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ist, ob ein Entwurf auf Grund dieser Verhandlungen Ihnen schon in Bälde wird vorgelegt werden können.
Ich schließe das Gesammtbild des eigenen Reichshaushalts für das laufende Jahr mit einer Wiederholung der gegebenen Ziffern: Mehrausgaben, abzüglich der Minderausgaben 4 Millionen, Mehr⸗ einnahmen, abzüglich der Mindereinnahmen, 8 Millionen, bleibt ein reiner Ueberschuß auf den Etat von 1902 zu übertragen in Höhe von 4 Millionen. Hierzu tritt noch der zu erwartende Mehrertrag des Reichsantheils am Gewinn der Reichsbank. Die Höhe dieses Mehr⸗ ertrages kann ich allerdings noch nicht beziffern; sofern der Ertrag der Reichsbank der gleiche ist wie im verflossenen Jahre, würden es vielleicht 6 Millionen sein können. Das gebe ich aber ausdrücklich nur als ganz vage Schätzung, und in diesem Falle, meine Herren, ist der Ueberschuß, den wir nach 1902 übertragen werden, um mehr als 20 Millionen geringer als der, den wir nach dem Ihnen vorgelegten Etat auf 1901 übertragen. Auf diese Ziffer werde ich noch einmal zurückkommen müssen.
Ehe ich zu den Ueberweisungssteuern für 1900, das laufende Jahr, übergehe, möchte ich noch von zwei Steuern sprechen, die wir noch nicht haben, aber gerne haben möchten. Das eine ist die Schaum⸗ weinsteuer, das andere die Steuer auf künstliche Süßstoffe, gemeinhin Saccharinsteuer genannt. Es ist bereits in der Budgetkommission beiläufig die Frage an mich gerichtet worden: Wann bekommen wir endlich diese beiden Gesetze? und ich möchte, da der Gang der Verhandlungen in der Budgetkommission die Frage wieder beiseite schob, die Antwort hier gleich dem hohen Hause geben. Das Schaumweinsteuergesetz bekommen wir voraussichtlich sehr bald; das Saccharinsteuergesetz wird auf das eifrigste gefördert, aber eine sehr baldige Vorlegung desselben an das hohe Haus kann ich aus Gründen, die ich sofort entwickeln werde, nicht in Aussicht stellen. Beide Steuern sind auf äußeren Anschein ziemlich gleichartig, beide Stoffe, der Schaumwein und die Süßstoffe, werden in Fabriken erzeugt. Man möchte sagen, man richte für beide doch eine ähnliche Kontrole ein, und da könne man sie in gleicher Weise mit Steuern fassen. Das trifft aber nicht zu. Der Schaum⸗ wein wird in Fabriken erzeugt, welche sich fast ausschließlich, oder ich möchte sagen ganz ausschließlich, mit diesem einzigen Artikel befassen. Sie erzeugen ihn vielleicht in verschiedenen Güten, zu verschiedenen Preisen und in verschiedener Ausstattung, aber es ist doch im Großen und Ganzen der gleiche Artikel, und wenn sie nebenbei, wie es bei den meisten Schaumweinfabriken geschieht, noch einen Handel mit stillen Weinen treiben, so hat das auf die eigent⸗ liche Fabrikation keinen weiteren Einfluß. Beim Saccharin ist es ganz anders. Das Saccharin wird erzeugt in einer Reihe von chemischen Fabriken, welche alle, vielleicht mit einer einzigen Aus⸗ nahme, im Saccharin nur einen Nebenerwerb sehen, und welche das Saccharin, oder wie sie ihre Süßstoffe sonst benennen mögen, neben Hunderten, neben Tausenden anderer chemischen Erzeugnisse hervor⸗ bringen. Dieser Umstand schon bedingt eine gänzlich verschiedene Art der Kontrole. Eine Kontrole, welche beim Schaumwein die Steuer⸗ sicherbeit verbürgt, würde uns beim Saccharin im Stiche lassen, und eine Steuerkontrole, welche auf das Saccharin zugeschnitten ist, würde wegen ihrer strengen Maßnahmen vielleicht die Schaumweinfabrikation auf das Allerernsteste schädigen. Beide Steuern sind also gänzlich auseinander zu halten, umsomehr als die in Aussicht genommene Steuer auf den Schaumwein nur einen Bruchtheil von dessen Werth darstellen soll, die Steuer auf die Süßstoffe dagegen ein Vielfaches von deren Werth. Ein Schaumweinsteuergesetz ist im Reichs⸗ Schatzamt ausgearbeitet worden und liegt gegenwärtig anderen Ressorts zur Prüfung vor. Ich kann mich also der Annahme hingeben, daß es in nicht allzu ferner Zeit, hoffentlich bald nach den Weihnachtsferien, dem hohen Hause zugehen wird. Bei den Süß⸗ stoffen indessen hat eine eingehende Prüfung der Verhältnisse, der Besuch sämmtlicher Fabriken, welche Süßstoffe irgend welcher Art erzeugen, eine Prüfung der Fabrikationsarten und des Betriebes solche Schwierigkeiten ergeben, daß es bis jetzt noch nicht gelungen ist, diejenige Formel zu finden, die den Steuereingang absolut sichert, ohne zugleich eine unserer blühendsten Industrien, die chemische Industrie, mit unübersteiglichen Betriebsschwierigkeiten iu umgeben. Ich muß Sie also bitten, mit diesem Gesetz noch einige Geduld zu haben, und möchte besonders darauf hin⸗ weisen, daß das starke Ansteigen der Zuckersteuer bei einem nicht wesentlich verminderten Import, dessen Ziffern ich Ihnen vorhin für die letzten vier Jahre, also die Jahre nach dem Inkrafttreten des Zuckersteuergesetzes im Jahre 1896, im einzelnen genannt habe, mir doch darauf hinzudeuten scheint, daß nicht jedes Gramm Saccharin 400 oder 500 g Zucker verdrängt. Ich gebe zu, daß einige Gramm Zucker durch ein Gramm Saccharin verdrängt werden mögen; aber die Ziffern, die ich eben gegeben habe, sprechen dafür, daß die Ge⸗ fahren, welche das Saccharin und die ihm verwandten Süßstoffe für die Zuckerindustrie im Gefolge haben mögen, von einigen Seiten doch stark überschätzt worden sind. (Hört! hört!)
Bei den Ueberweisungssteuern des laufenden Jahre habe ich zum ersten Mal nach langer Zeit Ihnen zu sagen, daß die Zölle voraussichtlich den Etatsanschlag nicht erreichen werden, und es ist wahrscheinlich, daß ein Minderertrag bei den Zöllen und der Tabackssteuer — letztere können wir weglassen, da sie ja den Zöllen gegenüber nur eine ganz verschwindende Rolle spielt — mit 3 ½ Millionen eintreten wird, und zwar ist eine solche Mindereinnahme wahrscheinlich trotz der in diesem Sommer geschehenen Erhöhung der Zölle auf ausländische Liqueure und ähnliches, auch auf ausländische Schaumweine, weil der Handel vor dem Inkrafttreten dieser Zollerhöhung bereits sich vorgesehen hatte und sich für etliche Monate hinaus mit den nöthigen Mengen fremder Waare gedäeckt hat.
Wenn eine Mindereinnahme von 3 ½ Millionen bei den Zöllen vielleicht geringfügig erscheint, so möͤchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß diese Mindereinnahme, verglichen mit dem Etatsanschlag für 1901, schon einer Mindereinnahme von 9 Millionen gleichkommt, und daß eine Mehreinnahme auf dem Gebiete anderer Ueberweisungs⸗ steuern nur in beschränktem Maße vorhanden ist.
Die Branntweinverbrauchsabgabe wird vorautsichtlich ein Mehr von 4 Millionen liefern, das die Mindereinnahme bei den Zöllen ungefähr deckt.
Von der Stempelsteuer, meine Herren, brauche ich heute nicht zu reden. Was an Mehreinnahmen gegenüber dem Etat im laufenden
„Jahre eingehen wird, ist bereits auf Grund Ihrer Beschlüsse den
Betriebsmitteln der Reichs⸗Hauptkasse zugeschrieben worden, und
Schätzungen zulässig sein mögen, werden sich also im Etat selber nicht fühlbar machen.
Wenn wir nun an der Hand der Mindererträge der Zölle auf das Jahr 1902 hinausblicken, so möchte ich, ehe ich zum Etat für 1901 übergehe, noch einige allgemeine Ziffern nennen, welche die nächste Zukunft überhaupt betreffen. Sie haben gesehen, daß die Jahre der hohen Zollüberschüsse vorüber sind, daß die Jahre der aus den reichseigenen Einnahmen auf das übernächste Jahr, das sogenannte Ueberwälzungsjahr, vorzutragenden starken Ueberschüsse auch vorüber sind. Denn für 1902 werden wir wahrscheinlich nur 4 Millionen zuzüglich des Antheils an dem Gewinn der Reichsbank, also vielleicht einen Mehrertrag von 10 Millionen, einzustellen haben gegen 32 Millionen, die wir für 1901 ein⸗ stellen. Außerdem muß ich darauf aufmerksam machen, daß die Spannung bei den Ueberweisungssteuern, welche sich für 1899 und für 1900 mit je 13 Millionen günstig bemerkbar machte, indem die Matrikularbeiträge um soviel höher beziffert werden konnten, im Jahre 1901 bereits verschwunden ist, und daß auch schwerlich für 1902 eine solche Spannung zu erwarten sein wird.
Sie sehen aus diesen Anzeichen, welche die Ziffern und die Er⸗ wartungen des laufenden Jahres 1900 Ihnen an die Hände geben, aus dem Zurückgehen der Ueberschüsse im eigenen Reichshaushalt, aus der Unwahrscheinlichkeit nennenswerther Ueberschüsse auf dem Gebiete der Ueberweisungen, daß bei sonst gleichbleibenden Bedingungen die Etats für 1902 und 1903 ganz erheblich schwerer zu balancieren sein werden, als die Etats für 1900 und 1901 es sind. Aber die übrigen Be⸗ dingungen bleiben sich eben nicht gleich, vielmehr finden Sie auch hier die Grundlage dauernd wachsender Schwierigkeiten. Ich nenne Ihnen — ganz abgesehen von etwaigen neuen Erscheinungen in den Etats, die ich selber noch nicht kenne, — lediglich das stetige An⸗ wachsen der Zuschüsse zur Alters⸗ und Invaliditätsversicherung, das Anwachsen der Schuldzinsen auf Grund der ordentlichen Anleihen sowohl wie auf Grund der jetzt bevorstehenden China⸗Anleihe, das stetige Anwachsen der auf Rechtspflicht beruhenden Pen⸗ sionen und die mit jedem Jahre steigenden Anforderungen des gesetzlich feststehenden Flottenplanes. Ich kann dies nicht ungesagt sein lassen, weil in der Presse mir verschiedentlich Aeußerungen aufgefallen sind, als hätte ich die Reichsfinanzen zu sehr schwarz in schwarz gemalt. Ich male weder schwarz, noch male ich rosig; ich gebe Ihnen einfach die Ziffern und überlasse Ihnen, die Schlüsse daraus selber zu ziehen. Aber ich kann nicht anerkennen — und wiederhole dies ausdrücklich —, daß ich, sei es in der Budget⸗ kommission, sei es hier, Ihnen ein zu schwarz gemaltes Bild der Reichsfinanzen vorlege.
Meine Herren, die Einleitung in den Etat für 1901 hat so viele Themata berühren müssen, daß die Einleitung wahrscheinlich länger geworden ist, als die Sache selber, nämlich die Besprechung des
tats für 1901, werden wird. Er liegt Ihnen gedruckt vor, und ich beschränke mich deshalb darauf, Ihnen einzelne der wichtigsten Ziffern daraus kurz zu nennen.
Im Haupt⸗Etat finden Sie zunächst einige Posten, die in den Spezial⸗Etats nicht wiederkehren, und die ich erläutern moͤchte. Sie finden im Haupt⸗Etat 3 Millionen eingestellt zur Verminderung der Reichs⸗Anleihe. Das ist nicht so zu verstehen, als ob wir diese 3 Millionen bei der Bilancierung übrig behalten hätten und nun nichts Besseres damit anzufangen wüßten; der Posten ist im Gegen⸗ theil von vornherein reserviert geblieben, um gewissermaßen als ideale Deckung zu dienen für die Verzinsung derjenigen Anleihe, die wir 1901 für die Fortsetzung der China⸗Expedition werden beschließen und werden aufnehmen müssen. Der Zeitpunkt der Aufnahme dieser Anleihe ist ebenso wenig bekannt wie ihre Höhe; wir konnten deshalb nur einen runden Betrag dafür einstellen, wie er sich bei der Bilancierung eben ergeben hat.
Ferner finden Sie auf Seite 50 des Haupt⸗Etats eine Denkschrift über die Grundsätze, welche die Deckung der Ausgaben durch Anleihen bestimmen. Diese Grundsätze entsprechen im wesentlichen der geltenden Praxis und bringen Ihnen nichts Neues. Nur möchte ich betonen: es ist der eenste Wille der Reichs⸗Finanzverwaltung, diese Grundsätze bis ins einzelne hinein in künftigen Etats zu befolgen; aber ein pythagoreischer Lehrsatz, von dem eine Abweichung selbst im kleinsten nicht zulässig ist, sollen diese Grundsätze nicht sein. Es können neue Verhältnisse kommen, welche neue oder veränderte An⸗ forderungen an uns stellen (hört, hört!), und dann wird es Ihre Sache sein, im einzelnen darüber zu befinden, ob diese Grundsätze zu verengern, zu erweitern oder sonst wie zu verändern sind. Vor der Hand entsprechen sie der geübten Praxis und werden dies voraussichtlich auch in den nächsten Jahren thun.
Zu den Einzel⸗Etats übergehend, nenne ich Ihnen beim Aus⸗ wärtigen Amt verschiedene Posten, welche gewissermaßen die Neben⸗ glieder des diplomatischen und konsularischen Dienstes betreffen — ich meine die landwirthschaftlichen Sachverständigen, die Sach⸗ verständigen für Handelsangelegenheiten und eine neue Einrichtung bei der Kolonialabtheilung, nämlich die kaufmännische Vorbildung von Assessoren in Hansestädten. Finanziell sind diese Posten ganz unbedeutend; ich weise nur darauf hin, um Ihnen zu zeigen, daß seitens der Regierung auf eine Ausbildung dieser von allen Seiten als nützlich anerkannten Institution hingewirkt worden ist.
Bei den Schutzjebieten haben sich die Zuschüsse — ich möchte
sagen: leider, ich kann es aber nicht ändern gesteigert; sie belaufen sich für 1901 auf rund 5 Millionen mehr als im Jahre 1900, und für Kiautschou tritt noch eine fernere Million hinzu. Im Etat der Schutzgebiete sind 5 Millionen für Eisenbahnbauten enthalten, nämlich 3 Millionen für den Weiterbau in Südwest⸗Afrika und 2 Millionen für den Anfang einer Bahn in Deutsch Ostafrika; außerdem etwas über eine halbe Million für eine kleine Eisenbahn in Togo mit zu⸗ gehöriger Landungsbrücke. Im Etat des Reichsamts des Innern beträgt die Mehrbelastung auf Grund des Invaliden⸗Versicherungsgesetzes etwas über 4 Millionen. Trotz aller Mühe bei den Schätzungen und trotz aller Gewissen⸗ haftigkeit haben wir immer noch nicht mit dem Anwachsen dieses Beitrages Schritt halten können. Regelmäßig sind die Anforderungen höher, als die Schätzungen hatten annehmen lassen. Da läßt sich aber nichts ändern, da dieser Zuschuß auf dem Gesetz selbst beruht.
Außerdem finden Sie eine fernere Bethätigung des Reichs auf sozialpolitischem Gebiet in einem Titel beim Reichsamt des Innern im Betrage von 2 Millionen zur Herstellung von Kleinwohnungen für Arbeiter. Wie die beigegebene Denkschrift Ihnen sagt, soll nicht
etwaige Mehreinnahmen, über deren Höhe ja noch sehr verschiedene
in der Weise vorgegangen werden, daß das Reich selber Woh⸗
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nungen baut, es sollen vielmehr Zuschüsse gegeben werden an gemein⸗ nützige Gesellschaften und ähnliche Verbände, um ihnen die Erbauung von Kleinwohnungen für Arbeiter und minder gut besoldete Beamte zu erleichtern.
Bei der Verwaltung des Reichsheeres werden, einschließlich des bayerischen Antheils, etwas über 18 Millionen an fortdauernden Aus⸗ gaben gefordert, neben einem Rückgang der einmaligen Ausgaben von rund 8 Millionen; das ergiebt also eine Steigerung von 10 Millionen.
Bei der Marine finden Sie eine Mehrforderung von 6 Millionen an fortdauernden und 42 Millionen an einmaligen Ausgaben. Diese letzteren halten sich, wie ich Ihnen be⸗ merken darf, im Rahmen des Flbottengesetzes, und sie werden aus dem Etat ersehen haben, daß beim Marine⸗Etat das neue Finanzierungssystem, wie es in der Budgetkommission seiner Zeit angeregt worden war, platzgegriffen hat. Wir setzen jetzt auf ordentliche Mittel 6 % vom Werth der Flotte statt wie früher 5 %2 und die vollen Armierungskosten statt wie früher zwei Drittel der⸗ selben. Durch diese Maßnahme hat erzielt werden können, daß der Anleihebedarf der Marine um 12 ½ Millionen geringer bleibt, als er nach dem alten System ausgefallen wäre.
Bei der Reichsschuld finden Sie eine Steigerung des Zinsentitelt von 8 ½ Millionen. Hiervon sind berechnet rund 5 Millionen auf die China⸗Anleihe, die wir bereits in diesem Jahre beantragt haben, und weitere 3 Millionen, die ich Ihnen vorhin nannte, sind im Titel zur Verminderung der Reichsschuld für die Verzinsung der 1901 kommenden China⸗Anleihe für die Fortsetzung der Expedition vorgesehen worden.
Bei den Betriebsverwaltungen, der Post und den Eisenbahnen, haben wesentlich höhere Ueberschüsse gegen den Etat des laufenden Jahres nicht vorgesehen werden können. Die Gründe, die bei der Post dafür maßgebend sind, habe ich bereits erörtert und brauche ste nicht zu wiederholen. Es läßt sich hoffen, daß im Laufe des letzten Jahres eine Steigerung des Verkehrs den Ausfall allmählich einholen wird. Daß dieses aber in solchen Jahren, wo das Verkehrsleben im allgemeinen rückläufig geworden ist, nicht schnell gehen kann, werden Sie mir zugeben müssen.
Bei der Post habe ich noch nachzuholen, daß die Beitragsleistung der süddeutschen Staaten mit eigenen Posten anders geregelt worden ist durch eine neue Verrechnung mit Bezug auf die Postanstalten der Schutzgebiete. Es stellt sich infolge davon eine Mehrbelastung von Bayern und Württemberg mit etwas über 100 000 ℳ jährlich heraus.
Bei den Zöllen und Steuern kann ich nur wenig Z ffern geben, die auch aus dem Etat selbst ersichtlich sind. Ich möchte nur auf einen Gegenstand allgemeinen Interesses zu sprechen kommen und damit meine Einleitung schließen. Es ist von verschiedenen Seiten wiederholt gefragt worden: Wann kommt endlich der neue Zolltarif? (Hört! hört!) Darauf möchte ich, weil diese Frage voraussichtlich beim weiteren Verlauf der Etatsberathung doch kommen wird, lieber jetzt schon antworten. Sie entsinnen sich, meine Herren, daß es noch nicht volle zwei Monate her ist, daß der wirthschaftliche Ausschuß seine Arbeiten beendigt hat. Im Reichs⸗ Schatzamt sind schon während dessen Berathungen, soweit es überhaupt möglich war — sämmtliche am Zollwesen betheiligte höhere Beamte des Reichs⸗Schatzamts nahmen auch an den Sitzungen theil und konnten nicht gleichzeitig aus dem Resultat dieser Sitzungen Ausarbeitungen machen —, die Vorbereitungen zum Zolltarif gefördert worden, und als der wirthschaftliche Ausschuß vor einigen Wochen seine Berathungen schloß, ist sofort mit Volldampf darangegangen worden, die einzelnen Zollsätze zu dem im großen Ganzen feststehenden Schema auszuarbeiten und einzustellen. Diese Arbeit, die EGinstellung der vorzuschlagenden Zollsätze in das Schema, ist im Reichs⸗Schatzamt bereits beendet. Aber es erübrigt sich jetzt noch die Ausarbeitung des gesammten statistischen und handelspolitischen Materials, ohne dessen Beigabe die einzelnen Zollsätze für eine weitere Berathung wenig Werth haben. Es wird daran, wie ich Ihnen die Versicherung geben kann, mit Aufbietung aller dem Reichs⸗Schatzamt angehörenden Kräfte gearbeitet; aber bei einer Zahl von fast 1000 einzelnen Tarifstellen wird es immerhin noch einige Wochen erfordern, bis diese Arbeit beendet ist. Sobald das Material fertig vorliegt, geht der Entwurf unverzüglich seitens des Reichs⸗Schatzamts an die übrigen betheiligten Verwaltungen, und diese werden, wie ich keinen Grund habe zu be⸗ zweifeln, auch ihre Thätigkeit so sehr beschleunigen, als der außer⸗ ordentliche Umfang der Arbeit es nur irgendwie zulassen wird.
Im Etat für 1901 haben wir die Zölle mit 6 Millionen höher einsetzen können als im laufenden Jahre; aber alle Welt weiß, daß das eine rein schematische Abschätzung darstellt, auf Grund der letzten 24 Monate im allgemeinen und auf Grund der letzten drei Jahre, was
die Getreidezölle anbetrifft. Ob der Etatsansatz für 1901 durch die thatsächlichen Einnahmen erreicht werden wird, wissen wir nicht; ich glaube, es wird nur in dem sehr unerwünschten Falle so sein, daß wir eine schlechte Ernte bekommen, und das ist ein Fall, den niemand in diesem hohen Hause wünschen kann, und mit dem niemand gern richnet. Also, wir werden uns immer darauf gefaßt halten müssen, daß der gegenüber dem früheren jährlichen Anwachsen so geringe Mehransatz von 6 Millionen im kommenden Jahre 1901 garnicht oder höchstens knapp erreicht werden wird.
Mit den Stempelabgaben, meine Herren, steht es ähnlich. Wir haben 46 Millionen auf Grund der mathematischen Schätzung ein⸗ gesetzt. Daß diese mathematische Schätzung bei den jetzigen Verbäͤlt⸗ nissen an den Börsen keine große Wahrscheinlicchkeit für sich hat, das wußten wir alle, aber jede andere Schätzung würde in der Luft schweben.
Von anderen Reichseinnahmen haben für 1901 erhöͤbt werden können die Zuckersteuer um 9 Millionen Mark, die Branntwein⸗ verbrauchsabgabe um 4 Millionen Mark, außerdem um ganz lleine Summen die Salzsteuer und Brausteuer.
Ich möchte Ihnen jetzt noch in wenigen Ziffern das Ge⸗ sammtbild des Etats geben. Wir haben im Etat für 1901 eine Mehrbedarf von 156 Millionen gegenüber 1900 dem steht gegenüber eine Mehreinnahme von nur 113 Millionen, bleih ein Fehlbetrag von 43 Millionen, der durch Erhöhung der Matrikularbeiträge hat gedeckt werden müssen. Dieser Er⸗ höhung der Matrikularbeiträge gegenüber steht dier ec⸗ an Ueberweisungssteuern, die namentlich bei den Zoͤllen Stempelabgaben keine alliu sichere ist. Es ergiebt sich bia aus das Gesammtbild des Etats als ein wesentlich unfreund wie in früheren Jahren (hört! hört!), und ich wage es der balb den Etat Ihrem besonderen Wohlwollen zu empfeblen. (Heiten
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gber das sind Verhältnisse, die kein Reichs⸗Schatzsekretär ändern unn, und wenn ich den Etat auch nicht Ihrem Wohlwollen mpfehlen kann, überlasse ich ihn doch getrosten Herzens Ihrer Kritik. (Bravo!)
Abg. Müller⸗Fulda (Zentr., auf der Tribüne schwer ver⸗ gndlich) scheint zu bemängeln, daß der Reichstag bei dem Etat s Reichs⸗Postamts sich in den letzten Jahren der sorg. fältigen Einzelprüfung zu sehr entzogen habe, sodaß dieser Etat fast ganz den Charakter des Pauschquantums an⸗ jenommen habe, und es jetzt leicht sei, große Mindereinnahmen in demselben erscheinen zu lassen. Die Aufstellung des Etats zeige, daß diejenigen Recht behalten, die im Vorjahre die Behauptung ent⸗ gegen der Meinung der verbündeten Regierung vertreten hätten, zaß ohne neue Steuern an das Flottengesetz garnicht gedacht werden önne. Jetzt hätten die verbündeten Regierungen sich auch davon iberzeugt, daß weitere Deckung nothwendig sei. Da andere Vorschläge iicht gemacht seien, so müßten die Entwürfe wegen der Besteuerung der Schaumweine und der künstlichen Süßstoffe möglichst bald an den Keichstag gelangen, weil es sonst an der Deckung für die nach dem flottengesetz nöthigen Schiffsbauten fehlen würde. (Die weiteren zusführungen des Redners gehen großen Theils ganz ver⸗ iren, da er sich vielfach von der Rednertribüne den Mit⸗ jedern des Bundesraths zuwendet und der Journalistentribüne den lücken zukehrt.) Die Ergebnisse der Reichseisenbahnen scheinen ihm gr zu gering veranlagt, dessleichen fällt ihm auf, daß der Antheil es Reichs an den Ueberschüssen der Reichsbahnen in dem neuen Etat um 150 000 ℳ niedriger angesetzt sei als bisher. Wenn die Ausgaben in der bisherigen Weise weiter gesteigert würden, so werde schließlich nichts übrig bleiben, als die Bundesstaaten mehr heranzuziehen und die Matrikularbeiträge zu erhöhen. ie verbündeten Regierungen hätten ja seinerzeit zugesagt, daß das Mehraufkommen aus erhöhten zöllen auf Lebensmittel im Interesse der arbeitenden Klassen ver⸗ wendet werden sollte; an diese Erklärung müsse er jetzt die ver⸗ bündeten Regierungen erinnern. Das Zentrum verlange höheren Schutz der bäuerlichen Besitzer, überhaupt der kleinen und mittleren Kreise der Landwirthschaft; die Mehrerträge aus der Erhöhung der Lebensmittelzölle müßten im Interesse der arbeitenden Bepölkerung, „ B. der Wittwen⸗ und Waisenversicherung, verwendet werden.
Abg. Dr. Sattler (nl.): Da die Deutschland und die Kultur⸗ nationen bewegende China⸗Frage vom Reichstage schon erörtert ist, so bleibt für die erste Lesung des Etats nicht viel Aufregendes übrig. Der Vorredner hat sich infolgedessen schon ganz erheblich: Be⸗ schäänkungen auferlegt. Wir können diesem Beispiel jedoch nicht folgen, schon deshalb nicht, weil wir uns einem neuen Reichskanzler egenüber befinden. Daß der Vorredner mit Befriedigung die siothwendigkett seiner secet aus den amtlichen Mittheilungen, die uns jetzt geworden sind, konstatiert, müssen wir gelten lassen; wir haben ja an der Auffindung neuer Einnahmequellen mit ihm treulich im vorigen Jahre zusammengearbeitet. Für uns ist in erster Linie eine sparsame Finanzverwaltung, wie sie in Preußen bestebt, maßgebend. Der Voranschlag für 1901 bietet nach unserer Auf⸗ fassung ein ungemein günstiges Gesammtbild, namentlich wenn man die Lage der Verhältnisse betrachtet. Wir können nur wünschen, daß die in Aussicht genommenen Erträge auch wirklich eintreten. Dem Vorredner muß ich darin entgegentreten, daß der Staat nicht be⸗ rechtigt sei, Anlagen aus Anlelhen zu bestreiten. Unserer Ansicht nach ist er dazu berechtigt, und ich glaube, daß hier sogar Herr Richter mit mir einverstanden ist. Darin hat der Herr Schatzsekretär Recht, daß für die Betriebsmittel der Reichskasse besser als bisher gesorgt werden muß. Wie das zu geschehen haben wird, wird in der Budgetkommission näher erörtert werden müssen. Der Redner geht dann auf verschiedene Etatsposten näher ein. Er bezweifelt, daß angesichts der eingetretenen Geschäfteflauheit überall die Ein⸗ nahmeanschläge auch wirklich erreicht werden. Bei den Stempeleinnahmen z. B. sei die Schätzung eine viel zu optimistische; vielfach werde eher eine Verminderung als eine Vermehrung der Erträge eintreten. Was uns besonders am Herzen liegt, fährt der Redner weiter fort, ist eine Erweiterung der Kompetenz der Reichs⸗Finanzverwaltung. Dem Reichs⸗Schatzamt muß ein größerer Einfluß auf die übrigen Reichsressorts eingeräumt werden. Es ist sehr bedauerlich, daß wir im Reiche nicht einen so mächtigen Finanz⸗Minister haben wie in Preußen. Dem Minister von Miquel gebührt unstreitig das Verdienst, daß er in allen preußischen Ressorts den Geist der Sparsamkeit zur Geltung gebracht hat. Wir begrüßen im Etat besonders die vorgesehenen Aufwendungen für die Arbeiter. Daß die Offiziere und höheren Militärbeamten zwangsweise mit Beiträgen für das ge⸗ plante Denkmal für den General⸗Feldmarschall Grafen von Moltke herangezogen werden, können wir nicht billigen. Wir glauben, die Errichtung des Denkmals geschieht für das ganze deutsche Volk, und es sind demgemäß die Kosten von diesem zu tragen. In unserer Kolonialverwaltung herrscht noch immer der alte bureaukratische Geist; noch immer wird der Eisenbahnbau in Ost⸗Afrika verzögert. Man baut dort erst Wege und dann Eisenbahnen, während uns doch Amerika zeigt, daß es gerade umgekehrt gemacht werden muß. Von unserem neuen Reichskanzler können wir ohne weiteres annehmen, daß er sich in die verschiedenen Fragen der inneren Politik erst noch hineinarbeiten muß, bevor er zu irgend einer Frage Stellung nimmt oder seine Meinung auesspricht.
ir kennen aber unseren neuen Reichskanzler als Leiter der aus⸗ wärtigen Politik zur Genüge, um ihm Vertrauen entgegenzubringen. Wir haben gesehen, daß er Deutschlands Interessen sowohl in der Samoa⸗ wie in der China⸗Frage entschieden zu wahren gewußt hat trotz der großen Schwierigkeiten, die gerade die chinesischen Wirren mit sich führen. Wir begrüßen es besonders, daß in der China⸗Frage sich die Verhandlungen der Mächte im vollsten Lichte der Oeffentlichkeit abspielen. Wir freuen uns, daß wir das, was der Reichskanzler in dieser schwierigen Lage bisher gethan, voll billigen können. Schmerzhaft ist dagegen im deutschen Volke unsere Haltung in dem Transvaalkriege empfunden worden. Das Herz des deutschen Volkes ist bei den Buren. Das deutsche Volk hat den Angriff der Engländer gegen die Buren als den unberechtigten Angriff einer gewaltigen Macht gegen ein kleines Volk betrachtet, und das deutsche Volk steht auf seiten des kleinen Volkes und seines Führers, der nach Eu opa gekommen ist, um Hilfe zu suchen. Das Gefühl des deutschen Volkes ist entschieden auf seiten der Buren; und da ist es nach meiner Ansicht nicht geschickt von der Kölner Polizei, daß sie dort bei der Ankunft des Präsidenten Krüger unnöthige Enschränkungen vorgenommen hat. Weshalb sollten die Bonner Studenten nicht in vollem Wichs erscheinen? Freilich, in derartigen Fragen darf nicht allein, wie jüngst Professor Mommsen in der „Nation“ ausführte, den Regungen der Volksseele gefolgt werden. Man muß auch fragen, was liegt im Interesse des deutschen Volkes, denn diese Zterjssen dürfen nicht verletzt werden. Kommen unsere vitalsten Interessen in Frage, so müssen wir uns Be⸗ chränkungen auferlegen und dürfen die Regierung nicht bestürmen, sondern müssen ihr freie Hand lassen. Wir kennen den Reichskanzler auch als den Minister, der im Auftrage seines Kaisers das Deutsche Reich gewissermaßen in die Weltpolitik hineingeführt hat. Und zwar hat er das gethan mit unserer Zustimmung, denn wir erblicken in der Weltpolitik nicht eine Politik, die überall dabei sein will, die sich in Dinge mischen will, die sie nichts angehen, sondern wir sehen, daß schwerwiegende Interessen des Deutschen Reichs in allen Welttheilen vorhanden, wahrzunehmen und zu schützen sind. Mit dem Wenigen, was der Kanzler über seine Politik in der Thronrede geäußert haf, können wir uns nicht zufrieden geben; wir hoffen, er wird Veranlassung nehmen, bettere Aufschlüsse zu geben, wie wir ihm ja schon solche verdanken ei Gelegenheit der Verhandlungen über den Toleranzantrag des entrums. Wir wissen noch nichts über seine Stellung zur oialpolitik. Es ist von der Einführung der Wittwen⸗ und
zisenversicherung der Arbeiter wiederholt die Rede gewesen. Graf Posadoweky hat ja auf dem sozialpolitischen Gebiete viel Anerkennens⸗ verihes geleistet; in der Thronrede aber fehlt leider jede Andeutung
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über die längst vorbereitete Reform der Krankenversicherung. Ein Stillstand auf dem sozialpolitischen Gebiete, sowohl bezüglich der Versicherung als des Arbeiterschutzes, ist nicht denkbar; aber andererseits muß mit größter Bedächtigkeit vorgegangen werden, um das Unternehmerthum nicht allzusehr zu be⸗ lasten. Es handelt sich hier um außerordentlich schwierige Aufgaben, bei deren Lösung alle Stände einig mitarbeiten müssen. Darum muß es das Bestreben jeder Reichsregierung sein, gerade die Arbeiterklasse, die unbemittelten Schichten der Bevölkerung durch die Gesetzgebung zu fördern. Die Frage der Zolltarifreform wird, wie man namentlich in agrarischen Kreisen glaubt, anscheinend auf die lange Bank geschoben. Wir wünschen unsererseits, so sehr wir die Schwierigkeiten, die in dieser Aufgabe liegen, anerkennen, durchaus keine Verschleppung. Wir halten es für nothwendig, daß partikularistischen Strömungen, wenn sie unberechtigt hervortreten, Widerstand geleistet werden muß. Das Gerede von der Reichsverdrossenheit hat zwar aufgehört, weil dem Volke und seiner Politik neue große Aufgaben gestellt worden sind. Aber gerade deshalb muß solchen unberechtigten For⸗ derungen der Einzelstaaten entgenengetreten werden, wie sie sich z. B. darin zeigen, daß sie Ersparungen an ihren Kontingenten zurückbehalten, anstatt sie dem Reiche zuzuführen. Die Polenfrage ist eine nationale Frage von großer Bedeutung, und wenn ein preußischer Erzbischof so weit geht, einem deutschkatholischen Propst die Annahme einer deutschen Kandidatur zu verbieten, so können wir zu dieser Leistung des nationalen Fanatismus, zu diesem Eingriff in die Willensfreiheit nicht schweigen.
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (d. kons.) wendet sich unter großer Unruhe des Hauses, bei der viele seiner Ausführungen unver⸗ ständlich bleiben, zunächst gegen die Ausführungen der Abgg. Dr. Sattler und Müller⸗Fulda. Wenn der Letztere empfohlen habe, die Einzelstaaten zu Matrikularbeiträgen über die Ueberweisungen hinaus heranzuziehen, so könne das ja ein⸗ bis zweimal geschehen, und es ent⸗ halte eine sehr gute Aufforderung an die Bundesstaaten, nach Sparsamkeit zu streben; als ein politischer Grundsatz aber könne das nicht acceptiert werden. Eine wirklich sparsame Finanzwirthschaft könne nur auf dem Wege einer Reichs⸗Finanzreform erreicht werden; es müsse eine Grenze gezogen werden zwischen den Verpflichtungen der Einzel⸗ staaten und den Ausgaben des Reichs. Der Reichstag selbst sei meist sehr wenig in der Lage, Sparsamkeit zu üben. Es sei vielmehr Aufgabe der einzelnen Reichsressorts, zu sparen, und darum richte er an den Reichskanzler die dringende Bitte, seinen ganzen Einfluß auszuüben, daß die einzelnen Ressorts diesem Verlangen, möge es ihnen auch noch so unangenehm sein, nachkommen. Der Redner geht sodann auf Einzelheiten des Etats näher ein. Anknüpfend an die Forderungen für das Kanalamt, weist er darauf hin, daß die Ausgaben für die Wasserstraßen erheblich höher gewesen seien als die Einnahmen, während früher von den Kanalfreunden eine mäßige Verzinsung der Kanäle in Aussicht gestellt worden sei. Die jetzige Entwickelung zeige, wie begründet die Warnungen der rechten Seite gewesen seien. Die Mehrforderungen für die Unteroffiziers⸗Prämien billige seine Partei. Sie hätten aber das Bedenken, ob die zwei⸗ jährige Dienstzeit wirklich genüge, um die Armee auf der Höhe der Schlagfertigkeit zu erhalten, die nothwendig sei, um die politische Stellung Deutschlands in Europa zu wahren. Die Z veifel aus den Kreisen der Sachverständigen würden immer größer. Die letzten Ereignisse hätten gezeigt, wie wenig mit einer Miliz⸗ Armee anzufangen sei. Was die Errichtung des Denkmals für den Grafen Moltke anbetreffe, so halte auch er es für wünschenswerth, daß dieses Denkmal nicht einen militärischen, sondern einen nationalen Charakter trage. Moltke gehöre nicht einem besonderen Stande, sondern dem deutschen Volke. Die Mehrausgaben für die Kolonien gäben zu denken. Deutschland habe nicht die Aussicht, aus seinen Kolonien in absehbarer Zeit Ueberschüsse zu gewinnen. Da es aber die Kolonien nicht aufgeben könne, so müsse es dafür sorgen, daß sie wirthschaftlich genügend unterstützt würden, und dazu gehöre die Anlage von Bahnen; das Geld dazu müsse zu finden sein. Die Erwerbung von Kiautschou, fährt der Redner fort, hat die daran geknüpften Erwartungen nur in geringem Maße erfüllt. Der Handel mit China repräsentiert für uns in Ein⸗ und Ausfuhr einen Werth von 79 Millionen Mark. Wir haben aber auch diesen Besitz aufrechtzuerhalten, denn er hängt mit der Weltpolitik zusammen, die auch wir billigen. Allerdings er⸗ warten wir von China nicht zu viel; denn es ist sehr leicht möglich, daß in China mit europäischem Kapital so billig produziert wird, daß dem Mutterlande Konkurrenz gemacht werden kann. Wir dürfen allerdings nicht hinter anderen Staaten in unseren überseeischen An⸗ sprüchen zurückstehen. Weitere Kolonien sollten wir nicht erwerben, sondern uns auf das beschränken, was wir haben. Das Gesammt⸗ bild der Finanzlage ist kein günstiges. Unser Anleihemarkt ist stark belastet. Ein hervorragender Finanzmann erklärte uns, das läge daran, daß die Ersparrisse im Volke nicht so gewachsen sind, wie man erwartet hatte. Daher die Geldknappheit. Im Reich und in den Einzelstaaten dürfen wir uns zu großen Anleihen nur dann entschließen, wenn sie unbedingt noth⸗ wendig sind. Wir sind Freunde der Politik, daß Deutschland überall hingeht und an den Ereignissen theilnimmt; aber unsere Wirthschafts⸗ politik ist unsicher, und es fragt sich, ob sie uns in der nächsten Zeit die finanziellen Mittel geben wird, um die Kosten dafür aufzubringen. Darum müssen wir immer mit großer Vorsicht an diese Dinge herantreten. Die Weltpolitik macht uns verwundbar dem Ausland gegenüber, nicht etwa, daß Letzteres uns direkt angriffe, denn bei unserer anerkannten militärischen Tüchtigkeit und militärischen Organisation wird sich jeder Siaat überlegen, ob er uns angreifen soll, unsere Verwundbarkeit liegt vielmehr auf dem Gebiete, daß man uns in unserer Exportindustrie schädigen kann, indem man dieser die Thore verschließt. Allerdings hätte man den Amerikanern in bandelspolitischen Dingen größere Entschiedenheit zeigen müssen. Sie gewähren uns nicht die Meistbegünstigung, die wir ihnen gewähren. Es wäre doch wohl möglich gewesen, den Amerikanern klar zu machen, daß sie in handelspolitischen Dingen auch uns gegenüber Rücksicht nehmen müssen. Ich verdenke den Ameri⸗ kanern ihre Politik nicht; es ist eine kluge, energische und selbstbewußte Politik; aber wir könnten dieser Politik gegenüber auch energisch auf⸗ treten. Die Sozialpolttik muß fortgesetzt werden, sie darf nicht ver⸗ nachlässigt werden, aber sie muß stetig und maßvoll vorgehen. Wir stehen ühr mit Wohlwollen gegenüber, aber wenn wir dem Lande Sozialpolitik auferlegen, so muß dafür gesorgt werden, daß alle Stände in der Lage sind, daran mitzuwirken. Die Landwirthschaft muß mehr berücksichtigt werden als bisher. Licht und Sonne muß man ihr spenden wie den anderen. In den letzten Jahren hat sich die 88 außerordentlich günstig entwickelt, während die Land⸗ wirthschaft sich mühsam und nothdürftig durchgeschlagen hat. Man nennt das agrarische Begehrlichkeit. Solche Schlagwörter . in der Agitation möglich, bleiben aber nicht bestehen vor der ruhigen Betrachtung der Thatsache. Wenn wir anerkennen, daß die Industrie vor der Konkurrenz des Auslandes geschützt werden muß, so sehe ich nicht ein, warum die Landwirthschaft nicht denselben Wunsch hegen soll. Den Wunsch, daß der Zolltarif bald vorgelegt wird, theile ich auch, und ich freue mich, zu hören, daß er lediglich wegen der nöthigen geschäftsmäßigen Erledigung noch nicht vorgelegt werden konnte. Aber eine — Werösfentl n., kann garnichts nützen, denn damit wird nur Agitation getrieben. Eine Veröffentlichung des Zoll⸗ tarifs kann nur bei denjenigen Instanzen nützen, die über ihn zu beschließen haben. Von den Gegnern der Landwirthschaft werden Behauptungen aufgestellt, die im Lande ein an⸗ falsches Bild geben. Der Abg. von Siemens behauptete gelegentlich, die Landwirthschaft repräsenkiere nach Abzug der Schulden nur 15 % des National⸗ vermögens, während 85 % durch Industrie und Handel dargestellt würden; und daher sei das Verlangen ungerechtfertigt, daß die Land⸗ wirthschaft geschützt werde. Aus der Statistik der preußischen Er⸗ gänzungssteuer ergiebt sich ein gan anderes Bild, das aber das Ver⸗ mögen von Land und Stadt annähernd richtig darstellt. Zur Er⸗ änzungssteuer sind in den Städten 43 320 000 ℳ veranlagt, auf dem aande 26 780 000 ℳ Unter den Zensiten, die über 3000 ℳ 8
Ikommen 88 dedten 86 699 000 ℳ ud⸗
dem Lande 12 660 000 ℳ eingeschätzt. Auf dem Lande sind also sehr viele mittlere und kleine Vermögen mehr vor⸗ handen als in den Städten. Unsere Bestrebung, die länd⸗ liche Bevölkerung zu erhalten, stimmt also überein mit einer richtigen Sozial⸗ und Staatspolitik, den Mittelstand zu erhalten. Die Schulden der Landwirthschaft betreffend, ist es unrichtig, diese Schulden in Ab⸗ rechnung zu bringen, da sie der ländlichen Bevölkerung doch zu gut
gerechnet werden müssen. Dieser sozialpolitische Unterschied ist in die Augen springend. Die Verhandlungen des wirthschaftlichen Ausschusses haben ergeben, daß in Bezug auf die Verschuldung Industrie und Landwirthschaft sich die Waage halten. Ich lege Gewicht darauf, diese Mittheilungen zu machen, damit man im Lande sieht, welche Bedeutung solchen Ausführungen, wie sie hier von Herrn von Siemens gemacht worden sind, innewohnt. Vom Reichskanzler wünschen wir eine einheitliche kraftvolle Leitung, eine einheitliche Schutzpolitik. Wir hoffen, daß wir es künftig nicht mehr zu beklagen haben werden, was wir bisher zu beklagen hatten, nämlich daß die Autorität der Regierung nicht mehr zu erkennen war. Der Reichs⸗ kanzler hat es in der Hand, die im Lande herrschenden unangenehmen Gefühle zu zerstreuen. Vom Abg. Sattler ist zur Sprache gebracht worden, daß dem Präsidenten eines fremden Staats nicht diejenige Achtung erwiesen worden ist, die ihm gebührt. Ich muß zu⸗ geben, daß man den Vorgang im Lande beklagt hat. Wir werden dem Reichskanzler gern entgegenkommen, und wir hoffen, daß der Reichskanzler nach seinen Lehr⸗ und Wanderjahren zugeben wird, daß dasjenige Staatswesen am besten gegen die Macht des Umsturzes ge⸗ feit ist, dessen Landwirthschaft am kräftigsten entwickelt is
Reichskanzler Graf von Bülow:
Meine Herren! Auf alle von dem Herrn Abg. Dr. Sattler soeben aufgeworfenen, besprochenen und angeregten Fragen werde ich heute nicht mehr eingehen, so schmeichelhaft mir auch das Interesse des geehrten Herrn Abgeordneten an meinem politischen, an meinem wirth⸗ schaftlichen, wie an meinem sozialpolitischen Seelenzustand gewesen ist. (Heiterkeit.) Alle seine Fragen zu beantworten, würde auch nicht ganz leicht sein, und ich gestehe, daß mir bei einigen zu Muthe war, etwa wie Faust, als Gretchen ihn fragte: „Nun sag', wie hast Du’'s mit der Religion?“ (Heiterkeit.)
Ich bin aber dem Herrn Abg. Dr. Sattler, und ich bin vor allen Dingen dem Herrn Vorredner, dem Grafen Limburg⸗Stirum, dankbar, daß sie mir Gelegenheit bieten, mich auszusprechen über die
HReise des Präsidenten Krüger, wie über unsere Haltung gegenüber
dem südafrikanischen Kriege, und ich bitte um die Erlaubniß, im Interesse der Klarstellung dieser das deutsche Volk tief bewegenden Frage etwas weiter ausgreifen zu dürfen.
Daß es zwischen den südafrikanischen Republiken und England zum Kriege gekommen ist, haben wir aufrichtig beklagt. Wir be⸗ klagten es, daß ein solcher Krieg möglich war zwischen Christen, zwischen Weißen, zwischen Angehörigen derselben großen ger⸗ manischen Rasse. Es mußte uns auch das, nebenbei gesagt, eine Mahnung sein, und ist uns eine Mahnung gewesen, die Augen offen zu halten, uns nicht Sand in die Augen streuen zu lassen, sondern festzuhalten an der alten Wahrheit und an der alten Erfahrung, daß in der eigenen Kraft die einzig sichere Bürgschaft ruht für den Frieden und für die Behauptung des eigenen Rechts zu Lande und zu Wasser. (Bravo!l rechts.) Wir beklagten den Ausbruch dieses Krieges aber auch deshalb, weil durch denselben gewichtige deutsche wirthschaftliche und politische Interessen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Mehrere Tausende von deutschen Staatsangehörigen sind in Süd⸗Afrika angesessen, Deutsche haben dort große Fabrik⸗, industrielle und Bank⸗Etablissements ins Leben gerufen, das in Süd⸗Afrika investierte deutsche Kapital beziffert sich auf Hunderte von Millionen, der Handelsverkehr zwischen Deutschland und der südafrikanischen Küste ist ein reger, wir sind wirthschaftlich im hohen Grade an der Zukunft Süd⸗Afrikas interessiert. Und politischhatten wir die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß dieser Krieg keine schäd⸗ liche Rückwirkung ausübe auf unseren südafrikanischen Besitzstand.
Gefährdung direkter deutscher Interessen möglich war, um den Aus⸗ bruch dieses Krieges zu verhüten. Wir haben insbesondere gegenüber den Regierungen der beiden südafrikanischen Republiken auch insofern ganz loyal gehandelt, daß wir denselben von vornherrin und rechtzeitig keinen Zweifel ließen hinsichtlich der Lage der Dinge in Europa, wie hinsichtlich unserer eigenen Neutralität im Falle eines Krieges in Süd⸗Afrika, daß wir in diesen beiden Richtungen den Regierungen der beiden südafrikanischen Republiken rechtzeitig reinen Wein ein⸗ schenkten.
Ich habe hier, meine Herren, eine Aufzeichnung vor mir liegen, welche diese unsere Haltung vor dem Ausbruch des südafrikanischen Krieges an der Hand der Akten beleuchtet. Im Mai und Anfang Juni 1899 haben wir auf dem Wege über den Haag und im Verein mit der niederländischen Regierung dem Präsidenten Krüger zur 8 Mäßigung gerathen. Ich beziehe mich in dieser Hinsicht auf das kürzlich veröffentlichte niederländische Gelbbuch, wo die nachstehende Depesche des niederländischen Ministers des Aeußern an den niederländischen General⸗Konsul in Pretoria vom 13. Mai 1899 abgedruckt ist:
„Haag, 13. Mai 1899. Minister des Auswärtigen an General⸗ Konsul der Niederlande in Pretorta. Nachrichten aus verschiedenen Hauptstädten lassen mich an die Gefahr glauben, daß eine un⸗ mittelbar bevorstehende gewaltsame Lösung der afrikanischen Frage zu befürchten ist. Ich bitte Sie, dem Präsidenten ohne Berzug mündlich und ganz vertraulich mitzutheilen, daß ich ihm als auf⸗ richtiger Freund und im wahren Interesse der Republik rathe, sich so versöhnlich und maßvoll als irgend möglich zu zeigen. Ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß die deutsche Regierung diese Ansicht durchaus theilt.“
Weil damals der Vermittelungsgedanke nicht aussichtslos er⸗ schien, und da die Frage eines Schiedsspruchs der Vereinigten Staaten von Amerika sogar in einzelnen Organen der englischen Presse ohne Schroffheit erörtert wurde, haben wir, auch durch die niederländische Regierung, im Juni 1899 dem Präsidenten Krüger die Anrufung einer Vermittelung empfehlen lassen. (Hört! hört! links) In Erwide⸗ rung hierauf theilte Herr Leyds dem niederländischen Gesandten in Paris mit, der Präsident halte den Augenblick für die Anrufung einer Vermittelung noch nicht für gekommen. (Hört! hört! links.) Unser Geschäftsträger im Haag telegraphierte darüber unter dem 22. Juni 1899:
„Der Kaiserlich deutsche Geschäftsträger an das Auswärtige Amt: Der Uiederländische Gesandte in Paris meldet Herrn de Beaufort, Herr Leyds habe ihn aufgesucht und ihm mitgetheilt, Präsident Krüger halte den gegenwärtigen Augenblick noch nicht für
eignet, um die amerikanische Mediation anzurufen.“
Darum haben wir gethan, was für uns als neutrale Macht und ohne