1901 / 27 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 31 Jan 1901 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 37. Sitzung vom 30. Januar 1901. 1 Uhr.

Die Berathung der Anträge der Abgg. Dr. Hieberinl.), Albrecht (Soz.), Schrader (fr. Vgg.) und Genossen, be⸗ treffend die ö wird fortgesetzt. Am vorigen Mittwoch war die Erörterung über die Anträge ge⸗ fclasfen worden; heute haben noch die Antragsteller das Schlußwort. .“ Der Antrag der Nationalliberalen erstrebt die Ein⸗ berufung einer 1“ zur Veranstaltung einer Wohnungs⸗Enquéte, zur Prüfung und Begutachtung der bis⸗ her in der Bewegung für allgemeine Wohnungsreform hervor⸗ getretenen Vorschläge und zur Ausarbeitung von Vorschlägen über die zweckmäßige Qrganisation der öffentlichen Wohnungs⸗ ürsorge und über staatliche und kommunale Vermittelung des erforderlichen Kredits für gemeinnützige Baugesellschaften und Baugenossenschaften. 1 1 Abg. Möller⸗Duisburg (nl.) legt in seinem Schlußwort auf den letzten Theil des Antrages das Hauptgewicht und richtet erneut an den Reichskanzler das Ersuchen, in diesem Sinne bei den einzel⸗ staatlichen Regierungen seinen Feeelah einzusetzen. b Abg. Dreesbach (Soz.): Unser Antrag verlangte ein Wohnungs⸗ gesetz von Reichs wegen. Was uns Graf Posadowsky versprochen hat, war nur recht wenig; wir werden an die Einzelstaaten verwiesen. Ist denn das Reich nur dann Einheitsstaat und kompetent, wenn es sich um un⸗ gezählte Millionen für Heer und Marine handelt? Redner geht dann auf eine Reihe von Einzelheiten des heutigen Wohnun zwesens in den Städten wie auf dem Lande mit großer Ausführlichkeit ein und sucht den Nachweis zu erbringen, daß die Wohnungs⸗ frage keineswegs, wie die Vertreter des platten Landes be⸗ haupteten, lediglich eine Kalamität der Hauptstädte sei. Eine Wohnungs⸗Enquste veranstalten, hieße freilich Eulen nach Athen tragen; die Wohnungsmisère sei eine allgemein fest⸗ stehende Thatsache. Helfen könne nur gesetzliches Einschreiten, sowie die Betheiligung von Reich, Einzelstaaten und Kommunen am Bau von Wohnhäusern; der Grund und Boden in der Umgebung der Städte müsse der Privatspekulation entzogen werden, die Bau⸗ ordnungen wären entsprechend zu reformieren, und eine gründliche Wohnungsinspektion habe dem allen hinzuzutreten, dann werde es

besser werden. Der Antrag Schrader fordert gleichfalls die

Einsetzung einer Kommission aus amtlichen Vertretern, Parla⸗ mentsmitgliedern und anderen in der Wohnungsfrage er⸗ fahrenen Männern zur Prüfung der bestehenden Wohnungs⸗ verhältnisse durch Vernehmung von Sachverständigen und ersucht den Reichskanzler, Vorschläge darüber zu machen, ob und wie ein Eingreifen des Reichs zur Beseitigung der Wohnungsnoth angezeigt ist.

Für diesen Antrag nimmt das Schlußwort der

Abg. Eckart (d. Volksp.), der ebenfalls den Nachdruck auf die Unterstützung der Thätigkeit der gemeinnützigen Baugenossenschaften und Baugesellschaften legt und außerdem den Vorwurf zurückweist, als ob die deutsche Volkspartei sich in der Wohnungsfrage passiv verhalten habe; er bittet, den Antrag Schrader anzunehmen.

In der Abstimmung wird zunächst der Antrag der Sozial⸗ demokraten abgelehnt, für den nur die Antragsteller stimmen. Der Antrag Hieber wird mit den Stimmen der Antragsteller, des Zentrums und der Sozialdemokraten angenommen; die beiden Parteien der Rechten und die beiden ö Parteien stimmen dagegen. Der Antrag Schrader ist damit erledigt.

Von den Abgg. Bargmann und Genossen (fr. Volksp.) ist ein Gesetzentwurf, betreffend Abänderung der Reichs⸗Gewerbeordnung (Aufhebung der Theater⸗ zensur) eingebracht. Danach soll der § 32 der Gewerbe⸗ ordnung folgenden Zusaß erhalten:

„Für die einzelnen theatralischen Vorstellungen ist eine vor⸗ gängige Erlaubniß nicht erforderlich, dasselbe gilt auch bezüglich der nicht gewerbsmäßigen Veranstaltungen solcher Vorstellungen.“

Der § 33a soll den Zusatz erhalten:

„Für die einzelnen Singspiele, Gesangs⸗ und deklamatorischen Vorträge, Schaustellungen von Personen, Vorstellungen ist eine vor⸗ gängige Erlaubniß nicht erforderlich. Dasselbe gilt auch bezüglich der nicht gewerbsmäßigen Veranstaltung solcher Vorstellungen.“ zur Begründung des Antrags nimmt das Wort der Abg. Dr. Müller⸗Meimingen (fr. Volksp.): Ueber die Zu⸗ ständigkeit des Reichstags in dieser Frage kann kein Zweifel sein; ich kann mich auf das Urtheil des früheren Abg. Windthorst berufen. Trotz der gesetzlichen Vorschriften hat das Polizei⸗ Präsidium in Berlin verfügt, daß ohne ausdrückliche Genehmigung dieser Behörde keine öffentliche Veranstaltung, Lustbarkeit, Theater⸗ vorstellung u. s. w. stattfinden dürfe. Das Ober⸗Verwaltungsgericht hat ebenfalls die Theaterzensur als zu Recht bestehend anerkannt. Es stützt sich auf eine Verfügung aus dem 18. Jahrhundert. Das steht aber im Widerspruch mit dem Artikel 21 der preußischen Verfassung, worin steht: „Die Zensur darf nicht eingeführt werden.“ lese Zensur bezieht sich nicht nur auf die Bücherzensur, sondern auch auf die Theaterzensur. Außerdem steht in der Verfassung Artikel 27: „Jeder Preuße hat das Recht, seine Meinung durch Wort und Schrift frei auszusprechen.’ Der Schauspieler ist nur das Mundstück des Autors. Diese Verfassungsbestimmungen können nicht, auch nicht durch oberverwaltung gerichtliche Erkenntnisse aus der Welt geschafft werden. Was die Verfassungsmäßigkeit der Theaterzensur betrifft, die das Ober⸗Verwaltungsgericht als vorhanden ansieht, so liegt hier ein wahrer Rattenkönig von Irrungen und Wirrungen vor. Die von dem Gericht angezogenen parlamentarischen Eideshelfer aus den Reichstagsverhandlungen haben durchweg kein Wort von der Theaterzensur gesprochen, als es si im Jahre 1878 im Reichstage um das Verhot der Fourchambaults“ handelte; weder Herr Richter, noch Herr von Soden, 8.“ Herr Dr. von Miquel haben die Verfassungsmäßigkeit dieser preußischen Theaterzensur anerkannt, sondern nur von der Präventivpolizei gegen strafbare Handlungen gesprochen, welche von unserem Antrage gar⸗ nicht getroffen wird. Andererseits hat schon im Jahre 1869 Franz Duncker jene Zensur als verfassungswidrig bezeichnet. Als die Ge⸗ werbeordnung auf das Elsaß übertragen wurde, fand auch eine be⸗ sondere Bestimmung, welche die Landespolizeigesetzgebung wegen der Theater in Kraft ließ, in das betreffende Gesetz Aufnahme. Es handelte sich aber um die Statuierung einer Ausnahme. Da nun die Reichs⸗Gewerbeordnung nichts von der preußischen Theaterzensur sagt, so ist es doch einfach logisch, daß diese durch die Einführung der Gewerbeordnung in Fortfall gekommen ist. In den anderen Staaten ist die Lage eine sehr verworrene. In Hamburg existiert keine Zensur. Der Direktor des Deutschen Schauspielhauses, Baron von Berger, erkennt keine Verpflichtung zur Einreichung von Stücken bei der Polizei an und reicht auch thatsächlich diese Stücke nicht ein. Der Intendant des Hoftheaters in Stuttgart, Baron Gans zu Putlitz, reicht ebenso wenig die Stücke der Polizei ein, und zwar kommt hier der Umstand, daß es sich um ein Hoftheater handelt, garnicht in Be⸗ tracht. In Sachsen dagegen wird die Zensur sehr streng gehandhabt und nur von n in dieser Beziehung übertroffen; aber auͤch dort giebt es Theater⸗Direktoren, welche kein Stück einreichen und damit auch durchkommen. In Bavcirn ist der Zustand ganz ebenso ver⸗ worren; an einem Orte wird strenge Zensur geübt, an anderen O ffn wissen die Direktoren nicht einmal von der Eristenz einer

nsur und reichen selbstverständlich keine Stücke bei der Polizei n. Auch in Baden ist nur Mittheilung des Programms, des Theaterzettels nöthig, Zensur giebt es nicht. Streng genommen

seits suchen sich einzelne Staaten wenigstens die Möglichkeit offen zu halten. In Preußen hat die Polizei, und der Ausdruck kommt auch bei der jetzigen Berliner Zensur wieder zum Vorschein, aus allgemeinen ordnungs⸗ und E. Gründen die 5 für sich in Anspruch genommen. Das ist ganz dieselbe Manier, mit welcher man das Koalitionsrecht auf dem Wege der polizeilichen Verordnung aus der Welt zu schaffen unternimmt. Es wird uns nicht erspart bleiben, in diesen E hineinzugehen und da einmal gründlich aufzuräumen. on dem Standpunkt des Rechtsstaats wird auf diesem Wege direkt zum Standpunkt des Polizeistaates zurückgegangen. Gegen die besonders künstliche Trennung des Rechts der Konzessionsertheilung und des Rechts auf Ausübung der ertheilten Konzession wendet sich auch mit besonderer Energie der Jurist Geheimrath von Seidel. Daß der Rechtsstand⸗ punkt mit voller Klarheit zum Ausdruck kommt, daran hat jede Partei das gleiche Interesse. Aber nicht nur aus verfassungsrechtlichen und juristischen Gründen, sondern auch aus praktisch⸗künst 1H.Sr Gründen müssen wir die Beseitigung der Theaterzensur dringend verlangen. Man kann ja fragen, warum wir jetzt nach 32 Jahren erst mit diesen Anträgen kommen. Ja, es ist thatsächlich die höchste Zeit. Den Anstoß zu der heutigen Handhabung der Theaterzensur hat ja bekanntlich schon im Jahre 1890 der Berliner Polizei⸗Präsident von Richthofen bei dem Verbot von Sudermann'’s Schauspiel „Sodoms Ende“ gegeben mit seinem Ausspruche: „Die ganze Richtung paßt uns 8 Also die Richtung, die moderne Richtung ist der Sünden⸗ bock. ag die moderne Richtung sein, wie sie will, über solche philosophisch⸗ästhetischen Fragen können wir uns unterhalten, aber lassen wir doch um Gotteswillen die Polizei damit in Ruhe. Es ist doch Aufgabe des Dramas, dem Jahrhundert den Ab⸗ druck seiner Gestalt zu zeigen, sagt Shakespeare; wie kann dies der Dichter, wenn ihm nicht einmal eine derbe Ausdrucksweise gestattet sein soll? Am Ende seines Schwankes spricht ein Trunkener von der Grabschrift, die ihm gesetzt werden soll „Und wenn einst naht der Auferstehungstag, ich bleibe liegen.“ Diese Stelle hat der Zensor estrichen. Ich erinnere ferner an die Streichung im „Cyrano von Pergetat In dem Dreyer'schen Stück „Die Großmama“ heißt es: „Ist sein Wanst nicht etwas wie eine soziale Unverschämtheit ?“ Dieses „soziale“ hat der Zensor als verdächtig Die Stelle von der „geprüften Jungfer“ in demselben Stück wurde ebenfalls ausgemerzt. Mir wird hier eben von einem Herrn am Bundesraths⸗ tisch zugeflüstert, daß das ganz richtig sei, solche Schweinereien man nicht durchgehen lassen. Wo ist da etwas von Schweinerei? An diesem Beispiel sehen Sie, wie man in den Amtsstellen geneigt ist, das Zensoramt aufzufassen. Um der Schwierigkeit, mit welcher die Zensur in Berlin zu kämpfen hat, hat man einen in den Kanal gefallenen, aus demselben als Regierungsrath wieder aufgetauchten ostelbischen Landrath als Zensor angestellt. Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, daß Herr Dumrath ein schlechter Mensch ist; er hat sich sogar einen literarischen Beistand zugelegt, aber niemand weiß leider, wer der große Unbekannte ist. Sollte es wirklich der Königliche Major Josef Lauff sein? Er hat die „Macht der Finsterniß“ von Tolstoj zuerst verboten, ein Kunststück, welches einem Respekt vor der russischen Zensur einzuflößen geeignet ist. Ist denn etwas für Berlin unsittlich, was es für Leipzig oder Kiel nicht ist, und umgekehrt? Sind wir denn ein einheitliches Volk mit derselben Sprache und Literatur? Haben wir etwa gar eine ständische Literatur? Was wir hier erleben müssen, grenzt wahrlich an Unfug. Die Stücke „Der Ausflug ins Sittliche“ und „Der Außenseiter“ werden verboten, weil das Publikum als zu dumm hingestellt wird, um die gute Meinung und Absicht des Verfassers zu erkennen. Die Urtheile des Ober⸗Verwaltungsgerichts gegen diese Verbote haben ja noch fast durchweg Remedur geschaffen und sind auch ausgezeichnet begründet; aber was ist das für ein Zustand, wenn solche harmlosen Stücke Monate lang einer solchen Prozedur verfallen? Vor dem Bezirksausschuß hat der Zensor erklärt, das Stück „Der Ausflug ins Sittliche“ lasse die Land⸗ wirthschaft in einem lächerlichen Lichte erscheinen; es verschärfe den Gegensatz zwischen Stadt und Land, und das dürfe angesichts der Handelsverträge nicht stattfinden. Das Stück ist in vielen Städten, u. a. in Dresden, sogar in Kiel, wo ein Herr von Puttkamer herrscht, gegeben worden; aber in Posen und Hannover ist es noch immer verboten. Sind denn die Moralansprüche, die die Polizei für die verschiedenen Städte zu stellen hat, verschieden? Geradezu unglaublich sind die Zensurleistungen gegenüber dem jetzt endlich freigegebenen Björnson⸗ schen Stücke „Ueber unsere Kraft“, zweiter Theil. Es ist eins der besten Stücke, welche die Neuzeit hervorgebracht hat. Wie in dem „Rosenmontag“ der Blaustift gewüthet hat, ist einfach unerhört. Eine Selle ist ge⸗ strichen, welche sich wörtlich mit einem Erlaß Kaiser Wilhelm's I. deckt. Daraus ließe sich mit Benutzung des dolus eventualis leichi eine Majestätsbeleidigung konstruieren. In der letzten Zeit ist ja nun die Zensur des Herrn Dumrath etwas in sich gegangen. Es war aber auch die höchste Zeit. In der Provinz aber läßt der Ruhm des

ern Dumrath die Zensoren nicht schlafen. Herr von Puttkamer

in Kiel hat eine ganze Reihe von Stücken verboten, darunter auch

„Die Macht der Finsterniß“. Die Theater⸗Direktoren sind schon von solcher Angst erfüllt, daß sie die Akten gar nicht mehr hergeben oder einsehen lassen mögen aus Furcht vor Repressalien der Polizei. In Dortmund wurde „Maria Stuart“ am Todtensonntag verboten, weil das Stück nicht ernst genug sei; in Berlin wurden an dem Tage „Lohengrin“ und der „Prozeßhans'l“ unbeanstandet gegeben. Was soll mit den „Räubern“, mit „Kabale und Liebe“ mit der „Walküre“ geschehen? Wenn diese Stücke anstößig sind, was soll dann werden? Die Zensur ist aber fortgeschritten und hat sich auf die Musik geworfen. Sie verbot am Todten⸗ sonntag die Matinée des Königlichen Opernchors, wo ein Stück aus dem Händelschen „Messias“ und die Schlußscene des ersten Akts von „Parsifal“ vorgetragen werden 1.8 Sollen denn diese Zensorkunststückchen auch noch den letzten Mann in die Knneipe treiben, indem sie ihm die Gelegenheit zur Erbauung auf diese Weise nehmen? Später hat man eine Erklärung gelesen, wonach General⸗Intendant und 5 Iiri.Peftge im Einverständniß gehandelt hätten. Das ist und leibt ein Räthsel, weil das Programm doch zunächst einmal der Graf Hochberg entworfen hat. In Sagan wurde am ersten Weihnachtsfeiertag von der Polizei die Ouvertüre zur Operette „Leichte Kavallerie“ von Suppé verboten; die Kapelle erklärte sich bereit, die Ouvertüre zu „Egmont“ an die Stelle zu setzen; es wurden aber die Noten nicht gefunden, und man spielte die Ouvertüre zur Rossini’schen „Diebischen Elster“. Der Fener hat von der ganzen Geschichte nichts gemerkt. Ich bitte doch die Herren Kommissarien des Bundes⸗ raths, mich icht durch Zwischenrufe fortwährend zu unterbrechen. (Vize⸗Präsident Büsing: Ich kann mich dem nur anschließen und bitte auch meinerseits die Vertreter der verbündeten Regierungen, den Redner nicht zu unterbrechen.) Gegenüber der harmlosen heiteren Muse, wie sie der Humorist Reutter im Wintergarten vortrug, schritt der Ver⸗ treter der Berliner Zensur ein; Herrn Reutter wurde zum Vorwurf ge⸗ macht, daß er bei den Worten einer Parodie auf die Glocke: „Von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß“ es bezog sich der Terxt auf Beamte verdächtig geschmunzelt habe. Dabei äußerte der Zensor, er werde schon Zug in die Kolonne bringen: der richtige preußische Polizeijargon! Man hat nun den Generaleinwand, daß es sich um Tingeltangel handle. Aber es handelt sich in den §§ 33 ff. der Reichs⸗Gewerbeordnung um erschöpfendes Recht, über welches in diesen Zensurstücken hinausgegangen ist. Gerade bei den Tingeltangeln kommt es viel mehr auf Ort und Zeit, Mienenspiel u. f. w. an, als in den Theatern; da kann die Polizei nur repressiv vorgehen, aber nicht mit dem Mißbrauch der Zensur. Hier hilft nur Aufhebung der Zensur; wenn die Polizei sich in diese Dinge einmischt, kommt nie etwas heraus; in diesem Sinne hat sich sogar ein hochkonservativer Mann ausgesprochen. Lassen Sie also unserem Antrage wenigstens Kommissionsberathung angedeihen. Der Minister Freiherr von Rhein⸗ baben will, daß das Publikum selbst Hand anlege. Auf diesem Stand⸗ unkte stehen schon längst die meisten nicht preußischen Regierungen. ber mit der polizeilichen Bevormundung können Sie doch das Volk nicht zum richtigen Kunstverständniß erziehen. Man muß dem Volke Gelegenheit geben, sich selbst zur Kunst zu erziehen: tragen Sie die Kunst

giebt es also nur in Preußen eine offizielle Zensur; anderer⸗ 8 1“ *

in die Schule, machen Sie das Volk ästhetisch und künstlerisch mündig.

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„Das muß anders werden!“ sagen wir mit dem Reichskanzler, und es kann nur anders werden, wenn die Zensur beseitigt wird. Ohne Freiheit kann das Volk der Dichter und Denker auf die Dauer nicht bestehen!

Abg. Dr. Stockmann (Rp.): Ich muß dem Reichstage das Recht bestreiten, 1 diese Sache überhaupt zu unterhalten. Der Vorredner hat das Verbot der „Maria Stuart“ in Dortmund erwähnt und gesagt, das Verbot sei erfolt, weil das Stück nicht ernst genug sei. In Wirklichkeit ist das Verbot erfolgt, weil das Stück an einem Tage 8 werden sollte, an dem Theater⸗Aufführungen überhaupt verboten waren. Wenn der Vorredner sich in diesem Punkte geirrt hat, so bestehen berechtigte Bedenken, daß er sich auch in den übrigen Punkten geirrt hat. Er hat auch Personen außerhalb des Hauses in die Debatte gezogen, z. B. den egierungs⸗ nath Dumrath, ohne zu wissen, wieweit dieselben an den Verboten betheiligt sind. Herr Dumrath ist an die Zustimmung seines Ab⸗ theilungschefs und eventuell auch an die Zustimmung des Polizei⸗ Präsidenten gebunden. Auch eine Reihe von Anekdoten hat der Vor⸗ redner erzählt, bei denen ich mich verwundert gefragt habe, was denn die Kunst wohl verloren hätte, wenn dieselben gestrichen worden wären. Die Linke, welche im vorigen Jahre die „lex Heinze“ abgelehnt hat, will jetzt versuchen, die letzte Schranke gegen die Verbreitung von Unsittlichkeiten auf der Bühne X“ Ich erkenne an, daß bei der Zensur große Mängel vorkommen mögen. Hoffentlich trägt diese Debatte dazu bei, die Zensur zu verbessern. Ich hege die Hoffnung umsomehr, als an der Spitze des Ministeriums des Innern ein Mann steht, der als Re⸗ E1 in 8” eldorf Kunstverständniß bewiesen hat. Der Abg. Müller hat am Schlusse seiner Rede gesagt, die unbegrenzte Freiheit sei das beste Palladium des Volkes. Hätten Sie doch lieber ein offenes Auge für den ungeheuren hg des sittlichen Verderbens, das bei uns eingerissen ist. Der Goethe⸗Bund hat bei seinem Freuden⸗ fest über die Beseitigung der „lex Heinze“ den christlichen Ernst h vermissen lassen. Der arme Goethe würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, was unter seinem Namen alles geschieht. Und wenn bei jenem Freudenfest auch von Häckel'’s „Welträthseln“ die Rede war s erinnere ich an das Wort Paulsen's darüber in den Preußischen Jahrbüchern“, daß er brennende Scham empfunden habe, daß solch ein Buch möglich war in einem Lande, das einen Kant, Lessing, Goethe besitzt. Nur das, was sich ziemt, soll dem Theater eine Stätte haben, deshalb wollen wir die Zersu⸗ aufrecht erhalten. Wir können daher weder für den Antrag selbst,

noch für Kommissionsberathung desselben stimmen. Hierauf wird die weitere Erörterung vertagt. (Etat.)

ächste Sitzung Donne stag 1 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 1 15. Sitzung vom 30. Januar, 11 Uhr.

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Die zweite Berathung des aat schs hlhchenscet⸗ für 1901 wird im Etat der landwirth

chaftlichen Ver⸗ waltung bei den Ausgaben für die General⸗Kommissionen fortgesetzt.

Abg. Herold (Zentr.) beantragt:

„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, eine weapeelhn der General⸗Kommissionen nach der Richtung herbeizuführen, da dem Laienelement bei der Beschlußfassung in den SEEö Instanzen eine angemessene Mitwirkung zugewiesen und die Zu⸗ ständigkeit den allgemeinen Staatsverwaltungsbehörden gegenüber anderweit geregelt wird, sowie eine Ausbildung der General⸗ Kommissionen zu Agrargerichten in Erwägung zu nehmen.“

bg. Herold: Auch in diesem Jahre sind für die General⸗

Kommissionen größere Summen in den Etat eingestellt worden. Im Laufe der Jahre sind ihnen durch die Gesetzgebung immer neue f neuerdings z. B. die Aus⸗ führung des Gesetzes über das Anerbenrecht in Westfalen; ie haben also jetzt umfassende und dauernde Aufgaben. Trotzdem erfreut sich ihre Thätigkeit in der Bevölkerung im Großen und Ganzen nicht der Zustimmung, die man erwarten sollte. Das liegt daran, daß ihre fenen mn den praktischen Bedürfnissen

Aufgaben zugewiesen worden,

nicht enkspricht. Während sonst in unserer gesammten Entwickelung das Laienelement neben den Berufsbeamten immer mehr in Wirk⸗ samkeit getreten ist ich erinnere nur an die Schöffen⸗ und Ge⸗ schworenengerichte, die Selbstverwaltung der Kommunen, die Bezirks⸗ Ausschüsse, den Provinzialrath —, ist es eigenthümlich, da gerade bei den General⸗Kommissionen das Laienelement bei der eigenthümlichen Beschlußfassung ausgeschaltet ist. Die 1“ müssen in der Weise umgestaltet werden, daß neben dem juristischen Element mehr mitten im Leben stehende, raktisch gebildete Männer in der Entscheidung mitzuwirken haben. ine zweite Frage wäre die Heftnfft eet der General⸗Kommissionen segenüber den allgemeinen Verwaltungsbehörden. Jetzt gehört ein Pheil der Kompetenz den Kreis⸗Ausschüssen, ein Theil der Regierung. Es wäre zu erwägen, ob neben den Spezial⸗Kommissaren nicht Spezial⸗Kommissionen zu errichten wären. Die von mir vorgeschlagenen Agrargerichte würden einen großen Theil solcher Dinge zu entscheiden haben, die sich fast ausschließlich auf Gutachten von Sachverständigen stützen können. Ich erinnere nur an die Jagd⸗ angelegenheiten. Von diesem Gesichtspunkt aus sind bereits Handels⸗ gerichte eingerichtet worden. Alle diese Fragen sind außerordentlich schwierig und tief einschneidend. Sie bedürfen der eingehendsten Erwägung und Berathung zwischen der Staatsregierung und der Landesvertretung, und deshalb beantrage ich die Ueberweisung meines Antrages an eine Kommission von 14 Mitgliedern.

Abg. von Blanckenburg (kons.): Meine politischen Freunde stimmen dem Antrage zu und gehen zum theil noch darüber hinaus. Die Zusammensetzung der General⸗Kommissionen hat sich bei der Lösung von rhtschütlce Fragen nicht als praktisch erwiesen. Schon früher haben sie in Bezug auf Meliorationen u. s. w. Fehler gemacht. Wenn man dazu übergeht, ihnen noch weitere wirthschaftliche Aufgaben zuzuweisen, so ist es nicht nur erforderlich, bei der Beschlußfassung auch das Laienelement zu Worte kommen zu lassen, sondern die General⸗Kommissionen 9 zu einer vollständigen Abtheilung der

rovinzialregierungen umzubilden. Auf Landeskulturaufgaben haben sie isher noch nicht genügende Rücksicht genommen. Das Meliorations⸗ wesen sollte ihnen ausschließlich zugewiesen werden. Die Agrargerichte halten wir für nützlich und stimmen für eine besondere Kommission.

b Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ tein:

Meine Herren! Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich jetzt schon zum Antrag Herold das Wort ergreife. Zu meinem Bedauern bin ich genöthigt, bald auf etwa eine Stunde das Haus zu verlassen, würde also vielleicht nicht mehr Gelegenheit haben, mich an der Diskussion über diese Angelegenheit zu betheiligen.

Es handelt sich um eine sehr schwierige Frage, welche der Antrag Herold und Genossen regeln will. Auch in der Budgetkommission ist schon darauf hingewiesen, welche außerordentliche Schwierigkeiten den Wünschen, die in diesem Antrage ausgedrückt sind, entgegenstehen. Ich bin vollständig damit einverstanden, daß der Antrag gestellt ist, damit endlich eine Schlußentscheidung über die alljährlich wiederlehrenden Wünsche in dieser Richtung herbeigeführt wird. Ich halte mit dem Herrn Antragsteller den eingeschlagenen „Weg, über den Antrag generell hier zu verhandeln und daum denselben in eine Kommission zu verweisen, für durchaus richtig. In dieser Spezial⸗ kommission wird eingehender und sachlichet die so schwierige Frage

geklärt werden können, als das hier im Hahse möglich sein würde.

gerichtet, die allgemeinen, meist unsubstantiierten Beschuldigungen, welche regelmäßig und auch heute wieder gegen die General⸗Kommissionen erhoben werden, einzuschränken. Ich glaube, das sicherste Kriterium für die Stellung und Thätigkeit der General⸗Kommissionen den Be⸗

theiligten gegenüber ist wohl daraus zu entnehmen, ob an die Auf⸗

sichtsbehörden in größerem Umfange gegen einzelne General⸗Kom⸗ missionen Beschwerden erhoben werden. Zunächst das wird das hohe Haus doch mit mir anerkennen sind die Betheiligten selbst

die Instanz, die ihre Interessen und Rechte wahrzunehmen hat. Ich kann

bestimmt versichern, daß nur in seltenen Fällen aus den betheiligten

reisen Beschwerden an die Aufsichtsinstanz gelangt sind. Damit will ch durchaus nicht bestreiten, daß bei einzelnen General⸗Kommissionen iese und jene Mängel vorkommen, daß in einzelnen Sachen dieses und jenes versäumt wird; aber wenn so allgemein ohne genügende Substantiierung Beschwerden hier erhoben werden, wie es beispiels⸗

eise vorhin geschehen ist die Thätigkeit der General⸗Kommissionen n der Ausweisung von Rentengütern hat sich als eine durchaus fehl⸗ ame erwiesen —, so kann das nicht dazu beitragen, die Dienst⸗ freudigkeit der außerordentlich in Anspruch genommenen General⸗

Kommissionsbehörden zu heben und zu fördern. Es ist zwar

zweifellos, das habe ich auch bereits früher ausgeführt, daß ei der Ausführung der Rentengutsgesetzgebung, bei der Thätig⸗ eit auf diesem durchaus neuen Gebiet Fehler gemacht sind. Ich darf aber doch darauf hinweisen, daß beispielsweise die Thätigkeit der General⸗Kommission Frankfurt a. O. von der betheiligten Land⸗ wirthschaftskammer als eine vorzügliche anerkannt wird. Schon im vorigen Jahre habe ich diese Verhältnisse eingehend dargelegt. Ich freue mich, daß Sie den beantragten Weg einschlagen wollen, um die Verhältnisse gründlich zu klären und eventuell so den Versuch der Besserung anzutreten. In der Kommission kann jeder Wunsch ein⸗ gehend geprüft werden. Wenn die Schwierigkeiten zu überwinden sind, kann ja eine Umgestaltung der General⸗Kommission in den an⸗ gedeuteten Richtungen versucht werden.

Dabei weise ich darauf hin, daß ich nicht der einzige Ressort⸗ Minister in dieser Angelegenheit bin. Wenn eine Reorganisation in dem angedeuteten Umfange ausgeführt werden soll, so greift das tief in die bestehende Verwaltungsorganisation des Staates ein.

Dabei möchte ich mittheilen, daß auf dem angeregten Gebiet die landwirthschaftliche Verwaltung nicht unthätig gewesen ist. In der Budgetkommission theilte ich bereits mit, daß die betheiligten Ressort⸗Minister sich veranlaßt gesehen haben, sich mit der Aenderung der Ansiedelungs⸗ und Rentengutsgesetzgebung zu beschäftigen. Wir sind mit sämmtlichen Ober⸗Präsidenten der Monarchie in Verbindung getreten und haben ein außerordentlich um⸗ fassendes Material bekommen. Nur kurz will ich erwähnen, daß die Ansichten der erwähnten Staatsbehörden über das, was geändert werden soll, weit auseinandergehen. Vielleicht ist es richtig, die Angelegenheit provinziell verschieden zu ordnen. Ich glaube kaum, daß es möglich sein wird, eine entsprechende Gesetzesvorlage schon in dieser Session vorzulegen. Das eingegangene Material wird augenblicklich gründlich gesichtet und geordnet und hoffentlich bald zu einer Vorlage sich verdichten, sei es für die ganze Monarchie, sei es für einzelne Landestheile, um Fehler, die unbedingt in der Ansiedelungs⸗ und Rentengutsgesetzgebung liegen, zu ändern.

Erneut erkläre ich mich mit dem Antrage und dessen Verweisung an eine Kommission einverstanden; ich werde bestrebt sein, die Kom⸗ missionsberathung möglichst zu fördern und zu unterstützen.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.): Au wir begrüßen den Antrag und sind der Meinung, 9; die Genelng Kommissionen nicht länger als selbständige Behörden bestehen können, ondern in organischen Zusammenhang mit der allgemeinen Verwaltung gebracht werden müssen. Heute überwiegt in den Kommissionen das juristische Element, und der volkswirthschaftliche Gesichtspunkt tritt viel zu sehr in den Hintergrund. Es wird also nothwendig sein, daß, wie bei den übrigen Verwaltungs⸗ behörden, das Laienelement zugezogen wird. Jetzt entscheiden die General⸗Kommissionen vom grünen Tisch aus und nur auf Grund der Akten. Auf allen übrigen Gebieten der Landesverwaltung ist diese Art der Erledigung der Geschäfte längst als ein Uebelstand verworfen. Un⸗ bedingt nothwendig ist die Oeffentlichkeit und Gründlichkeit des Ver⸗ sahrehg. Bisher hat die Thätigkeit der General⸗Kommissionen owohl bei der Rentengutsbildung, wie bei den Kolonisations⸗ arbeiten und bei den Meliorationen völlig versagt. Wir dürfen uns nicht vertrösten lassen auf eine allgemeine Reorganisation der Landesbehörden. Die General⸗Kommissionen müssen der allgemeinen Landesverwaltung mehr angegliedert werden, sie müssen mit den Lokalinstanzen, dem Landrath, dem Kreis⸗ ausschuß, in engerer Fühlung sein. Die Geschäfte des Spezial⸗Kom⸗ missars würden vom Landrath unter Mitwirkung des Kreisausschusses zu versehen sein. Wenn das nicht zu erreichen ist, so ist wenigstens darauf hinzuwirken, daß die Spezial⸗Kommissare dauernd am Orte bleiben und nicht immer wieder fortgenommen werden. Ueberhaupt ist es auch in anderen Zweigen der Verwaltung eine mißliche Sache, daß die auf einer Stelle altgewordenen Beamten in andere Stellen versetzt werden.

Abg. Schmitz⸗Düsseldorf (Zentr.): Aus der bisherigen Debatte geht hervor, daß weniger eine Umgestaltung als eine Ergänzung der General⸗Kommissionen am Platze ist. Die richtige Auswahl und Vor⸗ bildung der Spezial⸗Kommissare spielt eine große Rolle. Es genügt nicht, daß ein Regierungs⸗Assessor ein halbes Jahr auf einer großen Domäne arbeitet; er dürfte nur auf mittleren Gütern von höchstens 600 Morgen werden. Das Laienelement hat schon jetzt in den General⸗Kommissionen einen großen Spielraum, z. B. im Ein⸗ leitungsverfahren für die Auseinandersetzungen, für die Separationen. Auch bei der Bonitierung, bei der Abschätzung findet ein schieds⸗ richterliches Verfahren statt. Wenn ich über die Thätigkeit der General⸗Kommissionen anders denke als die anderen Herren, so liegt das darin, daß im Rheinlande die Kolonisationsthätigkeit der General⸗ Kommissionen vollständig in den Hintergrund tritt. Beim Zusammen⸗ legungsverfahren haben die General⸗Kommissionen bei uns eine segens⸗ reiche Thätigkeit entfaltet, und dem Abg. Knebel gebührt für die An⸗ regung dieser Sache warmer Dank. Wenn in den letzten Jahren Grund zu Paern vorlag, so war dies nur deshalb, weil nicht die genügende Zah von Landmessern zur Verfügung stand. Ich möchte deshalb bitten, daß im Interesse eines beschleunigten Verfahrens ihre eee a. 8 8 Geheimer Regierungsrath Kunke weist zahlenmäßig nach, daß in den 5921. Jahren die Zahl der Landmesser, auch dis⸗ für die N. heinlande vermehrt worden ist.

Abg. Winckler (kons.): Dem Antrag auf Kommissionsberathung schliche ich mich an. Im übrigen wäre es mir ganz erwünscht, wenn ie General⸗Kommissionen auf den Aussterbeetat gestellt würden. Sie passen nicht in die heutige Verwaltungsorganisation und können auch durch eine Umgestaltung wenig gewinnen. Solange sie noch bestehen, werden bnc sim 1. 8 das öee. beschränken. Vielleicht ie Funktionen der General⸗Kommissionen die Land⸗ a e 8 8 ss 2 Dr. Crüger (fr. Volksp.): Ich glaube, daß durch bloße nweisi neSc ge zunächst an der Sache nichts Henen blg⸗

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und daß es am besten wäre, wenn von der Regierung eine Vorlage eingebracht würde. Zu bedauern ist es jedenfalls, daß in den jetzigen General⸗Kommissionen das juristische Element überwiegt. Wenn man aber glaubt, durch Hinzuziehung des Laienelements den Uebelständen ab⸗ helfen zu können, so halte ich das für irrthümlich. Es werden unbedingt technische Beamte mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt werden müssen. Daß etwa nach und nach die Aufgaben der General⸗Kommissionen den Landwirthschaftskammern übertragen werden, halte ich für sehr bedenklich, schon weil dadurch der Einfluß der Großgrundbesitzer noch mehr verstärkt würde.

„Abg. von Bockelberg (kons.): Nachdem diese Frage schon früher wiederholt ergebnißlos hier erörtert worden ist, ist der Antra Herold als dankenswerther positiver Vorschlag sehr zu begrüßen. J meine, daß die General⸗Kommissionen lediglich agrartechnische Fragen zu haben 8 8 bg. Dr. Friedberg (nl.): Ich bin einigermaßen verwundert über die scharfen Angriffe, welche namentlich von Seite gegen eine Behörde erhoben werden, die doch eine verdienstvolle Ver⸗ gangenheit hinter sich hat. Daß nach dem Vorschlage des Abg. von Zedlitz die Spezial⸗Kommissare in enge Verbindung mit den Land⸗ räthen und Kreis⸗Ausschüssen treten sollen, kann ich nicht billigen, da ich moderne Anschauungen bei diesen Körperschaften noch nicht ge⸗ funden habe. Ebenso kann ich es nicht billigen, daß die General⸗ Kommissionen mit den Landwirthschaftskammern in Verbindung treten, da sich eine staatliche Behörde einer Interessentenvertretung nicht unterordnen kann. Die Uebelstände, welche sich in Ostpreußen gezeigt haben, werden sich im Laufe der Zeit beseitigen lassen. Es wird ge⸗ nügen, wenn man die General⸗Kommissionen dahin ergänzt, daß den richterlichen Beamten in der Landwirthschaft erfahrene Männer zu⸗ gesellt werden. Ich hoffe, daß bei der Kommissionsberathung auch

Tage tritt.

öAbg. Freiherr von Bodenhausen⸗Lebusa (kons.) schildert einige Fälle, in denen das Verfahren der General⸗Kommissionen bei Separationen und bei einer Wegeverlegung Mängel aufgewiesen habe.

Nach einigen weiteren Bemerkungen des Abg. Schmitz⸗ Düsseldorf und des Geheimen Regierungsraths Kunke bemerkt

Abg. Freiherr von Wangenheim (kons.), daß die Abgg. Crüger und Friedberg die Wünsche seher Freunde ganz falsch verstanden hätten. Seine Partei erkenne die Thätigkeit der General⸗ Kommissionen wohl an; aber es seien ihnen immer neue Auf⸗ Uasen gestellt worden, zu deren Erledigung Leute mit praktischen andwirthschaftlichen Kenntnissen nöthig seien. Von einer Unter⸗ ordnung der General⸗Kommissionen unter die Landwirthschaftskammern sei keine Rede, ebenso sollten die Spezial⸗Kommissionen nicht den Kreis⸗Ausschüssen unterstellt werden. Für kleinere Streitigkeiten könnten die Agrargerichte segensreich wirken, insofern sie eine Menge Prozesse aus der Welt schaffen könnten. In der Kommission würden alle Miß⸗ verständnisse aufgeklärt werden können. 1

1 hea Herold wird einer Kommission von 14 Mit⸗ gliedern überwiesen. Die Ausgaben für die General⸗Kommissionen werden bewilligt.

Bei dem Kapitel „Landwirthschaftliche Lehranstalten“ berichtet der Berichterstatter Abg. von Arnim über die Kommissionsverhandlungen. 1

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch bespricht die Frage der Vorbildung der Landwirthe und betont den Werth der Pflege der Statistik in den landwirthschaftlichen Lehranstalten. Der Redner kommt nochmals auf die des Brotkonsums für die Arbeiter⸗ familie zurück. Die Kinder unter 14 Jahren machten 32 % der ganzen Bevölkerung aus. 8 Barth komme also zu falschen Berechnungen, wenn er den Brotverbrauch einer fünfköpfigen Arbeiter⸗ familie dadurch berechnet, daß er den Durchschnitt pro Kopf mit fünf multipliziere. Auch müsse man die Bevölkerung in starke und schwache Esser eintheilen, dürfe also nicht bloß die statistischen Zahlen, sondern müsse auch die besonderen Verhältnisse in Betracht ziehen.

Zu den Ausgaben für das Pomologische Institut in Proskau bemerkt

Abg. von Kessel (kons.): Bereits vor zwei Jahren habe ich um eine Verlegung des Pomologischen Instituts von Proskau nach Trebnitz gebeten unter Hinweis auf die üblen Bodenverhältnisse in heosan, Ich weiß, daß Verhandlungen darüber eingeleitet worden

ind, und bitte um Auskunft, wie weit dieselben gediehen sind. Ich habe dazu um so mehr Veranlassung, als im Etat zugegeben wird, daß wegen der schlechten Bodenverhältnisse in Proskau eine häufige Erneuerung der Pflanzung der Obstbauten stattfinden muß.

Geheimer Regierungsrath Dr. Mueller: Die Regierung hat eine derartige Verlegung ins Auge gefaßt. Dieselbe scheiterte aber vor⸗ läufig daran, daß eine genügende Verwendung sowohl des Terrains, wie des Gebäudes in Proskau bisher nicht gefunden ist.

Abg. Szmulg (Zentr.) weist darauf hin, daß die in Mittel⸗ schlesien gezogenen Bäume in Oberschlesien nicht fortkommen würden. Er bittet deshalb, wenn in Trebnitz ein Institut errichtet werden sollte, auch das Institut in Proskau bestehen zu lassen.

Bei dem Kapitel „Thierärztliche Hochschulen“ beklagt

Abg. Faltin (Zentr.), daß nig genug geschehe, um Viehseuchen zu verhindern. Die Polizeimaßregeln genügten nicht, seien oft nur lästig, wie die über ganze Ortschaften verhängten Sperren. Es genüge, wenn beim Ausbruch der Seuche nur das betreffende Gehöft oder die betreffende Straße gesperrt werde, da auch Hausthiere, wie Katzen und Ratten, die Seuche verschleppten. Die Grenz⸗ perren würden viel zu streng gehandhabt.

Ein Regierungs⸗Kommissar erklärt, daß er eine Aufhebung der Grenzsperre nicht in Aussicht stellen könne, da in verschiedenen Ländern die Maul⸗ und Klauenseuche noch bestehe. Abg. Szmula wünscht strengere Maßregeln gegen den Vieh⸗ schmuggel an der österreichischen Grenze.

Berichterstatter Abg. von Arnim berichtet, daß in der Kom⸗ mission eine Verstärkung des Fonds zur Erforschung von Thier⸗ krankheiten gewünscht worden sei.

Beim Kapitel „Förderung der Viehzucht“ beklagt Abg. von Sanden⸗VTilsit (nl.) den Rückgang der ostpreußischen Pferdezucht, den er auf den Rückgang der Landwirthschaft zurückführt. Die Bauern könnten sich kein gutes Stutenmaterial mehr halten, und das müsse schließlich auch auf das Hengstmaterial einen üblen Einfluß haben, obwohl dieses zur Zeit noch vorzüglich sei. Der Rückgang des guten Mate⸗ rials trete sehr schnell ein; aber ungeheuer schwierig werde es sein, durch das schlechte Material nachher wieder zu guten Produkten zurückzukehren. Die Herren Gestüts⸗Direktoren sollten sich dieser Gefahr nicht ver⸗ schließen und sich nicht auf das hohe Pferd setzen, sondern lieber mit den Züchtern zusammen arbeiten. Die staatlichen Prämien müßten so vertheilt werden, daß auch die kleinen Züchter daran Antheil hätten. Welchen Einfluß der Rückgang der Pferdezucht für die Armee habe, brauche nicht erst gesagt zu werden. Obevr⸗Landstallmeister Graf von Lehndorff erklärt seine Be⸗ reitwilligkeit, die anerkannten Mißstände in dem Sinne zu bessern, wie der landwirthschaftliche Zentralverein für Ostpreußen es angeregt habe, sobald der Finanz⸗Minister die nöthigen Mittel für die Nach⸗ zuchtprämien zur Versssnn⸗ stellen könne.

Abg. Freiherr von Dobeneck(kons.) stimmt dem Abg. von Sanden vollkommen bei und bittet, in dem vom Regierungelommissor an⸗ geregten Sinn auch in den anderen Landestheilen vorzugehen.

Zu dem Kapitel „Förderung der Fischerei“ beantragt Abg. Freiherr von Eynatten (Zentr.), die Regierung zu er⸗ 15.,2 alsbald einen Gesetzentwurf über das Wasserrecht vorzulegen, welcher insbesondere die Beseitigung der zunehmenden Verunreinigung der Flüsse und Bäche durch die Abwässer industrieller Werke ermöglicht. Die Nothwendigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung habe die Regierung niemals verkannt, sondern sogar aus⸗ drücklich anerkannt und schon vor drei Jahren die Vorlegung eines solchen Gesetzes zugesagt. Er verkenne die Schwierigkeiten dieser Materie nicht, aber es sei zu befürchten, daß die große wasserwirth⸗

schaftliche Vorlage die wasserrechtliche Vorlage wiederum in den

einiges Wohlwollen für die Leistungen der General⸗Kommissionen zu

Hintergrund drängen könne. Unerträglich seien die Zustände der Ver unreinigung der Flüsse durch Windustrienle Werke geworden. Mi welchem Recht dürften die industriellen Werke in dieser Weise das Land schädigen? Die Adjazenten wie die einzelnen Kommunen seien nicht im stande, diesen Uebelständen ent⸗ Je größer die Zahl der industriellen Werke werde, um o größer werde der Uebelstand, und um so 8Sen. sei er zu be⸗ seitigen. Die Stadt Aachen habe durch die Kanalisation und die Einrichtung von Klärbassins die Mißstände bekämpft, aber trotzdem leide der dortige Bezirk unter den Abwässern der großen industriellen Nachbargemeinden, welche an die Kanalisation nicht angeschlossen seien.

Geheimer Ober⸗Regierun srath Wesener: Die Staatsregierung ist mit dem Vorredner der Meinung, daß es nothwendig ist, die Reform des Wasserrechts möglichst bald in Angriff zu nehmen. Ich bin zu der Erklärung ermächtigt, daß die Sache nicht auf die lange Bank seschoben werden soll. In dieser Session ist freilich ein Gesetz⸗ entwur nicht mehr zu erwarten, da die Organisation der nöthigen Behörden noch nicht zum Abschluß gekommen ist. Die früher vom Hause geäußerten Wünsche sind bereits in einer Sachverständigen⸗ kors wen 1“ ö mhordene gem zehft sind durch Rundschreiben an die Behörden die Grundsätze festgesetzt worden, velch

Einschreiten erfolgen soll. 8 gesetz ““

Abg. Wolff⸗Bieberich (nl.) spricht sich im Sinne des Antrag⸗ stellers für baldige Einbringung des Gesetzentwurfs aus, warnt 1

vor der Illusion, als ob man mit gesetzlichen Mitteln die Fluß⸗ verunreinigungen vollständig verhindern könne. Die Verunreinigung erfolge auch durch die Abwässer aus den Häusern. Alle Felürve suche hätten sich nicht als zuverlässig erwiesen. Er beantrage namens seiner Freunde die Ueberweisung des Antrags an eine Kommission von 21 Mitgliedern.

Abg. Klausener (Zentr.) erklärt namens eines Thei iner daß sie mit 1 Antrage nicht ganz 11 hener Das Gesetz dürfe die mit großen Kosten angelegten Kläranstalten der Städte nicht beeinträchtigen. Es sei auch der Nutzen der Kanalisa- tionen für Rieselfelder mit in Betracht zu ziehen.

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Fi Minis 8 u Prüs Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister

Meine Herren! Ich möchte Ihnen einen ketzerischen Rath geben, nämlich den, in diesem Falle nicht zu sehr auf ein Gesetz zu warten. (Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch: Sehr richtig!) Wir haben uns ja allmählich gewöhnt zu glauben, daß man jeden Uebelstand beseitigen kann, wenn man nur ein Gesetz macht. (Sehr richtig! links.) Aber bisweilen findet man, daß die Gesetze nachher nicht brauchbar sind oder noch mehr Schaden anrichten, als vorher war. (Sehr richtig! links.) In einer Materie, die wissenschaftlich noch so wenig geklärt ist (sehr richtig! links und im Zentrum), wo die größten Chemiker Ihnen das sagen werden, wo die Frage der oxydierenden Kraft des Wassers noch so dunkel ist, sich auch ganz verschieden gestaltet nach Maßgabe der Beschaffenheit der Einflüsse in das Wasser das Wasser wirkt auf derartige Ein⸗ flüsse von verschiedenem chemischen Gehalt keineswegs. gleichmäßig (sehr richtig!) in einer Frage, wo die Interessen so bedeutend und so erheblich noch gegeneinander stehen, in einer Frage, wo ein Mittel, diese Interessen generell durch gesetzliche Bestimmungen zweckmäßig auszugleichen, noch so dunkel ist, da soll man sich viel eher mit der Behandlung des einzelnen individuellen Falles begnügen durch die Ver⸗ waltung. (Sehr richtig!) Denn die Fälle liegen ganz verschieden, meine Herren, und ich glaube, es ist vorläufig besser, wenn im Wege der Polizeiverfügung unter genauer Prüfung des einzelnen Falls, sei es Maßregeln getroffen werden, die das Uebel ganz beseitigen, sei es aber Maßregeln getroffen werden, die das Uebel wenigstens ver⸗ ringern.

Ich könnte aus meiner Erfahrung in Frankfurt dasselbe er⸗ zählen, was uns hier von Wiesbaden vorgetragen ist. Wir entschlossen uns auf Drängen der Regierung damals auch, ein großartiges Klär⸗ becken einzubauen, und das Wasser, das aus diesem Klärbecken floß, war schließlich so klar, daß man glaubte, man könnte es trinken. Aber, meine Herren, wie wir nachher an die Untersuchung gingen: welche Bakterien sind in dem einfließenden und welche in dem aus⸗ fließenden Wasser? da war garnicht viel geändert, der Zustand war so ziemlich derselbe; wir und die Unterlieger bildeten uns aber zu Anfang ein, es wäre vollständig reines Wasser und der Schaden wäre kuriert. Das war ein Scheinerfolg, und ich glaube wirklich sagen zu dürfen: die drei Millionen so viel, glaube ich, kostete das Becken waren eigentlich ziemlich unnütz verwandt.

Die Herren Sachverständigen auf diesem Gebiet bestreiten auch garnicht, daß sie bisher eigentlich noch im Stadium der Versuche sind. Manche Versuche mögen die Dinge verbessern, manche aber ändern an der Sache nicht viel. Es kann aber nicht geleugnet werden, daß, wie neuere Verhandlungen, namentlich im preußischen Staats⸗ Ministerium, über diesen Gegenstand gezeigt haben, man doch in der Erkenntniß der Gefährlichkeit der verschiedenen Arten der Zuflüsse in die Flüsse und der Mittel der Abhilfe in der letzten Zeit sehr erhebliche Fortschritte gemacht hat, aber so weit, daß man durch ein Gesetz klare generelle Bestim⸗ mungen machen könnte, sind wir nach meiner Ueberzeugung noch nicht. Daß diese Frage die größte Aufmerksamkeit der Regierung in Anspruch nimmt, und auch thatsächlich erhält, darüber kann gar kein Zweifel sein. Man wird fast immer die verschiedensten Urtheile hören, wie das bei Interessenfragen überhaupt geht. Die Unterlieger werden ungeheuer klagen, weil sie das frühere reine Wasser verloren haben, und die Oberlieger, die das Wasser in diese Beschaffenheit bringen, werden immer ausführen: schadet garnichts, die orydierende Kraft des Wassers heilt alles.

Ich glaube, meine Herren, der Weg, den wir verfolgen müssen, ist der, daß man vorerst fortfährt, im Verwaltungswege die einzelnen Fälle genau zu untersuchen. In manchen Fällen kann ein Industrieller leicht Abhilfe treffen, und er sträubt sich doch. Da ist man in der Lage, es ihm aufzugeben. In anderen Fällen ist die Abhilfe so unge⸗ heuer schwierig, daß, wenn man da rigoros verfahren wollte, man die ganze Industrie ruinieren würde. (Sehr richtig! links.)

Also, meine Herren, ich habe ja nichts dagegen, daß man die Frage des Erlasses eines Gesetzes in der Kommission berathe. Aber ein Gesetz von der Regierung fordern, dessen Inhalt man selbst nicht beschreiben kann, das ist doch nicht richtig. (Sehr richtig.)

Ich glaube, die Frage ist auch schwer allein in einem einzelnen Bundesstaat zu lösen (sehr richtig! bei den Freisinnigen); denn, meine Herren, wenn beispielsweise Frankfurt alles thut, um seinen Main von da ab rein zu erhalten, und Offenbach, eine Industriestadt, die direkt oberhalb Frankfurt liegt, wirkt nicht mit, so ist eigentlich nichts gewonnen. Diese Frage ist hauptsächlich eine Reichsfrage, und ich habe auch die Hoff⸗ nung, daß das Reich, nicht gerade durch Gesetze, sondern im zweckmäßigen

Verwaltungswege sich dieser Frage mal annimmt. Es sind ja auch

schon dieserhalb Anträge im Reichstage gestellt; Worms beklagt sich 111qIq““ EEEE1mqmpp“

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