1900 / 282 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 27 Nov 1900 18:00:01 GMT) scan diff

das Schiedsgericht zu einer Sitzung an einen anderen Ort seines Beßir ko zu berufen, wenn dies zur Ersparung an Kosten oder Reisen, zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Erleichterung

der Beweisaufnahme zweckmäßig erscheint.

13. 8 Oeffentlichkeit des Verfahrens.

Die mündliche Verhandlung erfolgt in öffentlicher Sitzung. Die Oeffentlichkeit kann durch einen gt nüof u Beschluß ausgeschlossen werden, wenn das Schiedsgericht dies aus Gründen des öffentlichen Wohles oder der Sittlichkeit für

angemessen erachtet.

Die Vorschriften der §§ 176 bis 182, 184 des Gerichts⸗ verfassungsgesetzes über die Aufrechterhaltung der Ordnung finden entsprechende Anwendung. Ueber die Beschwerde gegen Ordnungsstrafen entscheidet endgültig die höhere Verwaltungs⸗ behörde, in deren Bezirk sich der Sitz des Schiedsgerichts Die Beschwerde ist binnen zwei Wochen nach der Zustellung der Strafverfügung bei der zur Entscheidung zu⸗

befindet.

ständigen Stelle einzulegen. Die vom Schiedsgerichte festgesetzten Strafen werden in der⸗ selben Weise beigetrieben wie Gemeindeabgaben und fließen bei Birbisachen aus der Invalidenversicherung in die Kasse der Versicherungsanstalt, bei Streitsachen aus der Unfallversicherung in die Kasse der Berufsgenossenschaft oder der Ausführungs⸗

behörde. § 14.

Die mündliche Verhandlung beginnt mit der Darstellung des Sachverhalts durch den Vorsitzenden oder durch einen von diesem ernannten Berichterstatter. Demnächst sind die er⸗ schienenen Betheiligten zu hören. Der Vorsitzende hat jedem Beisitzer auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen. § 15. Erledigung der Berufung durch Vergleich.

Eine Berufung kann durch Vergleich erledigt werden, wenn dieser sich auf den streitigen Anspruch selbst und auf die etwaigen außergerichtlichen Kosten erstreckt. 3

§ 16. Sitzungsprotokoll.

Die mündliche Verhandlung erfolgt unter Zuziehung eines vereidigten Protokollführers. Von demselben 8 Uiehncg eineh aufzunehmen, welches die Namen des Vorsitzenden und der mitwirkenden Beisitzer, deren Eigenschaft als Vorsitzender, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sowie die Bezeichnung des Be⸗ rufs der Beisitzer enthält und den Gang der Verhandlung im allgemeinen angiebt. Außerdem sind durch Aufnahme in das Protokoll fest⸗ zustellen: 1) Erklärungen der Parteien, welche die Zurücknahme einer Berufung bezwecken, ferner Anerkenntnisse, Verzicht⸗ 1 1e 8 1 olche Anträge und Erklärungen der Parteien, wel von den Schriftsätzen abweichen; 8 1 .3) die Aussagen der Zeugen und Sachverständigen, soweit dieselben früher nicht abgehört waren oder von ihrer früheren Aussage abweichen; 4) die Ergebnisse eines Augenscheins;

5) Beschlüsse des Schiedsgerichts und die Urtheilsformel. Das Protokoll ist, soweit in demselben Vergleiche, An⸗ erkenntnisse oder Verzichtleistungen festgestellt worden sind, den Betheiligten vorzulesen. In dem Protokoll ist zu bemerken, daß die Vorlesung stattgefunden hat und daß die Genehmigung erfolgt ist, oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

Das Protokoll ist von dem Vorsitzenden und dem Protok⸗ Uführer zu unterzeichnen.

1 d4* Das Gericht hat den zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweis in vollem Umfange zu erheben, ohne ücksicht darauf, ob dieser Beweis von den Parteien angetreten worden ist oder nicht.

Der Vorsitzende ist befagt, zur mündlichen Verhandlung auch ohne vorausgehenden Beschluß des Schiedsgerichts Zeugen und Sachverständige vorzuladen sowie das persönliche Erscheinen eines Betheiligten anzuordnen 11 Abs. 3 dieser Verordnung, § 9 Abs. 5 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfall⸗ ö Die Beweiserhebung erfolgt in der Regel in der münd⸗ lichen Verhandlung. Das Schiedsgericht ist jedoch befugt, den Beweis durch ein Mitglied oder gemäß § 172 des Invaliden⸗ versicherungsgesetzes, § 144 des Gewerbe⸗Unfallversicherungs⸗ Fes § 154 des Unfallversicherungsgesetzes für Land⸗ und Forstwirthschaft, § 45 Abs. 2 des Bau⸗Unfallversicherungs⸗ gesetzes, 141 des See⸗Unfallversicherungsgesetzes durch eine öffentliche Behörde erheben zu lassen. Geeignetenfalls steht die b der Beweiserhebung auch dem Vorsitzenden schon or Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu.

Die Beweisverhandlungen sind unter Zusziehung eines vereidigten oder durch Handschlag zu verpflichtenden Protokoll⸗ führers aufzunehmen; die Betheiligten sind zu benachrichtigen. 18.

Hinsichtlich der Verpflichtung, sich als Zeuge oder Sach⸗ verständiger vernehmen zu lassen und die Aussagen eidlich zu erhärten, finden die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung enisprechende Anwendung. Insbesondere ist das Schieds⸗ gericht befugt, gegen Zeugen und Saächverständige, welche sich nicht oder nicht rechtzeitig zu den Sitzungen einfinden, oder ihre Aussage oder die Eidesleistung ohne Angabe eines Grundes oder, nachdem der vorgeschützte Grund rechtskräftig für unerheblich erklärt ist, verweigern, eine Geldstrafe bis zu dreihundert Mark festzusetzen. Kommt die Verhängung oder Vollstreckung von Zwangsmaßregeln in Frage, so ist um diese das Amtsgericht zu ersuchen, in dessen deg. die Zeugen oder Sachverständigen ihren Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren Aufenthalt haben. Auf Militärpersonen, welche dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehören, finden die Vorschriften des § 380 Abs. 4, .“ 4, § 409 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung An⸗ Gexgen die Beschlüsse des Schiedsgerichts findet binnen einer Frist von zwei Wochen nach deren Zustellung die Be⸗ schwerde an das Reichs⸗Versicherungsamt statt, in Streitsachen aus der Unfallversicherung tritt an dessen Stelle das Landes⸗ Versicherungsamt, sofern die Entscheidung auf einen Rekurs ö1“ die Beschwerde ist schriftlich beim Schiedsgericht

nzulegen.

Erfolgt nachträglich eine genügende Entschuldigung für

8

das Verhalten des Zeugen oder Sachverständigen, so find die

Die Zeugen und Sachverständigen erhalten Gebühren na E der Gebührenordnung für Zeugen ständige (Reichs⸗Gesetzbl. 1898 S. 689). § 19. Entscheidung.

18

nsprüche nach freiem Ermessen. Bilden sich in Beziehun auf Summen, über welche zu entscheiden ist, mehr als zwe Meinungen, deren

eine Mehrheit ergiebt.

öffentlicher Sitzung; vor welchen bie mündliche Verhandlung stattgefunden hat.

9 Gerichtliche Kosten.

Die Festsetzung der gerichtlichen Kosten I ah e behaltlich der Bestimmung des § 10 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, die Versicherungsanstalt zu tragen hat, erfolgt durch den Vor⸗ sitzenden des Schiedsgerichts. Wird seine Festsetzung an⸗ gefochten, so ist die Entscheidung des Schiedsgerichts herbei⸗ zuführen.

Gegen diese Entscheidung findet Beschwerde an das Reichs⸗ Versicherungsamt statt. Die Beschwerde ist binnen einem Monate nach der Zustellung des Festsetzungsbescheids schriftlich beim Schiedsgericht einzureichen, das, wenn es die Beschwerde für begründet erachtet, ihr stattgeben kann. Anderenfalls ist die Beschwerde mit einer gutachtlichen Aeußerung unter Bei⸗ fügung der Verhandlungen dem Reichs⸗Versicherungsamt ein⸗ zureichen. Der Vorsitzende des Schiedsgerichts, in Streitsachen aus der Unfallversicherung aber das Schiedsgericht, kann den Be⸗ theiligten solche Kosten des Verfahrens zur Last legen, welche durch Muthwillen oder durch ein auf Verschleppung oder Irre⸗ führung berechnetes Verhalten veranlaßt worden sind 104 Abs. 5 in Verbindung mit § 64 Abs. 5 des Invalidenver⸗ sicherungsgesetzes; § 10 Abs. 4 des Gesetzes, betreffend die Ab⸗ änderung der Unfallversicherungsgesetze). C1111“

Außergerichtliche Kosten 8 Das Schiedsgericht hat, ohne daß es eines Antrags be⸗ darf, zugleich mit der Entscheidung über die Hauptsache zu prüfen, ob und in welchem Betrage die unterliegende Partei dem Gegner die ihm in dem Verfahren vor dem Schieds⸗ gericht erwachsenen Kosten zu erstatten hat. Die Festsetzung des Betrags erfolgt nach freiem Ermessen. Dasselbe gilt, so lange nicht durch die im § 20 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, vorgesehene Ver⸗ ordnung etwas Anderes bestimmt wird, unter Berücksichtigung der zweckentsprechend aufgewendeten Fit und Mühewaltung auch für Rechtsanwälte sowie sonstige Vertreter und Beistände der Parteien. Die von einer Partei zu erstattenden außergerichtlichen Kosten werden auf Antrag durch Vermittelung des Schieds⸗ gerichts in derselben Weise beigetrieben wie Gemeindeabgaben.

8 § 22.

Abstimmung. Bei der Abstimmung stimmt der etwa bestellte Bericht⸗ erstatter 14) zuerst. Im übrigen richtet sich bei der Ab⸗ stimmung der Beisitzer die Reihenfolge nach dem Lebensalter dergestalt, daß der Jüngste zuerst stimmt. Der Vorsitzende stimmt in allen Fällen zuletzt.

Verkündung.

1 Vorsitzende verkündet den Beschluß oder die Ent⸗ scheidung in öffentlicher Sitzung. Die Verkündung kann auf eine sofort anzuberaumende spätere Sitzung vertagt werden, welche in der Regel binnen einer Woche stattfinden soll.

Wird die Verkündung der Gründe für angemessen ge⸗ halten, so erfolgt sie durch mündliche Mittheilung des wesent⸗ lichen Inhalts.

Form und Ausfertigung der Entscheidung.

§ 24.

Die Entscheidungen enthalten eine gedrängte Darstellung des Sach⸗ und Streitstandes auf Ged bes 1as, ha Ver⸗ handlungen unter Hervorhebung der in der Sache gestellten Anträge (Thatbestand), ferner die Entscheidungsgründe und die von der Darstellung des Thatbestandes und der Entschei⸗ dungsgründe äußerlich zu sondernde Urtheilsformel. Die Ent⸗ scheidungen sind in der Urschrift von dem Vorsitzenden zu unterschreiben; im Falle seiner Behinderung unterschreibt der dem Lebensalter nach älteste mitwirkende Beisitzer.

Bei den Ausfertigungen der Entscheidungen sind im Ein⸗ gange die Mitglieder des Schledsgerichts hee eg der 8 v Pec e Maßgabe des § 16

atlich aufzuführen und der Sitzungstag, an m di Entscheidung erfolgt ist, zu 6s ö“ Die Ausfertigungen enthalten neben Schiedsgerichts 26) die Schlußformel:

„Urkundlich unter Siegel und Unterschrift.“

Das Schiedsgericht für Arbeiterversicherung . . ..“ 8 Die Vollziehung erfolgt durch den Vorsitzenden oder im Falle seiner Behinderung in Vertretung durch dessen Stell⸗ ö“ 1 Die Entscheidungen sollen spätestens innerhalb drei nach ihrer Verkündung den Parteien nacgeene La Be2e g

§ 26. Das Schiedsgericht führt ein Siegel, welches durch di für den Sitz des Schiedsgerichts säändige L . a behörde Uchtnn wird.

dem Siegel des

III. Besondere Vorschriften über das Verf r 1 erfahren bei Anträgen auf anderweite Feststellung der

Unfallentschädigungen. 1

§ 27.

Der im § 88 Abs. 3 des Gewerbe⸗Unfallversiche ra“ werbe⸗ rungs⸗ gesetzes, § 94 Abs. 3 des CX“X“ 8* und Forstwirthschaft, § 92 Abs. 3 des See⸗Unfallversicherungs⸗ gesetzes vorgesehene Antrag auf anderweite Feststellung einer

getroffenen Anordnungen wieder aufzuheben.

Entschädigung ist seitens der Berufsgenossenschaft oder der

die nach § 107 Abs. 1 des Invalidenversicherungsgesetzes vor⸗

und Sachver⸗

Das Schiedsgericht entscheidet innerhalb der erhobenen

keine die Mehrheit für sich hat, so werden die für die größte Summe abgegebenen Stimmen den für die zunächst geringere abgegebenen solange hinzugerechnet, bis sich

Die Berathung und Beschlußfassung erfolgt in nicht⸗ hierbei dürfen nur Mitglieder mitwirken,

Der Verletzte kann den Antrag schriftlich oder zu Pr des Söiedegerschts oder einer anderen fhcgder gu Peg 2 oder eines Genossenschaftsorgans beziehungsweise eines de ehörde Seemannsamts im Auslande stellen. Diese Stellen zdeuüchen Antrag ungesäumt an das zuständige Schiedsgericht 88 8 den Zuständig ist dasjenige Schiedsgericht, das enigehen. dieser Verordnung zuständig sein würde, falls es sich um die⸗ Einlegung 8. Bet n eeen sich um die

em Antrage der Berufsgenossenschaft oder Ausfüm behörde sind die Vorverhandlungen eigufügen ussücrunge⸗ lagen, auf Grund deren die Herabsetzung oder Aufhebun Ss folcgen solh 1 1““ g er⸗

er Verletzte hat in seinem Antrage die Unter Grund deren die Erhöhung oder Wiedergewährung dcgens au behee wfcd. Aecgohag; zu .“ 8

ei schriftlicher Stellung sind dem Antra Unterlagen Abschriften beizufügen. F and seinen

Entsteht unter meh Ln.

Entsteht unter mehreren iedsgerichten Streit über i uständigkeit, so entscheidet das Reichs⸗ oder Fes bh icherungsamt 6).

§ 29.

Der Zeitpunkt des Einganges ist sofort auf dem? und auf dessen Abschrift zu bemerken. Ist 89g . Abschrift nicht beigefügt, so ist eine solche zu fertigen und auf diese der Vermerk des Einganges zu übertragen. Die Be⸗ stimmungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 finden Anwendung. 8

§ 30.

Nach Eingang des Antrags hat der Vorsitzende die Vor⸗ verhandlungen, auch diejenigen des Reichs⸗ oder Landes⸗Ver⸗ sicherungsamts, falls bei demselben früher ein Verfahren an⸗ hängig gewesen ist, einzufordern.

Ist das Schiedsgericht gesetzlich zur Entscheidung über Antrag nicht zuständig, so kann der Vorftgende 2 Un en durch einen mit Gründen zu versehenden Bescheid zurück⸗ weisen. Die Anfertigung einer Abschrift des Antrags seitens des Schiedsgerichts 29) kann in diesem Fall einstweilen e. 8

ie Bestimmungen des § 8 Abs. 2, 3, 4 find 3 sprechende Fne u“ I1II

Sofern die Voraussetzungen des § 31 nicht vorliegen, ha sas die ,. 8 188 hee agen dem Gegner mit der Anheimgabe mitzuthei Gegenschrift einzureichen. 8

Im weiteren Verfahren finden die Bestimmungen des § 9 Abs. 2, 3 sowie der §§ 10 bis 26 entsprechende Anwendung.

§ 33. Geschaftsbetrieb.

Ddie Schiedsgerichte unterliegen der Beaufsichtigung dur

die für ihre Sitze zuständigen gen. dees san h e 2. von denselben zu bestimmenden anderen Behörden.

Ueber Beschwerden der Parteien, die die Prozeßführung betreffen, entscheidet in Streitsachen aus der Invalidenversiche⸗ rung das Reichs⸗Versicherungsamt, in Streitsachen aus der Unfallversicherung das Reichs⸗Versicherungsamt oder das Landes⸗Versicherungsamt, letzteres, sofern ihm die Entscheidung auf einen Rekurs zusteht. b Auf die Beseitigung von Verzögerungen oder sonstigen Unregelmäßigkeiten in der Prozeßführung hat das Reichs⸗ oder Landes⸗Versicherungsamt, auch ohne daß Beschwerden der Partei vorliegen, hinzuwirken. Bleiben die aus diesem Anlaß

behörden um Abhilfe zu ersuchen.

Geschäftssprache. In Betreff der Geschäftssprache vor dem Schiedsgerichte finden die Bestimmungen in den §§ 186ff. des Gerichts⸗ verfassungsgesetzes entsprechende Anwendung. Eingaben, welche nicht in deutscher Sprache abgefaßt sind, werden nicht berück⸗

§ 35. Geschäftsbericht. 8 Am Schlusse eines jeden Jahres hat der Vorsitzende des Schiedsgerichts dem Reichs⸗Versicherungsamte zu dem von diesem zu bestimmenden Zeitpunkt und nach dem von dem⸗ selben vorzuschreibenden Muster einen Geschäftsbericht einzu⸗

§ 36.

Besondere Bestimmungen über Fristen. Bei Streitsachen aus der Invalidenversicherung gelten für Seeleute, welche sich außerhalb Europas aufhalten, hinsichtlich der in dieser Verordnung besimmten Fristen die Vorschriften des 8 167 Abs. 3 des Invalidenversicherungsgesetzes. Bei Streit⸗ achen aus der See⸗Unfallversicherung gelten für Personen, welche sich außerhalb Europas aufhalten, die gemäß § 80 Abs. 4 des See⸗U 1

§ 37. Schlußbestimmungen.

Diese Verordnung tritt mit dem Tage in Kraft, von welchem ab die im § 3 des Gesetzes, betreffend die Abände⸗ rung der Unfallversicherungsgesetze, vom 30. Juni 1900 be⸗ zeichneten Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung in Thätigkeit treten 25 a. a. O.). Mit demselben Tage treten die Be⸗ stimmungen der Verordnung über das Verfahren vor den auf Grund des Unfallversicherungsgesetzes errichteten Schieds⸗ gerichten vom 2. November 1885 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 279), die Bestimmung im Artikel III der Verordnung, betreffend die Formen des Verfahrens und den Geschäftsgang des Reichs⸗ Versicherungsamts sowie das Verfahren vor den auf Grund der Gesetze vom 5. Mai 1886 und vom 13. Juli 1887 errichteten Schiedsgerichten, vom 13. November 1887 (Reichs⸗ Gesetzbl. S. 523) sowie die Bestimmungen der Verordnung, betreffend das Verfahren vor den auf Grund des Invaliden⸗ versicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichten, vom 6. De⸗ zember 1899 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 677), außer Wirksamkeit. Auf die zur Zeit des Iakrafttretens dieser Verordnung bei den Schiedsgerichten schwebenden Berufungen finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung. 1 8 ÜUrkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel. 8 Gegeben Homburg v. d. Höhe, den 22. November 1900.

L. S.) Wilhelm.

Graf von Posadowsky.

Ausführungsbehörde beim Schiedsgerichte schriftlich zu stellen.

ergangenen Weisungen ohne Erfolg, so sind die Aufsichts⸗ 8 88

sichtigt.

reichen.

nfallversicherungsgesetzes festgesetzten Fristen.

Verordnung, e Schiedsgerichte für Arbeiter⸗ versicherung.

Vom 22. November 1900. 8

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen ec. verordnen auf Grund des § 25 Abs. 1 Ziffer 1 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, vom -h. Juni 1900 (Neichs⸗Gesetzbl. S. 335) im Namen des seichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths, was folgt: Der Zeitpunkt, von welchem ab die Schiedsgerichte für grbeiterversicherung (S 3 a. a. O.) an die Stelle der bis⸗ erigen nach Berufsgenossenschaften errichteten Schiedsgerichte ur Fntscheidun von Streitigkeiten aus der Unfallversicherung sreten, wird auf den 1. Januar 1901 festgesetzt. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Homburg v. d. Höhe, den 22. November 1900. (L. S.) Wilhelm. Graf von Posadowsky.

Deeutscher Reichstag. 8. Sitzung vom 26. November 1900. 1 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht zunächst folgende Inter⸗ vellation des Abg. Grafen von Oriola (nl.):

„Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft darüber zu geben, ob die Vorarbeiten für die von dem Herrn Kriegs⸗Minister in Aussicht gestellte Vorlage, betreffend die Revision der Militär⸗ Hensionsgesetze, beendet sind, und ob anzunehmen ist, daß diese Vorlage im Laufe dieser Session an den Reichstag gelangen wird?“

Auf die Frage des Präsidenten erklärt sich der

Staatssekretär des Reichsschatzamtes Dr. Freiherr von Thiel⸗

mann bereit, die Interpellation sofort zu beantworten.

Zur Begründung führt darauf der Interpellant

Abg. Graf von Oriola aus, daß der Reichsrag bereits zwei Mal einstimmig einen Antrag auf eine solche Revision angenommen habe, durch welche den Wünschen der Militär⸗Invaliden Rechnung getragen wird. Auch habe der Kriegs⸗Minister ausdrücklich die Um⸗

gestaltung der Pensionsgesetze in einem den veränderten Verhältnissen entsprechenden Sinn als ein nothwendiges Erforderniß zugegeben und mitgetbeilt, daß er neue Gesetze auf dieser modernen Grundlage habe entwerfen lassen, deren Ausarbeitung allerdings sehr schwierig sei. Befremdlicher Weise sei aber vog diesen neuen Entwürfen weder in der Thronrede, noch sonst die Rede. Eine zeitgemäße Formulierung der Gesetze, welche für die Versorgung der alten Sol⸗ daten gegeben seien, sei eine unbedingte Nothwendigkeit; das könne das deutsche Volk verlangen, das habe der Deutsche Reichstag ein⸗ stimmig anerkannt. Es handle sich um eine Ehrenschuld, und Ehren⸗ sculden müßten von allen Schulden zuerst bezahlt werden. Eine Unmasse von Noth und Elend töne aus den Akten in einer Weise, die selbst das Ohr eines Finanzmannes rühren müßte. Sollte das Herz des Reichsschatz⸗Sekretärs bier widerstehen können? dilfe sei nothwendig, der Reichstag wolle sie gewähren; ein weiteres Zögern verständen die Javaliden, ihre Wittwen und Waisen nicht, verstehe der Reichstag nicht, verstehe das deutsche Volk nicht. Der Reichs⸗Schatzsekretär habe jetzt Mittel, an die er früher garnicht gedacht habe, die ihm bewilligt worden seien bei der Flottenvorlage, wo er es garnicht nöthig zu haben erklärte, und jetzt wolle man den Invaliden eine Aufbesserung ihrer kümmerlichen Bezüge verweigern? TVon dem warmen patriotischen Empfinden des Reichs⸗ kanzlers hoffe er (Redner), daß er auch der alten Solbdaten gedenken werde. Er hoffe außerdem, daß die Vorlage bald komme, und daß sie den Wünschen des Reichstages, der Würde und Ehre des deutschen Volks entsprechen werde.

Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Freiherr von Thielmann:

Meine Herren! Die Herren Interpellanten haben zwei Anfragen gestellt: die erste, ob die Vorarbeiten zu der von dem Herrn Kriegs⸗ Minister in Aussicht gestellten Vorlage beendet sind; die zweite, ob die Vorlage noch in dieser Session kommen werde. Die erste Frage, so⸗ weit das Kriegs⸗Ministerium in Frage kommt, beantworte ich, wie der Herr Kriegs⸗Minister schon selber gesagt hat, selbstverständlich mit Ja. Die Gründe indessen, welche es bis jetzt zu einer Beschluß⸗ fassung, die zu einer Vorlage an den Bundesrath führen konnte, noch nicht haben kommen lassen, werde ich Ihnen sogleich darlegen.

Meine Herren, der Herr Graf Oriola hat die von ihm ver⸗ hetene Frage nicht allein als eine populäre, sondern auch ihre baldige Lösung als eine nothwendige bezeichnet. Ich gebe ihm, was die Berechtigung der Invaliden auf eine Besserung ihrer Lebenslage gemäß den jetzt herrschenden Verhältnissen betrifft, ebenso Recht, wie der Herr Kriegs⸗Minister in der Sitzung, wenn ich nicht irre, vom letzten März das gethan hat. Die Frage greift aber erheblich weiter, als der Vertreter der Herren Inter⸗ pellanten hier Ihnen vorgetragen hat. Wenn das Deutsche Reich den alten Kriegstheilnehmern ich meine, den Kriegs⸗ theilnehmern an dem französischen Kriege und den späteren Invaliden Vortheile zukommen läßt, so wird dadurch die Frage der Zivilpensionen auch wieder angeschnitten. Es ist ganz un⸗ möglich, die Einen zu bedenken, die Anderen unbedacht zu lassen. Wie wichtig aber diese Frage ist, möchte ich Ihnen an der Hand einiger Ziffern erläutern. Das Reich besitzt nicht weniger als rund 118 000 etatsmäßige Reichsbeamte, welche beim Verlassen des Dienstes für sich und bei ihrem Tode für die Hinterbliebenen zur Versorgung be⸗ rechtigt sind. Das Reich zahlt aus den verschiedenen Fonds, aber ab⸗ gesehen vom Reichs⸗Invalidenfonds, den ich jetzt ganz bei seite lasse, für Pensionen und an die Hinterbliebenen nicht weniger als 86 ½ Millionen Mark. Preußen, dessen Einrichtungen im wesent⸗ lichen, soweit sie Beamte betreffen, mit denen des Reichs parallel laufen, hat einen Beamtenbestand von fast 197 000. Köpfen, welche für sich bei ihrem Ausscheiden und für ihre Hinter⸗ bliebenen zu Pensionen berechtigt sind. Nach dem preußischen Etat für 1900 betrug die Pensionsausgabe im Ganzen 33 ½ Millionen Mark. Zu diesen etatsmäßigen Ausgaben kommt für das Reich hinzu die gegenwärtig lediglich durch den Etat durchlaufende Ausgabe aus dem Reichs⸗Invalidenfonds. Meine Herren, der Reichs⸗Invalidenfonds, wie ich Ihnen heute schon sagen kann und, wenn diese Verhandlung nicht stattgefunden hätte, bei der ersten Lesung des Etats gesagt haben würde, ist bankerutt. (Be⸗ wegung. Zuruf rechts.) Das schadet nichts, saat der Herr Abg. Dr. Arendt. Sie werden aber sehen, daß, wenn es auch heute nicht schadet, es in einer Reihe von Jahren für die Reichsfinanzen doch

jahr. Sie wissen, daß alle drei Jahre die Bilanz des Reichs⸗ Invalidenfonds gezogen wird. Die vor drei Jahren gezogene Bilanz wies einen aktiven Bestand von 69 Millionen auf, die in diesem Jahre gezogene sie ist noch nicht vollständig berechnet und liegt erst gewissermaßen im Rohen vor wird einen Fehlbetrag von 17 Millionen aufweisen. Der Unterschied der 80 und einiger Millionen beruht auf den Bewilligungen, die während der letzten drei Jahre auf den Reichs⸗Invalidenfonds angewiesen worden sind. Nun, meine Herren, da weitere Anweisungen auf den Reichs⸗Invaliden⸗ fonds zu den Unmöglichkeiten gehören, steht die Reichs⸗Finanz⸗ verwaltung und mit ihr auch die Finanzverwaltung der sämmtlichen deutschen Bundesstaaten, da jede Pensionsbewilligung für Reichsbeamte indirekt, wenn auch nicht direkt, alle Bundes⸗ staaten berührt, vor der großen Frage: wie weit können wir gehen in der Besserstellung der Invaliden im Hinblick auf die Ansprüche, welche etwa für unsere Zivilpensionäre werden erhoben werden? Und wie weit können wir den Anregungen, welche seitens des Herrn Kriegs⸗ Ministers gekommen sind und welche in den drei bereits von dem Herrn Grafen Oriola erwähnten Gesetzentwürfen Platz gefunden haben, entgegenkommen? Diese Erwägungen schweben jetzt; sie sind sehr ernster Natur und⸗so weitgehender Art, daß sie nicht so kurzer Hand erledigt werden können.

Daß sowohl die Reichs⸗Finanzverwaltung, wie diejenigen Landes⸗ regierungen, die zur Instruierung ihrer Stimme im Bundesrath ent⸗ sprechende Erwägungen bei sich anzustellen haben, den Kriegsinvaliden, überhaupt sämmtlichen Militärinvaliden das wärmste Interesse ent⸗ gegenbringen, das braucht der Herr Graf von Oriola nicht zu bezweifeln. Es schien aus seiner Rede hervorzugehen: Der Herr Kriegs⸗Minister will den alten Soldaten wohl, sämmtliche Finanzleute sind ihnen feindlich. Meine Herren, das ist eine Verdächtigung, eine grundlose Verdächtigung, die mehr vielleicht auf Personen außerhalb dieses hohen Hauses berechnet war als auf die hier An⸗ wesenden. Eine solche Verdächtigung weise ich zurück. Wie ich Ihnen sagte, sind die Erwägungen noch nicht abgeschlossen, und ich kann deshalb, zur zweiten Frage der Herren Interpellanten über⸗ gehend, nicht zusagen, daß die Vorlage, welche seitens des Herrn Kriegs⸗Ministers ausgearbeitet ist und gegenwärtig den anderen damit zu befassenden Ressorts vorliegt, Ihnen noch im Lause dieser Session als Gesetzesvorlage zugehen wird. (Hört! hört! links.)

Aluf Antrag des Abg. Dr. Sattler (nl.) wird die Be⸗ sprechung der Interpellation beschlossen.

Abg. Rickert (fr. Vgg.): Es ist ja für die Volksvertretung sehr mißlich, die Regierung zu Ausgaben zu drängen; aber bei den anormalen Zuständen, unter denen wir auch jetzt im übrigen staats⸗ rechtlich leben, kann es nicht auffallen, wenn wir uns in diesem Falle zu einer solchen Rolle verstehen müssen. Es handelt sich hier garnicht um Patriotismus und warmes Herz, sondern um die einfache Frage, ob das Reich Versprechungen, welche freilich ge⸗ macht sind, einlösen will oder nicht. Die Ausgaben sind nothwendig, das giebt der Staatssekretär zu. Was sollen uns nun alle seine Ziffern? Wirc kennen das ja von dem Minister von Miquel im preußischen Abgeordnetenhause her, bei jeder Gehaltsauf⸗ besserung wird uns ja die ganze Litanei vorgetragen. Erkennen Sie die Berechtigung der Pensionserhöhung an, so müssen Sie sie ein⸗ treten lassen. So schlecht stehen die Finanzen am Ende doch noch nicht, wenn es sich selbst um ein paar Dutzende von Millionen handeln sollte. Ueber diesen Reichstag kann sich die Regierung doch wahrhaftig nicht beklagen, er hat alles bewilligt, was die ver⸗ bündeten Regierungen forderten. Von der Finanzlage hätte sich ein richtiges Bild nur gewinnen lassen, wenn diese 20 oder 25 Millionen Mark in die Ausgaben hineingesetzt worden wären. Was nützt es denn, wenn dieser Posten noch ein oder zwei Jahre hinausgeschoben wird? Allerdings hat sich der Reichs⸗Schatzsekretär schon im vorigen Jahre darauf zurückgezogen, daß bei der preußischen Regierung eine Geneigtheit nicht bestehe, in dem von uns gewünschten Sinne vorzugeben. Aber es muß doch endlich Schicht gemacht werden. Die Quälerei mit den 120 jährlich kann nicht so fortgehen; es giebt gewisse Dinge, die sich für das Deutsche Reich nicht schicken. Im vorigen Jahre betrug der Ueberschuß im preußischen Etat 85 Millionen, in diesem Jahre soll der Ueber⸗ schuß noch größer sein. So gehen die Dinge in der That nicht weiter. Wir haben keinen Grund, die Matrikularbeiträge nicht schärfer anzu⸗ fassen. Für diesen Zweck würden, denke ich, die Herren im Bundesrath auch für eine Reschs⸗Einkommensteuer von den Wohlhabenden zu haben sein. Drängen wir darauf, daß die Vorlage noch in dieser Session an uns kommt. 1“

Abg. Fritzen⸗Düsseldorf (Zentr.): T Schwierigkeiten haben, aber andererseits ist das einstimmige Ver⸗ langen des Reichstages schon seit Jahren gestellt worden. Der Kriegs⸗ Minister hat die Nothwendigkeit der Beseitigung der Ungleichheiten und Härten der bisherigen Gesetzgebung unumwunden anerkannt. Hier ist rasche Hilfe geboten. Auch ist es hoͤchst bedenklich, mit einer solchen Vorlage zu warten, bis die sieben fetten Jahre vorüber sind. Wie lange diese noch darvern, das man nicht. Ich wünsche dringend, daß die Vorlage noch in dieser Session ans Haus kommt, und daß in derselben eine möglichste Gleichheit zwischen den ver⸗ schiedenen Pensiozssberechtigten hergestellt wird. Selbst wenn die neue Vorlage gewisse Konsequenzen für den Zivildienst haben sollte, kann es uns nicht abhalten, eine alte Ehrenschuld einzulösen. b

Abg. Dr. Oertel (d. kons.): Den Ausführungen des Vor⸗ redners können wir nur zustimmen, während uns die Ausführungen des Herrn Schatzsekretärs einigermaßen überrascht haben. Es scheint fast, als ob die Sache bis zum Sankt⸗Nimmerleinstag hinausgeschoben werden sollte. Die angedrohten Konsequenzen schrecken uns nicht. Man bekommt gewissermaßen eine seelische Gänsehaut, wenn man von seiten der Regierung immer wieder von „schwebenden Erwägungen“ reden hört. Aus allen Ausführungen des Staats⸗ sekretärs hören wir nur das Nein heraus. Wir erfüllen lediglich eine Pflicht, wenn wir berechtigte Wünsche, die von außen an uns berantreten, im Reichstag zum Ausdruck bringen. Ich glaube, daß selbst der Minister von Miquel keinen Augenblick zögern würde, wenn ihm ihre Nothwendigkeit nachgewiesen wird, wenn er namentlich hoffen dürfte, daß große, weittragende, zur Zeit unnöthige Ausgaben für Kanalzwecke in Preußen unterblieben. Der Abg. Fritzen hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es sich um eine Ehrenschuld handle. Ich gehe weiter, ich halte es für unsere verfrachte Pflicht und Schuldigkeit, diese Chrenschuld einzulösen. Wir müssen doch bedenken, daß eine ausreichende Unterstützung der Militärhinterbliebenen gewisser⸗ maßen das Korrelat der allgemeinen Wehrpflicht ist. 3

Abg. von Vollmar (Soz.): Es handelt sich hier um keine Parteifrage, sondern um die Einlösung einer Chrenschuld. Es muß uns ein Gefühl der Beschämung ergreifen, wenn wir sehen, wie bei uns die Militärpensionen vernachläͤssigt werden, während in dem Lande, dem wir vor dreißig Jahren gegenüberstanden, das Möglichste geschieht. Es sind geradezu krasse Fälle dekannt geworden, in denen berechtigte Pensionsansprüche zurückgewiesen worden sind, und das geschieht zu einer Zeit, in welcher es bei uns an Ruhmredigkeit nicht fehlt, und in welcher wir unsere jungen Soldaten nach China geschickt haben. Da genügt das vom Schatzsekretär geäußerte Wohlwollen nicht.

Wenn die alten Soldaten davon leben könnten, dann wäte es ja gat. Seit Jäahren wird das Reichsschatzamt angestoßen, aber stets heist es wieder: die Sache schwebt! Getreu der Stellung, die wir dieser Frage gegenüber immer eingenommen haben, werden wir für jede Maßregel zu haben sein, welche das Loos der Kriegsinvaliden zu verbessern ge⸗

Die Sache mag ja ihre

sehr bedenklich werden kann. Dieses Jahr war wieder ein Bilanz⸗

eignet ist. Die Hauptsache ist, daß die Leute etwas bekommen; und

wir machen die Regierung dafür verantwortlich, wenn sie trotz allen Drängens noch immer nicht dahin gekommen ist, zu erkennen, was die Pflicht des Reiches ist.

Abg Eickhoff (fr. Volksp.): Nachdem der Reichstag im vorigen Jahre einstimmig den erwähnten Beschluß gefaßt hat, muß ich vor allem meinem lebhaften Bedauern darüber Ausdruck geben, daß die Zusage, die Vorlage uns noch in der laufenden Session zu machen nicht hat gegeben werden können. Den Offizieren im Reichs⸗ und Staatsdienste wird die Militärpension neben ihrem Diensteinkommen bis zu 4000 gewährleistet; bei den unteren Chargen ist dieses Ver⸗ hältniß bekanntlich viel ungünstiger. An diesem Punkte muß bei de Reform ganz besonders eingesetzt werden; hier liegt eine ganz un⸗ gerechtfertigte Härte vor.

Abg. Prinz zu Schönaich⸗Carolath (nl.): Was nützen all Reden und Beschlüsse des Hauses, wenn in der Sache kein Vorwärts⸗ kommen zu bemerken ist? Es ist der ausdrückliche Wille des Reichs⸗ tages, daß hier endlich Remedur eintritt. Der Schatzsekretär erinnert sich gewiß selbst gern der Zeit, wo er als junger Offizier den Krieg von 1870 mitgemacht hat, wo ein gewisser Offizier die Nachricht von Sedan in seiner Säbeltasche über Belgien nach Deutschland gelangen ließ, und zwar in Sanskrit, und bei einem solchen Offizier wird es auch an Mitgefühl für die alten Soldaten nicht fehlen. Wenn es mit einer ganz neuen Gesetzgebung nicht geht, so komme man doch endlich mir einer Novelle, welche wenigstens die Kriegstheilnehmer sicher stellt. Von den Kriegstheilnebmern sind eine ganz⸗ Reihe nicht notiert, erhalten also auch die 120 nicht, ohne daß ihnen ein Grund für die Verweigerung angegeben wird. Man weist lediglich auf den Mangel an Mitteln hin. Die Kriegstheilnehmer sind jetzt alle im Alter von 50 bis 60 Jahren; und gerade diejenigen, welche früher keinen Lärm von ihrer Krankheit gemacht haben, bei denen sich aber jetzt die Symptome der Krankheit und die Gebrechen des Alters zeigen, sind am schlimmsten daran. Sie haben sich nicht gemeldet, und jetzt wird ihnen der Mangel an Mitteln entgegengehalten. Alle Diejenigen, die gezögeri haben, ihre Ansprüche anzumelden, sind in arger Bedräng⸗ niß. as Geld muß für diese Zwecke flüssig gemacht werden, meinetwegen durch eine Steuer. Es wäre doch eigenthümlich, wenn das Reich bei einem Etat von zwei Milliarden nicht ein bis zwei Millionen übrig haben sollte, um die Invaliden aus⸗ reichend zu versorgen. Es muß ihnen auch die Militärpension unver⸗ kürzt neben ihrem Zivileinkommen gelassen werden. Staat und Reich dürfen doch nicht hinter den Kommunalverwaltungen zurückstehen. Auch eine Entschädigung für die Nichtbenutzung des Zivilversorgungs⸗ scheines ist nothwendig. Es ist ein trauriger Zustand, daß unsere Veteranen und ihre Hinterbliebenen in Deutschland schlechter dastehen, als in dem besiegten Frankreich. Schon die Klugheit sollte unsere Verwaltung zu einer Aufbesserung bestimmen, denn der jetzige Zustand kann die Freudigkeit unserer Soldaten im nächsten Kriege, den Gott verhüten möge, nicht stärken. Ich schließe mit den Worten Friedrich's des Großen: Wir müssen für unsere Freunde, die alten Soldaten, sorgen.

Abg. Dr. Arendt (Rp.): Zu weiteren Ausführungen über diese Angelegenheit wird Gelegenheit sein, wenn wir den Antrag Nißler berathen werden, dem ich wohlwollend gegenüberstehe. Gleichwohl können wir für die Anregung der Interpellanten dankbar sein, da sie die Antwort des Schatzsekretärs zur Folge gehabt und die Noth⸗ wendigkeit gezeigt hat, die Sache mit möglichster Beschleunigung zu betreiben. Auch ich würde einer neuen Steuer das Wort reden, doch halte ich es nicht für rathsam, eine Reichs⸗Einkommensteuer, wie der Abg. Rickert empfiehlt, mit der Sache zu verquicken. Es wird Sache der Mitglieder der Einzellandtage sein, auf eine schnelle Erledigung der Sache hinzuwirken. Der Reichs⸗Schatzfekretär hat darauf hingewiesen, daß der Reichs⸗Invalidenfonds bankerott sei. Der Invalidenfonds hat ja die Bestimmung, erschöpft zu werden, denn er ist begründet worden, um ausreichend dasjenige vorzusorgen, was nach dem Kriege von 1870 als das richtige Maß für die Ver⸗ sorgung der Kriegstheilnehmer erklärt wurde. Sind wir inzwischen zu der Ueberzeugung gekommen, daß das damals gewählte Maß unter den jtzt veränderten Umständen nicht mehr ausreicht, so müssen wir in den zu stellenden Anforderungen über den Reichs⸗Invaliden⸗ fonds hinausgehen. Es ist doch erheblich besser, daß der Invaliden⸗ fonds früher sein Ende findet, als daß wir es erleben, daß ein Theil davon noch vorhanden ist, während die letzten Theilnehmer am Kriege und deren Hinterbliebene schon todt sind. Die Uebereinstimmung, welche in dieser Frage im Reichstage berrscht, sollte die Regierung veranlassen, unverzüglich die Vorlage einzubringen. Die Angelegenheit sollte vom Standpunkte des Staatsmannes und nicht ausschließlich des Finanzmannes beurtheilt werden. Man sollte erwägen, welches außerordentliche Unheil dadurch hervorgerufen wird, daß man im Volke eine berechtigte Mißstimmung erregt darüber, daß für die Kriegsinvaliden nicht in genügender Weise gesorgt wird. Der Reichskanzler, der uns bewiesen hat, daß ein neuer Geist in das Reichskanzler⸗Palais eingezogen ist, wird sich hoffentlich der Sache warm annehmen und darauf dringen, daß die Vorlage noch in dieser Session an den Reichstag kommt.

Abg. Werner (Reformp.) bedauert ebenfalls die Verzögerung der Angelegenheit und die dadurch herbeigeführte Mißstimmung in weiten Volkskreisen. Wie solle der junge, nach China gehende Soldat Muth finden, wenn er sehe, wie schlecht zu Hause für die Kriegsinvaliden gesorgt werde? Es sei mehr als traurig, wenn es Leuten, die Armengelder bezögen, nicht gelänge, Javalidenpension zu erhalten.

Abg. Graf von Oriola: Wir sind mit einer ganzen Anzahl der Ausführungen, die hier gemacht worden sind, durchaus ein⸗ verstanden. Die Antwort des Staatssekretärs kam mir nicht ganz unerwartet. Ich bedauere, daß sie so ausgefallen ist. Das beweist, wie berechtigt die Interpellation gewesen ist. Es mußte wieder einmal im Reichstage ausgesprochen werden, wie der ganze Reichstag denkt, und ich freue mich als Interpellant, daß der Reichstag sich mit der Interpellation vollständig einverstanden erklärt hat. Der Staalssekretär hat erklärt, ich hätte ihn grundlos verdächtigt. Er hat sich gegen diese verwahrt. Ich habe eine Verdächtigung nicht ausgesprochen, wohl aber hat der Herr Schatzsekretär eine Ver⸗ dächtigung gegen mich insofern ausgesprochen, als er erklärt hat, meine Worte seien für die Wirkung nach außen berechnet. Diese ungerecht⸗ fertigte Verdächtigung gegen mich weise ich zurück.

Präsident Graf von Ballestrem: Ich habe die Worte des Herrn Staatssekretärs, die der Herr Vorredner soeben zitiert hat, im Augenblick dahin verstanden, daß er nicht etwa dem Herrn Grafen Oriola vorwerfen wollte, daß er eine Verdächtigung ausgesprochen, sondern nur, daß seine Rede geeignet sei, außerhalb des Reichstages eine Verdächtigung zu erregen. enn ich die Worte so aufgefaßt hätte, wie Herr Graf Ociola, so würde ich dies als mit der Ordnung des Reichstages für unverträglich gehalten haben.

Hiermit ist die Besprechung der Interpellation geschlossen.

Das Haus geht sodann über zur ersten Lesung des Ent⸗ wurfs einer Seemannsordnung, mit der die entwürfe, betreffend die Verpflichtung der Kau fahrteischiffe zur Mitnahme heimzuschaffender Seeleute, betreffend die Stellenvermittelung für Schiffsleute und betreffend die Abänderung seerecht⸗ licher Vorschriften des Handelsgesetzbuchs, in der ersten Berathung verbunden werden.

Abg. Dr. Semler (nl.): Seit dem Erlaß der geltenden See⸗ mannsordnung von 1872 haben sich weniger die Verhältnisse als die sozialvolitischen Anschauungen im Volke verändert. Die gesetzgeberischen Revesionen müssen deshalb doppelt vorsichtig vorgehen, um nicht mit dem Bade, der Seemannsordnung, auch das Kind, die deutsche Rhederei, auszuschütten. Die Vorlage entspricht dieser Anforderung, eine gewisse mittlere Linie innezuhalten, in vollem Maße, und es is zu hoffen, daß auch in der Kommission und im Plenum diese Vorsicht geüdt und diese mittlere Linie innegehalten wird. Was die Vorschriften des Entwurfs im Einzelnen betrifft, so

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halte ich die Bestimmung, daß am Sonntag nicht gelöscht laden werden darf, für undurchführbar und für unmöglich. Die Be⸗