen bezeichnet; gerade daraus merkt man, wohin Sie hinaus wollen, was Sie eigentlich zu unter⸗ drücken beabsichtigen. War es geschmackooll von Herrn Roeren, mich in etwas boshafter Weise mit einer dieser Versammlungen in persön⸗ lichen Zusammenhang zu bringen? Es handelt sich um eine Frauen⸗ versammlung, welche aus denselben Anschauungen heraus sich zu⸗ sammengefunden hatte, wie sie gestern der Abg. Bebel so glänzend vertreten hat. Herr Schrempf hat sich gestern in gewissen, nicht zu wiederholenden Ausdrücken ergangen; Sie (rechte) haben doch mit⸗ angesehen, wie die Damen, die sich auf unseren Tribünen eingefunden hatten, dieselbe zu verlassen Anlaß nahmen. (Erregte Zurufe des Abg. Schrempf (d. kons.), der Präsident Graf von Ballestrem ersucht, die Zwiegespräche zu unterlassen.) Herr Stockmann meinte, die deutschen Künstler hätten die Hetzer abweisen sollen. Die Künstler sind aber doch nicht verführte, dumme Schafe, sie gehören keiner Partei an, sind sogar ihrem Grundcharakter nach konservativ, und wenn sie aus ihren Ateliers auf die Agitationsbühne treten, dann muß wirklich Noth am Mann sein. Daß der Staatssekretär Nieberding die Künstler als Leute behandelt hat, denen juristische Logtk fern liegt, ist sehr bedauerlich. Beklagenswerth ist es, daß die Herren die große Unvorsichtigkeit begangen heben, bei der Unterredung mit dem Staats⸗ sekcetär keinen Juristen mitgenommen zu haben; denn sie wurden von einer Fluth von juristischen Deduktionen überschüttet. Die Herren wissen aber sehr gut, worauf es ankommt, sie hätten auch dem Herrn Staats⸗ sekretär sachlich erwidert, wenn nicht die Audienz vorzeitig beendigt worden wäre. Professor Binding steht mit unter dem Protest, ebenso Pro⸗ fessor Eck; wie kann man da von armen, von Hetzern verführten Schafen reden? Unterschätzen Sie nur ganz ruhig diese Bewegung, den Schaden davon werden Sie selbst haben. Gerade mit den Kapuztnaden der Herren, vor allem des Abg. Stoecker, werden Sie Oel ins Feuer gießen. Wie konnte ein Mann wie der Abg. Stoecker es wagen, diese Leuchten der Kanst und Wissenschaft als eine bunte Gesellschaft zu bezeichnen, die sich zum Proteste aufthut! Diese „schlauen Teufel“ werden

Ihnen und Ihren Bundesgenossen noch sehr rächen, sie ver⸗

über Parodie und Satire und werden Sie auf diesem Wege Kachwelt überliefern. Die §§ 184 a, b sind für uns unannehmbar.

2 Begriff der Schamlosigkeit in der monströsen Definition des § 184 a. wird die durchaus ins Extensive gerichtete deutsche Recht⸗ einer Geißel für die Kunst machen. Herr

Künstler⸗- und Gelehrtenmoral und christliche

Was ist denn christliche Moral? Darüber

giebt es keinen consensus omnium; man denke nur an Anschauungen über das Duell. Diese Unterscheidung ist eine ves Beleidigung für die Gelehrten⸗ und Künstlerkreise selbst. Der Teise fuß schaut aus der trostlosen Allgemeinheit dieser Unterscheisfes recht deutlich heraus. Der Begriff des Sittlichkeitsgefühls wird . Herrn Roeren und von seinem Parteigenossen Rintelen gan on schieden aufgefaßt, und auch über den Begriff des Unzüchtigen sind 6 beiden Koryphäen des Zentrums nicht einia. Jeder Psychologe jede Psychiater wird Ihnen sagen, daß beide Begriffe identisch sind. di ganze Trennung ist vollständig willkürlich, und das Volk wird 8. nicht verstehen. Eine ganze Reihe von Juristen stellen sich vielleict so, als ob sie sie verständen, aber sie verstehen sie auch nicht. Dan bekämpfen wir die Art und Weise, wie der Ausdruck ärgernih erregend“ ausgelegt werden kann. Bei dem Groben⸗ Uafug. Paragraphen haben wir gemerkt, wie man mit derartigen Auz. legungen vorgeht. Ein dritter Kautschukbegriff ist der Passus vo den „Orten, die dem öffentlichen Verkehr dienen’“. Ich meine, das trotz der gegentheiligen Erklärungen Kunstausstellungen und Kunft handlungen, zu denen Jeder Zatritt hat, unter dieses Gesetz fallen Aber auch wenn das nicht der Fall sein sollte, wollen wir nicht, d das Damoklesschwert in derartiger Weise über den ganzen Kunstverkehr hänge. Vor allem haben Sie die Pflicht, den Originalen zu Leibe zu gehen. Das thun Sie nicht, weil sonst piele Tausende, die über Ihre Ab⸗ sichten noch nicht aufgeklärt sind, bald darüber aufgeklärt werden würden. Es giebt zwei Weltanschauungen auf dem Gebiete der Kunst Die eine will die Kunst schablonisieren, während nach der andern die Kunst das Leben nimmt, wie es ist; und letztere wird sich nicht in die Zwangsjacke der Prüderie einzwängen lassen. Herr Henning meintt in der zweiten Lesung, das Endziel aller Kunst sei die Darstellung des Idealen, das von der Wirklichkeit durchdrungen ist. Was ver⸗ steht Herr Henning eigentlich darunter? Danach käme doch auch wieder das Wahre zu seinem Recht. Es ist geradezu ungeheuerlich, die „lex Heinze“ zum Mentor für die Künstlerschaft, zur Devise für den Weg den die Kunst schreiten soll, zu machen. Dann wären gewissermaßen Staatsanwalt und Schutzmann die Professoren der deutschen Kanst. Das ist nur Stoff für die Satire. Ich lege Protest gegen die Aeuße⸗ rung des Kollegen Roeren ein, wonach die Presse, die die nackte Kunst in Schutz nahm, sich in diesem Schmutz wühle. Wo sind denn eigentlich die Notabilitäten Ihrer Kunst und Literatur? Es wäre doch an der Zeit, endlich mit einer Liste von solchen zu kommen. Zu den „Hechten“, die gegen dieses Gesetz protestieren, zählen Männer wie Begas, Kaulbach, Wallot ꝛc. ꝛc., auf die das deutsche Volt stolz ist. Wie weit wir schon jetzt in der Kunstzensur sind, habe ich Ihnen in der zweiten Lesung an einer Reihe von Beispielen gezeigt. Aus einem Schaufenster in der Leipziger Straße mußten zwei Rubens entfernt werden, von deren Originalen das eine in der Berliner National⸗Galerie, das andere in der Münchener Pinakotbek sich befindet. Ganz besonderes Aufsehen hat auch der Fall Keller u. Reiner erregt. Die Darstellung hat sich anders abgespielt, als der Staatssekretär dar⸗ gestellt hat. Der Schutzmann sagte: „Thun Sie das Bild weg, auf dem ein Weib im Wasser liegt und die Brüste zeigt.“ Das war die Auffassung des Schutzmanns von dem wunderbaren Böcklin'schen Bilde „Das Spiel der Wellen“, das ich neulich auf den Tisch des Hauses legte. Aus dem Schaufenster von Keller u. Reiner haben noch verschiedene andere Bilder entfernt werden müssen. Der Chef der Kriminaiyolizei hat eine Anschauung gehabt, die derjenigen des Kriminalkommissarius diametral entgegengesetzt war. Dieser Kommissar soll sich allerdings bei der Verfolgung der Piraten an der Oberspree vorzügliche Verdienste erworben haben. Die Kriminalpolizei versteht es, unter Vorzeigen dieses Gesetzes des großen Feigenblattes gegen wahre Kunst vorzugehen. Damit der Spaß nicht fehlt, ist das Plakat einer Korsettfabrik auf einem Bahnhof entfernt worden. Wie weit die Prüderie geht, will ich durch Vorzeigen des Plakats darthun. (Redner erläutert die Einzelheiten des Plakats.) Man sollte das Korsett doch einfach als unsittlichen Artikel aus dem Verkehr überhaupt ausschließen. Herr Roeren verfällt in den Kardinalfehler, den man am Abg. Bebel oft getadelt hat, daß er stets Einzelheiten generalisiert. Ich frage ihn, ob er denn überhaupt keinen Blick für die großartigen Fortschritte der deutschen Reproduktionskunst hat. Die deutsche Kunstindustrie hat sich die ganze Welt erobert, und hier wird sie behandelt, als ob sie nur Unzüchtigkeiten reproduzieren wolle. (Widerspruch im Zentrum) Ja, Sie können doch Ihre Er⸗ klärung nicht aus der Welt schaffen. Gerade diese deutsche Welt⸗ industrie wird aufs allerschwerste gefährdet. Nun noch ein Wörtchen mit Herrn Roeren bezüglich der Heranziehung des Vatikans. Er fragt mich: „Was haben denn die verbündeten Regierungen mit dem Valikan zu thun?“ Sehr viel! Die Frage ist ganz falsch gestellt; sie muß lauten: Was hat die deutsche Kunst mit dem Vattkan zu thun? Wir haben doch mit Reichsunterstützung die Reproduktion dieser vatikanischen Kunstschätze ermöglicht. Herrn Roeren ist nichts so sehr zuwider wie die Leda mit dem Schwan. Ein Kunstkenner von unbedingter Vertrauenswürdigkeit hat mir erklärt, daß er an der Mittelthür der Pterskirche, dem Heeiligsten der ganzen katholischen Welt, große Rosen gesehen habe von zwei floren⸗ tiner Meistern und an den Seiten derselben mythologische Dar⸗ stellungen; und eine derselben ist die Leda mit dem Schwan. Tag⸗ täglich gehen Hunderte unreifer Jünglinge, Alumnen ꝛc. daran vor⸗ über; wollen Sie denen das Ansehen gestatten, aber jede ernste künstlerische Reproduklion, jedes derartige Kunstblatt verbieten? Da hört doch jede Logik auf. Selbst in der Zentrumspresse haben sich Stimmen erhoben, welche über den Verfall und Marasmus der katholischen Kunst klagen und als Ursache der Inferiorität die Theilnahmlosigkeit und das mangelnde Verständniß bezeichnen. Beim Theaterparagraphen haben Sie uns mit den Kompromißanträgen vollständig überrun pelt. Sie haben sich gewiß bestrebt, ihm einige Giftzähne auszuziehen; aber das ist Ihnen nicht bei allen gelungen; er ist ganz und gar Kautschuk ge⸗ blieben und nach wie vor für uns unannehmbar. Sie haben jn selbst zu dieser Fassung kein Vertrauen und beantragen bereits eine Aenderung des Eingangs dahin: „Wer in öffentlichen Vorträgen von Gesangs⸗ oder sonstigen Unterhaltungsstücken oder innerhalb öffentlicher Schaustellungen oder Aufführungen öffentlich ein Aergerniß giebt.“ Was wollen Sie mit allen diesen Dingen, wenn Sie nicht auch gleichzeitig eine Reichs⸗Kleiderordnung, auch eine Reichs⸗ Geberdeordnung sln⸗ Für Herrn Sudermann möchte ich n besonders eine Lanze brechen. Ich freue mich, daß Herr Sudermann im stenographischen Bericht besser weggekommen ist als in den Worten, die ich den Herrn Roeren hier sprechen hörte, und die ich in jener Versammlung meinen Ausführungen zu Grunde legte: es ist ja möglich, daß ich falsch gehört habe, „Es wäre kein Unglüch, wenn Sudermann von der Bühne verschwände“, oder „wenn⸗ manches von Suͤdermann von der Bühne verschwände“, wie es jetzt heißt. Nun ist „Sodoms Ende“ durch den Poltzei⸗Präsidenten von Richthofen verboten, von dem Minister Herrfurth aber freigegeben worden. Es üir. glaubwürdig erzählt, daß der Minister Herrfurth, von hoher 8 2 dafür zur Rechenschaft gezogen, erklärte, er hätte sich die Frage, das Stück mit seiner Frau besuchen könne, mit Ja beantwortet. wurde ihm die weitere Frage vorgelegt, ob er es auch mit lche sehr jungen Tochter besuchen würde, und er gab die treff sen Antwort: Mit diesem Maßstabe müßte man auch die bödstn Früchte unserer dramatischen Klassizität von der Bühne 1 bannen. Da haben wirs; die höhere Tochter von 16 Ja vie sie ist der homunculus normalis, der entscheiden soll. Das 16 jährige höhere Tochter gehöct nicht in ein ernstes Theater. düch zuerst verbotene Stück Sudermann's war „Johannes“, ein von welches auch das Zentrum aufgeregt hat, ein Stück, welches nen boher dramatischer Kraft ist und für das Christenthum Stücken Was haben Sie Unsittliches oder Unzüchtiges an diesen beiden Fechard auezusetzen? Neuerdings ist in München ein Stück von e. Voß: „Schuldig“, der kunstsinnigen Gemahlin des Herzogs Ae⸗ Meiningen gewidmet, verboten worden; ich frage au

Warum? Welche Zensorkunststücke geleistet werden,

nur ein Beispiel: Er sagt zu ihr: „Weißt Du, wo

habe, als Du heute Morgen zum Wecken an der Thüre Da hat der Zensor „jum Wecken“ gestrichen, und es heißt nun;:⸗

186 rgen an der Thür standest?“ Er fährt fort: „Ich Du tente. Nercezte so schön, wenn Du hereinkämest.“ Der Zensor habe S Schluß, und nun heißt es: „es wäre so schön, wenn —“. streicht Groeber hat auf das Ausland hingewiesen. Der Ver⸗ herr Greg“ deutschen Volkes mit dem italienischen in gleich Punkt ist direkt eine Herabwürdigung des ersteren, diesem nweis auf Norwegen wird in dem Vaterlande eines Der son und eines Ibsen Heiterkeit erregen. Nur ein aus⸗ Zisenaes Gesetz ist vergleichbar, das ist das Strafgesetz von Ecuador; ländis ch das ist zehn Meilen diesem Gesetz voraus. Erziehen Sie aber e Jugend zu künstlerischem, ästhetischem Verständniß, dann —ch jeder gebildete Mensch im Nackten und auch in der Re⸗

wird je s des Nackten nicht das Lüsterne, sondern das ewig Frodactiohe Schöpfung sehen. In diesen Bestimmungen sehen wir

Abg. Bebel einen weiteren Ring in der Kette der wit dem mit welchen die Reaktion das deutsche Volk seit Jahr⸗

Vorlagen, u . 1 lücken will; nehmen Sie es nur ruhig an, das Volk wird Fhrim e Antwort nicht schuldig bleiben.

Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. Nieberding: Meine Herren! Ich werde mich, um Ihre Zeit nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen, auf die Beantwortung einiger Ausführungen in der Rede des Herrn Vorredners beschränken, von denen die einen mich söͤnlich berührten und die anderen eine Kritik des § 184 enthielten. Was die ersteren Bemerkungen betrifft, so bezogen sie sich auf die Konferenz, die vor einigen Tagen stattfand, und in welcher ich das Vergnügen hatte, mit einer Anzahl hoch angesehener Künstler und Gelehrter über den Gegenstand, über den wir heute sprechen mich zu unterhalten. Der Herr Vorredner hat offenbar einen Vertrauensmann, von dem er Kenntniß über den Lauf dieser Verhandlungen gewonnen und der ihm Mittheilungen gemacht hat, welche meine Mitwirkung bei diesen Ver⸗ handlungen in etwas seltsames Licht setzen. Meine Herren, ich werde mich auf den Gang dieser Verhandlungen nicht weiter ein⸗ lassen, si⸗ sind zwanglos geführt worden, und deshalb nach meiner Meinung diskreter Natur. Ich bin aber doch verpflichtet, auf einiges z antworten, was der Herr Vorredner in dieser Hinsicht angeführt †. Der Herr Vorredner sagt, er habe von seinem Vertrauensmann gebört, ich hätte meinerseits Ausführungen über einen homunculus normalis gemacht; der wäre von den Theilnehmern dieser Konferenz völlig in den Sand gestreckt worden, und es wäre mir wahrscheinlich noch viel übler ergangen, wenn die Konferenz weiter fortgesetzt worden wäre; aber sie hätte abgebrochen werden müssen.

Meine Herren, was den ersten Punkt betrifft, so habe ich den Herren dargelegt, daß bei der Beurtheilung der Begriffe, die hier in Frage stehen, die durchschnittliche Auffassung des Volks, nicht aber die Auffassung irgend eines nach der einen oder anderen Seite extrem ver⸗ anlagten, denkenden oder fühlenden Menschen entscheidet. Das ist ein so einfacher Gedanke, er ist, wie jeder Jurist weiß, in unsere gerichtliche Praxis so fest eingeführt, er ist seit vielen Jahren ein anerkannter Rechts⸗ grundsatz des Reichsgerichts, daß ich nicht verstehe, wie man auf diesen Be⸗

griff das Wort homunculus normalis anwenden kann, wenn der Herr

Redner nicht etwa einen billigen Witz hat machen wollen. (Sehr gut! rechts.) Ich habe nicht den Eindruck gehabt, daß die Herren, denen ich die Ehre hatte, diese Auseinandersetzungen über meine recht⸗ lichen Auffassungen zu machen, der Meinung gewesen sind, ich wäre dabei in den Sand gestreckt worden. Die Herren haben meine Dar⸗ legungen freundlich und mit der vornehmen Gesinnung hin⸗ genommen, wie es so hervorragenden Männern eigen ist. (Sehr gut!) Wenn der Herr Vorredner gesagt hat, es wäre ihm mitgetheilt worden, daß es mir noch viel schlechter gegangen wäre, wenn die Ver⸗ handlungen sich weiter ausgedehnt hätten, so schätze ich die Herren, die zugegen gewesen waren, viel zu hoch, als daß ich annehmen könnte, sie würden aus einer zwanglosen diskreten Verhandlung eine solche an Falstaff erinnernde Bemerkung machen. (Sehr gut!)

Der Herr Vorredner hat dann noch weiter aus diesen Verhand⸗ lungen mitgetheilt, es sei ihm erzählt worden, meine Ausführungen juristischer Art wären so fein gewesen, daß sie einen IJuristen eigentlich hätten mitbringen müssen, und weil sie das nicht gethan hätten, so wäre es ihnen im Kopfe ganz dumm geworden. Ich kann diese letztere Wahrnehmung, die angeblich einer der Theilnehmer an der Konferenz gemacht haben soll, nicht bestätigen. (Heiterkeit.) Ich kann vielmehr den Herren das Zeugniß geben, daß sie bis zum Schluß der Verhandlungen klar und objektiv und unbefangen mit mir diskutiert haben. (Heiterkeit.) Wenn einer der Herren von sich selber eine andere Auffassung ge⸗ wonnen haben sollte, so kann ich nicht dafür. (Heiterkeit.)

Meine Herren, die Verhandlungen gingen so vor sich und nach meiner Meinung war das verständig und richtig —, daß die Herren, namentlich die Künstler mich an positiven Beispielen zu einer Aeußerung veranlaßten, wie die Vorlage sich zu diesen Beispielen stellt. Ich habe ihnen das auseinandergesetzt, wie ich glaube, populär, wie ich meine, so klar, daß ein begabter Mann, wie diese Herren es doch alle sind, es leicht ver⸗ stehen kann, und ich glaube nicht, daß sie von meinen Ausführungen inbefriedigt gewesen sind. Soviel über diese Verhandlungen.

Dann ist der Herr Vorredner auf eine Bemerkung gekommen, die ich neulich gemacht habe, als ich bei Besprechung der Erregung der Künstlerwelt hervorhob, daß das nicht wunderbar sei, weil diesen Herren nicht die juristische Logik eigen sei. Der derr Vorredner hat bedauert, daß ich diesen Ausdruck gebraucht habe. Wäre mir heute Anlaß gegeben, so würde ich ihn wiederholen, weil ich nicht der Ansicht bin, daß darin irgend etwas Verletzendes für die Künstlerwelt liegt, und weil es nichts Anderes ausdrückt, als was thatsächlich richtig ist. So wenig ich es übel aehmen würde, wenn ein Künstler mir entgegenhalten sollte, daß ich die Gesetze der ästhetischen Kritik nicht so kenne und der Be⸗ urtheilung künstlerischer Werke auf ihren Kunstwerth nicht so fähig di, wie ein Künstler das vermag, was ich ohne weiteres zugeben würde, ebensowenig kann ein Künstler etwas darin finden, wenn ich 8 sage, daß er auf dem Gebiet der juristischen Logik nicht so be⸗ k. sei. Denn die Gesetze der juristischen Logik beruhen nicht nfach auf Begabung und Phantasie, sondern müssen auf rund von Anlage und ernster Arbeit in langen Jahren henen werden, und daß nach dieser Richtung hin die .hsnn der Künstler nicht liegt, ist selbstverständlich. Es kann Lalench niemand an einer Bemerkung sich stoßen, die formal keine lüsg 88 und thatsächlich richtig war. Ich muß dem Herrn Vor⸗ we d anheimstellen, ob er noch weitere Veranlassung hat, mir in

1 eziehung eine Korrektur zu ertheilen.

Sie ven meine Herren, komme ich zu den sachlichen Bemerkungen.

2eea⸗r sich auf den § 184a der Vorlage, von dem der Herr

8

uns zu Herzen geführt hat, das Ganze bestände nur aus Kautschuk. Meine Herren, ich bin zweifelhaft, ob derartige Expektorationen auf das Urtheil dieses hohen Hauses einen erheblichen Eindruck machen werden. Für mich sind sie eigentlich nur der Beweis, daß Argumente fehlen. (Sehr gut!)

Was die Fassung der Vorlage betrifft, so möchte ich Folgendes in dieser Hinsicht bemerken. § 184a kann nicht ohne weiteres verstanden werden, wenn man ihn nicht in Verbindung bringt mit dem § 184. Wir sprechen in § 184 a von Dingen, die das Schamgefühl verletzen, ohne unzüchtig zu sein. Diejenigen Dinge, die unzüchtig sind, stehen in § 183. Das Reichsgericht pflegt vielfach nicht den Ausdruck „un⸗ züchtig“ zu gebrauchen, sondern zur näheren Erläuterung sagt es häufig: Dinge, die das Schamgefühl verletzen auf geschlechtlichem Gebiete. Nebenbei muß ich dem Herrn Vorredner sagen: wenn er meint, in dieser Beziehung hätten die Vertreter der Regie⸗ rung sich nicht klar ausgesprochen und namentlich hätte mein Kollege, der Herr Geheimrath von Lenthe, neulich Bemerkungen gemacht, die mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht im Einklang ständen, so irrt er sich, und ich kann ihm nur anheimgeben, da ich die Zeit des hohen Hauses damit nicht länger in Anspruch nehmen darf, die Ausführungen des Herrn von Lenthe im stenographischen Bericht nachzulesen. Er wird sich überzeugen, daß sie zutreffend sind.

Wir haben es also mit zwei Dingen zu thun: Verletzung des Schamgefühls auf dem geschlechtlichen Gebiet und Verletzung des Schamgefühls auf dem Gebiet, das außerhalb des geschlechtlichen liegt. Die einen werden in § 184 behandelt, die andern werden be⸗ handelt in § 184a. Wenn man in dieser Weise die beiden Gebiete trennt, die hier in Betracht kommen, dann ist meines Erachtens der Sinn dieser Fassung wohl verständlich. Wir konnten das nicht anders mahen, weil sich an § 184, der bereits jetzt Rechtens ist, eine langjährige Rechts prechung des Reichsgerichts knüpft, die wir vielleicht gestört hätten, indem wir in der alten Bestimmung einen neuen Ausdruck gebraucht hätten. Wenn wir in § 184 a gesagt haben, daß nur diejenigen Verletzungen des Schamgefühls in Betracht kommen, die nicht unzüchtig sind, so heißt das, daß alle diejenigen Verletzungen des Schamgefühls, die nach § 184 strafbar sind, für den § 184a außer Betracht bleiben. Das ist nach meiner Meinung ein klarer Gedanke. Wenn es nicht gelingt, ihn so klar auszusprechen, wie er gedacht werden kann, so liegt das eben an der Fassung des bestehenden Gesetzes.

Nun kann ja nur die Frage sein wenn es feststeht, daß alles, was auf geschlechtlichem Gebiet an Schamlosigkeit dargestellt wird, schon jetzt nach § 184 strafbar ist —, ob ein Bedürfniß vorliegt, darüber hinauszugehen und auch andere Dinge unter Strafe zu stellen, die nicht unter § 184 fallen, nicht auf dem geschlechtlichen Gebiet liegen. Dafür, daß dies nöthig ist, möchte ich Ihnen einen nach meiner Meinung klassischen Zeugen nennen es ist ein hervor⸗ ragendes Mitglied der Kommission, mit der ich neulich ver⸗ handelt habe, ein hochangesehener Gelehrter und gleichzeitig hervorragender Jurist, ein Mann, durchaus in der Lage, die Dinge thatsächlich und rechtlich zu würdigen. Der Herr wünschte von mir zu wissen, was für Sachen denn vorkämen, die unter § 184a, also unter das Rohe und Gemeine, welches nicht geschlechtlicher Natur ist, fallen könnten. Ich habe ihm einige solcher Sachen, die ich hier im Hause natürlich nicht mittheilen kann, vorgelegt; und darauf sagte mir dieser Herr: aber das ist jꝛ unzüchtig. Ich antwortete: ja, im Sinne des Volks, nach der Auffassung des Volksgefühls ist das un⸗ züchtig; im Sinne und nach der Judikatur des Reichsgerichts, welche maß gebend ist für die gerichtliche Praxis, ist das aber nicht unzüchtig. Wenn jemand nun anerkennt, daß es solche Dinge giebt, die man ohne weiteres als unzüchtig ansprechen darf, und wenn man andererseits als Jurist zugeben muß, daß nach der Rechtsprechung es nicht möglich ist, da auf Strafe zu erkennen, dann erkennt man doch implicite das Be⸗ dürfniß an, neue Strafbestimmungen sür diese Fälle zu geben. (Sehr richtig!) Das ist nach meiner Meinung so konsequent, daß dagegen gar kein Widerspruch erhoben werden kann.

Aber wir haben nicht bleß persönliche Autoritäten für uns, sondern leider auch Erfahrungen machen müssen, die uns zwingen, nach dieser Richtung Vorsorge zu treffen. Jeder von Ihnen, meine Herren, der sich einmal damit be⸗ fassen wollte es ist ja ein schmutziges Geschäft, aber man kommt unter Umständen dazu, so etwas zu sehen, die Neujahrs⸗ karten zu betrachten, die in das Volk geworfen werden und auch unter die Jugend gelangen, die im Postverkehr gar nicht kontroliert werden können, weil es sich um den gewaltigen Neujahrsverkehr handelt, sich anzusehen die illustrierten Postkarten, die verbreitet werden, die auch im Postverkehr nicht kontroliert werden können, weil sie vielfach in Umschlägen gehen, wenn Sie sich vor die Ladenfenster gewisser Geschäfte, namentlich Ant quariatsgeschäfte, stellen und sehen, was da ausgelegt ist, das keineswegs auf dem geschlechtlichen Gebiet liegt, wenn Sie sehen, wie Kinder und halberwachsene Burschen es gierig anschauen, dann werden Sie keinen Zweifel haben können, daß es nothwendig ist, gesetzliche Maßregeln zu beschließen, um unsere Jugend vor weiterer Verwilderung zu schützen. (Sehr richtig!)

Ich will Ihnen nach dieser Richtung ein Beispiel anführen aus meiner eigenen Erfahrung. Als ich noch die Ehre hatte, dem Reichs⸗ amt des Innern anzugehören, und gelegentlich mit der Vertretung des abwesenden Staatssekretärs betraut war, ging mir der Brief eines englischen Landgeistlichen zu, mit einer Anzahl von Abbildungen, von denen einige die geschlechtliche Seite berührten, andere nur schmutzig und gemein waren. Dieser englische Landpastor schrieb mir voller Entrüstung, er hätte seine beiden Söhne auf die Ferienreise nach Deutschland geschickt, sie hätten körperlich und geistig der Er⸗ frischung bedurft, er hätte Deutschland sich auserwählt, weil er bis dahin überzeugt gewesen sei, daß seine Kinder nirgendanders vor körper⸗ lichen und sittlichen Gefahren besser geschützt sein könnten, als in

Deutschland; er mösse aber dies sein Urtheil zurücknehmen, denn er habe nach der Rückkehr seiner Kinder die beifolgenden Bilder bei ihnen gefunden, die ihnen in Deutschland zuͤgesteckt seien; er könne nicht verstehen, daß Deutschland, das in einem so hohen Rufe sittlicher Vornehmheit stehe, keine Gesetze habe, die derartigen Verschmutzungen und Verführungen der Kinder entgegentreten. (Hört! hört! rechts und in der Mitte. Bewegung links.) Meine Herren, muß man sich nicht schämen, aus dem Auslande solche Vorwürfe sich vortragen zu lassen? Und ist es nicht Pflicht, dagegen einzuschreiten?

Nun komme ich zu den einzelnen Kautschukwendungen der Vor⸗

2 8 erst gesagt hat, er wäre ein Monstrum, und zweitens dann nmal wiederholt hat, er sei eine Monstruosität, und drittens

hat er

lage, von denen der Herr Vorredner gesprochen hat. Da

der Vorlage Fassung ist sie befindet sich in unserem Strafgesetzbuch und hat in der strafgesetz⸗

Aergerniß⸗Erregung nach meiner Meinung

werde. Diese kautschukartig;

vorausgesetzt nicht

lichen Praxis eine so feste Auslegung gefunden, daß ich mich wundere, daß ein Jurist behaupten kann, es sei eine Kautschukbestimmung. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)

Dann komme ich zu den Zweifeln des Herrn Vorredners bezüglich des Verbots, daß schamlose Dinge auf öffentlichen Straßen und an sonstigen Orten, die dem öffentlichen Verkehr dienen, aus⸗ gestellt werden. Ich muß darauf erwidern: nach meiner Meinung ist dieser Passus für jeden Juristen, der wirklich obiektiv an die Sache herantritt, von zweifelloser Bedeutung, welche Räume und Wege dem öffentlichen Verkehr dienen und welche nicht; das ist eine so einfache, durch die äußeren Umstände des einzelnen Falls be⸗ stimmte Frage, daß ich wirklich überrascht bin, daß darüber noch Zweisel angeregt werden können. Das ist um so zweifelloser, als Sie zur Auslegung der Fassung in § 184 a, in dem § 184 Nr. 3 eine ganz bestimmte Direktive finden. In § 184 Nr. 3 wird von Orten gesprochen, welche dem Publikum zuzänglich sind; in § 184a von Orten, die dem öffentlichen Verkehr dienen. Der Gesetzgeber braucht für zwei gleiche Dinge nicht zwei verschiedene Ausdrücke. Wenn hier verschiedene Ausdrücke gebraucht werden, so folgt daraus, daß es sich auch um verschiedene Dinge handelt, und das folgt daraus, daß unter Orten, die dem öffentlichen Verkehr dienen, nicht alle diejenigen ver⸗ standen werden können, die dem Pablikum zugänglich sind. Nun ist das Innere von Läden, sind, die Ausstellungen, öffentlich oder privat, sind die Museen, sind öffentliche Gärten dem Publikum zugänglich und fallen unter die Bestimmung des § 184 Nr. 3; aber unter die Bestimmungen des § 184a., bei dem die Frage aufgeworfen ist fallen sie nicht; hier handelt es sich um Orte, die dem Fffentlichen Verkehr dienen. Derartige Orte können nur solche sein, über die niemand, abgesehen von den Behörden, die über den öffentlichen Verkehr wachen, eine Disposition zum Nach⸗ theil des öffentlichen Verkehrs besitzt, wo niemand die Befugniß hat das verkehrende Publikum fortzuweisen und auszuschließen. Sobald dies möglich ist, handelt es sich nicht mehr um einen Ort, der dem öffentlichen Verkehr dient. Deshalb sind Straßen, Bahnhöfe, öffentliche Plätze, öffentliche Fähren, Brücken und derartige Einrichtungen Orte, die dem öffentlichen Verkehr dienen. Aber kein Jurist wird Ausstellungen, Museen, Privatgärten, Gärten, wie der Zoologische Garten, der Thiergarten ist natürlich ein Ort, der dem öffent⸗ lichen Verkehr dient, ferner Ateliers. mögen sie auch stundenweise zur Besichtigung zugänglich sein, zu Orten, die öffentlichem Verkehr dienen, zählen; das sind Orte im Sinne des § 184 ³, es sind aber keine Orte im Sinne des § 184a. (Sehr wahr! rechts.) Alle diese Orte fallen nicht unter die Bestimmungen, die hier in Frage stehen. Und diese Erläuterung von dem Begriff eines „Ortes, der dem öffentlichen Verkehr dient“, gebe ich nicht nur per⸗ sönlich, wie der Herr Reichskanzler das neulich gethan hat gegenüber den Känstlern, die ihn besuchten, sondern ich bin in der Lage, das auch als die Auffassung der verbündeten Regierungen zu be zeichnen. (Hört, hört! links. Sehr gut! rechts.)

Nun hat der Herr Abg. Bassermann freilich gesagt: welcher Richter bindet sich daran, wenn der Herr Reichskanzler etwas sagt? er kann seinen eignen Weg gehen! Das kann der Richter aber doch so ohne weiteres nicht immer. Der Herr Reichskanzler ist allerdings nicht entscheidend, ebenso wenig wie meine Auffassung entscheidend ist; aber von Bedeutung ist es doch, wenn hier öffentlich konstatiert wird, daß ein bestimmter Passus einer Vorlage von seiten der verbündeten Regierungen, also von seiten des einen Faktors der Gesetzgebung, in einem bestimmten Sinne aufgefaßt werde. Daß das von Bedeutung ist, har das hohe Haus bei verschiedenen früheren Gelegenheiten anerkannt, und daß nach dieser Richtung hin Zweifel auftauchen, das nimmt mich Wunder. Wenn nun aber noch dazu kommt, daß auch dieses hohe Haus in dem gleichen Sinne die Bestimmungen annimmt, und wenn dann die Gerichte des Landes vor der Thatsache stehen, daß nicht bloß die Regierungen, sondern auch der Reichstag, daß also beide Faktoren der Gesetzgebung in der Auf⸗ fassung über dasjenige, was eine bestimmte Vorschrift besagen soll, einig sind, dann möchte ich die Gerichte sehen, die es unternähmen, anders zu urtheilen. (Sehr richtig! rechts. Widerspruch links.) Jedenfalls wird das Reichsgericht in dieser Beziehung die nöthigen Schranken gegen beliebige Auffassungen einzelner Gerichtsstellen ziehen. Diese Bedenken also kann ich nicht theilen.

Ich muß aber noch ein Wort sagen, das ich vorher vergessen habe, bezüglich einer Erklärung zu der Frage Keller u. Reiner, die ich in der vorvorigen Sitzung abgegeben habe. Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat vorhin gesagt, dasjenige, was ich da angeführt hätte, sei unrichtig. Ich bedaure, diese Bemerkung zurückweisen zu müssen. Was ich hier gesagt habe, habe ich auf Grund des amtlichen Berichts des Polizei⸗ Präsidiums gesagt und ich nehme bis auf weiteres an, daß dieser Bericht zutreffend ist. Wenn der Schutzmann, der mit der vorläufigen Sichtung der ihm vorgelegten Bilder befaßt war, irgend eine Be⸗ merkung gemacht hat zurückweisender Art, so war die nicht maß⸗ gebend, denn der einzelne Polizeibeamte ist zu einer maßgebenden Beurtheilung nicht ermächtigt. Es war vielleicht ungehörig, aber zu sagen hatte er nichts in der Sache, er hatte nur Bericht nach oben zu erstatten. Diesen Bericht hat er vorschriftsmäßig erstattet, und ich wiederhole es der Polizei⸗Präsident hat in dem Sinne ent⸗ schieden, daß das betreffende Bild nicht zu beanstanden sei, sondern ausgestellt werden dürfe. Und wenn der Herr Abg. Müller (Meiningen) das als unrichtig bezeichnet, so erkläre ich das für richtig.

Meine Herren, ich komme auf den § 184a mit einem Worte zurück; ich will Sie nicht ermüden. Ich bin der Meinung: nach dem, was ich die Ehre hatte, Ihnen auszuführen, kann hier kein Zweifel darüber sein, daß es unberechtigt ist, diesem Paragraphen den Vorwurf des Kautschukartigen zu machen. Aber wenn nach dieser Richtung noch kleine Zweifel bestehen könnten, dann werden sie, wie mir scheint, beseitigt durch die weiteren Schranken, welche die Vorschrift zieht. Die Vorschrift soll ja nur dort angewendet werden, wo es sich außer den Schaufenstern um öffentliche Wege handelt, wo es sich darum handelt, ob ein Gegenstand in ein Ladenfenster oder auf die Straße gehört oder nicht. Der ganze übrige Verkehr, das gesammte Laden⸗ und Ausstellungsgeschäft ist ja von der Vorschrift garnicht getroffen. Und dennoch um diese Dinge einen folchen Kampf, und dennoch, meine Herren, hier das Gejammere, daß die Entwicklung der deutschen

zunächft von der Fassung gesprochen, daß nach

Kunst davon abhängig sein köͤnnte, ob etwas auf der Straße zur