ersonal⸗Ve nderungen.
Königlich Preußische Armee.
Offiziere, Fähnriche ꝛc. Ernennungen, Beförde⸗ rungen und Versetzungen. Im aktiven Heere. Berlin, 7. Juni. Frhr. v. Stein zu Nord⸗ u. Ostheim, Major, unter Enthebung von der Stellung als persönlicher Adjutant des Prinzen Albrecht von Preußen. Königliche Hoheit, Regenten des Herzogthums Braunschweig, als Bats. Kommandeur in das Kaiser Alexander Garde⸗Gren. Regt. Nr. 1 versetzt. Frhr. v. Schele, Hauptm. a. D., zuletzt Battr Chef im 1. Garde⸗Feld⸗Art. Regt., der Charakter als Mafor verliehen.
Potsdam, 8. Juni. v. Boddien, Fähnr. im Regt. der Corps, zum Lt. mit einem Patent vom 29 Januar d. J. efördert.
Berlin, 9. Juni. Herwarth v. Bittenfeld, Gen. Lt. und Kommandeur der 17. Div., zum kommandierenden General des XV. Armee⸗Korpz ernannt. Frhr. v. u. zu Egloffstein, Gen. Major und Kommandeur der 24. Inf. Brig., mit der Führung der 17. Div. beauftragt. Prinz Friedrich Leopold von Preußen Königliche Hoheit, Gen. Lt. und Kommandeur der 22. Dlv., unter Belassung à la suite des 1. Garde⸗Regts. zu Fuß und des 1. Leidh⸗
us. Regts. Nr. 1, zum Inspekteur der 4. Kav. Insp. (Standort otsdam), v. Rabe, Gen. Lt. mit dem Range eines Div. ommandeurs und Kommandeur der 35. Kavallerie⸗Brigade, zum Kommandeur der 22. Div., — ernannt. v. Lessel, Gen. Major, beauftragt mit der Führung der 28. Div., von der Stellung als
Mitglied der Studienkommifsion der Kriegs⸗Akademie enthoben.
Beseler, Gen. Major, beauftragt mit Wahrnehmung der Geschäfte
eines Ober⸗Quartiermeisters, zum Mitgliede der Studienkommission
der Kriegs⸗Akademie ernannt. Graf v. Holnstein aus Bayern,
Major und Bats. Kommandeur im Inf. Reagt. Nr. 172,
unter Stellung à la suite des Regts,, zur Dienstleistung beim
Kaiserlichen Statthalter in Elsaß⸗Lothringen kommandiert.
Freyer, Hauptm. à la suite des Inf. Reats. von Courbidre
9. Posen.) Nr. 19 und Lehrer an der Kriegsschule in Engers, unter
Verleihung des Charakters als Major und Enthebung von dem Kommando zur Dienstleistung bei der Krieasschule in Potsdam, als
aggregiert zum Inf. Regt. Markgraf Karl (7. Brandenburg.) Nr. 60 versetzt. Zoeller, Hauptm. und Komp. Chef im Westfäl. Pion. Bat. Nr. 7, von dem Kommando zur Dienstleistung bei der Kriegs⸗
5 in Potsdam enthoben. Frhr. v. Riedheim, Khnigl. bayer. Gen.
ajor à la suite der Armee, dem Vorschlage Seiner Königl.
Hoheit des Prinzen Luitpold, Regenten des Königreichs Bayern ent⸗ sprechend, von der Stellung als Kommandant der Festung Ulm ent⸗ hoben. Frhr. v. Barth zu Harmating, Königl. bayer. Oberst
à la suite der Armee, dem gleichen Vorschlage entsprechend, zum
Kommandanten der Festung Ulm ernannt. Schultz. Lt. und Feld⸗
jäger im Reitenden Feldjäger⸗Korps, zum überzähl. Oberlt. befördert.
Berlin, 11. Juni. v. Kessel, Gen. Lt. und Gen. Adjutant Seiner Majestät des Kaisers und Königs, Kommandeur der 1. Garde⸗ Inf. Div., für die Dauer der diesjährigen Nordlandsreise zur Dienst⸗ leistung bei Seiner Majestät dem Kaiser und König, Frhr. v. Rot⸗ berg (Albert), Lt. im 1. Bad. Leib⸗Gren. Regt. Nr. 109, Frhr. Gayling v. Altheim, Lt. im 1. Bad. Leib⸗Drag. Regt. Nr. 20, — bis Ende September d. J. zur Dienstleistung als Ordonnanz⸗ Offiziere bei des Großherzogs von Baden Kshniglicher Hoheit, kommandiert.
Abschiedsbewilligungen. Im aktiven Heere. Berlin, 9. Juni. v. Oidtman, Gen. Lt. und Inspekteur der Kriegsschulen, in Genehmigung seines Abschiedsgesuches mit Pension, v. Engel⸗ brecht, Gen. Lt. und Inspekteur der 4. Kav. Insp., in Genehmigung seines Abschiedsgesuches mit Pension, Frhr. v. Meerscheidt⸗ Hüllessem, Gen. Lt. und kommandierender Gen. des XV. Armee⸗Korps, in Genehmigung seines Abschiedsgesuches mit Pension und dem Charakter als Gen. der Inf., Stieler v. Heydekampf, Gen. Lt. und Kommandant von Rastatt, in Genehmigung seines Abschiedsgesuches mit Pension, 1 Oberstlt. a. D., zuletzt beim Stabe dez 6. Rhein. Inf.
egts. Nr. 68, mit seiner 8* und der Erlaubniß zum ferneren Tragen der Uniform des Inf. Regts. von der Marwitz (8. Pomm.)
Nr. 61, v. Steuben, Oberst à la suite des 2. Hannov. Inf. Regts. Nr 77 und Kommandeur des Militär⸗Knaben⸗Erziehungs⸗ instituts in Annaburg, in Genehmignng seines Abschiedsgesuches mit
ensioen und der Uniform des 4. Garde⸗Regts. z. F.. — zur isp. gestellt. v. Estorff, Major à la suite des Generalstabes der
Armee, scheidet, unter Enthebung von dem Kommando zur Dienst⸗ leistung beim Ober⸗Kommando der Schutztruppen, mit dem 27. d. M. aus dem Heere aus und wird mit dem 28. Juni d. J. als Major mit seinem bisherigen Patent in der Schutztruppe für Deutsch⸗ Ostafrika angestellt. Kaß ner, pens. Ober⸗Wachtm, bisher in der 8. Gend. Brig, der Charakter als Lt. verliehen.
Im Beurlaubtenstande. Pots dam, 30. Mai. v. Oppen, Oberlt. a. D., zuletzt in der Res. des 1. Garde⸗Regts. z. F., die Er⸗ aubniß zum Tragen der Uniform des 1. Garde⸗Landw. Regts. ertheilt.
Im Sanitäts⸗Korps. Berlin, 9. Juni. Hofft, Stabs⸗ und Bats. Arzt des 2. Bats. Inf. Reagts. von Voiats⸗Rhetz
3. Hannov.) Nr. 79, unter Stellung à la suite des Sanitäts⸗Korps, is auf weiteres zur Dienstleistung beim Auswärtigen Amt kom⸗
mandiert. . 1 1“ Evangelische Militär⸗Geistliche. Schloß Urville, 9. Mai Strauß, Disv. Pfarrer der 3. Div. in Spandau, mit den Geschäften als Militär⸗Oberpfarrer es III. Armee⸗Korps beauftragt und demselben der Titel eines solchen, Noack, Div. Pfarrer der 22. Div. in Cassel, mit den Geschäften als Militär.Oberpfarrer des XI. Armee⸗Korpz beauftragt und demselben er Titel eines solchen, — verliehen.
Deutscher Reichstag. 209. Sitzung vom 12. Juni 1900, 11 Uhr. Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen
Nummer d. Bl. berichtet.
8 Es folgt die dritte Berathung des von dem Abg. Müller⸗Fulda (Zentr.) eingebrachten Gesetzentwurfs wegen Abänderung des Reichs⸗Stempelgesetzes.
Eine Generaldiskussion findet nicht statt.
Von den Abgg. Hilbck (nl.), Müller⸗Fulda und Genossen liegt bezüglich des Emissionsstempels für
Kuxe ein Kompromißantrag vor, welcher die Beschlüsse weiter Lesung hinsichtlich der Einzahlungen dahin abändert, haß der Steuersatz von 2 Proz. auf 1 Proz herabgesetzt wird,
nd daß die Befreiung von diesem Stempel auf diejenigen Einzahlungen (Zubußen) Anwendung finden soll, welche außer zur Deckung von Betriebsverlusten zur Erhaltung des Betriebes in seinem bisherigen Umfange bestimmt sind und verwendet werden; statt der „Gewerkschaftskassen“ soll die „Gewerkschaft“
ls die zur Entrichtung des Stempels verpflichtete Stelle bezeichnet werden.
In der Spezialdiskussion empfeblen die Abga. Hilock und Graf on Ortola (nl.) diesen Antrag dem Hause zur Annahme. Das⸗ elbe geschieht seitens des
Abg. Müller⸗Fulda, der mit dieser Fassung alle Bedenken
a findet, welche in zweiter Lefung gegen die Besteuerung e aufgetreten seien. Auch Abg. Dr. Müller⸗Sagan (Eir. Volkep.) erklärt seine Zu⸗ stimmung.
Der Kompromißantrag
Mehrheit angenommen und damit der abgeänderte
ie Aenderungen in dem Reichs⸗Stempelgesetz selbst.
wird darauf mit sehr großer 8222q
arif, sowie
In der namentlichen Gesammtabstimmung erfolgt die An⸗ nahme des Gesetzentwurfs mit 208 gegen 87 Stimmen. Gegen das Gesetz stimmen die Sozialdemokraten, die beiden Uültsparteien, die freisinnige Vereinigung, die Polen und die Elsässer.
Darauf erfolgt die am Anfang der Sitzung zurückgestellte dritte Berathung der Novelle zu dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten. Das Gesetz wird auf Antrag des Abg. Beck⸗Heidelberg (nl.) en bloc im Einzelnen und dann im Ganzen angenommen.
In der dritten Lesung des von den Abgg. Bassermann (nl.) und Genossen eingebrachten Antrags wegen Abände⸗ rung des Zolltarifgesetzes (Erhöhung der Zölle auf Schwefeläther, Bier, Branntwein und Schaumwein) wird ebenfalls eine Generaldiskussion nicht beliebt. Auch in der Spezialberathung werden die einzelnen Positionen ohne Debatte erledigt und die Vorlage in der Gesammtabstimmung mit großer Majorität angenommen. 8 1
Nächster Gegenstand der Tagesordnung ist die dritte Lesung der Novelle zum Gesetz, betreffend die deutsche Flotte. In der Generaldiskussion bemerkt der
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): In zweiter Lesung hat der Abg. Bebel in Bezug auf mich gesagt, daß fast die Hälfte der Summe, welche die Panzerflotte kosten werde, mir als Reingewinn zufiele. In der Zuschrift an die Kommission, auf welche sich Herr Bebel stützt, habe ich eine Berechnung über den Reingewinn garnicht aufgestellt. Ich habe dieses Schreiben an den Kommissions⸗ vorsitzenden nur gerichtet, um die lächerliche Behauptung ad ab- surdum zu führen, als ob die beiden Firmen Krupp und Stumm als Gewinn durch die neue Vorlage 173 Millionen davontrügen. Selbst wenn man zugeben wollte, daß 50 % daran verdient seien, kämen nur 56 Mihionen oder 3 ½ Millionen pro Jahr heraus. Wenn Herr Bebel nun in der zweiten Lesung erklärt hat, meine Zahlen seien unrichtig, so übersieht er, daß es sich bei den anderweiten Berechnungen der Kommission um eine ganz andere Grundlage handelt, in der auch die Panzerplatten für Ersatzbauten mit enthalten waren. Sie mögen rechnen, wie Sie wollen, keine Marine der Welt bezieht billiger Platten als Deutschland; es bat überhaupt starker Anretzungen der Marineverwaltung bedurst, um Krupp und die Dillinger Hütten zu bewegen, die kostspieligen Anlagen zur Herstellung von Panzer⸗ platten auf so lange Zeit hinaus berzustellen. 8
Abg. Dr. Oertel⸗Sachsen (d. kons.): Ich ergreife das Wort nur, um einer Legendenbildung vorzubeugen. Wir sind nicht etwa nur deswegen für die Flotte eingetreten, weil uns die Berücksichtigung der landwirthschaftlichen Forderungen zugesagt und so in der Deckungs⸗ frage eine gewisse Gegenleistung geboten wurde. Wir haben die Flottenvorlage von Anfang an lediglich sachlich und vom nationalen Standpunkt aus betrachtet, wir waren von Anfang an entschlossen, dafüc zu stimmen, und wir beweisen heute durch unsere Zustimmung, daß das Wort „kein Fleischbeschaugesetz im Sinne der Agrarier, keine Flotte!“ ebenso wenig Berechtigung hatte, wie manche andere, ähn⸗ liche Worte. Das Fleischbeschaugesetz ist ja nicht nach dem Sinne meiner näheren Freunde gestaltet worden. In einer Hurrahstimmung haben meine politischen Freunde sich allerdings dieser Vorlage gegen⸗ über niemals befunden und befinden sich darin auch heute nicht. Von den mittelbaren Lasten der Flottenvermehrung bat die Land⸗ wirthschaft das meiste zu tragen, das kann nicht bestritten werden. Die Leutenoth muß durch die Verstärkung gefördert werden, und ein kleiner Tropfen genügt, um das Maß zum Ueberlaufen zu bringen. Die Flottenverstärkung wird die ohnehin hypertrophisch entwickelte Ausfubrindustrie noch mehr begünstigen, darüber dürfen wir uns nicht täuschen. Wir wissen, daß wir Opfer bringen, wir bringen sie aber für die Weltmachtstellung und den geschichtlichen Ruf Deutschlands. Die erwähnte Erklärung ist für uns selbstverständlich. Wenn die verbündeten Regierungen feierlich versprochen haben, die Interessen der Landwirthschaft bei den neuen Handelsverträgen kräftig fördern zu wollen, so ist das eben etwas Selbstverständliches, diese Erklärung hätte abgegeben werden müssen, ob Flottenvorlage oder nicht. Deshalb geben wir auf diese Erklärung verhältnißmäßig wenig. Wir sind in den letzten Tagen belehrt worden, daß unzweideutige Er⸗ klärungen vom Regierungstische mutatis mutandis aufgefaßt werden müssen. Es kann uns passieren, daß nach einigen Jah en auch von dieser Erklärung gesagt wird, sie ist cum grano salis aufzufassen. Wenn man das überlegt, ist die Erklärung von relatip geringem Werthe. Wir haben sie nicht extrahiert, sie giebt uns immerhin etwas in die Hand, aber bestimmend für unsere Stellung zur Vorlage war diese Erklärung nicht. Die Regelung der Deckungsfrage allerdings hat Manchen von uns die Zustimmung wefentlich erleichtert. Die Börse wird die mäßige Stempelsteuererböhung tragen können. Im letzten Grunde haben wir der Vorlage nur zugestimmt, weil die jetzige Weltlage uns vor Augen geführt hat, daß eine Verstärkung unserer Wehrkraft zur See ein dringendes, unabweisbares Bedürfniß ist. Wir wünschen aber recht dringend, daß die verbündeten Regie⸗ rungen von den neuen Machtmitteln denjenigen Gebrauch machen, der den Empfindungen der Volksseele entspricht. Wir wollen keinen Krieg, wir sind nicht Chauviristen im schlechten Sinne; das Deutsche Reich ist saturiert, aber es will sich von seinem Besitz innen und außen nicht das mindeste wegnehmen lassen, auch nicht bei Seite stehen oder zu kurz kommen, wenn ein Theil der noch nicht aufgetheilten Welt zur Auftheilung kommt; dazu zwingt uns die geschicht⸗ liche Aufgabe des deutschen Volks. Wir woltn Frieden um seden Preis, nur nicht um den unserer nationalen Ehre und unserer Welt⸗ mabtstellung. Der Friede wird nur gewahrt, wenn wir nach Be⸗ finden die gehörige Festigkeit zeigen. Mit dieser Flottenverstärkung steuern wir wieder ein Stück hinein in das Meer der Weltpolitik. Davor scheuen wir nicht zurück; aber diese ganze Weltpolitik ist wurzellos und kraftlos, wenn sie nicht in einer kraftvollen Hetmaths⸗ politik wurzelt. Im nächsten Jahre wird hoffentlich die Mehrheit ebenso stark und geschlossen und fest bei der Erneuerung unserer Zoll⸗ tarife und Handelsverträge sein. Mag die deutsche Zukunft zum Theil auf dem Wasser liegen, die Wurzeln der deutschen Kraft liegen immer⸗
„auf dem Lande!
Abg. Liehknecht (Soz.) führt aus, die Begeisterung für die Flotte sei von oben gemacht worden, die Flottenbegeisterung sei ein⸗ fach befohlen worden; man habe alles aufgeboten, auch die Massen zu begeistern; aber es sei nicht gelungen, eine nationale Bewegung zu erzeugen, weil das Volk diesen Plänen gleichgültig gegenüber stehe. Genau mit denselben Gründen wie jetzt könnte man in acht Tagen dem Reichstage eine neue Flottenvorlage unter⸗ breiten. Da werde gegen England gehetzt. In England herrsche zwar der kapitalistische Hunger nach Gold, aber England sei gleichzeitig ein freies Land, und die freien Bürger Englands würden mit den Chauvinisten im eigenen Lande schon Abrechnung halten. Wäre England nicht ganz und zar in Süd⸗Afrika engagiert, so könnte es jetzt in China eingreifen, wo sich die Nemesis schon zu vollziehen beginne. Gerade auf England und cie Vereinigten Staaten weise Deutschland eine verständige Politik hin, nicht auf Rußland, in dessen Schlepptau man jetzt lause Es werde in England nicht begriffen, daß in einem Lande, wo das allgemeine Wahlrecht gelte, das persönliche Element fast noch stärker ausgebildet sei als in Rußland. Ueber das Bischen Flotte, das Deutschland baue, lache man in England; aber nicht über Deutschland lache man dort; Deutschland sei ge⸗ achtet, weil es eine gewaltige Kraft gezeigt habe in der Ent⸗ wickelung seiner Industr e und seines Handels. Seit Deutschland die Konkurrenz mit Frankreich auf dem Gebiete des Handels begonnen, habe es Frankreich in 15 Jahren überholt, obwohl Frankreich die Riesen⸗ flotte gehabt habe und Deutschland nicht — Begeis genug, daß eine Flotte zur Entwickelung des Handels nicht nöthig sei. Weiter führt Redner aus, er wünschte, der Staatssekretär Graf Posadowsky wäre der Kugelfang, der er zu sein einmal erklärt habe, nach heiden Seiten hin und sorgte auch dafür, daß, was von der anderen Seite komme, in den Papierkorb wandere. (Präsident Graf von Ballestrem
ersucht den Redner, die Allerhöchste Stelle nicht weiter in Bereich seiner Erwägungen zu ziehen.) Dinge im Reichstage nicht reden dürfe, sei ein so traurigeg Zeichen, daß man wahrlich von schmählichen Zuständen sprechen dürfe Der französische Sozialist Millerand sei Minister geworden, obwohl die organisierten französischen Sozialisten diesen Schritt mißbilligt hätten; unzweifelhaft denke auch die große Mehrzahl der deutsche sozialdemokratischen Partei ebenso, diese könne es nimmermehr gut. heißen, daß ein Soztalist in ein, bürgerliches Ministerium eintrete Daß die deutschen Arbeiter unzufrieden sein sollten mit der sozial. demokratischen Abstimmung, beweise nur, daß man die deutschen Ar. beiter zu niedrig 1 Es gäbe andere, wirklich kulturförderliche Wege, die Arbeiter zu beschäftigen; für Kulturaufgaben aber habe man im Deutschen Reich „kein Geld. Die Flottenvorlage sei ein Raubzug gegen das deutsche Volk. (Präsident Graf von Ballestrem ruft den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung.) Sie sei ein Rrubzug und deshalb würden die Sozialdemokraten gegen die Vorlage mmen.
Präsident Graf von Ballestrem: Wegen dieses Ausdrucks rufe ich den Redner zum zweiten Mal zur Ordnung mit allen Folgen der Geschäftsordnung. Der Abg. Liebknecht hat im Anfang seiner Rede wie ich jetzt aus dem Stenogramm ersehe, mit unverkennbarem Hin⸗ weis auf Mitglieder des Bundesraths vom Kainszeichen des Wort, bruchs gesprochen, das ihnen nach ihrem Verbalten bei den beiden Flottenvorlagen anhafte. Wegen dieses Ausdrucks rufe ich ihn zum dritten Mal zur Ordnung. .
Abg. Müller⸗Fulda ersucht die verbündeten Regierungen um weitgehende Berücksichtigung der bezüglich der Leutenoth gefaßten Re⸗ solution und geht dann auf die Berechnung näher ein, welche in der Kommission über den Gewinn an der Herstellung der Panzerplatten aufgestellt worden sei; die Kommission habe sich dabet genau an die von der Marineverwaltung angegebenen Zahlen gehalten. Die Kommission sei von dem Abg. Freiherrn von Stumm zu Unrecht an⸗ gegriffen worden.
Abg. von Kardorff (Rp.): Freiherr von Stumm hat sich nur gegen die Schlußfolgerungen gewahrt, welche Herr Bebel aus den Kommissionsberechnungen gezogen hat. Herr Bebel spekuliert ja gern auf die schlechten Eigenschaften des Neides und der Mißgunst im Volke. Wir Deutsche hätten doch allen Grund, auf diese Etablisse⸗ ments stolz zu sein, weil sie besseres Material liefern, als es irgendwo in der ganzen Welt hergestellt wird. Im Punkte der Gewinne hat Herr Bebel mächtig übertrieben; übrigens sind diese Werke bezüglich der Arbeiterversorgung Musteranstalten.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren, der Herr Abg. Müller (Fulda) hat einige Worte zur Begründung der Resolution gesprochen, die von der Budget⸗ kommission mit Bezug auf die Abhilfe der landwirthschaftlichen Leute⸗ noth gefaßt ist. Thatsächlich möchte ich ihm in dieser Beziehung zunächst bemerken, daß allerdings nach Artikel 4 der Reichsverfassung dem Reiche die Bestimmung über die Fremdenpolizei zusteht, d. h. der Erlaß gesetzlicher Bestimmungen, daß aber die Ausüdung der Fremdenpolizei unzweifelhaft ein Recht der einzelstaatlichen Verwaltungen ist. Ich kann mir aher sehr wohl denken, daß, wenn eine einzelstaatliche Verwaltung dieses Recht der Fremdenpolizei in einem Umfange oder in einer Art ausübte, die bedenklich wäre für die Sicherheit des Deutschen Reichs, die verbündeten Re gierungen in ihrer Gesammtheit, und insbesondere auch der Reichskanzler, das Recht und die Pflicht haben würden, gegen eine solch⸗ Ausübung dieses Rechtes einzuschreiten. Aber anders liegt die Frage, ob der Herr Reichskanzler oder die verbündeten Regierungen das Recht haben, eine Einwirkung auf einen E(Einzelstaat geltend zu machen in der Richtung, daß die Fr emdenpolizei daselbst derart ausgeübt werde, daß Ausländer unbe schränkt nach Zahl und Zeit in das einzelstaatliche Gebiet hereingelassen werden. Ich möchte nicht glauben, daß den verbündeten Regierungen und dem Herrn Reichskanzler ein solches Recht verfassungsmäßig zusteht. Aber, meine Herren, wenn ich einmal in meiner Eigenschaft als Mitzlied des preußischen Staats⸗Ministeriums sprechen darf, ss kann ich Ihnen versichern, daß das preußische Staats⸗Ministerium die außerordentliche landwirthschaftliche Noth, die durch den Leutemangel in den östlichen Provinzen hervorgerufen ist, vollkommen anerkennt, und daß sie die Auffassung weiter landwirthschaftlicher Kreise theilt, daß jetzt vielleicht die Noth der Landwirthschaft noch mehr in den knappen Leute⸗ verhältnissen liegt als in den niedrigen Preisen der landwirtbschaft⸗ lichen Erzeugnisse (sehr richtig! rechts), und ich kann serner versichem, daß die preußische Staatsregierung eifrig bestrebt ist, in der Herein⸗ lassung fremder Arbeiter so weit zu gehen, wie es sich irgendwie mit den politischen und manchen sonstigen Interessen des Deutschen Reichs und Preußens verträgt. Aber das werden Sie, glaube ich, ebenfalls Alle anerkennen, daß bei dieser Frage sehr wichtige, sehr schwerwiegend entscheidende öffentlich⸗rechtliche Gesichtspunkte mitsprechen, und d wir unsere Grenzen für die Einwanderung fremder Arbeiter ga unbedingt frei unter keinen Umständen geben können. Das preußise Staats⸗Ministerium hat sich aber erst kürzlich darüber schlüssig macht, weitere Erleichterungen in der Zulassung fremder Arbei eintreten zu lassen, und ich kann zusichern, daß man es vermeid wird, wenn nicht dringende Gründe im Einzelfalle dazu zwing Ausweisungen von ausländischen Arbeitern vorzunehmen. Die V. treter der landwirthschaftlichen Interessen können also überzeugt se daß man in Preußen dieser Frage fortgesetzt die ernsteste Ar merksamkeit zuwendet, und daß wir in der Zulassung von fremde Arbeitern so weit gehen, wie es mit den von mir angedeuteten Rüö sichten auf die Verhältnisse des Reichs und Preußens irgendwie v. einbar ist.
Abg. Dr. Sattler (nl.): Das große Ziel ist erreicht word dadurch, daß man von allen Seiten Meinungsverschiedenheiten zurt sedrängt und sich auf die Erkenntniß vereinigt hat, daß die Schaffu einer größeren Flotte ein politisches Erforderniß ist. Aber auch gera die deutsche Arbeiterschaft ist sehr stark an dieser Sache interessien
denn ein großer Theil der Ausgaben dafür fließt in die Taschen der deutsch Arbeiter. Desgleichen ist die Landwirthschaft aufs lebhafteste an de Fortschreiten unserer Industrie und unseres Handels interessiert. 2. der Frage der Ausweisung dürfen allerdings die nationaltk Gesichtspunkte nicht vernachlässiy„t werden. Die Flotte mi nicht zum Kampf gegen England geschaffen; der Irrthu ist noch größer als alle übrigen Jerthümer in der Rede des Ab Liebknecht. Die Flotte wird Deutschland und dem deutschen Volke; Liebe geschaffen. Auch die deutsche Arbeiterschaft hat die Ueberzeugun von der Nothwendigkeit der größeren deutschen Flotte, das 5 sozialdemokratische Presse selbst anerkannt. Wir empfinden lebhne Genugthuung darüber. daß wir jetzt so weit gekommen sind, daß wi diese Florte schaffen können, und wir halten diesen Moment für be deutsam, weil es gelungen ist, sonst so auseinandergehende Gruppe des Hauses zusammenzubringen. Das Votum sagt, daß Deutschlan sich mit einer Flotte europäischen Charakters nicht mehr peqaush kann. Deshalb begrüße ich mit Freuden, daß es gelungen ist, eine große Mehrheit für die Vorlage zu gewinnen. S Abg. Szmula (Zentr): Die Erklärungen des Staats sektetin lassen die Befürchtung zu, baß die bezügliche Resolution von d-. verbündeten Regierungen enger aufgefaßt wird, als der Reichsta⸗
Daß man über n
1 t hat. Der nationale Gesichtspunkt wird hierbei von ung .;. von Herrn Sattler im Auge behalten. Welche Wunde Fürst Bismarck mit den Ausweisungen der preußischen Landwirthschaft
ne, hat er damals und so lange er im Amte war, nicht erfahren;
e. sonst auch der Mann gewesen, diese Maßregel, sobald ihre ädlichen Wirkungen erwiesen waren, wieder rückgängig zu machen.
G ir haben in Oberschlesien zablreiche Kolonien eingewanderter und seßhaft gemachter Slaven, die der Große Kurfürst und Friedrich der Große ins Land gezogen haben.
Abg. Bebel (Soz.): Herr von Kardorff übersieht gänzlich, daß ich mich lediglich an die Mittheilungen des Kommissionsberichts ge⸗ halten habe. Ich beneide übrigens weder Herrn von Kardorff, noch die Herren von Stumm und Krupp. Die Frage der großen Gewinne der Panzerplattenfabrikanten ist überhaupt nicht von unserer Presse, sondern zuerst von der Germania“ oder der „Kölnischen Volkszeitung“ angeschnitten worden. Der „Hannoversche Courier“ hat diese Sache aufge⸗ griffen und Aufklärung verlangt, weil diese Angabe die Flottenvorlage sehr unpopulär zu machen geeignet sei. Das hat man in der Kom⸗ mission erörtert. Gewiß liefern diese Werke ausgezeichnete Maschinen zur Zerstörung von Menschen, so gut Kanonen wie Panzerplatten, das haben wir ebenfalls anerkannt. Es ist auf die Nothwendigkeit hingewiesen worden, die Konkurrenz auf diesem Gebiet zu fördern, damit nicht Deutschland Monopolpreise bezahlen müsse. Daß die deutschen Arbeiter Vortheile von der vermehrten Flotte haben, ist doch eigentlich ein bereits abgegrastes Gebiet. Der Prozentsatz deutscher Arbeiter, der durch den Flottenbau beschäftiat werden kann, ist winzig, es handelt sich höchstens um 50 bis 60 000 Arbeiter. Für Arbeitsgelegenheit könnten Staat und Kommunen in Deutsch⸗ land bundertfach mehr und besser auf anderen Gebieten als auf dem der Vermehrung der Kreiegsschiffe sorgen. Der deutsche Handel und der deutsche Unternehmungsgeist hat nach der Flotte nicht ver⸗ langt. Ihm und dem deutschen Arbeiter haben Sie durch die gleichzeitigen Beschlüsse zum Fleischbeschaugesetz gerade auf einem Gebiet, zu dessen Förderung angeblich die Flottenvermehrung dienen sell, die schwersten Nachtheile zugefügt. Man hätte wegen der Flotte das deutsche Volk befragen sollen; denn bei den letzten Wahlen hat die Flottenfrage fast gar keine Rolle gespielt. Früher waren die Nationalliberalen die Macher bei allen Militärvorlagen, heute ist es das Zentrum; früher waren sie an der Toôte, beute sind sie im Hintertreffen. Noch vor wenigen Jahren hat das Zentrum die Welt⸗ politik unbedingt verurtheilt, wie wir es heute thun.
Abg. Freiherr von Stumm erklärt, er bleibe bei ursprünglichen Ausführung stehen.
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst:
Der Herr Abg. Liebknecht hat die verbündeten Regierungen schmählichen Wortbruchs angeklagt. Nachdem er aber von seiten des Herrn Präsidenten zur Ordnung gerufen ist, kann ich mich lediglich auf eine Zurückwelsung beschränken und gehe nicht weiter auf die Frage ein. b
Herr Liebknecht hat aber auch noch eine andere Behauptung auf⸗ gestellt, die ich nicht unwidersprochen hinausgehen lassen möchte. Er sagte, die Begeisterung für die Flotte sei erst nach dem Herbste des vorigen Jahres entstanden und habe früher in dem deutschen Volke nicht existiert. So wenigstens habe ich die Aeußerung aufgefaßt. Diese Behauptung ist nun meines Erachtens eine irrthümliche Auf⸗ fassung der geschichtlichen Entwickelung des letzten Jahrhunderts, und es ist nothwendig, die Genesis der Flottenvorlage nochmals dem deutschen Volke ins Gedächtniß zurückzurufen.
Wenn ich zurückdenke an die Zeit vor fünfzig Jahren und an die Begeisterung für eine deutsche Flotte, die damals das deutsche Volk durchzog, und wenn ich mich der Thatsache erinnere, daß damals die im deutschen Bunde vereinigten Regierungen sich mit Ausnahme der preußischen Regierung ablehnend verhielten gegen die Flotte, so darf ich behaupten, daß das Drängen nach einer deutschen Flotte recht eigentlich aus dem deutschen Volke hervorgegangen ist. (Lebhafte Zustimmung.)
Die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts zeigt, daß der Ruf nach einer Flotte stets dann hervorgetreten ist, wenn sich das Streben nach einheitlicher Gestaltung Deutschlands geltend machte oder wenn diese ihrer Verwirklichung entgegenging oder entgegenzugehen schien.
Es gab ja eine Zeit, meine Herren, wo der Gedanke an eine deutsche Flotte uns fern lag; es war die Zeit des Bundestages. Damals lebten wir still und harmlos (Heiterkeit), wir hatten materiell befriedigende Zustände, wenig Schulden, verhältnißmäßig wenig Steuern, wir hatten keine Agrarier (Heiterkeit), wenn es auch den Grundbesitzern, besonders in den 20 er Jahren, herzlich schlecht erging.
Wir hatten keine Sozialdemokraten, vor allem aber keine Sorgen der auswärtigen Politik, wenigstens in den Mittel⸗ und kleinen Staaten. Diese begnügten sich damit, den Antagonismus zwischen Preußen und Oesterreich am Bundestage aufmerksam zu verfolgen und sich je nach Bedürfniß und Neigung entweder der einen oder anderen dieser Großmächte anzuschließen. (Sehr wahr!) Im Ganzen war es eine Zeit kleinstaatlicher Beschränktheit und Behaglichkeit.
Allein dem deutschen Volke genügte dieses nicht. Die Erinne⸗ rung an die einstige Größe und Bedeutung des Deutschen Reichs und die Mißstimmung über die Zerrissenheit und Ohnmacht Deutschlands, die sih mehr und mehr verbreiteten, ließen uns nicht zum ungestörten Genuß des materiellen Behagens kommen. Der Einheitsgedanke, den zunächst die studierende Jugend pflegte, ging in immer weitere Kreise über und bildete das Ferment der revolutionären Bewegungen des Jahres 1848. Schon glaubten wir uns damals am Ziele, als jene Bewegung an der Ungunst der Verhältnisse scheiterte. Da ein mächtiges Reich nicht ohne Flotte be⸗ stehen kann, ging auch mit dem Reiche der Gedanke oder die Hoff⸗ nung auf eine Flotte zu Grunde. Erst zwanzig Jahre später wurde das Reich, dank den Siegen der vereinten deutschen Heere, unter den jubelnden Zurufen der Nation begründet. Auch jetzt trat sofort die Forderung nach einer deutschen Flotte auf. Man war einig in der Uebereugung von der Nothwendigkeit derselben, die denn auch von da an in ihrer Entwickelung stetig fortgeschritten ist. Meinungs⸗ verschiedenhtiten traten seitdem auf nur in Bezug auf die Größe der Flotte und die Höhe der zu verwendenden Mittel.
Der Weg, den man einschlug, um die Mittel für Heer und Flotte zu beschaffen, führte zur Reform unserer Zollgesetz⸗ gebung, und dies hatte einen iadustriellen Aufschwung zur Folge, fins Entwickelung unseres Handels, die das Verlangen nach dem Schutz unseres Handels durch eine Flotte mit erneuter Kraft hervor⸗ EFa. ließ. Es handelt sich da nicht allein um den Schutz bhaees Schiffe oder um den Nachdruck, mit dem man die Forde⸗ sich in fremden Ländern zu unterstützen hat, sondern es handelte 85 — das möͤchte ich Ihnen dringend ans Herz legen — um Das CSnistent, als handeltreibende Weltmacht zu sichern. - eutsche Reich darf nicht abhängig sein von dem guten Willen Füßen 81ggs Nationen (sehr richtig! Brapol), es muß auf eigenen die N ehen und auf Achtung zählen können. Daraus ergiebt sich
othwendigkeit einer sta Flott
8
seiner
Die neueste Geschichte
lehrt, wohin ein Land kommt, das nur eine schwache, ungenügende Flotte zu seiner Verfügung hat.
Zum Schlusse möchte ich diejenigen, denen die Opfer, die die Flotte verlangt, zu lästig erscheinen, nochmals daran erinnern, daß die idealen Einheitsbestrebungen, das Drängen nach einer Weltmacht⸗ stellung, die aus dem deutschen Volk hervorgegangen sind, uns auf die Bahn geführt haben, auf der wir uns befinden und auf der wir nicht umkehren können.
Nach dem Gange, den die zweite Lesung der Gesetzesvorlage ge⸗ nommen hat, wird diese Auffassung ja auch von der großen Majorität dieses hoben Hauses getheilt, und ich zweifle nicht, daß der Reichstag in gewohntem Patriotismus seine Beschlüsse zum Wohl des Vater⸗ landes fassen wird. (Bravo!)
Abg. Gräfe (Reformp.): Gerade der bäuerliche und städtische Mittelstand ist nicht mit Begeisterung für die Flottenforderung ein⸗ getreten. In der Münzgesetznovelle mußten wir eine Verstärkung des internationalen Kapitalismus sehen. Wir bewilligen die Flotte nicht im Vertrauen auf die Regierung, sondern auf die Zukunft des deutschen Vaterlands.
Abg. Dr. Haffe (nl.): Wir hoffen im Gegensatz zu Herrn Szmula, daß die Milverung der Abwehrmaßregeln gegen die Eia⸗ führung von russischen und galizischen Landarbeitern nur vorübergebend zu sein braucht. Die Flottenbegeisterung ist daz Ecgebniß einer langen, geschichtlichen Entwickelung, entscheidend ist jetzt die Reaktion gegen eine englische Stimmung. So freundlich, wie Herr Lieb⸗ knecht denkt, sind die Engländer gegen uns nicht; sie fürchten unsere wirthschaftliche Konkurrenz. Schon einige Wochen vor dem Hamburger Vorgang vom Oktober 1899 haben die Alldeutschen eine Versammlung abgehalten, in der sie auf die Nothwendigkeit ver Vermehrung der Flotte hingewiesen haben; in der Zwischenzeit haben ste keine Gelegen⸗ heit vorübergehen lassen, zu betonen, daß die Bewilligung vom Jahre 1898 nur eine Abschlagszahlung war, daß wir heute eine zweite folgen lassen, die wiederum nicht die letzte sein kann und darf. Es gereicht der nationalliberalen Fraktion nur zur Ehre, daß sie, ohne zu deuteln und zu mäkeln, in warmer Begeisterung für die Forderungen ein⸗ getreten ist, auf welchen die Zukunft des Reschz beruht.
Abg. Liebermann von Sonnenberg (Reformp.): Auf die weltbekannte Bedeutung des Herrn Liebknecht als Stratege und als Diplomaten gehe ich nicht ein. Er hat sich heute aber auch als Reformator des höheren Schulwesens entpuppt und vorgeschlagen, die fünf Milljarden für die Flotte zur Aufklärung des Volks zu verwenden, damit nicht solche Dinge wie in Konitz vorkommen. Uns wäre eine Besprechung der Konitzer Angelegenheit sehr angenehm gewesen. In den Kreisen der akademisch gebildeten Leute in jener Gegend besteht die Ueberzeugung, daß es sich um ein Verbrechen aus Aberglaͤuben handelt. Wenn das höhere Schulwesen reformiert wird — ich fürchte, daß Herr Liebknecht dabei nichts mehr lernt. Wir stimmen einstimmig für die Flotte, da die Deckungsfrage in so er⸗ freulicher Weise gelöst ist. Es ist dem Flottenenthusiasmus der Börse Gelegenheit gegeben, sich auch praktisch zu bethätigen. Wir bewilligen die Flotte, aber nicht aus besonderer Begeisterung für vie auswärtige Politik, die wir nicht wie Herr Rickert mit der auswärtigen Politik des Fürsten Bismarck gleichstellen. Unter dem Fürsten Bismarck hätte die Entscheidung für die Schäden in Samoa und für die Beschlagnahme der Schiffe nicht so lange auf sich warten lassen. Noch ein ernstes Wort in Ehrerbietung an eine hohe Stelle! Möge eingedenk des Wortes „Blut ist dicker als Wasser“ das Blut des deutschen Volks, das sich stammverwandt fühlt mit dem der Buren, nicht mehr in schmerzliche Aufwallung gebracht werden durch Glückwunschdepeschen zu den Siegen der englischen Waffen. (Prä⸗ sident 88 von Ballestrem bittet, die Allerhöchste Person nicht in die Debatte hineinzuziehen.) 83 schließe mit der Hoffnung, daß der englische Nebel, der sich zwischen Thron und Volk gelegt hat, einer erfrischenden Brise weichen möge.
Nach kurzen Erwiderungen der Abgg. Liebknecht und Szmula nimmt das Wort der
Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staats⸗Minister Graf von Bülow:
Meine Herren! Der Herr Abg. Liebermann von Sonnenberg hat seine Ausführungen mit einer Bemerkung geschlossen, die ich nicht unwidersprochen lassen kann. Die Politik Seiner Majestät des Kaisers und der Kaiserlichen Regierung wird nur und ausschließlich durch natsonale Gesichtspunkte bestimmt. Für die deutsche Politik sind leriglich die realen dentschen Interessen maßgebend, und wir ver⸗ folgen lediglich nationale deutsche Ziele. Die Politik eines großen Landes darf weder durch Symvathlen noch durch Anti⸗ pathien bestimmt werden, sondern sie kann nur geleitet werden vom Standpunkt der deutschen Gesammtinteressen unter ruhlger und sorgsamer Erwägung der Frage: Wohin weist der reale deulsche Vortheil, und von welcher Seite droht Deutschland Nachtheil? Lebhafter Beifall.) Von der anderen Seite dieses hohen Hauses ist der Besorgniß Ausdruck gegeben worden, daß unsere auswärtige Politik eine unruhige und phantastische sein könnte. Diese Besorgniß ist ebenso unbegründet. Und ich möchte bitten, mir in dieser Richtung auch nur eine Frage, einen Fall zu nennen, wo unsere Politik nicht eine besonnene und maßvolle gewesen wäre. Abenteuerliche und aggressive Pläne liegen uns vollkommen fern. Derartige Ten⸗ denzen widersprechen durchaus den Traditionen unserer Politik und dem Charakter des deutschen Volkes. Wir wollen aber weder bei Seite geschoben werden, noch wollen wir unter die Räder kommen. Wir wollen Sicherheit dafür haben, daß wir uns auch weiter im Frieden, ungestört in politischer und wirthschaftlicher Beziehung ent⸗ wickeln können. Deshalb ist die Flottenvorlage eingebracht worden, und ich bin überzeugt, die große Mehrheit dieses hohen Hauses wird durch ihr Votum für unsere Vorlage der Welt zeigen, daß, wo es sich um große vaterländische Gesichtspunkte handelt, um große nationale Machtfragen, im Deutschen Reichstage immer eine Mehrheit zu finden ist. (Lebhafter Beifall)
Damit schließt die Generaldiskussion.
In der Spezialdiskussion wird über § 1 (Bestand der Flotte) ohne Debatte namentlich abgestimmt. Das Ergebniß ist die Annahme mit 199 gegen 107 Stimmen.
Die §§ 2—6 werden ohne Debatte nach den Be⸗ schlüssen zweiter Lesung angenommen, desgleichen definitiv das Gesetz im Ganzen in namentlicher Abstimmung mit 201 gegen
103 Stimmen.
Die Wahlen der Abgg. Haake (4. Frankfurt, Rp.), Dr. Graf zu Stolberg⸗Wernigerode (6. Gumbinnen, d. kons.), Graf von Carmer (I. Breslau, d. kons.), Plache (T. Magdeburg) und Müller (Kudolstadt, nl.) werden fůr gültig erklärt; die Wahl des Abg. Boltz (5. Trier, nl.) wird beanstandet und die Anstellung einer großen Menge von Er⸗ hebungen über die Behauptungen des eingegangenen Protestes beschlossen. 8
Damit ist die Tagesordnung erledigt.
Präsident Graf von Ballestrem: Ich darf annehmen, daß wir dem Ende unserer Tagung entgegengehen. Ich gestafte mir,
Ihnen über die Geschäfte dieser Session, welche eine der schwersten
und längsten des Reichstags gewesen ist und nur von einer früheren Session übertroffen worden ist, die übliche Geschäftsübersicht zu geben.
Der Präsident verliest dieselbe; zu erwähnen ist, daß
die Zahl der eingegangenen Petitionen circa 54 000 betragen hat, wovon 978 auch in den Kommissionen nicht mehr zur Verhandlung gelangt sind. „ Abg. Dr. von Levetzow (d. 899 spricht för die unparteiische, sachgemäͤße, energische und unermüdliche Leitung der Verhandlungen dem Präsidenten unter dem lebhaften Beifall der Mitglieder, die üch sämmtlich von den Plätzen erhoben haben, den Dank aus.
Präsident Graf von Ballestrem erwidert, daß er in den oft schwierigen Momenten der Leitung der Geschäfte stets die Unterstützung des Hauses, und zwar von allen Seiten desselben, erfahren habe, er übertrage ein gut Theil des Pankes des Hauses auf seine Kollegen im Präsidium und auf die Schriftführer.
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst⸗
Ich habe dem hohen Hause eine Kaiserliche Botschaft mitzutheflen. Die Botschaft lautet:
(Der Reichstag erhebt sich.)
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König
von Preußen, ꝛc. ꝛc. ꝛc.
thun kund und fügen hiermit zu wissen, daß Wir Unseren Reichs⸗
kanzler Fürsten zu Hohenlohe⸗Schillin 8fürst ermächtigt haben,
gemäß Artikel 12 der Verfassung die gegenwärtigen Sitzungen des
Reichstages in Unserem und der verbündeten Regierungen Namen
am 12. Juni dieses Jahres zu schließen
Urkundlich unter Uaserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Neues Palais, den 6. Juni 1900.
Wilhelm, I. R. Fürst zu Hohenlohe.
Auf Grund der mir von Seiner Majestät dem Kaiser ertheilten Ermächtigung erkläre ich im Namen der verbündeten Regterungen den Reichstag für geschlossen.
Präsident Graf von Ballestrem: Wir aber, meine Herren (die Sozialdemokraten verlassen den Saal), trennen uns wie immer mit dem Ruf der Treue, Liebe und Eegebenheit 85 das Erhabene Reichs⸗Oberhaupt und rusen aus; Seine Majestit der Deutsche Kaiser, König Wilhelm II. von Preußen, Er lebe hoch, hoch, hoch! (Das Hꝛuz stimmt begeistert dreitmal in den Hoch⸗ ruf ein.) Ich schließe die Sitzung.
Schluß gegen 6 Uhr.
(L. S)
reußischer Landtag. 8
Herrenhaus. 13. Sitzung vom 12. Juni 1900, 1 ½ Uhr.
Der Präsident Fürst zu Wied begrüßt den neu ein⸗ getretenen Ersten Bürgermeister Dr. Kersten⸗Thorn.
Auf der Tagesordnung steht zunächst die einmalige Schluß⸗ berathung über den Gesetzentwurf, betreffend die Ver⸗ pflichtung der Gemeinden in der ProvinzHannover zur Bullenhaltung.
Der Berichterstatter Herr von Rheden beantragt die Annahme der Vorlage mit der Masgabe, daß sie am 1. Oktober 1900 in Kraft trete. 1
Das Haus beschließt demgemäß. Denselhen Beschluß faßt es über den Gesetzent wurf, betreffend die Verpflichtung der Gemeinden in der Provinz Westfalen zur Bullenhaltung, über den Freiherr von Landsberg⸗ Steinfurt referiert. 1
Alsdann folgt der mündliche Bericht der XI. Kommission über den Gesetzentwurf, betreffend die Waarenhaus⸗ steuer.
Die Kommission hat die Fassung des Abgeordnetenhauses in dem Hauptpunkte geändert, daß die Waarenhaussteuer erst erhoben werden soll, wenn der Jahresumsatz 400 000 ℳ über steigt. Das Abgeordnetenhaus hatte 300 ℳ festgesetzt.
Außerdem hat die Kommission zum 8 1 folgenden Zusatz vorgeschlagen: Die Minister der Finanzen, des Innern und für Handel und Gewerbe sind ermäachtigt, für gemeinnützige Unternehmungen, welche, unter Ausschluß eines die Verzinsung von 4 v. H. des Anlage⸗ und Betriebskapitals übersteigenden Gewinnes für die Unternehmer, den Kleinhandel ausschließlich auf den Kreis der gegen Zahlung eines einmaligen oder fort⸗ laufenden Beitrags zur Kaufberechtigung zugelassenen An⸗ gehörigen einzelner bestimmter Berufe beschränken, Befreiung von der Waarenhaussteuer zu gewähren.
In § 2 sind die Steuersätze entsprechend geändert worden.
Berichterstatter Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode be⸗ fürwortet diese Aenderungen im Namen der Kommissian. Diese habe sich nicht verbehlt, daß der manuchesterliche Standpunkt in natinmal⸗ ökonomischen Dingen nicht † Ziele führe. Sie balte die Ang⸗ schaltung des Mitielstandes durch die Konzentratiun des Großtapitals für ein großes Unglück und wolle wentgstens Verfuch machen. dem Uebel mu steuern. 1 8 “ 8
In der Generaldiskussion erklärt sich
Graf von Hutten⸗Czapski gegen den En ie großen Waarenbäuser würden die Steuer auf die Kunden abwälzen, und den kleinen Geschäften we de nicht geholfen. Bedenklich sei auch der Umfatz als Maßstab der Steuer. Schließlich werde man alle grußeen Betricde äbnlich besteuern. Man werde die laadwinthschaftlichen Nebenbetrrehe als große landwirthschartliche Waarendäufer beneuern. Die Mehrzahl der Konsumenten, die jeden Pfenntg dreimal umdrenen, würde besunders geschädigt, da sie in den Waarenhäufern billiger einkausten. Juzu⸗ geben sei allerdings. daß die bisherige Steuer ungerecht wirte. Die Abbilfe fei nut ich darch eine gründliche Refvrm der Gewerde⸗ steuergesetzgebung. je die Regierung eine solche Reform möglichft schnell in die Wege leiten. 1 bis 2 Jahre hahe aber die Sache moch Zeit. Von dem vorliegenden Gefetzentmunf wisse niemand, welchen Erfolg er haden werde.
Freiberr von Durant bittet, der Vorlage in der Faffung der Kommifsion die Zustimmung zu geben. Die Nothlage des Mittel⸗ stands sei von allen Seiten anerkannt morden. und darum sei es nothwendig, schleunige Abhilfe zu schaffen. Die Staatsregierung habe sich den Dank weiter Kreise des Volks dadurch erwarbem. daß sie diesen Gesetzentwurf eingebracht habe. Sie habe mit der Form der Umsatzsteuer das Richtige getroffen, denn diese Steuerant sasse alle anderen Steueranten zusammen. volle Ashilfe, darüben brauche man sich keiner Illusian dinzugeven, diete auch die Doriae den kleinen Kaufleuten nie Deehalb würde eine Refurm der Ge⸗ werbesteuer mit Freuden zu hegrüßen fein. Diese würde aber so dald nicht zu erwarten sein, und dier thue Eile noth. weil die Waakün⸗ däuser in wenigen Jasreu rapid gewachsen seien. Weize Bewälserliencahe⸗ kreise befänden sich in grozer Uaruhe, und diese muühlen, sjenht öhan berndiat werden. Die Vorlaze set als erster Schritt. aüc dhe Bersuch zu detrachten. Bemwähdre er sich nicht, so konne er darch eirie NMetbels derbessert werdes. Die Gemeinden erhalten einen Fingerzeig fun die Besteuerung folcher Institute. Die Kochmunen seiem aFeht din hh⸗ regung der Reuizruog, desselben Schritt zu thun. Uebther nieit ir⸗ gegangen, weil sie nicht wücgtes, wie e ed Fehn üem Vaher. WMehe werde nun dosfeutlich anderd werden. Seins Freuhede 1s1893. wernes
auch die Varkage noech nicht in allen Punkzen ihren Bhän ahhm wich