1900 / 76 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 27 Mar 1900 18:00:01 GMT) scan diff

Staatssekretaͤr des von Posadowsky⸗Wehner: Meine Herren! Ich will mir auf die Ausführungen, die im Laufe der Debatte gemacht sind, nur einige kurze Gegenbemerkungen gestatten. Einer der Herren Vorredner hat geglaubt, man solle die Strafjustiz gegenüber Seeleuten, statt wie jetzt in erster Instanz den Seeämtern, Seeschöffengerichten übertragen. Ich halte es an und für sich schon für einen bedenklichen Weg, den unsere Rechtspflege nehmen würde, wenn man immer mehr zu Standesgerichten überginge. Wir haben durch die moderne Rechtsentwickelung einheitliche Rechts⸗ institutionen für die Mitglieder aller bürgerlichen Stände ge⸗ schaffen, und ich würde es deshalb jetzt für keine wünschens⸗ werthe Entwickelung halten, wieder zu neuen Standesgerichten überzugehen. Daß an und für sich die jetzigen Seeämter nicht geeignet wären, diese Disziplinarjustiz und Strafjustiz zu üben, dafür ist ein Beweis nicht erbracht worden, und ebenso wenig ist der Nachweis erbracht, daß in zweiter Instanz nicht die Schöffengerichte oder Land⸗ gerichte hierzu geeignet sind, um so weniger, als in schwierigen Fällen beide gerichtlichen Instanzen jeden Augenblick in der Lage sind, vor Fällung des Urtheils Sachverständige zu hören. Wenn man aber selbst den Weg gehen wollte, besondere Seeschöffengerichte zu errichten, so würde meines Erachtens dieser Plan daran scheitern, daß die See⸗ schöffengerichte absolut keine ausreichende Beschäftigung haben würden. Ich habe hier die Statistik, die einer der Herren Vorrdner, der Herr Abg. Dr. Spahn, wünschte, vor mir, und daraus geht u. a. hervor, daß in einer Anzahl von Häfen, wo sich Seemankämter befinden, bei denselben überhaupt keine Straffälle anhängig gemacht worden sind, und wieder bei anderen Seemannsämtern nur 1, 4, 7 Straffälle im Jahre anhängig geworden waren, und daß selbst in großen Häfen, wie in Hamburg, im Jahre 1898 nur 368 Straffälle und in Bremen einschließlich Bremerhaven und Vegesack in demselben Jahre nur 202 Straffälle anhängig geworden sind. Also in den meisten Orten, wo jetzt Seemannsämter sich befinden, würden die besonderen See⸗ schöffengerichte überhaupt keine ausreichende Beschäftigung finden. Ich gestatte mir, auch darauf hinzuweisen, daß sich in keinem aus⸗ ländischen Staat eine ähnliche Einrichtung befindet, wie sie von einem der Herren Vorredner gefordert wurde.

Der Herr Vorredner hat ferner behauptet, es würde die Sonntage⸗ ruhe den Seeleuten dadurch verkümmert werden können, daß durch Vereinbarung die Vorschriften für die Sonntagsrube ausgeschlossen werden könnten. Wenn ich recht verstanden habe, daß so die Aus⸗ führungen des Herin Abg. Metzger waren, so befiadet er sich im Irrthum; denn Vereinbarungen können nur getroffen werden auf Grund des § 33 Abs 1 für gewöhnliche Wochentagsarbeit; dagegen geht aus den Motiven hervor und ich verweise ihn in dieser Be⸗ ziehung besonders auf die Ausführungen auf Seite 56, letzter Absatz zu § 33 der Motive —, daß Vereinbarungen zur Schmäle⸗ rung der Sonntagsruhe ganz ausdrücklich ausge⸗ schlossen sind.

Es ist von dem Herrn Abg. Metzger auch wieder auf die Ver⸗ stärkung des Koalitionsrechts hingewiesen worden. Meine Herren, daß in dieser Beziehung die verbündeten Regierungen geneigt sein werden, weiter zu gehen, als der Gesetzentwurf das vorsieht, kann ich ihm nicht in Aussicht stellen. Der Seemann hat einen Beruf, der ähnlich ist dem Beruf eines Soldaten. (Sehr richtig! rechts.) Er steht sozusagen jeden Angenblick dem Feinde gegenäber, und da ist eine ganz andere, straffere Disziplin, im Interesse von Mannschaft und Schiff, nothwendig als in irgend einem anderen Gewerbe. (Sehr wahr! rechts.) Sobald der Seemann nicht unter Heuerkontrakt steht, sobald er an Land ist, finden die allgemeinen Vorschriften der Gewerbe⸗ ordnung auch auf ihn Anwendung; sobald er aber unter Heuerkontrakt steht, sobald er zu Schiff und namentlich außerhalb des Hafens ist, muß eine straffe Disziplin vorhanden sein, um Schiff und Mann⸗ schaft vor Schaden zu bewahren.

Der Herr Abgeordnete hat auch auf die Thatsache hin⸗ gewiesen, daß schlechte Schiffe hinausgeschickt würden, die eine erhebliche Gefahr für die Mannschaft mit sich brächten, und daß dagegen kein genügender Schutz gegeben sei. Ich sehe mit Interesse den Vorschlägen entgegen, die die Herren darüber machen werden, wie man das in ausländischen Häfen ändern soll. In ausländischen Häfen ist man häufig nur auf den einzigen Mann, den deutschen Koasul, angewiesen, der vielleicht selbst Rhederei treibt. Aus dem Fall, den der Herr Abgeordnete angeführt hat, daß der Konsul drei deutsche Schiffskapitäne, die mit ihren Schiffen im Hafen lagen, ersuchte, das verdächtige Schiff zu besichtigen, und daß diese nur um das Schiff herumgefahren wären, um ihr Gutachten abzugeben, folgt gegen die Einrichtung an sich noch nichts; daraus folgt vielmehr nur, daß entweder die drei Schiffskapitäne nicht ihre Pflicht gethan haben, oder daß sie ein irrthümliches Gutachten abgegeben haben.

Meine Herren, daß es vorkommen mag, daß solch schlechte Schiffe gewissenloserweise auf See geschickt werden, das will ich nicht be⸗ streiten, und ich selbst habe einen ähnlichen Fall, der mir sehr be⸗ denklich schien, amtlich festgestellt. Aber einerseits bieten doch jetzt gegen solche Vorgänge die Klassifikations⸗Institute einen erheblichen Schutz, und dann kann ich auch sagen, daß die Seeberufsgenossenschaft sich die größte Mühe giebt, solchen Mißständen, wie sie der Herr Vorredner angedeutet hatte, in ihrem eigenen Interesse entgegenzutreten.

Außerdem spricht die Statistik, soweit sie uns vorliegt, in jener Beziehung keineswegs zu Ungunsten der deutschen Rbederei. Es liegt mir hier eine Statistik vor über die Totalverluste von Schiffen ver⸗ schiedener Länder, aufgestellt nach dem Generalregister des bekannten Klassifikations⸗Instituts, der „Veritas“. Danach steht Deutschland in Bezug auf den Verlust an Schiffen im Jahre 1898/99 erheblich besser wie die britische, französische, niederländische, norwegische, schwe⸗ dische, dänische, österreichische und nordamerikanische Rhederei; denn von je 100 Registertons Raumgehalt der in das Register eingetragenen Schiffe gingen z. B. im Jahre 1898/99 in Deutschland nur verloren 1,83 Dampfschiffe und 4,87 Segelschiffe, während verloren gingen britische Dampfschiffe 2,18 und Segelschiffe 3,73, französische Dampfschiffe 3,14 und Segelschiffe 6,10, niederländische Dampfschiffe 2,24 und Segelschiffe 8,24 u. s. w. Also das Zahlenverhältn'ß der verloren gegangenen Schiffe ist erheblich günstiger in Deutschland wie bei dem größten Theil der anderen see⸗ fahrenden Nationen, und auch das Verhältniß der verschollenen Schiffe hat sich in den letzten Jahren erheblich gebessert. So hatten wir

nern, Staats⸗Minister Dr. Graf

Jahre 1896 von nur 12, und im Jahre 1897 sind auch nur 12 Schiffe verschollen.

Der Herr Abgeordnete hat sich auch dagegen gewendet, daß die Schiffsdisziplin nach den Vorschlägen des Gesetzentwurfs den Schiffs⸗ offizieren übertragen sei. Meine Herren, ich glaube, etwas Anderes wird garnicht übrig bleiben. Wie kann denn der Kapitän eines großen Personendampfers, auf dem ein Schiffspersonal von 400 oder mehr Personen ist, in allen Einzelheiten immer selbst die Schiffsdisziplin üben, der Mann, der unter Umständen zwei bis drei Tage oben auf der Brücke sein muß in schwerem Wetter oder gefährlichem Fahrwasser? Wie kann dieser Mann die Disziplin üben beispielsweise über das Personal in den großen Maschinenräumen und Verfehlungen dort selbst untersuchen und bestrafen? Das ist unausführbar. Die einzelnen Fälle aber, die der Herr Abg. Metzger angeführt hat, haben mit der Schiffsdisziplin überhaupt nichts zu thun. Das sind grobe Mißhandlungen, nicht disziplinare Akte. Wenn der Vorheizer einem unglücklichen Trimmer, der krank zusammenbricht, eine Schaufel mit glühenden Kehlen vor die Nase oder unter die Füße hält, so ist das ein Akt brutaler Bestialität, der mit Disziplin garnichts zu thun hat. Außerdem aber kann ich Ihnen versichern, daß wir alles gethan haben, was möglich war, um solche Fälle zu verhüten. Es giebt eben hierzu nur zwei Wege: entweder hat der Schiffer mittelbar Schuld, weil er keine genügende Aufsicht über sein Unterpersonal ausübt, dann wird ihm unter Umständen das Patent entzogen werden, oder er muß unmittelbar strafrechtlich verfolgt werden. Daß daneben aber immer noch Akte der Brutalität vorkommen in den verschiedenen ver⸗ schwiegenen Schiffsräumen, auf hoher See, ich fürchte, das wird sich durch keine Gesetzgebung verhindern lassen. Die Regierung und namentlich die Aufsichtsorgane würden nur dann schuldig sein, wenn solche Fälle zu ihrer Kenntniß kommen und sie schritten nicht sofort energisch dagegen ein.

Es ist auch heute wieder von den Selbstmorden der Heizer und

Trimmer gesprochen. Meine Herren, ich habe, glaube ich, schon einmal bei Gelegenheit der Erörterung meines Etats darauf hingewiesen, daß die technische Kommission für Seeschiffahrt eine große Anzahl von Grundsätzen festgestellt hat, die beobachtet werden sollen, um solche Selbstmordfälle auf ein möglichst geringes Maß herunterzusetzen. Wir haben uns dieserhalb auch an die einzelnen Regierungen der Seeufer⸗ staaten gewendet. Ich glaube, einerseits liegt die Ursache der Selbst⸗ morde allerdings bisweilen an einer falschen Behandlung der Leute oder kann wenigstens daran liegen dann kann nur geholfen werden auf dem Wege, den ich vorhin angedeutet habe —, oder sie liegt in der schlechten Unterbringung, schlechten Ernährung der Leute und biermit zusammenhängenden Ursachen; gerade da werden wir auf Grund der Vorlage, wenn Sie sie zum Gesetz werden lassen, ein⸗ schreiten können, namentlich was die Unterbringung der Leute auf dem Schiffe betrifft. Meine Herren, das Gesetz stellt doch einen erheblichen Fortschritt dar gegenüber der bisherigen gesetzlichen Regelung der Sache, und ich kann deshalb nur dringend wünschen, daß die Berathungen in der Kommission einen derartigen Fortgang nehmen möchten, daß es mög⸗ lich wäre, noch in dieser Session die Vorlage zum Besten der Schiffe⸗ bevölkerung zu erledigen. (Bravo!)

Abg. Möller⸗Duisburg (nl.): Diesem Wunsche würde kaum entsprochen werden können, wenn die Kommission aus 21 Mitgliedern zusammengesetzt wird; je größer die Kommision, desto schwieriger die Einigung über eine technisch so eigenartige Materie. Unter allen Um⸗ ständen bringt das Gesetz eine erhebliche Verbesserung gegen den bis⸗ herigen Zustand. Die Wandlung aller sozialen Verhaltnisse hat auch auf den Seemannsstand derart zurückgewirkt, daß eine Korrektur der bald 30jährigen Seemannsordnung durchaus am Platze ist. Mit dem Abg. Frese bin ich über die meisten Einzelheiten einverstanden. Auch ich erkenne die Schaffung einer Zwischeninstanz zwischen Kapitän und Mannschaft in den O fizieren als berechtigt an und verstehe andererseits sehr wobl den Widerstand, welchen der Abg. Metzger dieser Neuerung entgegenstellt. Die tägliche Arbeitszeit wird unbeschadet allgemeiner gesetzlicher Regelung bis auf weiterez der Regelung durch den Arbeitsvertrag unterworsfen bleiben müssen. Die allge⸗ meinen Bestimmungen der Gewerbeordnung auf Sonntagkarbeit und Ueberstundenarbeit lassen sich auch nicht in dem Maße auf die Seemannsordnung übertragen, wie es von einzelnen Parteien gewünscht worden ist; in diesen Punkten hält die Verlage eine rich⸗ tige Mittellinie inne. Selbstverständlich sind auch wir dafür, daß Ueberanstrengung der Leute vermieden werden muß. Ich erinnere nur an den großen Unfall der „Elde“, welcher dadurch entstand, daß die „Crathie“ mit ihrer völlig übermüdeten Mannschaft vor den Bug der „Elbe“ gerieth. Auch die Vorschrift, daß die Auszahlung der Heuer in Gast⸗ und Schankwirthschaften nicht erfolgen soll, ist im Inter⸗ esse der Seeleute nur zu billigen. Wenn eine Reihe Bremer und Hamburger Rhedereien, die ihre Schiffe durchs Rothe Meer schicken, exotische Arbeiter verwenden, so ist das doch der einzige Weg, die Verwendung heimischer Seeleute in diesen trobvischen Gegenden zu vermeiden. Immerhin sind auf unseren Dampfschiffen die Verhältnisse noch erheblich besser als auf den Dampfern anderer Natioven; die großen deutschen Rhedereien erneuern auch in unvergleichlich schnellerem Tempo ihr Schiffsmaterial. Die starken Mißbräuche auf dem Gebiete der Stellenvermittelung durch die „Heuerbaase“ werden auf Grund der Vorschläge der Vorlage hoffentlich ausgerottet werden

Abg. Dr. Lingens (Zentr) erklärt sich auf Grund seiner per⸗ sönlichen Erfabrung für die tbunlichste Verkürzung der Arbeitszeit auf dem Schiff und für möglichst schleunige Durchberathung der Vor⸗ lage in der Kommission, damit sie noch in dieser Sesston verabschiedet werden könne.

Abg. Raab (Resormp.): Im großen Ganzen kann ich aus meinen und meiner Familie Erfahrungen das bestätigen, was von der linken Seite des Hauses zu dieser Vorlage vorgetragen worden ist. Die Seemannsordnung soll doch eine Schutzgesetzgebung sein. Wir würden es daher mit Freude begrüßt haben, wenn man die Aus⸗ künste etwas zweckmäßiger zu erlangen gesucht hätte. Von den sechs Auskunftspersonen, welche die technische Kommission für Seeschiffahrt vernommen hat, waren indessen fünf von den Rhedereien ausgewählt; nur eine gehörte einem organisierten Verein an. Die Rhedereien dürfen im Großen und Ganzen nicht das unbedingte Vertrauen beanspruchen, welches ihnen die Regierung entgegenbringt. Noch im Jahre 1892 haben sie von Mißständen nicht viel wissen wollen; ginge es nach ihnen, so käme die Revision der Seemannsordnung noch lange nicht. Eine Reihe wichtiger Forde⸗ rungen bleibt unerfüllt, so vor allem die Forderung der Schriftlichkeit des Heuervertrages. Bis beute besteht der Abschluß des Vertrages eigentlich nur in dem Wechseln weniger Worte. Da wird die animierte Stimmung des Seemanns benutzt, es wird von möglichst vieldeutigen Redensarten Gebrauch gemacht, wosbei der Heuerbaas nach Kräflen mitwirkt, und das Ende vom Liede ist, daß der Mann um seine be⸗ rechtigten Ansprüͤche gebracht wird. Dem kann nur die Schriftlichkeit des Heuervertrages abhelfen. Ein zweiter berechtigter Anspruch ist der Ausschluß der freien Vereinbarung. Ganz so absolut wie bisher wird ja in Zukunft die Geltung der Seemannsordnung nicht ausgeschlossen werden können; aber in wesentlichen Punkten, so im Pankte der Arbeitszeit, der Ueberstunden ꝛc. soll der freie Vertrag nach

eine Gesammtzahl verschollener Schiffe im Jahre 1895 von 23, im

wie vor zulässig sein. Wenn ein Schiff auf zwei

nach China geht, hat der Rheder kein Interesse daraun, nie tbeure Arbeitskraft des deutschen Secemanns für die ganze Zeit

iu bezahlen; man behält sich vor in dem freien Vertrage, ihn za⸗

entlassen, und er wird drüben einfach ans Land gesetzt. Es müßte mindestens vorgeschrieben werden und dürfte durch Vertrag nicht illusorisch gemacht werden können, daß der Betreffende * dem Anheuerungshafen zurückzuschaffen ist. Die Bestimmungen über die Arbeitsruhe der Offiziere sind außerordentlich dehnbar. Die Uebertragung der Disziplinargewalt von dem Kapitän auf die Offiziere soll generell statthaft sein. Wir halten das für zu weit⸗ gehend. Wie auch beim Militär nicht den Kompagnie⸗Offizieren die Disziplinargewalt eingeräumt ist, ebensowenig ist eine solche U⸗bertragung auf dem Schiff nöthig; eine Ausnahme wäre höchstens zulässig für den Ober⸗Maschinisten bezüglich der ihm unterstellten Leute. Es ist ein ganz eigenthümlicher Fortschritt, daß wir dreißig Jahre nach der alten Seemannsordnung, die keine Prügelstrafe kannte, jetzt eine solche gesetzlich einführen. Einsichtige Schiffs. offiziere wissen, daß sie mit dem brutalen Mittel der Prügelstrafe keine Disziplin erzwingen können. Es kommt hinzu, ß ein Handwerksmeister für Mißbrauch des Züchtigungsrechts zur Verantwortung gezogen werden kann; daß ist bei Mißhandlungen auf Schiffen, die erst nach Monaten in einem Hafen einlaufen, einfach unmöglich Den Seeleuten ist der Zug zur Härte ohnehin in einigem Grade eigen; durch solche gesetzlichen Bestimmungen wird diesem Hange, der sich aus dem ganzen Seeleben mit seiner Rücksichtslosigkeit erklärt, geradezu Vorschub geleistet. Die Schiffs⸗ jungen werden vielfach zu sehr mit Arbeiten überlastet, und es sind Fälle nachgewiesen, daß ein solcher kaum 14 oder 15 Jahre alt ge⸗ wordener Junge aus vLiesem Grunde über Bord springt. Die Zahl der Desertionen ist denn auch von 811 auf 901 Fälle in einem Jahre gestiegen. Die Disziplinargewalt soll der Schiffsführer nicht generell anderen übertragen dürfen. See⸗ schöffengerichte sind durchaus nothwendig; wir befürchten keineswegs, daß ein solches in Hamburg nicht genügend zu thun haben würde. In Hamburg sind 455 Straffälle in einem Jahre zur Kenntniß gekommen; das möchte doch für ein solches Gericht aus⸗ reichende Beschäftigung garantieren. Die Begründung beläßt es bei den Seemannsämtern, die sich sonst allgem einer Beliebtheit erfreuten, nur in Strafsachen weniger Vertrauen genössen. Das deutsche Schiffs⸗ material ist ja im Großen und Ganzen vorzüglich; aber auch eine ganze Menge alter Kasten ist im Dienst, wo die Seeleute für ihr Leben zittern, wenn sie den Hafen verlassen. Die Taxatfon der Seeberufsgenossenschaft bietet keine Gewähr, da sie eine Einrichtung der Rhederei selbst ist und eine Krähe der anderen die Augen nicht aushackt. Man hat Schiffe, die ganz falsch und gefährlich gestaut waren, hinausgehen lassen, und sie sind verloren gegangen, weeil sich die Taxatoren natürlich nicht um die Art der Stauung gekümmert hatten. Das Recht, sich mit Berufsgenossen zur Besserung der Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen zu vereinigen, muß auch den See⸗ leuten zugestanden werden. Die Arbeit niederzulegen und Ver⸗ sammlungen abzuhalten, kann natüeclich auf den Schiffen nicht gestattet sein; aber’ im übrigen muß das Koalitionsrecht unverkürzt bleiben. Wie nervös aber die Rheder in diesem Pankte sind, erkennt man ja aus der Maßregelung der O fiziere der Hamburg⸗Amerika⸗Linie, die dem Hamburger Verein angehörten. Die Gehälter und Löhne unserer Schiffsleute aller Art sind heute niedriger als die des Auslands, namentlich Englands. Die englischen Rhedereien bemannen auch durchschnittlich ihre Schiffe stärker, als die unsrigen bemannt sind. Die englische Ruhezeit beträgt unter allen Umständen 24 Stunden nach 24 stündiger Thätigkeit; davon ist bei uns keine Rede. Unseren Schiffen fehlt ferner die englische Tiefladelinie. Alle diese Beschränkungen drücken den deutschen Rheder nicht, der somit dem englischen gegenüber sehr im Vortheil ist; wir können also mit unseren Reformen sehr wohl ein wenig kräftiger zu⸗ greifen, ohne dem Rheder Schaden zuzufügen. Den Landes Zentral⸗ behörden soll bezüglich der Stellenvermittelung die Befagniß zusteben, auenahmsweise auch Leute zuzulassen, die nach den allgemeinen Be⸗ stimmungen des Gesetzes nicht zugelassen werden könnten; wir sollten doch hier reinen Tisch machen und nicht noch der Meinung Vorschub leisten, als ob unsere großen Rhedereien diese Landes⸗Zentralbehörden und überhaupt diejenigen find, welche diefes Gesetz erlassen. Die Be⸗ zeichnung „Schiffer“ für den Kapitän ist nach unserer Meinung ein Mizgriff; unter Schiffer wird bei der seemännischen Bevölkerung nie der Kapitän verstanden, auch hat das Wort im allgemeinen einen ironischen Beigeschmick. Lebhafte Anerkennung empfinden wir über die Art, wie die Frage des Bergelohns geregelt ist.

Geheimer Ober⸗Regierungsrath im Reichsamt des Innern von Jonquidres: Die Hamburg⸗Amerika⸗Linie soll ihren Oftzieren die Mitgliedschaft bei dem genannten Verein verboten haben. Wit haben eine Aeußerung darüber eingefordert, welche bis jetzt noch nicht eingegangen ist. Nach dem eigenen Bericht des Vereins hat aber die Gesellschaft nur ausgesprochen: wenn sich derartige Vorgärge wiederholen möchten, müßte sie in Erwägung nehmen, ob nicht der Austritt verlangt werden müßte. Von den Rhedereien ist keine der Vertrauenspersonen genannt worden, sondern es sind die Seeufer⸗ Staatsregierungen ersucht worden, solche Leute zu bezeichnen. Wir haben auch sehr brauchbare Leute bekommen. Im Jahre 1896 gab es übrigens eine allgemeine Organifation der Seeleute noch nicht. Bei der vorgerückten Stunde behalte ich mir vor, auf die übrigen Ein⸗ würfe gegen die Vorlage in der Kommission einzugehen. Den Ver⸗ letzten ist jetzt im Gesetze das direkte Recht gegeben, die Bestrafung zu beantragen, und das muß auch ins Journal eingetragen werden. Was die Regierung für durchführbar hält, hat sie also in die Vorlage bineingebracht. Es ist auch kein wünschenswerther Zustand, wenn Konsuln im Auslande, die selbst an Rbederrien be⸗ theiligt sind, Recht zu sprechen haben; aber es sind Mißstände bisber; diesem Punkte nicht nachgewiesen worden. Das Züchtigungsrecht i kein ungeheurer Rückschritt, es ist das Bestreben der Vorlage, mög⸗ lichst klar zu stellen, ob und in wie weit überhaupt eine Züchtigung gestattet sein soll. Einem erwachsenen Sch ffsmann gegenüber bat körperliche Züchtigung weder als Strafe noch als Exekutivmittel in Anwendung zu kommen. Dem Schiffsjungen gegenüber muß der Schiffer die väterliche Gewalt ausüben können. Eine wirkliche Züchtigung gestattet der Entwurf absichtlich nur gegenüber den Schiffsjungen; ob das zweckmäßig ist oder nicht, wird der Reichstag zu entscheiden baben, aber die Mehrheit aller Stellen, die wir befragt haben, hat erklärt, der Schiffer konne nicht ohne die Befugniß auskommen, dem Jungen im geeigneten Au enblick einen gesunden Hieb zu geben. Mit dem Dienstboten oder Lehrling läßt sich dieses Verhältniß nicht vergleichen. In der Frage der Tieflade⸗ linie gehen die Meinungen der Sachverständigen außerordentlich aus⸗ einander. Schon heute laden die Schiffe viel weniger tief, als es z. B. nach der englischen Tiefladelinie dürften.

Abo. Schwartz⸗Luͤbeck (Soz) führt aus, der Kreis der Aus⸗ kunstspersonen hätte viel weiter gezogen werden müssen. Eine neue Seemannsordnung sei seit 20 Jahren schon Bedürfniß, aber die Mächtigen seien in Deutschland die Rheder, und die hätten zu re. hüten gewußt, daß sie komme. Redner weist namentlich auf 5 stetige Verringerung der Schiffsmannschaften auf den Dampfern wi auf den Segelschiffen hin. Der Seemannsstand komme 8 der Vorlage ganz erheblich zu kurz. Auf den Schiffen ge noch bis beute wahrhaft barbarische Strafen im 8 brauch, die Schiffsgewalt sei immer in brutalster Weise Füsc die Seeleute ausgeübt worden. An diesem Zustande würde fa aber auch durch die Vorlage nichts geändert werden. Nun füge vn, aus neu ein gesetzliches Züchtigungsrecht gegenüber den Schiffejungen Baslt Es gebe heute verheirathete Schiffsjungen, sollten die auch --ne werden? Andererseits sei zweifelhaft, ob nicht gegenüber angedrurmit ausländischen Schiffejungen ein unbeschränktes Züchtigungerech uf der gegeben sei. Redner kommt dann auf die Arbeitsverhältnisse a Schiffen zu sprechen und geht ausführlich auf das Koalitions Seeleute ein. 2 8

(Schlaß in der Bierten Bellage)

4689

zum Deutschen ¼ 76.

10 bbea

Vierte Beilage nzeiger und Königlich Preußischen Staat

Berlin, Dienstag, den 27. März

emmenn

1900.

8 (Schluß aus der Dritten Beilage.)

Abg. Dr. Hahn verzichtet angesichts der vorgerückten Stunde prechung der Vorlage im Detail. Er bemerkt, daß die thatsächlich ihren Offizieren angedroht habe, im Falle der Wiederbolung solcher Vorfälle sie dor die Wahl zm stellen, entweder aus dem Verein aus⸗ zutreten oder den Dienst der Gesellschaft zu verlassen. Einer jener Offiztere habe allerdings von dem „glänzenden Elend der Offiztere in der betreffenden Vereinsversammlung gesprochen. Redner richtet indessen an die Gesellschaft die Aufforderung, diesen Fall nicht so tragisch zu nehmen, er hoffe, die Differenz werde gütig beigelegt werden. Der Seemannsverband scheine doch nicht ganz von der Nothwendigkeit der Disziplin an Bord und im Hafen durch⸗ drungen zu sein. Für die Seeleute könnte kein Matrosen⸗Kapitän dem Schiffsführer an die Seite gestellt werden. Redner tritt auch für die schriftliche Fixierung des Heuervertrags ein und bekämpft die Anheuerung auf unbestimmte Zeit, welch⸗ direkt in chinesische Ver⸗ hältnisse fuüͤhren würde. 1]

Damit schließt die Diskussion. gommission von 21 Mitgliedern.

Schluß ¼ 7 Uhr. Nächste Sitzung (Dritte Lesung des Etats.)

eine Besprech der vinburg Amerika⸗Linie

Die Vorlage geht an eine

Dienstag 1 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 54. Sitzung vom 26. März 1900, 11 Uhr.

Ueber den rees Theil 88 Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. 1 9 ur zweiten Berathung gelangt der Gesetzentwurf, betreffend die Vermeidung der D. oppelbesteuerung. Nach § 1 sollen auf Grund des mit Oesterreich abgeschlossenen Vertrages vom 21. Juni 1899 Doppelbesteuerungen in An⸗ wendung der in beiden Ländern geltenden Steuergesetze ver⸗ mieden werden. 1

Berichterstatter Abg. von Pappenheim beantragt namens der Budgetkommission die unveränderte Annahme der Vorlage. Sr A

Abg. Saenger (fr. Volksp.) bringt einen Fall aus Offenbach z. M. zur Sprache, in welchem eine Doppelbesteuerung seitens Preußens und Hessens vorgekommen sei, bittet die Megierung, darauf zinzuwirken, daß solche Doppelbesteuerungen innerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs aus der Welt geschafft werden, und fragt an, wie die C 89 Gesetzes zwischen preußischen

österreichischen Unterthanen geregelt werden. 1 e8 1 Ober⸗Finanzrath Wallach: Ein solcher Fall, wie ihn der Vorredner erwähnte, kann wohl vorkommen, da die Zeit, zu welcher die Steuerpflicht beginnt und endet, nach den Steuergesetzen in den Bundesstaoten verschieden ist. Daher kann bei einem Ueber⸗ tritt aus einem Bundesstaat in den anderen leicht zeitweise eine Doppelbesteuerung eintreten. Aber diese Unbilligkeit wird immer durch Vereinbarungen abzuwenden gesucht. Sollte ausnahmsweise wischen Preußen und Oesterreich eine Doppelbesteuerung vorkommen, so wird auch da im Wege der Vereinbarung Abhilfe geschaffen werden.

Aba. von Strombeck (Zentr.) fragt an, ob im Ausland er⸗

zobene Steuern und Abgaben bei der Besteuerung im Inlande abzugs⸗ ähig seien. 1. Ober⸗Finanzrath Wallach erwidert, daß diese Frage mit der Vorlage in keinem Zusammenhange stehe, und daß sie nur durch gesetzliche Aenderung gelöst werden könne. Die einzelnen Fälle müßten im geordneten Instanzenzuge erledigt werden.

Abg Saenger bittet darvm, daß die Steuergesetze der deutschen Bundesstaaten so formuliert werden, daß Doppelbesteuerungen zwischen deutschen Bundesstaaten ebenso wenig vorkommen wie zwischen Preußen und Oesterreich.

§ 1 wird angenommen. . Nach § 2 soll der Finanz⸗Minister die Vereinbarungen

n, nach denen unter Wahrung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit von den preußischen Steuergesetzen abgewichen werden kann.

Berichterstatter Abg. von Pappenbeim bemeckt, daß in der Kommission gewünscht worden sei, daß der Finanz⸗Minister dem Hause Nachweisungen darüber zukommen lasse; die Kommission habe diese jedoch nicht für erforderlich angesehen und beantrage die unver⸗ änderte Annahme des § 2. 2 da Abg. von Strombeck macht darauf aufmerksam, daß der Finanz⸗ Minister hier eine sehr weitgehende Vollmacht erhalte, obne daß der Landtag mitsprechen könne, und beantragt, binter „Vereinbarungen einzuschieben: ‚zur Beseitigung der Doppelbesteuerung“,

Geheimer Ober⸗Finanzrath Wallach bittet um Ablehnung des Antrages, da er die Regierung bei den Vereinbarungen mit Oester⸗ reich zu fehr beschränken würde, zumal wenn erst der Landtag befragt

werden solle. 1 Abg. Dr. Rewoldt (fr. kons.) ist gleichfalls gegen den Antrag, eine besondere Vereinbarung ge⸗

weil ür j inzelnen Fall e se SEP solche Beschränkung allgemein gültige Vereinbarungen möglich seien. 188

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister

von Miquel:

Meine Herren! Ich möchte, um den . zu beruhigen, ihm einmal sagen, wie sich die Sache in der Praxis ge⸗ staltet hat. Beispielsweise hat ein Arzt, der in Altona wohnt, noch eine sehr bedeutende Praxis in Hamburg. Jetzt ziehen ihn die Ham⸗ burger heran mit dem Gesammtbetrage derjenigen Bezüge, die er aus Hamburg hat. Aber wir in Preußen ziehen, da er hier wohnt, ihn mit dem vollen Betrage seiner gesammten Einnahmen heran. Da haben wir also einen Fall einer höchst lästigen und ungerechten Doppel⸗ besteuerung. Jetzt vereinbaren wir uns auf einen Modus ausschließlich in diesem einzelnen Fall mit Hamburg, und dadurch wird der Mann von dieser offenbar ungerechten Belastung befreit.

Jetzt kommt ein zweiter Fall vor. Ein preußischer Arzt wohnt in Preußen, ist regelmäßig im Sommer Badearzt in einem sächsischen Bade. Der Mann wird doppelt besteuert, weil die Steuergesetzgebung sowohl in Sachsen wie bei uns das nicht ausschließt. Jetzt vereinbaren wir uns mit dem Königreich Sachsen, in welcher Weise wir uns in einetm solchen Fall verhalten wollen, um die Doppel⸗ besteuerung zu beseitigen. Es ist in natürlich, meine Herren, wenn wir in einem Fall mit dem Kbnigreich Sachsen uns verständigen, so werden in anderen gleichen Fällen ganz dieselben Grundsätze von beiden Staaten befolgt; und

Abg. von Strombeck mehr

Bedeutung, daß man nicht immer in jedem einzelnen Falle besondere Vereinbarungen zu beschließen braucht und den betreffenden Steuer⸗ pflichtigen davor bewahrt, erst alle Instanzen anzurufen, um endlich zu seinem Rechte zu kommen. Weiter bedeutet die ganze Sache nichts. Wir haben eben gesehen, daß bei der Verschiedenheit der Steuerfätze innerhalb Deutschlands selbst, und da diese Fälle nicht unter das Reichsgesetz fallen, eine solche Vereinbarung genereller Natur, wie sie aus dem einzelnen Fall, welcher aufgetaucht ist, sich ergiebt, geradezu nothwendig ist, um nicht die allergrößten Ungerechtigkeiten, jedenfalls aber große Belästigungen für den einzelnen Steuerzahler hervor⸗ zurufen. Meine Herren, ich weise nochmals darauf hin, wie das bereits meine Herren Kommissare gethan haben, daß die eigentliche Grenze und die Sicherheit, damit mit dieser Ermächtigung kein Miß⸗ brauch getrieben werden kann, in dem Grundsatze der Gegen⸗ seitigkeit liegt; wenn beide Staaten es in ihrem Jateresse halten, solche kleinen Abweichungen von ihren generellen gesetzlichen Bestimmungen eintreten zu lassen, so kann schon aller Wahrscheinlichkeit nach diese Ermächtigung nicht mißbraucht werden. Dies ist ein Fall, wo wir lediglich eine Ermächtigung haben wollen im Interesse des Steuerpflichtigen. Wir haben uns oft gesagt: ja, hier muß doch Abhilfe getroffen werden, und haben wir nun eine generelle Ermächtigung dafür? Um diesen Zweifel zu beseitigen, wünschen wir den § 2. Ich möchte im Interesse der Steuerpflichtigen gerade in Deutschland, wo doch solche Unzuträglichkeiten erst recht vermieden werden müssen, drin⸗ gend bitten, an dieser Ermächtigung nichts zu ändern. Wir sind ja voll⸗ ständig bereit, meine Herren, wenn die Budgetkommission wünscht, die Art und Weise kennen zu lernen, wie von dieser Ermächtigung Ge⸗ brauch gemacht wird, der Budgetkommission jederzeit Auskunft zu geben. Sollten wir da also von den Grundsätzen abweichen, die uns hier gesteckt sind, oder sollten wir Grundsätze aufstellen, welche dem hohen Hause nicht richtig erscheinen, so hat das hohe Haus ja immer die volle Möglichkeit, die Sache hier zur Diskussion zu bringen und von der Regierung eine andere Praxis zu verlangen.

Ich glaube daher, meine Herren, daß es doch richtig ist, in dieser

Beziehung keinerlei Aenderungen in der Fassung des Paragraphen

vorzunehmen.

Abg. von Strombeck zieht nach dieser Erklärung seinen Antrag

urück.

§ 2 und der Rest des Gesetzes werden unverändert an⸗

genommen.

Es folgt die zweite Berathung des Gesetzentwurfs,

betreffend die Bestrafung von Zuwiderhandlungen

gegen die Vorschriften über die Erhebung von Ver⸗

kehrsabgaben. 8

Die 1 und 2 werden ohne Debatte angenommen. Nach § 3 soll, wer Pn hohe Verkehrsabgaben einzieht,

mit dem 10 bis 20 fachen Betrage des zuviel Erhobenen als

Geldstrafe bestraft werden; wenn nur eine Fahrlässigkeit vor⸗

liegt, soll die Strafe nur halb so hoch sein. 1

Nach § 4 soll diese Strafe auch die Privatberechtigten

und die Vorstände nicht öffentlich⸗rechtlicher juristischer Per⸗

sonen treffen, welche die mit Strafe bedrohten Handlungen von ihren Einnehmern wissentlich geschehen lassen.

Abg. Reichardt (nl.) bemängelt die Fassung dieser Bestim⸗

a. Ober⸗Regierungsrath Peters bemerkt, daß diese

Paragraphen kein neues Recht schafften, sondern schon längst in

Geltung seien.

Die §§ 3 und 4 werden angenommen,

Rest des Gesetzes in der Kommissionsfassung.

Es folgt die zweite Berathung des Gesetzentwurfs,

betreffrnd die Gewährung von Zwischenkredit bei

Rentengutsgründungen.

§1 lautet nach der Vorlage: 8 Soweit für die Errichtung von Rentengütern die Vermittlung der General⸗Kommission eintritt, kann der zur Abstoßung der Schulden und Lasten der aufzutheilenden oder abzutrennenden Grund⸗ stücke und zur erstmaligen Besetzung der Rentengüter mit den noth⸗ wendigen Wohn⸗ und Wirthschaftsgebäuden erforderliche Zwischenkredit aus den Beständen des Reservefonds der Rentenbanken gewährt werden. Dem Fonds darf hierfür ein Betrag bis zu 10 Millionen Mark entnommen werden Die Abgg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch

(fr. kons.), Dr. Porsch (Zentr.), Freiherr von Wangen⸗

heim (kons.) und Genossen beantragen: 1) die Worte von

„zur Abstoßung“ bis Baee ne k äntr zu streichen und

2) die Regi u ersuchen,

2) bee neCen,; neuer Ansiedlungen gesetzliche Bestimmungen zu freffen, welche eine einheitliche und zweckmäßige Regelung des Ver⸗ sahrens unter entsprechender Betheiligung der lokalen Verwaltungs⸗ behörden berbeiführen; daher alsbald in eine Revision der Gesetze vom 25. August 1876, 4. Juli 1887, 13. Juni 1888, 11. Juni 1890 und 7. Juli 1891 einzutreten und dem Landtage der Monarchie bei seinem Wiederzusammentritt eine entsprechende Vorlage zu

ae Glasenapp (kons.):

ebenso der

Abg. von Der Antrag will die private Tbätigket auf diesem Gebiet nicht beseitigen, sondern auf das rechte Maß zurückführen, indem er ihr durch die genossenschaftlichen Organi⸗ sationen eine segensreiche Konkurrenz schaffen will. Hauptsächlich aber soll der Gewinn, der bisher den privaten Güterschlächtern mühelos in die Tasche fällt, dem kleinen Besitzer zu gute kommen. An dieser Stelle sollten die gemeinnützigen Gesellschaften ein⸗ setzen, wie es schon jetzt die Deutsche Ansiedlungsgesellschaft thut. Der Antrag will ferner die Seßhaftmachung der ländlichen Arbeiter berbeiführen. Dieser Zweck ist durch die bisherige Renten⸗ gutsgesetzgebung noch nicht in dem wünschenswerthen Maße erreicht worden. Abg. Richter meinte im vorigen Jahre, daß der Nothstand in Ostelbien daher rühre, daß viele Besitzer zuviel Land und nicht entsprechend Geld hätten. So einfach liegt die Sache nicht. Die schwierige Lage der Landwirthschaft in Ost⸗ und Westelbien berubt bauptsächlich darauf, daß die Einnahmen unverhältnißmäsig zuröͤck⸗ gegangen und die Ausgaben unvde hältnißmäßig gestiegen sind. . Arbeitermangel hat die Nothlage noch gesteigert; ich wi aber heute hierauf nicht zurückkommen. Der zweite Theil entspricht einem im vorigen Jahre mit großer Mehrheit angenommenen Antras Wangenheim, der eine Aaregung für die Regierung sein sollte dahin zu wirken, daß ein einheitliches, praktisches Verfahren für die Regelung

der Zusammenhang mit den übrigen Behörden fehlt. Es wird nicht anders gehen, als das Laienelement mitsprechen zu lassen. Durch Erlaß des Landwirthschafts⸗Ministers von 1895 sind die General⸗Kommissionen angewiesen, bezüglich der Rentengutsbildung direkt mit den Kreisausschüssen in Verhand⸗ lungen zu treten. Das wird auf die Dauer nicht genügen. Wir dürfen hoffen, daß durch den Antrag ein Weg gefunden wird, der zum Ziele führt. Das Prinzip des Antrags hat schon bei der ersten Lesung on allen Seiten eine wohlwollende Aufnahms gefunden; nur der Abg. Hirsch hat ihn schon im voraus bekämpft, indem er sagte, daß wir vorläufig mit der Rentengutsbildung allein dastehen. Aber wir baben doch auf allen möglichen Gebieten, z. B. der allgemeinen Wehrpflicht, allgemeinen Schulpflicht, vorbildlich für das e gewirkt. und wir wollen wünschen, daß diese Vorlage dazu den ersten Schritt bedeute. 8 Geheimer Ober⸗Regierungsrath Sachs: Nachdem das Haus im vorigen Jahre den Antrag Wangenheim angenommen hatte, ist eine Verfügung an die Ober⸗Präsidenten erlassen worden, in der sie auf⸗ gefordert werden, sich dahin zu äußern, ob nach den gemachten Er⸗ fahrungen eine Aenderung oder Ergänzung des Gesetzes von 1876 nothwendig erscheint. Die Berichte der Ober⸗Präsidenten, denen um⸗ fangreiche Rückfragen bei den Orts⸗ und Kreisbehörden vorausgehen, sind bald zu erwarten, und nach ihrem Eingang wird geprüft werden, ob eine Aenderung des Gesetzes von 1876 ins Auge zu fassen ist. Was also mit dem Antrage 2 gesagt ist, hat die Regierung schon er⸗ wogen, und ich ham Ilären daß sie gegen Mißbräuche in der Kolonisation energisch einschreitet.

Abg. Dr. Hirsch (fr. Volksp.): Ich habe mich schon bei der ersten Lesung gegen die Fortlassung der Zweckbestimmung des Zwischen⸗ kredits erklärt. Die Herren von der Rechten bezeichnen jeden, der sich mit der Güterauftheilung beschäftigt, als Güterschlächter. Volks⸗ wirthschaftlich ist es aber nicht richtig, daß der Staat sich in diese Verhältnisse einmischt. Der Minister von Miqauel sagte neulich, daß der römische judex der Begründer der freien Theilbarkeit, der Naturaltheilung, sei, daß also diese Dinge ursprünglich nicht im deutschen Rechtsbewußtsein gelegen hätten. Verschiedene Rechtslehrer sind darüber anderer Ansicht, z. B. Professor Meitzen, und stellen fest. daß schon in der deutschen Urzeit die freie Theilbarkeit des Grund- besiges anerkannt war. Wir brauchen uas also nicht dadurch beci flussen zu lassen, daß das freie Eigenthum und die freie Theilbark nur der römischen Zwangsgesetzgebung anstammen solle. Man sag daß die Stein⸗Hardenberg'sche Gesetzgebung sich nicht bewährt habe aber der richtigen Durchführung dieser Gesetzgebung wurden mancherl Hindernisse in den Weg gelegt. Daß in 1 güter gebildet sind, ist doch nur ein geringer Erfolg. Die Zahl der den Rentengütern gleichstehenden Betriebe hat sich dagegen in freiem Verkehr in zehnfacher Zahl vermehrt. Ueber eine gewisse gesetzliche Regelung des Ansiedelungswesens läßt sich reden. aber es geht zu weit und ist ein überschwängliches Ziel, wenn der Staat das ganze An⸗ siedlungswesen in seine Hand nimmt. Der Finanz⸗Minister hat neulich wieder die Schulze⸗Delitzsch'schen mit den Raiffeisen'schen Genossenschaften verglichen, wie mir schien, auf Kosten der ersteren. Im stenographischen Bericht hat der Minister aber entweder seine Aeußerung eingeschränkt, oder das Mißverständniß ist durch die Akustik des Hauses hervorgerufen worden. Herr von Wanzenheim hat neulich den Frei⸗ sinnigen vorgeworfen, sie hätten nur Worte, nicht Thaten für die kleinen Leute. Solche Vorwürfe soll man nicht erheben, wenn man mit seinen Freunden selbst im Glashause ist. Es wird sich ja noch zeigen, wie die Agrarier Freunde des kleinen Mannes sind. Die Durchführung der Rentengütergesetze wird besonders durch die Ein⸗ führung des Anerbenrechts für Rentengüter beeinträchtigt. ös

G des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Ich bin erfreut über die Erklärung des Herrn Abg. Dr. Hirsch, daß er und seine Freunde heute segen die Renten⸗ gutsgesetzgebung an und für sich nicht mehr seien; ihre Stellung würde eine andere sein, wenn nicht zugleich die Gesetzgebung über das Anerbenrecht herausgekommen wäre. Er bezeichnet dieses als eine Schranke der Freiheit, der freien Verfügung über das Eigenthum. Wenn Herr Dr. Hirsch schon früher im Hause gewesen wäre, so würde er wahr⸗ scheinlich doch erkannt haben, daß das Anerbenrecht keinen Eigenthümer mehr beschränkt, als er es vorher war. (Sehr richtig! im Zentrum.) Man kann als Besitzer eines Anerbenguts von Todes wegen und unter Lebenden absolut frei verfügen, und die einzige Bedeutung des An⸗ erbenrechts ist die, daß, wenn nicht verfügt ist, wenn der Eisenthümer nicht einen anderen Erbgang will, nicht nach den Prinzipien des römischen Rechts der Grund und Boden getheilt wird, sondern auf einen bestimmten Anerben vererbt wird, den übrigens auch der Eigen⸗ thümer selbst bestimmen kann. Wo ist da also von einer Beschränkung des Eigenthums die Rede, der Wiedereinführung eines feudalen Ober⸗ eigenthums, wie es Herr Professor Brentano bezeichnet? Alle diese verkehrten Anschauungen haben ja gar keinen Boden S

Aber, meine Herren, nun ist das doch auch nicht richtig, wenn Herr Dr. Hirsch sagt, daß die Freisinnigen Gegner des Rentenguts erst geworden wären durch die Einführung des Anerbenrechts. Im Gegentheil, lange vor Einführung des Anerbenrechts für die An⸗ siedlungsgüter, die obendrein noch eine besondere national⸗politische Seite hatte, war gegen die Einführung der ablösbaren Rente von Anfang an die fteisinnige Partei in der unbedingtesten en⸗ sie hielt die bloße Hypothek für die einzig vernünftige Verschuldungsform.

Nun hat sich gestern oder vorgestern Herr Dr. Hirsch gegen mich berufen auf eine allerdings sehr bedeutende Autorität in der Agrarpolitik, nämlich auf den Finanz⸗Minister Buchenberger, und hat dargelegt, derselbe wäre eigentlich auch ein Gegner der Renten. Das ist allerdings schon vorgestern zur Aufflärung gekommen; aber es wird Herrn Dr. Hirsch doch interessant sein, daß der Minister Buchenberger seine Aeußerungen über ihn gelesen hat. Ich kann den Brief nicht wörtlich vorlesen, weil ich dazu keine besondere Erlaubniß habe; aber ich kann doch sagen, daß der Minister in seinem Briefe sich dahin ausdrückt, daß die Behauptungen des Herrn Dr. Hirsch mehr als kühn genannt werden müssen. (Große Heiterkeit rechts.) Die ganze Rentengutsgesetzgebung, sagt er, kennt keinen wärmeren Verehrer als mich. (Hört, hört! im Zentrum.) Ich will nicht weiter vorlesen; denn dazu würde ich mich kaum für ermächtigt halten. Aber der Minister fügt hinzu, das sei allerdings richtig, daß er die Rentengutsgesetzgebung nicht als die einzig zulässige Form der Verschuldung ansehe. Das thun wir alle auch 1b nicht, und ich habe es gestern noch ausdrücklich erklärt: Wie haben viele Landes⸗ theile, für die diese Rentengutsgesetzgebung nicht paßt; da wird man sich allerdings mit der Hypothek begnügen müssen. Aber so viel ist

2„ 2 22 b 12 8 aff⸗ Die heutige Organisation der General⸗ dieser Frage geschaffen werde. Die heutige Organif 8-us

eine Vereinbarung über die Behandlung solcher Fälle hat bloß die

8 üß spri Verhältnt nicht mehr Kommsionen entspricht den Berhältn ssen nich mehe,

klar, daß die Bezugnahme auf diese Autorität sehr verfehlt war.

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10 Jahren nur 8000 Renten⸗