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fernliegen muß, in dieser Beziehung irgend welchen Druck auf den Bundesrath auszuüben, der in Widerspruch stehen würde mit unserer Aller Achtung vor der Würde und der Selbständigkeit der Bundesstaaten.
Ich kann mich also dahin resümieren, daß die Einbringung der Zolltarifvorlage in jeder Weise beschleunigt werden wird, daß ich einen bestimmten Termin für die Einbringung an den Reichstag aber nicht nennen kann und daß allen betheiligten Faktoren Zeit zu gründ⸗ licher Arbeit gelassen werden muß.
Was nun, meine Herren, den Eingang der erwähnten Resolution angeht, so habe ich sowohl im Abgeordnetenhause wie im Reichstage keinen Zweifel darüber gelassen, daß ich es als die Aufgabe und als die Pflicht der Königlichen Regierung betrachte, die Interessen unserer Landwirthschaft mit Nachdruck und allem Eifer zu fördern. (Bravo!) Ich habe, meine Herren, gleichzeitig erklärt, daß ich eine angemessene Erhöhung der landwirthschaftlichen Zölle für unbedingt geboten er⸗ achte. (Lebhaftes Bravo.) Die Königliche Staatsregierung wird bei der Vorbereitung der Zolltarifvorlage an diesem von mir dar⸗ gelegten Gesichtspunkte festhalten. (Lebhaftes Bravo.)
Ober⸗Bürgermeister Dr. Giese⸗Altona: Namens eines großen Theiles meiner politischen Freunde habe ich die Pflicht und die Auf⸗ abe zu erfüllen, zu erklären, daß wir mit der in Rede stehenden Kesolltion nicht einverstanden sind. Mit der Erhöhung der Zölle ist noth⸗ wendig eine Vertheuerung des Brotkorns, des unentbehrlichsten Nahrungs⸗ mittels, verbunden, andererseits wird durch eine Zollerhöhung die Einfuhr erschwert. Wir haben zur Regierung das Vertrauen, daß sie einen billigen Ausgleich zwischen den Interessen der Landwirthschaft und der konsumierenden Bevölkerung herbeiführen wird; aber durch die Aus⸗ übung eines Drucks auf die Regierung seitens der Landesvertretung in einer einseitigen Richtung wird der Erfüllung dieser Aufgabe nicht vorgearbeitet.
Damit schließt die Diskussion. In namentlicher Ab⸗ stimmung wird die Resolution mit 101 gegen 27 Stimmen angenommen.
Beim Etat der Forstverwaltung tritt
Fürst zu Innhausen und Knyphausen für die unveränderte Beibehaltung der bestehenden Forstakademien zu Eberswalde und Münden ein. Die heutige Strömung, welche den forstlichen Unter⸗ richt an die Universitäten verlegen wolle, sei nicht von genügendem Verständniß für die Erfordernisse einer gründlichen Unterweisung im Forstfach getragen.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein:
Meine Herren! Die Frage, welche Aenderungen in der Aus⸗ bildung der Forstbeamten eintreten solle, mußte — das war ein un⸗ abweisliches Bedürfniß — in nähere Erwägung gezogen werden. Seit einer Reihe von Jahren ist, weil die Forstlaufbahn überfüllt war, der Grundsatz festgehalten, daß alljährlich nur etwa 20 Forst⸗Aspiranten angenommen werden. Infolgedessen hat sich der Besuch bei den Forst⸗ Akademien, sowohl von Eberswalde wie von Hannoversch⸗Münden, durch preußische Forstbeamten sehr gemindert. Wenn die Zahl sich gleich vertheilte, würden auf den beiden Akademien alljährlich nur je 10 Forst⸗ Aspiranten eintreten. Beide Anstalten, vor allem Eberswalde, werden aber von auswärtigen Forstbeflissenen besucht, die in Deutschland ihre Aus⸗ bildung zu nehmen wünschen. Dazu kommt Mangel an Lehrkräften für die Schulen, auch häufiger Wechsel derselben, da viele nach Uni⸗ versitäten, Hochschulen u. s. w. abberufen werden. Tüchtige Lehrkräfte sind meist recht schwer zu bekommen. Die landwirthschaftliche Ver⸗ waltung war daher verpflichtet, der Prüfung der Frage näher zu treten, ob es geboten sei, in den bestehenden Fachschulen Aenderungen
eintreten zu lassen, um auch, soweit möglich, die Kosten der Aus⸗
bildung für die jährlich eintretenden zwanzig Forstbeflissenen zu ver⸗ nindern. Zu meinem Bedauern sind diese rein informatorischen Ver⸗
9 handlungen, ohnerachtet dieselben als streng vertraulich bezeichnet worden
sind, und ohnerachtet, daß nach keiner Richtung eine Entscheidung ge⸗ roffen ist, ohnerachtet die Frage weder eine offene, ob, wenn überall eine Anstalt eingehen würde, Münden oder Eberswalde aufzuheben sei, ob die Ausbildung an Universitäten eintreten solle oder die Verweisung
der Ausbildung der Forstbeflissenen an die Landwirthschaftlichen Hoch⸗ schulen zu erwägen sei, da Land⸗ und Forstwirthschaft gemeinsam der Bodenkultur dienen — trotzdem die Verhandlungen absolut vertraulich
sein sollten, einen lediglich informatorischen Charakter hatten, sind die⸗
selben in der Presse besprochen und gestern war eine Deputation aus Münden bei mir, die annahm, daß die Forstschule in Münden auf⸗
gehoben werden solle. Wahrscheinlich kommt in den nächsten Tagen auch eine Deputation aus Eberswalde in der Annahme, daß die Forstakademie in Eberswalde aufgehoben werden solle. Meine Herren, weder das eine noch das andere ist beschlossen. Die ganze Frage befindet sich ausschließlich im Stadium der Information,
es wird erwogen, ob und eventuell welche Maßnahmen zu ergreifen
ind, um ohne Schädigung der gesammten Ausbildung, an den erheb⸗ ichen Kosten zu sparen, oder ob man dem Beispiel süddeutscher Staaten
folgend, die Ausbildung an Universitäten einführen oder etwa die
beiden Schulen zu einer vereinigen, oder die Ausbildung an die land⸗
wirthschaftlichen Hochschulen angliedern könne.
Der gestrigen Deputation habe ich eine entsprechende beruhigende
Erklärung gegeben. Wenn nessentliche Aenderungen eintreten sollen,
wird vermöge seines Budgetrechts der Landtag mitzuwirken und dann genügende Möglichkeit haben, sich an einer Prüfung des gesammten Organisationsplans zu betheiligen.
Ein entscheidendes Wort zu der Frage hat aber Seine Majestät
der Kaiser mitzusprechen, der Sich lebhaft für diese Frage interessiert.
Einstweilen liegt für den Landtag noch kein Anlaß vor, sich mit der
Frage zu beschäftigen. Ich füge noch hinzu, daß mir als Hannoveraner
es besonders schmerzlich sein würde, wenn die altbewährte hannöversche Forstschule in Münden aufgehoben würde. Ich möchte auch glauben, daß für ihre Erhaltung sehr wesentliche Gründe in die Wagschale fallen, weil vielleicht in wenigen Theilen Deutschlands so hoch⸗ interessante und lehrreiche Waldungen in unmittelbarster Nähe liegen, wie bei der Forstschule Münden. Sorgsam wird daher zu erwägen sein, ob es nicht rathsam, das Bestehende zu erhalten aber besser auszugestalten.
Graf von der Schulenburg⸗Beetzendorf: Der Wunsch ist allgemein, daß die Akademien nicht nur nicht vorläufig, sondern über⸗ baupt nicht von den Orten verlegt werden, wo sie jetzt zum Segen der Forstwirthschaft und des Landes bestehen. Nachdem 1866 Han⸗ nover an Preußen gekommen ist, hat man geglaubt, die Akademie in Münden erhalten zu sollen. Die Akademie Eberswalde ist gegründet
auf die Walder im Sande der norddeutschen Tiefebene, die andere auf
die Wälder auf Gebirgsboden. Die Leute, welche sich dem Fobstsach 9
widmen wollen, sind in der Nähe großer Wälder am besten aufgehoben.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ tein: 1
Meine Herren! Um Mißverständnissen vorzubeugen, bin ich ge⸗ nöthigt, eine Aeußerung des Herrn Vorredners zu berichtigen. Der Herr Graf hat angeführt, es seien zu der Frage offizielle Berichte von den Behörden eingefordert worden. Das ist nicht richtig. Es hat nur eine vertrauliche Besprechung mit einer Reihe von besonders dafür geeigneten Forstbeamten, die zum Ministerium einberufen waren, statt⸗ gefunden. Irgendwelche offizielle Berichte sind von Behörden oder den Direktoren der Akademien von der landwirthschaftlichen Ver⸗ waltung bisher nicht erfordert.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Herr Graf von der Schulenburg⸗Beetzendorf hat auf die Kosten der Sache hingewiesen. Da möchte ich gleich protestieren, damit nicht der Verdacht auf mich fällt. (Seiterkeit.) Wenn es hier auf die Kosten der Verlegung ankäme, würde es nach meiner Meinung billiger sein, die Anstalten da zu lassen, wo sie sind. (Sehr richtig!) Nach meiner Meinung kommt das aber garnicht in Frage Prima facie stehe ich auf dem Boden des Herrn Vorredners, daß es. mir bedenklich scheint, die jetzt eintretende Neigung, alle diese Schulen an den Universitäten zu konzentrieren, zu unterstützen. Ich will das nicht näher ausführen; aber wir müssen doch immer, sowohl bei⸗ den Berg⸗Akademien, als bei den Forst⸗Akademien, daran fest⸗ halten, daß unsere erste und hauptsächlichste Aufgabe nicht ist, hochwissenschaftliche Männer zu erziehen, sondern praktische preußische Beamte. (Bravo!) Da wird die Frage denn auch sich so gestalten: wo haben wir die größte Garantie, das letztere Ziel zu erreichen, was ja selbstverständlich in der heutigen Zeit eine ausgiebige wissenschaft⸗ liche Ausbildung nicht ausschließt, sondern in sich schließt. An das Finanz⸗Ministerium ist überhaupt in der ganzen Frage nichs weiter gekommen, und das bestätigt ja, daß die Sache in den ersten Vor⸗ stadien war, als die Deputation, eingeschüchtert durch diese schrecklichen Gerüchte, auch zum Finanz⸗Minister kam, wahrscheinlich, weil sie befürchtete, daß dieser vielleicht das treibende Element dabei sei. (Heiterkeit.)
Herr von Bemberg⸗Flamersheim: Dutch die Heran⸗ bildung der jungen Leute in den großen Universitätsstädten würden viel mehr Existenzen geschaffen, welche nachher mit ihrem Dasein nicht zu⸗ frieden sind. Wirken wir doch dahin, daß die jungen Leute mit Be⸗ scheidenheit ausgerüstet werden und nachher praktis⸗ ihre Pflicht er⸗ füllen, nicht aber dahin, daß sie zu höheren Ansprüchen gleichsam herangezüchtet werden und dann ins Land hinauskommen, wo sie mit diesen Aspirationen ansteckend wirken müssen.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein:
Meine Herren! Ich glaube doch darauf hinweisen zu müssen, daß nach bestehender Anordnung die Forst⸗Assessoren während zweier Semester eine Universität besuchen müssen. Daneben mache ich darauf aufmerksam, daß der Herr Vorredner wohl übersieht, daß unsere Landwirthschaftlichen Hochschulen, eine in Bonn, in Poppels⸗
dorf, eine andere in Halle, die dritte in Berlin sich befinden,
alle drei in enger Verbindung mit der Universität und anderen Lehr⸗ anstalten. Diese Verbindung erscheint eine äußerst erwünschte und zweckmäßige, um den Gesichtskreis der Studierenden zu erweitern. Daraus folgt allerdings nicht, daß man die eigentlichen Fach⸗Akademien in Minden und Eberswalde nach dem Sitz von Universitäten, nach größeren Städten, verlegen müßte. In der Beziehung kann ich mich in wesentlichen Punkten den Ausführungen des Herrn von Bemberg⸗ Flamersheim anschließen.
Herr von Gordon bittet die Verwaltung um bessere Gestaltung des Angebots und der Nachfrage bei dem Verkauf des fiskalischen Brennholzes im Interesse der ärmeren Bevölkerung.
Ein Regierungskommissar erwidert, daß die Verwaltung auf das Bedürfniß der ärmeren Bevölkerung überall Rücksicht nehme: es fänden zu diesem Zwecke freihändige Verkäufe, Versteigerungen u. s. w. statt. Im übrigen Nn die Verwaltung die Aufgabe, den höchsten finanziellen Effett bei der Holznutzung zu erreichen.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein:
Meine Herren! Ich möchte zu den Darlegungen des Herrn Vor⸗ redners ergänzend hinzufügen, daß die Steigerung der Kohlenpreise, der Mangel an Kohlen die Brennholzpreise steigernd beeinflußt hat. Die Brennholzvorräthe aus dem Grenzgebiet Rußlands sollen nahezu erschöpft sein, Zufuhr von dort hat jedenfalls sehr abgenommen. Die inländischen Brennholzvorräthe sind durch eine stärkere Nutzholzaus⸗ beutung besonders zu Grubenholz eingeschränkt, dadurch hat sich das Angebot gemindert, eine Preissteigerung infolgedessen zweifellos ein⸗ getreten. Daß wir unsern Bedarf an Grubenholz selbst zu decken ver⸗ suchen, ist im Interesse des staatlichen wie des privaten Waldbesitzes thunlichst zu erstreben. Durch Tarifermäßigungen dehnt sich das Gebiet, aus welchem mit Nutzen Grubenholz abzugeben ist, immer mehr aus. Ich halte das Vorgehen der Staatsforstverwaltung in dieser Richtung für unanfechtbar richtig und werde daher keine Aenderungen ein⸗ treten lassen. Herr Ober⸗Forstmeister Wesener hat zutreffend ange⸗ führt, daß durch die früher viel zu reichliche Ausbeute an Brennholz die Abnehmer verwöhnt sind, daß sie nur Klobenholz und dieses auch in möglichster NKähe zum Wohnort verlangen. Auch die stets zu⸗ nehmende Abgabe von Schulbrennholz beeinflußt den Brennholzmarkt an vielen Orten derart, daß der vorhandene Wald den weiteren Be⸗ darf nicht zu decken vermag. Geringwerthigeres Brennholz, als Rode⸗ holz, Reisig und Knüppelholz, wollen die Leute meist nicht mal zu erheblich ermäßigten, die Werbekosten kaum deckenden Preisen abnehmen. Daraus ist zu folgern, daß die Noth nicht groß sein kann. Wer nur Klobenholz verlangt, muß auch höhere Preise zahlen. Eine ange⸗ messene Steigerung der Waldrente liegt im Interesse sowohl des staatlichen, wie des privaten Waldbesitzes. ZBeim Etat der Gestütverwaltung fordert : SDHerr von Klitzing, daß man die bestehende Körordnung nicht verschlechtere. Der Minister müsse die Mehrheit der Körkommissionen in der Hand behalten.
Ober⸗Landstallmeister Graf von Lehndorff: Die Körordnung für Brandenburg ist ein Produkt der Provinzialorgane. Gegen dieselbe hat sich allerdings eine gewisse Animosität geltend gemacht. Die weiteren Ausführungen des Redners werden im Zusammenhange nicht verständlich.
Beim Etat des Finanz⸗Ministeriums kommt
Ober⸗Bürgermeister )r. Schmidt⸗Erfurt auf die neueren Erlasse der Zentralinstanz zur Ausführung des Kommunalabgaben esetzes zurück. Mehrfach würden darin den Kommunen Maßnahmen bei der des Steuerbedarfs angesonnen, welche dem Geiste dieses
Gesetzes widersprächen. So sollten u. a. die Ausgaben für Chausseen
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ausschließlich auf die Realsteuern gelegt werden. Der Redner führt noch eine Reihe weiterer Bestimmungen dieser Ausführungsverfügungen an, die nach seiner Meinung beanstandet werden müßten, weil sie den
Hausbesitzer und den Gewerbetreibenden zu Unrecht vorbelasteten.
Zum Etat der Verwaltung der direkten Steuern liegt der oben mitgetheilte Antrag der Etatskommission vor.
Freiherr von Durant spricht für die spezialisierte Zusammen⸗ stellung der Ergebnisse der seinen Dank aus, wünscht aber, daß auch in den Einkommen über 100 000 ℳ noch einige weitere Abstufungen vorgenommen werden möchten. Im allgemeinen hätten sich nicht die kleinen, sondern die großen und ganz großen Vermögen in wünschenswerthem Maße vermehrt. Eine richtige T irthschaftspolitik allein könne hier Wandel schaffen und die Bildung möglichst vieler kleiner und mittlerer Vermögen herbeiführen. Die großen Vermögen seien mehr internationalen Charakters. Die Regierung möge daher bei ihren wirthschaftspolitischen Maßnahmen ganz besonders die Inter⸗ essen des Mittelstandes und der produktiven Stände ins Auge fassen. Es solle auch ersichtlich gemacht werden, wie viele Vermögen nicht⸗ physischer Personen gegen die vorhergehende Uebersicht verschwunden, wie viele neu hinzugekommen sind; diesem seinem im Vorjahre bereits ausgesprochenen Wunsche sei die Uebersicht leider nicht gerecht geworden.
General⸗Direktor der direkten Steuern Wallach: Den letzten Wunsch können wir nicht leicht erfüllen; es hat seine großen Schwierig⸗ keiten, diese statistischen Erhebungen bei der Steuerveranlagung mit zu bewirken. Die größere Statistik, welche neben der dem Hause zu⸗ gänglich gemachten aufgestellt und veröffentlicht wird, giebt für jeden einzelnen Stoff die bestimmten Zahlen an. Daß die mittleren Ein⸗ kommen stationär geblieben oder gar zurückgegangen wären gegenüber den höheren Einkommen, läßt sich doch auf Grund genauer Prüfung der Statistik nicht erweisen.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Ich möchte bei dieser Gelegenheit überhaupt davor warnen, auf die bloßen statistischen Zahlen hin auf Verände⸗ rungen in den sozialen Schichten des Volkes zu unbedingt zu schließen. Wenn man z. B. die Frage erörtern will, ob sich die Mittelklassen vermindert oder vermehrt baben, ihre Wohlhabenheit gestiegen oder zurückgegangen ist — da muß man erwägen, daß aus den Steuerlisten der Begriff der Mittelklassen überhaupt garnicht zu entnehmen ist. Wenn man darunter solche Personen versteht, welche auf eigene Rechnung, durch Anwendung von eigenem Kapital oder von geliehenem Kapital, das kommt nicht in Frage, und eigener Arbeitskraft ihre Eristenz finden, so ist das heute schon eine beschränkte Definition. Zu den Mittelklassen, wenn man bloß die Einnahmen betrachtet, gehört beispielsweise die Beamtenschaft, und wir wissen ja, wie sch diese Klasse in den letzten Jahren vermehrt hat und noch immer weiter vermehrt. Man kann sagen: das ist eine neue Mittelklasse, aber es ist doch nicht das, was man in der Regel unter den mehr oder weniger unabhängigen und selbständigen Existenzen der Mittel⸗ klasse versteht. Meine Herren, diese Beamtenschaft ist nicht bloß für den Staat, den Kreis, die Verbände, die Kom⸗ munen vorhanden, sondern in immer größerem Maße auch in den Grosßindustrien. Auch da vermehren sich dieselben ganz außerordentlich. Es hat das schon ganz gewaltige Aenderungen in den betreffenden Steuerstufen für die Mittelklassen hervorgeruüfen. Wie der Großbetrieb und das Großkapital auf den Kleinbetrieb und das Kleinkapital wirken, kann man aber daraus garnicht entnehmen.
Ebenso ist es aber auch mit den Schulden. Der Herr Ver⸗ redner hat sogar auf Berlin hingewiesen und gemeint, es sei dech höchst bedenklich, daß auch hier die Schulden wüchsen. Umgekehtt meine Herren, das Wachsen der Realschulden ist oft ein Zeichen von fortschreitender Blüthe und Entwickelung der Stadt. Denn wofür werden die Schulden gemacht? Vor allem für neue Gebäude, neue Fabriken u. s. w., die hier entstehen. Man würde auf den Rückgang in den Zuständen vielleicht dann einigermaßen sicher schließen können, wenn erwiesen würde, daß die Schulden auf den alten Gebäuden ge⸗ macht sind. Aber bezüglich der Gesammtheit der Schulden kann man eher aus der Vermehrung auf das Gegentheil, eine raschere Entwick⸗ lung der Stadt schließen. Selbst auf dem Lande ist das bisweilen so, aber allerdings seltener. Es sind doch schon Fälle ermittelt, wo nachgewiesen ist, daß die Schulden sehr wesentlich sich vermehrt hatten durch sehr große Meliorationen. Das können sehr vortheil⸗ hafte Unternehmungen sein, sodaß die Schuldenlast viel weniger bedeutend ist als die Erhöhung des Ertrags und des Werths der betreffenden Grundstücke. Allerdings muß ich zu⸗ geben, auf dem Lande kommt das selten vor. Wenn man genau den Ursachen der Schulden nachgeht, so wird man sie in unserem Erbrechte finden. Da wird man finden, daß die allzu hohe Bewerthung der Grundstücke, die allzu starke Begünstigung der abgehenden Erben, die allzu starke Verwendung auch zu Lebzeiten für die Ausgaben der Kinder, daß diese Umstände der Hauptgrund sind, wenn auch nicht der alleinige, der seit Jahrhunderten gewirkt hat und heute noch fortwilkt. Ich will darauf nicht näher eingehen. Im großen Ganzen wird man bei wachsenden Schulden auf ländlichen Gütern eher auf einen Rück⸗ gang schließen können, wie das bei dem städtischen Grund und Boden der Fall ist.
Ich wollte nur hervorheben, daß die Zahlenstatistik aus der Steuerlisten, wenn sie nicht durch andere statistische Aufnahmen oder durch die eigene Beurtheilung der thatsächlichen, aus der eigenen Er fahrung der betreffenden Statistiker zur Kenntniß gekommenen Ver⸗ hältnisse korrigiert wird, im höchsten Grade unsicher ist. Aber das muß ich mit meinem Herrn Kommissar sagen: im großen Ganzen kam man die Ueberzeugung aus unseren Steuerveranlagungen entnehmen, de ein starkes Aufsteigen der Zensiten aus den eigentlich arbeitenden Klaßen in die höheren Klassen stattfindet. Das kann man auch ohne Steuem wissen, wenn man sich nur um die Veränderung der Lohnverhältnisse kümmert. Dabei kann man noch einen Schritt weitergehen: sie kommen nicht deswegen eine Stufe höher oder werden steuerpflichtig, weil se die Grenze von 900 ℳ erreichen, sondern sie gehen auch weiter herauf und gelangen in die wirklichen Mittelklassen. 8
Sonst ist ja auch zweifellos, daß in den allerhöchsten Stufen die Vermögen auch wachsen, und daß die Befürchtungen, welche in sehr heftiger Weise bei der Berathung des Steuergesetzes wegen einer gang übermäßigen Belastung gerade der großen Vermögen hier im 82 hause geltend gemacht sind, in keiner Weise eingetreten sind. Diese großen Vermögen können das, was sie in Preußen an 4 zu zahlen haben, sehr wohl tragen. Meine Herren, ich vese- wir werden auch hier im Herrenhause nicht auf den 8 kommen, den Satz von 4 % in den höchsten Beträgen wieder herunter zusetzen.
Meine Herren, die Gelegenheit möchte ich gern benutzen, * Aeußerung, zu der ich durch die sehr schnelle Abstimmung 0
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Diskussion über den Antrag der Kommission nicht gekommen bin,
welcher dahin tendiert, von der Staatssteuer die Realsteuer in den Kommunen abzuziehen, nachzuholen. Diese Frage ist eine sehr alte Frage, sie ist ausnehmend viel diskutiert bei der Berathung des Steuergesetzes sowohl im Abgeordnetenhause als hier, schließlich aber in dem jetzigen Sinne, daß eine solche Abrechnung der kommunalen Realsteuern von der Staatseinkommensteuer nicht zulässig sei, ent⸗ schieden worden. Eine Veränderung in den schon damals gegebenen Verhältnissen hat inzwischen nicht stattgefunden. Die Einkommen⸗ steuer, wie ich das damals schon ausführlich hier vorhergesagt habe, muß in manchen Punkten nach den Erfahrungen revidiert werden. Wir kennen im Finanz⸗Ministerium eine Reihe solcher Punkte, die aber natürlich den Kern und den eigentlichen Charakter der Steuer nicht berühren, wo wir Verbesserungen sympathisch gegenüberstehen, wo wir uns nicht bloß an die formale Höhe des Einkommens halten und danach die Höhe der Leistungsfähigkeit entscheiden, sondern wo wir auch die noth⸗ wendigen Ausgaben, die auch in sozialer Beziehung nützlich sind, mehr in Betracht ziehen können. Beispielsweise, wenn der Staat die Mittel hat, würde es mir am sympathischsten sein, die Berück⸗ sichtigung der Kinderzahl erheblich weiter auszudehnen, sowohl was die Zahl der Kinder betrifft, als was die Höhe des Einkommens dieser Zensiten betrifft. Das entspricht auch dem natürlichen Gefühl, daß jeder, der sich verpflichtet fühlt, seine Kinder standesgemäß gut zu er⸗ ziehen, billigeren Anspruch hat, bei der Staatsleistung, welcher er ja durch seine Kinder schon sehr nützlich wirkt, berücksichtigt zu werden, als die kinderlosen Ehepaare und die Junggesellen. Wir wissen jetzt, daß eine Junggesellensteuer eine unzweckmäßige Form der Be⸗ steuerung ist; aber wir können denselben Zweck nach meiner Meinung viel sicherer und besser erreichen, wenn wir eine höhere Be⸗ rücksichtigung der Kinderzahl eintreten lassen. Ich will darauf nicht näher eingehen; doch sage ich: bei einer solchen Gelegenheit, wo auch in anderen Beziehungen das Steuersystem geändert werden soll, kann vorliegende Frage auch wieder in Betracht kommen. Mir scheint es aber bedenklich, von diesen Einzelfragen, die fast alle in ihrem Wesen zusammenhängen, einen einzelnen Punkt herauszugreifen, der an sich obendrein seine Bedenken hat. Denn, meine Herren, an und für sich ist es doch nicht richtig, daß die Kommunalbesteuerung der Staats⸗ besteuerung vorgeht, und namentlich nicht in einem Lande sind solche Abzüge dringlich, wo die gesammte Staatssteuer 5 ℳ pro Kopf be⸗ trägt, eine niedrige Besteuerung, wie sie in der ganzen Welt kaum weiter vorkommt. Man könnte sich ja auch wohl nicht beschränken auf die eigentlichen Kommunen, sondern Sie müssen bei den Kreisen, den Provinzen, bei den Schullasten, den Kirchenlasten, überall ebenso ver⸗ fahren; denn dieselben Gründe sprechen ja im wesentlichen dafür. Wie kommen Sie darauf, eine einseitige Bestimmung in dieser Be⸗ ziehung für die Urkommunen festzusetzen? Und zu welchen kolossalen Verschiedenheiten kommen Sie! Sehen Sie sich die Statistik der Realsteuern an. In der einen Stadt wird das Hauptgewicht auf die Realsteuern gelegt, dort zieht man viel ab, in andern wird wesentlich Gewicht gelegt auf eine angemessene Heranziehung der Einkommen⸗ steuer und die Realsteuer nicht recht nutzbar gemacht. Es giebt sogar Kommunen, die gar keine Realsteuern erheben; es giebt auch Kommunen, die so wohlhabend und reich sind, daß die Einwohner derselben überhaupt keine Kommunalsteuern zahlen. Die können nun nichts abziehen. Wir haben namentlich auf dem Lande ganze Bezirke, wo die ganze Besteuerung in den Kommunen ausschließlich oder fast ausschließlich auf den Realsteuern von Altersher noch beruht. Was sollen solche Kommunen anfangen, die fast ausschließlich auf Einkommensteuer angewiesen sind? Das alles führt zu solchen Ungleichheiten, daß darin schon ein sehr erhebliches Bedenken liegt, und ich fürchte, daß die Klagen der Kommunen, die in so verschiedener Art in der Staatseinkommensteuer besteuert werden, wieder bald eine neue Reaktion herbeiführen werden. Ich führe das Nur an — obwohl ja manches für den An⸗ trag der Kommission des Herrenhauses spricht —, um zu sagen, wir haben, wenn wir mal an die Reform der Einkommen⸗ steuer gehen, viel dringendere Aufgaben. Ich will aber noch etwas sagen, weil ich immer gefunden habe, es ist am besten, den beiden Häusern des Landtages gegenüber offen zu sein: ich halte es in Preußen, wo drei Fünftel aller Staatsausgaben bezahlt werden von Betrieben mit schweren Risiken und starken Schwankungen in Ein⸗ nahme und Ausgabe, nicht für gerathen, die feste, solide, direkte Staatssteuer aufzugeben oder wesentlich zu vermindern, auf welche man sich zu allen Zeiten stützen kann. Ich sage das nicht, weil es sich hier um eine solche Spezialfrage handelt, es ist für Preußen meine entschiedenste Ueberzeugung, es wäre eine leichtsinnige Finanzpolitik, die nicht allen Wechselfällen des Staatshaushalts gerecht würde, welche die Staatseinkommensteuer, die durchschnittlich nur 5 ℳ pro Kopf der Bevölkerung beträgt, ohne ganz besondere Veranlassung weiter ermäßigt. Diese Frage kommt ja einigermaßen auch bei einem anderen Punkte in Betracht, auf den ich hier aber nicht eingehen will, nämlich bei der Frage der ander weiten Regelung der Ergänzungssteuer. Diese Steuer hat zwei Zwecke gehabt, wie das hier auch im hohen Hause betont worden ist. Einmal sollte sie nach Aufhebung der Grundsteuer, der Gebäudesteuer und Gewerbe⸗ steuer, die einen festen, stabilen Steuermodus bisher für den preußischen Staat darstellten und deren Aufhebung einen großen Muth seitens der gesetzgebenden Körperschaften erforderte und die nur möglich war nach meiner Meinung in Preußen, höchstens in Deutschland, nicht aber in anderen Staaten — einen Ersatz bieten. Aber jedenfalls war es ein großes Risiko, wie auch hier im Hause sehr lebhaft betont wurde, daß es doch bedenklich sei, eine so sicher veranlagte Steuer wie die Grund⸗ und Gebäude⸗ und Gewerbesteuer preiszugeben und auf das doch immer schwankende Rohr der jährlichen Einschätzungen der Rein⸗ vermögen zu stützen. Wir konnten aber diese ganze Reform nicht durchführen, ohne die Realsteuern an die Gemeinden zu verweisen, und wollten uns nur einen größeren, stabileren Ersatz in der Ver⸗ mögenesteuer schaffen, als es die Einkommensteuer allein war. Denn daß das Vermögen viel weniger schnell sich verändert als das Ein⸗ kommen, das liegt auf der Hand. Der andere Grund war der, daß man eine verschiedene Heranziehung der Einkommen aus persönlicher Arbeit und derjenigen aus festem, vererblichem Besitz erreichen wollte. un die Einkommensteuer gerecht sein soll, muß sie diesen Charakter tragen, sonst führt sie zu den Ungerechtigkeiten. in ein Mann 8000 ℳ Einkommen von einem unverschuldeten Hause in Berlin hat, und dieses Vermögenestück nach seinem Tode an seine Kinder vererbt, so muß er anders besteuert werden als ein Arzt, in jedem Jahre auch 8000 ℳ verdient, aber seinen Kindern nach
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seinem Tode nichts hinterläßt und jeden Augenblick in seiner Arbeits⸗ kraft geschwächt werden kann, sodaß er die Steuerlast nicht mehr zu tragen vermag. Ich möchte also das hohe Haus dringend bitten — ich habe immer einen Ehrenpunkt unseres preußischen Steuersystems in der verschiedenen Heranziehung des eigentlichen Vermögens⸗ einkommens und des Einkommens aus persönlicher Arbeit gesehen —, daß es keine Beschlüsse fassen möge, welche dahin führen, diesen Grundcharakter in irgend einer Weise zu schmälern. (Sehr richtig! Lebhaftes Bravo.)
Referent Ober⸗Bürgermeister Dr. Giese wendet sich gegen die Ausführungen des Finanz⸗Ministers über die Abzugsfähigkeit der Realsteuern.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Ich will auf die Debatte nicht weiter eingehen und möchte nur 88 Gelegenheit benutzen, einige irrthümliche Angaben zu berichtigen, die sich gewissermaßen als Legende verbreitet und auch der Referent vorgetragen hat, indem er sagte, daß nämlich kein Mensch daran gedacht habe, daß die Einkommensteuer so gewaltig steigen würde. Meine Herren, die jetzt reformierte Einkommensteuer ist im Laufe der Jahre nicht mehr gestiegen, wie durchschnittlich die früheren. Halten Sie diesen Satz fest. Sie können ihn ja in der Statistik leicht bestätigt finden. Die Einkommensteuer ist allerdings gestiegen. Aber wodurch? Durch die Vermehrung der Zensiten und die Steigerung der Einkommen. Eine Steuererhöhung in dem gewöhnlichen Sinne durch neue Steuern oder höhere Prozent⸗ sätze für das besteuerte Einkommen hat in keiner Weise stattgefunden, und die Kommunen haben davon auch reichlich Gebrauch gemacht. Die Kommunen haben ein großes Interesse, daß die Staatssteuer bei ihnen tüchtig und gerecht veranlagt ist, und das ist die Hauptressource in Bezug auf die gute Veranlagung der Staatssteuer. Wenn die kommunalen Interessen nicht konkurrieren, — an den Staat denkt man in Deutschland ja im Ganzen, ich will nicht sagen, wenig, das wäre grob (Heiterkeit), aber weniger (Heiterkeit), die Kommune ist dem Deutschen am nächsten, der Staat ist weit, weit weg und Deutschland ist erst recht weit weg. Das ist leider unsere Natur, die sich auch in der Steuererhebung ausspricht.
Meine Herren, wenn wir einmal ein neues Gesetz zur Revision einzelner Punkte der Einkommensteuer vorlegen, dann werden wir ja wieder auf diesen hier fraglichen Punkt stoßen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie das Staats⸗Ministerium sich zu dieser Frage stellen wird, ob dieser einzige Punkt allein den Inhalt eines Reformgesetzes bilden soll, ob die Erfahrungen, die wir bisher mit dem Einkommensteuergesetz und seiner Anwendung gemacht haben, genügen, eine ausgiebigere Revision im Zusammenhang eintreten zu lassen. Wie zu diesen schwierigen Fragen das Staats⸗Ministerium sich stellen wird, namentlich ob es sich beschränken würde auf die eigentlichen Gemeinden und nicht auf alle steuererhebenden Kommunen, wo noch eine ganze Reihe von Kontroversen in Frage kommt — ich meine z. B. die Stellungnahme zu den Patronatslasten, die nicht so einfach sind, wie die Kommission sie sich vorstellt —, über alle diese Dinge weiß ich nichts. (Heiterkeit.)
Diese Fragen sind im Staats⸗Ministerium noch nicht vor⸗ gekommen, ich kann darüber keine Auskunft geben und bin nicht dazu berechtigt. Aber natürlich, meine Herren, Alles, was das hohe Haus beschließt, ist ohne weiteres Gegenstand der Erwägungen (Heiterkeit), natürlich auch der wohlwollenden. (Heiterkeit.)
Referent Ober⸗Bürgermeister Dr. Giese: 1892 war die Ein⸗ kommensteuer auf 80 Millionen veranschlagt, in dem vorliegenden Etat wird sie auf 175 Millionen geschätzt. Unser vorjähriger Be⸗ schluß hat die Regierung offenbar noch nicht beschäftigt; denn sonst hätte der Minister Auskunft über das Ergebniß geben müssen. Wir hoffen daher, daß der heutige Beschluß des Hauses desto gründlicher von ihr geprüft werden wird.
Die Resolution wird darauf mit großer Mehrheit an⸗ genommen.
Beim Etat der Handels⸗ und Gewerbeverwaltung erklärt 8 3
Ober⸗Bürgermeister Zweigert⸗FEssen, daß es einem Theil seiner Freunde wegen des schnellen Schlusses der Diskussion nicht möglich gewesen sei, ihre zustimmende Haltung zur Resolution über den Zoll⸗ tarif zu motivieren.
Beim Etat der Staats⸗Archive weist
Ober Bürgermeister Struckmann auf die unzulänglichen bau⸗ lichen Verhäͤltnisse des Staats⸗Archivs in Hannover hin und fragt, welche Pläne die Staatsregierung in Bezug auf den Neubau habe.
General⸗Direktor der Staats⸗Archive lr. Koser erwidert, daß nach der Ansicht der Bauverwaltung ein Umbau ins Auge gefaßt werden könne.
Ober⸗Bürgermeister Struckmann hält einen Umbau nicht für ausreichend. Derselben Ansicht sei auch die Archivverwaltung, namentlich mit Rücksicht auf den Lichtmangel.
General⸗Direktor der Staats⸗Archive D)r. Koser: Dem Licht⸗ mangel im Lesesaal ist schon vor einigen Jahren abgeholfen worden:
—
im Archive selbst sind allerdings einige dunkle Räume.
Zum Etat der Eisenbahnverwaltu ng liegt folgender Antrag des Fürsten zu Innh ausen und Knyphausen vor: den im vorigen Jahre einem Antrag der Eisenbahn⸗Kommission gemäß mit großer Majorität gefaßten Beschluß, durch welchen der Antrag, von Norden nach Emden eine direkte Vollbahn zu hauen oder doch einen Umbau dieser Strecke der Küstenbahn in der Weise vorzunehmen, daß eine Fahrgeschwindigkeit derjenigen der Vollbahnen mit Normalbetrieb entsprechend einträte, der Königlichen Staatsregierung zur Berücksichtigung überwiesen war, in diesem Jahre zu erneuern und die Königliche Staatsregierung aufzufordern, dem Beschlusse des Herrenhauses unverzüglich zu entsprechen. Ober⸗Bürgermeister Dr. Giese beschwert sich darüber, daß die Eisenbahnverwaltung dem Altonaer Hafen, dessen Eisenbahnverbindung ein Lebensinteresse für Altona bedeute, noch immer nicht genügende Aufmerksamkeit geschenkt habe. Der Altonger Hafen sei 7 km weiter entfernt als der Hamburger und besitze gleichwohl nicht die billigeren Ausnahmetarife Hamburgs, die doch selbst Harburg, das 10 km weiter liege, genieße.
Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:
Meine Herren! Ich bin gern geneigt, auf die Bitte des Herrn Ober⸗Bürgermeisters Giese einzugehen, der ganzen Angelegenheit noch einmal eine erneute Prüfung zu theil werden zu lassen, nament⸗ lich, ob die Verhältnisse gegen früher bezüglich einzelner Artikel sich so verschoben haben, daß die Bildung von Ausnahmetarifen auch für den Altonaer Hafen sich als nothwendig im Verkehrsinteresse herausstellt. Im übrigen ist aber, wie auch Herr Dr. Giese anerkannt hat, Altona von der Eisenbahn⸗ verwaltung durchaus normal behandelt worden. Es sind die Ent⸗ fernungen, die die Eisenbahn zu durchlaufen hat, für die Bildung der
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Tarife maßgebend gewesen. Aber, wie gesagt, ich bin gern bereit, noch einmal zu untersuchen, in welcher Weise man Altona entgegen⸗ kommen kann.
Die zu diesem Etat eingegangenen Petitionen des Rechtsanwalts Kohn und anderer Bürger der Stadt Dort⸗ mund bezw. des Kaufmanns Bäcker namens des Nördlichen Bürgervereins zu Dortmund, betreffend die Verwendung der für Dortmund in Ansatz gebrachten Summe zur Verlegung des Bahnhofs an die Peripherie der Stadt, soll der Regierung als Material überwiesen werden; über die Petition der West⸗ fälischen Landes⸗Eisenbahngesellschaft in Betreff der Verkehrs⸗ leitung im gemeinschaftlichen Verkehr mit der preußischen Staats⸗Eisenbahn soll zur. Tagesordnung übergegangen werden, weil der Instanzenzug noch nicht erschöpft ist.
Herr von Stein bittet, in den Warschauer D⸗Zug wieder einen Wagen einzustellen, der in Thorn Anschluß nach Insterburg hat.
Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:
Ich kann dem Herrn Vorredner mittheilen, daß die Angelegen⸗
heit in dem von ihm angedeuteten Sinne bereits in Untersuchung sich befindet.
Die Petitionen aus Dortmund werden, dem Kommissions⸗ antrag entsprechend, der Regierung als Material überwiesen. Fürst zu Innhausen und Knyphausen begründet darauf seinen oben mitgetheilten Antrag unter Verzicht auf das Wort „unverzüglich'. Die Bahn Emden —Norden liege größtentheils auf der Chaussee, obwohl sich seiner Zeit die ganze Bevölkerung gegen diese Art des Baues erklärt habel Das sei auch ein Hinderniß, die Schnelligkeit der Züge zu erhöhen.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Ich möchte zu diesem Antrage zuerst ein for⸗ melles Bedenken erheben. Wir stellen in jedem Jahre eine Liste von solchen Bahnen auf, die man zu bauen in Aussicht nehmen kann. Natürlich sind durch die Finanzen bestimmte Grenzen gezogen. Wir nehmen natürlich diejenigen Bahnen, welche im Landesinteresse die dringendsten sind oder welche die größte Aussicht auf eine Rente bieten. Denn ganz umsonst kann der Staat auch nicht arbeiten, jedes Jahr 50 bis 70 Millionen verbauen. Infolgedessen halten wir uns die ganze Liste der Wünsche und Anträge aus dem Lande vor. In gründlichen kommissarischen Berathungen wird nun erörtert: welche Bahnen können wir in diesem Jahr aufnehmen und welche müssen wir zurück stellen entweder aus finanziellen oder technischen oder anderen Gründen. Wenn Sie nun, die beiden Häuser des Landtages, anfangen — vom Abgeordnetenhause ist das meines Wissens noch nicht geschehen —, Ihrerseits eine Auswahl zu treffen, während Sie die anderen Bahnen, die wir wirklich aufnehmen, gar nicht kennen, die Dringlichkeit der Sachen gar nicht vergleichen können, würde mir das Haus da nicht Recht geben, wenn ich sage, daß dies zu bedenklichen Konsequenzen führen kann? Daß das dahin
führen kann, daß der eine, der hier im Hause mit scharfen Anträgen
kommt, der die Lage beweglich darstellt und das Ohr des Hauses findet, daß der begünstigt wird vor Vertretern von Landstrichen, die auf diese Weise nicht verfahren, die aber vielleicht viel dringendere Bedürfnisse für die Ausführung von Eisenbahnen haben? Ich will die Konsequenzen, die so entstehen können, garnicht ausführen, die muß sich jeder selber denken können. Ich würde aber gerade bei unserem Staatsbahnsystem, wo so viele Interessen mit dem Vorgehen des Staates zusammenhängen, das doch in seinen Folgen höchst bedenklich finden.
Nun war sogar in der Kommission zuerst „unverzüglich“ bean⸗ tragt, das wäre nun noch schlimmer, wenn die beiden zu⸗ ständigen Minister, welche die Liste der zu erbauenden Bahnen zusammen verabredet und aufgestellt haben, nun irgend eine Bahn aus der Liste herausstreichen müßten zu Gunsten einer hier gewünschten Linie. Aber auch wenn der Antrag so bleibt, wie er jetzt formuliert ist in der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses — so lange ich das Abgeordnetenhaus kenne, ist in solchen Fällen immer nur gesagt: Ueberweisung als Material höchstens zur Erwägung. Aber unmittelbar zur Berücksichtigung zu überweisen und so in das ganze vergleichs⸗ weise zu stande gekommene Schema der allgemeinen Liste hineingreifen, das ist im Abgeordnetenhause meines Wissens ganz unbekannt, und da es der erste Fall hier im Hause ist, so möchte ich doch dieses formelle Bedenken den Herren zur ernsten Erwägung anheimgeben.
Meine Herren, was die Sache selbst betrifft, liegt sie meines Wissens so: als die erste Bahn gebaut wurde, wurde, dem damaligen Prinzip entsprechend, Hergabe des Grund und Bodens von dem Kreise gefordert, außerdem ein Geldbetrag von 96 000 ℳ Der Kreis weigerte sich, den Grund und Boden herzugeben. Da wäre man an und für sich ja in der Lage gewesen, zu sagen: dann nicht, alle Kreise in der Monarchie müssen den Grund und Boden hergeben, wie kommen wir dazu, Euch allein davon zu befreien, das ist eine Ungerechtigkeit. Die Herren werden sich allerdings erinnern, daß hier einzelne Fälle vorgekommen sind, wo wir wegen gänzlicher Mittellosigkeit und Leistungsunfähigkeit hinterher theilweise einzelne Kreise von diesen Aufwendungen befreit haben, das ist aber immer nur, auf ganz besondere Verhältnisse gestützt, geschehen und weil wirklich die Kreise die Mittel nicht aufbringen konnten. Hier kann aber doch eine völlige Befreiung der Kreise von der Hergabe des Grund und Bodens nicht in Frage kommen, denn wenn man durch die friesischen Marschen hindurchgefahren ist, so kann man von einer besonderen Bedürftigkeit im Vergleich zu Gegenden mit schwachem Boden doch nicht sprechen.
Trotzdem sagte die Königliche Staatsregierung: wenn Ihr den Grund und Boden nicht hergeben wollt oder nicht hergeben könnt, dann wollen wir Euch den Gefallen thun und die Bahn auf die Chaussee legen. Das ist geschehen im Interesse des Kreises und auf dessen Wunsch, denn sonst wäre es natürlich für den Staat viel besser gewesen, den Grund und Boden sich vom Kreise geben zu lassen und die Bahn auf dem neuen Terrain selbständig zu bauen. Darauf verzichtete der Staat, wir legten die Bahn auf die Chaussee. Nun stellen sich Unzuträglichkeiten heraus, und da sagt der Staat: wenn ich Euch eine neue Bahn bauen soll, dann müßt Ihr wenigstens das beisteuern, was Ihr damals an Grund und Boden gespart habt; alle Kreise sind verpflichtet bei solchen Bahnen, namentlich bei Bahnen, die doch wesentlich den Charakter der Sekundärbahnen tragen, den Grund und Boden herzugeben, davon können wir Euch nicht be⸗ freien. Das lehnt der Kreis ab und sagt, Ihr müßst die C haussee
wieder frei machen, und zwar auf eigene Kosten den Grund und
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