Die Auskunftertheilung der Ostasiatischen Abtheilung bezieht sich, wie nochmals bemerkt wird, nur auf Angehörige des Landheeres, während Anfragen über den Ver⸗ bleib von Angehörigen der Marine, zu welcher nicht allein die Schiffsbesatzungen, sondern auch die Marine⸗ Infanterie und die bei der Marine⸗Infanterie befindliche Feld⸗ batterie, sowie das Feldpionier⸗, Felbta güephen. und Sanitätsdetachement gehören, von dieser Stelle aus nicht beantwortet werden können.
6“
Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Kurfürst Friedrich Wilhelm“, Kommandant: Kapitän zur See von Holtzendorff, gestern von Tsingtau nach Wusung in See gegangen.
S. M. S. „Luchs“, Kommandant: Korrvetten⸗Kapitän Dähnhardt, ist heute in Tongku angekommen. .
Der Dampfer „H. H. Meier“ fmit den abgelösten Besatzungen der Schiffe der II. Division des I. Ge⸗ schwaders, Transportführer: Oberleutnant zur See Bunne⸗ mann, beabsichtigte, heute von Tsingtau nach Schanghai in See zu gehen. 88
Der Hauptmann Gudewill vom II. Seebataillon ist am 4. März mit 19 Rekonvaleszenten aus Ost⸗Asien in Wilhelmshaven eingetroffen. vA4“
11“
Posen, 5. März. Die heutige (6.) Plenarsitzung des Provinzial⸗Landtages der Provinz Posen begann mit der durch das Allerhöchste Propositions⸗Dekret geforderten Wahl von bürgerlichen Mitgliedern und Stellvertretern
ür die Bezirke der 7., 8., 19., 20. und 77. Infanterie⸗ Brigade. Hierauf bewilligte die Versammlung mit 30 gegen 12 Stimmen dem Comité für die Errichtung eines Bismarck⸗ Denkmals in Posen einen Beitrag von 3000 ℳ und setzte sodann den Etat für die Provinzial⸗Hebammen⸗Lehranstalt in Posen für das Etatsjahr 1901 und die folgenden Jahre in Einnahme und Ausgabe auf 50 300 ℳ fest. Zwei Gesuche des Direktors der Anstalt wurden durch das Reglement und den Etat für erledigt erklärt. Nachdem die Versamm⸗ lung von den Verwaltungsberichten über die land⸗ wirthschaftliche und die Bau⸗Unfallversicherung in den Jahren 1898 und 1899 Kenntniß genommen, genehmigte sie den Uebergang der Provinzial⸗Gärtner⸗Lehranstalt in Koschmin, der landwirthschaftlichen Winterschulen in Fraustadt und Inowrazlaw und der Provinzial⸗Wiesenbauschule in Brom⸗ berg in die Verwaltung der Landwirthschaftskammer und be⸗ auftragte den Provinzial⸗Ausschuß mit dem Abschluß eines be⸗ züglichen Vertrages und den sonstigen Vereinbarungen. Von einer Zuschrift des Ober⸗Präsidenten, betreffend die eventuelle Erhöhung der provinziellen Mittel für den Meliorationsfonds, wurde Kenntniß genommen. Endlich beschloß die Versammlung die Einführung der Milzbrandversicherung für Pferde (Esel, Maul⸗ esel und Maulthiere) und Rindvieh und beauftragte den Pro⸗ vinzial⸗Ausschuß, dem nächsten Provinzial⸗Landtage ein Regle⸗ ment zur Ausführung der Versicherung vorzulegen.
Cassel, 5. März. Der Kommunal⸗Landtag des Regierungsbezirks Cassel ist nach Erledigung der vor⸗ liegenden Geschäfte heute durch den Ober⸗Präsidenten, Staats⸗ Minister Dr. Grafen von Zedliß und Trützschler geschlossen worden. Mit einem von dem Vorsitzenden ausgebrachten, leb⸗ haft aufgenommenen Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König trennte sich die Versammlung. Hessen.
Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Landstände, ist, wie die „Darmst. Ztg.“ meldet, gestern der Zweiten Kammer zugegangen. Die wichtigsten Abänderungen
8 gegenüber dem geltenden Gesetze sind folgende: Der
Ersten Kammer gehören auch ein Mitglied des Großen Senats der Technischen Hochschule, außerdem Bürgermeister (höchstens drei) von Städten mit Städteordnung an, die Seine Königliche Hoheit der Großherzog ernennt. In die Zweite Kammer haben an Abgeordneten zu ent⸗ senden: Darmstadt und Mainz je 3, Offenbach, Worms und Gießen je 2. Die Kammer zählt danach künftig 55 Abgeordnete. Es wird die direkte Wahl mit geheimer Abstimmung (Wahlkuverts) eingeführt. Die Stimmberech⸗
tigten müssen von Anfang des Rechnungsjahres an die Staats⸗
oder Gemeindesteuer entrichtet haben. Alle drei Jahre findet
eine Neuwahl der Abgeordneten statt; das eine Mal scheiden 28,
das andere Mal 27 aus.
1 Die Zweite Kammer trat gestern in die Berathung des Budgets ein. Der Abg. Schmidt wies, dem „W. T. B.“
ufolge, darauf hin, daß sich nach dem Ableben der Peöingen Heinrich und Wilhelm und im Hinblick darauf, daß Seine Köonigliche Hoheit der Großherzog bieher ohne
männliche Leibeserben sei, eine staatsrechtliche Regelu ng der 9
Domänenfrage zwischen dem Fürstenhaus und dem Lande dringend empfehle. Der Staats⸗Minister Rothe erkannte die
Wichtigkeit der Frage an, mit der er sich nach dem Tode der beiden Prinzen bereits beschäftigt habe. Näheres könne er
nicht mittheilen. Eine hausgesetzliche Regelung lehne er ab. Oldenburg.
Ueber das Befinden Seiner Königlichen Hoheit des Groß⸗ herzogs ist, wie die „Meckl. Nachr.“ melden, am 4. d. M. das nachstehende Bulletin veröffentlicht worden:
Seine Königliche Hoheit der Großherzog ist vollständig frei von Herzbeschwerden und hat einen längeren Spaziergang gut vertragen. Die Herzerweiterung ist beseitigt.
Dresden, den 2. März 1901. Geheimer Medizinalrath von Reyher. Sanitätsrath Linow. 16 Schwarzburg⸗Rudolstadt.
Ihre Durchlaucht die Prinzessin Sizzo von Schwarzburg ist, wie die „Schwgen. Kede Sergee. meldet, gestern in Großharthau von einem Prinzen glückli
entbunden worden. EE11“ 8 . EEE
Oesterreich⸗Ungarn.
Die „Wiener Abendpost“ veröffentlicht genauere Nach⸗ richten üter die Theilnahme des österreichisch⸗ungari⸗ schen Detachements an der Expedition nach Kalgan, aus welchen hervorgeht, daß die Haltung des Detachements, seine Ausdauer und Manneszucht das einmüthige Lob aller fremden Offiziere gefunden haben.
8
In der gestrigen Sitzung des österreichischen Ab⸗ geordnetenhauses wurden nach der Verlesung des Einlaufs verschiedene Anfragen an den Präsidenten geftellt darunter eine des czechischen radikalen Abgeordneten Zazvorka, welcher czechisch sprach. Alle Deutschen riefen: „Was spricht der Mensch?“ Der Vorsitzende machte den Ab⸗ eordneten Zazvorka darauf aufmerksam, daß es nicht angehe, an Anfragen an den Präsidenten Reden zu halten. Der Abg. Ihspvken entgegnete heftig, worauf ihm der Vorsitzende das Wort entzog. Als der Vorsitzende zur I1“ über⸗ gehen wollte, stürzte der czechisch⸗radikale Abg. Freßl auf ie Präsidententribüne, riß dort liegende Papiere an sich und zerknitterte sie. Der 85 Malik eilte auf Freßl zu und schlug auf ihn los, ebenso der Abg. Berger. Die beiderseitigen Parteigenossen rissen die Streitenden auseinander. Die Sitzung wurde unterbrochen. Die Jungczechen verhielten sich während dieses Auftrittes passiv; sie mißbilligten das Verhalten Freßl’'s. Nach der Wiederaufnahme der Sitzung reklamierten Freßl und dessen Parteigenossen das Wort für den Abg. Zazvorka. Der Präsident ertheilte dem Abg. Horiza das Wort zum Rekrutenkontingent, worauf seitens der czechischen Radikalen weitere Protestrufe erfolgten. Die Jungezechen nahmen offen gegen Freßl Stellung, be⸗ schimpften ihn und bedrohten ihn mit den Fänsten. Dieses Vorgehen der Jungezechen wurde vom ganzen Hause mit Beifall aufgenommen. Schließlich trat Ruhe ein. Das Haus nahm hierauf die erste Lesung der Regierungs⸗ vorlage, betreffend das Rekrutenkontingent, vor. Der Abg. Horiza (Czeche) führte aus, die Existenz der Czechen sei an die Existenz des Staates geknüpft. Seine Partei wolle, daß die Armee tüchtig sei und zwar nicht allein an
ahl, sondern auch im Geist. Der Redner kritisierte sodann die Armeeverwaltung. Seine Partei verlange, daß in der Armee auf die Eigenthümlichkeiten jeder Nation Rücksicht genommen werde; sie werde gegen die Vorlage stimmen, weil sie mit der Militärverwaltung nicht einverstanden sei, nicht aber aus Haß egen den Staat. Nachdem der Abg. Scheicher (christlich⸗ sogah verschiedene Wünsche in Betreff der Armeeverwaltung vorgebracht hatte, besprach der Abg. Udora (Czeche) die Beziehungen zwischen Polen und Czechen, und er⸗ klärte, Polen und Czechen müßten gemeinsam gegen die deutsche Hegemonie kämpfen, bis eine vollkommene Gleichbe⸗ rechtigung erzielt sei. Die slavischen Völker erblickten in dem Interesse des Staates ihr eigenes Interesse und trösteten sich nicht mit dem cynischen Gedanken, daß sie bei dem eventuellen Verfall Oesterreichs nichts zu verlieren hätten. Nachdem die nationalen Gefühle der Czechen unberücksichtigt ge⸗ blieben seien, könne die Partei des Redners nicht für die Vorlage stimmen. Der Abg. Biankini besprach die Verhält⸗ nisse in der Kriegsmarine, beklagte die Hrrücksetzung Dalmatiens in kultureller und wirthschaftlicher Beziehung und erklärte schließlich, er werde trotz aller Sympathie für die tapfere Armee gegen die Vorlage stimmen. Die Debatte wurde hierauf geschlossen. Der Generalredner Iro erhob verschiedene Be⸗ schwerden in nationaler und wirthschaftlicher Beziehung. Nach⸗ dem noch der Generalredner Malfatti über Nichtberücksich⸗ tigung der Wünsche der Italiener gesprochen hatte, wurde die
Vorlage dem Wehrausschusse überwiesen. Die Sitzung wurde
um 5 Uhr ohne Zwischenfall geschlossen.
Großbritannien und Irland.
Ueber die gestern abgehaltenen Sitzungen beider Häuser des Parlaments berichtet „W. T. B.“, wie folgt:
Im Oberhause nahm Lord Northbrooke die Debatte über die Heeresverwaltung wieder auf. Derselbe sprach sein Bedauern über den persönlichen Angriff des Marquis of Lansdowne auf Lord Wolseley aus. Er hoffe, die Berathung werde eine Aenderung herbeiführen, durch welche die von Lord Wolseley hervor⸗
ehobenen anormalen Verhältnisse beseitigt würden. Lord helmsford sagte, er habe mit Ueberraschung und Entrüstung den Angriff des Marquis of Lansdowne auf Lord Wolseley angehört, denn Lord Lansdowne habe gewußt, daß Lord Wolseley auf die An⸗ klagen nicht habe antworten können. Lord Dunraven führte aus:; wenn die Anklagen begründet seien, so gehe aus ihnen hervor, daß Lord Wolseley unnöthigerweise den südafrikanischen Krieg verlängert habe und für viele Niederlagen verantwortlich sei; aber, setzte der Redner hinzu, habe denn nicht der General Sir Redvers Buller den Bedarf auf 100 000 Mann geschätzt? Der Marquis of Lansdowne unterbrach den Redner und bemerkte, es sei keine solche Erklärung abgegeben worden. Lord Spencer sagte, er sehe es für ein Unglück an, daß man Geheimnisse des Kriegsamts zu Zeiten einer Krisis aufdecke. Er sehe nicht, daß der Oberbefehlshaber bei dem gegenwärtigen System in seinem nützlichen Wirken beeinträchtigt werde. Das System stelle gegenüber dem Par⸗ lamente die Verantwortlichkeit des Staatssekretärs des Kriegsamts fest, schmälere aber nicht in geringstem Grade die Autorität des Höchstkommandierenden oder die Schlagfertigkeit des Heeres. Hierauf ergriff der Herzog von Devonshire das Wort. Er beklagth, daß Lord Wolseley's Kritiken zu allgemein gewesen seien, und vertheidigte das Vorgehen Lord Lansdowne’'s, in welchem keinerlei per⸗ sönliche Angriffe auf Lord Wolseley enthalten gewesen seien. Lord Lansdowne habe aber eine Herausforderung hingeworfen, auf welche zu antworten für Lord Wolseley angemessen gewesen wäre. Ferner wies der Herzog von Devonshire darauf hin, daß sich in keinem zivilisierten Lande eine Parallele in der militärischen Organisation finde für die Stellung, welche Lord Wolseley dem Oberkomman⸗ dierenden geben wolle. In Frankreich sei kein Beamter in der Stellung des Oberkommandierenden, auf dem die ganze Verantwortung für die Armee ruhe. In Deutschland gebe es einen Oberkomman⸗ ierenden der Armee, aber das sei der Kaiser, und dieser befinde sc. nicht in der Stellung, in welcher Lord Wolseley den rkommandierenden sehen möchte. Es würde ein großer Fehler sein, zu einem allgemein verurtheilten System zurückzukehren. Lord Koseherp bezeichnete Lord Wolseley's Rede als von dem patriotischen Bemühen eingegeben, die Aufmerksamkeit auf die Mängel des be⸗ stehenden Systems hinzulenken, und tadelte scharf Lord Lansdowne’s Antwort, welche keine Beziehung zu dem eigentlichen Streitpunkte ge⸗ habt habe, bei welchem es sich darum gehandelt, ob das bestehende System gut funktioniere. Der Redner beantragte die Einsetzung eines parlamentarischen Ausschusses, welcher in geheimen Sitzungen mit dem Staatssekretär und den Beamten der Kriegs⸗ und Marine⸗ verwaltung prüfen solle, was thatsachlich für Mänsel im Kriegs⸗ und Marinewesen vorhanden seien. Der Premier⸗Minister Marquis of Salisburvy vertheidigte gleichfalls die Antwort Lord Lansdowne’s auf Lord Wolseley's Kritik und bemerkte, daß kein persönlicher An⸗ riff auf Lord Wolseley beabsichtigt gewesen sei. Der Premier Kinister hob ferner hervor, die britische Armee unterstehe der parlamentarischen Kontrole, daher weiche das britische System von dem aller anderen Länder ab. Man müsse sich den bestehenden Verhältnissen anpassen. Der Erfolg des britischen militärjschen Systems se lediglich durch die Tüchtigkeit, Stärke und die ausgezeich⸗ neten Eigenschaften der Mannschaften erreicht worden. Hierauf ergriff Lord Wolseley das Wort, sprach sein schmerzli Zedauern über Lord Lansdowne’s Antwort aus, legte dar, daß seine von Lord Lansdowne erwähnte Denkschrift auf Anweisung Lord Salisbury. 8 verfaßt worden sei, und bat das Haus, mit seinem Urtheil zurück⸗ zuhalten, da er bei einer späteren Gelegenheit die Aufmerksamkeit des
Hauses auf die gegen ihn erhobenen Anklagen lenken dürfte. Die Be⸗ rathung wurde hierauf geschlossen.
Im Unterhause verlas der Sprecher eine Botschaft des Königs, in welcher Allerhöchstderselbe das Haus ersucht, gesetzliche Bestimmungen zu treffen über Bezüge des Herzogs und der Herzogin von Cornwall und York, der Prinzessin Louise, der Prinzessin Viktoria, der Prinzessin Karl von Dänemark und ebenso der Königin für den Fall, daß die Letztere den König über⸗ leben sollte. Bei dem Schluß der Sitzung kam es zu äußerst stürmischen Auftritten. Im Laufe des Abends war über die Bewilligung eines Kredits von 17 Millionen Pfund Sterling berathen worden. Der Erste Lord des Schatzamts Balfour beantragte dann den Schluß der Debatte. Dieser Antrag wurde unter lärmenden Zwischenrufen der Irländer mit 220 gegen 117 Stimmen angenommen. Als dann der Kredit selbst zur Abstimmung gelangen sollte, weigerten sich mehrere Natio⸗ nalisten, den Sitzungssaal zu verlassen, um in der gewohnten Weise ihre Stimmen abzugeben. Der Chairman machte ihnen vergeblich Vorstellungen. Ein Nationalist schrie ihm zu, daß seine Parteige⸗ nossen diesen Weg einschlügen, um gegen den Schluß der Debakte Einspruch zu erheben, da sie dadurch verhindert worden seien, über den Theil der Kreditvorlage zu debattieren, der sich auf Irland beziehe. Der Chairman erklärte, daß er die Angelegenheit dem Sprecher unterbreiten müsse. Dieser trat bald darauf in den Sitzungssaal und wies darauf hin, daß Mitglieder, welche sich weigerten abzu⸗ stimmen, gegen die Geschäftsordnung des Hauses verstießen. Er rief dann die betreffenden Mitglieder, elf an der Zahl, die sich geweigert hatten abzustimmen, zur Ordnung. Der Erste Lord des Schatzamts Balfour beantragte hierauf, daß die zur Ordnung gerufenen Mit⸗ glieder von der Sitzung ausgeschlossen würden; ein Antrag, welcher von dem ganzen Hause, mit Ausnahme der Irländer, mit großem Beifall aufgenommen wurde. Der Antrag wurde sofort angenommen, und der Sprecher forderte nun die zur Ordnung gerufenen Mit⸗ lieder auf, den Saal zu verlassen. Diese weigerten sich, der Auf⸗ Folge zu leisten, und der Sergeant at arms wurde sodann beauftragt, die betreffenden Mitglieder hinauszubefördern. Der Sergeant at arms trat zu einem derselben vor, doch dieser weigerte sich, seinen Sitz zu verlassen, und so mußte Gewalt angewandt werden. Die Angestellten des Hauses versuchten zunächst, eines der Mitglieder fortzuschaffen, doch gelang ihnen dies nicht. Es wurden nun Polizei⸗ beamte herbeigerufen, die den verzweifelt sich Wehrenden mit Gewalt von seinem Sitze zerrten und aus dem Saale trugen. Der Auftritt machte auf allen Seiten des Hauses einen peinlichen Eindruck, und Rufe: „Es ist eine Schande, es ist eine Schande!“ wurden laut. Der Sprecher, welcher sehr erregt war, richtete an die wider⸗ spenstigen Mitglieder die Aufforderung, doch das Haus etwas zu respektieren und sich ohne Widerstand zurückzuziehen, doch blieb seine Aufforderung ohne Erfolg, und eines der irischen Mitglieder schrie ihm zu: „Wir sind völlig entschlossen, Widerstand zu leisten!“ Der Sprecher rief dann jedes der gemaßregelten Mitglieder namentlich auf, worauf Polizeibeamte in den Sitzungssaal traten und die betreffenden, einen nach dem anderen, hinaustrugen. Diese setzten sich verzweifelt zur Wehr. Einer derselben rief: „Gott be⸗ schütze Irland!“, als er hinausgetragen wurde, worauf die irischen Mitglieder sich von ihren 88 erhoben und sangen: „Gott schütze Irland!“, während sie gleichzeitig ihre Hüte schwenkten. Patrick O'Brien schlug vor, dem Auftritt durch Vertagung des Hauses ein Ende zu machen, aber dieser Vorschlag fand keine Zustimmung. Als die widerspenstigen Mitglieder des Hauses alle aus dem Saal entfernt waren, wurde die Kreditvorlage angenommen und die Sitzung geschlossen. 1
Wie die „Times“ meldet, hat ein von dem König er⸗ nannter Ausschuß sich dahin ausgesprochen, daß in der Nach⸗ barschaft der Westminster⸗Abtei oder des Buckingham⸗Palastes ein Gedächtniß⸗Denkmal errichtet werde, dessen Haupt⸗ bestandtheil eine Statue der Königin Viktoria sein solle.
Das neue Schlachtschiff „Albemarle“, eines der größten Schlachtschiffe, die jemals in Chatham gehaut worden sind, ist gestern vom Stapel gelaufen. Ein Schwesterschiff des⸗ selben,„ Montagu“ und der Kreuzer „Drake“ sind gleichfalls gestern in Devonport, bezw. in Pembroke vom Stapel gelaufen, während der Stapellauf des Kreuzers „Kent“, welcher in Portsmouth stattfinden sollte, des stürmischen Wetters wegen verschoben worden ist. „Albemarle“ und „Montagu“ haben je ein Deplacement von 14 000 Tons, „Drake“ ein solches von 14 100, „Kent“ von 9800 Tons. 16
Frankreich.
In dem Ministerrath, welcher gestern im Elysée ab⸗ gehalien wurde, machte, wie „W. T. B.“ berichtet, der Minister des Aeußern Delcassé Mittheilung von den aus China eingetroffenen Telegrammen. Aus diesen gehe hervor, daß alle Mandarinen, welche sich der in Peking begangenen Ver⸗ brechen schuldig gemacht hätten, bestraft worden seien. Weiter werde gemeldet, daß zwei Dekrete veröffentlicht worden seien, welche die verhängten Strafen aufzählten und die Abschaffung der Examina in denjenigen Provinzen anordneten, wo gegen Ausländer Ausschreitungen begangen worden seien.
Der Senat setzte gestern die Berathung der Vorlage, be⸗ treffend die Einfuhrgutscheine für Getreide und Mehl, fort. Viger trat für die Vorlage ein, betonte, welche Erfolge ein gleiches System in Deutschland gehabt habe, und bat den
e 8
Senat, für dee Landwirthschaft einzutreten. Die Sitzung wurde
““
sodann geschlossen. 8 . Rußland. “
Wie dem „W. T. B.“ aus St. Petersburg beri wird, verwehrte am Montag die Polizei etwa 200 Studenten der dortigen Universität den Eintritt zu dem anläßlich des Gedenktages der Leibeigenen⸗Befreiung in der Kasanschen Kathe⸗ drale abgehaltenen Gottesdienst. Die Studenten, welche die Nationalhymne sangen und Hurrahrufe auf den Kaiser aus⸗ brachten, wurden von berittener Polizei den Newskiprospekt entlang in den Hof des Stadthauses gedrängt. Als die Studenten die Ansprache des Stadthauptmanns, welcher sie beruhigen wollte, mit erneutem Lärmen beantworteten und an dem Nationalfeste theilzunehmen verlangten, ging die Polizei gewaltsam vor, und es gelang ihr, die Studenten, welche nun ihrerseits Drohrufe gegen den Stadthauptmann ausstießen, im Hofe des Stadthauses einzuschließen, von wo sie in langem Zuge unter starker Polizeibedeckung in Polizeigewahrsam ab⸗ geführt wurden. 1— “
Aus Marghilan wird vom gestrigen Tage über Fest⸗ lichkeiten und Stiftungen berichtet, die anläßlich des 25 jährigen Jubiläums der Vereinigung Ferghanas mit Rußland stattfanden. Dem General⸗Gouverneur wurden durch Deputationen eine Schenkung von 100 000 Rubeln sur Gründung von Schulen, zu Stipendien für Schullehrer und zur Errichtung von zwei Spitälern und 25 000 Rubel zur Verwendung für Zwecke der Volksaufklärung übergeben. ie Stadt schenkte 20 000 Rubel um Bau eines Mädchen⸗Gymnasiums. Es fand eine Parade 2 Garnison statt, ferner waren Konzerte und Festvorstellungen veranstaltet worden. 8 b
Der Kaiser hat befohlen, daß der zum Schutze der ost⸗ chinesischen Eisenbahn neu gebildete Bezirk des Grenzwache⸗ Korps den Namen Waerseihs Bezirk“ führen solle. Zum Chef desselben ist der Generalleutnant Sacharow ernannt worden. 28 8
Berathung des Reichshaushalts⸗Etats für 1901 bei
Spanien. “ —
Sagasta hat, dem „W. T. B.“ zufolge, den Auftrag ur Bildung des neuen Kabinets übernommen und wird sich wahrscheinlich schon heute mit dem neugebildeten Kabinet zur Königin⸗Regentin begeben. 8
1“ 8 Portugal. “
Der brasi ianische Konsul in Oporto Calmon ist, „W. T. B.“ meldet, zum General⸗Konsul in Triest er⸗ nannt worden und wird heute dorthin abreisen. —
Depeschen aus Oporto, in welchen es heißt, daß eine
Volksmenge in der Nacht zum 3. März das Hospiz Sardao
in der Nähe von Oporto mit Steinen beworfen habe und daß Kavallerie dorthin abgesandt worden sei, sind, wie dem „W. T. B.“ aus Madrid mitgetheilt wird, von der portugie⸗ sischen Zensur angehalten worden. 1“
Niederlande. “
Die Königin und der Prinz Heinrich der Nieder⸗ lande sind, wie „W. T. B.“ meldet, gestern Vormittag 11 ½ Uhr in Amsterdam eingetroffen und am Bahnhofe von den Behörden empfangen worden. Nach einer Ansprache des Bürgermeisters fuhren die Königin und der Prinz nach dem Königlichen Palais, wo sie von der Königin⸗ Mutter empfangen wurden. Auf dem ganzen Wege vom Bahnhofe bis zum Palais stand eine dichtgedrängte Volks⸗ menge, welche das hohe Paar mit endlosen Hoch⸗ rufen begrüßte. Nach der Ankunft im Palais traten die Königin und der Prinz auf den Balkon, was zu immer erneuten begeisterten Höechithen Anlaß gab. Abends fand im Großen Saale des Königlichen Palais ein Festmahl statt, an welchem auch der deutsche Gesandte und die Mitglieder der deutschen Gesandtschaft im Haag theilnahmen. Die festliche Illumination der Stadt wurde wegen des Regenwetters auf morgen vertagt.
Heute früh wurde der Königin und dem Prinzen Heinrich von den Musikgesellschaften Amsterdams eine Morgenmusik dargebracht. Vor dem Königlichen Palaste hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt, welche dem hohen Paare, das sich während der Vor⸗ träge kurze Zeit auf dem Balkon zeigte, begeisterte Huldigungen bereitete, die sich in noch verstärktem Maße wiederholten, als die Königin und der Prinz, nachdem die Musik zu Ende war, nochmals auf dem Balkon erschienen.
Bulgarien.
Aus Sofia erfährt das Wiener „DTelegr.⸗Korresp.⸗ Bureau“, es verlaute daselbst, der Fürst habe die Petition der Schützenvereine dahin erledigt, daß der Bestand der Vereine aufrechterhalten, daß dieselben aber der Aufsicht des Kriegs⸗Ministers unterstellt werden sollten.
Schweden und Norwegen. 86 Der deutsche Gesandte Graf von Leyden wurde heute, wie „W. T. B.“ berichtet, von dem König in feier⸗ licher Audienz empfangen, um sein Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Unmittelbar darauf empfing auch der Kronprinz
den Gesandten.
6 Amerika.
2„
aus Washington gemeldet wird, sämmtliche Mitglieder des Kabinets in ihren Aemtern bestätigt. “ 3
Asien.
Der General⸗Feldmarschall Graf von Waldersee hat, dem „W. T. B.“ zufolge, aus Peking vom 4. d. M. ge⸗ meldet, daß am 1. d. M. eine Erkundungsabtheilung von 25 Mann unter dem Oberstleutnant von Wallmenich unter Verlust von 3 Todten und 1 Verwundeten die Anwesenheit starker Truppen westlich von Lungthsüankuan (etwa 18 km westlich des Antsuling⸗Passes nahe der chinesischen Mauer) festgestellt habe. Auch bei Wuthai (50 km südwestlich von Lungthsüankuan in Schansi) ständen erhebliche Kräfte. Der Oberst von Ledebur sei am 4. d. M. früh von Paoting⸗fu mit 4 Kompagnien abgeschickt worden, um den Fntfulhng⸗aß bis zur Mauer vom Feinde zu säubern und dauernd zu schützen.
Der General⸗Feldmarschall Graf von Waldersee hat ferner die Belegung von Tschangphing (35 km nördlich Peking), wo noch Räuber und Boxer thätig sein sollen, mit der 4. Kompagnie des 2. Regiments und einem Zug berittener Infanterie angeordnet.
Der „Agence Havas“ wird aus Peking vom gestrigen Tage mitgetheilt, der Kaiser habe ein Edikt veröffentlichen lassen, nach welchem alle Dekrete und Berichte, welche zwischen dem 20. Juni und dem 14. August 1900 erlassen respektive erstattet worden seien, vernichtet werden sollen, um jede Spur derselben in der Geschichte zu verwischen.
Nach einer Mittheilung des britischen Kriegsamts belaufen sich die gesammten Verluste in Süd⸗Afrika während des Februar, einschließlich der als Invaliden nach Hause gesandten Mannschaften, auf 95 Offiziere und 2274 Mann. Seit dem Beginn des Krieges sind in Suͤd⸗Afrika im Ganzen Fegen 664 Offiziere und 13 137 Mann; die Gesammtzahl er Verluste ausschließlich der Invaliden, welche sich wieder erholt haben, bemgt 685 Offiziere und 16 174 Mann.
Aus Cradock vom 5. d. M. meldet das „Reuter'sche
Bureau“, daß die Buren Pearston, eine kleine Stadt un⸗ gefähr 40 Meilen südwestlich von Cradock, beseßt hätten. „ Demselben Bureau zufolge ist Sir Alfred Milner am 2. d. M. in Bloemfontein eingetroffen und hat sich am 4. d. M. von dort mit Lord Kitchener nach dem Norden begeben. — 15 Wagen mit flüchtigen Buren sind aus Tabanchu in Bloemfontein angekommen. 111“
Der Präsident MeKinley har wie dem „W. T. B.“
8
—
Parlamentarische Nachrichten.
8. Die Berichte über die Pfrigen Sitzungen des Reichs⸗
tages und des Hauses der Abgeorbneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
— In der heutigen (62.) Sitzung des Reichstages wurde . der nwun. betreffend Aende⸗ rung des Gesetzes über das Posttaxwesen, in dritter eerathung ohne Debatte angenommen und sodann die zweite
dem Etat des Auswärtigen Amts fortgesetzt.
— Das Haus der Abgeordneten setzte in der heutigen (42.) Sitzung, welcher der Minister der geistlichen ꝛc. An⸗ gelegenheiten Dr. Studt beiwohnte, die Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗Angelegenheiten bei dem Kapitel „Provinzial⸗Schulkollegien“ fort.
An der Debatte betheiligten sich bis zum Schluß des Blattes der Abg. Dr. Beumer (nl.), der Minister der geist⸗ lichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt, die Abgg. Dr. Glatt⸗ felter (Zentr.) und von Knapp inl.). 8
Dem Hause der Abgeordneten ist eine Denkschrift über die durch die Revision der allgemeinen Lehr⸗ pläne der höheren Schulen herbeigeführte Erhöhung der Gesammtstundenzahl und die dadurch ent⸗ stehenden Mehrbedürfnisse, sowie eine Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher An⸗ siedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1900 nebst Anlagen zugegangen.
Beei der gestern im 8. Posener Wahlbezirk (Jarotschin, Koschmin, Krotoschin, Pleschen) vorgenommenen Ersatzwahl zum Hause der Abgeordneten wurde nach der amtlichen Feststellung Dr. Anton Chlapowski⸗Posen (Pole) mit 378 von 537 Stimmen gewählt. Der Baumeister Köppel⸗ Krotoschin (nl.) erhielt 159 Stimmen.
Statistik und Volkswirthschaft
Zur Arbeiterbewegung. V1““
er den Stand der Lohnbewegung der Berliner Fabrik⸗
Schuhmacher (vergl. Nr. 55 d. Bl.) berichtet die „Dt. Warke“, daß,
nach einer Mittheilung der Ausstands⸗Kommission bisher 8 Fabriken
mit 245 Mann die gestellten Forderungen bewilligt haben, während
in zweien mit 68 die Verhandlungen noch schweben. Die Gesammtzahl der Ausständigen beläuft sich zur Zeit auf 173.
Zur Lage des allgemeinen Ausstandes der Kürschnergehilfen Leipzigs (vergl. Nr. 43 d. Bl.) meldet die „Lpz. Ztg.“, daß die Zahl der Beschäftigungslosen, einschließlich der gleichfalls am Ausstand betheiligten Rauchwaarenzurichter, etwa 600 beträgt.
In Palermo befinden sich außer den Hafenarbeitern (vergl. Nr. 54 d. Bl.) nunmehr auch, wie der „Rh.⸗Westf. Ztg.“ mitgetheilt wird, die Bäcker im Ausstande.
Aus Marseille meldet „W. T. B.“ vom heutigen Tage, daß, infolge des Hafenarbeiter⸗Ausstandes (vergl. Nr. 55 d. Bl.), zwei dortige Zuckerraffinerien die Arbeit einstellen mußten, da sie ihre Erzeugnisse nicht verladen können.
Kunst und Wissenschaft.
½ Die von der Königlichen Akademie der Künste ver⸗ anstaltete Ausstellung von Werken des im vergangenen Sommer verstorbenen Bildnißmalers, Professors Max Koner giebt einen guten Ueberblick über das Schaffen des zu früh seiner erfolgreichen Berufsthätigkeit entrissenen Künstlers. Nicht weniger als dreiund⸗ sechzig Oelgemälde sind mit zahlreichen Skizzen, Studien und Zeichnungen zu einem geschmackvollen Ganzen in den Oberlichträumen des Akademie⸗ gebäudes vereinigt. Koner’'s Begabung gipfelte in einer feinfühligen Eleganz des Vortrags, die auf solider technischer Grundlage entwickelt war und ihn zum bevorzugten Porträtisten der vornehmen Welt machte. Unter den ausgestellten Bildern sprechen namentlich die Bildnisse Seiner Majestät des Kaisers und Königs, der Gräfin Solms⸗Baruth, Adolf von Menzel'’s, des Fürsten Lichnowsky und die beiden Gouacheporträts der Maler, Professoren Brausewetter und Eugen Bracht für die Be⸗ weglichkeit seines Talents. Gefällige Natürlichkeit muß dabei nicht selten geistige Tiefe ersetzen. Aber es soll dem Maler unvergessen bleiben, daß er mit jeder Ziererei und Pose, die das ältere Berliner Salonporträt unerträglich machten, gebrochen hat. Koner’'s letzte Arbeiten ließen, was namentlich das Brust⸗ bild von Angelina Gurlitt beweist, auf eine koloristische Weiter⸗ entwickelung schließen, der leider der Tod ein Ziel setzte. Auch dem liebenswürdigen Lehrer und vorurtheilslosen Beurtheiler fremder Tüchtigkeit gilt es, ein dankbares Andenken zu bewahren, wozu die pietätvoll arrangierte Ausstellung zweifellos beitragen wird. 8
Dr. Ernst Horneffer vom Nietzsche⸗Archiv in Weimar hielt am Sonnabend im Saale der Königlichen Hochschule für Musik vor einem sehr aufmerksamen und dankbaren, aber wenig zahlreichen Publikum einen Vortrag, betitelt „Nach Nietzsche’s Tode“. Der Vortragende suchte einen kurzen Ueberblick über die Bedeutung Nietzsche’s ür die Gegenwart zu geben, aber obwohl er betonte, daß Nietzsche's Anregungen auf dem Gebiete der Philosophie und der Kunst eine völlige Neubearbeitung aller seiner Ausführungen und eine äußerst sorgfältige Nachprüfung nöthig machten, so hat er selbst eine solche nicht vorgenommen, befindet sich vielmehr ganz im Nietzsche'schen Fahrwasser und verlangt mit ihm eine „Umwerthung“ nahezu aller Werthe. Es kann daher nicht überraschen, wenn der Vortrag eine Anzahl etwas überschwänglicher Superlative bot. Hier einige zur Probe: „Ein grenzenloses Verwaistsein sei das Gefühl der führerlosen Menge nach dem Tode des Philosophen, der das Problem vom Werth der Vahrheit zuerst gestellt, die Unentbehrlichkeit der Lüge gepredigt und so den höchsten bekannten Grad der Aufklärung erreicht habe. Unübersehbar sei die Zahl der richtigen Blicke, die Nietzsche in das Reich der Erkenntniß gethan habe; er sei nicht nur einer der muthigsten, sondern auch einer der feinsten und schärfsten Denker, vor allem ein unübertrefflicher Kenner, ja fast der Entdecker der Menschenseele. In seinem Leben sei er ein Heiliger gewesen, die europäische Geschichte habe solche Menschen lange entbehrt.“ Zu⸗ sammenfassend bezeichnete der Vortragende seinen Helden als Propheten, als Erzieher und Zuchtmeister. Allerdings knüpfte er daran die bedingte Schlußfolgerung: „Wenn Nietzsche mit seiner For⸗ derung der Umwerthung der Werthe im Recht ist, so ist eine völlige Umwandlung aller Formen unseres Lebens nöthig.“ Man wird indessen dem Todten, schon auf Grund seiner eigenen Lehre, mit solcher Ueberschwänglichkeit keineswegs gerecht. So tiefgehend Nietzsche's Wirkung auf die Gestaltung der heutigen Kunst und Literatur gewesen ist, so unhaltbar sind seine moralischen Theorien. Er selbst hat mit ihnen nicht den Anspruch erhoben, etwas un⸗ bedingt Neues zu lehren; seine Gedanken sind nur der schärfste und verfübreris hste Ausdruck für Regungen, die besonders seit dem Bekanntwerden der Lehre Darwin’'s jeden Menschen interessieren und denen der Muthige nicht aus dem Wege geht, sondern die er tapfer bekämpft und durch die er sich hindurchringen muß, um mit poller Freiheit und vollem Bewußtsein das Gute thun zu können. Nietzsche'’s Lehre ist deswegen, weil sie sich mit einer noch nie dagewesenen Kühnheit und Fonsenpens in den Gegensatz zur herrschenden Moral gesetzt hat, von nicht zu unterschätzendem Werthe; aber sie wird diese Moral nicht erschüttern und sennhen sondern läutern und festigen.
Der Publizist, Politiker und Historiker Professor Friedrich Karl Biedermann ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern früh in Leipzig gestorben. Er wurde daselbst am 25. September 1812 ge⸗ boren, studierte in seiner Vaterstadt sowie in Heidelberg Theologie
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und Philologie und habilitierte sich im Jahre 1835 für Philologie an der Universität zu Leipzig, wo er im Jahre 1838 eine außer⸗ ordentliche Professur erhielt. Im Jahre 1848 trat er in das Vorparlament zu Frankfurt und später in die Deutsche National⸗ versammlung ein, in der er den sächsischen Wahlbezirk Zwickau ver⸗ trat, und welche ihn zu ihrem Ersten Vize⸗Präfidenten und zum Mit⸗ glied der nach Berlin entsandten Kaiser⸗Deputation wählte. Auch nahm er am Nachparlament in Gotha theil und vertrat als Ab⸗ geordneter zur sächsischen Zweiten Kammer des Landtags (1849 bis 1850) den Anschluß an die Unionspolitik Preußens. Als Heraus⸗ geber der Deutschen Annalen“ (seit 1852) wurde er wegen eines gegen
den französischen Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 gerichteten
Aufsatzes in einen Preßprozeß verwickelt, in dessen Folge er seiner Professur entsetzt wurde. Im Jahre 1855 berief ihn der Großherzog Carl Alexander als Leiter der „Weimarischen Zeitung“ nach Weimar und zehn Jahre später wurde ihm die Leipziger Professur zurückgegeben. In den folgenden Jahren bethätigte er sich an der Spitze der neugebildeten nationalliberalen Partei in Sachsen in hervorragender Weise an der sächsischen Reformgesetzgebung und in der von ihm redigierten „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ als Vorkämpfer der Einigungsbewegung; auch dem Reichstag gehörte er von 1871 —74 an, zog sich dann aber mit Rücksicht auf seine wissenschaftliche Berufs⸗ arbeit vom parlamentarischen Leben zurück. Als Schriftsteller war er außerordentlich fruchtbar und vielseitig. Außer streng wissenschaft⸗ lichen Werken, wie „Die deutsche Philosophie von Kant bis auf unsere Zeit“ (2 Bände, Leipzig 1842 und 1843) und „Deutschland im 18. Jahrhundert“ (4 Bände, Leipzig 1854 1880; Band 1 und 2 in zweiter Auflage 1881) welches letztere ein allseitiges Bild der materiellen, politischen, sozialen, geistigen, sittlichen und religiösen Zustände Deutschlands im 18. Jahr⸗ hundert giebt, veröffentlichte er eine Anzahl populärer Geschichtswerke und politischer Schriften. Auch gab er H. von Kleist's Briefe an seine Braut nach den Originalhandschriften (Breslau 1884) heraus
und war, indem er einige vaterländische Dramen verfaßte, selbst 8 116“
dichterisch thätig.
Der Forschungsreisende Gentil (vgl. Nr. 49 d. Bl.) überreichte, wie „W. T. B.“ aus Paris meldet, gestern dem Minister der Kolonien Decrais den Bericht über die Umstände bei dem Tode des Forschungsreisenden Béhagle; nach demselben kann jetzt nicht mehr daran gezweifelt werden, daß Béhagle auf Befehl des Sultans Raban aufgehängt und sein Leichnam dann in einen Brunnen ge worfen wurde. “ 8 8
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Bauwesen.
A. F. In der am 27. v. M. in der „Urania“ abgehaltenen Versammlung der „Vereinigung zur Erhaltung deutscher Burgen“ machte zunächst der Vorsitzende, Architett Zodo Ebhardt, die Mittheilung, daß für die Pfingstwoche den Vereinsmitgliedern ein gemeinschaftlicher Besuch der Marksburg bei Braubach vor⸗ geschlagen werde. — Alsdann nahm der Geheime Baurath Dr. Meydenbauer das Wort zu einem Vortrage „über mittel⸗ alterliche Befestigungsanlagen“. Was uns von solchen in Deutschland erhalten geblieben, ist nach Ansicht des Vortragenden nur ein kleiner Rest eines früher vorhandenen großen Bestandes ansehn⸗ licher Bauwerke; denn gerade die bedeutendsten Städte haben längst im Interesse ihrer Ausbreitung und im Verlangen nach Licht und Luft diese alten Anlagen beseitigt und vielfach kaum daran gedacht, sie der Nachwelt wenigstens im Bilde zu erhalten. Selbst die Literatur ist arm auf diesem Gebiet, nennenswerth sind nur zwei ältere Werte. Ist doch die Werthschätzung dieser Dinge ziemlich neuen Datums und erst erwacht, als es leider nicht mehr viel zu retten und zu erhalten gab. In Preußen hat die Einrichtung der „Konservatoren“ jetzt wenigstens dem willkürlichen Schalten von Privaten und Gemeinden über solche Baureste einen Riegel vorgeschoben, und das seit 16 Jahren im Entstehen begriffene „Denkmal⸗Archiv“ sorgt dafür, die noch in der Oeffentlichkeit vor⸗ handenen Schätze älterer deutscher Kunst, darin eingeschlossen Architektur und Kunstgewerbe, der Nachwelt in getreuen Abbildungen zu erhalten. Aus dem bereits 7000 Blätter umfassenden, groß ange⸗ legten Werke führte der Vortragende hierauf durch den Bild⸗ werfer 67 Darstellungen mittelalterlicher Befestigungsanlagen vor. Sie umfassen, von der Westgrenze Deutschlands beginnend, mit wenigen Ausnahmen allerdings nur Baudenkmäler innerhalb Preußens, denn das „Denkmal⸗Archiv“ ist, wie schon gesagt, eine preußische Einrichtung. Das erste Bild gehörte jedoch den Reichs⸗ landen an und stellte in dem „deutschen Thor“ von Metz zugleich eine der ältesten, bis in das 12. Jahrhundert zurück⸗ gehenden Thoranlagen dar. Allerdings war das nächste, das „Lagerhaus“ in Trier, noch älter, da es, wie manche Bauwerke der alten Angusta Trevirorum, bis in die Römerzeit zurückreicht. Es folgten dann Andernach, Bacharach, Aachen, Köln, Neuß, die von Friedrich Barbarossa herrührende Festungsanlage von Geln⸗ hausen, Goslar, die Wartburg, Quedlinburg, Soest. Bei den Vorführungen aus Quedlinburg machte der Redner darauf aufmerksam, daß dort die ältesten, ursprünglich deutschen Bauten, frei von jeder romanischen Beeinflussung in Stil und Bau⸗ ausführung erhalten sind. Sie reichen bis in das 9. Jahrhundert zurück. Von der Moritzburg in Halle leitete die Darstellung zu den an Zahl und architektonischem Werth unerwartet reichen ostdeutschen Bauresten über. Tangermünde ist eine ergiebige Fundgrube für den Freund der Baukunst unserer Vorfahren; doch auch das an alten Thorthürmen reiche Brandenburg mochte nach dieser Seite manchem der Zuschauer eine Ueberraschung bringen, ebenso das noch mit vier eigenartig schönen Thorthürmen ausgestattete Stendal und die Stadt Königsberg in der Neumark, die deren zwei besitzt. Die Stadt des 15. Meridians, nach deren Orts⸗Mittagszeit wir unsere Uhren auf M. E. Z. regulieren, Stargard in Pommern, darf sich besonders wohlerhaltener Bau⸗Alterthümer rühmen, und in dem 1280 von den deutschen Rittern gegründeten Thorn wird innerhalb der modernen Festungsanlage ein großes Stück der mittelalterlichen Mauer pietätvoll konserviert, das zu den besonders charakteristischen Bauresten jener Zeit gehört, als die Schießscharten in den Wällen noch den Armbrüsten angepaßt wurden. Mit einer Reihe von Bildern des größten Denkmals mittelalterlicher Befestigungskunst, der Marienburg, schloß der Vortrag. Zuvor aber machte Geheimer Baurath Meydenbauer darauf auf⸗ merksam, daß das Jedermann zugängliche „Denkmal⸗Archiv“, das all⸗ mählich sich bis auf 20 000 Blaͤtter zu vermehren verspreche, noch allzu wenig benutzt und verwerthet werde. Wer immer sich über Ent⸗ stehungs⸗ und Entwickelungsgeschichte eines bestimmten Gegenstandes auf dem Gebiete der Kunst oder des Kunstgewerbes unterrichten wolle, der finde dort ausgiebige Belehrung. Wie im vorliegenden Falle die Befestigungsanlagen, so könnten auf Grund des darin vorhandenen Materials ebensowohl die Erker, die Altäre, die schmiedeeisernen Gitter u. a. zum Gegenstande von Spezial⸗Vorträgen unter Begleitung zahlreicher Lichtbilder aus dieser Sammlung gewählt werden.
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Keizeneinfuhr 8
Nach den Wochenübersichten des „Sémaphore“ betrug die Weizen⸗ Einfuhr Marseilles auf dem Seewege: in der Zeit vom 27. Januar bis zum 1. Februar . 63 933 dz, HMinhlhemmnsspp“* in der Zeit vom 3. bis zum 8. Februar . „ 1ga Hede d eeemnbhbe 11X“ in der Zeit vom 10. bis zum 15. Februar . . 119 513 davon aus Rußland WVW in der Zeit vom 17. bis zum 22. Februar. 99 263 davon aus Rußland . 11““ In den Docks und Entrepöts von Marseille befanden sich am
20. Februar 81 990 dz.
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