Seeberufsgenossenschaft selbst das Gefühl zu haben scheint, daß die Ueberholungen noch in größerem Maßstabe als bisher Platz greifen müssen; denn sie sagt: „Eine ganz gewaltige Steigerung haben diese Besichtigungen im laufenden Jahre erfahren, was am besten aus der Thatsache er⸗ hellen wird, daß wir allein während des ersten Halbjahres für Ueber⸗ holungen bereits rund 25 000 ℳ verausgabt haben.“
Ferner wurde kurz berührt die Frage der sogenannten Tieflade⸗ linie. Dazu hat die Seeberufsgenossenschaft in ihrer Jahresversamm⸗ lung vom 26. Mai 1900 beschlossen, eine Ueberwachung des Tiefgangs der Kauffahrteischiffe eintreten zu lassen. Auf allgemeine Tieflade⸗ vorschriften hat die Seeberufsgenossenschaft indeß verzichtet, weil sie auf dem Standpunkt steht, daß der Tiefgang nach den individuellen Eigenschaften des einzelnen Schiffes und den Verhältnissen der einzelnen Fahrt sich richten müsse. Nach dem Beschluß der Seeberufsgenossen⸗ schaft hat indeß jeder Rheder dafür zu sorgen, daß auf jeder Reise außerhalb der kleinen Küstenfahrt (und Wettfahrt) der Tiefgang jedes Schiffes (gewisse kleine Kategorien ausgenommen) beim Ausgang aus demjenigen Hafen, in welchem es voraussichtlich den größten Tief⸗ gang auf der betreffenden Reise erreicht, ermittelt und im Journal vermerkt, auch ohne Verzug der Seeberufsgenossenschaft angezeigt wird. Das so eingehende Material soll durch die Vertrauensmänner der Genossenschaft auf seine Richtigkeit und durch die sachverständigen Organe der Genossenschaft auf die Zulässigkeit des angegebenen Tief⸗ gangs geprüft werden. Eventuell wird für künftige Reisen die Ein⸗ haltung eines geringeren Tiefgangs verlangt werden.
Meine Herren, die Frage der Tiefladelinie ist eine technisch un⸗ endlich schwierige, und Sie werden von mir nicht verlangen, daß ich mir in dieser Frage ein abschließendes Votum anmaße. Allerdings bin ich aber der Ansicht, man sollte an der Hand dieser Vorarbeiten der Seeberufsgenossenschaft doch versuchen, schon zur Beruhigung der Mannschaften, zu einer Tiefladelinie zu gelangen, und zwar nicht nur für Passagierdampfer, sondern, was ich für viel wichtiger halte, auch für die Frachtdampfer.
Auch die Bemannungsfrage ist kurz berührt worden. Ich will bei der späten Tagesstunde auf diese Frage nicht weiter eingehen, ich kann Ihnen aber versichern, daß die Seeberufsgenossenschaft in aller⸗ nächster Zeit einen Beschluß fassen wird, Vorschriften über die Be⸗ mannung der Dampsschiffe einzuführen, die sich fast wörtlich mit der englischen Undermanning Act decken werden. Dadurch dürfte diese Frage in der Hauptsache meines Erachtens vorläufig erledigt sein.
Meine Herren, im allgemeinen muß man sich aber doch fragen: steht in der That die deutsche Rhederei in Bezug auf die Erfüllung der Forderungen für die Sicherheit der Schiffe wirklich so ungünstig da, wie dargestellt worden ist? Ich möchte hierzu nur zwei That⸗ sachen hervorheben. Es sind im Jahre 1898 von 380 Fällen, die der Hafeninspektor gerügt hat, wo er Abstellung von Betriebsmängeln gefordert hat, nur in 46 Fällen deutsche Schiffe betheiligt gewesen, und zwar nicht nur Seeschiffe, sondern auch Flußschiffe, und mir liegt hier ferner ein Bericht der Polizeibehörde der Stadt Hamburg vor, der folgendermaßen lautet:
„Auf Ihr gefälliges Schreiben vom 22. d. M. — J.⸗Nr. 5986/00 A —, betreffend die in dem Jahresbericht der Polizei⸗ behörde pro 1898 aufgeführten Uebertretungen des Hafengesetzes, verfehle ich nicht, anliegend eine Zusammenstellung, nach den einzelnen Paragraphen des Hafengesetzes geordnet, mit dem Bemerken ergebenst zu übersenden, daß in⸗keinem der angeführten 1183 Fälle einem Rheder eines deutschen Seefahrzeuges ein Verschulden zur Last gelegt worden ist.“
Der Herr Abg. Raab hat auch von der Zahl der Unglücksfälle, der Verluste von Schiffen gesprochen. Ich habe sein Buch „Die Nothflagge weht“ sehr eingehend studiert und kann Herrn Raab ver⸗ sichern, daß ich in der Kommission Gelegenheit nehmen werde, mich
mit ihm über die Einzelheiten, die er dort anführt, eingehend zu unterhalten. Ich möchte aber den Herrn Abgeordneten darauf hin⸗ weisen, daß die Statistik, die er aufgestellt hat und die ich nach seiner Methode ebenfalls aufgestellt habe, meines Erachtens an einem großen Mangel leidet. Er berechnet nämlich den Prozentsatz der in Verlust gegangenen Schiffe nicht nach dem Jahressatz, sondern addiert den Verlust von fünf Jahren zusammen und bezeichnet das als Prozentverlust der untergegangenen oder verloren gegangenen Schiffe. Ich habe dieselbe Statistik aufgestellt, um ihn nachzukontrolieren, aber für richtig halte ich das Verfahren trotzdem nicht; denn dadurch kommen ganz ungeheure, die Verlustziffer übertreivende Zahlen heraus. Wenn er zu einer richtigen Statistik kommen will, inwie⸗ weit Verluste der verschiedenen Handelsmarinen an Schiffen ein⸗ getreten sind, dann muß er seine Zahlen alle durch fünf dividieren. Ich möchte aber doch einmal kurz die errechneten Zahlen vortragen, um zu zeigen, daß jedenfalls die deutsche Marine sich mit ihrer Fürsorge für die Sicherheit von Schiff und Mannschaft noch immer sehr wohl sehen lassen kann. Wenn man berechnet, wieviel von je 100 Registertons Nettoraumgehalt der in die Register durchschnittlich eingetragenen Schiffe in den 5 Jahren 1894/95 bis 1898/99 verloren gegangen sind, so beträgt der Verlust von deutschen Schiffen 9,39 % — ich wiederhole aber: die 8 Zahlen müssen alle durch 5 dividiert werden, wenn man von Jahresverlusten sprechen will —, von britischen Schiffen 10,85 %, von französischen 14,42 %, von norwegischen — und die norwegischen Seeleute sind doch berühmt — 14,40 %, von den schwedischen 11,19 %, von den niederländischen 12,96 %, von den italienischen allerdings 38,48 %. Berechnet man in derselben Weise, wie viel von 100 Registertons Segelschiffen in dem fünfjährigen Zeitraum 1894/95 bis 1898/99 zu Grunde gegangen sind, so kommen auf deutsche Schiffe 26, auf britische allerdings nur 1 19,65, auf französische 31,37, norwegische 36,59, schwedische 34,48, niederländische 40,82, italienische 26,85 %. Also mit anderen Worten, bei den Dampfern steht Deutschland bei weitem am günstigsten, noch vor der englischen Handelsflotte, und in der Segelschiffahrt an zweiter Stelle. Daß es in der Segelschiffahrt an zweiter Stelle steht, möchte ich auf den Umstand zurückführen, daß in so rapider Weise die Segel⸗ schiffahrt zurückgeht und die Segelschiffe überwiegend kleine, zum theil uch ältere Schiffe sind. Der Herr Abg. Raab ist auch zu sprechen gekommen auf die Divi⸗ denden und die großen Einnahmen der Schiffahrtsgesellschaften. Ja, meine Herren, wenn man diese Einnahmen aus den letzten Jahren ansieht, dann sehen sie ziemlich groß aus, aber ein so riskantes Ge⸗ schäft, wie die Rhederei ist, muß doch seinen Gewinn und Verlust berechnen nach einer größeren Reihe von Jahren. Wenn man da
beispielsweise die Hamburg⸗Amerikanische Packetschiffahrts⸗Aktien⸗ gesellschaft annimmt — ich stelle anheim, mich zu berichtigen, wenn Sie glauben, die Zahlen bestreiten zu müssen, ich habe sie aus dem allgemein zugänglichen Material der Berichte ent⸗ nommen —, dann hat dieselbe 1892, 1893, 1894 gar keine Dividende vertheilt, 1895 5 %, 1896 8 %, 1897 6 %, 1898 8 %, 1899 8 %, mit anderen Worten in der Zeit von 1892 bis 1899 hat diese Hamburg⸗ Amerikanische Packetschiffahrts⸗Aktiengesellschaft nur 4,4 % Dividende durchschnittlich gegeben. Stellt man dieselbe Berechnung für den Norddeutschen Lloyd auf, so hat dieser in der Zeit von 1892 bis 1899 nur 3,6 % durchschnittlich gegeben; um diesen Prozentsatz zu erreichen, meine Herren, braucht man, glaube ich, nicht gerade das riskante Geschäft einer Rhederei zu betreiben, den kann man jetzt auch erreichen, wenn man deutsche Konsols kauft; und andere Gesellschaften, 3. B. die Deutsch⸗Australische Dampfschiffahrts⸗Gesellschaft hat in derselben Zeit durchschnittlich 4,1 %, die deutsche Dampfschiffahrts⸗Gesellschaft „Hansa“ 6 %, Dividende gebracht. Wenn diese Zahlen richtig sind, was ich un⸗ bedingt annehmen muß auf Grund des Materials, so kann man nicht sagen, daß diese Gewinne übermäßig sind, im Gegentheil, dieser geringe Durchschnittsgewinn hat mich geradezu überrascht. Ich will mich indeß jetzt weiter auf die Details nicht ein⸗ lassen, mich vielmehr in der Kommission eingehend zur Sache äußern. Das kann ich aber versichern, daß die ver⸗ bündeten Regierungen den größten Werth darauf legen, daß diese Seemannsordnung zu stande kommt. Dagegen aber muß ich namens der verbündeten Regierungen doch Einspruch erheben, daß die Seeberufsgenossenschaft, die sich bisher stets der höchsten Anerkennung des Reichs⸗Versicherungsamts, sowohl unter ihrem früheren, wie unter ihrem gegenwärtigen Herrn Präͤsidenten, erfreut hat, nicht das gethan hätte, was ihres Amtes wäre, und, meine Herren, gewiß, ich bin der Ansicht, daß auf dem Gebiet der Schiffahrt die Sozialpolitik noch eine sehr große und ernste Aufgabe hat (Bravo!) — und ich bin mir sehr zweifelhaft, ob diese leise Andeutung ganz ge⸗ nügt, ich halte mich aber für verpflichtet, sie zu machen —, ich bin mir zweifelhaft, ob man nicht bei der enormen Entwickelung unserer Rhederei auch zu anderen Organisationen kommen muß. Das kann ich Ihnen wenigstens versichern, alle diese intrikaten technischen Fragen von der Wilhelmstraße aus zu beurtheilen, ist ein ganz außerordent⸗ lich trockenes Vergnügen. (Heiterkeit.) Es ist in der That — meines Erachtens — erwägenswerth, ob es nicht möglich und Rechtens wäre, mit der Zeit einmal eine Organisation zu schaffen, die dem seemännischen Leben in ihrer letzten Instanz wesentlich näher steht — und deshalb auch mehr Sachkenntniß und Sachverständniß haben muß, wie eine Behoörde, die mitten im Lande sitzt. (Sehr richtigl) Aber wenn auch auf diesem Gebiete gewiß noch manches zu thun ist, das muß ich doch bekennen, daß unsere deutsche Rhederei in ihren Leistungen auch für die Sicherheit von Schiff und Mann auf sozialpolitischem Gebiet es mit jeder Rhederei der Welt aufnehmen kann, und daß wir auf solche große Rhedereigesellschaften, wie wir in Hamburg und Bremen besitzen, allen Grund haben, stolz zu sein.
Bevollmächtigter zum Bundesrath, Senator der freien und Hansestadt Hamburg Dr. Burchard: Meine Herren! Sie wollen mir gestatten, daß ich zunächst mit einem Worte zurückkomme auf die Ausführungen, welche der Herr Abg. Lenzmann vorher in Bezug auf den Bundes⸗ rath gethan hat. Wenn ich den geehrten Herrn Abgeordneten recht verstanden habe, so hat derselbe sich dahin ausgesprochen, daß es nicht wohl angängig erscheine, dem Bundesrath die Befugniß zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen zu einzelnen gesetzlichen Be⸗ stimmungen der Seemannsordnung zu überlassen, weil man seiner Un⸗ parteilichkeit nicht ganz sicher sei. Meine geehrten Herren, ich bin selbstverständlich der Letzte, der anzweifeln möchte, daß dieses hohe Haus voll berechtigt ist, in Bezug auf den Bundesrath z. B. anzu⸗ zweifeln, ob eine Vorlage, die wir machen, opportun, ob sie praktisch, ob sie mit guten stichhaltigen Gründen versehen ist, ob sie Ihnen attendierbar erscheint, oder welche Stellung Sie etwa sonst zur Vorlage einnehmen wollen. Aber, meine geehrten Herren, Sie werden mir doch darin beipflichten: die Integrität des Bundesraths ist selbstverständlich über jeden Zweifel erhaben. Meine geehrten Herren, ich würde kein Wort über die Sache sagen, wenn die Aeußerung des Herrn Abg. Lenzmann über den Saal nicht hinausgelangen würde. Ich weiß, daß der geehrte Herr Ab⸗ geordnete es garnicht so böse mit dem Bundesrath meint, und ich hätte an sich keine Veranlassung, seine Aeußerung besonders tragisch zu nehmen. Aber das, was hier gesprochen wird, geht ins Land hinaus, geht in die ganze Welt hinaus, wird von ungezählten Leuten gelesen, und es st eine bekannte Erfahrung, daß gerade derartige kleine pikante Zwischenäußerungen Jeden im Reich besonders interessieren, viel mehr als die Verhandlungen, die wir hier im übrigen bei den einzelnen Paragraphen pflegen. Deshalb würde ich es be⸗ sonders begrüßen, wenn der verehrte Herr Abgeordnete Veranlassung nehmen würde, ein berichtigendes Wort darüber dem hohen Hause zu 81. Nun, meine Herren, ein Wort zu demjenigen, was der Herr Abg. Schwartz ausgeführt hat. Er hat vorhin in Bezug auf die Wasserschoute, welche in Bremen und Hamburg die Disziplinar⸗ gewalt ausüben — wenn ich ihn recht verstanden habe —, sich so ausgedrückt: Die Schoute, welche „im Dienst der großen Rhedereien stehen“. Ich glaube, der Herr Abgeordnete wird mir Recht geben, daß das eine Hyperbel ist, um es milde auszudrücken. Die Schoute stehen nicht im Dienst der großen Rheder, sondern der geehrte Herr weiß ebenso gut wie ich, daß es Staatsbeamte sind, die vom Staat ihr Gehalt beziehen und infolge dessen vollständig über den Rhedereien stehen. Sodann hat der Herr Abg. Schwartz gesagt, „der Seemann wird immer bestraft, der Kapitän geht immer frei aus“. Ich gehe mit dem geehrten Herrn wegen dieser Aeußerung nicht ins Gericht, weil ich nicht glaube, daß er es so verbo tenus genommen haben will. Die Seeleute werden öfter mit dem Schout zu thun bekommen als die Kapitäne; das liegt in dem ganzen Aufbau der Seemannsordnung. Ich wende mich dann mit einigen Worten zu dem Herrn Abg. Raab. Ich denke nicht daran — das möchte ich zur Beruhigung sagen —, alle die Einzelheiten, die von dem Herrn Abgeordneten vorgetragen worden sind, hier ein⸗ gehend zu beleuchten. Ich bin durchaus der Ueberzeugung, daß alle Einzelheiten der Materie in der Kommission zu erörtern sein werden, und ich hoffe, Bundesrath und Reichstag werden dort zu einer Ver⸗ ständigung gelangen. Aber ich möchte mich zunächst gegen eine Aeußerung wenden, die, wenn ich mit dem Bleistift recht gefolgt bin, dahin ging, daß einige Schiffahrtsgesellschaften neuerdings ihren Schiffsoffizteren verboten hätten, dem Verein deutscher Kapitäne und Offiziere der Handelsmarine beizutreten resp. aus demselben zu scheiden, und daß er ferner gesagt hat, sie müßten diesen Beschluß wieder rückgängig machen, wenn sich nicht die Rheder um den letzten Rest ihrer Achtung in der Welt bringen wollten. Ich halte das auch für eine Hyperbel, Herr Raab! (Zuruf.) — Ich glaube, das Haus hält es mit mir für eine Hyperbel! Ich glaube nicht, daß das hohe Haus der Mei⸗ nung ist, daß, wenn die Rheder aus Gründen, die ja in der Kommission unzweifelhaft auch des näheren werden mitgetheilt werden, der Ansicht sind, daß ihre Kapitäne und Offiziere nicht mit dem hier in Rede stehenden Verein — denn nur um diesen Verein handelt es sich — verkehren sollen, die Rheder sich der Achtung verlustig machen, welche sie in der Welt genießen. Darüber ist unsere deutsche Rhederei weit erhaben, und das weiß der Herr Ab⸗
geordnete auch, ebenso gut wie ich. Der Herr Abgeordne aber manchmal stark, und es ist mir angenehm, baß biücget sich
habt hat, mir durch den Hinweis auf daz von ihm verfaßte Hoeh
Die v weht“, welches unter der Bezeichnung des Feuc
Raab als Reichstags⸗Abgeordneten und Mitgliedes der Hamb errn
Bürgerschaft erschienen ist, Gelegenheit zu geben, noch einige Ber
merkungen an dieses Buch zu knüpfen. Ich habe dazu um ie 8
Veranlassung, als der Herr Abgeordnete, wenn ich recht verstand 8
habe, mitgetheilt hat, daß er eine größere Anzahl von Exemplaren denjenigen Mitgliedern des hohen Hauses zur Verfügung stelle, welhn dafür besonderes Interesse haben. Ich habe deshalb als Vertreter der hamburgischen Regierung, deren Maßnahmen, wie ich gleich nach. weisen werde, zu einem erheblichen Theile auch angegriffen werden das Interesse, doch zu bitten, daß diejenigen Herren, welche sich mit der Lektüre dieses Buches beschästigen, einige Aeußerungen von mir für die Lektüre mitnehmen wollen. Ich habe das Buch auch genau gelesen, einzelne Abschnitte sogar mehrere Male, und habe mir ge⸗ sagt, daß es doch eigentlich nicht verständlich sei, wie der Herr Abg Raab, der Mitglied des Reichstages und Mitglied der gesetzgebenden Versammlung eines deutschen Bundesstaats ist, es für richtis erachten konnte, dieses Buch in dieser Form, zu dieser n in die Welt veneegeber zu lassen. Wenn ich sage „zu dieser Zeit“, so muß ich erkläken — der Herr Abgeordnete wird es mir nicht verargen —, ich halte es nicht für ritterlich, will ich einmal sagen, daß dieses Buch jetzt in die Welt gegangen ist, der Herr Abgeordnete hat das auch so gut gefühlt; denn er hat infolge dessen eine Ent⸗ schuldigung für den Ton, in dem das Buch geschrieben ist, in das Vorwort aufgenommen. Das Buch richtet sich gegen den verstorbenen Rheder Karl Ferdinand Laeisz. Ich denke nicht daran, hier über den Verstorbenen eingehend zu sprechen; es ist vieles über ihn in den lezten Wochen und Monaten sesrochen und geschrieben. Das steht fest, daß er ein wahrhaft selbstloser Mann gewesen ist, ein Mann, der im einzelnen Falle wie alle Menschen sich geirrt haben mag, der aber unzweifelhaft lediglich aus objektiven Gründen das⸗ jenige, was er für das öffentliche Wohl leistete, gethan hat. Er hat für das öffentliche Wohl aus innerster Ueberzeugung eine lange Reihe von Jahren gearbeitet, und er hat niemals daran gedacht, sein eigenes Interesse in irgend einer Beziehung, in welcher er thätig gewesen ist, jemals mitsprechen zu lassen. Das ist nicht nur meine persönliche Ueberzeugung, sondern die Ueberzeugung in ganz Hamburg, in tiefen Schichten der Bevölkerung weit über Hamburg hinaus. Wenn also der Herr Abgeordnete sagt, er hätte, wenn er gewußt hätte, als er das Buch ver⸗ faßte, daß Herr Laeisz das Erscheinen des Buches nicht mehr erleben würde, in der Sache ebenso bestimmt, in der Form aber anders sich ausgedrückt, so bin ich der Meinung, daß
es richtiger gewesen wäre, bei dieser Erkenntniß das Buch jedenfalls
nicht in dieser Form erscheinen zu lassen. Ich muß sagen, ich habe selten in meinem Leben ein Buch gelesen, das agitatorischer ge⸗ schrieben wäre als dieses Buch, und das bedauere ich aus einem Grunde, den Sie mit mir bedauern werden. Der Herr Abg. Raab hat selbst gesagt, er habe das Buch herausgegeben, damit die Interessenten von den Einzelbeiten, die darin stehen, Kenntniß bekommen. Warum sitzen wir hier, warum machen wir die See⸗ mannsordnung? Bona fide machen wir sie, weil wir die gegenüber⸗ stehenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf dem Gebiete der Seeschiffahrt mit einander in Ausgleichung bringen wollen. Ob wir das im einzelnen vollkommen richtig machen, oder ob uns Fehlgriffe passieren, wird die Zukunft lehren. Wir haben ja noch garnicht definitiv beschlossen, haben aber die beste Ab⸗ sicht, hier vermittelnd und versöhnend einzugreifen. Und was geschieht da? Da erscheint dieses Buch, das nur geeignet ist, die Leidenschaften in der krassesten Weise zu erregen, Mißtrauen von vornherein in die⸗ jenigen Schichten hineinzutragen, für welche wir wesentlich arbeiten, für die jetzt die sozialen Reformen wesentlich in Frage stehen, die nothwendig geworden sind. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Das Buch wird in den weitesten Kreisen gelesen werden, Herr Abg. Singer. Ich bedauere des ferneren aufrichtig, daß auch bei denjenigen Kreisen, welche diesen ganzen Rhedereifragen, den Seeschiffahrtsfragen fern⸗ stehen, ein tiefgehendes Mißtrauen gegen alles dasjenige, was deutsche Rhederei heißt, eingepflanzt werden muß. Wenn die Behauptungen, die in dem Buche stehen, alle richtig wären, dann ließe sich gegen die Form, wie es vorgetragen ist, vielleicht weniger sagen. Sie sind aber zum großen Theil nicht richtig. (Zuruf.) In der Kom⸗ mission werden die Beispiele im einzelnen klargelegt werden können. Ich bemerke hierbei, daß die Seeberufsgenossenschaft, die ja in diesem Buche in einer ganz außerordentlich starken
Weise angegriffen wird, den Mitgliedern des hohen Hauses in
allernächster Zeit eine eingehende Widerlegung der Schrift zugehen lassen wird, sodaß die geehrten Herren CeIen haben, sich mit der Sache in jedem einzelnen Punkte zu beschäftigen. Der Hert Abg. Raab ist — er hat das auch selbst ausgesprochen — ein großer Pessimist, der alles schwarz in schwarz sieht und übersieht, daß wir es mit menschlichen Verhältnissen zu thun haben, die nicht voll⸗ kommen sein können. Es kann sich nur darum handeln, etwaz relativ Gutes zu schaffen, mit dem sich einigermaßen leben läßt. Ich gehe auf die Frage der Tiefladelinie nicht ein, ich will in diesem Zusammenhange nur sagen: ich persönlich würde mich freuen, wenn die Tiefladelinie eingeführt, und zwar wenn sie für alle Schiffe eingeführt werden könnte — ganz abgesehen von anderen Gründen um deswillen, weil ich glaube, daß die Einführung der⸗ selben zur Beruhigung weiter Kreise beitragen würde. Ich bemerke aber ausdrücklich, daß ich nur für mich persönlich spreche und nicht für die durch mich vertretene Regierung; ich weiß nicht, welche Stellung dieselbe zu dieser Frage einnimmt, aber ich persönlich, wie gesagt, würde es begrüßen, wenn ein erheblicher Agitationsstoff der hierbei in erster Linie in Frage kommenden Bevölkerung entzogen würde. Aber nun hat die Hamburg⸗Amerika⸗Linie die Tiefladelinie, wenn ich mich recht erinnere, im vorigen Winter eingeführt.
kann hinzufügen, daß die Woermann⸗Linie und die Ostafrika⸗Linie mit der Feststellung der Tiefladelinie für ihre Schiffe beschäftigt sind, sodaß auch diese Linien demnächst voraussichtlich die Tiefladelinie führen werden. Ich gebe nun dem Herrn Abgeordneten vollkommen zu, für diese großen Dampfer kommt das natürlich nicht wesentlich in Betracht, aber es ist doch nicht zu bestreiten, daß der Hamburg⸗ Amerika⸗Linie, die den ersten Schritt gethan und bei sich zuerst die Tiefladelinie eingeführt hat, daraus ein Vorwurf gemacht wird mit den Worten, sie hätte das nur gethan aus Reklamerücksichten oder aus Gott weiß welchen anderen Gründen, das hätte sie schön thun können und dergleichen. Ja, was soll die unglückliche Gesellschaft eigentlich? Wenn sie die Tiefladelinie nicht einführt, bekommt sie Vorwürfe, und wenn sie sie einführt, bekommt sie auch Vorwürfe von dem Herrn Abg. Raab. Ich weiß nicht, wie sie es nun recht machen soll. Im übrigen will ich darauf hinweisen, daß die Meinungen über die Tief⸗ ladelinie und den Nutzen, den weite Kreise sich von ihrer Einführung versprechen, außerordentlich getheilt sind. Ich weise darauf hin, wie der Herr Dr. Semler gestern schon gethan hat, daß auf dem Inter⸗ nationalen Kongreß für Handelsmarine, der in Paris, und auf dem Kongreß des Internationalen Transportversicherungs⸗Verbandes, der in Vaden⸗Baden im September dieses Jahres stattgefunden hat, man nicht ungetheilt der Meinung war, daß die in England eingeführte Tieflademarke das Ideal darstelle, sondern daß es sehr
zweifelhaft sei, ob nicht das empirische Verfahren, das durch die ’
Seeberufsgenossenschaft zur Zeit geüdt wird, und das womöglich eine feste Basis dafür schaffen soll, mit der Zeit auf gewissen Regeln be⸗ ruhende und durch eine längere Praxis gefestigte Freibordregeln auf⸗ zustellen, den Vorzug verdient. Ich selbst bin in dieser Materie “ Laie. Man kann darüber verschiedener Mei⸗ nung sein.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
zum Deutschen Reichs⸗A
8* 8
Berlin, Mittwoch, den
28. Novembe
chen Staats⸗A
(Echluß aus der Ersten Beilage.)
Mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten darf ich vielleicht einige Sätze aus einer Schreiben verlesen, was der frühere Präsident des Reichs⸗ Versicherungamts an Herrn Carl Laeisz, den Vater des verstorbenen Carl Ferdinand Laeisz, aus Anlaß des Buches, welches Herr Raab beraus⸗ egeben hat, gerichtet hat. Herr Geheimer Rath Dr. Bödiker hat sich geis der höchsten Werthschätzung dieses hohen Hauses zu erfreuen gehabt, er schrieb nun Folgendes: Aus eigener langjähriger Erfahrung fonn ich bestätigen, daß von dem Satze, den er auf Seite 68 ausspricht und der gewissermaßen die Quintessenz seiner Darlegungen enthält: „Ich behaupte, die Seeberufsgenossenschaft hat vom ersten Tage ibres Bestehens an weit mehr ihren Beruf darin erblickt, die Rhederei gegen alle Anklagen, seien sie auch noch so berechtigt, zu vertheidigen, als darin, durch Abstellung der Mißstände eine Verringerung der Ge⸗ fahren des Seeberufs berbeizuführen“, das Gegentheil wahr ist. Die Seeberufsgenossenschaft hat sich von ihrem Bestehen an bemüht, durch Abstellung der Mißstände, weiche die Sicherheit von Mannschaft und Schiff bedrohen, die Gefahren des Seeberufs für Mannschaft und Schiff mehr und mehr abzuschwächen. Gemeinsam mit dem Reichs⸗ Versicherungsamt hat die Berufsgenossenschaft nicht nur Unfall⸗ verhütungs⸗Vorschriften erlassen, die den Rhedern große Lasten auf⸗ erlegen und mustergültig sind, sondern auch im einzelnen sich bemüht, auf die Rheder belehrend und sichernd einzuwirken, und ich weiß, daß bei dem guten Geiste, der in diesen lebt, ihre Bemühungen weit⸗ gehenden Erfolg gezeitist haben. Dann heißt es nachher: Was der von Friedrich Raab gerühmte Plimsoll in England erreichte, ist ja ein Kinderspiel gegen das, was in Deutschland für die See⸗ leute geschieht. Daß die Regelung der Tiefladelinie besser in der Form von Unfallverhütungs⸗Vorschriften durch die Berufsgenossen⸗ schft mit Genehmigung des Reichs⸗Versicherungsamts erfolgt als durch Ellebzgeterische Maßnahmen, ist meine volle Ueber⸗ jeugung. Sie sind es ja gewohnt, nicht stets auf glatter See zu fahren, und müssen es mit in den Kauf nehmen, daß ab und an ein widriger Wind Ihnen entgegenbläst. Diesen widrigen Wind, Herr Raab, haben Sie jedenfalls in Ihren Segeln gehabt. Darum bleibt Ihre Berufsgenossenschast doch, was sie ss: eine Vereinigung patriotischer, thatkräftiger und für das Wohl ibrer Seeleute besorgter Männer. (Zuruf links.) Der Herr Abg. Molkenbubr hat mir soeven den Namen Stoeber entgegengerufen. Der Geschäftsführer der Seeberufsgenossenschaft hat die Gesellschaft etwa mit 56 000 ℳ, die er unterschlagen hat, geschädigt. Es ent⸗ spricht meiner Ansicht nach nicht dem Gefühl der Billigkeit, daß man eine Korporation, wie die Seeberufsgenossenschaft, dafür ver⸗ antwortlich macht, daß sie bestohlen wird. Das kann Jedem von uns passieren, auch jeder Korporation, und es hat sogar der Sozialdemokratie passieren können. Nun, meine Herren, will ich noch wenige Bemerkungen hinzu⸗ fügen, um nachzuweisen, daß dasjenige, was Herr Raab in seinem Buch ausgeführt hat, mit großer Vorsicht aufzunehmen ist. Herr Raab hat sich zunächst — ich glaube, darauf ist schon von dem Staatssekretär Herrn Grafen Posadowsky hingewiesen worden — auf Betriebsmängel bezogen, welche der in Hamburg fungierende Hafen⸗ Inspektor — nebenbei gesagt: wir sind jetzt dabei, in Hamburg einen zweiten Hafen⸗Inspektor anzustellen — in 380 Fällen ange⸗ ordnet habe. Ich wiederhole, damit Mißsverständnisse sich nicht ereignen, daß von diesen 380 Fällen nur 46 deutsche Schiffe betroffen sind; es war doch unmöglich, wegen der vom Hafen⸗Inspektor gerügten Betriebsmängel an fremden Schiffen die Seeberussgenossenschaft, die es lediglich mit deutschen Schiffen zu thun hat, verantwortlich zu machen, daß sie ihrerseits die Schiffe nicht besser überholt und besser besichtigt. Sodann hat Herr Raab in Bezug auf die Renten — und das will ich heute noch sofort richtig stellen —, welche im Jahre 1899 vertheilt sind, in seinem Buch gesagt: Im Jahre 1899 wurden gezahlt an 793 Wittwen mit 1433 Angehörigen 122 467 ℳ, sodaß durchschnittlich auf jede Wittwe mit zwei Angehörigen im Jahre 167,05 ℳ entfielen. Das macht für drei Köpfe monatlich 13,92 ℳ, für den Tag 46 ₰. Dabei ist übersehen, daß die 122 467 ℳ lediglich die Summe darstellen, welche zur Auszahlung gelangt ist an die Wittwen allein. Thatsächlich sind neben dieser Summe an die übrigen Ange⸗ hörigen noch weitere 154 563,65 ℳ ausgekehrt worden. In Wirk⸗ lichteit stellt sich die Rechnung — ich habe sie detailliert vor mir — folgen dermaßen: 793 Witnwen 122 467 ℳ — ich lese nicht alle Wa. vor —, 1236 Kinder 133 479 ℳ, 197 Astendenten 21 084 ℳ as macht zusammen 277 030 ℳ gegenüber den von Herrn Raab
angeführten 122 000 ℳ Ich gebe vollständig zu, daß diese Renten immer noch sehr niedrig sind, und die Seeberufsgenossenschaft empfindet das selbst. Die Festsetzung der Renten aber beruht, wie das auch Herrn Raab bekannt ist, auf gesetzlicher Feststellung, an welcher de Seeberufsgenossenschaft als solche nichts zu ändern vermag. Es ist also nothwendig, auch diesen Irrthum des Herrn Raab aufzuklären. Dann lege ich Werth darauf, noch auf eins hinzuweisen, und dann will ich die thatsächlichen Berichtigungen für heute schließen und würde mich über das übrige in der Kommission mit Herrn Raab unterhalten. Es wird in dem Buche des Herrn Abgeordneten gesagt: es ist merkwürdig, wie wenig Strafen nothwendi find, wie wenig sich die Nothwendigkeit herausgestellt hat, daß die Seeberufsgenossenschaft mit Strafen gegen die Rheder vor⸗ geht. — Notabene, darüber läßt sich manches sagen, ich will mich aber dabei nicht aufhalten, das gehört Alles in die Kommission —, und dann heißt es auf Seite 62: Gigenthümlich berührt nur der Umstand, daß sich die Rheder gegen andere Gesetze und Bestimmungen wiederholt vergehen, bloß gegen die Unfallverhütungsvorschriften der Seeberufs⸗ genossenschaft nicht. — Ich bitte zu bemerken, daß ansdrücklich fest⸗ gestellt wird: sie vergehen sich im übrigen wiederholt! — So wurden von der Hamburger Polizeibehörde im Jahre 1897 819 und im Jahre 1898 sogar 1183 Strafverfügungen wegen Uebertretung des Hafengesetzes erlassen. Wie weit daran die Rheder be⸗ theiligt sind, weiß ich nicht, denke mir aber dabei mein Theil. Was sagt nun die Hamburger Polizeibehörde? Sie schrieb amtlich, daß in keinem der angeführten 1083 Fälle einem Rheder eines deutschen Seefahrzeuges ein Verschulden zur Last gelegt wird. (Hört, hört! bei den Nationalliberalen.) — Ja, meine verehrten Herren, Herr Raab kann sich ja sein Theil denken, das ist hm unbenommen; ich denke mir auch mein Theil. Meine Herren, dann komme ich zum Schluß. Ich hoffe sehr, daß wir in der Kom⸗ mission zu einer Verständigung gelangen werden. Ich spreche es gern ser einmal aus, daß ich ein Freund aller sozialen Reformen in, auf welchem Gebiete immer, und ich glaube, das ist in Hamburg auch bekannt; jeder Förderung des sozialen Gedankens lasse ich, wo immer ich kann, meine Unterstützung zu theil werden. Ich hdabe den Wunsch, daß den Hoffnungen und Erwartungen, welche in weiten Kreisen an die Neuregelung der Seemannsordnung geknüpft verden, so weit entsprechen werden möge, als gleichwerthige kon⸗ burrirende Interessen es irgend gestatten, und solchen Falls wird die offnung berechtigt sein, daß unsere deutsche Schiffahrt, dieser für unser deutsches Erwerbsleben mächtige Faktor, blühen, wachsen und gedeihen möge in alle Zukunft.
Abg. Kirsch (Zentr.): Die Herren vom Bundesrath haben das Lob der Hamburger Rhederei nach jeder Richtung hin gesungen. Ich
mische mich in den Streit zwischen Ihnen und Herrn Raab nicht, aber einiges Wasser moͤchte ich in Ihren Wein doch sche ken, denn mir fällt daber die Stellungnahme Hamburgs zu der Flotten⸗ vermehrung und zum Mittelland⸗Kanal ein. Gewisse Bestimmungen sollen auch in diesem Gesetze vom Bundesrath allein erlassen werden; angesichts des Artikels 5 der Reicheverfassung und nach den in diesem Jahre gemachten Erfahrungen wird auch bei dieser Vorlage genau zu prüfen sein, ob diese Vorschrift noch zeitgemäß ist. Es wird uns heute gesagt, die Kommissionsbeschlüsse hätten nicht berücksichtigt werden können, da die Kommissionsarbeit garnicht zum Abschluß gekommen sei. Das ist doch ein sehr formeller Ein⸗ wand. Unsere Stellung zur Vorlage ist schon in der porigen Session präzise dargelegt worden. Wir können uns die absprechende Be⸗ urtheilung, welche einzelne Theile ver Vorlage durch die Herren Semler und Lenzmann erfahren haben, nicht zu eigen machen. Für Seeschöffengerichte werden wir eintreten, ebenso für eine bessere For⸗ mulierung der Bestimmungen über die Sonntagsarbeit. Herr Semler stellt sich auf den Standpunkt des „navigare necesse est, vivere necesse non est“; das sind alles Uebertreibungen. Es wird sich auch in der Kommission darum handeln, die sozialen Interessen der Seeleute gerecht abzuwägen mit den ebenfalls sehr gewichtigen Inter⸗ essen der deutschen Rbederei.
Abg. Dr. Stockmann (Rp.): Nach der ausgiebigen Diskussion im vorigen Jahre ist es einigerm ßen auffällig, daß sich auch jetzt eine zweitägige Erörterung über die Vorlage entsponnen hat. Ich möchte mich auf einige allgemeine Gesichtspunkte beschränken. Meine Freunde erkennen an, daß die Vorlage eine große Anzahl von Ver⸗ besserungen enthält, und werden deshalb mit warmem Interesse für unsere seefahrende Bevölkerung an der Verabschiedung der Vorlage mitwirken. Im Großen und Ganzen trifft die Vorlage das Richtige und kommt auch den Wünschen unserer Seeleute in weitem Maße entgegen, ohne die Interessen der Rhederei außer Acht zu lassen. Wir können nur dann zu einer guten Seemannsordnung kommen, wenn wir die Bestimmungen zu Gunsten unserer Seeleute — so warm wir auch für sie fühlen — doch schließlich nicht treffen, ohne die Interessen unserer Rbederei zu berücksichtigen. Wenn wir durch enge und rigorose Bestimmungen die Rhederei schädigen und ihr oie Konkurrenzfähigkeit dem Ausland gegenüber unmöglich machen, so schärigen wir uns am meisten unsere Seeleute selobst, die an einer blühenden Rhederei das größte Interesse haben. Bei einem Nieder⸗ gang der Rhederei würden unsere Seeleute ins Ausland auf fremde Schiffe getrieben, was nicht im vaterländischen Interesse liegt. Es zeugt von einem zu weitgehenden Mißtrauen gegen unsere Rhedereien, wenn man jede freie Vereinbarung neben der Seemannsordnung ausschließen will. Die freie Vereinbarung ist bei den Bestimmungen des Wache⸗ um Wachedienstes nothwendig, wenn nicht die kleinen Rhedereien aufs schwerste “ werden sollen. Aber auch die Seeleute selbst würde es schädigen, wenn die freie Vereinbarung gänzlich untersagt würde. Was die Sonntagtarbeit betrifft, so ist in der vorigen Kom⸗ mission mitgetheilt worden, daß noch eine Anzahl englischer Kohlen⸗ schiffe in Hamburg am Sonntage löschen. Ist dem so, so wird nichts übrig bleiben, als die Sonntagsruhe direkt in das Gesetz aufzunehmen. Von der äußersten Linken sind hier Bestrebungen hervorgetreten, welche offenbar darauf hinausgehen, die Disziplin auf den See⸗ schiffen zu untergraben. Diesen Bestrebungen werden wir aufs entschiedenste entgegentreten müssen, die Disziplin muß aufs strengste — erhalten werden auch im Interesse unserer seemännischen Be⸗ völkerung.
Bevollmächtigter zum Bundesrath, Senator der freien und Hanse⸗ stadt Hamburg Dr. Burchard: Meine Herren! Ich kann mich auf eine kurie Bemerkung beschränken. Wenn ich den Herrn Abg. Dr. Stockmann recht verstanden habe, so hat er eben die Aeußerung gethan, daß von dem größeren Theile der Schiffe im Hamburger Hafen am Sonntag gearbeitet würde. Da ist dem
errn Abgeordneten dech ein Irrthum untergelaufen. Die Sache liegt so, daß allerdings, was ich persönlich freilich bedauere, noch eine ziemlich erhebliche Sonntagsarbeit im Hamburger Hafen geleistet wird. Uebrigens ist man in Hamburg kein Freund der Sonntagsarbeit. Die Löschordnung bestimmt — im Gegensatz zum Handelsgesetzbuch —, daß Sonn⸗ und Feiertage für die Löschzeit nicht in Anrechnung kommen. Im allgemeinen sind die betheiligten Kreise, vor allen Dingen die Rhedereikreise, der Sonntagsarbeit sehr abgeneigt. Der Herr Abgeorbnete wolle gütigst von folgenden Zahlen Kenntniß nehmen. Die Zahl der Schiffe, welche an Sonntagen ge⸗ arbeitet haben, ist vom Jahre 1898 auf 1899 sehr erheblich zurückgegangen. Im Jahre 1898 sind im Hamburger Hafen angekommen 12 523 Seeschiffe und 19 775 Oberländer Fahr⸗ zeuge,. Im Jahre 1899 sind angekommen 13 312 Segelschiffe, also fast 800 Seeschiffe mehr, und 17 593 Oberländer. Währen nun im Jahre 1898 noch im Ganzen auf 2320 Schiffen im Jahre gearbeitet ist inklusive der Kohlenschiffe, ist im Jahre 1899 nur noch auf 1730 Schiffen, also auf 600 weniger, gearbeitet. Es ist also auf weniger Schiffen im Jahre 1899 gearbeitet worden, während die Zahl der einkommenden Serschiffe allein 800 mehr hetragen hat. Aehnlich ist es mit der Zunahme der abgegangenen Schiffe. Im Jahre 1898 sind abgegangen 12 532 Seeschiffe, im Jahre 1899 13 336; im Jahre 1898 19 752 Oberländer Fahrzeuge, im Jahre 1899 17 631. Die Sonntagsarbeit hat also abfolut und relativ eine erhebliche Abnahme erfahren, was ich zu meiner Befriedigung konstatieren kann.
Abg. Dr. Hahn (6. k. F.): Nach diesen Mittheilungen dürfen wir hoffen, daß die Sonntagsarbeit im Hamburger Hafen immer mehr abnehmen wird. Ich habe eine sehr hohe Achtung vor der Seeberufsgenossenschaft, möchte aber trotzdem nicht, daß die soziale Fürsorge für die Seeleute ihr allein zufällt. Die Kompetenz des Reiches geht hinsichtlich des Seeverkehrs und der Schiffahrt sehr weit, wie Artikel 54 beweist. Die Reichsinstanz können wir daher in der Fürsorge für unsere seefahrende Bevölkerung nicht missen. An die Stelle der kleinen und mittleren Schiffahrt ist mehr und mehr die Großschiffahrt getreten, und dieser Umstand allein recht⸗ fertigt schon die Abänderung der Seemannsordnung. Wir werden in der Kommission möglichst differenzieren müssen, die große trans⸗ atlantische Fahrt wird für sich zu behandeln sein, daneben müssen Rücksichten genommen werden auf die Bedürfnisse der mittleren und kleineren Rhedereien, der Hochseefischerei u. s. w. Für die Sicherheit des Schiffsmannes ist in den letzten Jahren nicht überall ausreichend gesorgt worden: ich erwähne nur den Transport von Ziegeln in offenen Schuten durch Schleppdampfer. Die Tiefladelinie wird sich ohne weiteres nicht durchführen lassen; man muß sich vorher über gewisse Erleichterungen verständigen. Von dem deutschen Schiffs⸗ mann muß die Losung gelten: Primo vivere, deinde navigare! 5 dieser Losung müssen wir in der Kommisston an die Arbeit gehen.
Abg. Bargmann (fr. Volksp.) erklärt sich für eine ausgedehnte Sonntagsruhe der Seeleute. Die etwaigen Ausnahmefälle zu be⸗ stimmen, sollte man nicht den örtlichen Polizeibehörden überlassen, sondern im Gesetz spezialisieren, damit nicht die Behörden diese Be⸗ stimmung mißbrauchen. Ein Entgelt für die Ueberstundenarbeit der Offiziere ließe eine Schmälerung ihrer Autorität nicht befürchten. Wer zu stolz sei, um diese Ueberstunden zu übernehmen, würde künftig darauf verzichten. Auch gegen eine Herabsetzung der Arbeitszeit in den Tropen auf acht Stunden habe er nichts einzuwenden. Redner geht dann noch auf den Heuervertrag, das Disziplinarverfahren, die Ge. schöffengerichte und das Koalitionsrecht der Seeleute ein und schließt
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sich demn Antrage auf Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 21 Mitgliedern an.
Abg. Raab tritt den Ausführungen des Senators Dr. Burchard entgegen. Durch das Koalitionsverbot hätten sich die Hamburger Rheder in der That in sozialer Beziebung um den letzten Rest von Achtung gebracht. Das habe sogar die „Franlfurter Zeitung“ an⸗ erkannt. Wenn der Senator Dr. Burchard für seine Broschüre unfrei⸗ willig: Reklume gemacht habe, so sei er ihm dafür dankbar. Die zweite Auflage sei wohl nunmehr gesichert. Wenn der Senator Dr. Burchard die Beröffentlichung des Buches für unnöthig erklärt babe, nachdem die eine darin an⸗ gegriffene Peison gestorben sei, so wisse er wohl nicht, daß, wenn der Verfasser die Verbreitung seines Buches unter⸗ sage, er dem Verleger aus eigener Tasche den Schaden ersetzen müsse. Er, Redner, würde das Buch nicht geschrieben haben, wenn er nicht auf den Berufsgenossenschaftstag von dem betreffenden Herrn als naseweiser Mensch hingestellt worden wäre, insofern er als Porzellanmaler von Navigationsdingen nichts verstehe. Er babe zeigen wollen, daß er von diesen Fragen vielleicht mehr verstehe als einzelne Rheder, die ihr ganzes Leben in der Schweiz zugebracht hätten. Da er das Buch nicht habe rückgängig machen können, habe er wenigstens im Vorwort jenen Herrn als einen tüchtigen, vom hanseatischen Geist erfüllten Mann bezeichnet, dessen Rücksichtslosig⸗ keit sich nicht minder gegen die eigene Person als gegen andere wandte. Damit glaube er die Pflichten der Ritterlichkeit erfüllt zu haben. Redner hält gegenüber dem Senator alle seine früheren Aus⸗ führungen über Beschränkung des Kealitionsrechts, Sonntagsarbeit und medrige Unfallrenten der Seeberufsgenossenschaft aufrecht und. verliest zur Rechtfertigung des Mißtrauens der Seearbeiter gegenüber der Seebrrufsgenossenschaft ein Schreiben vom 18. Februar 1896, welches der damalige Vorsitzende der Berufsgenossenschaft an die übrigen Vorstandsmitglieder gerichtet hat. In diesem Schreiben wird gesagt, daß die Unfallverhütungsvorschriften weniger einen direklen praktischen Zweck hätten, als nur zur Dekoration dienten. Er habe Zeugen dafür, daß das Schreiben sich in den Akten der Berufsgenossenschaft befunden habe.
Hierauf wird die Debatte geschlossen.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Dieses Schreiben, was eben der Herr Vor⸗ redner von der Tribüne des Hauses verlesen hat, ist, wenn authentisch, von solcher Bedeutung, daß ich ihn bitten muß, mir eine Abschrift desselben einzuhändigen. Ich kann nur erklären: mir ist dieses Schreiben absolut unbekannt.
Hiermit ist die Diskussion wieder eröffnet. Da sich nie⸗ mand zu Worte meldet, wird sie aufs neue geschlossen.
Nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Lenzmann, Molkenbuhr (Soz.) und Schwartz⸗Lübeck wird der Gesetz⸗ entwurf einer Kommission von 21 Mitgliedern zur Vor⸗ berathung überwiesen.
Schluß 6 ¾ Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die privaten Versicherungsunternehmungen. Rechnungssachen.)
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Literatur über die neuen Unfallversicherungza⸗ gesetze. Mit den zum überwiegenden Theile bereits am 1. Oktober d. J. in Kraft getretenen Aenderungen der Unfallversicherungsgesetze ist auf dem Gebiete der Fürsorge für die arbeitende Bevölkerung ein be⸗ deutender Schritt weiter getban worden. Die im Laufe der Jahre mit den bisherigen Unfalloersicherungsgesetzen gemachten Erfahrungen siad zur Beseitung entstandener Zweifel und zur Ausfüllung hervorgetretener Lücken bestens verwerthet, die Unfall⸗ versicherung ist auf eine Reihe weiterer Gewerbezweige er⸗ streckt, der Kreis der versi herten Personen erheblich erweitert, die Bezüge derselben sind erhoht, und das Verfahren zur Feststellung der Entschädigungen ist überall im Interesse der Versicherten be⸗ schleunigt, wesentlich vereinfacht und mit größeren Sicherheiten aus⸗ 11 Angesichts dieser Rechtsänderungen tritt an den großen
reis derjenigen, welche von den Unfallversicherungsgesetzen berührt werden oder an ihrer Ausführung mitzuarbeiten haben (die ehrenamtlichen Organe und die Beamten der Berufsgenossenschaften, die Mitglieder der Schiedsgerichte, der höheren und unteren Verwaltungsbehörden, die Vorstände der Krankenkassen, die Unternehmer versicherungs⸗ pflichtiger Betriebe u. s. w.), die Nothwendigkeit heran, sich genau mit dem neugeschaffenen Rechte vertraut zu machen. Hierfür finden sie ein erwünschtes Hilfsmittel in dem Werke „Die Unfallversicherungsgesetze des Deutschen Reichs, Gesetz vom 30. Juni 1900 in der Fassung der Bekanntmachung des Reichs⸗ kanzlers vom 5. Juli 1900 nebst den Materialien, mit Anmerkungen und Sachregister“, bearbeitet von C. Graef, Geheimem Regierungs⸗ rath und ständigem Mitglied des Reichs⸗Versicherungsamts (Verlag von A. Asher u. Co, Berlin; geb. 7 ℳ). In dem 523 Seiten um⸗ sassen den Buche giebt der Verfasser sämmtliche neuen Unfallversicherungs⸗ gesetze, nämlich das (sogenannte Mantel⸗) Gesetz;, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, welches u. a. die Bestimmungen über die Schiedsgerichte sowie über die Organisation und den Geschäftsgang des Reichs⸗Versicherungsamts und der Landes⸗Versicherungsämter für alle Unfallversicherungsgesetze enthält, ferner das Gewerbe⸗Unfall⸗ versicherungsgesetz, dasjenige für Land⸗ und Forstwirthschaft, das Bau⸗ und das See⸗Unfallversicherungsgesetz, vollständig und genau nach ihrem Wortlaute wieder und erläutert dieselben. Kommentare zu den beiden ersten Gesetzen, den Gewerbe⸗Unfallversicherungsgesetz nebst dem Gesetz, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, haben ferner Dr. F. Hoffmann, Geheimer Regierungsrath und vortragender Rath im Ministerium für Handel und Gewerbe (Berlin, Karl Heymann’s Verlag; geb. 2 ℳ), und Dr. W. Brandis, vorm. Amtsrichter, berufsgenossenschaftlicher Vertreter vor dem Reichs⸗Ver⸗ 1“““ in Gemeinschaft mit Dr. G. Meyer, Bramten der Nordöstlichen Baugewerks⸗Berufsgenossenschaft, (Gesetzverlag Schulze u. Co., Groß⸗Lichterfelde; kart. 2,60 ℳ) geliefert, und einen Kommentar zum neuen Bau⸗Unfallversicherungs⸗ gesetz mit einem Abdruck des Gewerbe⸗Unfallversicherungs⸗ gesetzes hat der Regierungsrath a. D. R. Chrzescinski, ehemaliges ständiges Mitglied des Reichs⸗Versicherungsamts, herausgegeben (Verlag von J. Guttentag, Berlin, geb. 2 ℳ). In allen vier Be⸗ arbeitungen tragen die aus den Materialien, dem Kommissionsberichte und den Reichstagsverhandlungen entnommenen, klaren Erläuterungen wesentlich zum Verständniß des Gesetzestextes bei. Hoffmann hat auch die zu dem Gewerbe⸗Unfallversicherungsgesetze vom 6. Juli 1884 ergangene Rechtsprechung des Reichs⸗Versicherungsamts berücksichtig soweit sie nicht durch die am 1. Oktober in Kraft getretene Novell hinfällig geworden ist. Die langjährige amtliche Thätigkeit I. Graef und Hoffmann sowie den Verfasser des Kommentars zum Bau Unfallversicherungsgesetz die leitenden Grundgedanken der Gesetze un die Bedürfnisse der davon berührten Personen mit richtigem Ver