an England (sehr richtig!), von Tongking und Anam an Frank⸗ reich (sehr richtig!), vom Pamir⸗ und dem Amurgebiet an Ruß⸗ land (sehr richtig!), von Formosa an Japan, von Port Arthur und Wai⸗Hei⸗Wai ganz zu schweigen? (Sehr richtig!) Es hat Excesse in China gegen Mifssionare gegeben, und es hat Verfolgungen eingeborener chinesischer Christen gegeben, lange bevor wir nach Kiautschou gingen, in einer Zeit, wo der Name Deutschlands in China ziemlich unbekannt war, und es hat auch Erxpeditionen nach China und Züge nach Peking gegeben, lange bevor wir in Kiautschou festen Fuß faßten. (Lebhafter Bei⸗ fall.) Die Wahrheit ist, daß von den jetzt in China engagierten Mächten wir uns am meisten und am längsten zurückgehalten haben. (Sehr richtig!) Erst als wir uns davon überzeugen mußten, daß andere, ohne unsere Zurückhaltung und ohne unsere rührende Be⸗ scheidenheit nachzuahmen, sich in China wichtige Vortheile, werthvolle Konzessionen ausbedungen, als es den Anschein gewann, daß ohne uns an die Auftheilung von China gegangen werden sollte, und als gleich⸗ zeitig wiederholte Angriffe auf die deutsche Mission in Schantung —
ngriffe, die gipfelten in der Ermordung zweier deutscher Missionare — uns zwangen, für die Sicherheit unserer Staatsangehörigen und
nserer Interessen selbst zu sorgen, erst dann sind wir aus unserer
Reserve herausgetreten, nicht aus Abenteuerlust, nicht aus Willkür, sondern in der Erkenntniß einer unabweisbaren Nothwendigkeit. (Sehr richtig!) Unsere Festsetzung in Kiautschou haben wir sodann in einer Weise durchgeführt, daß durch sie der Friede in keiner Weise gestört worden ist, weder direkt noch indirekt. 8
Unsere Position in China, meine Herren — das möchte ich doch bei diesem Anlaß noch sagen —, beruht nicht auf gewaltsamer Er⸗ oberung, fondern sie beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrage. Wir stehen in China nicht als Eindringlinge, wir stehen in Kiautschou nicht als räuberische Eindringlinge da, sondern als Be⸗ sitzer einer mit der chinesischen Regierung in freiem Einverständniß vereinbarten Konzession.
Deutschland hat sich überhaupt gegenüber China immer freund⸗
ch und wohlwollend benommen. Der beste Beweis dafür ist die Haltung, die wir noch vor vier Jahren in einem für China recht kritischen Augenblick ihm gegenüber eingenommen haben, in dem Augen⸗ blick, wo China à la merci eines siegreichen Gegners war. Wir haben auch in China, und gerade hier, festgehalten an dem von mir mehr als einmal vor Ihnen dargelegten Prinzip, den Rechten Anderer nicht zu nahe zu treten, dafür aber die eigenen Rechte unbedingt zu wahren. Darum befinden wir uns gegenüber China im Stande einer legitimen Abwehr, im Stande einer legitimen Nothwehr.
Die chinesische Zentralregierung hat die Boxerbewegung, die nicht zum mindesten durch ihre eigene Schuld, durch die Schuld ihrer jämmerlichen Verwaltung entstandene Boxerbewegung weiter und weiter um sich greifen lassen in offenbarem Mangel an gutem Willen. Sie hat von Anfang an gegenüber den, maßvollen und berechtigten Vorstellungen der fremden Gesandten eine theils zweideutige, theils lässige Haltung eingenommen; sie hat endlich ohne jede Provokation von unserer Seite durch das Gewährenlassen der schnöden Ermordung des deutschen Gesandten nicht nur das Völkerrecht, sondern auch unsere nationale Würde schwer verletzt (sehr richtig!); und die chine⸗ sische Regierung hat sich hinterher vergeblich bemüht, durch allerlei Winkelzüge und Ausflüchte und offenbare Unwahrheiten diesen klaren Sachverhalt zu verdunkeln.
Mit gutem Gewissen durften wir daher einem solchen Verhalten gegenüber diejenigen Maßnahmen treffen, die nothwendig waren, um unsere Rechte und Interessen zu schützen und unsere Ehre zu wahren.
In derselben Nothlage wie wir befanden sich alle übrigen Regie⸗ rungen, und zu demselben Werke der Nothwehr sehen sich alle anderen zivilisierten Völker gezwungen, denn, meine Herren, darüber kann der ruhige, unparteiische Beobachter doch nicht im Zweifel sein, die jüngsten Ereignisse in China sind weder zurückzu⸗ führen auf Kiautschou, noch auf Hongkong, weder auf Tongking noch auf Port Arthur, weder auf diese, noch jene fremde Macht, sondern die Krisis, die wir jetzt in China durchmachen, ist eine Etappe, welche die europäische Kultur überwinden muß in ihrem un⸗ aufhaltsamen Vordringen in alle Welttheile und zu allen Völkern. Der Sturm, der sich jetzt in China erhoben hat, richtet sich nicht allein gegen Deutschland, überhaupt gegen keine einzelne fremde Macht, sondern gegen alle gesitteten Völker; er richtet sich auch nicht allein gegen die Gesandten oder Konsuln, sondern er richtet sich gegen die Ingenieure und Missionare, gegen die Kaufleute und Eisenbahn⸗ arbeiter, er richtet sich gegen alle Fremden. Es ist die europäische Zivilisation, der sich zu ihrer Ehre die intelligente und zukunftsreiche japanische Nation angeschlossen hat, diese stand und steht der Barbarei der Bexerbewegung gegenüber.
Meine Herren, ich komme nunmehr zu der Frage, die ich vorhin nur flüchtig gestreift habe, nämlich zu der Frage, was wir in China wollen. In zwei Worten gesagt, wir wollen in China keine Politik der Abenteuer, aber wir wollen unsere Interessen und unsere Rechte so behaupten, wie ein großes Volk seine Interessen und seine Rechte und seine Ehre behaupten soll. (Bravo!) Wir führen in China keinen Eroberungskrieg, aber wir wünschen eine möglichst rasche und möglichst gründliche Beilegung der chinesischen Krisis durch Sühne für die begangenen Unthaten und Wiederberstellung und Sicherstellung geregelter Zustände. Sühne verlangen wir aus dem einfachen Grunde, weil, wenn keine Strafe eintritt, damit ein Freibrtef ausgestellt werden würde für ähnliche Unthaten (sehr richtig!) und wir und alle inter⸗ essierten Mächte der Gefahr ausgesetzt sein würden, unsere Interessen und unsere Staatzangehörigen bei der ersten sich darbietenden Ge⸗ legenbeit in gleicher Weise verletzt zu sehen. Wir acceptieren auch jede Regierung in China, die fähig und bereit ist, Garantien zu geben für die Aufrechterhaltung der Ordnung und die begangenen Frevel zu sühnen. Wir wollen, daß die esropäische Kulturbewegung und die europäische Zivilisation in China nicht gehemmt wird, und daß Deutsch⸗ land innerhalb dieser Bewegung den ihm zukommenden Einfluß aus⸗ übt. An dem, meine Herren, was in China zu gewinnen ist, wollen wir auch unseren Antheil haben, niemand übervortheilen und uns von niemand übervortheilen lassen. Deutschland hat nach meiner An⸗ sicht kein Interesse an einer Auftheilung von China, wir drängen gar nicht auf eine solche Auftheilung, wir glauben auch gar nicht, daß China schon dem Untergange geweiht ist, daß für uns besondere Elle geboten ist, um uns dort neue Ländergebiete zu sichern; wir haben gar kein Interesse daran, die Auflösung von China herbeizuführen, wir
wünschen eine solche Auflösung gar nicht, unser Interesse ist, daß
China Zeit erhalte, sich in die neue Ordnung der Dinge, in die all⸗ mähliche und friedliche Aufnahme der europäischen Kultur hinein⸗ zuleben, und daß wir Zeit erhalten, unsere Position in China aus⸗ zubauen, zu entwickeln und zu kräftigen. Wir fahren, meine Herren, nach meiner Ueberzeugung am besten, wenn China unter möglichst ge⸗ regelter Verwaltung aufnahmefähig und zahlunggfähig bleibt (Heiter⸗ keit links), im übrigen aber seine Verwaltung möglichst in eigener Hand behält. Sofern die anderen Mächte in China nicht über den Rahmen ihrer jetzigen Politik hinausgehen, wollen auch wir uns in China auf die Behauptung unserer gegenwärtigen Position beschränken. Wir wollen das thun, weil wir das chinesische Reich nicht unnöthig erschüttern wollen, wir wollen das aber auch deshalb thun, weil wir uns an das französische Sprichwort erinnern „qui trop embrasse, mal é6treint“. Wir haben gar keinen Grund, ohne Noth über die Linien hinauszugehen, die wir uns im deutsch⸗⸗hinesischen Vertrag vom Frühjahr 1898 freiwillig gezogen haben. Wir haben keinen Grund, ex abrupto Gebietserweiterungen anzustreben, die unsere finanziellen, militärischen und politischen Kräfte un⸗ verhältnißmäßig in Anspruch nehmen könnten, und deshalb wollen wir in China nicht ohne zwingendste Veranlassung Annexionspolitik treiben, weil wir gar kein Interesse daran haben, uns in China auf ein bestimmtes Ländergebiet festnageln zu lassen. Wir haben in Kiautschou den nothwendigen Stützpunkt gefunden für unsere Schiff⸗ fahrt, für unsere Marine. Wir haben in Schantung ein weites Feld gefunden für kommerzielle und industrielle Thätigkeit. Aber lange bevor wir nach Kiautschou gingen, hatte sich der deutsche Kaufmann angesiedelt in Hankau, Tientsin, Schanghat, am Golf von Petschili, im weiten Stromgebiet des Yangtse. Dieser weiten Ausbreitung unseres Handels in allen Theilen des chinesischen Reichs und dem friedlichen Wettbewerb aller Völker in China im Zeichen von „Leben und Lebenlassen“, dem wollen wir nicht präjudizlerea.
Das, meine Herren, war das Motiv und das ist die Tendenz des deutscheenglischen Abkommens vom 16. Oktober d. J., mit dessen leitenden Grundsätzen sich inzwischen die anderen Kabinette einver⸗ standen erklärt haben. (Bravo!) Natürlich, meine Herren, setzen wir bei allen dem voraus, daß auch Andere nicht in China zu eigenen Territorialerwerbungen schreiten. Sofern diese Voraussetzung von allen Theilen loyal eingehalten wird — und es ist gar kein Grund
anzunehmen, daß dies nicht der Fall sein wird —, ist es unser Wunsch
und ist es unsere Absicht, uns auf dem Boden des Vertrages vom 6. März 1898 zu halten und nicht über diesen Vertrag hinauszugehen.
Deshalb haben wir von Anfang an uns bemüht, unsere Ziele so ab⸗-
zugrenzen, daß sie weder eine Unklarheit für die Zukunft, noch einen Konflikt mit den berechtigten Interessen anderer Mächte aufkommen lassen konnten. sehr genau abmessen, denn wir wissen sehr wohl, daß, wenn ein Schritt zu kurz uns distanzieren könnte, ein Schritt zu weit uns bloß⸗ stellen würde. Wir wollen weder das Eine noch das Andere.
Von den Zielen, durch Zirkularerlaß vom 11. Juli, aufgestellt habe, ist bisher nur das eine, und freilich das geringste, erreicht worden: die Befreiung der in Peking eingeschlossenen Europäer. Es bleiben noch andere und hoch⸗ wichtige Ziele zu erledigen übrig: die Sicherstellung von Leben, Person,
Eigenthum und Besitz der in China lebenden Fremden, Garantien für die Zukunft, angemessene Genugthuung für die verübten Unthaten, Entschädigung für die gehabten Auslagen und Kosten, die Sicher⸗ Wie diese Ziele im Einzelnen zu erreichen sind, darüber schweben, wie Ihnen bekannt sein wird, zur genügen, es mußten auch die entsprechenden militärischen Streeikkrift
stellung unseres eigenen Besitzes.
Zeit Verhandlungen zwischen den fremden Gesandten in Peking. Ueber
das Ergebniß dieser Verhandlungen, welche zur Einstimmigkeit über die
wesentlichsten Punkte geführt haben, bin ich in der Lage, dem hohen Hause die nachstehende Mittheilung zu machen, in welcher das bisber schon darüber in der Presse Bekanntgegebene auf Grund der letzten bei uns eingegangenen Telegramme nach dem heutigen Stande ver⸗ vollständigt ist. Mittels einer von allen Mächten gemeinsam an die chinesische Regierung zu richtenden Note sollen an dieselbe folgende Forderungen gestellt werden:
Art. I. Eine außerordentliche Mission unter Führung eines Kaiserlichen Prinzen ist nach Berlin zu entsenden, um das Bedauern des Kaisers von China und der chinesischen Regierung über die Er⸗ mordung des Freiherrn von Ketteler auszudrücken.“ An dem Platze des Mordes ist ein des Ermordeten würdiges Denkmal zu errichten mit einer Inschrift in lateinischer, deutscher und chinesischer Sprache, welche das Bedauern des Kaisers von China über den begangenen Mord ausdrückt.
Art. IIa. Tuan und Tschwang, den Herzog Lan, ferner über Yingnien, Kangyt, Tschaotschukiao, Tungfuhsiang, Yühbsien und weitere von den Ver⸗ tretern der Mäͤchte noch zu benennende Rädelsführer.
Art. IIb. In allen Orten, wo Fremde getödtet oder miß⸗ handelt worden sind, haben alle offiziellen Prüfungen auf die Dauer von fünf Jahren auszufallen.
Art. III. Die chinesische Regierung hat auf jedem der fremden oder internationalen Friedhöfe, welche geschändet oder denen Gräber zerstört worden sind, ein Sühnedenkmal zu errichten.
Art. IV. Das Verbot der Einfuhr von Waffen nach China wird bis auf weiteres aufrecht erhalten.
Art. V. China hat gerechte Entschädigung an Regierungen, Gesellschaften und Privatpersonen, sowie auch an solche Chinesen zu leisten, welche im Lauf der jüngsten Ereignisse an ihrer Person oder ihrem Vermögen durch den Umstand Schaden erlitten haben, daß sie im Dienste von Fremden standen.
Ich bemerke dazu, daß über die Prinzipien bei Geltendmachung der Schadenersatzansprüche, insbesondere auch derjenigen von Missionaren, später unter den Mächten ein Einverständniß hergestellt werden soll.
Art. VI. Jede einzelne fremde Macht erhält das Recht, für ihre Gesandtschaft eine ständige Schutzwache zu halten und das Gesandtschaftsviertel in Vertheidigungszustand zu setzen. In dem letzteren dürfen Chinesen nicht wohnen.
Art. VII. Die Forts von Taku und diejenigen Forts, welche die freie Verbindung zwischen Peking und dem Meere hindern kennten, sollen entfestigt werden.
Art. VIII. Die Mächte erhalten das Recht, zum Zwecke der Aufrechterhaltung der freien Verbindung zwischen der Hauptstadt und dem Meere gewisse, durch Einverne stimmende Punkte besetzt zu halten.
Wir werden auch in Zukunft unsere Schritte genav,
eine Herren, die ich im Juli dieses Jahres,
Die Todesstrafe ist zu verhängen über die Prinzen
Lachen links.)
Art. IX. Die chinesische Regierung wird verpflichtet, 28 zweier Jahre in allen Unter⸗Präfekturen Kaiserliche Dekrete 1 schlagen, worin angue
a. die Mitgliedschaft einer fremdenfeindlichen Sekte bei t
strafe für immer verboten wird, nhe
b. die über die Schuldigen verhängten
werden,
c. in denen, um neuen Unruhen vorzubeugen, ausgesprod
wird, daß die Vize⸗Könige sowie die Provinzial⸗ und * eamten verantwortlich gemacht werden für die Auf N- rhaltung der Ordnung in ihren Amtsbezirken, und daß im Falle neuer fremdenfeindlicher Unruhen oder and ’ von ihnen nicht sofort beseitigter und durch Bestrcn der Schuldigen gesühnter Verletzungen der Verträge sn abhgesetzt werden sollen und weder mit neuen amtlihe Funktionen betraut, noch mit neuen Ehrenstellen belli werden dürfen. ·6
Art. X. Die chinesische Regierung wird verpflichtet, sich af Verhandlungen einzulassen über solche Abänderungen der bestehene Handels⸗ und Schiffahrtsverträge, welche die fremden Regier für nützlich erachten, sowie über andere Gegenstände, welche Erleichterung der Handelsbeziehungen betreffen.
Art. XI. Die chinesische Regierung wird verpflichtet, za chinesische Auswärtige Amt zu reformieren und das Hofzeremonal für die Empfänge der fremden Vertreter in demjenigen Sinne 1 zuändern, den die fremden Mächte bezeichnen werden.
Die vorstehenden elf Artikel werden, sobald jeder einzelne Ge sandte von seiner Regierung dazu ermächtigt sein wird, der chinestsche Regierung in Form einer Kollektionote sämmtlicher Mächte übermittel werden. Ueber die Erzielung gleicher Einstimmigkeit für einzela weitere Forderungen schweben noch die Verhandlungen.
Meine Herren, die weitere Entwicklung der Dinge im Einzelnen vorauszusagen, ist beute wohl nicht möglich. Wir halten an da Hoffnung fest, daß es den gemeinsamen Bestrebungen der Mächte „ lingen wird, die angestrebten Ziele zu erreichen. Wir werden n auch weiter nur leiten lassen von dem gemeinsamen Interesse we
Strafen aufgeiil
ung ei
Zivilisation, soweit sich dasselbe deckt mit unserem speziell deutsche
Interesse, was Gott sei Dank jetzt der Fall ist. Alle Mächte hahm das gleiche Bedürfniß, daß Ordnung und Friede und Rahe in Chin wieder hergestellt wird; der Wiederkehr solcher Vorkommnisse ver⸗ zubeugen, wie dasjenige, welches wir im Sommer beklagt haben, lag im Jateresse aller Mächte. Desinteressieren können wir uns in Chine nicht; unsere Interessen sind dort zu bedeutend, unser Handel steht i China an zweiter Stelle, die Interessen unserer Missionen sind un zu heilig, es stehen für uns zu wesentliche ethische und materiel⸗ Werthe auf dem Spiel, als daß wir ohne weiteres bei seite treten könnten. Wenn wir das thäten — ich sage das mit der höchste Ueberlegung —, so würden wir in wirthschaftlicher und politischer Hi⸗
sicht die Zukunft des deutschen Volks in unverantwortlicher Weise pre⸗
geben, in einer Weise, welche uns die Geschichte nicht verzeihen mütze Wenn wir aber bei der Neuregelung der chinesischen Verhältnise
ein Wort mitzusprechen hatten, so war es geboten, dort in einer Forn
aufzutreten, die einer Großmacht würdig war. Deshalb haben vit
gerade so viele Schiffe und genau so viele Mannschaften nach Chinz 2
geschickt, wie nothwendig war, um unsere Stelle im Rahmen dar internationalen Aktion anständig auszufüllen, um für die uns wider⸗ fahrene Unthat entsprechende Genugthuung zu erlangen und unsen vertragsmäßige Position gegen weitere Beeinträchtigung zu sichen. Eine nur maritime Machtentfaltung konnte in diesem Falle nicht
dazu kommen. Unsere militärische Superiorität mußte den Chinesen deutlich ad oculos demonstriert werden, wenn es nicht füc lange und vielleicht für immer vorbei sein sollte mit der Thätigkeit und der Ausbreitung unseres Handels, mit der segensvollen Wirksamkeit unserer Missionen. Wären wir nicht rasch vorgegangen, so würde der Af⸗ stand sich viel weiter ausgebreitet haben, er würde die Mitte und den Süden von China, er würde insbesondere Schantung erreicht haben Gegenüber einer solchen Gefahr, einer so brennenden und plötzliche und zweifellosen Gefahr konnte nicht anders gehandelt werden. Ich möchte aber dabei betonen, daß meinem Herrn Amtsvorgänger jede Absicht fern gelegen hat, die Rechte des Reichstages zu verkäne⸗ (Lachen links.) Grewiß, meine Herren, hat ihm diese Aksitt vol⸗ ständig fern gelegen. Dafür bürgt die lange und sehr ehrernvole Laufbahn meines hochperehrten Herrn Amtsvorgängers und auch sit Allen bekannter patriotischer und verföhnlicher Sinn. (Sehr richti! rechts.) Ich will aber vor allem für meine Person al derzeitiger verantwortlicher Reichskanzler hier die Erklärung abgeben, daß mir selbstverständlich nichts ferner liegt, ah das verfassungsmäßige und von Niemandem bestrittene Ret des Reichstages zu beeinträchtigen, daß für alle Ausgaben die 3e stimmung des Reichstages in Form einer Etatsforderung einzuhele ist, und zwar, wo dies nur immer möglich und angängiz ist, im vorams und ich erkläre ferner, daß ich in Gemäßheit dieser meiner Auffaffmm an dieses hohe Haus das Ersuchen richte, für diejenigen Ausgabm, hinsichtlich deren die Zustimmung des Reichstages noch nicht eingehelt worden ist, uns durch nachträgliche Genehmigung Indemnität zu gr theilen. (Bravo! rechts, in der Mitte und bei den Nationallibetalen;
wisse Elh (Sch
1
Ihre Heiterkeit, meine Hexren, scheint mir eine 8. täuschung zu maskieren über das, was ich soeben gesagt habe. gut! rechts, Lachen links.) Sie sch inen sich auf einen Kaeflt gespitzt zu haben. Zu einem solchen Konflikt wird es 4 nicht kommen, dank der bewährten Einsicht der vec⸗ dieses hohen Hauses und dank auch — wenn uu sagen darf, der Verständigkeit der Regierung. (Lachen v Wenn, meine Herren, der Reichstag Werth legen sae auf eine das Wort „Indemnität“ ausdrücklich enthaltende 8 lierung des § 3 der Gesetzesvorlage, so werde ich meine Hnd 2 bieten, und ich werde das Meinige thun, ähnlich wie dies vom 8 Kanzler des Reichs in wiederholten Fällen geschehen ist, ve eine Verständigung herbeizuführen zwischen dem Reichstage und ? Bundesrath. (Bravo! rechts und in der Mitte.) 8
Endlich erkläre ich, daß während meiner Amtsdauer bde soeben von mir vor Ihnen dargelegten Auffassung und Ueberien von dem verfassungsmäßigen Ausgabebewilligungsrecht der Fzclc tages unbedingt festgehalten und dementsprechend auch tba 78 verfahren werden wird. (Bravol rechts und in der 2 Meine Herren, schließlich haben wir in China auch
ales ge.
bewiesen,
ggern bereit gewesen, zuordnen, über welchen sich die anderen Mächte geeinigt haben
General
than, was mözlich war, Wund wir werden trotz manchen ent⸗ gegenstehenden Schwierigkeiten auch fernerhin das Unsrige tbun, um das Einverständniß unter den Mächten aufrecht zu erhalten. Ueberzeugt, daß Frieden und Freundschaft und Eintracht unter den Mächten nicht nur ein Weltinteresse, sondern auch ein deutsches Interesse ist, haben wir nach Möglichkelt ausgesondert, was Anlaß zu Mißtrauen oder gar Mißhelligkeiten bieten konnte, und als Ziele solche positiven Aufgaben hingestellt, deren Er⸗ reichung dem Interesse Aller entspricht. Daß die Loyalität unserer Politik überall anerkannt wird, hat die Tharsache daß die übrigen Mächte uns im Gouvernement Petschilt das Oberkommando übertragen haben. Wir wären sehr unsere Truppen jedem Oberbefehl unter⸗
würden, und ich habe das namentlich nach Rußland hin zu er⸗ kennen gegeben. Als eine solche Einigung nicht zu ermöglichen war,
pohl aber an verschiedenen Stellen der Wunsch hervortrat, das Ober⸗
kommando einem deutschen Offizier anzuvertrauen, konnte sich Deutsch⸗ land nicht einer Wahl entziehen, die ehrenvoll war für unser militärisches Ansehen und ehrenvoll war auch für das Vertrauen, welches unsere Politik den anderen Mächten einflößt. Indem die anderen Mächte das Oberkommando uns anvertrauten, bekundeten sie doch die Ueberzeugung, daß die deutsche Politik, wie sie von
uns öffentlich proklamiert war im Zirkularerlaß vom 11. Juli,
nichts enthielt, was irgend welchen Anlaß bieten köannte zu Befürchtungen von seiten der anderen Mächte. Die anderen Mächte würden uns nicht ein solches Vertrauensvotum ertheilt haben, nament⸗ lich nicht in einem einigermaßen kritischen Augenblick der chinesischen Frage, wenn sich unsere Politik nicht im Einklang gehalten bätte mit den Intentionen und Aspirationen der anderen Mächte. Das, meine Herren, gilt namentlich von Rußland. Daß gerade von russischer Seite Einwände gegen ein deutsches Oberkommando nicht erhoben werden würden, war vorauszusehen bei den guten und vertrauensvollen Beziehungen, die glücklicher Weise schon vor der Zuspitzung der chinesischen Verhältnisse zwischen uns und Ruß⸗ land bestanden. Daß aber Seine Majestät der Kaiser von Rußland, dessen balvige und völlige Genesung wir mit ganz Europa und mit der ganzen Welt wünschen (Bravo!), daß dieser edle und erleuchtete Sonverän derjenige Monarch war, der vor allen anderen Staatsober⸗ häuptern den Oberbefehl in unsere Hände legte, das haben wir mit besonderem Dank anerkannt, und das ist mir ein Beweis mehr fuür die Richtigkeit des von mir stets festgehaltenen Grundsatzes, daß zwischen einer gut geleiteten deutschen Politik und einer gut geleiteten russischen Politik kein tiefergehender und keinesfalls ein irgendwie unüberbrückbarer Gegensatz bestehen kann. (Bravo!) Aber, meine Herren, wenn die Uebertragung des Oberkommandos an uns schmeichelhaft für uns war, so wird dadurch doch der Gesammtcharakter unserer Politik in keiner Weise verändert. Durch die Uebernahme des Oberkommandos wird weder unser Ver⸗ hältniß zu anderen Mächten, noch die Linie, welche wir uns in China vorgezeichnet haben, verschoben. Unsere Politik in China bleibt genau dieselbe, wie sie war, bevor ein deutscher das Oberkommando übernommen hat. Wir denken nicht daran, uns über das Programm hinausdrängen zu lassen, das ich im vergangenen Juli aufgestellt habe; im Gegen⸗ theil, die Thatsache, daß wir den Oberbefehl führen, legt uns nach meiner Meinung die Verpflichtung auf, nun erst recht vernünftig und besonnen zu bleiben. (Sehr richtig! und Bravo!) Meine Herren, wir werden auch in Ost⸗Asien unsere Ziele nicht zu hoch spannen. Wir werden nirgends über die Grenzen unserer wohlerwogenen Leistungs fähigkeit hinausgehen, wir werden uns nicht von der Grundlage entfernen, auf welcher das neue Deutsche Reich aufgebaut worden ist. Wir kennen viel zu gut die deutsche Geschichte und haben die Lehren der deutschen Geschichte viel zu wohl be⸗ herzigt, um nicht zu wissen, daß es kein Glück für Deutschland war, als es sich im Mittelalter ganz ins Fremde verlor, anstatt alle seine Kräfte zu konzentrieren auf die Entwickelung eines starken, nationalen Königthums, eines in sich selbst ruhenden starken, nationalen Gemeinwesens. (Sehr gut!) Aber, meine Herren, nachdem wir uns jetzt seit einem Menschenalter das Staatswesen zurecht⸗ gezimmert haben, das unseren nationalen Bedürfnissen entspricht, wo wir uns von der realen und gesunden Basis dieses Staats⸗ wesens nicht entfernen werden, können wir uns nur freuen, daß auf unsere staatliche Einigkeit ein gewaltiger wirthschaftlicher Aufschwung gefolgt ist, und daß wir in diesem wirthschaftlichen Aufschwung unsere überseeischen Interessen, unser überseeisches Ansehen, unser Ansehen und unsere Stellung in der Welt, unsere Weltstellung mächtig gehobe haben. Diese unsere Weltstellung werden und müssen wir schützen. Wir werden aber nicht vergessen, daß unser Zentrum in Europa ist. Ich habe schon vor einem Jahre, als ich bei der ersten Lesung des Etats für die Flottenvermehrung eintrat, ungefähr gesagt, unser Zentrum wäre in Europa, und wir hätten zunächst die Pflicht, für die eigene Sicherheit zu sorgen. Das wiederhole ich auch heute. Wir werden nichts thun, wodurch die Sicherheit der Heimath, wo⸗ durch die Wehrkraft des deutschen Volkes irgendwie geschwächt werden könnte. Diese Wehrkraft ist auch heute völlig intakt. Durch die Truppensendung nach China ist unsere Aktionsfähigkeit, unsere Schlagfertigkeit in Europa in keiner Weise beeinträchtigt worden. Das sage ich nicht nur für dieses hohe Haus, das sage ich pro urbe et orbe. Wir werden uns auch wohl hüten, in China die Geschäfte Anderer zu besorgen. (Lebhaftes Bravo.) Wir nehmen, wie ich vorhin die Ehre gehabt habe darzulegen, ehrlich theil an der gemeinsamen Aufgabe aller Kulturvölker; aber wir denken nicht daran, für irgend eine andere Macht den Blitzableiter abzugeben (Bravo!), und wir denken auch nicht varan, meine Herren, die Vorsehung auf Erden spielen zu wollen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Es hat einen Souverän gegeben, meine Herren, der das versucht hat;
8 Napoleon III. Es ist ihm nicht gut bekommen! (Seiterkeit
Sein Beispiel reizt uns nicht zur Nachahmung. Die Hohen⸗ zollern werden nicht die Wege der Bonapartes gehen, niemals werden undeutsche Tendenzen verfolgt werden von dem Hause der Hohen⸗ jollern, dessen größter Sohn gesagt hat, daß der Fürst der erste Diener des Staats und des staͤatlichen Interesses ist. (Bravo! — Lachen bei den Sozialdemokraten.) Aber wir wollen uns 8 unsere Stellung, unser Ansehen in der Welt so weit 3 ren, als dies dem deutschen Vortheil entspricht. Daß
r uns nicht ohne Noth in fremde Händel einmischen,
das haben wir ja bewiesen während des füdafrikanischen Krieges und während des spanisch⸗amerikanischen Krieges. Wir haben damals eine Politik ehrlicher Neutralität innegehalten, weil das den deutschen Interessen entspricht, und wir wollen jetzt unser Ansehen in Ost⸗Asien hochhalten und unsere Stellung in Ost⸗Asien wahren, eben weil das dem deutschen Interesse förderlich ist. Eine andere Richtschnur, als das Interesse des Landes, giebt es nicht für uns. Wir werden den Teufel thun, es so zu machen, wie die Franzosen in Mexiko oder die Italiener in Abessynien! Weder in militärischer noch in diplomatischer Besiehung werden wir uns einlassen auf Sonderaktionen, die im Widerspruch stehen würden mit dem von uns von Anfang an ausfgestellten Prinzip des Zusammen⸗ gehens der Mächte, oder die uns gar auf den Isolierschemel bringen könnten. Wir werden die deutsche Macht immer nur dann und immer nur so weit einfetzen, als dies dem deutschen Interesse ent⸗ spricht und mit der Wohlfahrt des deutschen Volkes verträglich, für die Wohlfahrt des deutschen Volkes förderlich ist.
Meine Herren, auf weitere Einzelfragen einzugehen, wird sich wohl noch im Laufe der Debatte Gelegenheit finden. Für jetzt möchte ich bloß nach Folgendes sagen. Die Schnelligkeit, mit der unser Expeditionskorps aufgestellt, mit der es ausgerüstet und über See geschickt worden ist, die Art und Weise, wie bei dieser ersten Entsendung deutscher Landungstruppen über das Weltmeer alles klappte, das war eine Leistung, auf welche unsere Militär⸗ verwaltung, unsere Kriegsmarine, unsere trefflichen Rhedereien, auf welche wir Alle mit Befriedigung zurückblicken können. (Sehr richtig!) Wenn es im Auslande Leute gegeben haben sollte, nicht im Schoße der fremden Regierungen — diese sind dazu viel zu korrekt —, aber außerhalb der fremden Regierungen, die geglaubt haben, daß Deutschland in dreißig Friedensjahren eingebüßt habe an militärischer Spannkraft, so sind solche Leute eines Besseren belehrt worden. (Sehr gut!) Daß wir, was unsere Wehrfähigkeit angeht, nicht zurückgegangen sind, das hat trotz ihres partiellen Charakters diese Mobilmachung bewiesen. Sie hat aber auch durch den Andrang der Freiwilligen, durch den Geist, welcher diese Freiwilligen beseelte, gezeigt, daß, was die Waffenfreudigkeit angeht, wir nicht zurückgegangen sind. Vor allem aber hat die Haltung unserer Leute da drüben, die Art und Weise, wie sie, Matrosen und Landsoldaten, Offiziere und Mannschaften, alle Strapazen ertragen haben, und die Art und Weise, wie die Leute überall im Feuer ihren Mann ge⸗ standen haben, gezeigt, daß der deutsche Soldat noch der alte ist, und darüber wenigstens, meine Herren, wollen wir uns Alle freuen. (Bravo!)
Die verbündeten Regierungen haben nur das gethan, was unbe⸗ dingt geschehen mußte, wenn Deutschland im fernen Osten sein gutes Recht wahren und seine Stellung bewahren wollte. Wir durften die uns widerfahrene Verletzung ebensowenig ungestraft und wir durften das Blut unseres ermordeten Gesandten ebensowenig ungesühnt lassen, als Strafe und Sühne Anderen übertragen. Das durften wir nicht, denn da gilt — unnbeschadet der Waffenbrüderschaft mit anderen Mäͤchten — doch das Wort: „Selbst ist der Mann.“ Auch der nüchterne und ruhige Beobachter kann nicht im Zweisel darüber sein, wieviel für unser Ansehen, für unseren Einflaß und für unsere Stellung in der Welt davon abhängt, wie wir jetzt in China, militärisch und diplomatisch, abschneiden.
Im Namen der verbündeten Regierungen bitte ich dieses hohe Haus, durch Annahme der Vorlage uns die Mittel zu gewähren, um die chinesischen Händel auszutragen mit Umsicht, mit ruhiger Be⸗ sonnenheit, aber auch mit Kraft und in Ehren, wie es der deutsche Name gebietet. (Lebhafter Beifall)
Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Ich kann dem Herrn Reickskanzler versichern, daß niemand von meiner Partei daran denkt, die Noth⸗ wendigkeit der Abwehrunternehmungen gegen China zu bezweifeln oder zu bekritteln. Die geschädigten deutschen Interessen und die tief verletzte deutsche Ehre mußten in China sofort und nachdrücklichst in Schutz genommen werden. Eigentlich sollte eine solche Erklärung im Deutschen Reichstage selbstverständlich sein, ich gebe sie aber ansdrücklich ab, nachdem die linke Seite des Hauses, wenn ich recht gehört habe, einen Widerspruch gegen die bezüglichen Ausführungen des Reichskanzlers hat lautwerden lassen. Es ist richtig, daß eine Reihe der von den verbündeten Regierungen erstrebten Ziele noch nicht er⸗ reicht ist; in allen diesen Zielen sind meine Freundch mit den ver⸗ bündeten Regierungen durchaus einverstanden und danken ihnen aus⸗ drücklich für dasjenige, was zur Erreichung derselben bisher geschehen ist. Auch darin, daß die deutsche Polttik nicht an die Auftheilung Chinas denke, besinden sie sich in Uebereinstimmung mit der weitaus größten Mebhrzahl des Hauses. Ebenso erfreut sind wir über die dankens⸗ werlhen Erklärungen, wesche über das Verhältniß Deutschlands zu Rußland abgegeben worden sind. Was hinsichtlich der Mobilmachung, der Einschiffung und der militärischen Haltung unserer Truppen bemerkt worden ist, hat ebenfalls unsere Billigung; auch wir sind mit freudigem Stolz über diese glänzende Bewährung unserer mili⸗ tärischen Emrichtungen erfüllt; sie gewähren uns dasselbe glänzende Resultat auch für den Fall, daß einmal eine europäische Mobilmachung stattfinden müßte. Aber hier muß ich einem Bedauern meiner Freunde Auedruck geben. Es sind die Nachrichten über Grausamkeiten in der Kriegführung, über Massenmorde durch untergeordnete Organe. Diese Nachrichten sind allerdings bisher nur auf privatem Wege zu uns gelangt, aber wenn sie wahr sind, so würde unsere Freude nicht ohne Trüdung bleiben. Was das Ausgabenbewilligungsrecht des Reichstages betrifft, so hat der Kanzler erklärt, er wolle alles tbun, um auc, wenn ges der Reichstag verlangt, die Annahme einer aus⸗ drücklichen Indemnitätsertheilung durch die verbündeten Regierungen in die Wege zu leiten. Damit kommen wir zu dem wichtigsten Theile der ganzen Vorlage. Eine solche Auffassung klang schon durch die Worte der Thronrede hindurch. Was sie in ihrem Wortlaut besagt, ist eine unzulängliche Begründung der Unterlassung der Reichstags⸗ berufung. Sie sagt, man habe den finanziellen Bedarf nicht übersehen können. Hat man das gekonnt, als plötzlich Frankreich i. J. 1870 an Preußen den Krieg erklärte? Und kam man nicht trotzdem sofort an den Norddeutschen Reichstag mit der Kriegsanleibe? Hat man ihn nicht nachher um eine Erhöhung ersucht? Und nach diesem Vergang kommt man mit solcher Argumentation in einer Thronrede? Das ist eine Spekulation auf die Gedächtnißschwäche, welche wir unsererseits uns gehorsamst verbitten. Wir empfinden die Umgehung des Reichstages als eine Verfassungsverletzung, als eine schwere Mißachtung des Reichs⸗ tages. Der Reichskanzler hat sich zwar alle Mühe gegeben, seinen Amtsvorgänger von mala fides zu entlasten, aber wenn eine solche nicht dabei ist, so ist das doch eine hochgradige Nonchalance in der Be⸗
handlung der wichtigsten Reichsangelegenheiten. Wie anders würden
die verbündeten Regterungen heute dastehen, wenn sie uns diesen Sommer berufen und sich damals schon der Zustimmung des Reichs⸗ tages versichert hätten, ohne die sie auf die Dauer nichts machen können! Man hat ja freilich gesagt, es sei etwas ganz Gewöhnliches, nachträgliche Genehmigungen von Etatsüberschreitungen vom Reichstage zu begehren. Das ist ja zuzugeben; minima non curat praetor. Das sind allerkleinlichste Kleinigkeiten im Vergleich mit der Sache, die uns jetzt beschäftigt. Der Kanzler hat sich auf einen anderen Standpunkt gestellt, auf den Standpunkt der von
I der Presse aller Parteien erhobenen Forderung der Indemnitäts⸗
ertheilung. Da kam der fernere Einwand, man kenne im Reich keine Indemnität, sondern nur in Preußen. Vor mir liegen nicht weniger als drei Reichs⸗Gesetzblätter, in denen ausdrücklich Indemnität ertheilt wird. Im Jahre 1873 handelte es sich um Ausgabenüberschreitung der Marineverwaltung während der Jahre 1867/71. Zuaerst wollte man ja auch nur die nach⸗ trägliche Genehmigung, aber man mußte sich überzeugen, daß es so nicht ginge, und kein Geringerer als der Reichskanzler Fürst Bismarck selbst brachte im März 1873 eine Vorlage ein, welche mit den Worten beginnt: „Der Marineverwaltung wird Indemnität ertbeilt“. Und dabei handelt es sich um Ueberschreitungen von jährlich 730 000 ℳ Im Jahre 1883 waren dem spanischen Staate gewisse Zollbegün⸗ stigungen zugestanden worden, schon bevor der betreffende Vertrag vom Reichstag angenommen war; in der außerordentlichen Session von 1883 stimmte der Kanzler ohne Bedenken einem Gesetze zu, welches den Titel trägt: Gesetz, betreffend die Ertheilung der Indemnität u. s. w., und welches ihm selbst, dem Reichskanzler, diese Indemnität ertheilte. Endlich wurde in einem dritten Fall auf Antrag des Abg. Freiherrn von Huene ein besonderer Indemnitätsertheiluncs⸗Para raph beschlossen. Nicht dem Herrn Reichskanzler gegenüber weise ich auf diese drei Fälle im einzelnen hin, sondern jenen weisen Männern auswärts gegenüber, welche es nicht eilig genug haben können, mit der Erfindung von neuen staatsrechtlichen Theorien dem Ansehen des Reichstags Abbruch zu thun. Durch die Erklärungen des Reichs⸗ kanzlers ist eins unserer Hauptbedenken gegen die Vorlage be⸗ seitigt; aber ich spreche nochmals deutlich aus: Diesem groben Fall von Vernachlässigung des Reichstages gegenüber ist es für die Volks⸗ vertretung eine sehr schwere Aufgabe, die Indemnität zu ertheilen, Wenn es sich nicht um so hochnationale Zwecke, um die Wahrung der deutschen Ehre, handelte, würden wir in der Budgetkommission mit den verbündeten Regierungen ein sehr viel schärferes Wort sprechen, zumal uns Aeußerungen aus jenen hohen Kreisen zu Ohren gekommen sind, dahin gehend: „Nun, was wird es werden? Sie werden ein paar Tage lang hohe Reden halten und dann bewilligen.“ Ich stelle gleich hier den Antrag auf Ueberweisung der Vorlage an die Budgetkommission. Es wird sich um eine Reihe der wichtigsten staatsrechtlichen Fragen handeln. Erfreulicher Weise ist wenigstens das aus der Denkschrift zu ersehen, daß die amerikanische Anleihe nicht zum Zwecke der chinesischen Expedition aufgenommen ist, aber trotzdem sind die verbündeten Regierungen nicht entlastet, wenn sie die Kosten dafür aus reichseigenen Ueberschüssen von 1899 und 1900 mit 60 Millionen ohne Genehmigung des Hauses bestritten haben. Auch die Ueberschüsse gehören dem hohen Bundesrath allein durchaus nicht; er hat darüber ebenso wenig allein wie der Reichstag allein zu ver⸗ fügen. Lediglich um diese Frage handelt es sich aber durchaus nicht; ich will hier nur auf eine andere sehr wichtige Frage hinweisen: Wie steht es denn mit der Bildung neuer Truppentheile, mit der Ver⸗ leihung von Fahnen an dieselben, mit der Aufführung dieser neuen Truppen nach allen Dimensionen im neuesten Nachtrag zur Rangliste des deutschen Heeres? Wir haben gehört, daß diese Truppentheile im stehenden Heere im Interesse der Vertheidigungsfähigkeit des Vaterlandes ersetzt worden sind. Es ist doch seit Bestand des Reichs kein Heercsstärkengesetz verabschiedet worden ohne Fest⸗ setzung der Batterien, Bataillone und Schwadronen. Jetzt haben wir eine ostasiatische Armee. Alle diese Dinge berühren unser verfassungsmäßiges Recht auf das empfindlichste. Ueber alle diese Punkte muß in der Kommission Klarheit geschaffen werden. Sehr unangenehm berührt sodann an der Expedition, daß der neue Oberkommandierende der verbündeten Truppen das Vertrauen der gesammten verbündeten Mächte statt als Anlaß zu einem besonders maßvollen Vorgehen, zu einer Entnahme von Lorbeer auf Vorschuß benutzt hat. Aber das ist lange nicht das Schlimmste; weit mehr verstimmen mußten gewisse Aeußerungen, welche nicht von Sühne für begangene Frevel, sondern von einem Kriege gegen Drachen handeln. (Zurufe: Hunnenrede!) Ich kann mich nur an den „Reichs⸗Anzeiger“ halten, der weiß nichts von Hannen; die betreffenden anderen Zeitungen, welche das gehört haben wollen, müssen sich also wohl verhört haben. Wir hörten ferner die Aufforderung, keinen Pardon zu geben, und wir lesen jetzt von vor⸗ gekommenen Grausamkeiten, welche die so Angeredeten als einfache Pflichterfüllung auffassen. Dazu kamen in diesen Reden die weit⸗ ausschauenden Pläne der deutschen Politik; der Hinweis dar⸗ auf, daß ohne Deutschland und ohne den Deutschen Kaiser auch jenseits des Meeres keine Entscheidung mehr fallen därfe. Diese offene Ankündigung ciner Weltpolitik in Wilhelmshaven klang auch in der Rede auf der Saalburg wieder: „Ich bin ein deutscher Reichsbürger u. s. w.“ Diese Aeußerungen haben in der That tiefe Beunruhigung in weite Kreise unseres deutschen Volks getragen. Eine Einmischung des Reichs in die inneren Verhältnisse anderer Völker unter irgend welchem Vorwand kann von keiner Partei des gebilligt gens eine solche , ween ae in überseeischen Händeln über die verständige Itendmachung deutscher Interessen, deutscher Reochte und deutscher Ehre hinaus kang nicht in Anspruch genommen werden. Wohin soll es kommen, wenn wir uns jetzt damit einverstanden erklären würden, es dürfe überhaupt ohne Deutschland nichts mehr in der Welt geschehen? Wer müssen uns auf das Gemessenste gegen diesen Ausspruch verwahren. der Vorlage wird vor allem auch die allgemeine Deckungsklausel heraus⸗ ebracht werden müssen. Die Nothwendigkeit der Maßregel gegen
hina erkennen wir ebenso an wie die korrekte Stellungnahme unse Auswärtigen Amts.
Abg. Bebel (Soz.) führt aus: der Reichskanzler habe nichts Neues gesagt. Er habe erklärt, daß er nichts dagegen würde, wenn das Haus in der Kommission die Indemnitätserklärung in den § 3 aufnehme. Es sei ader doch eigenthümlich, wie bescheiden das Haus gegenüber einer solchen Vorlage sei. Man werde in der That hier und in der Kommission nach einiger Kritik alles de willigen, was die Regierung fordere, ohne zu empfinden, welche Schmach dem Deutschen Reichstage dadurch angethan werde. (Präsident Graf von Ballestrem ruft den Redner wegen dieser Außerung zur Ordnung.) Ein anderes Parlament würde sich das nicht bieten lassen. Der Reichstag hätte einberufen werden müssen, ob der Termin der Regierung bequem gewesen wäre oder nicht. Man stehe vor de Schoffung einer neuen Kolonialarmee, darüber herrsche kein Z veifel, un er, Redner, sei neugierig, wie sich das Zentrum dazu verhalten werde Man spreche von einer Revolte in China, nicht von eigem Kriege Herrsche aber ein solcher, so liege eine Verletzung der Verfassung vor Der Reichstag hätte befragt werden müssen. In der Frage der rufung des Reichstages sei die Presse aller Parteien nahezu eirstimmig gewesen. Wenn die Führer der parlamentarischen Parteien edenso wie die Presse mit Nachdruck die Einberufung verlangt hätten, so hätte sich die Regierung besonnen, ehe sie gethan bätte, was sie getban habe. Der Reichstag, insbesondere in seinen Mehrheits⸗ parteien, sei in der Wahrung seiner eigenen Rechte nachlässig ge⸗ worden. Er lasse die Dinge mehr und mehr laufen, wie sie wollten und besitze nicht mehr die Energie, die er haben sollte, um der Regierung zu zeigen, was es bedeute, Reichstag zu sein. Es habe erst des Hinweises auf die Vorgägge von 1873 und 1883 bedurft, damit nur die Mehrheiteparteien die Forderung der Indemnität stellten. Ob nun die Indemnität gefordert werde oder nicht, die Sozialdemokraten verweigerten sie auf jeden Fall. Der Reinskanzler habe gesagt, die revolutionäre Bewegung in China sei ewissermaßen über Nacht eingetreten; es wetterleuchte aber schon seit 11. Von verschiedenen Seiten seien die europäischen Kabinette seit langem gewarnt worden, nur die europäischen diplomatischen Ver⸗ treter in Peking hätten die Gefahr unterschätzt. Ein großer Theil des chinesischen Volkes meine, daß darauf hingearbeitet werde, das große chinesische Reich in völlige Abhängigkeit von den Großmächten zu bringen. Der Ausstand in China erkläre sich auf die einfachste Weise durch das große Unrecht, welches die Fremden in China fort⸗ gesetzt gegen die einheimische Bevölkerung begingen, und besonders auch durch das provokatorische Auftreten der christlichen Misstonare, die rücksichtslos in chinesische Tempel drängen oder, wie es von Bischof Anzer geschehen, der Berliner Reichsregierung anriethen, den ge⸗