1901 / 50 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 27 Feb 1901 18:00:01 GMT) scan diff

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einzudämmen. Ueber Mißhandlungen und Selbstmorde hat uns Herr Bebel auch wieder unterhalten. Die Selbstmorde ohne weiteres auf Mißhandlungen zurückzuführen, ist doch ein sehr gewagtes Be⸗ ginnen. Ich habe wieder einige Wünsche vorzubringen. Ueber den Finkauf der Proviantämter habe ich Klagen in dem Umfange wie früher nicht vorzutragen. Immerhin werden die Termine für die Lieferung vielfach zu früh angesetzt, so in einem Falle auf Mitte August, was dazu geführt hat, daß die Mannschaften jetzt Kartoffeln genießen, welche auf den Rieselfeldern gewachsen sind. „Es wäre viel⸗ leicht sehr erwünscht, wenn uns eine Statistik die Einkäufe zu⸗ gänglich gemacht würde, aus der zu ersehen wäre, wieviel Prozent aus erster Hand, wieviel anderweitig gekauft worden ist. Der letztere Weg wäre nur zu beschreiten, wenn der landwirthschaftliche Erzeuger versagt. Klagen über die Einquartierung vom platten Lande werden ja im allgemeinen nicht laut; würden die Großstädter diese Last am eigenen Leibe zu tragen haben, so würden sie ein heilloses Geschrei erheben. Einige Beschwerden aber erhebt auch das platte Land. Die Manöverfuhren⸗Requisiton sollte erheblich eingeschränkt werden. Die Anmeldungen für die Einquartierung sind oft ungeheuer unzuverlässig; statt sechzig Gemeldeter kommen hundert oder mehr und der Quartierverpflichtete soll nun Hals über Kopf Raum schaffen. Die Noth⸗ und Kriegsquartiere sollten auf ein Minimum reduziert werden; ein Erziehungsmittel für das Heer brauchen sie nicht zu sein. Die Einberufung der Reservisten erfolgt vielfach zu spät, sodaß weder Reservisten noch Arbeitgeber Zeit haben, ihre Dis⸗ positionen zu treffen. Ueber die Konkurrenz der Militärkapellen wird

durch die Zivilmusiker geklagt. In einem Falle hat bei der Eröffnung eines Waarenhauses eine Militärkapelle mitgewirkt. Das sollte nicht zugelassen werden; in einem ähnlichen Falle hat in Köln der Regiments⸗ Kommandeur das schon angesagte Konzert aus gleichem Anlaß untersagt. Direktor im Kriegs⸗Ministerium, Generalmajor von Heeringen:

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Die Proviantämter sind an die Proviantamtsordnung gebunden und baben zweifellos innerhalb deren Grenzen eingekauft. Jedenfalls baben die Ankäufe rechtzeitig stattgefunden. Wir kaufen das Korn möglichst nach dem Drusch. Die Kartoffelkäufe gehören nicht zum Ressort des I11“ sondern sind Sache der Truppe. Daß diese noch im August Kartoffeln kauft, wäre sachlich unrichtig. Es wäre richtiger, wenn Verträge für das ganze Jahr geschlossen würden, durch welche das erforderliche Quantum gesichert wird. Der Vorredner hat die Nothwendigkeit der Einkäufe Aus erster Hand betont, ich will hier die Zahlen wiederholen, die ich bereits in der Budgetkommission gegeben habe. Danach stellt sich im Verhältniß zum Gesammtbedarf der Prozentsatz bei Weizen auf 73, bei Roggen auf 60, bei Hafer auf 53, bei Heu auf 77, bei Stroh auf Die Militärverwaltung ist durchaus damit einverstanden, daß aus erster Hand in jeder Richtung am vortheilhaftesten wird verfahren. Aber man kann die Sache j Knie brechen. Wir haben in den ersten Jahren mit genannten falschen Produzenten zu thun gehabt. Der Vorredner at dann von der Requisition der Fuhren gesprochen. Auch hier ist ie Requisition aus erster Hand vorzuziehen; aber in de Praris ist ie Sache schwer durchzuführen. Die Städte scheiden aus, weil da die nöthigen Wagen verfügbar sind. Wird die Sache öffentlich so meldet sich in der Regel niemand. Meldet sich ein mer, so schlägt dies nicht zum Vortheil der Landwirthschaft denn der Unternehmer zu den Bauern und ihnen erheblich weniger, als elbst von der Militär⸗ verwaltung erhält. Deshalb hab vir diesen Weg verlassen und haben versucht, die Sache mit den Gemeinden zu arrangteren. Die kriegsmäßige Einqua

rtierung ist gewiß eine Belastung der Be⸗ völkerung. Sie hat aber andererseits eine Erleichterung zur Folge, was auch im Jahre 1887, als die sogenannten engen Quartiere einge⸗ führt wurden, anerkannt wurde. Statt vieler Gemeinden werden

wenige, diese allerdings dicht belegt. Die engen Quartiere sind noth⸗

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wendig zur Durchführung der Manöver größeren Umfangs, nicht nur

bei ungünstiger Witterung, sondern auch zum Zusammenhalten der ruppen für den folgenden Tag.

Direktor im Kriegs⸗Ministerium, Generalmajor von Einem tennt an, daß zu späte Einberufungen der Reservisten un⸗ erwünscht seien. Wo dies vorkomme, könne der Betreffende om Bezirks⸗ oder General⸗Kommando dispensiert werden. Die Einberufungen sollen stets so früh wie möglich geschehen. Auf den Fall wegen der Militärkapelle wolle er sich nicht

einlassen. Es bestehe allerdings eine Allerhöchste Ver⸗ rdnung, worin befohlen werde, daß die Militär⸗Musikkapellen ach Möglichkeit den Zivilkapellen keine Konkurrenz machen sollten. Der betreffende Regiments⸗Kommandeur habe bei der Eröffnung des

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M 83 1 r in hüun sßro 598255 ² Bürembe 3 Bazars spielen lassen, aber in Zivil, während zwei Stunden, in denen

nicht verkauft worden sei. Der Kommandeur habe das für ein Konzert ehalten und darum seine Erlaubniß gegeben. Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole) bemängelt aten in einer polnischen Garnison verboten

en

Kriegs⸗Minister, General der Infanterie von Goßler: Es ist auch mein Wunsch, daß die Militärbehörden in die

pelitischen Kämpfe nicht eingreifen. Innerhalb des Bezirks des

V. Armee⸗Korps ist das auch nicht der Fall gewesen und wird es auch

nicht sein. Ich kann aber nicht umhin, die Verhältnisse doch etwas anders darzustellen, als es der Herr Vorredner vielleicht selbst ver muthet. Es ist gar keine Frage, das Vorgehen der polnisch sprechen⸗

en Bevölkerung gegen deutsche Handwerker und Kaufleute ist ein der⸗

artig offensives, daß in dieser Hinsicht bestimmte Maßnahmen ge⸗

troffen werden mußten. Durch Berichte, die dem Staats⸗Ministerium

vorgelegen haben, ist unzweifelhaft festgestellt, daß die Eristenz vieler

deutscher Gewerbetreibender geradezu in Frage gestellt ist, weil

seitens der polnischen Bevölkerung bei ibnen nicht gekauft wird und

nicht gekauft werden darf, da in den Zeitungen die Namen derjenigen Polen, die hiergegen verstoßen, als abschreckendes Beispiel rücksichtslos

bekannt gegeben werden. Das sind unhaltbare Zustände Die General⸗ Kommandes, die hierbei in Betracht kommen, haben dieses voll und ganz bestätigt. Es geht sogar so weit, daß deutsche Kaufleute und Gewerbetreibende Lieferungen nicht mehr erhalten können, weil sie von

polnischen Gewerbetreibenden unterboten werden, denen die Zugehörig⸗

keit zu greßen Vereinen, die in der Lage sind, größere Geldmittel herzugeben, dieses ermöglicht. Ich glaube daher, daß es wohl Sache der Leiter der polnischen Bewegung sein möchte, den Frieden im Lande aufrecht iu erhalten!

Der kommandierende General des V. Armee⸗Korps hat diese

Zustände mit den Regiments⸗Kommandeuren, die diese Beobachtungen durchaus bestätigt haben, besprochen und ist dahin Vereinbarung ge⸗ troffen worden, soweit es geht, nur bei deutschen Gewerbetreibenden

zu kaufen. Ich meinerseits kann dieses nur vollständig billigen. geht

doch der Angriff nicht von deutscher, sondern ven polnischer

Seite aus. Was die Lieferungen ꝛc. anbelangt, so habe ich mit Allerhöchster

Ermächtigung den General⸗Kommandos in den Bezirken mit polnischer

Bevölkerung anheimgestellt, von einer freihändigen Vergebung abzu⸗ sehen und in beschränkter Submission die Lieferungen zu vergeben,

wenn sich eine Vergewaltigung der deutschen Lieferanten bemerkbar

machen sollte. Im Beürk eines General⸗Kommandos ist dieses geschehen. Derartigen Uebergriffen wird mit aller Entschiedenbeit

entgegengetreten werden. Ich kann aber im allgemeinen Interesse nur

dringend wünschen, daß die Agitation, die uns zu diesen Abwehr⸗ maßregeln zwingt, aufhört. (Bravo! rechts.)

Abg. Dr. von Jazdzewski: Der Kampf, von dem der Minister spricht, ist nicht von der polnischen, sondern von der deutschen Be⸗ völkerung berbeigeführt worden, ebenso auch der Bovkott auf gewerb⸗ lichem Gebiet. Fürst Bismarck war es, der die Deutschen zum Kampf gegen die Polen aufgefordert hat, und das übrige hat der „H. K. T⸗ Verein“ besorgt. Wie kann da jetzt der Kriegs⸗Minister die Sache den Polen in die Schuhe schieben? Die Polen werden nicht nur von den Deutschen, sondern auch von der Staatsregierung bovpkottiert. Bei dieser Haltung des Kriegs⸗Ministers werden wir zum Frieden nicht kommen.

Kriegs⸗Minister, General der Infanterie von Goßler:

Ich kann nur das anführen, was mir berichtet worden ist. Die

Angaben sind ganz neu, sie datieren vom 21. d. M. Es wird gesagt:

„Man muß jeden Tag mit ansehen, wie der Pole hier jedes deutsche Geschäft, jeden deutschen Handwerker unberücksichtigt läßt und seine Bedürfnisse lediglich bei den Polen befriedigt.

(Hört! hört!)

Fast täglich bringen die polnischen Zeitungen Aufforderungen, nur bei Polen zu kaufen, auch werden Polen, welche mit Deutschen in Geschäftsverbindung treten oder auch nur deutsche Theater be⸗

suchen, durch Nennung ihrer Namen in den Zeitungen bloßgestellt.“ (Hört! hört! bei den Nationalliberalen.)

Ich bleibe dabei, daß der Angriff lediglich auf Seite der Polen liegt, und man sehr wohl in der Lage wäre, derartigen doch sehr be⸗ trübenden Zuständen sehr bald ein Ende zu machen.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Herr Oertel nimmt sich derjenigen Herren an, die das Duell für ein nothwendiges Uebel halten. Einem ethisch absolut verwerflichen Mißbrauch und Vorurtheil enüber kann man nicht von einem nothwendigen Uebel reden. Auch haben die Vertreter dieser Auffassung nicht Beachtung, sondern höchstens Nach⸗ sicht zu beanspruchen. Ich meine ferner, es ist Aufgabe und Sache des Reichstages, auch vor diesen Mißständen nicht Halt machen. Er hat seine Pflicht zu thun, wie er das von allen anderen Faktoren er⸗ warten darf, unbekümmert, ob er zunächst etwas an den Dingen ändern wird oder nicht. Es kann aber wohl etwas Greifbares dabei herauskommen, wie denn auch das bisher Erreichte sehr stark auf die Rechnung des Reichstages zu setzen ist. Soll die christliche Lehre bei uns gelten, dann muß sie auch für die Armee gelten, und die Armee darf keine Ausnahme machen vom christlichen Sittengesetz; denn darf sie es, so darf es jeder andere Stand auch. Di Begnadigung ist ein Kronrecht, aber für die Ausübung des Kronrechts sind die Ministe verantwortlich. Das bestehende Gesetz muß maßgel bleib follten die kompetenten Stellen bedenken. Im Volk muß es Mißve ständnisse erregen, wenn in Duellfällen von dem Begnadigungsrecht häufig Gebrauch gemacht wird, in anderen nicht. Was die Zurück⸗ weisung der Kölner Reserveoffiziers⸗Aspiranten betreffe, führt Redner weiter aus, so habe der Kriegs⸗Minister zwar heute mit Recht auf der Stellung zum Duell verwerfe, aber wie heute, die „Kölnische Volkszeitung“ mittheile, bestehe im Bereich des VIII. Armee⸗Korps immer ein Fragebogen, nach welchem die Offiziers⸗Aspiranten jetzt indirekt nach ihrer Stellung 3 uell gefragt würden, indem man sie jetzt frage, welcher 8 n sie auf der Universität an⸗ gehört hätten. Auf dies könn rech ie Stellung zum Duell erfahren. Die Deduktion, der Kriegs⸗Minister an dem seine Parteifreunde unbedingt fer Sie n damit bessere Freunde der bekannten Kabinet ig als der Herr Minister, der es so darstelle, als inetsordre mit dem Strafgesetzbuch im Widerspruch stehen könnte. ie starke Duellneigungen in bestimmten Kreisen seien dem Zentrum wohl bekannt; aber die Heeresverwaltung sollte sich hüten, diese Neigung zu stärken. Es müßte im Gegentheil das Duell viel schärfer als bisher bestraft werden. Auch die heutigen Ehrengerichte bedürften einer Reform; sie dürften namentlich nicht die Formen des Zweikampfs fest⸗ setzen. Ehrengerichte dürften doch nicht bestehende Gesetze übertreten. (Als Redner bei der weiteren Besprechung der Kabinetsordre die Person Seiner Majestät des Kaisers in die Debatte zieht, wird er vom Präsidenten Grafen von Ballestrem dahin beschieden, daß er wohl die Kabinetsordre besprechen könne, aber die Person des Monarchen bei Seite lassen müsse., Redner schließt: n das Christenthum im Munde des Monarchen, wie es wieder uch im „Reichs⸗Anzeiger⸗ zum Ausdruck gekommen sei, ernst werden müsse, so müsse es auch dem Duell g g G

Um 5 ¾ Uhr Mittwoch 1 Uhr

vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

338. Sitzung vom 26. Februar, 11 Uhr.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1901 wird im Etat der Eisenbahnverwaltung fortgesetzt.

Bei dem Titel „Einnahmen der Privateisenbahnen, an welchen der Staat betheiligt ist“, bittet 4

Abg. von Eisenhart⸗Rothe (kons.) um Verhesserungen des Verkehrs auf der Altdamm⸗Kolberger Bahn durch solche Zugverlegungen, daß der Anschluß in Stettin erreicht werde, und dürch Einstellung eines durchgebenden Wagens von Berlin aus.

Bei den dauernden Ausgaben, und zwar bei den Po⸗ sitionen für die vom Staate verwalteten Eisenbahnen, bean⸗ tragen die Abgg. Schmidt⸗Warburz (Zentr.) und Genossen: die Regierung zu ersuchen, dafür Sorge zu tragen, daß den in

der Eisenbahnverwaltung beschäftigten Eisenbahn⸗Bau⸗ und Be⸗ triebs⸗Inspektoren und Maschinen⸗Inspektoren eine die Dauer von 5 Jahren überschreitende Zeit der diätarischen Beschäftigung bei der Festsetzung des Besoldungsdienstalters in Anrechnung gebracht werde.

Abg. Funck (fr. Volksp.) dankt der Regierung für die Schaffung neuer etatsmäßiger Beamtenftellen in diesem Etat und bittet, damit im nächsten Etatsjahre fortzufahren. Die Bahnwärter könnten bei den großen Anforder die an ihren Dienst gestellt würden, nicht mehr in ihrer niedrigen Gehaltsklasse bleiben, sondern müßten in die Klasse der Weichensteller mit 900 bis 1400 einrangiert werden.

Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:

Meine Herren! Der Herr Abg. Funck hat insofern Recht mit seiner Angabe gehabt, als der Blockwärter an den betreffenden Block zwischen Offenbach und Mülheim außer Stellenzulage und Dienst⸗ wohnung nur ein Gehalt von 800 hatte; er war noch in der Kategorie der Bahnwärter und bezog auch das Bahnwärtergehalt. Der Herr Abg. Funck irrt sich aber insofern, als nicht bloß Bahn⸗ wärter, sondern auch Weichensteller zu diesem Dienst heran⸗ gezogen werden, und in dieser Beziehung war meine Angabe,

as diese Leute bis zu 1400 Gehalt bekommen könnten, richtig. Ich habe allerdings vorausgesetzt, er wäre ein derartiger Beamter, und nach dem persönlichen Eindruck, den ich von ihm bekommen hatte, war er schon in ziemlich reifen Jahren, und ich glaubte, er befände sich bereits in der höheren Klasse. Er war aber erst seit 6 Jahren angestellt und batte infolge dessen noch das niedrigere Gehalt. Beamten mit ausgedehnteren dienstlichen

beres Gehalt, weil

wärters zugetheilt wird, auch eine entsprechende Funktionszulage haben. Also, wenn er Fahrkartenausgeber ist, bekommt er dafür eine Zulage; wenn er eine Weiche zu bedienen hat, dann hat er das Weichensteller⸗ gehalt, kurzum, er kann bis zu 1400 ℳ, und wena er dann schließlich zum Weichensteller erster Klasse aufrückt, bis zu 1600 Gehalt be⸗ ziehen. Der betreffende Mann hatte aber, darin hatte der Herr Abg. Funck Recht, nur ein Gehalt von 800 Er bekam dazu die Zulagen und hatte freie Dienstwohnung.

Abg. Dr. Böttinger (nl.) bittet, die Dienstverhältnisse der⸗ jenigen Sekretäre, die sich einer zweiten Prüfung unterzogen haben, dahin zu ändern, daß sie anstatt in 21, schon in 18 Jahren bis zum Maximalgehalt aufsteigen und das Maximalgehalt von 3000 auf 3300 erhöht werde. b

Ministerial⸗Direktor Wehrmann erklärt eine Erhöhung des Gehalts der Betriebssekretäre für unmöglich.

Abg. Goldschmidt (fr. Volksp.): Nach einer Zeitungsnachricht soll die Verwaltung beabsichtigen, den Bahnwärterdienst am Tage durch 8 Frauen versehen zu lassen. Für diese Beschäftigung scheinen mir die frauen ebenso wenig geeignet, wie für den Dienst der Strecken⸗ arbeiter und Schrankenwärter. Ich muß ferner bemängeln, daß die Stellwerkswärter vor oder nach ihrem Dienst noch ein bis wei Stunden zum Weichenstellen verwendet werden. Den Schaffnern und sämmtlichen im Fahrdienst beschäftigten

mten ist neuerdings auf ihre Vorstellungen eröffnet worden, daß sie nach der Fahrordnung bis zu 16 Stunden täglich beschäftigt werden kännten und daher täglich 16 Stunden Dienst thun müßten. Aus dieser Ueberbürdung, die lediglich der Plusmacherei zu verdanken ist erklären sich dann auch die furchtbaren Unfälle, welche von Zeit zu Zei die Bevölkerung mit Entsetzen erfüllen. Es sollte doch das menschlich Leben seitens der Eisenbahnverwaltung etwas höher bewerthet und ein Anzahl von Beamten mehr eingestellt werden, wenn es auch ein paar Hunder oder ein vaar Tausend Mark mehr kostet. Einigen Bremsern, die auf andere Stellen versetzt worden waren, aber die amtliche Zusicherung erhalten hatten, man werde ihnen ihre Stellenzulage im vollen Um fange belassen, ist diese nachher trotz jenes Versprechens um 100 gekürzt und der ihnen zu viel gezahlte Betrag wieder abverlangt, gleichzeitig aber ihnen, damit sie dazu leichter im stande seien, eine einmalige Unterstützung von 25 gewährt worden. Eine solche Art der Plusmacherei hätte ich selbst der preußischen Eisenbahnver⸗ waltung nicht zugetraut. Wenn der Beamte dann gezwungen ist,

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Schulden zu machen, kommt der Minister mit dem Hinweis auf den Erlaß von 1853 gegen das leichtsinnige Schuldenmachen. In einem Amtsblatt ist ferner mitgetheilt worden, daß ein Bremser wegen Gehorsamsverweigerung mit drei Tagen Arrest bestraft worden sei; dies werde zur Nachachtung bekannt gemacht. Sind wir denn schon so wei ommen? Ich möchte bis auf weiteres die Nachricht für laublich halten. Die Pensionen für die Wittwen sollten auch Tage vor dem Fälligkeitstermin gezahlt werden, wenn dieser itag ist. isterial⸗Direktor Wehrmann: Frauen werden als Bahn⸗ wärter nur bei Bahnübergängen zur Schrankenbedienung verwendet und bewähren sich in dieser Funktion sehr gut. Daß Frauen auch im inneren Dienst als Wagenputzer verwendet werden, trifft namentlich für den Osten zu. Unzuträglichkeiten haben sich daraus nicht ergeben, und die Arbeit ist für Frauen durchaus angemessen. Die Beschäftigung Uwerkswäürter bei den Weichen ist keine Erschwerung, sondern ichterung für diese Beamten, welche bei den Stellwerken ßere körperliche Anstrengung auszuhalten haben. Die Aufforderung des Stationsvorstehers in Magdeburg an die Fahr⸗ beamten, über 16 Stunden Dienst zu thun, ist auch der Verwaltung geworden und hat zu einer Rektifikation Veranlassung gegeben. Dienst war übrigens Reservedienst und nicht sehr anstrengend; vohl ist Remedur eingetreten. Die Dienstdauer ist unter der Leitung wärtigen Ministers sehr verkürzt worden. Jetzt ist die höchste ner 14— 16 Stunden, und es sind daran nur 10 % des. or betheiligt. Bei den Unfällen ist amtlich festgestellt, über 13 Stunden keiner der Betheiligten im Dienste war, Ueber⸗ anstrengung daher als Mitursache der Unfälle nicht nachgewiesen werden kann. Die Beschwerde hinsichtlich der Entziehung der Stellen⸗ zulagen kann sich nur auf Beamte beziehen, die noch aus älterer Zeit solche Zulagen erhalten, da die Fahrbeamten keine Stellenzulagen mehr genießen, sondern auf Nebenbezüge angewiesen sind. Die Einzel⸗ beiten sind mir nicht bekannt. Nach unserem Disziplinargesetz können Unterbeamte mit Arrest bestraft werden. Die betreffende Anordnung hat daher nichts Auffälliges. 8 Abg. Marx (Zentr.) bringt die Verhältnisse der Eisenbahn⸗ Telegraphisten zur Sprache. Diese Verhältnisse hätten sich immer ungünstiger gestaltet durch die Zuziehung weiblicher Personen und anderer Unterbeamten⸗Kategorien zum Eisenbahn⸗Telegrapbendienst. Die uzichung der Damen zum Telegrapbendienst sei doch schon aus Rück⸗ sicht auf die Sicherheit des Betriebes bedenklich; in Süddeutschland habe man damit trübe Erfahrungen gemacht. Einigermaßen müßten doch diese Beamten auch den äußeren Dienst kennen, und diese Kenntniß ehe den Damen ab. Vom Nachtdienst müßten die Damen freibleiben. Auch die Weichensteller erster Klasse machten den Telegraphisten Kon⸗ kurrenz. Andererseits würden die Telegraphisten häufig zur Vertretung der Stationsassistenten berangezogen, woraus sich für den Dienst⸗ betrieb selbst gewisse Mißstände ergäben. Eine Verfügung des Ministers vom 31. Oktober 1900 verlange von den Telegraphisten, daß sie auch den äußeren Stationsdienst versehen können, zu welchem wecke sie ein Examen zu machen und die erforderliche körperliche Rüstigkeit nachzuweisen hätten. Darin gehe der Minister zu weit, wie er inzwischen auch erkannt zu haben scheine; wenigstens sei bei den älteren Beamten von diesen Forderungen, insbesondere von der Prüfung, abgesehen worden. Trotz dieser Modifikation hätten einige Direktionen erklärt, daß sie nur körperlich rüstige Telegraphisten zuließen; dies stehe mit der Auffassung der Zentralinstanz nicht im Einklang. Die Neuorganisation sei freilich noch nicht abgeschlossen. Die vorhandenen Telegrapbisten sollten ohne jede einschränkende Be⸗ dingung zum Stations⸗Assistentendienst berangezogen werden.. 8 Ministerial⸗Direttor Wehrmann: Vom Betriebsdienst sind Frauen grundsätzlich ausgeschlossen; als Telegraphistinnen werden sie nur in den Bureaur für Dienstdepeschen und außerdem für Privat⸗ depeschen verwendet: der Nachtdienst kommt nicht in Betracht, höchstens ausnahmsweise einmal bei Manövern oder für Privatdepeschen. Die Weichensteller erster Klasse sind schon früͤher zum Telegrapbendienst herangezogen worden. Der Telegraphist, der in den äußeren Stations⸗ dienst übertreten will, kann von einer Prüfung nicht entbunden werden. Die Prüfung wird nur unterlassen, wenn der Vorgesetzte von der praktischen ndbarkeit des Telegraphisten ohnehin üͤberzeugt ist. Abg. Freiherr von Eynatten (Zentr.) tritt für die Gewaͤbrung einer gewissen 4— an die im Fabrdienst beschäftigten Beamten ein und führt zur ründung dieser Forderung die Ueberbürdung der Stationsbeamten auf einer Station zwischen Aachen und Düsseldorf an, wo der Dienst, der um 11 ¼ Uhr Ubende enden solle, thatsächlich erst mit dem Eintreffen des letzten Güterzuges, d. h. manchmal erst um 4 Uhr Morgens, sein Ende erreiche. 8 1 Ministerial⸗Direktor Wehrmann erwidert darauf, ist aber auf der Tribüne nicht zu verstehen. 8 Abg. Dr. Göschen (nl.): Von den neuen Stellen im Etat ent⸗ fallen nur wenige auf die bisherigen Bureaudiätare, im Ganzen nur etwa 200, und von diesen 50 bis 90 auf solche, welche zu den Militär⸗ anwärtern gehören. Bis zur Anstellung müssen die Bureaudiätare 10 Jahre warten, und das ist zu viel; die Verwaltung müßte mit einer weiteren Vermehrung der Eisenbahn⸗Sckretärstellen vorgehen.

—23 den Charakter von Theuerungszulagen; es

der Billigkeit, sie den in großen theuren Städten

Beamten zu belassen, und zwar durchweg in Höhe von neben dem Höchstgehalt.

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8⸗Anz

(Schluß aus der Ersten Beilage.) 16“ 8

Abg. von Kölichen (kons.): Die Beamten, im Abfertigungs⸗ dienst stehen im Vergleich zu jenen im Bureaudienst hinsichtlich der Besoldungsverhältnisse ünstiger da, und dieses Mißverhältniß ist durch den neuen Etat verschlimmert worden, indem die neuen etatsmäßigen Stellen für die Beamten des Ab⸗ fertigungsdienstes erheblich zurückbleiben hinter der Zahl derjenigen für den Bureaudienst. Es liegt uns ja nun ein Antrag des Abg. Werner vor, der dem Mißstand in radikaler Weise durch die Ver⸗ mehrung der Sekretärstellen um nahezu 1000 abhelfen will; ich über⸗ sehe die Tragweite dieses Antrages nicht, aber in der Tendenz der Gleichstellung der Beamten des Abfertigungsdienstes mit denen des Bureaudienftes begegne ich mich mit dem Antragsteller. Der Antrag wird ja wohl der Budgetkommission überwiesen werden. Jedenfalls möchte ich dem Minister mein Anliegen warm empfohlen haben.

Abg. Schmidt⸗Warburg (Zentr.) unterstützt die Beschwerden des Abg. Goldschmidt über die nachträgliche Rückforderung der Stellen⸗ zulage; man solle den betreffenden Beamten auch den Rest in Form

der Gewährung einer Unterstützung erlassen. Seinem Antrag, der ja der Budgetkommission überwiesen werden wird, giebt der Redner die besten Wuͤnsche auf den Weg mit. Er bittet dann um Weiterführung des von Verviers kommenden, Abends 11 Uhr 12 Minuten in Pader⸗ born anlangenden und dort liegenbleibenden Zuges bis Holzminden. Der von Paderborn Nachmittags abgehende Zug sollte bis Warburg durchgeführt werden, um den bequemen Besuch des Eggegebirges zu ermöglichen. Die 10tägigen Retourkarten sollte die Verwaltung doch endlich zugestehen. 8

Abg. Werner (deutschsoziale Reformp.): Durch die Neuregelung der Stellen ist den Supernumeraren fast gar kein Vortheil zugefallen. Bei der Ernennung von Eisenbahn⸗Sekretären sind von 1900 An⸗ wärtern ungefähr 1000 berücksichtigt worden, von den Abfertigungs⸗ beamten dagegen nur etwa 4 %. Gerade die letzteren bedürfen aber der Berücksichtigung. Die neuen Stellen im Etat sind nicht nach dem Bedürfniß, fondern ziemlich willkürlich geschaffen worden; die Bedürfniß⸗ frage aber sollte allein in Betracht kommen. Ich habe daher den schon im vorigen Jahre von mirangekündigten Antrag eingebracht, die Zahl der Stations⸗Vorsteher I. Klasse, Gütererpeditions⸗Vorsteher und Stations⸗ Rendanten um 500, die Zahl der Stations⸗Vorsteher II. Klasse, Gütererpedienten, Stationseinnehmer, Bahnmeister II. Klasse, Werk⸗ meister und Schiffskapitäne I. Klasse um 453 zu erhöhen, dagegen bei den Bureau⸗Assistenten u. s. w. 953 Stellen abzusetzen, um für das von allen Seiten, auch vom Minister anerkannte Bedürfniß im Etat die nöthigen Unterlagen zu geben. Ich bitte um Verweisung des Antrags an die Budgetkommission.

Geheimer Ober⸗Finanzrath Belian: Der Antrag ist nach meiner Meinung formell unzulässig. Es widerspricht durchaus dem Brauch und der Uebung, der Regierung mehr Geld und Beamte im Etat aufzunzchigen, als sie selbst verlangt hat. Auch ist ja nicht das Bedürfniß, soͤndern die Rücksicht auf gewisse Beamtenklassen bei dem Antrag ausschlaggebend gewesen. Die Vermehrung der Eisenbahn⸗ Sekretärstellen hat doch namentlich in der Folgezeit schwerwiegende finanzielle Konsequenzen. Ich bitte daher, doch sehr vorsichtig bei

solchen Anträgen zu sein und nicht im Lande bei den betreffenden Beamtenkategorien Hoffnungen zu erwecken, die die Regierung auch beim besten Willen nicht erfüllen kann.

Abg. von Mendel⸗Steinfels (kons.) bittet im Interesse der Kreise Salzwedel und Gardelegen, zwischen Stendal und Uelzen einen neuen Zug etwa um 8 Uhr Abends und zwischen Oebisfelde und Salz⸗ wedel einen neuen Zug des Morgens einzustellen.

Abg. Werner: Ich wünsche nur, daß neue Stellen nach Be⸗ dürfniß geschaffen werden. Der Minister hat dieses Bedürfniß aber schon anerkannt durch die Schaffung von 100 neuen Stellen. Wir sind es gewohnt, daß die Herren vom Finanz⸗Ministerium bei solchen Wünschen Opposition machen. Mein Antrag ist formell ebenso zu⸗ lässig, wie er es im vorigen Jahre war. Die Vertheilung der etats⸗ mäßigen Stellen ist noch nicht nach dem Bedürfniß erfolgt.

Geheimer Ober⸗Finanzrath Belian: Die Finanzverwaltung hält es für ihre Pflicht, darauf zu achten, daß die ekatsrechtlichen Grund⸗ sätze gewahrt werden. Sobald ein Bedürfniß von dem Finanz⸗ und dem Eisenbahn⸗Ministerium für eine neue Stelle anerkannt war, ist sie auch immer in den Etat eingestellt worden.

Die Anträge Schmidt und Werner werden der Budget⸗ kommission überwiesen.

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Bei dem Titel „Wohnungsgeldzuschüsse für die Beamten“

beklagt Pg. Dr. Schultz⸗Bochum (nl.) den Rückgang in der Zahl der Dienstwohnungen der Eisenbahnbeamten. Von den 127 000 Eisen⸗ bahnbeamten hätten im Jahre 1901 nur 25 094, d. h. 19,6 % Dienst⸗ wohnungen. Von je 1000 Beamten hätten also 196 Dienstwohnungen. Von Jahr zu Jahr sei der Rückgang in der Zahl der Dienstwohnungen ößer geworden; 1892 habe die Zahl noch 246 für je 1000 Beamte Lagen. Sehr verschieden sei auch die Vertheilung der Dienst⸗ wohnungen auf die verschiedenen Klassen der Beamten. Wenn der Wohnungsgeldzuschuß als gleichwerthig mit der Dienstwohnung ange⸗ sehen werde, dann müsse er zum Wohnungsgeld werden, d. h. er müsse in einer Höhe gezahlt werden, daß davon die Wohnung bezahlt werden könne. Im rheinisch⸗westfälischen Industriebezirk seien die Wohnungen so theuer, daß der Wohnungsgeldzuschuß nicht ausreiche; auch die Stellenzulagen seien nicht hech genug. Das Finanz⸗Ministerium müsse daher reichlichere Mittel für die Verbesserung der Wohnungs⸗ verhältnisse bereitstellen.

Bei den Ausgaben für die Hilfsarbeiter erkennt

Abg. Goldschmidt an, daß einige seiner vorjährigen Beschwerden über die Arbeiterverhältnisse in den Werkstätten berücksichtigt worden find; er wolle abwarten, ob auch noch die übrigen berücksichtigt werden, und eventuell im nachsten Jahre wieder darauf zurückkommen. In der Lohngruppe 1 sei der Lohn jetzt auch von 2,30 auf 2,50 erhöht worden, dafür aber habe die Verwaltung vorgeschrieben, daß diese Mehrausgabe durch eine Einschränkung der Kopfzahl ieder eingebracht werde. Insgesammt verdienten also die Arbeiter nicht mehr als frühber. Die Steindrucker im Direktionsbezirk Elberfeld erhielten einen Tagelohn von 2,50 bis 3,60 ℳ, in der Privatindustrie verdienten die Steindrucker in der W 27 % Dazu komme, daß die Leute in der Privatindustrie den für die Eisenbahnverwaltung scheine es aber keine rdnung zu geben; die Steindrucker im Elberfelder Bezirk müßten auch am Sonntag arbeiten. Ein Fehler sei es ferner, daß die Lokomotivenreparaturen in Entreprise vergeben würden, statt egen Tagelohn. In Kottbus hätten die Eisenbahnarbeiter aus dem onsumvperein austreten müssen, weil der Vorstand sozialdemokratisch sei. Der Konsumderein wirke für die Eisen hnarbeiter bei ihren niedrigen Löhnen segensreich, und man solle deshalb gegen die Arbeiter nicht so rigoros verfahren. Eine Verfügung der Eisen⸗ bahnverwaltung sei saen unverständlich; danach erhielten die Arbeiter für die Landtagswahlen Urlaub ohne Lohnentziehung, für die 565 wahlen aber nicht. Andererseits sei dem Eisenbahn⸗Sekretär rp g. Ministerium Urlaub ertheilt worden, um Flottenreden zu halten,

obwohl die Direktion den Urlaub abgelehnt ean Süddeutschland

1 bekämen die Arheiter der Eisenbahn⸗Betrie Urlaub, ebenso die Arbeiter in der Reichsdruckerei; dieselbe Vergünstigung

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äatten im Sommer

Zweite Beilage eiger und Königlich Preuß

Berlin, Mittwoch, den 27. Februar

solle man auch den preußischen Eisenbahnarbeitern gewahren. Der Redyer tadelt ferner den Erlaß, nach welchem die Eisenbahnbeamten das Grüßen besser machen sollen, und bemängelt das Statut der Pensionskasse der Werkstättenarbeiter. Die Arbeiter könnten danach in der General⸗ versammlung ihren Wünschen keine Geltung verschaffen, weil der Vertreter des Ministers allein immer so viel Stimmen habe wie die sämmtlichen Vertreter der Arbeiter zusammen. Es solle nach Selbst⸗ verwaltung aussehen, sei aber in Wirklichkeit keine, obwohl die Arbeiter die Beiträge für die Pensionskasse zahlten. In den Hilfskassen hätten die Arbeiter ihr Selbstverwaltungsrecht noch niemals mißbraucht. Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:

uf die Ausführungen des Herrn Abg. Goldschmidt möchte ich in einigen Punkten doch eine Erwiderung folgen lassen. Ich wende mich zunächst zu dem Theil seiner Ausführungen, die den Kottbuser Konsumverein betreffen. Dieser entpuppte sich allmählich als einen Hauptstützpunkt der sozialdemokratischen Partei. Es war nicht bloß der Vorstand von den sozialdemokratischen Agitatoren be⸗ herrscht, sondern es gehörten auch 5 Lo gerhalter zu derselben Kategorie. Nun ist es meines Erachtens ganz unzweifelhaft, daß in Staatsbetrieben die Betheiligung der Arbeiter oder Bediensteten an derartigen, unter sozialdemokratischem Einflusse stehenden Ein⸗ richtungen auszeschlossen ist (sehr richtig!), und ich werde jedesmal grade so verfahren wie in Kottbus, wenn mir ähnliche Verhältnisse bekannt werden. Das ist die erste Antwort an Herrn Goldschmidt.

Die zweite Antwort betrifft das Verhalten der Staats⸗Eisen⸗ bahnverwaltung ihren Beamten und Arbeitern gegenüber bei den Wahlen. Die Wahlen zum Landtage und die Wahlen zum Reichs⸗ tage unterscheiden sich in ihrer Form, wie allgemein bekannt ist und hier nicht weiter ausgeführt zu werden braucht, sehr wesentlich. Beim Landtage muß man frühzeitig bei der Eröffnung der Wahlhandlung zugegen sein, muß sich verlesen lassen und warten, bis der Name auf⸗ gerufen wird; das dauert verhältnißmäßig lange. Wenn man den Hin⸗ und Rückweg zurechnet, so tritt allerdings eine längere noth⸗ wendige Abwesenheit ein, deshalb war es durchaus gerecht⸗ fertigt, in diesem Falle den Arbeitern den Lohn zu zahlen. Bei der Wahl zum Reichstage geht die Sache sehr viel einfacher zu: man geht in das Wahllokal, wirft den Stimmzettel in die Urne und geht wieder nach Haus. Also im gewöhnlichen Falle ist damit eine nennenswerthe Zeitversäumniß nicht verbunden. Aber, meine Herren, wenn das wirklich einmal der Fall sein sollte es kann ja sein, die betreffende Werkstätte oder Arbeitsstätte liegt vom Wahllokal ziemlich weit entfernt —, in einem solchen Fall sind die Direktionen ange⸗ wiesen, daß auch bei den Reichstagswahlen den Arbeitern die Aus⸗ übung der Wahl je nach Umständen während der Arbeitszeit ohne Lohnkürzung gestattet werden kann.

Auf das Grüßen der im Bahndienst beschäftigten Personen möchte ich nicht näher eingehen, ich meine aber, daß die Erziehung zu guten Sitten auch im Eisenbahndienst etwas fehr Nützliches ist. (Bravo!)

Was die Arbeiter⸗Pensionskassen A und B anbetrifft, so hat der Herr Abg. Goldschmidt mit Recht hervorgehoben, daß dieselben gut fundiert sind, und daß dieselben gut fundiert sind, schreibe ich, obwohl ich in vollstem Umfange das Wort unterschreibe, das Herr Goldschmidt vorhin gesagt hat, daß unsere Arbeiter brave und tüchtige Leute sind,

das schreibe ich hauptsächlich dem Umstand zu, daß die Staats⸗ regierung sich das Recht über Statutenänderungen vorbehalten hat.

Gerade die Erfahrungen, die wir gemacht haben bei den Kassen der Privatbahnen, die wir haben übernehmen müssen, haben gezeigt, daß die Freiheit der Bestimmung über Beiträge und Leistungen der Kassen in den weitaus meisten Fällen zur Insuffizienz der Kassen ge⸗ führt haben. Ueber 100 Millionen Unterbilanz ergaben sich bei den versicherungstechnischen Revisionen, als wir die Kassen übernahmen. Meine Herren, diese Vorgänge sprechen doch sehr dafür, daß gerade im Interesse der Kassenmitglieder eine Aufsicht seitens der Staats⸗ behörden Pflicht ist. Daß nicht bloß der Minister der öffentlichen Arbeiten, sondern auch der Minister des Innern dabei mitthätig ist, beruht auf einer gesetzlichen Vorschrift. (Bravo!)

Abg. Dr. Crüger (fr. Volksp.): Wenn einige Kassen insuffizient geworden sind, so kann man daraus nicht folgern, daß die Kassen aus den Händen der Arbeiter genommen werden müssen. Die Auffassung des Ministers über den Kottbuser Verein widerspricht dem Genossen⸗ schaftsgesez. Man würde sicherlich dagegen Widerspruch erheben, wenn irgend welche Darlehnskassen als konservative oder klerikale Kassen bezeichnet würden. Man hätte in den sechziger Jahren den konservativen und den klerikalen Vorschußvereinen denselben Vorwurf machen können; das hat aber damals niemand gethan. Wenn die Genossenschaft in Kottbus eine Stütze der sozialdemokratischen Partei ware, hätte die Regierung sie längst auflösen müssen, was nach dem Gesetz nothwendig ist, wenn eine Genossenschaft andere Zwecke als ihre statutenmäßigen verfolgt. Der Minister nimmt hier ein Aufsichtsrecht über die Konsumvereine in Anspruch, das im Gesetz nicht begründet ist. Das führt schließlich zu einem Eingreifen in die intimsten wirthschaftlichen Verhältnisse der Arbeiter. Das wird die Arbeiter nicht veranlassen, nicht Sozialdemokraten zu werden. (Rufe links: Im Gegentheil!) Politik gehört nicht in die Genossenschaften, Politik ruiniert die Genossenschaften. Deshalb haben wir alle ein Interesse daran, klarzustellen, ob die Genossenschaft in Kottbus eine politische sei.

Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:

Meine Herren! Es fällt mir garnicht ein, gegen die Konsum genossenschaft in Kottbus als solche irgendwie einzugreifen. Ich mache nur von meinem disziplinarischen Recht Gebrauch, indem ich den Arbeitern und Bediensteten, die Mitglieder der Genossenschaft gewesen sind, aufgegeben habe, aus dieser Mitgliedschaft auszuscheiden, und zwar aus dem Grunde, weil die sozialdemokratische Agitation, zwar nicht von der Genossenschaft als solcher, aber von dem Vorstand und sehr vielen Mitgliedern des Aufsichtsraths, Lager haltern ꝛc. in offenkundigster Weise betrieben wurde, und weil in den Verkaufsstätten dieser Genossenschaft zur Zeit der Wahlen die sozial⸗ demokratischen Stimmzettel vertheilt wurden, auch an unsere Leute. (Hört! hört!) Und das soll ein Minister in Bezug auf seine Leute aus den Staatsbetrieben ruhig mit ansehen? Das ist doch zu viel verlangt! (Sehr richtig!) Einer Partei zu Hilfe m kommen, die in offener Feindschaft gegen die Staats⸗ und gesammte

F“

ischen Staats⸗Anzeiger. 1904.

gesellschaftliche Ordnung auftritt, den Arbeitern und Bediensteten des Staats zu gestatten, sich an solchen unter demokratischem Einfluss stehenden Genossenschaften zu betheiligen, dazu wird, glaube ich niemals ein Minister seine Zustimmung geben.

Meine Herren, ich habe mich gewundert, daß nicht noch von der

Seite (links) uns ein anderer Fall zur Sprache gebracht worden ist

wo ich ebenfalls auf Grund von sozialdemokratischen Agitationen, di b

eine allerdings nicht sehr große Anzahl, aber doch immerhi

35 Arbeiter der Eisenbahn⸗Direktion Magdeburg verführt hatten, trotz des ausdrücklichen Verbots, sich an sozialdemokratischen

Versammlungen zu betheiligen, ebenfalls unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist aus dem Dienst habe ent lassen müssen. Das wird immer geschehen ich kann da

nur wiederholen —, sowie ich erfahre, daß Bedienstete und Arbeiter der Staats⸗Eisenbahnverwaltung sich sozialdemokratis Verbänden und Einrichtungen anschließen oder überhaupt nur an

und Vereinen sich betheiligen, in denen sie zur sozialdemakratische

Partei hinübergezogen werden sollen. (Bravo! und sehr richtig!)

Abg. Ring (kons.): Die Wohnungsgeldzuschüsse für die Eisen⸗ bahnunterbeamten in den westlichen Vororten Berlins genügen durch⸗ aus nicht den dortigen Verhältnissen. Die Gehaltserhöhungen der Verwaltung sind oft illusorisch. Der Redner verliest zum Beweise dessen eine Verfügung der Direktion an einen Unterbeamten, dessen Gehalt von 1000 auf 1040 erhöht, dessen Stellenzulage aber von 120 auf 80 herabgesetzt worden ist, sodaß sein Gesammt⸗ einkommen sich gleich blied⸗ Der Minister möge dahin wirken, daß die Unterbeamten der westlichen Vororte Berlins in dieselbe Servis⸗ klasse wie die Unterbeamten Berlins selbst gestellt werden.

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.): Wenn das Vorgehen der Eisen⸗ bahnverwaltung, wie es in Kottbus stattgefunden hat, allgemein geübt würde, so würde eine Vermischung politischer und wirthschaftlicher Fragen eintreten, die verhängnißvoll wäre. Der Minister hat selbst anerkannt, daß der Konsumverein als solcher keine politische Agitation getrieben habe, was ja auch derartigen wirthschaftlichen Korporationen gesetzlich verboten ist. Warum verbietet er also den Arbeitern seiner Verwaltung den Beitritt zu diesem Verein? Zuletzt kommen wir dahin, daß Eisenbahnarbeiter sich niemals einer wirthschaftlichen Körperschaft anschließen dürfen, in deren Vorstand sich zufälligerweise einige Männer sozialdemokratischer Gesinnung befinden. Es ist ebenso unzulässig wie unpraktisch, wenn der Eisenbahn⸗Minister so verfährt. Ist der Verein in Kottbus nur ein wirthschaftlicher Verein, so werden wir nichts dagegen haben, daß er aufgelöst wird, wenn er politische Zwecke verfolgt. Wenn man das aber nicht sagen kann, muß man ihn nur als wirthschaftlichen Verein behandeln und kann den Arbeitern die Theilnahme nicht verbieten.

Abg. Dr. Crüger: Der Fall muß vollständig klargestellt werden, nachdem der Minister hier Grundsätze für die Behandlung der Arbeiter aufgestellt hat. Kein Gesetz beschränkt den Eisenbahnarbeitern das Recht, sich wirthschaftlich zusammenzuschließen. Wir hören hier, daß durch den Minister den Arbeitern versagt wird, Genossenschaften beizutreten, an deren Spitze Sozialdemokraten stehen. Wie viel Sozialdemokraten gehören dazu, welcher Richtung müssen sie sein, daß den Staatsarbeitern die Theilnahme unmöglich sein soll? Der Minister will gegen die Genossenschaft keinen Vorwurf erheben; er erhebt aber den schweren Vorwurf gegen sie, daß ihre Mitglieder sozialdemokratischen Einflüssen ausgesetzt sind. Wir müssen entschieden gegen die Auffassung des Ministers protestieren. Ich würde mich wundern, wenn die Rechte und das Zentrum sich diesem Protest nicht anschlössen; denn alle Parteien haben dasselbe Interesse an den Genossenschaften und der Hochhaltung des Genossen⸗ schaftswesens gegenüber dem Versuch, ihnen den Todesstoß zu versetzen, indem man sie als politische hinstellt. Treibt eine Benossenschaff Politik, so muß dagegen eingeschritten werden, aber von der zuständigen Stelle. Es muß jedoch der Nachweis geführt werden, daß sie Politik treibt. Das ist hier nicht der Fall. Ich bitte den Minister, alles zu thun, um festzustellen, ob die Genossenschaft in Kottbus Politik treibt oder nicht.

Abg. Goldschmidt beruft sich auf das Buch des national⸗ liberalen Landgerichtsraths Kuhlemann über das Gewerkschaftswesen zum Beweise, daß auch andere Kreise in Bezug auf die Theilnahme

der staatlichen Arbeiter an Genossenschaften auf demselben Standpunkt

ständen wie er und seine Freunde.

Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:

Meine Herren! Die Herren von der Linken haben gut theoretisch reden, ebenso wie der Landgerichtsrath Kulemann gut schreiben hat (sehr richtig!); weder er noch Sie haben irgend eine Verantwortung. Ganz anders liegt aber die Sache bei mir. Ich habe die Ver⸗ antwortuͤng dafür, daß der Verkehr sich mit der Sicherheit und Pünktlichkeit bewegt, wie das nothwendig ist. Und soll das geschehen, so muß die Disziplin aufrecht erhalten werden und so muß die Be⸗ rührung mit der Sozialdemokratie ferngehalten werden. (Zurufe von den Freisinnigen.) Ich habe die Verantwortung für die Sicherheit des Betriebs; das übrige ist Theorie, meine Praris wird immer eine andere sein.

Was nun den Eisenbahnerverein anbetrifft, dessen Ton im „Weckruf“ auch von dem Herrn Abg. Goldschmidt nicht einmal ge⸗ billigt wird, so möchte ich mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten nur einmal zwei kurze Sätze herausnehmen:

Nun wohl! Es leiden 300 000 Eisenbahner in Deutschland bittere Noth! *

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Hütet Euch! Beschwört nicht Geister es könnte die Zeit kommen, in der die Eisenbahner⸗Bataillone aufmarschieren!

(Hört! hört! rechts.)

Rüttelt die Schlafenden nicht muthwillig auf und lehrt nicht selbst dem Leu seine Pranken zu gebrauchen. Ihr Herren, schon mancher von Euch hat in kritischen Stunden vor seinen Rangierern gestanden und mit erhobenen Händen gebeten: Arbeitet weiter! Mahnt nicht die Zagenden daran, daß ihr wehrlos, trotz aller Eurer Macht, dem guten Willen Eurer Sklaven überliefert seid! Trotz Polizei und Militär, trotz industrieller Reservearmee, im Eisenbahndienst versagt alles, da nützen keine Strikebrecher. Sie kennen weder Terrain, noch Weichen, noch Geleise und Gefälle.

Ihr seid verloren, wenn die Eisenbahner nur 24 Stunden einig sind!

Und einem solchen Verein sollen Eisenbahnbedienstete angebören? Das wäre doch ein Hohn, ein Spott auf alle Disziplin. (Sehr gut! Sehr richtig! rechts. Unruhe und Zurufe bei den Freisinnigen. Rufe

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