1901 / 52 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Mar 1901 18:00:01 GMT) scan diff

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Meine Herren, an diesen Wortlaut schließt die von mir an⸗ gezogene Allerhöchtie Verordnung vom 28. Dezember 1899 an, in der esagt wird:

„Die Disziplin verlangt, daß auch im gerichtlichen Verfahren das Ansehen der Kommandogewalt, der militärischen Emrichtungen, Verordnungen und Gebräuche erhalten, der Sinn für die unbedingte Umterordnung des Untergebenen unter den Vorgesetzten jeden Grades Zewahrt und dem berechtigten Ehrgefühl aller Betheiligten, ins⸗ besondere derjenigen des Offizierstandes, Rechnung getragen wird.

Sobald dieser Grundsatz gefährdet ist, sei es nach dem Gegen⸗ stande der Anklage, nach den Eigenheiten des zur Verhandlung kommenden Falles, nach der Persönlichkeit des Angeklagten oder der Zeugen, nach zeitlichen oder örtlichen besonderen Verhältnissen, ist die Oeffentlichkeit auszuschließen.“

Diese Verordnung ist also völlig in den Grenzen des § 283 der Militär⸗Strafgerichtsordnung geblieben. Ich möchte aber den Herrn Vorredner besonders darauf hinweisen, daß die ehemaligen bayerischen Bestimmungen in dieser Beziehung viel weiter gingen. In den Voll⸗ zugsvorschriften des bayerischen Kriegs⸗Ministeriums zu Art. 138 heißt es nämlich:

„Von den militärdienstlichen Interessen ist das militärische Standesinteresse untrennbar.

Hieraus ergiebt sich, daß die in Art. 138 gestattete Beschränkung der Oeffentlichkeit auch dann platzgreifen kann, wenn nach Be⸗ schaffenheit des Falles zu besorgen steht, daß durch die öffentliche Verhandlung der Sache die militärische Standeswürde, das An⸗ sehen des Standes eine Beeinträchtigung oder Gefährdung er⸗ leiden kann.“

Wenn dann der Herr Vorredner noch auf den Mörchinger Fall

zurückgekommen ist, so darf ich erklären, daß die Oeffentlichkeit bei der Gerichtsverhandlung überhaupt nicht ausgeschlossen war, und nur vor⸗ übergehend bei einzelnen Vernehmungen nach Ansicht des Gerichts der Ausschluß der Oeffentlichkeit nothwendig war. Im übrigen bin ich nicht in der Lage, auf den Fall jetzt näher einzugehen, da das Urtheil noch nicht rechtskräftig und von beiden Seiten, vom Gerichtsherrn wie von dem Angeklagten, Berufung eingelegt worden ist.

Inzwischen ist ein Antrag der Abgg. Graf von Carmer (d. kons.) und Genossen eingelaufen, wonach auch für Unter⸗ offiziere, die nach zwölfjähriger Dienstzeit noch länger im Dienst bleiben, die Dienstprämie von 1000 an die be⸗ treffenden Truppentheile zur zinsbaren Anlegung überwiesen werden soll, damit sie auch diesen bei ihrer Entlassung zu Gute komme.

Das Kapitel wird bewilligt. Bei den Ausgaben für die höheren Truppenbefehlshaber führt der

Abg. Haußmann⸗Böblingen (d. Volksp.) aus, daß eine Ver⸗ kürzung der Dienstzeit bei der Kavallerie nothwendig erscheine. Die Entfremdung der Landleute von ihrem landwirthschaftlichen Beruf werde immer größer, je länger die Dienstzeit andauere. Redner er⸗ klärt, keinen Antrag stellen, sondern nur eine Anregung geben zu wollen. Für jeden Monat der Abkürzung werde sich die Verwaltung den lebhaften Dank der Betheiligten verdienen.

Zum Ausgabenkapitel ic est hern enan der Truppen erstattet der Referent, Abg Graf von Roon (d. kons.) Bericht über die in Aussicht genommenen Neuformationen: Maschinengewehr⸗Abtheilungen und Versuchs⸗Abtheilung der Verkehrstruppen. Von den Meldereitern oder Jägern zu Pferde sollten nach dem Etatsentwurfe fünf Eskadrons nach Posen gezogen und ein Regimentsstab für sie eingerichtet werden. Die Kommission hat diesen Regimentsstab gestrichen. Die Einrichtung von zunächst fünf neuen Maschinengewehr⸗ Abtheilungen hat die Kommission dagegen bewilligt, desgleichen die neue Versuchs⸗Abtheilung der (Telegraphen⸗ truppen und Luftschiffer⸗Abtheilung).

8 Ohne Diskussion wird der Titel 1, „Regiments⸗Komman⸗ deeure, Bataillons⸗Kommandeure, Hauptleute, Oberleutnants, Leutnants 30640062 ℳ“, nach dem Kommissionsantrag, also uunter Streichung des Obersten für die 5 Eskadrons Jäger zu

Pferde, bewilligt. 1 5 Zu Titel 3, „Militärbeamte, Korps⸗Roßärzte, Ober⸗Roß⸗ ärzte, Ober⸗Zahlmeister, Zahlmeister, Büchsenmacher“, liegt eine Resolution der Kommission vor: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, darauf hinzuwirken, daß die Gehälter der Korps⸗Roßärzte, Roßärzte und Unter⸗Roßärzte baldmöglichst erhöht werden. 88 Abg. Dr. Paasche (nl.) befürwortet lebhaft die Annahme dieser Resolution und die thunlichste Hebung des Standes durch die Er⸗ öhung der Anforderungen an die Vorbildung. In Bavyern ständen die Militärweterinäre viel besser da; auch werde dort von ihnen die

Maturitätsprüfung verlangt.

Abg. Dr. Müller⸗Sagan (fr. Volksp.) schließt sich diesen Aus⸗ führungen an, macht außerdem darauf aufmerksam, daß in dem Wortlaut

dder Resolution die Ober⸗Roßärzte übergangen seien. Man sollte um

einiger Hunderttausend Mark willen diese hochwichtige Frage nicht immer von Jahr zu Jahr hinausschieben.

Zum Titel 7, „Mannschaften“, beantragt die

Budgetkommission: den Reichskanzler wiederholt zu ersuchen, darauf hinzuwirken, daß die Stabshoboisten in die Servisklasse der Feldwebel versetzt werden.

Abg. Jacobskötter (d. kons.) erinnert daran, daß der Reichstag sich s. Z. in einer Resolution für Beseitigung der Militärhandwerker und Ersetzung derselben durch Zivilhandwerker ausgesprochen habe. In der Budgetkommission sei auf eine Anfrage, wie bei den Bekleidungs⸗

ämtern der Versuch mit der Einstellung von Zivilarbeitern ei, geantwortet worden, daß die Versuche seit dem 1. Oktober v. J. zunächst i dem VI. Armee⸗Korps gemacht worden und befriedigend aus⸗ pfallen seien. Doch könnten sie noch nicht als abgeschlossen gelten. Man könne nur wünschen, daß diese Versuche. fortgesetzt werden. Der Redner führt dann aus, daß unter Umständen auch wohlhabende Innungen zu Armeelieferungen herangezogen werden könnten. Als HObermeister der Schneiderinnung in Erfurt habe er freilich bezüglich der Lieferungen für die Armee eigenthümliche Erfahrungen gemacht. Auf eine Anfrage habe er sich bereit erklärt, eine Lieferung zu übernehmen. Darauf sei ihm von dem betreffenden Be⸗ kleidungsamt geschrieben worden, daß für die Lieferung so niedrige Preise offeriert werden müßten, daß die Wanare, sich ein⸗ schließlich der Pe porttcgen⸗ billiger stelle als in Strafanstalten. Das sei etwas Ungeheuerliches angesichts der Klagen, welche von jeher von den Handwerkern über die Konkurrenz der Strafanstalten erhoben worden seien. Etwas mehr Rücksicht könnten die den Bekleidungs⸗ ämtern vorstehenden Offiziere, die als Oberschuster und Oberschneider anzusehen seien, wohl nehmen. An Versicherungen des Wohlwollens für das Handwerk habe es bis jetzt nicht gefehlt; möge man dieses Wohlwollen doch endlich in Thaten umsetzen.

Kriegs⸗Minister, General der Infanterie von Goßler: Ich bin einigermaßen erstaunt, diese Rede des Herrn Vorredners hier zu vernehmen. Wir haben in der Budgetkommission über den Gegenstand sehr eingehend verhandelt. (Sehr richtig! in der Mitte.)

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wiesen und begreife daher nicht, daß diese Klagen nun im Plenum wiederholt werden. Dem Herrn Vorredner habe ich in der Budgetkommission erklärt, daß ich stets dafür eingetreten sei, Zivilhandwerker zu beschäftigen, und wenn Sie berücksichtigen, was in den letzten Jahren in dieser Beziehung geschehen ist, so kann der Herr Vorredner seinen Vorwurf nicht aufrecht erhalten. In den letzten Jahren ist die Zahl der Oekonomie⸗ handwerker von 8408 auf 5586, also um rund 3000 Mann, zurück⸗ gegangen. (Hört, hört! in der Mitte.) Daraus ergiebt sich, daß wir auf dem Wege sind, den auch der Herr Vorredner befürwortet, und daß kein Grund vorlag, in dieser Weise gegen die Armeeverwaltung vorzugehen. (Sehr richtig! in der Mitte.) Der Versuch in Breslau ist in vollem Einverständniß mit dem Reichstage eingeleitet worden, und es kann schon heute ein günstiges Ergebniß desselben erhofft werden. Die entstehenden Mehrkosten sind eine Etatsfrage; ich bin jedoch durchaus bereit, auf diesem Wege fortzuschreiten und die er⸗ forderlichen Mehrforderungen in den Etat einzustellen; zunächst bin ich jedoch an den Etat gebunden.

Auch bezüglich der Frage der Einberufung der Oekonomie⸗ handwerker behufs Ergänzung der Bestände, die für die China⸗ Expedition gebraucht worden waren, habe ich bereits in der Budtget⸗ kommission eingehend nachgewiesen, daß wir uns in einer Nothlage befanden und nicht anders handeln konnten, sollten die von der Armee hergegebenen Bestände mit Rücksicht auf die planmäßigen Mobil⸗ machungsvorarbeiten rechtzeitig wieder sichergestellt sein. Daß die Oekonomiehandwerker zum Dienst bei der Armee einberufen werden können, ergiebt sich aus dem Wehrgesetz, in welchem ausdrücklich festgesetzt ist, daß diejenigen Wehrpflichtigen, welche zum Waffen⸗ dienst nicht die erforderliche Diensttauglichkeit besitzen, zu sonstigen militärischen, den bürgerlichen Beruf des Betreffenden entsprechenden Dienstleistungen herangezogen werden können. Für die Uebungen dieser Klasse von Mannschaften besteht dieselbe Verpflichtung, wie bei den mit der Waffe gedienten Mannschaften. Wenn sonst Oekonomiehand⸗ werker zu Uebungen nicht herangezogen worden sind, so erklärt der erwähnte Nothstand die Ausnahme. Die gesetzlichen Befugnisse sind hierbei in keiner Weise überschritten worden.

Vor allem muß ich aber noch die Charakteristik, die der Herr Vorredner den Offizieren der Bekleidungsämter hat zu theil werden lassen, ablehnen. Diese Offiziere haben sich in jeder Beziehung be⸗ währt, einzelnen derselben verdanken wir sogar Verbesserungen an den Maschinen. Wir haben in diesem Dienstzweige uns nach und nach Kapazitäten erzogen, die auch in Zivilkreisen volle Anerkennung ge⸗ funden haben.

Ich möchte glauben, daß der Herr Vorredner keine Veranlassung zu dem der Armeeverwaltung hier im Plenum gemachten Vorwurfe hatte. Auch bezüglich der Heranziehung der Strafanstalten zu Arbeiten der Militärverwaltung ist in der Budgetkommission ein⸗ gehend gesprochen und volles Einverständniß darüber erzielt worden, daß das Verfahren, welches die Armeeverwaltung befolgt, auch den Wünschen des Reichstages entspricht.

Ich möchte den Herrn Vorredner bitten, wenn er uns in dieser Form angreift, doch auch das nicht zu vergessen, was bei den Ver⸗ handlungen in der Budgetkommission zum Ausdruck gekommen ist.

Abg. Jacobskötter: Ich habe mir ausdrücklich vorbehalten, die Erörterung im Plenum nochmals aufzunehmen. Ich habe mich dazu für berechtigt und verpflichtet gehalten sowohl im Interesse meiner Wähler als meines Standes. Es sind hier ungesunde Zustände vor⸗ handen; wenn ich sie zur Sprache bringe, mache ich nur von meinem guten Rechte Gebrauch. Man kann auch in der Form vielleicht fehlen, wenn man auf solche Erlasse zurückkommen muß, wie ich einen er⸗ wähnt habe. Seit Weihnachten ist bei den Schneidern die Arbeits⸗ losigkeit so groß, daß man sich nur hätte freuen können, wenn diese Arbeiten ihnen wären übergeben worden. Auch bin ich den Offizieren nicht zu nahe getreten. Es kann doch unmöglich zur Regel werden sollen, daß der Offizier den Schneider beim Zuschneiden anleitet.

Referent Abg. Graf von Roon verwahrt sich gegen den Vor⸗ wurf des Vorredners, daß er nicht ausführlich auch über diese Kom⸗ missionsverhandlungen Bericht erstattet habe. Er könne nicht jedes Wort wiederholen, er habe aber festgestellt, daß von der Sache in der Kommission sehr ausführlich die Rede gewesen sei.

Der Titel wird bewilligt, die Resolution angenommen.

Zum Titel 13, „Dienstprämien für Unteroffiziere“, liegt die oben mitgetheilte Resolution des Abg. Grafen Carmer vor.

Abg. Graf von Carmer befürwortet die Annahme seiner schon in der Kommission angekündigten Resolution. Zur Zeit seien 6000 Unteroffiziere in der Armee, die über 12 Jahre dienten. Diese sollten die Zinsen der Prämie nicht einbüßen. Nehme das Haus die Resolution nicht an, so hoffe er doch, daß die Verwaltung der An⸗ regung Folge geben werde.

Ueber die Resolution wird bei der dritten Lesung abge⸗ stimmt werden; der Titel selbst wird bewilligt.

Bei den Ausgaben für die Geldverpflegung der Truppen im sächsischen Etat behauptet der

Abg. Wurm (Soz.), daß die sächsischen Militärbehörden einen Wirth in Plauen drangsaliert und mit der Verhängung des Militär⸗ verbots bedroht hätten, weil er dem Arbeiter⸗Konsumverein daselbst, der als sozialdemokratisch angesehen werde, seinen Saal zur Verfügung gestellt habe. Das sächsische Kriegs⸗Ministerium habe die Berechti⸗ znung der erhobenen Beschwerde nicht anerkannt. So sehe es mit der sachüschen Gemüthlichkeit aus. Wohin solle es kommen, wenn die Militärbehörden schon gegen wirthschaftliche vorgingen. 8 8

Das Kapitel wird bewilligt.

Zum Kapitel 25, n Titel 6, „Mund⸗ verpflegung“, beantragt die Kommission folgende Re⸗ solution:

„Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, eine Abänderung des Reichsgesetzes über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden, vom 21. Februar 1875, in der Richtung in Erwägung zu ziehen, daß 1) die Normalsätze für die Vergütung der Natural⸗ verpflegung, entsprechend dem heutigen Stand der Naturalpreise, einer

Revision unterzogen werden, und 2) hierbei auf diejenigen Gegenden besondere Rücksicht genommen wird, in welchen außergewöhnlich häufig Naturalverpflegung zu verabreichen ist.“

Abg. Dr. Müller⸗Sagan: Im vorigen Jahre hat der Neichs⸗ tag eine Resolution angenommen, wonach der Reichskanzler dahin wirken sollte, daß den Mannschaften während ihrer Dienstzeit einmal Gelegenheit zur unentgeltlichen Heimreise geboten werden sollte. Eine zweite Frage ist die, jenen Mannschaften, welche überhaupt be⸗ urlaubt werden, außerhalb dieser besonderen Urlaubsreise die Urlaubs⸗ reisen zu dem Satz von 1 pro Kilometer in der III. Klasse zu ermöglichen. Für diesen Wunsch ist üebt wenigstens die Mehrheit der Budgetkommission gewonnen. Es würde nur dem allge⸗ meinen Interesse entsprechen, wenn die Verbindung zwischen der Garnison und dem Feimat sort des Soldaten möglichst aufrecht⸗ erhalten würde. Je mehr die Ansprüche auf die Dienstleistungen er⸗

höht werden, um so mehr muß auf diesem und ähnlichen Wegen für

Ich habe 828 jeder Richtung hin mein Entgegenkommen be⸗] BAusgleichun gesorgt werden.

2.

Möchten doch endlich die preußische Eisenbahn⸗Verwaltung und der Mann im Kastanienwäldchen auch in diesem Punkt ein Einsehen haben! Für die preußische Eisenbahn⸗ Verwaltung ist doch der Militärfiskus der größte Auftra gheber sie kann also auch etwas entgegenkommen. Freilich ist kein Verhältniß eigenthümlicher als das von Fiskus zu Fiskus.

Kriegs⸗Minister, General der Infanterie von Goßler:

Es ist ganz selbstverständlich, daß ich die Bestrebungen, welche die beiden Herren Vorredner hier zum Ausdruck gebracht haben, meinerseits unterstütze. Ich kann dem hohen Hause auch mittheilen, daß im preußischen Staats⸗Ministerium darüber Einstimmigkeit be⸗ steht, den Militärtarif für Beurlaubte, der jetzt 1,5 für das Kilometer beträgt, auf 1 herabzusetzen. (Hört, hört!) Die An⸗ regung hierzu ist vom Herrn Reichskanzler ausgegangen. Sie sehen daraus, daß zwischen dem Herrn Reichskanzler, der preußischen Re⸗ gierung und diesem hohen Hause in dieser Frage völlige Ueber⸗ einstimmung besteht.

Meine Herren, ich habe aber das Wort ergriffen, um etwaigen weiteren Angriffen, die gegen einen meiner Herren Kollegen beabsichtigt sein sollten, von vornherein die Spitze abzubrechen. Die Frage ist an sich erledigt. Es handelt sich nur noch um die Zustimmung des Bundesraths.

Was den Wunsch anlangt, daß alle Urlauber die Schnellzüge be⸗ nutzen dürfen, so halte ich diesen für schwer ausführbar. Soweit ich auch die Sache technisch beurtheilen kann, scheint mir doch durch eine solche Maßnahme eine Gefährdung des Betriebs bei der großen Zahl der Urlauber nicht ausgeschlossen. Ich glaube, die Herren unterschätzen die Zahl der Urlauber. Die Einnahme der Eisenbahn aus den Reisen der Urlauber ist größer als der Gewinn aus Militärtransporten. Man sieht daraus, eine wie große Zahl von Mannschaften jetzt schon auf Urlaub gehen und hierbei die Eisenbahn benutzen.

Auch die Anregung, den Urlaubern die Löhnung zu belassen, wird in wohlwollende Erwägung gezogen werden. Schon jetzt kann aber den Mannschaften die Löhnung bis zu 14 Tagen belassen werden, in Ausnahmefällen sogar bis zu drei Monaten, und wenn es nothwendig sein sollte, kann das Kriegs⸗Ministerium noch hierüber hinausgehen. Sie sehen, meine Herren, auch daraus, daß in dem Wohlwollen für unsere Soldaten das hohe Haus und die Militärverwaltung durchaus einig sind. (Bravo!)

Abg. Dr. Hahn (b. k. F.): Die Bewilligung von Mannschaften für landwirthschaftliche Arbeiten, besonders für Erntearbeiten, ist noch immer nicht genügend; der Minister wolle in diesem Punkte das irgend thunliche Wohlwollen walten lassen.

Abg. Nißler (d. kons.) erklärt, er könne die Anregung des Abg. Müller⸗Sagan nur freudigst begrüßen. Insbesondere treffe das Be⸗ dürfniß für die in den Reichslanden garnisonierenden Truppen zu. Fefbica sich um eine Forderung der Gerechtigkeit. Gebe man den deutschen Dienstpflichtigen die Möglichkeit, einmal eine Heimreise kostenlos zu machen, so würden noch viel mehr Altdeutsche in Metz und den anderen reichsländischen Garnisonen ihrer Dienstpflicht E. Dr. Müller⸗Sagan: Auch der Anregung des Abg. Dr. Hahn stehen wir freundlich gegenüber. Sehr erfreulich ist, daß der Tarif für die Urlauber und die Kommandierten nach der Erklärun des Kriegs⸗Ministers demnächst gleichgestellt werden soll; damit i wenigstens auf diesem Gebiete ausgleichende Gerechtigkeit geschaffen.

Kriegs⸗Minister, General der Infanterie von Goßler:

Ich habe dem Herrn Abg. Nißler meine Freude auszusprechen

über die Beurtheilung der Lage der bayerischen Truppen in den Reichslanden. Es ist ja allgemein bekannt, eine welch vorzügliche Truppe die bayerische Brigade in Metz ist, und ich bin gewiß, daß die Erleichterungen, welche den übrigen Truppen zu theil werden, auch auf sie Anwendung finden werden. (Bravo!)

Das Haus wendet sich zu der oben mitgetheilten Resolution, betreffend die Abänderung des Naturalleistungsgesetzes.

Abg. Broekmann (Ggentr.) wiederholt die Klagen, welche die Quartiergeber schon seit Jahren über die zu niedrigen Sätze der Naturalverpflegung geäußert haben. Namentlich die Quartiergeber am Rhein beschwerten sich darüber, daß sie im Laufe eines Jahres nicht unerhebliche Zuschüsse zur Verpflegung der Truppen zu leisten hätten. Die Frage habe den Reichstag und die Provinzialvertretung wiederholt beschäftigt. 80 reichten für die Verpflegung des Mannes pro Tag nicht aus. 6

Abg. Cahensly (Zentr.) beschwert sich über die Prägravierung eines Dorfes bei Limburg mit Einquartierung.

Kriegs⸗Minister, General der Infanterie von Goßler:

Meine Herren! Es ist ja unmöglich, auf die einzelnen Fälle, die hier vorgetragen worden sind, sofort im Einzelnen eingehen zu können. Ich bin aber sehr gern bereit, dieselben näher zu prüfen. Es wäre mir deshalb erwünscht gewesen, vorher von denselben Kenntniß zu erhalten. Der Kriegs⸗Minister veranlaßt die Manöver nicht, er ist daher auch nicht in der Lage, über derartige Fragen ohne weiteres Auskunft zu geben. Im allgemeinen wird bei der Veranlagung der Manöver nach einem bestimmten Turnus verfahren. Jeder Korps bezirk wird von dem betreffenden General⸗Kommando in eine be⸗ stimmte Anzahl Abschnitte getheilt, sodaß jeder derselben innerhalb dieses Turnus etwa alle vier bis fünf Jahre an die Reihe kommt. Da wo dieses in den einzelnen Korpsbezirken mit Rücksicht auf ihre geographische Gestaltung auf Schwierigkeiten stößt, ist auf Aller⸗ höchsten Befehl ein Ausgleich vorgenommen worden, d. h. die Regelung ist so erfolgt, daß alle Theile des Korpsbezirks möglichst

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gleichmäßig bei den Manövern in Anspruch genommen werden. Was

in dieser Hinsicht geschehen konnte, ist geschehen.

Wenn sich bezüglich der Eifel die Verhältnisse thatsächlich so gestaltet haben, wie die von dem Herrn Vorredner angegebenen Zahlen dieses ergeben, so verstehe ich nicht, weshalb nicht die Provinzialbehörden das General⸗Kommando ersucht haben, die Angelegenheit einer Prüfung zu unterziehen, denn von der Zentralstelle aus ist dieses unmöglich. Es ist ja bekannt, daß mit der Errichtung der großen Uebungsplätze auch eine Erleichterung der Landbevölkerung herbeigeführt werden sollte. Es wird daher zu⸗ nächst mit den betreffenden Provinzbehörden zu erörtern sein, wie sich die hier vorgetragenen Verhältnisse erklären und wie die zur Sprache gebrachten Uebelstände über so ungleichmäßige Einquartierungslasten möglich gewesen sind. Ich kann daher nur empfehlen, zur Abstellung dieses Uebelstandes sich zunächst an das Oberpräsidium und das General⸗Kommando zu wenden, und ich bin fest überzeugt, daß da, wo Mißstände vorliegen, diese dann ohne Schwierigkeiten werden ab⸗ gestellt werden.

Abg. Dr. Hahn: Es giebt auch arme Gegenden, . B. die

Marschen an der Nordsee, die überhaupt nicht zum Manöver 1 * j ie Militärverwaltung na M. 8

eignen. Anderen Gegenden mu 3 valtung na lichkeit entgegenkommen. Die Provinzen und Kreise dürfen ni⸗

S

.

Lasten tragen, die eigentlich Lasten des Reiches sind. 80 Ent⸗ chädigung pro Mann reichen auf keinen Fall hin. Aus landwirth⸗ daftüe iI Kreisen sind mir mehrere Klagen zugegangen. Die Manöver werden von vielen Gutsbesitzern als eine L 1 empfunden.

Man würde diese Last gern tragen, wenn man sie einigermaßen er⸗ leichtert.

Abg. Graf von Oriola (nl.): Es werden nicht allein die armen Gegenden überlastet. Auch in wohlhabenderen Gegenden haben die Gemeinden für die von seiten des Reichs nicht genügenden Vergütungen aufkommen müssen. Das ist ein unbilliges Verlangen. Bei der Magazinverpflegung aber würde die ländliche Bevölkerung noch schlechter wegkommen. Unsere Bauern haben ein viel zu gutes Herz für die Soldaten, als daß sie sie auf die bloße Ration der Militär⸗ verwaltung angewiesen sehen wollen. Ich will nicht hoffen, daß die

Nilitärverwaltung infolge unserer Resolution zur Magazinverpflegung übergeht. Die Einquartierungsfrage spielt eine so große Rolle, daß Käufer eines Gutes sich stets erkundigen: Wie steht es in dieser Gegend mit der Einquartierung? Im übrigen wird die Einquartierung von der Bevölkerung mit Freuden empfangen.

Abg. Gröber (Zentr.): Die Ziffer 2 der Resolution, welche die besonders armen 2. unterstützen will, möchte ich besonders unterstreichen. Die Unzulänglichkeit der Entschädigung wird besonders hart empfunden, wenn die Einquartierung sich in einer gewissen alle Jahre oder alle paar Jahre wiederholt. Im letzten Jahrzehnt haben sich die Lasten der großen Manöver erheblich ver⸗ schärft. Die Kaisermanöver nehmen allmählich eine Ausdehnung an wie nie zuvor. Vom militärischen Standpunkt mag es gerechtfertigt sein, daß man jetzt wenige Gemeinden dicht belegt; für die Zivil⸗ bevölkerung ist das eine schwere Last. Ueber die 80 geht man in der Regel nicht hinaus, obwohl das es gestattet bei einer außer⸗ gewöhnlichen Höhe der Preise. Diese Bestimmung haben wir gerade in der Kommission bekämpft. Es genügt, daß eine Gemeinde öfter mit Einquartierung belastet wird. Diese öftere Belastung ist leichter festzustellen als der außergewöhnliche Preis.

Die Resolution wird in ihren beiden Theilen an⸗ genommen.

Beim Kapitel „Garnisons⸗ und Serviswesen“ bringt der

Abg. Werner (b. k. F.) die unzulängliche Besoldung der

Kasernen⸗Inspektoren zur Sprache. Diese Beamten wollten mit den Ober⸗Post⸗Assistenten gleich behandelt werden. Außerdem beschwerten sich die Kasernen⸗Inspektoren darüber, daß sie keinen Urlaub erhielten und daß sie in Uniform nicht gegrüßt würden.

Zum Kapitel „Militär⸗Medizinalwesen“ schlägt die Kom⸗ mission 8Ss. Resolution vor:

„den Reichskanzler zu ersuchen, in Erwägungen darüber einzutreten, wie die Gehaltsverhältnisse der Militär⸗Apotheker zu verbessern, sowie deren Ausbildung und Rangverhältnisse anderweit zu ordnen sind, und baldmöglichst entsprechend erhöhte Beträge für die Ge⸗ hälter der Militär⸗Apotheker einzustellen.“

Abg. Graf von Oriola unterstützt diese Resolution. Bei der Vorbildung, die die Militär⸗Apotheker auch als Nahrungsmittel⸗ chemiker haben müssen, sei ein Anfangsgehalt von 1200 viel zu niedrig. Daneben müsse die Frage der Ausbildung und der Rang⸗ verhältnisse der Militär⸗Apotheker eingehend geprüft werden. Es sei unhalthar, daß akademisch gebildete Leute nach der Instruktion der Unteroffiziere nicht gegrüßt werden dürften. Der Apotheker müsse ein halbes Jahr mit der Waffe dienen, ein halbes Jahr im Lazareth beschäftigt sein.

Abg. Dr. Hermes (fr. Volksp.) schließt sich diesen Ausführungen an. Die gegenwärtigen Verhältnisse der Militär⸗Apotheker seien un⸗ haltbar. Im gewöhnlichen Leben pflege man schon die Apotheker die Neunundneunziger zu nennen. Beim Militär seien sie vollends die Zielscheibe des Spottes. Redner weist auf eine Petition der Militär⸗Apotheker hin, die ihre Wünsche in maßvoller Weise dem Reichs⸗ tage vortrage. Er, Redner, habe selber vor vierzig Jahren als frei⸗ williger Apotheker gedient. Er hätte sich eine haen zugelegt, eine Phantasie⸗Uniform mit goldenen Litzen. Der Dienst bestand natürlich aus dem Pillendrehen und dem Verfertigen von Rizinusöl. Das dauerte, fährt Redner fort, etwa zwei Stunden täglich. Dann zogen wir die Uniform aus. Als wir die Uniform anzogen, hatten wir den Rang eines Vize⸗Feldwebels und wurden auch danach behandelt. Wir wurden gegrüßt von den Mannschaften und Unteroffizieren. Wir wurden mehr gegrüßt, als eigentlich nothwendig war, weil man die Uniform nicht kannte. Wenn wir an der Wache vorbeigingen, wurde wiederholt „Raus!“ gerufen. Wir wußten uns nicht anders zu helfen, als daß wir in vornehmer Weise abwinkten. Scherz bei Seite: die Stellung der Apotheker ist unhaltbar.

Titel und Resolution werden angenommen.

Um 5 ¾ Uhr wird die Weiterberathung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Hause der Abgeordneten ist der nachstehende Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung in den Stadt⸗ kreisen Berlin, Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf, zugegangen:

§ 1.

Der Stadtkreis Berlin und die bei dem Kommunalverband der Provinz Brandenburg verbleibenden Stadtkreise Charlottenburg, Schöneberg und Rirdorf bilden einen besonderen Verwaltungsbezirk Berlin, an dessen Spitze der Ober⸗Präsident von Berlin steht.

An die Stelle des Regierungs⸗Präsidenten tritt in den ihm gesetz⸗ lich obliegenden Geschäften für den Verwaltungsbezirk Berlin, soweit es sich um polizeiliche Angelegenheiten handelt, der Polizei⸗Präsident von Berlin, im übrigen der Ober⸗Präsident.

„Durch Königliche Verordnung können einzelne dem Ober⸗ Präsidenten von Berlin gesetzlich obnegende Geschäfte, ausgenommen die Aufsicht des Staates über die Verwaltung der Gemeindeangelegen⸗ heiten, dem Polizei⸗Präsidenten von Berlin übertragen werden.

N

An die Stelle der Regierungs⸗Abtheilung für Kirchen⸗ und Schulwesen tritt in den ihr gesetzlich obliegenden Geschäften der kirch⸗ lichen Verwaltung für den Verwaltungsbezirk Berlin der Polizei⸗ Präsident von Berlin.

§ 3. An die Stelle der Regierungs⸗Abtheilung für Kirchen⸗ und Söubrre tritt in den ihr gesetzlich obliegenden Geschäften des

Schulwesens für den Verwaltungsbezirk Berlin das Provinzial⸗ Schulkollegium für Berlin und an Stelle des Ober⸗Präsidenten der Unterrichts⸗Minister. Unberührt bleibt die Zugehörigkeit der Städte Charlottenburg, chöneberg und Rixdorf 11) zu der Elementarlehrer⸗Wittwen⸗, und Waisenkasse für den Regierungsbezirk Potsdam (Gesetz, betreffend die Erweiterung, Um⸗ wandlung und Neueinrichtung von Wittwen⸗ und Waisenkassen für Elementarlehrer vom 22. Dezember 1869, Gesetz⸗Samml. 1870, S. 1), 2) zu der Ruhcegehaltskasse für den Regierungsbezirk Potsdam (Gesetz, betreffend Ruhegehaltskassen für die Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen Volksschulen vom 23. Juli 1893, Gesetz⸗ Samml. S. 194 „.3) zu der Alterszulagekasse für den Regierungsbezirk —— (Gesetz, etreffend das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen . 2) öffentlichen Volksschulen vom 3. März 1897, Gesetz⸗Samml. 8 9997 4) zu der Wittwen, und Waisenkasse für den Regierungsbezirk 5 (Gesetz, beaeeftend die Fas orge für 82 elen er Lehrer an öffentlichen Volksschulen vom 4. Dezember 1899, Gesetz⸗ Samml. S. 587). 1 8 8 85 89 v 8 1“ 8

„Es ist jedoch der auf diese Städte bezügliche Theil des Ver⸗ theilungsplans des Bedarfs der zu 2—4 benannten Kassen von dem Provinzial⸗Schulkollegium für Berlin in dem für seine Bekannt⸗ machungen bestimmten Blatte bekannt zu machen. Die Frist für die den Schulverbänden zustehende Klage gegen den Vertheilungsplan be⸗ ginnt mit dieser Bekanntmachung.

S

n die Stelle der Regierungs⸗Abtheilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten tritt in den ihr gesetzlich obliegenden Ge⸗ schäften der Verwaltung der direkten Steuern für den Verwaltungs⸗ bezirk Berlin die Direktion für die Verwaltung der direkten Steuern. Diese Behörde wird in Betreff der Zuständigkeit in Disziplinar⸗ sachen den in § 24 des Gesetzes, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 21. Juli 1852 (Gesetz⸗Samml. S. 465) bezeichneten Provinzialbehörden gleichgestellt.

Für die Stadtkreise Charlottenburg, Schöneberg und Rirdorf wird eine besondere Berufungskommission 41 des Einkommensteuer⸗ gesetzes vom 24. Juni 1891, Gesetz⸗Samml. S. 175) gebildet. Die zu wählenden Mitglieder derselben werden vom Provinzial⸗Ausschuß der Provinz Brandenburg aus den Einwohnern der genannten Stadt⸗ kreise gewählt.

Die Stadtkreise Charlottenburg, Schöneberg und Rirxdor sammen bilden für die Gewerbesteuerklassen I und II (§§ ( Gewerbesteuergesetzes vom 24. Juni 1891, Gesetz⸗S je einen besonderen Veranlagungsbezirk.

7.

Die Provinzial⸗Steuer⸗Direktion, die General⸗Kommission und die Direktion der Rentenbank für die Provinz Brandenburg fungieren auch fuͤr den Verwaltungsbezirk Berlin. 1

Das Polizei⸗Präsidium zu Berlin ist entscheidende Disziplinar⸗ behörde erster Instanz

a. für die bei den Ortspolizeibehörden der Stadtkreise Char⸗ lottenburg, Schöneberg und Rirdorf angestellten, nicht unter § 24 Nr. 1 des Gesetzes, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten u. s. w. vom 21. Juli 1852 (Gesetz⸗Sanml. S. 465) fallenden Beamten, 8

b. für diejenigen Kategorien der im Verwaltungsbezirk Berlin angestellten Beamten, bezüglich deren nicht die Zuständigkeit einer anderen Disziplinarbehörde begründet ist. Die Einleitung des Verfahrens, die Ernennung des Unter⸗ suchungskommissars und des Vertreters der Staatsanwaltschaft für die erste Instanz steht im Falle zu a dem Polizei⸗Präsidenten von Berlin, im Falle zu b dem Ober⸗Präsidenten von Berlin zu.

Klagen von Staatsbeamten über vermögensrechtliche Ansprüche aus ihrem Dienstverhältniß (§§ 1 ff. des Gesetzes, betreffend die Er⸗ weiterung des Rechtsweges vom 24. Mai 1861 (Gesetz⸗Samml. S. 241) sind, soweit der Verwaltungsbezirk Berlin in Betracht kommt und nicht die Zuständigkeit einer Provinzialbehörde eines be⸗ sonderen Verwaltungsressorts begründet ist, gegen den Ober⸗Präsidenten von Berlin zu richten. 1b

1 b11“ 8

An die Stelle des Provinzialraths tritt in den Fällen, in welchen derselbe in erster Instanz beschließt, für den Verwaltungsbezirk Berlin der Ober⸗Präsident von Berlin, in den übrigen Fällen der zuständige Minister. 8

Für den Verwaltungsbezirk Berlin besteht ein besonderer Bezirks⸗ ausschuß. Auf denselben finden die §§ 28, 30 Satz 1, 31 Satz 3, 32, 33, 34 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (Gesetz⸗Samml. S. 195) mit folgenden Maßgaben Anwendung: 1

1) Bei dem Bezirksausschuß werden drei Abtheilungen gebildet.

„Die erste Abtheilung ist zuständig für die polizeilichen Angelegen⸗ heiten aus dem Verwaltungsbezirk Berlin, die zweite für die sonstigen zur Zuständigkeit des Bezirksausschusses gehörigen Angelegenheiten aus dem Stadtkreise Berlin und die dritte für die sonstigen zur Zu⸗ ständigkeit des Bezirksausschusses gehörigen Angelegenheiten aus den Stadtkreisen Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf.

Der § 58 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung findet auf die Bestimmung der Zuständigkeit der zweiten oder der dritten Abtheilung des Bezirksausschusses entsprechende Anwendung.

2) An Stelle des Regierungs⸗Präsidenten tritt ein vom König ernannter Präsident. Die Ernennung dieses Beamten kann im Neben⸗ amt auf die Dauer seines Hauptamtes erfolgen. Beamte des Polizei⸗ Präsidiums sind von dieser Ernennung ausgeschlossen.

Der Präsident und die ernannten Mäglieder und deren Stell⸗ vertreter gehören allen drei Abtheilungen an, sofern nicht für eine Abtheilung besondere Mitglieder oder Stellvertreter bestellt sind.

3) Die gewählten Mitglieder und deren Stellvertrer werden für jede Abtheilung gesondert bestellt.

Für die erste Abtheilung werden je zwei Mitglieder und deren Stellvertreter auf sechs Jahre gewählt

a. durch den Magistrat und die Stadtverordneten⸗Versammlung der Haupt⸗ und Residenzstadt Berlin unter dem Vorsitz des Bürger⸗ meisters aus den gemäß § 28 des Gesetzes über die allgemeine Landes⸗ verwaltung wählbaren Einwohnern des Stadtkreises Berlin. Das⸗ selbe Kollegium beschließt an Stelle des Provinzialausschusses über das Aufhören einer der für die Wählbarkeit vorgeschriebenen Be⸗ dingungen. Die Mitglieder des Magistrats und der Stadtverordneten⸗ Versammlung sind von der Wählbarkeit ausgeschlossen.

b. durch den Provinzialausschuß der Provinz Brandenburg aus den gemäß § 28 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung wählbaren Einwohnern der Stadtkreise Charlottenburg, Schöneberg und Rirdorf.

Für die zweite Abtheilung werden vier Mitglieder und deren Stellvertreter durch den Magistrat und die Stadtverordneten⸗Versamm⸗ lung der Haupt⸗ und Residenzstadt Berlin nach den Vorschriften unter a des zweiten Absatzes gewählt.

Für die dritte Abtheilung werden vier Mitglieder und deren Stellvertreter durch den Provinzialausschuß der Provinz Branden⸗ burg nach den Vorschriften unter des zweiten Absatzes gewählt.

Zur Zuständigkeit des Bezirksausschusses für Berlin gehören die im Verwaltungsstreitverfahren zu behandelnden Angelegenheiten und diejenigen im Beschlußverfahren zu behandelnden Angelegenbeiten, welche im einzelnen durch die Gesetze seiner Zuständigkeit überwiesen werden; in Betreff der übrigen im Beschlußverfahren zu behandelnden Angelegenheiten tritt für den Verwaltungsbezirk Berlin an die Stelle des Bezirksausschusses der Ober⸗Präsident von Berlin, soweit nicht in den Gesetzen ein Anderes bestimmt ist.

Bezüglich derjenigen im Beschlußverfahren zu behandelnden An⸗ gelegenheiten, welche bisher durch Gesetz der Zuständigkeit des Bezirks⸗ ausschusses für den Stadtkreis Berlin überwiesen worden sind, ist der Bezirksausschuß für Berlin für den gesammten Verwaltungsbezirk Berlin zuständig.

13.

5 Gegen die gemäß § 20 Nr. 1 des Gesetzes über die Zuständig⸗ keit der Verwaltungs⸗ und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (Gesetz⸗Samml. S. 237) ergehenden Strafverfügungen des Ober⸗Präsidenten findet im Verwaltungsbezirk Berlin innerhalb zwei Wochen die Klage beim Spsrd narra statt. 8

§ .

In den Fällen der §§ 124 und 141 des Gesetzes über die Zu⸗ ständigkeit der Verwaltungs⸗ und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 Cen.: S. 237) beschließt im Verwaltungs⸗ bezirk Berlin an Stelle des Bezirksausschusses der Ober⸗Präsident; gegen den die Genehmigung versagenden Beschluß des Ober⸗Präsi⸗

denten findet innerhalb zwei Wochen die Klage beim Oberverwal⸗ tungsgericht statt. 1b 1“

§ 15. 81“ b Zuständig im Verwaltungsstreitverfahren in den Fällen der §§ 2, 8 Absatz 2, 9, 15 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Ver⸗ waltungs⸗ und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (Gesetz⸗Samml. S. 237) und des § 7 des Gesetzes, betreffend die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten, vom 30. Juli 1899 (Gesetz⸗Samml. S. 141) ist für den Verwaltungsbezirk Berlin das Oberverwaltungsgericht. 16.

„In den Fällen der §§ 115 und 117 des Gesetzes über die Zu⸗ ständigkeit der Verwaltungs⸗ und Verwaltungsgerichsbehörden von 1. August 1883 (Gesetz⸗Samml. S. 237) beschließt an Stelle des Bezirksausschusses der Polizei⸗Präsident von Berlin. Gegen den ver⸗ sagenden Beschluß findet innerhalb zwei Wochen die Klage beim Bezirksausschuß statt. 1

§ 17. N. In dem Falle des § 150 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs⸗ und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (Gesetz⸗Samml. S. 237) beschließt für den Verwaltungsbezirk Berlin an Stelle des Bezirksausschusses die erste Abtheilung des Polizei⸗ Präsidiums zu Berlin. § 18. . In dem Verwaltungsbezirk Berlin erfolgt die Wahrnehmung der in den §§ 5, 8 und 9 des Gesetzes, betreftend die Anlegung und JVeränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften, vom 2. Juli 1875 S. 561) dem Kreis⸗ ausschuß beigelegten Funktionen durch den Minister der öffentlichen Arbeiten und die Bestätigung der Statuten nach §§ 12 und 15 a. a. O. durch den Minister des Innern. 6 19. 1 Die Aufsicht des Staats über die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten und über die Amtsführung der Standesbeamten (§§ 7 und 154 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs⸗ und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (Gesetz⸗Samml. S. 237])) wird im Verwaltungsbezirk Berlin in zweiter und letzter Instanz vom Minister des Innern geführt. § 20.

Die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes anhängig gemachten An⸗ gelegenheiten sind von den bisher zuständigen Instanzen zu entscheiden.

Innerhalb des Verwaltungsbezirks Berlin sind bei Störungen der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, bei Feuersbrünsten und in sonstigen dringenden Fällen die Beamten der Ortspolizei⸗ behörden gleichmäßig zur Vornahme von Amtshandlungen berechtigt. Den Anordnungen des zuständigen Ortspolizeiverwalters haben dabei auch die ihm nicht unterstellten Beamten Folge zu leisten.

Der IV. Abschnitt des Gesetzes über die allgemeine Landes⸗ verwaltung vom 30. Juli 1883 (Gesetz⸗Samml. S. 195) (§§ 41 47) sowie das Gesetz, betreffend die Polizeiverwaltung in den Stadtkreisen Charlottenburg, Schöneberg und Rirdorf, vom 13. Juni 1900 (Gese Samml. S. 247) werden aufgehoben.

§ 23. Das Gesetz tritt am 1. April 1902 in Kraft. Der Minister des Innern erläßt die zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Bestimmungen.

Diesem Gesetzentwurf ist folgende Begründung bei⸗ gegeben:

Die im preußischen Staat ihrem Umfange und ihrer Art nach einzig dastehende Entwickelung der Haupt⸗ und Residenzstadt Berlin hat im Laufe der Zeit eine besondere, von den für das übrige Staats⸗ gebiet geltenden Normen abweichende Organisation sowohl der staatlichen wie der kommunalen Verwaltung erforderlich gemacht. Bis zur Ver⸗ waltungsreform der siebziger und achtiger Jahre des letzten Jahrhunderts bildete die Stadt Berlin sowohl in kommunaler wie in administrativer Beziehung einen Theil der Provinz Brandenburg unter dem Ober⸗ Präsidenten von Brandenburg. Die Befugnisse des Regierungs⸗ Präsidenten bezw. der früheren Regierungs⸗Abtheilung des Innern waren für Berlin zwischen dem Polizei⸗Präsidenten von Berlin, der Ministerial⸗, Militär⸗ und Baukommission zu Berlin und dem Regie⸗ rungs⸗Präsidenten bezw. der Regierungs⸗Abtheilung des Innern in Potsdam vertheilt; die kirchlichen Angelegenheiten wurden abgesehen von den besonderen Bestimmungen über das landesherrliche Patronat von der Regierungs⸗Abtheilung für Kirchen⸗ und Schul⸗ wesen in Potsdam, die Angelegenheit der öffentlichen Schulen von dem Provinzial⸗Schulkollegium der Provinz Brandenburg in Berlin, die Steuerangelegenheiten von der Regierungs⸗Abtheilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten in Potsdam bearbeitet. Durch die Verwaltungsreform wurde Verlin sowohl in kommunaler wie in administrativer Hinsicht von der Provinz Brandenburg getrennt. In⸗ dessen blieb der Ober⸗Präsident von Brandenburg zugleich Ober⸗ von Berlin; ebenso fungierten auch einzelne andere Be⸗ örden der staatlichen Provinzialverwaltung, insbesondere das Pro⸗ vinzial⸗Schulkollegium, weiterhin gemeinschaftlich für beide Verwaltungs⸗ bezirke. Mit der Loslösung von dem Landesverwaltungsbezirk der Provinz Brandenburg war für Berlin naturgemäß auch die Loslösung von der Regierung zu Potsdam verbunden. Die bisherigen Befugnisse der Regierungs⸗Abtheilung des Innern, insbesondere die Kommunal- aufsicht, wurden unmittelbar dem Ober⸗Präsidenten übertragen; die kirchlichen Angelegenheiten der Regierungs⸗Abtheilung für Kirchen⸗ und Schulwesen gingen auf den Polizei⸗Präsidenten von Berlin, die Steuer⸗Angelegenheiten der Regierungs⸗Abtheilung für direkte Steuern ꝛc. auf die neugeschaffene Direktion für die Verwaltung der direkten Steuern zu Berlin über.

Die eigenartige Entwickelung der Verhältnisse der Stadt Berlin und ihrer Umgebung hat dann weiterhin zu dem Erlaß verwaltungs⸗ rechtlicher Sondervorschriften nicht nur bezüglich des eigenen Gebiets der Stadt Berlin, sondern auch bezüglich einiger angrenzender Vororte geführt. Der unmittelbar örtliche Zusammenhang Berlins mit einigen dieser Vororte machte eine engere Angliederung der⸗ selben an die Stadt Berlin vor allem in polizeilicher Be⸗ ziehung erforderlich. Es erging in dieser Hinsicht zunächst 1 das Gesetz, betreffend die Uebertragung polizeilicher Befugnisse in den Kreisen Teltow und Nieder⸗Barnim sowie im Stadtkreise Charlottenburg an den Polizei⸗Präsidenten zu Berlin, vom 12. Juni 1889 (Gesetz⸗Samml. S. 129) und dann weiterhin das an die Stelle dieses Gesetzes getretene Gesetz, betreffend die Polizeiverwaltung in den Stadttreisen Charlottenburg, Schöneberg und Rirdorf, vom 13. Juni 1900 (Gesetz⸗Samml. S. 247). Durch letzteres Gesetz, auf dessen Begründung und parlamentarische Materialien hier Bezug ge⸗ nommen werden darf, sind bekanntlich die drei Vororte Charlottenburg, Schöneberg und Rirdorf in polizeilicher Hinsicht von dem Regierungs⸗ bezirk Potsdam losgelöst und mit der Stadt Berlin zu einem einheit⸗ lichen Landes⸗Polizeibezirk unter dem Polizei⸗Präsidenten von Berlin vereinigt worden. Von einer Angliederung anderer Vororte bezw. der Ertheilung einer bezüglichen Vollmacht an die Staatsregierung zu einer solchen Maßnahme, wie dies in dem von der Staatsregierung dem Landtage im Jahre 1889 vorgelegten ersten bezüglichen Gesetz⸗ entwurf vorgeschlagen war, ist Abstand genommen worden, da das Haus der Abgeordneten ein Bedürfniß zur Angliederung weiterer Vororte einstweilen nicht anerkannt hat. . Das Vororts⸗Polizeigesetz vom 13. Juni 1900 hat, wie sich aus seiner Begründung und den parlamentarischen Verhandlungen klar er⸗ giebt, lediglich den Zweck verfolgt, eine nach Lage der Verhältnisse unbedingt gebotene und einen weiteren Aufschub nicht mehr zulassende Abänderung der für Berlin und die Vororte bestehenden Organisation der allgemeinen Landesverwaltung auf polizeilichem Gebiete zur Durchführung zu bringen. Soweit sich in der kurzen Zeit seiner Geltung übersehen läßt, hat sich das Gesetz als zweckentsprechend be⸗ währt und damit dargethan, daß das ihm zu Grunde liegende Prinzip, die in ihrer Entwickelung am weitesten vorgeschrittenen und mit den Berliner Verhältnissen am meisten verwachsenen drei Vororte unter

Abtrennung von der Potsdamer Regierung hinsichtlich der Behörden⸗ organisation Berlin gleichzustellen, ein richtiges war. 1“