doch ähnlichem Verhältniß der Frachtvortheil bei Benutzung des Wasserweges und mit ihm der Spielraum für die Auferlegung einer Schiffahrtsabgabe. Es erscheint nicht nur zulässig, sondern auch zweckmäßig, von jenem Frachtvortbeil entsprechende Antheile durch Mehrbelastung der werthvolleren Güter für den Staat in Anspruch zu nehmen. Eine in angemessenen Grenzen sich haltende Differen⸗ zierung der Abgabenfätze ermöglicht eine zweckmäßigere Vertheilung
der Gesammtlast, welche dem Verkehr auf den Wasserstraßen auferlegt werden muß. “
Dem naheliegenden und wirthschastlich gerechtfertigten Ge⸗ danken der Bildung von Güterklassen mit verschieden ab⸗ gestusten Gebührensätzen hat sich auch der geltende Tragfähigkeits⸗ karif nicht verschließen können; er ist aber seiner Natur nach nicht im stande gewesen, ihn in ausreichendem Maße zu verwirklichen. Es werden nur zwei Klassen unterschieden, und zwar in der Weise, daß der niedrigere Abgabensatz nur dann Anwendung findet, wenn die Ladung ausschließlich aus Gütern der geringeren Klasse besteht; jeder Bei⸗ ladung von anderen Gütern hat die Erhebung des höheren Abgaben⸗ satzes von der ganzen Tragfähigkeit — da diese nun einmal der Tarif⸗ bildung zu Grunde liegt — zur Folge. Der Schiffer kann daber in die Lage kommen, eine ihm angebotene Beiladung ausschlagen zu müssen, weil der daraus zu erwarten de Gewinn durch die Anwendung des höheren Tarifsatzes auf die Gesammttragfähigkeit aufgezehrt wird. 1
Die Vermehrung der Güterklassen unter Beibehaltung des jetzigen Tariftystems würde nur dazu führen, daß die Fälle der Misch⸗ ladung sich ebenfalls vermehren und die damit verbundenen Uebelstände sich steigern. Eine weitere Ausbildung des Systems der Güterklassen ist nur im Rahmen eines L dungstarifs zu erreichen, mit dessen Einführung auch die Nachtheile der Mischladung verschwinden, da die Abgaben für die Bestandtheile einer solchen gesondert berechnet werden.
In dem anliegenden Tarifentwurf ist die Zahl der Güter⸗ klassen auf 5 angenommen worden; sie sind nach den bereits angedeuteten Gesichtepunkten des Güterwerths und des Vergleichs mit den Eisenbahnfrachtkosten in der Weise gebildet, daß die jept niedriger belasteten Güter in zwei und die höher belasteten in drei Klassen mit Steigerung des Abgabensatzes um jedesmal 2 ₰ für die Tonne von 1000 kg zerlegt sind. Zu den in Zukunft höher be⸗ lasteten Gütern gehört insbesondere auch Getreide. 88
Es mag vergleichungsweise hier bemerkt werden, daß für aus⸗ ländische (französische, englische, amerikanische) Wasserstraßen ebenfalls Ladungstarife mit einer größeren Arzahi von Güterklassen bestehen. Insbesondere bestehen derartige Tarife mit 5 bis 6 Klassen für die Wasserstraßen der Stadt Paris und den Sambrte⸗Oise Kanal mit recht günstigem Erfolge. —
Es liegt ferner in der Aksicht, den Dampfbetrieb, weil er einer⸗ seits in wirthschartlicher Beziehung eine größere Leistungsfähigkeit auf⸗ weist und anderenseits durch stärkere Abnutzung der Kanalenlagen die Unterhallung für den Staar vertheuert, mit einem Zuschsage von 10 % zu den normalen, auf die Güter entfallenden Abgabensätzen zu belegen. dus dem Grundsatze der Belastung der Schiffsgüter als solcher eraiebt sich, daß die leeren Schiffe abgabenfrei bleiven; ihre Frei⸗ lossung rechtfertigt sich in wirthschaftlicher Beziehung durch die Er⸗ wͤägung, daß auf den Leerfahrten nichts verdient, sondern eher zu⸗
gesetzt wird.
9 8 em Tarifentwurf liegt das Bestreben zu Grunde, eine mehr individuelle, den wirthschaftlichen Verhältnissen der einzelnen Verkehrsleistung möglichst Rechnung tragende Regelung der Binnen⸗ schiffahrtsabgaben herbetzuführen. Dieses Bestreben führt zur Er⸗ hebung nach den beförderten GCütermengen — statt nach der gleich⸗ bleibenden Tragfähigkeit —, zur Aufstellung einer größeren Anzahl von Güterklassen mit verschiedenen Abgabensätzen und schließlich auch zur verschiedenen Behandlung der Wasserstraßen, deren Abmessungen, Leistungsfähigkeit und Verkehrsbedeutung keineswegs gleich⸗ mäßig sind. In dem Entwurfe sind doher die Wasser⸗ straßen erster und zweiter Ordnung unterschieden:; auf den letzteren werden geringere Einheitssätze von der Tonne der Schiffsladungen erhoben. Die Finow⸗Wasserstraße ist vo läufig — bis zu ihrem in Aussicht genommenen Ausbau zu einem Groß⸗ schiffahrtswege — unter die Wasserstraßen zweiter Ordnunz gerechnet worden, was sich durch die verhältnißmäßige Kleinheit der auf ihr verkehrenden Fahrzeuge rechtfertigt.
Die Erbebung wird sich allerdings nach dem Ladungegewicht und fünf Güterklassen weniger einfoch vollziehen, wie jetzt nach der Trag⸗ fähigkeit und zwei Klassen; die Feststellung des von einem Fahrzeuge zu entrichtenden Abgabenbetrages wird unter dem neuen Tarif — besonders wenn in einer Schiffsladung mehrere Güterklassen veretnigt sind — einen größeren Aufwand von Zeit und Mühewaltung erfordern. Indessen dürfen diese in erster Reihe die Verwaltung treffenden und nur mittelbar auf den Verkehr zurückwirkenden Erhebungsschwierigkeiten doch auch nicht überschätzt werden. Ein sehr großer Theil — weit über die Hälfte — der auf den märkischen Wasserstraßen beförderten Gäter wird in einheitlichen oder doch aus Gütern einer Klasse be⸗ stehenden Schiffsladungen gefahren; diejenigen Fälle, in welchen bei der Abgabenerhebung die Sätze verschiedener Klassen anzuwenden sind, werden nicht die Regel, sondern die Ausnahme bilden. Im übrigen wird das Erhebungsverfahren so einzurichten sein, daß den Verkehrs⸗ interessen in möglichst weitgehendem Maße Rechnung ge⸗ tragen wird. Bei Feststellung des Ladungsgewichts würde die Verwaltung sich mehr auf die mit Frachtpapieren (wie bei dem kanalisierten Main und dem Dortmund Ems⸗ Kanal) zu belegende Erklärung des Schiffsführers wie auf die Ablesung der Aiche an den Ladepegeln (Tiefgangsanzeigern) zu stützen baben; die letztere Maßregel würde im wesentlichen zum Zwecke der Kontrole in geeigneten Fällen anzuwenden sein. Für Güterdampfer mit Schnell⸗ betrieb wäre behufs rascher Abfertigung ein möglichst erleichtertes und entgegenkommendes Verfahren einzuführen.
Das am 1. Oktober 1900 in Kraft getretene Gesetz vom 2. Mai d. J., welches die Hinterziehung von Verkehrsabgaben mit nachdrück⸗ licher Strafe bedroht, erleichtert es der Verwaltung, sich mehr wie früber auf die Angaben der Betheiligten zu stützen und eine sich wesentlich auf diese Angaben stützende Erhebungsweise bei den Schiffs⸗ abgaben einzuführen.
Die Steigerung der Erhebungsschrierigkeiten unter dem neuen Tarif wird übrigens tbellweise dadurch ausgeglichen, daß die Ab⸗ jertigung der bisber gebührenpflichtigen, auf den märkischen Wasser⸗ stroßen sehr zahlreichen, leeren Fahrteuge künftig wegfällt. Jeden. falls wird der aus jener Steigerung sich etwa ergebende Nachtheil geringer anzuschlagen sein wie der aus der Einführung des neuen Tarifiystems zu erwartende wirtbschaftliche Vortheil.
Die Tarissätze sind in der Weise berechnet, daß sie außer den Einnahmen aus dem jetzigen Tragfähigkeitstarife einen 40 prozentigen Zuschlag und eine den jetzigen Schleusenknechtsgebühren und Brückengeldern entsprechende Summe bringen werden. Der 40 prozentige Zuschlag rechtfertigt sich durch die Thatfache, daß die bisherige Schiffsvermessung notorisch vnrichtige, und zwar viel zu geringe Ergebnisse hinsichtlich der Tragfähigkeit geliefert hat. Die hieraus sich ergebenden Febler sind so bedeutend, daß die statistischen Anschreibungen zuweilen Gütergewichtsmengen aufweisern, die größer sind als die Tragfähigkeit der zur Beförderung benutzten Schiffe. Nach den bisherigen Ergebnissen derjenigen Schiffsaichungen, welche nach dem neuen, mit Oesterreich vereinbarten, verbesserten Verfahren vorgenommen sind, ist die wirkliche Tagfähigkeit um durchschnittlich etwa 40 % größer als die früher ver⸗ messene; um so viel würde also der Ertrag der Schiff⸗ fahrtsabgaben auch nach dem jetzigen Tragfähigkeitstarif sich mit dem Fortschreiten der Aichungen von selbst erhöhen, da Vermessungen nach dem alten Verfahren nicht mehr stattfinden. Ab⸗ gesehen hiervon, ist aber auch eine Erhöhung des Abgabenertrages — bei zweckmäßigerer Vertheilung der Lasten auf den die Wasserstraße benutzenden Güterverkehr — wirthschaftlich zulässig und vom Stand· punkt der auf den Ausbau des Wasserstraßennetzes gerichteten
cht; denn die Verbesserung der finanziellen
Nauch durch
Erträge von den bestehenden Binnenschiffahrtswegen ist geeignet, diese Bestrebungen zu erleichtern und die ihnen entgegentretenden Bedenken abzuschwächen.
Die Beseitigung der den Schleusenknechten zu zablenden Neben⸗ gebühr und ihre Deckung aus der allgemeinen Schiffahrtsabgabe empfiehlt sich aus dem Gesichtspunkte der Vereinfachung und der Bekämpfung des Trinkgelderunwesens. Dieselben Erwägungen kommen hinsichtlich der Brückenaufzugsgelder in Betracht; jedoch kann hier vielleicht der Zweifel gebegt werden, ob die Bedienung der Brücke ebenso eifrig gescheben wird, wenn der Brückenpärter für seine Leistung nicht mehr durch den Schiffer von Fall zu . sondern ducch die Verwaltung in festen Monats⸗ oder Vierteljahres⸗ beträgen bezahlt wird.
Die Forderung elnes Ufergeldes für das Ein“ und Ausladen rechtfertigt sich durch die biermit eintretende besondere Inanspruch⸗ nahme der fiskalischen Wasserstraße, die im allgemeinen unvermeid⸗ liche Verschlechterung des Bettes und die Abnutzung der Böschungen. Die Tragfähigkeit ist hier als Erhebungsmaßstab deshalb gewählt worden, weil es für die auf freier Strecke stattfindenden Ein⸗ und Ausladungen an einer genügenden Kontrole über die in Betracht kommenden Gütermengen fehlen würde. *
Entwurf II
unterscheidet sich von Entwurf I nur durch die Verbindung des
Ladungstarifs mit dem Tragfähigkeitstarii. Die Erhebung eines Theils der Gesammtabgabenlast von der Tragfähigkeit gründet sich auf die Erwägung, daß die Inanspruchnahme der Wasserstraße doch seine Größe — abgeseben von der Menge und Art der beförderten Ladung — bedingt ist. Unter einem derartig zusammengesetzten Tarif würde die Tragfähigkeitsgebühr folgerichtig von allen Schiffen, also auch von den leeren Fahrzeugen, zu ent⸗ richten sein.
8 Deutscher Reichstag. 5. Sitzung vom 22. November 1900. 1 Uhr.
Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet. 8
Es folgt die Fortsetzung der ersten Lesung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Feststellung eines dritten Na trags zum Reichshaushalts⸗Etat für 1900 (Aus⸗ gaben für die China⸗Expedition).
Abg. Payer (d. Volk⸗p.): Unter den bisherigen Redyern ist keiner gewesen, der nicht anerkannt bat, daß die Nichteinberufung des Reichstages ein großer poluischer Fehler gewesen ist. Ich gehe weiter; denn ich finde, dot die Nichteinberufung des Reichstages mit den Bestimmungen der Verfasfung über die Einberufung nicht in Einklang zu bringen ist. Wenn Herr von Levetzow Indemnität und nachträgliche Genehmigung gleichstellt, so mag er, wenn man die Sache praktisch ansieht, nicht Unrecht haben; aber moralisch liegt in der Gewährung der Indemnität ein scharf ausgesprochener Tadel, und überdies ist die Ertheilung der Indemnität die einzige Abwehr gegen die Wiederholung solcher Verfassungsverletzungen. Wenn der Reichskanzler in sehr kluger Weise in puncto der Indemnität entgegenktam, so ist doch damit faktisch nicht das Geringste geändert. Wenn man nach dem Urheber der Nichteinberufung fragt, so muß man, so sehr sich das Gefühl dagegen sträubt, dem Rrichskanzler Fürsten zu Hohenlohe den Vorwarf machen. In seiner beschaulichen Ruhe hat er wobl an die ein⸗ schlagenden Verfassungsbestimmungen gar nicht gedacht. Aber auch seine Umgebung muß sich in derselben Stimmung besunden haben. Der frühere Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat uns selbst gesagt, er habe zu denjenigen gehorz, welche die Einberufung für notbwendig bielten, aber nach seiner Aussage hat ihn eine Notiz der „Freisinnigen Zeitung“ wieder beruhigt. Damit ist nun noch immer keine Erklärung über die Gründe der Nichteinberufung gegeben; wenn man aber in der Thronrede und in den zweitägigen Debatten danach sucht, so ist das Resultat ebenfalls ein sehr dürftiges. Die Angabe, mit welcher sich die Thronrede begnügen zu dürfen glaubt, daß es noch nicht möglich war, bestimmie Ziffern für den Nachtrags⸗Etat aut findig zu machen, kann wohl als abgerhan gelten. Es scheinen also überhaupt gar keine Gründe vorhanden ge⸗ wesen zu sein; aber das anzunehmen, sträubt sich meine Höllichke t; man muß schließlich zu der Auffossung kommen, daß, wie man sich juristisch auszudrücken pflegt, die Schuld an der Nichteinberufung des Reichstages an einer den Ministern nicht als Schuld anzurechnenden vis major gelegen hat. Die Kaiserreden sind von der ganzen Nation so richtig verstanden worden, daß kein Mißverständniß möglich war; daher kam eben in der Bepölkerung der Schrecküber gewisse Aeußerungen in der betreffenden Kundgebung. Auch in Betreff der Soldatenbriefe, welche man sehr mit Unrecht als „Hannenbriefe“ bezeichnet und edenso unrichtig als bestellte Arbeit oder als den Ausdruck militärischer Renommisterei ansieht, hat sich das Eine berausgestellt, daß ein so⸗ fortiges Einschreiten gegen die Schuldigen von nöthen ist, wenn die Behauptungen dieser Briefe sich als wahr erweisen. Die Auffassung über den Hunnenpassus muß naturgemäß eine andere sein bei den Chinesen, bei den Deutschen und bei unseren den Chinesen gegenüber⸗ gestellten Truxppen; es bleibt die Frage, ob die gemeldeten Grausam⸗ keiten eine, selbstverständlich nicht gewollte Wirkung jener Kaiser⸗ lichen Worte sind. ig zi
Ein wenig zivilisatorisches Sengen, Brennen und eine Mißachzung des chinesischen Menschenlebens hat statt⸗ gefunden, die ich mit meinen Humanitätsbegriffen nicht vereinbaren kann. Der Kriegs⸗Minister hat zugesagt, daß er die berichteten Vor⸗ gänge untersuchen lassen will. Sehr wünschenswerth wäre, daß uns baldmöglichst das Weißbuch über den Antheil Deutschlands an den chinesischen Wirren zuginge, welches urs noch immer fehlt, während man uns früher bei den geringfügigsten Anlässen dicke Bände zum Studium zur Verfügung gestellt hat. Ich möchte den Kriegs⸗Minister bitten, darauf ein Augenmerk zu haben, daß die einzuleitende Untersuchang sich nicht fast noch mehr als gegen die Schuldigen selbst gegen diejenigen armen Teufel wende, welche in vielleicht zu rꝛotem Vertrauen auf die Diskretion ihrer nächsten Angehörigen von diesen Dingen berichtet haben. In der bisherigen Debatte ist wir Einrs beso ders aufgefallen. Der Träger der deutschen Reichssouveränktät ist doch nicht der Kaiser, sondern der Bundesratb, die Gesamn theit der verbündelen Regierungen. Nun sind in diesem Sommer Entscheidungen von großer Tragweite getroffen, Dinge, welche nicht in der Kompetenz des Kaazlers, des Kriegs⸗Ministers oder der militärischen Kommandogewall lagen. Wo war der Bundesrath? Der war nicht da. Und wo war der Reichetag? Der war beim Bundesrarb; sie waren alle beide nicht da, wo sie hätten sein sollen. Im Laufe des Sommers ist allerdings der Aus⸗ schuß des Bundesraths für auswärtige Angelegenheiten unter dem Vorsitz Bayerns zusammengetreten; er hat ohne Widerspruch einen Vortrag des Staatssekrerärs Grafen von Bülow entgegengenommen. Kein Worr steht in jeuner Ertlärung des Grafen Bülow von Rache, von dem blassen Schrechen erzegenden deutschen Namen, von der Welt⸗ politik und ihren großen Zielen, von der Unzulässizkeit von Eat⸗ scheidungen in fernen Weltibeilen, ohne daß Deutschlanv und sein Kaiser ein entscheidendes Wort mitiprechen. Die Wahrung des bundesstaatlichen Charakters des Deulschen Reiches könnte doch zu kurz kommen, wenn man nicht mehr, als in diesem Sommer geschehen, auf die Rechte des Bundesraths Rücksicht nimmt. Dem Bundesrath ist es in diesem Sommer nicht besser gegangen als dem Reichstage. Also müssen jetzt beide, Reichstag und Bundesrath, Arm in Arm miteinander das Jabrhundert in die Schranken fordern. Die Ent⸗ scheidung über die Vorlage fällt mir nicht leicht. Freilich sind wir ohne wirksame Waffen gegen die folgenschwere Beeinträchtigung unserer Rechte. Giebt man uns auch formal im Punkte der Indemnität nach, so will ich mich meinerseits doch bei der materiellen Prüfung völlig freigestellt wissen. Ergeben sich daraus Schwierigkeiten, so
können wir die Verantwortung dafür mit gutem Gewissen auf andere
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tag. Bekanntlich ist das Wort „Indemnität
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Schultern abwälzen. Desto eher werden wir einige Garanti
gewinnen, daß sich solche Dinge nicht wiederholen werden. Was di deutsche Politik zur Zeit in China bezweckt, wissen wir heuti 8 Tages noch nicht. Der Weltpolitik setze ich aber an meinem Theßn ein ganz entschiedenes Nein entgegen. e
Bayerischer Bevollmächtigter zum Bundesrath Graf vo
Lerchenfeld⸗Köfering: Meine Herren! Es ist im Reichstaa schon so oft davon gesprochen worden, daß der diplomatische Ausschuß⸗ der achte Ausschuß des Bundesraths für auswärtige Angelegenheiten, nicht einberufen wird. Nun ist in diesem Sommer der Ausschuß be⸗ rufen worden, und nun haben Sie eben aus dem Munde des Herrn Abg. Paver gehört: Ja, was bedeutet denn die Einberufung des aus⸗ wäͤrtigen Ausschusses! Meine Herren, es scheint schwer, es Ihnen in dieser Beziehung recht zu machen. . so wird der Bundesrath angegriffen; wird er berufen, so wird der Bundesrath auch angegriffen. Ich möchte über die Frage, inwiefern der Bundesrath an den politischen Vorgängen betheiligt wurde, die in diesem Sommer gespielt haben, gegenüber den Aeußerungen des Herrn Abg. Payxer nur Folgendes bemerken: Als die bekannten Er⸗
eignisse eintraten, wurden selbstverständlich die hier anwesenden Mit⸗ glieder des Bundesraths vom Auswärtigen Amt auf ihr Verlangen über alles unterrichtet, was für ihre Regierüngen wissenswerth war Kurze Zeit darauf fand man es für nützlich, den Zusammentritt des diplomatischen Ausschusses herbeizuführen. Er wurde in der ersten Jali⸗ Woche berufen und trat am 11. Juli zusammen. Im Ausschuß wurden von dem jetzigen Herrn Reichskanzler in der eingehendsten Weise Mit⸗ theilungen gemacht über die Vorgeschichte der Wirren in China und über die Maßregeln, welche die Reichsleitung ergreifen zu müssen glaubte zur Wahrung der Ehre des Reichs und seiner politischen und wirthschaftlichen Interessen. Auch wurde dem Ausschusse eine genaue Darlegung der Ziele gegeben, welche die deutsche Politik verfolgt. In dem Ausschusse sind, wie die Herren wissen, fünf Staaten vertreten: Bayvern, welches den Vorsitz führt, Sachsen und Württemberg und durch Wahl die Staaten. Baden vad Hessen. Im Anschluß an die Sitzung des diplomatischen Ausschusses wurde sodann von dem Herrn Reichskanzler ein Zirkular an sämmtliche verbündeten Regierungen gerichtet, durch das sie den wesentlichsten Theil der Verhandlung im diplomatischen Ausschuß mitgetheilt erhielten. Man kann sonach wohl nicht sagen, daß der Bundesrath in diesem Sommer im Unklaren über die Ereignisse geblieben ist, und daß er übergangen worden wäre. Nun macht der Herr Abg. Paver dem Bundesrath zum Vorwurf, daß er nicht verlangt hätte, als solchaer becbeiligt zu werden, und daß er nicht eine Einberufung des Reichs. tages verlangt hätte. Nun, meine Herren, ich muß sagen eine Vorlage aag den Bundesrath in diesem Sommer würde zunächst den Zweck gehabt haben, die Közperschaft über das, was geschehen soll, zu unterrichten — dieser Zweck ist, wie ich ans. geführt habe, in voleem Maße auf andere Weise erreicht worden. Sodann bätte es sich um eine Vorlage zum Zweck der Kostendeckung handeln können. Aber, meine Herren, was wäre eine Kostendewilli⸗ gung in diesem Sommer gewesen? Nichts Anderes als ein Blanko. wechsel auf die Zukunsft. Niemand konnte damals wissen, welche Ausdehnung die militärischen Maßregeln erhalten würden, und niemand konnte die Kosten auch nur schätzungsweise berechnen. Im diplomatischen Ausschuß, das will ich hier konstatieren, haben sämmtliche dort vertretenen Regierungen sich mit den Zielen, welche die deutsche Politik verfolgt, einverstanden erklärt. Auch ist mir bekannt, daß keine derjeaigen Regierungen, die im schriftlichen Wege unterrichtet worden waren, gegen die Maßregeln und die Ziele der deutschen Politik Eiswendungen erhoben hat. Die Reichsleitung konnte sich also für gewiß und versichert dalten, daß der Bundesrath diese Politik billige, und daß er nachträglich das⸗ jenige bewilligen würde, was zu deren Durchführung nolhwendig ist. Nun, meine Herren, möchte ich noch hervorheben gegenüber einzelnen Aeußerungen des Herrn Abg. Payer, daß die Einberufung des Reichstags nicht Sache der verbündeten Regierungen, des Bundesraths ist. Nach Art. 12 der Reichsverfassung beruft der Kaiser den Reichstag. Damit ist allerdings nicht ausge⸗ schlossen, daß von der Seite einer Regierung die Anregung auf Em. berufung des Reichstages erfolgt. Die Frage ist auch in dem Aus. schuß für auswärtige Angelegenbeiten besprochen worden. Ich kann aber konstatieren, daß die dort vertretenen Regierungen die Gründe nicht verkannt haber, die damals gegen die Einberufung sprachen, und auf die in der Thronrede hingewiesen ist. (Zwischenrufe links.) — Ja, meine Herren, es ist schwer, vor den Reichstag und auch vor den Bundesrath mit einer Vorlage zu treten, die keinen sachliben Inhalt hat. Im übrigen möchte ich noch hervor⸗ heben, daß ein Grund, der den Mitgliedern des diplomatischen Ausschusses die sofortige Einberufung des Reichstages nicht als erforderlich erscheinen ließ, wohl darin gelegen haben mag, daß man sich sagte: Ebenso, wie die Reichsregierung sicher sein kann, daß der Bundesrath mit ihrer Politik und ihren Maßnahmen einverstanden ist und die Opfer nicht scheuen wird, die sie im Gefolge baben, so
wird dasselbe patriotische Gefühl auch bei dem Reichstage vorhanden
sein, und wir dürfen darum fest vertrauen, daß auch der Reichstag nachträglich die erforderlichen Mittel bewilligen werde. Und, meine Herren, dieses Vertrauen haben wir auch heute noch. Nun möchte ich noch einiges bemerken gegenüber den Aeuße⸗ rungen des Herin Abg. Payer bezüzlich der „Indemnität“. Wenn der Buatesrath die Auffassung theilte, daß eine Wer⸗ letzung der Rechte des Reichstages darin liege, wenn das Wort „Indemnitä.“ nicht in dieser Vorlage steht, dann hätte er auch sein eigenes Recht verletzt, indem er es nicht in die Vorlage hinein⸗ geschrieben hat; denn hinsichtlich des Rechts der Bewilligung der Ausgaben steht der Bundesrath auf derselben Linie wie der Reichs⸗ zum ersten Mal in einem gewissen sensationellen Sinne gevraucht worden in Preußen als nach dem Jahre 1866 die Konfliktsperiore abgeschlossen wurde. Es handelte sich damals um Ausgaben, welche von dem preußischen Landtage abgelehnt, trotzbem aber von der Regierung gemacht worden waren. In dem vorliegenden Fualle aber handelt 8s sich um etwas völlig Aaberes, es handelt sich nicht um Ausgaben, die vom Reich tage abgelehnt siny — der Reichstag hate sich über haupt noch nicht mit ihnen zu beschäftigen —, sondern um Ausgaben, die vom Reichstage und Bundesrathe noch nicht bewilligt waren. Nun weiß ib sehr wohl, daß der Ausdruck „Indemnität“ in ver⸗ schiedenen Fällen später gebraucht worden ist bei solchen Ausgaben, die richt abgelehnt, aber auch nicht bewillist waten. Es ist dies im Jahre 1873 bei der Etotsüberschreitung für die Marine gescheben, auch geschehen im Jahre 1885, wenn ich nicht irre, b.i Militäzausgaben aus Anlaß der Heeresverstärkung. Aber
die Herren wissen ebenso gut, doß es auch andere Vorgänge giebt⸗
Ich kann da beispieleweise Bezug nehmen auf einen Vorgang im Jahre 1887, wo auch außeretatsmäßige Ausgaben der Milttär⸗ verwaltung von Bundesrath und Reichstaz „nachträglich genehmigt wurden, obne daß der Ausdruck Indemnitat gebraucht wurde.
ist eben einmal so und einmal anders verfahren worden. Nun köante entgegengebalten werden: ja, bei kleinen Anlässen ist der Ausdruck Indemnität nicht notbwendig, bei großen ist er es. Meiae Herren, „klein“ und „groß“ sind keine staazterechtlichen Unterschiede. Ich bin der Meinung, daß überhaupt der Ausdeuck „Indemnität“ eine desondere staatsrechtliche Bedeutu g an sich nicht hat. Wie liegen denn die Dinge? Im Reiche dürsen keine Ausgaben gemacht werden ohne von Bundesrath und Reichstag genehmigt zu sein; sind sie trotzbem gemacht, so entbehren sie so lange ber gesetzlichen Unterlage, als nicht die nachträgliche Bewilligung v; Ist diese erfolgt, 12 ist der Fehler saniert, ganz gleich üllig, ob in bder Vorlage oder — Gesetzesiext der Ausdruck „Indemnilät! vortommt oder nich! Ich kann noch bemerken, daß auch jetzt bei den Bundes⸗ rathsverbandlungen die Frage erörteit worden ist, und
kann mittheilen, daß den verbündeten Regierungen, nwr- sie sich gesagt haben: es ist nicht nothwendig, den Ausdru „Indemnität“ in der Vorlage zu gebrauchen — nichts ferner gelegen bat als der Gedanke, den Rechten des Reichstages irgendwie zu vmwn8 zu treten. Die Sache verhält sich eben einfach so: sowie Bundes
1 „
ird der Ausschuß nicht berufen,
ad Reichstag Ausgaben, die nicht vorher bewilligt sind, naß⸗ genehmigen, ertheilen sie Indemnität, gleichviel, ob Ausdruck im Gesetzestert gebraucht ist oder nicht. N in der Sitzung von vorvorgestern der Herr Keichskaniler Ihnen mitgetheilt, dah, wenn der Reichstag Wenb auf Einfügung des Ausdrucks „Indemnität“ in den esetzentwurf legt, er gern die Hand dazu vieten wärde, um eine Verständigung farüber mit den verhündeten Reagierungen herbei⸗ uführen. Ich kann beifügen, daß ich überzeugt bin, daß auch meine Regierung hiergegen nichts einzuwenden hat. (Zurufe links) Ich zann nur wiederholen, daß, wenn der Ausdruck „Indemnität“ in der Vorlage fehlt, damit in keiner Weise den Rechten des Reichstages zu ahe getreten werden sollte; und wenn er in die Vorlage nachträglich hineingeschrieben werden sollte, so wäre das in staatsrechtlicher Be⸗ ehung auch nicht von besonderer Tragweite. I Abg. Dr. von Dziembowski⸗Pomian (Pole): Das welt⸗ olitische Programm, welches der Reschskanzler am Montag gegeben gat, und wesches in Abrede stellt, daß man auf eine Eroberungs⸗ olitit ausgebt, läͤßt sich ja insoweit billizen; auch der französische Minister Delcissé bat Aehnliches esklärt. Aber es muß auch bedacht verden, daß eine verständige Weltpolint auf der absoluten Achtung der Kechte der anderen Nationen basieren muß. Man macht das Boxerthum n China für die dortigen Wirren verantwortlich. Boxer giebt es nicht nur in China, sie thun sich auch anderswo auf, und wir können unfererseus nur wünschen, daß die Regterung den Kampf mit dem Zorertbum in Ching und sonst siegreich durchführen moge. Was in Fhina Kultur ist, ist auch in Deutschland Kultur. Die Fahne der kultur muß rein bleiben auch in China. Die Missionen müssen ge⸗ schützt werden, deshalb ist auch unser Einschreiten zu billigen; nicht zu billigen ober ist das Blutvergießen, welches Brutalität und Bestia⸗ ltät auf dem Gewissen haben. Möchte in Zukunft kein Anlaß zu ogenannten „Hunnenbriefen“ mehr gegeben sein!
Abg. Stoecker (b. k. F.): Ich kann nicht finden, daß die bloße lusaabe für die Expedit on ohne Bewilligung des Reichstages schon in Grund wäre, um Indemnität zu fordern. Ja, ließe man die neuen Truppentheile ohne weiteres als selbständig bestehen, das wäre eine andere Frage. Daneben bleibt der Zweifel bestehen, ob nicht die Finberufung des Reichstages sehr zweckmäßig gewesen wäre. England und Frankreich haben es allerdings auch nicht gethan. Angesichts einer solchen Unthat, wie die Ermordung unseres Gesandten var, hätte es sich der Bundesrath garnscht entgehen lassen zllen, dem Reichstage zu einer patriotischen Kundgebung zu erhelfen. Die Rede des Abg. Bebel halte sch, obwohl sie der „Vor⸗ wärts“ mit den Worten glossiert: „Und Bebel sprach“, für eine der hwächsten, die er je gehalten hat. Es war eine Rede voll Haß egen Deutschland und voll Freundschaft für die Beoxer. Wenn der kaiser von Chiva selbst die begangenen Verbrechen zugiebt, so muß h sagen, in keinem anderen Lande wäte ez möglich, eine so vater⸗ landsfeindliche Rede zu halten. Er muß hinter sich eine Schafherde aben, wenn er glaubt, im Lande nur irgend welchen Findruck damit zu machen. Er hat einen mörderischen chine⸗ sschen Prinzen, wie Tuan, mit einem großen deutschen Prinzen erglichen. Wer so etwas fertig brigt, dem fehlt es nicht nur im Herzen, sondern auch ganz wo anders. Die „Norddeutsche Allgemeine zeitung“ hat ausdrücklich von gefangenen Chinesen gemeldet; also ind doch nicht alle Gefangenen umgebracht worden. Die französischen Blätter erkennen ausdrücklich an, daß die Deutschen sich von Plünderungen ern gehalten haben. Wir können also demgegenüber nur von unkontrolier⸗ baren „Hunnenbriefen“ sprechen. Der „miles gloriosus“ übertreibt be⸗ kanntlich leicht die Dinge, selbst solche, welche ihm nicht zur Ehre gereichen, wenn sie wahr wäcen. Den Kriegs⸗Minister ersuche ich dringend, wenn möglich telenradhisch, Nachricht über die bebaupteten Grausamkeiten einzuholen; denn uaser Volk würde das nicht vertragen. Wir müssen jeden Sonntag für unsere Truppen im Goltesdienst beten; das thun wir mit besonderer Freudigkeit; aber diese würde uns fehlen, wean folche Dirge wirklich wahr wären. Herr Bebel hat mit gewisser Lichtigkeit sein Urtheil abgegeben, als wenn er die chinesischen Dinge nur so in der Tasche hätte. Es weiß doch Jeder, daß, wenn wir nicht zu den Chinesen gehen, diese niemals mit uns irgendwelches Handels⸗ verbältniß eingehen werden. Man braucht ja bloß an den Optumkrieg zu denken. Rebellen, und das sind die Boxer, werden in jedem Kriege anders behandelt als reguläre Truppen. Allerdings hat die Sozial⸗ demokratie i. J. 1870, genau wie heute, unserer Armee den Vocwurf gemacht, daß sie Franktireurs wie Banditen niederschösse. Ist nicht der Erzbischof von Paris, den Communaros niederschossen, mindestens derselben Sympathie würdig wie die Boxer? Aber Sie (za den Sozialdemokraten) haben dafür nie ein Gefühl gehabt, sondern ledialich die Commune verherrlicht. (Rufe: Mit Bewußtsein gelogen! Vize⸗ Präsidem Dr. von Frege⸗Weltzien: Ich bitte, den Redner nicht zu
zath u rräglich
ge bat, bereitg
Unterbrechen.) Mit einer gewissen Genugthuung kann man es begrüßen,
Katastrophe, welche uns in China betroffen,
volle Ernst der sogenannten Weltpolitik vor Augen gebracht wird. Man wird nun wohl einsehen, daß mit einigen Reden beim Frühstück Welwpolitik nicht gemacht werden kann. Finden wir doch, daß an gewisser Stelle die Weltpolitik in einer romantisch⸗phantastischen Weise aufgefaßt wird. Ich möchte an das Dichterwort erinnern: „Dicht bei einander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.“ Wie dürfen zum Reichskanzler das Vertrauen haben, daß er in der China⸗Politik die richtigen Wege finden wird; mt der Art, wie er vorgestern sein Programm entwickelt hat, dürften wir Alle einverstanden sein. Es ist dann von sozialdemokratischer Seite behauptet worden. daß die Missionen schuld an dem chmesischen Bexer⸗Aufstand seien. Nichts ist irriger als diese Behauptaug. China ist im Laufe dieses Jahrhunderts wiederholt von diesen Revolutiogen heimgesucht worden. Der Süden streitet gegen den Norden. Die sozialen Verhältnisse haben sich wesentlich geändert, und schwache Monarchen sind wiederholt nicht im stande gewesen, den Unruhen zu steuern. Der Abg. Bebel hat sich zu der Aeußerung verstiegen, unsere Missionen in China seien ganz überflüssig, weil die Moral⸗ lehren des Confucius den christlichen mindestens gleichwerthig seien. Er hat gesagt: was würden Sie wohl thun, wenn Heiden⸗ missionäre zu uns lämen und uns zum Heidenthum bekehren wollten? Diese Mission würde wahrscheinlich höchst harm⸗ los verlaufen. Wir würden die Leute ein paar Mal anhören, und dann würden sie uns langweilig werden. 3
daß durch die uns einmal der
Auf dem großen Religions⸗ varlament in Chicago haben ja die Anhänger fast aller Religionen Reden gehalten. Es waren gerade dabei die Verteeter des Heiden⸗ thums, die am wenigsten Eidruck machten. Bei uns ig Peutschland würden die Heidenmissionare höchstens bei den Sozialdemokraten Proselyten machen, die ja nicht mit Uarecht die modernen Heiden genannt werden. Also die christlichen Missionen sind an den Wirren in China nicht allein schuld (Zurufe links), nicht einmal zu einem wesentlichen Theile. Was wollen die Kolonialmächte machen, wenn nicht die Missionen mit ihnen gehen? Aber ich bestreite, was man gegen diese Misstogen gesagt hat. Ich kenne die Anklagen des Herrn von Brandt. Zueist schrieb er, die fremden⸗ feindliche Stimmung in China sei auf die aufdringliche Thätigkeit, esonders der protestautischen Misstonare, zurückzuführen Angesaßt, diese Dinge zu beweisen, schrieb er, die deutschen und schweizerischen Missionate nähmen im allaemeinen eine viel besonnenere und ver⸗ tändigere und weniger offensive Haltung ein als die anderen; sie trieben memals Politit. Aoch die übrigen Anklagen des Herrn von Brandt sind nicht begründet. Daß aber im Deutschen Reichstage sich jemand finden würde, der die Uathaten der Boxer ver⸗ theidigen würde, das hälte sich nicht einmal Prinz Tuan träumen lassen! Es giebt eige Richtung unter den Missonsgesellschaften, die auf den Schutz der Regierung verzichten möchte. Wenn nun aber Missionare dorthin gehen, auf den Schutz der Regierung verzichten
und ermordet werden, und der betreffende Staat thut nichts, so fällt
- nicht nur auf die Missionen, sondern auch auf den Staat. Allo ieser rein abstrakte Standpunkt ist nicht durchzuführen; nur eine Ver⸗ quickung der Mission mit der hohen Politik muß vermieden weeden; 8 allgemeinen aber steht fest, daß das Blut der Märtyrer der Samen er Kirche gewesen ist. vAX“
1 Vize⸗Präsident Dr. von Frege⸗Weltzien: Während der Rede des Abg. Stoecker ist der laute Zwischenruf der Lüge vorgekommen. Ich stelle fest, daß dieser Zwischenruf vom Abg. Fischer (Berl n) ausgesprochen worden ist, und ich rufe denselben deshalb zur Ordnung. (Zwischen⸗ ruf bei den Sozialdemokraten: „Auch ich habe so gerufen!“) Ich rufe diesen Abgeordnelen, der das eben gesagt hat, gleichfalls zur Oednung.
Abg. Freiherr von Hodenberg (b. k. F.): Für die Ueberweisung der Vorlage an die Budagetkommission stimmen auch wir, da wir an⸗ erkennen, daß die Vorgänge in China, soweit das deutsche Recht und die deutsche Ehre in Betracht kommen, eine kräftige Sühne erheischen. Den Ausführungen des Herrn Stsoecker gegenüber möchte ich darauf hinweisen, daß die Mandschu⸗ Dynastie in China vielfach als eine usurpakorische und nicht zu Recht bestehende angesehen wird. Wir vermutben freeilich, daß es den Großmächten, die in China engagiert sind, doch nicht so sehr daran gelegen ist, den Frieden herzustellen, als im Trüben zu fischen und ihren Besitz zu erweitern. Die Nichteinberufung des Reichs⸗ rages halten auch wir für einen großen Fehler. Nachdem der Reichskanzler sich bezuüͤglich der Indemnität entgegenkommend ausgesprochen hat, tritt diese Angelegenheit in ihrer Bedeutung zurück. Daß der Reichstag so nichtachtend behandelt worden ist, daran trägt er freilich selbst die Schuld. Das Gefühl für die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit sollte sich doch etwas schärfer manifestieren. Kann ein Minister die Einberufung des Reichstages, wenn er sie für nothwendig hält, nicht durchsetzen, so soll er von seinem Amt zurücktreten. Auch bei dem vSSe;-. des Grafen Waldersee hat sih diese absolutistische Tendenz gezeigt.
Akg. Singer (Soz.) führt aus, der Vertreter Bayeras habe die Stellung des Bundesraths zu rechtfertigen versucht und dabei aus⸗ gesprochen, daß mit der Zusammenberufung des diplomatischen Ausschusses allen berechtigten Forderungen Genüge geschehen sei. Dieser sogenannte diplomatische Ausschuß im Bundesrath sei doch nichts weiter als eine Dekoration. Der Bundesrath vertrete doch nicht das Volk., sondern sei lediglich eine greifbare Zusammenfassung der verbündeten Regierungen. Dem Abg. Stoeccker bemerkt Redner, daß er nicht unterrichtet gewesen sei, wenn er meinte, daß die anderen Staaten ihre Parlamente auch nicht berufen hätten, also die Berufung des Deutschen Reiche tages auch nicht nöthig gewesen wäre. Thatsache sei, daß in England und Frankreich die Parlamente versammelt gewesen seien, und die Regie⸗ rung den Volksvertretern Rede gestanden habe. Der Abg. Stoecker habe also hier nicht den Thatsachen entsprechend berichtet. (Zuruf bei den Sozjaldemokraten: Immer!) Der Aba. Bebel habe auch in diesem Pankt in seiner Rede unumstößliche Wahrheiten ausgesprochen. Der Abg. Stoecker könne einmal die Wahrheit nicht leiden. (Präsident Czraf von Ballestrem ruft den Redner wegen dieser Aeußerung zur Ordnung.) Der Abg. Stoecker spreche ferner über die „Hunnenbriefe“ und halte sich über die Leichtfertigkeit auf, mit der solche Briefe entstehen; die Schreiber solcher Briefe hätten allerdings nicht die Zeit, sich so vorsichtig ihre Ausdrücke zu überlegen, wie ein ewisser Verfasser eines gewissen „Scheiterbaufenbriefes“. Wenn der Abg. Stoeccker be⸗ haupte, daß die Soztaldemokratie die Erschi⸗ßung des Pariser Erz⸗ bischofs durch die Commune gebilligt habe, so habe er sich damit, natüclich unbewußt, zum Verbreiter einer groben Lüge gemacht. Was die Indemnität detreffe, so sei es zwar sehr freundlich von vem Reichskanzler gewesen, um dieselbe nachzusuchen; aber wer bürge für die Nichtwiederholung derartiger Verfassungsverletzungen? Die Stellungnahme der Sozialdemokraten könne dieses Entgegenkommen nicht beeinflussen; vorher hätte der Reichstag befragt werden müssen. De Art und Weise, wie überhaupt diese Frage behandelt werde, entspreche nicht dem Ernst der Sache. Die Reichs⸗ politik set auf das Niveau einer russisch⸗asiatisch’en Politik berab⸗ gesunken. Der Kciegs⸗Minister habe die Vorlegung der Originale der ⸗Hunneabriefe“ verlangt und gesagt, daß dieseiben zu Unter⸗ suchüngszwecken benutzt werden sollen. Diese Briefe würden die Sozialdemokraten nicht vorlegen, nicht etwa deshalb, weil an der Wahcheit des Jahalts gezweifelt werden könnte, sondern weil das deuische Volk allen Leuten, die die Waorheit aus China schrieben, autrichtig dankbar sein müßte. Sie hofften aber, daß die Militärverwaltung Auskunft über die Untersuchang geben werde, welche wegen der „Hunnenbriefe“ eingeleitet werden solle. Der Redner wünscht sodann bessere offizielle Berichterstattung über die Vorgänge in China, da die Familien der Soldaten ein Recht auf schleunige Bericht⸗ erstattung hätten. Er führt weiter aus, daß die zusammengelaufenen Boxerhaufen unmöglich als ein Volksheer bezeichnet werden könnten, und macht gegenüber dem Abg. Bassermann geltend, daß die von diesem zitierten „Sozialistischen Monatshefte“ kein offizielles sozial⸗ demokratisches Parteiorgan seien, sondern eine Revue uad ein Svrech⸗ saal für die verschiedensten sozialistischen Richtungen. Als der Redner sodann die deutsche Finanzpolitik als eine „Raubpolitik“ bezeichnet, wird er von dem Präsidenten Grafen von Ballestrem zum zweiten Mal zur Ordnung gerufen unter Hinweis auf die geschäftsordnungs⸗ mäßigen Folgen. Des weiteren bestreitet sodann der Redner, daß die Chinapolitik im Interesse der deutschen Arbeiterschaft liege, und erklärt, daß seine Partei gegen die geforderte Bewilligung stimmen werde.
Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Dis Ansehen des Reichstages würde nur dann herabgehen, wenn er nothwendige Ausgaben ablehnte. Die Indemnität verliert nicht dadurch an Werth, daß sie der Reichs⸗ kanzler freiwillig zugesagt hat. Eine sachliche Verständigung zwischen Reichstag und Regierung ist ein besserer Zustand, als wenn die Regierung sich das, was dem Reichstage zukommt, abzwingen lägt. Der Parlamentarismus fährt damit am besten. Würde er etwa an Ansehen gewinnen, wenn die China⸗Expedition nach den Wünschen der Abgg. Singer und Bebel mißbilligt würde? Das hieße die E mordung des Freiherrn von Ketteler gut⸗ heißen und die Sühne sär die begangenen Frevel negieren. Verwunderlich war es mir, daß der bayerische Bundesbevol mächtigte den Unterschted zwischen nachträglicher Genehmigung und Indemnität nicht gelten lassen will Der Keichstag konnte und maßte gefragt werden; das ist der Sinn der Indemnität, und ich zweifle nicht, daß der Reichskanzler diese Auffassung theilr. Die Abga. Bevpel und Singer haben scharfe und undegründete Angriffe gegen die Missionen, insdesondere die katholischen Missionen des Bischofs Anzer, gerichtet. Ich bin dem Reichskanzler dankdar für die Aeußerung, daß er sich nicht derleiten lassen wolle zu einer Differenzierung der katholischen Mi sionen. Eine solche Vertheidigung war zu erwarten. Daß einzelne Chinesen wegen materieller Vortbeile sich bestimmen lassen, dem Christenthum beizutreten, wie der Abg. Richter behauptet, mag in vereinzelten Fällen vorkommen; allgem in aber ist diese Behauptong dinfällig. Glauben Ste, daß alle diese Märtprer ihr Hab und Guat, he. Leben aufs Spiel setzen aus wirthschaftlichen Beweggründen? Die Bekehrten gehören allerdings in der Hauptsache den unteren Klassen an; dmaus folgt ader nicht, daß sie den schlechtesten ange⸗ hören. Den Armen wüurde auch das Urchristenthum gepredigt. Nur sehr selten kommt es vor, daß Leute aufgenommen weroen, die nicht eine tiefreligiöse Ueberzeugung haden. Mit dem Schutz der Ver⸗ brecher würden die Mässtonare nicht weit kommen. Es sind vielmehr die strengsten Vorschriten von Bischof Anzer erlassen worden, um zu verhuüͤten, daß sich die Misstenare irgendwelche Uagerechtigkeit zu Schulden kommen lassen. Die karbolischen Missionen find an den Un⸗ ruhen nicht schuld. Es ist auch unwahr, daß der Bischof Anzer, wie der Abg. Bedel sagt, in diesen Wirren eine verhängn ißvolle Rolle gespielt hat. Anzer wurde hier in Berlin von Seiner Majestät dem Kaiser gefragt, ob ihm der ins Auge gesaßte Hafen geeignet schtene. Er hat zunächst die Antwort abgelehnt und dat ausdrücklich erklärt, daß er nicht als Müsionar antworte, sondern nur als deutscher Staatsangehörtger die Pachtung von Kiautschou empfedle. Ob diese Antwort im Interesse seiner Misston lag, ist zweiselhast; aber er hat im Interesse des Deutschen Reichs gehandelt und verdient nicht die Vorwürfe, die gegen ihn gerichtet worden sind. Daß er den Gebartsort des Confucius als Residenz wahlte, dat sich durchaus nicht als unzweck⸗ mäßtg erwiesen. Es dandelt sich nicht um ein Eindringen in die Pagode des Confveius, sondern er ist vom Tao tai, der höchsten Behoöͤrde, eingeladen worden, sich dorthin zu begeben, um mit den Mandarinen zu verhandelin. Das war eine Falle; man
wollte den Bischof durch Geschrei veranlassen, die Stadt zu ver⸗ lassen. Seitdem ist es dort ganz ruhig geblieben. Wenn Li⸗ Hung⸗Tschang oder ein anderer Chinese den Kölner Dom hätte besuchen wollen, kein Haar wäre ihm gekrümmt worden. Bischof Anzer hat es ferngelegen, zu behaupten, daß die Erwerbung von Kiautschou der Grund zu den Chinagreueln gewesen sei. Man hat ihn in dieser Beziehung mißverstanden. Der Missionar darf niemals der Agent seiner Regierung sein, er verlangt nur Schutz von Leben und Gesundheit und Besitz. Die Missionare wirken unter dem Schutz der von ihren Staaten mit China abgeschlossenen Verträge und des Völkerrechts. Wenn unsere Regierung für Leib und Leben der bei uns wohnenden Chinesen und Japaner eintritt, so können wir dasselbe auch von der chinesischen Regierung ver⸗ langen. Ex., hat uns gefreut, daß der Reichskanzler die Ausübung des Proteklorats als eine Ehrenpflicht des Deutschen Reichs erklärt hat. Die materiellen Interessen der Kaufleute und die ideellen Interessen der Missionare müssen mindestens auf gleichem Fuße behandelt werden Möge bald Ruhe und Oednung in China einkehren, damit die Missionen ihre segensreiche Thätigkeit mit dem alten Erfolge entfalten können! Es liegt mir mit diesen Aus⸗ führungen fern, einen ungesunden Chauvinismus zu befördern. Große Worte fördern das richtige Ziel der Vertretung berechtigter Interessen nicht. Wenn diese Schütung des Chauvinismus im Lande und in der Presse so weiter geht, so kann sie das Volk in eine Stimmung hineintreiben, die einmal sehr gefährlich werden tann. Bewahren wir uns den ernsten und nüchternen Sinn von 1871, damit wird die Zukunft des deutschen Volkes am besten gesichert sein.
Abg,. Freiherr von Wangenheim⸗Pyritz (d. kons, schwer verständlich): Wir Agrarier haben kein spezielles Interesse an der China⸗Expedition, glauben vielmehr, daß dieselbe den Freunden des Herrn Richter willkommener sein muß. Indessen billigen wir aus nationalen Gründen die Expedition vollständig und freuen uns, daß außer den Sozialdemokraten sämmtliche Parteien dieses Hauses mit derselben einverstanden sind. Dabei ist allerdings nicht zu ver⸗ kennen, daß wir uns vor Chauvinismus hüten müssen, weil dieser dem deutschen Volkscharakter nicht entspricht. Daß preußische Soldaten in China Greuel gegen Frauen und Kinder verübt haben sollen, ist stare zu hezweifeln. Wenigstens haben sich im Jahre 1870 die deutschen Soldaten in Frankreich keinerlei Greuel schuldig gemacht. Wenn einzelne Grausamkeiten vorgekommen sein sollten, so würde dies haupt⸗ sächlich auf die sozialdemokratische Agitation zurückzuführen sein. Ob es daher besser werden würde, wenn wir statt des Grafen Waldersee Herrn Bebel als Oberbefehlshaber nach China schicken würden, steht sehr dahln. Selbst wenn der Reichstag schon im Sommer ein⸗ berufen worden wäre, würde er bei seiner Zusammensetzung doch in kurzer Zeit alles bewilligt habea. Daß die Einberufung nicht erfolgt ist, hat der Abg. Richter wesentlich mitverschuldet, indem er in der „Freisiagnigen Zeitung“ von der Einberufung des Reichs⸗ tages abgerafhen hat. Dadurch ist der Draht zwischen der Regterung und dem Volk einigermaßen zerrissen worden. So leid es mir thut, muß ich sagen, daß der frühere Reichskanzler an der Nichteinberufung „pes Reichstages zu einem großen Theil mitschuldig ist. Eiren breiten Raum in der Debatte haben sodann zu meinem Bedauern die Reden Seiner Majenät des Kaisers eingenommen. Auch hier ist der frühere Reichskanzler von Schuld nicht freizusprechen. Es ist immerhin eine schwere Schädigung des monarchischen Be⸗ wußtseins, wenn Reden des Monarchen der öffentlichen Kritik unterzogen werden. Wir müssen bestrebt sein, den Nimbus der Majestät zu erhalten; das ist nicht nur unsere, sondern auch des obersten Reichsbeamten erste Pflicht. Daß bei der Rede des Kaisers über den Werftarbeiterstrike in Hamburg äußere Einflüsse sich geltend cemacht haben, ist von dem Abg. Bebel bereits hervorgehoben worden. Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, daß Seine Majestät der Kaiser durch gewisse Kreise mir falschen Berichten beeinflaßt wird. Es giebt einflußreiche Kreise, welche eine Wolke zwischen dem Kaiser und dem Volte herzustellen suchen, welche weniger nach Weihrauch riecht, als nach minder wohlriechenden Dingen. Im Namen von Hundert⸗ tausenden treuer Unterthanen muß ich diese Unterströmungen sehr be⸗ dauern. Der nenue Reichskanzler wurd sich ein Verdienst erwerben, wenn er diesen Unterströmungen zu steuern sucht; dabei werden wir ihn in Schutz nehmen, zumal wir wissen, wie sehr seinerzeit Fürst Bismarck mit solchen Unterströmungen zu kämpsen hatte. Zweifellos hat die Rede des Herrn Reichskanzlers über die Ziele unserer China⸗ Politik beruhigend gewirkt. Dadurch ist eine große Sorge vom Lande genom men worden. Wir müssen bestrebt sein, daß wir immer in den nötbigen Schranken bleiben. Das ist nach den Erklärungen des Herrn Reichskanzlers erfreulicherweise zu erwarten. Unsere Macht ruht im deutschen Vaterland, und wir müssen uns vor überseeischen Abenteuern hüten. Es giebt kein treueres Volk als das deutsche; deshalb ist es auch Aufgabe des Reichskanzlers, die Liebe des Volks zum Monarchen zu pflegen. Wenn der Reichskanzler die Politik in diese Bahnen führt, dann wird er immer eine große Mehrheit des deutschen Volks hinter sich haben.
Hierauf wird ein Antrag auf Vertagung angenommen und die Sitzung nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Stoecker um 5 ¾ Uhr geschlossen.
Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr. (Fortsetzung der Debatte: Interpellation der Abgg. Albrecht und Genossen.)
1 Parlamentarische Nachrichten.
Dem Reichstage ist der nachstehende Entwurf eines Gesetzes wegen Verwendung überschüssiger Reichs⸗ einnahmen aus dem Rechnungsjahr 1901 zur Schuldentilgung zugegangen:
§ 1
Mebersteigen im Rechnungsiahr 1901 die den Bundesstaaten zu stehenden Ueberweisungen aus den Erträgen an Zöllen, Tabacksteuer,
Branntweinverbrauchsabgabe und Zuschlag zu derselben, sowie an Reichsstempelabgaben die aufzubringenden Marrikularbeiträge, so sind drei Viertheile des Ueberschusses an den den Bundesstaaten aus dem Ertrage der Zölle und der Tabacksteuer zu überweisenden Beträgen zu kürzen und zur Verminderung der Reichsschuld zurückzubalten.
Die Verminderung der Reichzschuld erfolgt durch entsprechende Absetzung vom Anleihesoll. Soweit geeignete Anleihekredite nicht mehr offen stehen, wird über die Art der Schuldentilgung durch den Reichshaushalts⸗Ftat Bestimmung getroffen.
18
Uebersteigen im Rechnungsjahr 1903 die Matrikularbeiträge das Etatssoll der Ueberweisungen fuüͤr die gleiche Periode um mebr als den Betrag der für das Rechnungejahr 1901 uber die Matrikalar⸗ beitraͤge hinaus ersolgenden Ueberweisungen, so bleibt der Mehrbetrag insoweit unerhoben, als auf Grund des § 1 Mittel zur Schulden⸗ tilgung verfügbar geworden sind.
Die infolge dessen zur Herstellurg des Gleichgewichts im ordent⸗ lichen Etat erforderliche Deckung erfolgt zu Lasten des außerordentlichen Etats. Jedoch ist von dieser Bestimmung nur in dem Maße Ge⸗ brauch zu machen, als der Bedarfsdetrag nicht durch Mehrerträge bei den Ueberweisungssteuern Deckung findet. 1u“ b
Von den Abgg. Dr. Lieber und Genossen ist im Reichstage folgender Antrag eingebracht worden:
Der Reichstag wolle folgendem Gesetzentwurf die verfassungs⸗ mäßige Zustimmung ertheilen: 8 Gesetz über die eingetragenen Berufsvereine.
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Werden Vereine, welche die Wahrung und Förderung der Beruf und Standesinteressen desttmmter Personenkreise bezwecken, zur Ein⸗ tragung in dar Vereinsregister angemeldet, so kann die Verwaltungs⸗