8 Aber fast alle diese Meliorationen haben die Provinzen nach dem
Dotationsgesetz allein zu leisten, sie sind dafür dotiert. Wir haben aber festgestellt, daß eine große Anzahl der Provinzen — zu denen aller⸗ dings die Rheinprovinz nicht gehört, denn sie hat, wie ich gern an⸗ erkenne, die Meliorationsangelegenheiten immer vorangestellt — die Summen, welche sie aus dem Staatssäckel für Meliorationszwecke empfangen hatte, keineswegs in vollem Umfang für diesen Zweck ver⸗ wendet haben. Durch das Dotationsgesetz ist vereinbart, daß eine Melioration nur dann dem Staate zur Last fallen soll, wenn ihre Bedeutung über die Provinz hinausgeht. Thatsächlich ist aber diese ganze Unterscheidung fallen gelassen, und fast überall theilen sich heute bei Landesmeliorationen Staat, Provinz und Interessenten in die Kosten, sodaß die Interessenten ½, die Pro⸗ vinz ½ und der Staat ½ tragen. Also vieser ganze Unterschied ist thatsächlich aufgegeben und die Ausgaben des Staats für Landes⸗ meliorationen, selbst mäßig großer Art, sind doppelk so stark ge⸗ wachsen wie die der Provinz. Ich führe weiter an, daß wir jetzt bei den großen Landesmeloriationen der Flußregulierung noch weiter gehen. Wir zablen in Schlesien und in der Mark bei den Flußregulierungen sogar ⅛6 aller Ausgaben. Die Kleinbahnen ferner sind regel⸗ mäßig nicht als Aufgaben des Staats, sondern als lokale Aufgaben angesehen worden, und doch haben wir in das diesjährigen Eisenbahngesetz allein 20 Millionen Mark aufgenommen. Wir gehen in der Provinz Ostpreußen, Westpreußen und in Posen so weit, daß wir die Hälfte der ganzen Kosten der Kleinbahnen tragen.
Das sind alles ganz neue Belastungen, die der Staat über⸗ nommen hat. Diese Mehrleistungen des Staats müssen doch auch in Anrechnung kommen. Alle diese Dinge kosten heute mehr. Wer mit der Verwaltung in Verbindung steht, wird finden, daß alles unter seinen Händen und gegen seinen Willen theurer wird. Ich habe gesagt, es war diese Dotationsfrage damals gar keine Finanz⸗ frage, allein sie wurde als große Dezentralisationsmaßregel angesehen, und die Stände der Provinz Hannover — als sie zuerst pro⸗ vinzielle Selbstverwaltung verlangten mit Rücksicht auf die schwierigen Verhältnisie einer neuen Provinz nach Unter⸗ gang des Königreichs — schrieben mit dürren Worten — und ich bin selbst betheiligt gewesen —: wir wissen ganz genau, daß wir steigende Lasten übernehmen; aber wir sind dazu bereit mit Rücksicht darauf, daß wir dann unsere eigenen Angelegenheiten selbst verwalten wollen. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, daß in der Kommission Herr von Levetzow, der diese Sachen sehr objektiv an⸗ sieht, zugestanden hat, daß aus der bloßen Thatsache, daß eine ur⸗ sprünglich genügend dotierte Verwaltungsaufgabe in Zukunft mehr Mittel erfordert durch das natürliche Wachsthum der Ausgaben jedes Verwaltungszweiges, noch keine neuen An⸗ sprüche zur weiteren Dotation der Provinz durch den Staat hergeleitet werden können. Meine Herren, wenn Sie dies Grenze nicht festhalten, dann kommen Sie dahin, daß Sie der pro⸗ vinziellen Selbstoerwaltung den Todesstoß geben. Ein Zustand läßt sich in einem geordneten Staatswesen nicht halten, wo der Staat das Geld giebt und er ohne jede Kontrole dem Andern überläßt, damit nach seinem Belieben zu schalten. Das kann man einmal machen, das kann aber keinen Bestand haben. Dann verzichten Sie re vera für die Dauer auf die Selbstverwaltung. Ich glaude aber, daß Sie selbst diesen Gesichtspunkt wohl erwägen werden. Die anderweite Vertheilung der ursprünglich nicht gerecht vertheilten Chausseebaufonds hängt hiermit selbstverständlich nicht zusammen und ist unabhängig hiervon zu lassen. Herr Graf zu Eulenburg hat ja einen sehr plausiblen Vorschlag gemacht. Aber auch er reicht nicht aus. Wenn wir nach diesen Vorschlägen allein verführen, so würde Pommern, welches seine ganzen Chaussee⸗ lasten auf die Kreise übertragen hat, stark benachtheiligt werden. Hieraus geht eben hervor, was der Herr Ober⸗Bürgermeister Becker auch angeführt hat, daß solch ein Gesetz nicht aus dem Handgelenk zu machen ist, daß gründliche Ermittelungen über die ganzen Ver⸗ waltungsverhältnisse in den einzelnen Proviazen vorangehen müssen. Daher kann ich nur wiederholen: Ich bin überzeugt, es ist unmöglich, bis zum nächsten Landtage ein gründlich durchgearbeitetes Revisions⸗ gesetz vorzulegen.
Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben: Mieine Herren! Die Frage der Erhaltung der Leistungsfähigkeit unserer Provinzen ist von so eminenter politischer und staatlicher Be⸗ deutung, daß ich mich für verpflichtet halte, auch vom Standpunkt meines Ressorts dazu Stellung zu nehmen. Die Ausführungen der Herren Ober⸗Bürgermeister Becker und Graf Eulenburg geben mir doppelt Veranlassung dazu.
Für jeden, der unsere Verhältnisse von der höheren Warte be⸗ trachtet, maß es in der That als eine nach manchen Richtungen bedenkliche Erscheinung gelten, daß die Leistungsfäbigkeit und wirth⸗ schaftlichen Verhältnisse der Provinzen sich total verschieden ent⸗ wickelt haben. Wir haben von 3 % Provinzialsteuern in Nassau bis zu 22 % Provinzialsteuern in Posen, und dabei dürfen wir die Pro⸗ vinzialsteuern nicht allein in Betracht ziehen, sondern wir müssen dazu nehmen die große Belastung, die durch die Kreissteuern hinzukommt. Während wir beispielsweise in der Rheinprovinz Kreissteuern über⸗ haupt nicht erheben, sehen wir in Ostpreußen und Posen Kreissteuern von 100, 150 % und noch mehr. Aiss, meine Herren, das sind Er⸗ scheinungen, die zusammengenommen doch als sehr ernste betrachtet werden müssen und, glaube ich, die eingebende Aufmerk⸗ samkeit der Staatsregierung erfordern. Worauf diese außerordentlich verschiedene Entwickelung zurückzuführen ist, das im einzelnen hier auszuführen, glaube ich, kann ich mir versager. Die Provinzen, namentlich die neu hinzugekommenen Landestheile Hessen⸗Nassau und Hannover, waren voa vornherein verschieden dotiert. Sie befanden sich also im Anfange der Entwickelung auf einer verschiedenen finanziellen Basiz, und diese verschiedene, für einzelne Landestheile günstigere Basis ist noch dadurch verstärkt worden, daß der Westen und die industriellen Gebiete eine steigend günstige Entwickelung erfahren, der Osten und die landwirthschaftlichen Ge⸗ biete dagegen vielfach eine Entwickelung in der gegentheiligen Richtung aufzuweisen haben. (Sehr richtig!) So haben sich die Verschiedenheiten hinsichtlich der provinzialen Lage immer mehr ver⸗ schärft, und wir sind zu den außerordentlichen Unterschleden ge⸗ kommen, wie ich sie kurz anzudeuten mir erlaubte.
Diese Verschiedenheit ist meines Erachtens auch dadurch ver⸗ größert worden, daß der Maßstab des Dotationsgesetzes von 1875 ein rein mechanischer und zum theil ungetechter ist. Mechanisch ist der
Maßstab der Vertheilung nach Land und Leuten ohne Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit, und ungerecht ist der Maßstab, nach dem die Wegebaurenten vertheilt wurden. In den Provinzen war, wie von mehreren Seiten und auch vom Herrn Finanz⸗Minister hervorgehoben ist, die Entwickelung des staatlichen Wegebaues eine ganz verschiedene; einige Provinzen erfreuten sich eines großen Netzes siskalischer Chausseen, andere Provinzen waren in dieser Beziehung zurückgeblieben. Nun bekamen die Provinzen, die sich bereits eines ausgebauten Wegenetzes erfreuten, dieses staatlich ausgebaut und dazu noch die hohe Unterhaltungsrente, die berechnet wurde nach der Länge des ausgebauten Netzes; umgekehrt haben andere Landestheile sehr wenig Chausseen und wiederum eine sehr geringe Rente erhalten. (Sehr richtig!) Ich habe mir erlaubt, in dieser Beziehung bei der Kommissionsberathung anzuführen, daß beispielsweise die Provinz Posen, sage und schreibe, 90 Meilen Staats⸗ chausseen und eine dementsprechend kleine Rente bekommen, dagegen die Provinz Hannover 420 Meilen Staatschausseen und eine dement⸗ sprechend hohe Rente erhalten hat. Also die wirthschaftlichen Rücksichten, die ich angeführt habe, aber auch die Fehler der Dotationsgesetzgebung haben wesentlich dazu beigetragen, die an sich nach Lage der Verhält⸗ nisse schon verschiedene Lage der Provinzen noch wesentlich zu ver⸗ schärfen und zu so großen Ungleichheiten zu führen, wie wir sie vor uns sehen. Es ist darnach die Frage sehr nahe liegend, ob wir nicht zu einer Revision der Dotationsgesetzgebung schreiten sollen, einer Revision, die meines Erachtens nur einen Ausgangspunkt haben käann, nämlich die Leistungsfähigkeit in höherem Maße zu berücksichtigen, als es bisher der Fall war. Ich glaube, darüber hat auch Uebereinstim⸗ mung bei den verschiedenen Rednern des hohen Hauses geherrscht, daß man suchen muß, nicht mechanisch zu verfahren, sondern die wirkliche Leistungsfähigkeit oder vielmehr Leistungsunfähigkeit zu berücksichtigen. Aber, meine Herren — darin stimme ich dem Herrn Finanz⸗Minister bei — einen Maßstab zu finden, der, rechnerisch ausgedrückt, diese Gedanken wiedergiebt, ist sehr schwer. Herr Graf von Eulenburg sagte, man möge zu Grunde legen den Maßstab der Prozente der Provinzial⸗ abgaben. Das ist ein Maßstab, der auf den ersten Blick berechtigt erscheint. Aber Provinzialabgaben und Provinzialabgaben ist etwas sehr Verschiedenes, wie schon erwähnt worden ist. Denn Sie können die Provinzialabgaben allein nicht zu Grunde legen, wenn Sie nicht wiederum die Kreissteuern in Betracht ziehen. Wir haben in der Rheinprovinz z. B. 10 % Provinzialsteaern; aber die Provinz unterbält die ganzen Straßen, die in anderen Landestheilen die Kreise unterhalten. In⸗ folge dessen stellen die Provinzialsteuern dort etwas ganz Anderes dar als die Provinzialsteuern in anderen Landestheilen, wo die Kreise allein die Wege unterhalten. In Ostpreußen haben wir andererseits die Thatsache, daß nicht die Provinz der Landarmenverband ist, son⸗ dern die Kreise; also auch da schon wird, wenn ich so sagen soll, die Reinheit des Maßstabes der Provinz'alabgaben alteriert. Immerhin läßt sich as den Gedanken der Provinzial⸗ abgaben anknüpfen; aber man müßte noch weiter gehen, man müßte nicht nur die Provinzialabgaben in Rücksicht ziehen, sondern auch die Kreis⸗ und Gemeindesteuern, kurzum, zur Betücksichtigung der gesammten Leistungsfähigkeit kommen. Es wäre denlbar, daß man sich sagte, es sollen diejenigen Landestheile, die über den Durchschnitt des Aufkommens an Staatssteuern aufbringen, bei der Dotation nicht berücksichtigt werden, während diejenigen Landestheile, die, pro Kopf der Bevölkerung bemessen, unter diesem Durchschnitt bleiben, berücksichtigt werden sollen. Dann müßte man eine weitere Degression nach unten eintreten lassen in der Art, daß, je geringer das steuerfähige Einkommen in der einzelnen Prooinz ist, desto höher die Dotation ist. Aber diesen Maßstab im einzelnen durchzuführen, ist nicht ganz einfach, und ich will keineswegs behaupten, daß dieser Maßstab sich, wenn man bis ins letzte rechnet, als ein durchaus zutreffender erweisen wird. Diese Frage ist nicht leicht zu lösen, und wir müssen ver⸗ meiden, bei dieser Gelegenheit — welcher Ausbruck von anderer Seite gebraucht worden ist — einen Kampf aller Provinzen gegen alle zu entfesseln, sondern wir müssen uns ehrlich bemühen, einen Maßstab zu fiaden, der den außerordentlichen Ver⸗ schiedenheiten Rechnung trägt und den Hauptgesichtspunkt nicht außer Augen läßt, den wirklich Leistungsunfähigen zu helfen, und nicht den⸗ jenigen, die einer Unterstützung nicht bedürftig sind. Ich glaube, bis wir diesen Maßstab gefunden haben, läßt sich auch in der That auf anderen Gebieten den leistungsunfähigen Provinzen wesentlich entgegenkommen, indem, wie wir bei der Vorlage gehandelt haben, bei allen Neuauflagen mit der größten Rücksicht verfahren wird. Wir haben, dank dem Ent⸗ gegenkommen des Herrn Finanz⸗Ministers, die Vorlage wesentlich im Interesse der Provinzen gestaltet. Die Kosten der Zwangserziehung auf Grund des Gesetzes von 1878 stellen sich so, daß von den ins⸗ gesammt 1 ½ Millionen die Hälfte auf die Provinzen entfällt, die Hälfte auf den Staat, also auf jeden 750 000 ℳ Wenn diese Kosten nun gedrittelt werden in der Weise, daß de Provinzen ein Drittel,
der Staat zwei Drittel trägt, nicht bloß der Kosten, die für die
Zukunft entstehen, sondern auch der Kosten, die auf Grund des Gesetzes von 1878 erwachsen — man nimmt an, daß die jetzt entsteheden Kosten von 1 ½ Millionen Mark um den gleichen Betrag sich erhöhen, insgesammt also 3 Millionen Mark betragen werden —, wenn der Staat also davon zwei Drittel trägt, so fallen auf ihn 2 Millionen und auf die Provinzen 1 Million. Da jetzt 750 000 ℳ zu tragen sind, so erhöht sich die Leistung des Staates um 1 ¼ Millionen und die der Provinzen um ¼½ Million. Also der Staat hat den Löwenantheil, wie mir scheint mit Recht, übernommen, und ich glaube, man wird bei weiteren neuen gesetzlichen Auf⸗ gaben immer diese Frage berücksichtigen müssen: sind die Provinzen im stande, noch weitere Lasten zu übernehmen, oder nicht? Aber ich meine, es giebt noch andere Gebiete, auf denen wesentlich die Leistungsfähigkeit der einzelnen Landelstheile berücksichtigt werden kann. Das liegt in derselben Richtung, die der Herr Finanz⸗Minister bereits vorher angedeutet hat. Ich darf in dieser Beziehung z. B. erinnern an zwei Gegenstände, die gegenwärtig — Excellenz von Wilamowitz wird das besonders bekannt sein — in den Provinzen Posen und Ostpreußen den besonderen Gegenstand des Interesses bilden, nämlich die Ablösung der fiskalischen Wegebaulasten. Auf Grund bistorischer Vorgänge befindet sich in den Provinzen Posen und Ostpreußen eine große Anzahl fiskalischer Land⸗ straßen, deren Ablösung jetzt im Gange ist. Wenn man den Kreisen und Provinzen auf diesem Gebiete liberal entgegenkommt, so lassen sich einigermaßen die Ungleichheiten beseitigen, die auf Grund des Dotationsgesetzes diesen Provinzen gegenüber hervor⸗
getreten sind. Ebenso läßt sich durch Förderung von Schul⸗ bauten, Kleinbahnen, Landesmeliorationen u. s. w. für die öst⸗ lichen Landestheile, die der Unterstützung besonders bedütftig sind, meiner Ueberzeugung nach fehr wesentliches leisten. Kurzum, welchen von beiden Wegen man beschreiten mag, ob man ein neues Dotationsprinzip aufstellt oder für spezielle Zwecke denjenigen Landes⸗ theilen, die der Unterstützung bedürftig sind, besondere Zuwendungen macht, — darüber kann kein Zweifel sein, daß cs unsere ernste Aufgabe sein muß, den Landestheilen, die der Unterstützung bedürftig sind, auch wirklich zu helfen. Es sind dies zum theil gerade die östlichen Provinzen, welche die Wiege der Monarchie und der Größe des Vaterlands gewesen sind. Ihnen in diesen schwierigen Verhältnissen zu Hife zu kommen und ihre Lage zu mildern, soweit es möglich, ist meines Erachtens ein Gebot der Politik. (Bravo!)
Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen betont ebenfalls, daß die Provinzen stets neue Aufgaben bekommen hätten, und empfiehlt eine Revision der Dotation, möchte aber das unsichere Gebiet der Leistungsunfähigkeit nicht betreten und wünscht eine Resolution, welche allgemein nur um eine erhöhte Dotation ersuche.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Der Herr Staats⸗Minister von Lucius hat ge⸗ glaubt, einen Fall anführen zu können, wo die Provinz vom Staate mit Unrecht mit herangezogen worden ist. Das ist der Fall eines Kreises an der Elbe. Nun sagt der Herr Freiherr von Lucius, früher hätte der Staat sich um die Wiederherstellung von Deichen garnicht gekümmert. Das ist vollständig richtig. In dem vorliegenden Fall aber wurde anerkannt, daß eine dauernde Melioration innerhalb des Deichverbandes erforderlich war, und daß nameatlich in Zukunft die Instandhaltung der nicht normalisierten Deiche von den Interessenten nicht geleistet werden könnte. So entschloß sich der Staat, freiwillig einen Theil der Mittel zu gewähren, und ver⸗ langte, daß auh die nächstbetheiligte Provinz noch einen Zuschuß gebe. Beide waren nicht verpflichtet. So hat schließlich die Sache den Charakter einer Meliorationsfrage angenommen. Wenn einer verpflichtet war, so war es die Provinz eher als der Staat. Wir werden bei der Herstellung der Deiche in Westpreußen an der Weichsel sehen, daß der Staat dort noch erheblich mehr als die Interessenten zahlt. Das ist auch, wenn man die Sache prüft, nichts weiter als eine große Eindeichung im Interesse der Landesmelioration, nicht im Interesse der Schiffahrt. Der Begriff der Leistungs⸗ fähigkeit ist ja allerdings variabel und diskretionär, und doch, wo wir Zu⸗ schüsse des Staats an die kleinen Gemeinden auf den allerverschiedensten Gebieten gewähren, kann man diesen Begriff garnicht entbehren, sonst würde man dahin kommen, das Geld mechanisch zu vertheilen, nicht nach der Leistungsfäbigkeit, nach der Hilfsbedürftigkeit und dem Bedarf, sondern einfach nach der Regel de tri. Hier besonders können Sie diesen Begriff garnicht entbehren. Da braucht man nicht die Leistungsfähigkeit der einzelnen kleinen Gemeinden zu unter⸗ suchen, wie man das z. B. bei den Schulzuschüssen muß, sondern da wird doch mehr die Gesammtlage der Einwohner der Provinz iga Betracht zu ziehen sein. Ich glaube, meine Herren, es wäre wirklich Zeitverschwendung, wenn wir über die Art und Weise, wie dies künftige Gefetz gestaltet werden soll, hier noch debattieren wollten. Wir würden, glaube ich, kaum zum Ziele kommen, und der Einzelne würde dadurch auch nicht klar werden. Ich würde daher nur befür⸗ worten, daß Sie die Resolution, wie sie hier beantragt ist, annehmen und nicht irgend eine Erwartung in dite⸗ selbe hineinnehmen, wie das der Antrag Mirbach thut, als wenn die Staatsregierung in der Lage wäre, das Gesetz schon dem nächsten Landtag vorzulegen. Ich kann Ihnen von vornherein nichts Anderes sagen, als daß ich die Vorlage für den nächsten Landtag nicht in Aussicht stellen kann. Soviel steht fest, daß der Staat, wenn er aus der Zentralstelle die Unterstützungen gewährt, die Leistungsfähigkeit und das Bedürfniß besser vergleichen kann wie irgend eine Previnz. Nehmen Sie die Schullasten. In der Provinz Ostpreußen sind wir so weit gegangen, daß die Leistungen der Gemeinden für die Elementar⸗ lehrer nur noch ein Minimum sind. In anderen Provinzen können die Gemeinden mehr leisten, und wir haben sie daher schärfer heran⸗ gezogen. Wenn wir die Schullasten nach irgend einem bestimmten Maßstabe vertheilen, so werden viele Provinzen in allen Fällen zu Schaden kommen
Freiherr von Manteuffel: Als 1898 Graf Mirbach in einer Intervellation über die Belastung der Provinzen durch das Gesetz von 1891 klagte, sagte der Minister von Miquel: „Warum lassen sich die Provinzen das gefallen?“ Deshalb wollen wir uns jetzt eine neue Belastung nicht gefallen lassen. Herr von Miguel hat seine Erklärung in der Kommission wesenllich eingeschränkt und uns nur ganz persönlich eine neue Prüfung in Aussicht gestellt. Die Ausführungen des Ministers können sich wohl gegen den Antrag von Eynern im Abgeondnetenhause richten, dem wir in seiner Form nicht zustimmen, aber nicht gegen den Antrag des Grafen Mirbach. Emne Tödtung der Selbstverwaltung ist nicht zu befürchten, denn die Pro⸗ vinzen haben immer noch Kosten genug. Graf Mirbach will nach dem Wunsch des Herrn Becker seinen Antrag ändern, um eine möglichst große Mehrheit dafür zu erzielen.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister
Dr. von Miquel:
Ich möchte den Herrn Freiherrn von Manteuffel darauf auf⸗ merksam machen, daß er nicht meine Worte aus dem Kommissions⸗ bericht vorgelesen hat, sondern die Worte des Herrn Ministers des Innern (Heiterkeit); aber materiell ist eine Verschiedenheit zwischen uns garnicht vorhanden. Ich habe auch nicht abgerathen von der Resolution der Kommission, ich habe mich nur dagegen erklärt, daß hier die Meinung aufkommen könnte, die Staatsregierung könne und müsse zum hFächsten Landtage ein bezügliches Gesetz vorlegen. Es scheint das nach Lage der Geschäfte auch kaum möglich. Ich halte die Differenz der Fassungen der Resolu⸗ tion nicht für groß, und es würde mir gleich sein, ob der Antrag von Mirbach⸗Becker angenommen wird oder der Antrag der Kommission. Ich wollte nur darüber keinen Zweifel lassen, daß man nicht eine bestimmte Hoffnung haben oder ein bestimmtes Verlangen an die Königliche Staatsregterung stellen sollte, daß schon in der nächsten Session eine solche Vorlage gemacht werde. Mböglich ist ja vieles; vielleicht sind dann klügere Leute da, die die Sache schneller machen können. (Heiterkeit.) Sollte es möglich sein, so wird die Staats⸗ regierung sich freuen, die Wünsche der Herren in der nächsten Session befriedigen zu können. I“ “
§ 15 wird angenommen.
Der Antrag des Grafen von Mirbach mit Einschiebung des Worts „womöglich“ nach dem Antrage Becker findet ein⸗ stimmige Annahme.
Der Rest des Gesetzes wird ohne Debatte nach den Kom⸗ missionsbeschlüssen und schließlich auch das ganze Gesetz mit Einstimmigkeit angenommen.
Darauf erledigt das Haus noch einige Petitionen.
Ueber eine Petition um Aenderung des Statuts für den Weichsel⸗Nogat⸗Deichverband geht das Haus auf Antrag des Berichterstatters Grafen von Kleist⸗Schmenzin zur Tagesordnung über.
Die Berichte der Gestütverwaltung über die Ein⸗ und Ausrangierung in den Landgestüten ꝛc. werden auf Antrag des Berichterstatters Grafen von der Recke⸗Volmerstein Hurch Kenntnißnahme erledigt.
Die Petition des Magistrats zu Krossen a. O. um Abhilfe gegen die die Stadt Krossen heimsuchenden Ueber⸗ schwemmungen durch stromabwärtige Verlegung der Bober⸗Mündung wird auf Antrag desselben Bericht⸗ erstatters der Regierung als Material überwiesen.
Schluß 5 ½ Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 11 Uhr.
(Staatshaushalts⸗Etat.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Nach Erledigung einiger kleinerer Vorlagen folgt die Prüfung von Wahlen.
Die Wahlprüfungskommission schlägt vor, die Wahl der Abgg. Schmieder (fr. Volksp.), Gothein (fr. Vgg.) und Wetekamp (fr. Volksp.), Vertreter des Stadtkreises Breslau, für ungültig zu erklären.
Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.) bestreitet, daß die sozialdemokratischen Wahlmännern gegebenen Geldentschädigungen eine Wahlbestechung ge⸗ wesen seien. Diese Entschädigung von 5 bis 6 ℳ habe nur den Zweck gehabt, den sozialdemokratischen Wahlmännern die Erfüllung der Pflicht, an der Wahl theilzunehmen, zu erleichtern, nicht aber, sie zur Stimmenabgabe für die freisinnigen Kandidaten zu be⸗ stimmen. Anders liege die Frage, ob nicht das Dekorum dadurch verletzt worden sei, daß das Geld im Wahllokal ausgezahlt wurde. Diese Frage müsse er allerdings bejahen. Es sei aber nicht bewiesen, daß die sozialdemokratischen Wähler nicht ganz nach ihrer freien Ueberzeugung gestimmt hätten. Wenn man sich über solche Fälle entrüste, so führe man die geheime Wahl ein. Nichts wirke korrumpierender als die öffentliche Wahl.
Abg. von Neumann k(kons.) meint, daß die in Breslau vor⸗ ekommenen Unregelmäßigkeiten gegen die gute Sitte verstießen. Die ozia demokratischen Wähler hätten im Sinne ihrer Auftraggeber, nämlich für die Freisinnigen, gestimmt. Die Erstattung baarer Aus⸗ lagen werde allerdings erfahrungsgemäß gestattet, aber auch das sei nicht wünschenswerth; in Breslau daogegen sei eine Pauschal⸗ summe ausgezahlt worden als Leistung gegen Leistung. Die Leute hätten auf billige Weise einen Verdienst erzielt. Man beschwere sich auf der linken Seite darüber, daß Amtsvorsteher, Kriegervereins⸗Vorsitzende ꝛc durch Ansprachen die Wahlen beeinflußten. Was sei dies aber gegen oie Wahlbeeinflussung durch baares Geld? Das sei der Anfang der Korruption, wie sie in anderen Ländern statt⸗ finde. Heute begnügten sich die Leute mit 6 ℳ, später würden sie vielleicht 10 ℳ verlangen. Dem müsse ein Riegel vorgeschoben werden
Abg de Witt (Zentr.) erklärt sich namens seiner Partei für den Kommissionsantrag. Die Auszahlung von Geld an die sozial⸗ demokratischen Wähler sei eine unzulässige Wahlbeeinflussung. Ob diese Wäbler ohnehin für die freisinnigen Kandidaten gestimmt haben würden, komme nicht in Betracht. Es genüge, daß die Geldzahlung geeignet war, die Wahl zu beeinflussen. Selbst der Ersatz der baaren Anslagen könne als zulässig nicht angesehen werden, wie das Haus in einem Fall, bei der Wahl der Abag von Puttkamer und Döring im Jahre 1888, bereits festgestelt habe im Gegensatz zu der Wahlprüfungs⸗ kommission. Damals hielt der Abg. Rickert schon das Anbieten von Entschädigungen für ausreichend, um die Wahl zu kassieren. Einen ähnlichen Standpurkt habe auch der Abg. Mayer⸗Breslau ein⸗ genommen, und der Abg. Richter habe seinen damaligen Fraktions⸗ genossen nicht desavouiert. Was im Jahre 1888 recht war, müsse es auch im Jahre 1900 sein. Es sei in Breslau das politische Scham⸗ gefühl gröblich verletzt worden.
Abg. Kopsch (freis. Volksp.) bebt hervor, daß während des Wabhlaktes selbst Geld nicht ausgezahlt worden sei. Die Zeugen⸗ vernehmung habe dies unwiderleglich erwiesen. Andererseits erkenne er mit seinen Freunden und auch die Sozialdemokratie an, daß die Auszahlung von Geld nach dem Wahlakt unschicklich und taktlos gewesen sei. Die sozialdemokratische Partei habe die Unterstützung der freisinnigen Wahl und die Gewährung einer Pauschalsumme beschlossen. Die Peotesterheber hätten aber den Beweis, daß eine Wahlbeeinflussung stattgefunden habe, nicht einmal versucht. Auch die Möglichkeit einer Wahlbeeinflussung bei sozialistischen Wahlmännern sei vollständig ausgeschlossen. Man denke nur an die Versuche der Konservativen in Torgau. Die sozialistische
artei befolge stets den Grundsatz, die Kosten der Agitation und der Volksvertretung auf die Parteikasse zu übernehmen. Das sei an sich nicht verwerflich. Zahle doch der sächsische Staat den Wahlmännern 5 ℳ und erstatte ihnen die Reisekosten. Das Strafbare liege nur darin, daß ein Wähler durch Geld bestimmt werde, seine Stimme einem Anderen zu geben als er beabsichtigt hadbe. Das ganze jetzige Wahlverfahren sei überhaupt sehr lästig für den kleinen Mann. Die bestimmte Stunde des Wahltermins und die öffentliche Stimmabgabe seisen außer⸗ ordentlich erschwerend und drückend. Die Sozialdemokratie set jetzt im Begriff, sich an den Landtagswahlen zu betheiligen. Solle es ihr unmöglich gemacht werden, ihr Wahlrecht auszuüben? Das würde ge⸗ schehen, wenn man die Entschädtgung der Wahlmänner verbiete.
Abg. Dr. Porsch (Zentr.) hält die Sozialdemokratie für ver⸗ pflichtet, ihr Wahlrecht unter denselben Bedingungen auszuüben wie die anderen Parteien. Auch in diesen gebe es kleine Leute genug, die willig ihrer Partei das Opfer gebracht hätten, zur Wahl zu gehen. Die Auszahlung der Pauschalsumme sei nicht bloß taktles, sondern auch unzulässig gewesen. Die sozialdemokratische Parteileitung habe schon vor der Wahl jedem ihrer Wahlmänner 5 bis 6 ℳ zugesichert. Das sei festgestellt, und es erübrige jede weitere Beweisaufnahme. Wie wolle die freisinnige Partei ihre heutige Haltung mit derjenigen von 1888 in Einklang bringen? Wenn sie eine Wahlbeeinflussung in diesem Falle nicht anerkenne, so müsse sie auch zugeben, daß in jedem ein⸗ zelnen Falle nachgewiesen werden müsse, daß jeder Wahlmann sich durch den Aufruf des Landraths habe beeinflussen lassen. Würden die Fressinnigen den Konservativen und dem Zentrum dasselbe Recht ein⸗ räumen wie den Scezialdemokraten? Vom prinzipiellen Standpunkt aus müsse man das ganze Verfahren verwerfen.
Abg. Dr. Sattler (nl.) vermißt in dem Lobeshymnus des Abg. Kopsch auf die sozialbemokratische Wahlbetheiligung die Aufforderung, sich an den Berliner Wablen zu betheiligen. Wahlmännern sei hier nicht vorg⸗worfen worden, daß sie gegen ihre
eberzeugung gestimmt hätten. Es sel nur von der Möglichkeit einer Wahlbeeinflussung die Rede gewesen. In dem Falle von Puttkamer und Döring habe die freisinnige Partet für die Kassation gestimmt. (Abg. Ehlers: Damals lag der Fall anders!) Allerdings, damals handelte es sich um zwei konservanive Abgeordnete. Gegen die Ent⸗ chädigung an sich ließe sich nichts einwenden, wenn sie nicht öffentlich erfolgt wäre. Ich werde für den Kommissionsvorschlag stimmen.
Den sozialdemokratischen
Abg. Dr. Barth: In den angeführten Fall bandelte es sich
um einen katbolischen Lehrer, der durch den Landrath beeinflußt wurde und eine Entschädigung zugesichert erbielt; hier aber ist jeder Verdacht ausgeschlossen, daß die Zahlung von Geld die Sozialdemokraten zu einer entgegengesetzten Stimmabgabe veranlaßt hat. Gäbe es dafür nur eine entfernte Wahrscheinlichkeit, so wäre ich der erste, der für die Kassation der Wahl stimmte. Die offene Ankündigung der sozial⸗ demokratischen Partei, daß sie eine Entschädigung zahlen würde, schließt b Versuch der Wahlbeeinflussung aus. Bei den Landrärhen und mtsvorstehern liegt die Sache ganz anders.
Abg. Dr. Arendt (fr. kons.): Die freisinnige Partei hätte besser
gethan, diese Diskussion zu unterlassen. Für mich ist entscheidend, ob die Wahlmänner zu Hause geblieben wären, wenn sie kein Geld er⸗ halten hätten. Bei der geringen Stimmenmehrheit fällt dies sehr ins Gewicht. Im Wahlkreise Elbing war jedem konservativen Wahl⸗ mann, nicht nur dem einen Lehrer, eine Entschädigung versprochen worden. Daß die Freisinnigen sich für die Sozialdemokraten inter⸗ essieren, ist verständlich; sie sind bis auf eine Ausnahme nur mit Hilfe der Sozialdemokraten in die Volksvertretung gekommen. Im Reichs⸗ tag hat die freisinnige Partei schon die Möglichkeit einer Wahl⸗ beeinflussung als ausreichend erklärt, um die Wahl zu kassteren. Niemand verwehrt den Sozialdemokraten, sich an der Landtagswahl zu betheiligen, und sie werden es ohne Entgelt thun, wenn der Ge⸗ schäftssozialismus bei ihnen nicht die Oberhand gewonnen hat. Wir werden uns dem ersten Schritt auf dem Wege der Wahlkorruption entgegenstellen.
Die Diskussion wird geschlossen und der Kommissions⸗ antrag gegen die Stimmen der beiden freisinnigen Parteien an⸗ genommen.
Die Wahl des Abg. Mischke (nl.) im Wahlbezirk 6 des Regierungsbezirks Wiesbaden wird ohne Debatte beanstandet.
Die Wahl des Abg. von Colmar⸗Meyenburg k(kons.) im Wahlbezirk 1 des Regierungsbezirks Bromberg beantragt die Kommission für gültig zu erklären.
Abg. Ernst (fr. Vgg.) geht auf die in Bromberg vorgekommenen Wahlunregelmäßigkeiten näher ein und beschwert sich namentlich darüber, daß nur den Gegnern des Herrn von Colmar in Schneide⸗ mühl die Entnahme von Notizen aus den Abtheilungslisten versagt worden sei. Auf seine, des Redners, telegraphische Beschwerde habe allerdings der Minister Abhilfe geschaffen, aber zu spät.
Das Haus beschließt nach dem Antrage der Kommission.
Hierauf folgt die Berathung des Antrags der Abgg. Freiherr von Eynatten (Zentr.) und Genossen:
die Staatsregierung zu ersuchen, womöglich noch im Laufe dieser Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher den Kirchengemeinden der anerkannten Religionsgesellschaften im preußischen Rechtsgebiete des französischen Dekrets vom 23. Prairial des Jahres XII die An⸗ lage konfessioneller Friedhöfe ermöglicht.
Abg. Freiherr von Plettenberg (kons.) beantragt dazu:
hinter dem Worte „Kirchengemeinden“ einzuschalten: „unter
Wahrung der berechtigten Ansprüche der jeweiligen konfessionellen edeckeit und der finanziellen Interessen der bürgerlichen Ge⸗ meinden“.
Abg. Freiherr von Eynatten begründet seinen Antrag. Nach einem historischen Rückblick weist er darauf hin, daß der Staat der Biloung und Erweiterung konfessioneller Friedhöfe im rheinischen Rechtsgebiete sich wiederholt widersetzt habe. 1895 habe die Staats⸗ regierung die thunliche Beschleunigung ihrer Erwägungen in dieser Sache versprochen. Erst drei Jahre später habe der Minister Bosse Stellung genommen und sich gegen den Antrag des Zentrums erklärt. Seine Partei verlange nur dasselbe für das Rheinland, was die anderen Provinzen längst hätten. Die Bischöfe und auch evan⸗ gelische Vertretungen, wie die der Gemeinde München⸗Gladbach, ver⸗ langten konfessionelle Friedhöfe im Interesse des Friedens. Die Interessen der konfessionellen Minderheit sollten gewahrt werden; finanzielle Bedenken fielen nicht ins Gewicht, denn unsere jüdischen Mitbürger haͤtten bereits konfessionelle Friedhöfe auf eigene Kosten und trügen noch zu den Kommunalkosten der anderen Friedhöfe bei. Hoffentlich werde das langjährige Bemühen des Zentrums endlich von Erfolg gekrönt sein.
Abg. Freiherr von Plettenberg (kons) erklärt, daß seine Freunde dem Antrage sympathisch gegenüberständen. Einer unbe⸗ dingten Aufhebung des Provinzialdekrets hätten sie früher nicht statt⸗ geben können, weil damit manchen ein ehrliches Begräbniß versagt werde. Die Durchführung des Antrages sei schwierig, weil die Inter⸗ essen der konfessionellen Minderheit gewahrt und die finanziellen Be⸗ denken berücksichtigt werden müßten. Einem Gesetzentwurf, der beide Punkte berücksichtige, würden seine Freunde zustimmen.
Aba. Schaffner (nl.) erklärt sich im Interesse des Friedens gegen den Antrag von Eynatten.
Abg. Jürgensen (nl.) kann ein Bedürfniß nach konfessionellen Friedhöfen nicht anerkennen; er stimme daher gegen den Antrag.
Abg. Dr. Langerhans (frs. Volksp.) ist der gleichen Ansicht. Der Antrag spreche nur von den geduldeten Konsessionen. Was geschehe denn mit den anderen Konfessionen? Deren Zugehörige brauchten wohl nicht begraben zu werden? Es sei kein Unglück, wenn die Angehörigen der einzelnen Konfessionen friedlich neben⸗ einander ruhten.
Abg. Dr. Sattler (nl.) hat gegen den Antrag keine prinzipiellen Bedenken, da er für Rechtsgleichheit der einzelnen Provinzen sei. Allerdings müßten vorher gewisse Bedingungen erfüllt werden, zu denen auch die des Abg. von Plettenberg gehörten. Niemandem dürfe außerdem ein ehrliches Begräbniß versagt werden. Die Rechte der konfe sionellen Minderheiten dürften nicht verletzt werden.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.) erklärt, daß seine Freunde zunächst für den Antrag von Plettenberg und, 8189 dieser angenommen sei, für den Antrag von Cynarten stimmen würden.
Gebeimer Ober⸗Regierungsrath Dr. Renvers bemerkt, daß der Kultus⸗Minister im vorigen Jahre erklärt habe, einen Gesetzentwurf nicht vorlegen zu wollen; durch diese Erklärung fühle sich auch der jetzige Kultus Minister gebunden.
Nach einem kurzen Schlußwort des Antragstellers wird bnnh der Antrag von Plettenberg und mit diesem auch der Antrag von Eynatten angenommen. Gegen denselben stimmen die Freisinnigen und ein Theil der Nationalliberalen.
Schluß gegen 3 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag, 11 Uhr. (Interpellation wegen der Schulunterhaltungspflicht; dritte Lesung der Sekundärbahnvorlage; erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Erweiterung des Stadkkreises Stettin; zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Polizeiverwaltung in Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf; zweite Berathung der Kreisordnungsnovelle.)
MNNrr. 13 der „Veröffentlichungen des Katserlichen Ge⸗ sundheitsamts“ veom 28. März hat folgenden Inhalt: Gesund⸗ heitsstand und Gang der Volkskrankheiten. — Zeitweilige Maßregeln gegen Pest. — Desgl. gegen Gelbfieber. — Gesetzgebung u. s. w. (Deutsches Reich.) Arznei⸗Taxe. — (Preußen.) Ansteckende Krankheiten. — Venerische Krankheiten. — (Hamburg.) Institut für Schiffs⸗ und Tropenkrankheiten. — (Oesterreich.) Arznei⸗Taxe. — (Schweiz.) Infektionskrankheiten. — Gang der Thierseuchen im Deuschen Reiche, 15. März. — Desgl. in den Niederlanden, 4. Vierteljlahr. — Zeit⸗ weilige Maßregeln gegen Thierseuchen. (Deutsches Reich, Baden, Schweden, Rußland.) — Verhandlungen von gesetzgebenden Körper⸗ schaften, Vereinen, Kongressen u. s. w. (Deutsches Reich.) Trinkspiritus. —
Jahresversammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheits⸗ pflege — (Preußen.) Staatshaushalts⸗Etat, 1900. (Schluß.) — Vermischtes. (Spanien. Madrid.) Unterleibstyphus, 1899/1900 — (Vereinigte Staaten von Amerika.) Sterblichkeit, 1897. — Geschenk⸗ liste. — Wochentabelle über die Sterbefälle in deutsches Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. — Desgl. in größeren Städten des Auslandes. — Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. — Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. — Witterung. — Beilage: Gerichtliche Entscheidungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege (Wasserversorgung, Wohnungen, Beseitigung von Abfallstoffen).
Literatur.
Welche Kenntnisse werden von den Militäran⸗ wärtern in den Vorprüfungen verlangt? Eine Samm⸗ lung thatsächlich gestellter Aufgaben aus den letzten Jahren. Heft V: Vorprüfungsaufgaben zur Grenzaufseher⸗, Straßen⸗ meister⸗ und Chausseeaufseher⸗Laufbahn. Berlin W., S. Gerstmann's Verlag. — An der Hand der in diesen Heften mitgetheilten Beispiele kann der Militäranwärter sein Wissen prüfen und dementsprechend vorbereiten. — Auch auf die in demselben Verlage früher erschienenen Heftchen dieser Sammlung, welche, wie das vorliegende, den Militär⸗ anwärtern als Rathgeber und Lehrmittel willkommen sein werden, sei hiermit nochmals hingewiesen; es sind: Heft I: Vorprüfungs⸗ aufgaben zum Eisenbahnstationsdienst, Lademeister; Heft II: Vor⸗ prüfungsaufgaben zur Postassistenten⸗Laufbahn; Heft III: Vorprüfungs⸗ aufgaben zum Eisenbahn⸗Telegraphendienst, Magazin⸗Aufseher, Schaffner; Heft IV: Vorprüfungsaufgaben zur Garnisonverwaltungs⸗, Kasernen⸗ und Lazareth⸗Inspektor⸗Laufbahn. Preis eines jeden Hefts
1 ℳ
— Deutscher militärärztlicher Kalender für die Sanitäts⸗ Offiziere der Armee, der Marine und der Schutztruppen, heraus⸗ gegeben von Professor Dr. A. Krocker, Ober⸗Stabsarzt erster Klasse und Erster Garnisonarzt in Berlin, und Dr. H. Friedheim, Stabsarzt beim Landwehrbezirk IV Berlin. Verlag von Ernst Hesse in Berlin. — Dieses handliche Buch ist in zwei Theilen erschienen, von denen der erste allerlei praktische Notizen sowie Verzeichnisse und tabellarische Zusammenstellungen für den täglichen ärztlichen Gebrauch enthält. Der zweite Theil beschäftigt sich dann mit dem militärärztlichen Dienst, mit Gutachten, Untersuchungen, Gesundheitspflege, Mittheilungen aus besonders wichtigen Krankbeits⸗ gebieten und dergl. Beide Theile bieten auf engem Raum eine Fülle werthvollen Materials, dessen stetes Zurhandsein in der bequemen Form eines Taschenbuchs jedem Fachmann willkommen sein wird.
— „Wörth.“ Von Carl Bleibtreu. Illustriert von Chr. Speyer. Verlag von Carl Krabbe in Stuttgart. Pr. geh. 2 ℳ — Erst in neuester Zeit hat man von dieser denkwürdigen Schlacht ein richtiges Bild erhalten, seitdem man auch die Verhältnisse auf der französischen Seite in gerechter Weise in Betracht zog. Der Ver⸗ fasser hbat nun auch hier nach seiner Methode die inneren Zustände und die äußere Entwickelung zu veranschaulichen gesucht, indem er seine ebenso dichterisch⸗schwungvolle wie realistische Schilderung mit der kritischen Forschung verschmolz. Die Todesritte der französischen Kürassiere, der Untergang des dritten Zuavpen⸗Regiments sind er⸗ greifend dargestellt, ebenso viele andere Episoden: die Früchte eines eingehenden Studiums der französischen Regimentsgeschichten. Diese großartige kriegerische Tragödie wird ebenso effektvoll entrollt, wie Bleibtreu früher die anderen Hauptaktionen des großen Krieges in seinen Werken „Gravelotte“, „Sedan“, „Paris“ dichterisch bearbeitete. Die Illustrationen von Chr. Speyer sind mustergültig.
— Der Festungsbau im alten Orient Von A. Biller⸗ beck. Verlog der Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig. Preis 60 ₰. — Diese Schrift gehört zu den unter dem gemeinsamen Titel „Der alte Orient“ jährlich in vier Heften erscheinenden, gemeinverständlichen Darstellungen, welche die „Nordasiatische Gesellschaft“ herausgiebt, und von denen hiermit das vierte vorliegt. Der Verfasser weist darin an den altorientalischen Befestigungswerken nach, daß keine Kunst so beständig war, so in ihren allgemeinen Grundsätzen und Formen die Jahrhunderte, ja Jahrtausende überdauert hat wie die Befestigungskunst. Solange die Mittel des Festungskrieges im Großen und Ganzen un⸗ verändert blieben, solange blieb es auch der Festungsbau; erst das 17. Jahrhundert vermochte wesentliche Aenderungen zu schaffen. Aus den ältesten Ueberlieferungen, Abbildungen, Urkunden ꝛc. wird hierfür der Beweis erbracht und jedem sich dafür Interessierenden in gemeinverständ⸗ licher Weise dargelegt.
— Deutsches Wörterbuch. Wörterbuch der deutschen Schrift⸗ und Umgangssprache, sowie der wichtigsten Fremdwörter. Von Dr. J. H. Kaltschmidt, neu bearbeitet und vielfach ergänzt von Dr. Georg Lehnert. Verlag von J. J. Weber in Leipzig. Zwei Theile in einem Originalbande, Pr. 7 ℳ 50 ₰. — Das gesprochene, wie das geschriebene Wort soll der vollkommene Spiegel des Gedankens sein; ein Blick in das praktische Leben zeigt jedoch, daß es nicht immer so leicht fällt, für jeden Begriff sofort das rechte Wort zu treffen. Diese Schwierigkeit aber ist die Ursache so mannigfacher Mißverständnisse. Zudem versteht der Laie oft nicht den Fachmann, der nur die Schrift⸗ sprache Beherrschende nicht immer die Umgangssprache der niederen Schichten des Volks, die durch Aufnahme mundartlicher Aus⸗ drücke der zur Erstarrung neigenden Schriftsprache erfrischende Quellen der Verjüngung erschließt. Wie man ferner auch über den mehr ovber weniger sparsamen Gebrauch der Fremd⸗ wörter denken mag, sie sind nun einmal da, sie wollen verstanden, wollen richtig angewendet sein. Hier tritt hilfsbereit das vorliegende, 52 Bogen starke Lexikon mit seinem reichen Schatz von 50 000 Stich⸗ wörtern ein; es erklärt das Fremdwort, weist die Heimath desselben nach, verdolmeischt die Fachausdrücke des Bergmannes, des Schiffers, des Jägers u. s. f., deutet mundartliche Bildungen, falls sie im Begriff stehen, sich in der deutschen Sprache einzubürgern, und erleichtert die Auswahl unter der Fülle sinnverwandter Worte.
— Katechismus der Violine und des Violinspiels von Reinhold Jockisch. Mit 19 Abbildungen und zahlreichen Notenbeispielen. Verlag von J. J. Weber in Leipzig. In Original⸗ leinenband, Preis 2 ℳ 50 ₰. — Dieses neueste Bändchen von „Weber's Illustrierten Katechismen“ ortentiert zunächst über den Ursprung der Violine und die italienischen Geigenmacherschulen, giebt dann eine gedrängte historische Uebersicht über die Kunst des Geigenbaus in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und England, beschreibt die einzelnen Theile der Geige und des Bozens sowie das Material zu denselben und ertheilt Rathschläge beim Ankauf und zur Pflege des Instruments. Der zweite Haupttheil des Buchs ermöglicht einen Ueberblick über die gesammte Technik des Violinspiels; hier findet der junge Violinist eine Zusammenstellung aller, den Lehren der großen Meister der Geige entnommenen Regeln, ergänzt durch Mittheilung von Ergebnissen aus der Beobachtung und Erfahrung des Verfassers. Der vorliegende Katechismus empfiehlt sich als ein nützliches Supple⸗ ment zu jeder prakrischen Violinschule. 3
— Neue Lieder von Marie Itzerott. Oldenburg, Schulze'sche Et esenben (A. Schwartz). 8 °. Pr. eleg. geh. 1,60 ℳ —
ie durch ihre Dichtungen „Meine Lieder“ und „Ostern“ bekannt gewordene Poetin, die als Sprachlehrerin ihren ständigen Wohnsitz in London aufgeschlagen hat, bietet mit diesen „Neuen Liedern“ ihren deutschen Freunden eine gewiß willkommene Gabe. Die Dichtungen, denen eine Fülle neuer eigenartiger Gedanken, umwoben von dem Reiz einer poetischen Sprache, innewohnt, verrathen bei großer Form⸗ gewandtheit eine Individualitä U gesunder, n und lebens⸗ wahrer Empfindung.; ö 8