Fhniglich sächsischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Ministerial⸗
Direktor Dr. Fischer: Meine Herren! Ich glaube es dem hohen
3 use schuldig zu sein, wenn ich den Herrn Vorredner in einem Punkte thatsächlich berichtige. Als wir glaubten, daß der Herr Vorredner mit seinen Darlegungen fertig wäre, fing er einen letzten Theil an und schilderte das Schicksal eines Wiener Glasarbeiters mit seinen Vorschüssen. Er fühlte selber das Bedürfniß, sich zu ent⸗ schuldigen, daß er noch auf diese Sache ausführlich einginge, und sagte, halb zu mir gewendet, er würde nicht auch noch diesen Fall behandelt haben, wenn nicht ein sächsischer Bevollmächtigter den Fall anders dargestellt hätte. Meine Herren, ich gestatte mir, zu kon⸗ statieren, daß ich von diesem Fall überhaupt nicht gesprochen habe, weder ich noch ein anderer Bevollmächtigter. Ich glaube, das Miß⸗ verständniß wird sich dadurch erklären, daß der Herr Abgeordnete den Heerrn Aba. Dr. Oertel mit einem sächsischen Bevollmächtigten ver⸗ wechselt hat.
Abg. Freiherr Heyl zu Herrnsheim (nl.): Das Koalitions⸗ recht der Arbeiter zu beeinträchtigen, halte ich für verwerflich, es muß aber auch das Koalitionsrecht der Arbeitgeber respektiert werden. Die Gewerkschaft der Hamburger Maurer hat den größten Terrorismus ausgeübt gegen diejenigen Genossen, welche sich für die Accordarbeit ausgesprochen haben. Auf dem letzten Parteitage wurde beantraut, die Arbeiter, welche Accordarbeit wollten, aus der Partei auszuschließen. So etwas hat ein Arbeitgeber noch niemals verlangt. Der Parteitag hat die Minorität nicht geschützt, sondern die Sache an die Gewerkschaft in Hamburg zurückverwiesen. Mit solchen Vorwürfen soll man doch nicht so einseitig vorgehen. Seit 1882 haben nach einer Arbeit des Dr. Zahn die gewerbethätigen
ersonen in Deutschland um 39 % zugenommen; ein kolossaler Auf⸗ chwung! Wir sind also unter der kapitalistischen Produktion so rasch n die Höhe gegangen, daß der gegenwärtige Rückschlag als eine ganz besonders schwere Krisis nicht charakterisiert werden kann. Es herrscht ja hier und da Arbeitslosigkeit; von einer allgemeinen Krisis kann man aber nicht reden, nur in Belgien ist eine Krisis wie in Deutsch⸗ land vorhanden, weil die Gewerkschaften die Glasindustrie dort derart geschwächt haben, daß sie ihre Fabriken an Amerikaner zu perkaufen im Begriff steht. Daß bei dieser rapiden Entwickelung unseres ge⸗ werblichen Lebens die Gesetzgebung nicht immer gleichen Schritt mit ihren Schutzvorschriften halten konnte, ist begreiflich. Aber schon die Gesetzgebung wegen Regelung der Kinder⸗ und Frauenarbeit ist ein leuchtendes Beispiel für Deutschlands Vorangehen. In Frankreich herrscht trotz Herrn Millerand noch die schlimmste Ausbeutung der Kinder⸗ und Frauenarbeit; Herr Millcrand selbst steht noch auf dem Standpunkt des elfstündigen Arbeitstages. Da sollte doch einmal ein Genesse, der an der Macht ist, zeigen, was er kann! Die Sonneberger Handelskammer wünscht, daß die Verordnung gegen die Kinderarbeit noch schärfer gefaßt werden möge, als sie ist; und diese Kammer besteht doch aus Arbeitgebern. Die bisher nech recht schwunghaft betriebene Fort⸗ schiebung der Arbeiter der Konfektionsbranche aus den Fabriken in die Werk⸗ stätten und aus diesen in die Familien wird durch die in Aussicht gestellte Gesetzgebung verhindert werden. Es wird auch möglich sein, die traurigen Verhältnisse in der Heimarbeit in der Tabackindustrie zu bessern. Vor allem wird endlich einmal eine Definition der Werk⸗ statten zu geben möglich sein. Hoffentlich werden die noch nicht be⸗ fannten Bestimmungen dieses Gesetzentwurfs dahin lauten, daß als Werkstätte jeder Raum angesehen wird, in welchem ge⸗ werbliche Arbeit verrichtet wird, gleichviel ob darin auch gewohnt, gekocht, gewaschen wird, und ob dieser Raum im Freien belegen ist. Trifft das zu, dann wird der Mißbrauch der Linderarbeit verhindert und diese menschenunwürdige Konkurrenz be⸗ seitigt werden. In der Heimarbeit ist ceigentlich das soziale Elend in größtem Maße vorhanden, da sind die Kerde auch der politischen Mißstimmung, welche wir im Interesse des Reichs beklagen. Wir haben stets die Ausdehnung der Bestimmungen über die Sonntags⸗ ruhe auch auf die Heimarbeiter in der Konfektionsindustrie ver⸗ langt. Kommt das Gesetz und wird der Schlußpassus des § 154 aufgehoben, so werden wir auch hier Hilfe schaffen können, des⸗ leichen bezüglich der Mitnahme der Arbeit nach Hause Der taatesekretär sollte erwägen, ob nicht jetzt die Bestimmungen auszufübren wären, welche im Jahr 1899 in das Krankenkassengesetz zum Schutze der Konfektionsarbeiter aufgenommen worden sind. Bis jetzt sind die Vollmachten des Bundesraths nach dieser Richtung noch nicht in Anspruch genommen. Die Schneider und Schneiderinnen haben dem Reichstag und Bundesrath ihre Wünsche in besonderen Petitionen vorgetragen; auf diesem Programm stehen keine weiteren Wünsche als diejenigen, welche p. soeben als noch zu erfüllende angedeutet habe. Sonderbarer Weise bedenken die Petenten gerade die nationalliberale Partei, die sich doch so eifrig dieser Wünsche angenommen hat, mit einer ungünstigen Zensur. In der Gastwirthöbranche haben sich die Verbältnisse in der Zwischenzeit einigermaßen zu Gunsten der Angestellten geändert. Die bevorstehende Verordnung wird nun freilich auf die Beschlüsse der arbeiterstatistischen Kommission Bezug nehmen, welche nur eine achtstündige Ruhepause befürwortet hat. 8 habe für eine neunstündige gesprochen und gestimmt und halte diese auch durchaus für nothwendig. Den Antrag, welcher der Frau die Bethöt gung auf sozjalpolitischem Gebiet obne Einschtänkung ereffnen will, bedürfen einzelne Staaten nicht, so Hessen, wo ein Vereinegesetz überhaupt nicht existiert. Mit der Thätigfeit der Frau im öffentlichen Leben überhbaupt haben spceziell die Sozialdemokraten recht schlechte Erfabrungen gemacht. Wird die gleiche Arbeitspflicht dem Manne in Anspruch genommen, so hört ja jede tigkeit der Frau in der Familie auf. Herr Auer, der offenbar
die Volksscele sehr genau kennt, hat in Mainz auf dem Parteitage ausgeführt, daß er von der politischen anotei der Frau nicht viel bält, und cremplifizierte dabei auf seine eigene Frau. Frau Steinbach hat ibrerseits gemwünscht, daß die Frauen nicht durch Genossen, sondern nur dusch Genossinnen als Delegirte gewählt werden; denn die Genossen hätten häufig von Kandidatinnen gesagt: „Ach, was sollen wir mit der? Die quatscht uns dech nur’ etwas vor!“* söͤnlich stebe ich in der Frauenfrage auf dem Stand⸗ e, daß kleine Frage auf diesem Gebiete von größerer Bedeutung
als die Redußserung des Arbeitetages von I11 auf 10 Stunden
die Erhöhung der Alteregrenze von 16 auf 18 Jahre. Der Schut der Hunderitausende von Frauen, die hier in Betracht kommen, würde zahlreichen Familien die Frau und Mutter früher om Tage sedereben. Tiese Ginschränkung der Maximalarbeitszeit der Frauen sollte so bald wie möglich eingeführt werden. Redner bedauert
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ich während der Weihnachtstage kennen lernte. Ich habe hier in Berlin zwei Schaufenster gesehen, ziemlich dicht neben einander, in denen ein Zettel mit riesengroßen Buchstaben angeklebt war; auf deren einem stand: Heute wegen Weihnachten besonders billige Preise! In dem nächsten Schaufenster stand aber auf dem Zettel: Heute ganz be⸗ sonders billige Preise! Das ist doch dasselbe Mittel, als wenn man erklärt: Ausverkauf wegen Konkurses oder wegen Todesfalls. Das heißt thörichte Leute zu dem Glauben verlocken, daß hier in der That eine besonders billige Kaufgelegenheit ist. Wie wollen Sie aber einen Kaufmann verhindern, daß er in seinem Laden einen Zettel anbringt mit der Aufschrift: Heute besonders billige Preise. Wie wollen Sie denn den Gegenbeweis führen, wenn Sie nicht das gesammte ge⸗ werbliche Leben unter Kontrole stellen wollen, daß jene Behauptung eine Täuschung ist? Die Schwierigkeit liegt eben darin, knappe juristische Kennzeichen für den Ausschluß von Schwindeleien zu finden, ohne die öffentlichen Läden geradezu polizeilich zu reglementieren.
Es sind auf Grund einer Zeitungsnotiz über Verhandlungen, die die Direktoren der Hamburg⸗Amerika⸗Linie und des Norddeutschen Lloyd in Amerika führen, gegen diese Linien hier heftige Angriffe ge⸗ richtet worden. Ich möchte demgegenüber darauf hinweisen, daß nur der Norddeutsche Lloyd vom Deutschen Reich subventioniert wird, die Hamburg⸗Amerika⸗Linie ist nur ein Nebentheilnehmer, und zwar für die Ostasiatische Linie. Die Linien, die wir subventionieren, nach Ost⸗Asien, nach Australien, um Afrika herum, haben feste Kontrakte. In diesen Kontrakten steht ausdrücklich, daß gewisse landwirthschaftliche Erzeugnisse fremder Staaten, die mit unseren landwirthschaftlichen Erzeugnissen kon⸗ kurrieren, nicht auf den Schiffen der subventionierten Linien trans⸗ portiert werden dürfen. Die Hamburg-⸗Amerika⸗Linie insbesondere er⸗ hält für ihre Verbindungen zwischen Europa und Amerika keinerlei Reichssubvention. Wir können also meines Erachtens nichts thun, als darauf halten, daß unser Kontrakt gewissenhaft ausgeführt wird. Wir geben die Subvention, die beiden Schiffahrtslinien leisten ihre Gegenleistung in der Form ihrer Fahrten, aber eine Einwirkung zu üben, meine Herren, auf den Frachtverkehr einer unsubventionierten Linie, das halte ich für nicht möglich. Der Gedanke ist angeregt worden, wir müßten den Fracht⸗ verkehr zur See sogar verstaatlichen. Ja, meine Herren, man kann ja alles verstaatlichen, man kann auch den Frachtverkehe zur See ver⸗ staatlichen; es fragt sich aber, ob reir damit den gewollten Zweck er⸗ reichen; denn wir können doch den Frachtverkehr anderer Staaten nicht verstaatlichen, und wie die Herren sehen, macht Amerika jetzt außerordentliche Anstrengungen, sich auch bessere Frachtverbindungen zur See zu schaffen.
Einer der Herren Vorredner hat auch moniert, daß das Fleischschau⸗ gesetz noch nicht oder doch erst in einer Bestimmung ausgeführt sei. Zu meiner großen Freude hat der Herr Vorredner anerkannt, welche ausgezeichnete Verwaltung in Sachsen bestehe. Ich erkenne das eben⸗ falls an; ich freue mich immer, wenn eine verbündete Regierung hier im Hause einmal gelobt wird. Ich habe mich über dieses Lob um so mehr gefreut, als die ausgezeichnete sächsische Verwaltung in doch er⸗ heblich kleineren Verhältnissen als im Deutschen Reich, wo man mit 26 Bundesstaaten die Frage behandeln muß, volle zwei Jahre zur Ausführung ihres Fleischschaugesetzes gebraucht hat. Meine Herren, diese Frage liegt zunächst auf chemischem Ge⸗ biet. Auf diesem Gebiete haben wir im Schoße des Kaiserlichen Gesundheitsamts sehr eingehende Studien gemacht, welche Zusätze, welche Konservierungsmittel, welche Färbemittel zu verbieten sind. Die Ausführung liegt aber auch auf zolltechnischem Gebiet, wo festzu⸗ stellen ist, an welchen Stellen des Deutschen Reichs der Fleischverlehr überhaupt noch stattzufinden hat. Ich kann den Herrn Vorredner zu meiner Freude beruhigen, daß wir bereits neun Verordnungen ent⸗ worfen haben, die zum theil sehr umfangreiche Druckwerke sind; die⸗ selben liegen zur Zeit dem Bundesrath zur Beschlußfassung vor. Ich bin zu höflich, um Ihnen die Titel der Verordnungen im einzelnen vorzutragen; aber der Bundesrath beschäftigt sich zur Zeit mit diesen Verordnungen, und wenn sie beschlossen sind, dann ist in der That
alles geschehen, um das Fleischbeschaugesetz alsbald ins Leben treten zu lassen.
Ein Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei hat gestern wiederholt bemängelt, was denn eigentlich Großes auf dem Gebiet der Altersversicherung, der Unfallversicherung geschehen sei; es wäre dech berzlich wenig, und auch ein anderer Abgeordneter der bürgerlichen Parteien hat meines Erinnerns gesagt, diese beiden Gesetze wären doch nur eine Art Beiwerk. Das ist ein Irrthum, die beiden Gesetze stellen in der That die beiden großen sozialpolitischen Versicherungs⸗ gebiete auf eine volllommen neue Grundlage, und wie die Gesetze wirken, meine Herren, geht daraus hervor, daß die jetzt schon in⸗ folge dieser Novelle auf die gewerblichen Arbeitgeber mehr entfallende Last jährlich fast 10 Millionen beträgt, ganz genau 9,9 Millionen. Ich meine, das ist immerhin keine kleine Leistung, die man den Unternehmern auferlegt hat.
Es ist gestern auch wieder die Forderung gestellt worden, wir sollten die Leichenverbrennung in Deutschland fakultativ zulassen.
schließlich, daß die Strikestatistik nur von den Polizeibehörden auf⸗ genommen sei.
Stoatssekretär des Innern, Staate⸗Minister Dr. Graf von Posadowoky⸗Wehner:
3 Meine Herren! Es ist uns von einem der Herren Vorredner der Borwurf gemacht worden, daß wir das Gesetz über den unlauteren Weltbewerb nicht genögend aukgeführt bätten, und man bat bei einer anderen Gelegenheit hinzugesetzt: „Mein Herr Staatssekretär, mehr Dampf!“ Ich weide nie eine gleiche Aufferderung an das hobe Haus richten: „Meine Herren Abgeordneten, mehr Dampf!“ Wenn
auch die Berathung eines Gesetzes noch so lange dauert, werde ich
doch anzunehmen suchen, daß es sachliche Schwierigkeiten sind, die eine sschnellere Förderung der Arbeiten nicht zulassen.
8. Wenn die Herren unseren Stud en beiwohnten, würden sie sich sehe bald überzeugen, wie unendlich schwierig es ist, in dieser Be⸗ ehung Verordnungen zu erlassen, die nicht gleichzeitig für das Ge⸗ mwerbe unter Umständen gerarezu schädlich sind. Hert Roesicke (Dessau) hat uns das geftern auf einem Gebiete schlagend bewiesen.
Man hat sehr gekadelt, daß die unrrellen Ausverkäufe weiterdauern. Ich will den Herren ein prakrisches Beispiel geben, wie schwierig cs ist, solche Bestmmungen juristlisch ausreschend zu fassen, ein Beispiel, welches
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Das halte ich für durchaus undurchführbar. Das einzige Recht, welches uns einen Titel geben könnte, in Deutschland die Leichenver⸗ brennung einzuführen, ist der Artikel 4 Nr. 15 der Reicheverfassung, nach welchem die Medizinal⸗Polizei der Gesetzgebung des Reichs unterliegt. Darüber kann zwar lein wissenschaftlicher Zweifel sein, daß die Verbrennung einer Leiche und namentlich einer infektissen Leiche immer das sicherste Mittel ist, Ansteckungsstoffe zu vernichten. (Sehr richtig! links.) Man kann aber zur Frage der Leichen⸗ verbrennung religiös oder hogienisch steahen, wie man will, so wird man doch Eines zugestehen müssen: wenn wir auf Grund des Ait. 4 Nr. 15 der Verfassung die Leichenverbrennung reichegesetzlich einführen wollten, so könnten wir dieses nur obligatorisch tbun. Entweder müssen wir anerkennen, daß die Bestattung der Leiche durch Fener eine boygienisch so wichtige Maßregel ist, daß sie allgemein durchzuführen ist — oder wir sagen: die Leichen⸗ verbrennung kann unter Umständen nützlich sein, sie kann ihre hogieni⸗ schen Vortheile haben, dann sind wir aber unmöglich in der Lage, darauf hin eine fakultative Leichenverbrennung einzuführen. Wenn wir das wollten, müßten wir im Reiche die Berechtigung haben, überhaupt das ganze Beerdigungswesen reichsgesetlich iu verordnen. Aber die Form der Beerdigung ist unzweifelhaft auch
ein Theil des religiösen Kultus, und Kaiser Joseph I1. bat seiner Zeit die Erfahrung gemacht, was eg heißt, entgegen der allgemeinen
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Volksauffassung, zwangsweise auf diesem regeln durchzuführen. nicht beschreiten, und ich glaube, es giebt dem Gefühl Ausdruck, welches in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes ohne Unterschied der Konfession herrscht, wenn seiner Zeit Jakob Grimm über unsere Form der Bestattung sagte:
Unleugbar sagt es dem nächsten menschlichen Gefühl zu, daß die Leiche unangetastet und sich selbst überlassen bleibt. Deckt sie der Lebende mit Erde oder birgt er sie tiefer in der Erde Schoß, so geschieht seiner Pflicht Genüge, und es tröstet ihn, daß der ge⸗ liebte Todte noch unter dem nahen Hügel weile. Dem Todten hat sich das Auge wie im Schlafe geschlossen, er heißt ein Ent⸗ schlafener; es ist kindlichem Glauben gemäß, daß er aus diesem Schlummer wieder erwachen werde. Wer wollte den Schlummernden verletzen?
Ich glaube, was hier Jakob Grimm, dieser tiefe Kenner deutscher Volksgebräuche und deutscher Volkssitten, ausgesprochen hat, ist auch heute noch das überwiegende Gefühl der deutschen Bevölkerung (sehr richtig! rechts), und man sollte sich hüten, gesetzlich in diese Frage einzugreifen, ganz abgesehen davon, daß das Reich hierzu nicht kom⸗ petent ist.
Den Ausführungen des Redners der sozialdemokratischen Partei über die Verhältnisse in den Glasfabriken bin ich mit Aufmerksamkeit gefolgt — ich folge den Reden der Herren immer mit Interesse, wenn ich aus ihren Reden ersehe, daß sie mit sachlicher Ruhe wirklich aus der praktischen Kenntniß der Dinge gehalten sind. Ich werde Anlaß nehmen, auf Grund der Thatsachen, die hier mitgetheilt sind, neuerdings in die Prüfung der Frage ein⸗ zutreten, ob es möglich ist — ich kann selbstverständlich nichts ver⸗ sprechen —, daß im Hinblick auf die 22 Fabriken, wo bereits die Sonntagsruhe eingeführt ist, die bestehenden Vorschriften über die Sonntagsruhe in den Glasfabriken einer neuen Regelung unterzogen werden. Was die Krankenversicherung der Heim⸗ arbeiter betrifft, so sind wir bereits mit Vorarbeiten auf diesem Ge⸗ biete beschäftigt. Ich hoffe, daß sie zu einem Resultat führen werden. Ebenso soll den Gewerbeaufsichtsbeamten für ihre nächste Bericht⸗ erstattung die Aufgabe ertheilt werden, sich über die Frage der zehn⸗ stündigen Arbeitszeit der Frauen in den Fabriken zu äußern. Auf Grund des Materials wird man sich ja ein weiteres Urtheil zur Sache bilden können.
Der Herr Abg. Freiherr von Heyl ist schließlich noch auf die An⸗ griffe zu sprechen gekommen, die in der Presse gerichtet sind gegen die Art, wie die Strikestatistik von dem reichsstatistischen Amt aufgestellt ist. Ich möchte mir zunächst gestatten, darauf hinzuweisen, daß es in den Erläuterungen zu dieser Strikestatistik wörtlich heißt:
Da die Behörde, welcher die Aufstellung der Nachweisung ob⸗ liegt, bei Sammlung der in dieselbe aufzunehmenden Angaben im wesentlichen auf Erkundigungen ihrer untergeordneten Organe bei den Betheiligten angewiesen wird, so bestimmt eine besondere Vor⸗ schrift, daß bei diesen die Interessen der Arbeitgeber und Arbeit⸗ nehmer gemeinsam berührenden Fragen beide Theile gleichmäßig be⸗ rücksichtigt werden sollen.
Und es heißt außerdem noch, daß dabei zufolge genereller Anordnung die Gewerbeaufsichtsbeamten in thunlichst weitem Umfange betheiligt werden sollen. Dadurch schon scheint es mir ausgeschlossen, meine Herren, daß hier eine tendenziöse Bearbeitung dieser wichtigen Frage stattfindet.
Ich gestatte mir aber ferner, mitzutheilen, daß im Kaiserlichen Statistischen Amt 44 gewerlschaftliche und sonstige Facheitschriften sorgfältig daraufhin durchgelesen werden, ob in ihnen Nachrichten über den Ausbruch oder die Beendigung von Arbeitsstreitigkeiten enthalten sind. Finden sich irgend welche Differenzen auf diesem Gebiete, so werden in jedem Fall Rückfragen gehalten.
Die Zahl der stattgehabten Strikes hat im Jahre 1899 1336 be⸗ tragen; davon sind in 51 % der Fälle Rückfragen gehalten. Im Jahre 1900 betrug die Zahl der Strikes 1462 und sind in 76 % Rückfragen gehalten, und 1901 betrug die Zahl 1360, und es sind in 48 % Rückfragen gehalten. Die Anfragen werden auch nicht an die Polizeiorgane gerichtet, sondern an die höheren Verwaltungobehörden.
Ich glaube hiernach, daß jene Angriffe nicht berechtigt sind. Soweit es überhaupt möglich ist, sucht das reichestatistische Amt in durchaus objektiver Weise die Thatsachen zu ermitteln.
Abg. Schlumberger (nl) wendet sich gegen die Ausführungen des Abg. Wurm in der letzten Sitzung in 86. seinen Betrieb und bestreitet, daß er in seinem Betriche eine übermaßige Arbeitezcit eingeführt babe. würden alle gesctzlichen Vorschriften in seinem Bekriebe befolgt. Er unterwerfe sich den Gewerbe⸗Inspektoren, den Sozialdemokraten aber nicht. Die Gewerbe⸗Inspektoren, die Ende der 1880er Jahre neu in ihre schwierige Stellung bineingekommen seien, seien „voraussetzungeles“ geworden, und je mehr sie es würten, um so mehr dienten sie den Interessen der Arbeiter Aber er werde niemals anerkennen, die Sozialdemokraten rie Ausführung des Gesetzes selbst in Hand nehmen. Da für seien die Aufsichtebeamten der Regierung da, über jeder Partei und Interessenvertretung ständen. Vaten gewännen sie das Zutrauen aller Parteien. Am soztalen Frieden 2. alles gelegen. Sei aber dieser Friede da, so müßten sich die unz een Elemente ₰ neuem Agitationsstoff umschen, hoffentlich werde ihre Phanlasie dazu ausrrichen. Geogen die arbeitsliebenden Arbeiter werde eine Tvrannei geübt, die sie sich auf die Dauer nicht gesallen lassen würden. Seien denn alle Unternehmer von vornberein Verbrecher? Bis auf weiteres halte er, Redner, sie für ebenso bercchtigt und ebenso des ichen
Schutzes bedürftig wie alle übrigen Glieter des Deutschen K”
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Gebiet irgend welche Maß⸗ Ich glaube also, wir werden diesen Weg
(Schluß aus der Ersten Beilage.) 8
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Abg. von Massow (d. kons.) weist den Vorwurf zurück, daß die Rechte die Freizügigkeit antasten wolle. Bedenklich seien aber die Lasten, die durch die Bestimmung über den Unterstützungswohnsitz den ländlichen Gemeinden erwüchsen. Ein Arbeiter, führt Redner aus, wollte zum „Vulkan“ nach Stettin, und nach vier Monaten bekam der Gutsherr eine Rechnung über 243 ℳ Krankengeld. Wir sorgen und bezahlen für diese Leute, darum sind wir die eigentlichen Ver⸗ treter der Arbeiter; die Sozialdemokratie verrichtet nur Maulwurfs⸗ arbeit. Wir beschäftigen die Arbeiter weiter, die Industrie wirft sie hinaus, wenn sie sie nicht braucht. Handelte die Industrie wie die Landwirthschaft, so hätten wir keine Arbeitslosigkeit. Die Kommune Berlin hat neuerdings für ihre Wasserwerke verfügt, daß bei der Einziehung zu längeren militärischen Uebungen das Arbeits⸗ verhältniß aufgelöst und der Arbeiter entlassen werden soll. So etwas kommt bei uns in der Landwirthschaft nicht vor. Sehen Sie sich doch die erbärmlichen Wohnungsverhältnisse in Berlin an, wo beinahe 5000 Räume nicht heizbar sind. Bei
Wohnung mit allem Zubehör.
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uns bekommt der Mann eine freie Ein Drittel seiner Arbeitszeit muß der städtische Arbeiter aufwenden für die Aufbringung der Miethe. Ich muß das sagen, damit das ewige Gerede über diese Dinge endlich aufhört. Redner zählt die Vortheile auf, welche die Arbeiter auf dem Lande beim Großgrundbesitzer sonst noch hätten, z. B. freien Arzt, Naturalien u. s. w., und fährt dann fort: Die Herren sprechen von der Wasser⸗ vorlage. Wir sagen aber, das Hemde ist uns näher als der Rock. Denkt man etwa daran, uns das Grundwasser wegzubringen? Welche Kirchen⸗ und Schullasten haben wir! Mein Nachbar hat über 20 000 ℳ für eine neue Schule ausgeben müssen. Und dann die unerträglichen anderen Lasten, die ungünstigen Tarife u. s. w. Die Sozialdemokraten setzen über die Verhältnisse der Landwirthe unwahre Behauptungen in die Welt, wie die „Hunnenbriefe“. Ich bin stolz darauf, ein Junker zu sein, denn ich sitze neben Leuten, die für das Vaterland Dienste geleistet haben. Hier saßen Leute wie Moltke und andere. Man hat Vorwürfe gegen den Grafen Mirbach gerichtet. Kümmern wir uns darum, ob Herr Singer auf Gummirädern oder in Gummischuhen in den Reichetag kommt? Wer sitzt denn in den Logen, wenn das Lied von der Donna Teresa gesungen wird? Lassen Sie doch Herrn von Mirbach in Ruhe; er ist ein sehr anständiger Mann. Wir bekümmern uns auch nicht um die Juden da draußen. Millionen Thränen im Deutschen Reich wären nicht vergossen worden, wenn sich seiner Zeit das Rothe Meer früher über den Juden geschlossen hätte. Wollte ich Herrn Bebel so antworten, wie er es verdient, so würde ich einen Ordnungsruf bekommen. Ich kann nur andeuten, was ich meine, durch die Anekdote, in der ein Herr zu einem Droschkenkutscher sagte, wenn er sich noch einmal so elwas erlaube, so würde er grob werden, und die Antwort erhielt: „Ach, Herr Baron, Sie können ja garnicht so grob werden, wie ich vertragen kann.“ Wer sitzt denn in den Nachtcafés? Nicht die Kavallerieoffiziere, sondern diejenigen, welche sich Jahrtausende hindurch das Kainszeichen nicht von der Nase gewaschen haben.
Abg. l)r. Weißenhagen (Zentr.) weist an der Hand der Be⸗ richte der Fabrikinspektoren darauf hin, daß die Zahl der verheiratheten Arbeiterinnen sich seit 18955 bis 1899 um 21 % vermehrt habe; rechne man dazu noch die übrigen Betriebe, so betrage der Zuwachs sogar 26,2 %. Diese Zahlen seien geeignet, das Interesse der Regierung und des ganzen Volkes in Anspruch zu nehmen. Die Püehber it der Frau müsse auf das Familienleben zerstörend wirken.
ie Fran habe während des Tages keine Zeit, für ihre Kinder zu sorgen, und die künstliche Ernährung müsse die Sterblichkeit der Kinder vermehren. Das sei eine nationale Frage allerersten Ranges. Wenn man diese Gefahr nicht beseitigen könne, könne man nicht wenigstens den Strom eindämmen? Heute betrachteten die Ar⸗ beiter die Arbeitskraft ihrer Frauen als Heirathsgut, als Mitgift. Die jungen Arbeiter verheiratheten sich ohne einen Pfennig Geld, leichtsinnig, ohne die materiellen Falgen zu bedenken. Redner tritt schließlich für verstärkten Schutz der Wöchnerinnen ein.
Gegen 6 ¾¼ Uhr vertagt sich das Haus. Dienstag 1 Uhr. (ZJesuiten⸗Interpellation; heutigen Berathung.)
Nächste Sitzung Fortsetzung der
Preußischer Landtag. 8 Haus der Abgeordneten “ Sitzung vom 25. Januar 1902, 11 Uhr.
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Die zweite Berathung des Staatshauohglte Etats für 1902 wird bei den einmaligen und außerordent⸗ lichen Ausgaben der Domänenverwaltung fortgesetzt.
Zur Vermehrung und Verbesserung der Arbeiter⸗ wohnungen auf den Domänen sind 250 000 ℳ aus⸗
esetzt, das sind 500 000 ℳ weniger als im Vorjahre. Der Fom zur Erwerbung von Domänen wird wie bioher mit 700 000 ℳ auosgestattet.
Die Abgg. Bolik (Zentr.) und Genossen beantragen, für die Arbeiterwohnungen 500 000 ℳ mehr und dafür in den letztgenannten Fonds 500 000 ℳ weniger einzustellen,
Berichterstatter Abg. von Pappenheim führt aus, daß die Ausgabe für die Arbeiterwohnungen mit Rücksicht auf die Finanzlage dieszmal um 500 000 ℳ niedriger angesetzt worden sei als im Jahre. Der Antrag Bolik sei in der Kommission zwar formell nicht gestellt, aber sachlich erörtert worden. Die Winanzverwaltung ha
daß dieser Posten entsprechend erhöht werden solle, sobald die age ceh
Abg. von Savigny (Zentr.):
gestatte. Die 12 der A n Arbeiterwohnungen, wie sie im vorigen Jahre erfolgte, ist durch Verbältnisse bedingt, und es ist zu bedauern, daß sie in diesem Jahre so bedeutend vermindert worden ist. Die rwalt :riennt selbst an, daß es angebracht ist, in beschleunigtem po wö- dem Bau von Arbeiterwohnungen vorzu ie 2255 ist eine der wichtigsten Aufgaben Sozzal⸗ „ Hier dürsen wir keinen Stillstand, am wenigsten einen Rück⸗ itt eintreten lassen. Wir haben diese Fürsorge sietz für die länd⸗ Uichen wie füör die Industricarbeiter bekundet. So könnte bei der Auftbeil der Domäne Dahlem bei Berlin ein größercs Terrain ese⸗ ausgeschaltet werden. Auch sind wir 2 die großen bei den Versichern stalten aufgespeicherten Fin⸗ zu Darl füͤr den gleichen . nutzbar gemacht werden. wir also mit der eenes ater den Iweck einig, so bandelt e8 nur — . — 1egs 2⸗ kann. vorgeschlogen, tel zur Erwerbung
zu entnehmen. rechtlich scheint mir dies un ich und nicht ne * Ankauf neuer Domänen Ver.
nicht rdet. In diesem Titel ist bemerkt. . Einrichtung von verwandt wer solle.
u dieser Ginr kann man
und daraus — t sich unser Ant Die lichen Arbeiterstandes fellte unserere
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Berlin, Montag, den 27.
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dient in erster Linie die Schaffung geeigneter Wohnungen. Die Domänenverwaltung als Musterverwaltung sollte mit gutem Beispiel vorangehen. 1— 16
Abg. Dr. Hirsch⸗Berlin (fr. Volksp.): Solche Vorschläge sollten nicht zur Parteisache gemacht werden. Jede Partei hat ein Interesse an der Förderung der Wohnungsfrage. Es muß einen sehr ungünstigen Eindruck machen, daß die Verwaltung den Ausgabetitel für die Arbeiterwohnungen so bedeutend in diesem Etat ermäßigt hat. Dies ist um so auffälliger, als in der Thronrede die Wichtigkeit der Wohnungsfrage betont ist. Dieser Abstrich ist also eine Inkonsequenz und Inkongruenz. Die 500 000 ℳ hätten in der jetzigen Zeit beim Bau neuer Wohnungen vielen Arbeitern Be⸗ schäftigung gegeben. Wir beklagen es, daß die Regierung diesen Ab⸗ strich nicht ganz oder wenigstens theilweise vermieden hat. Wenn der Antrag des Zentrums etatsrechtlich nicht wohl gangbar sein sollte, so können doch andere Mittel flüssig gemacht werden. Wie ich höre, soll der Antrag zurückgezogen werden; sonst hätte ich die Zurückverweisung an die Budgetkommission beantragt. Hoffentlich ist wenigstens für die kommende Periode eine Erhöhung der Ausgaben möglich.
Inzwischen ist ein Antrag der Abgg. Dr. Friedberg (nl.), Dr. Hirsch und Ehlers (fr. Vgg.) eingegangen, die Staats⸗ regierung zu ersuchen, in den nächsten Etat wieder eine erhöhte Summe einzustellen. 8
Geheimer Ober⸗Finanzrath Belian bittet, den Antrag Bolik ab⸗ zulehnen; es sei bedenklich, einem Titel eine Summe zu entnehmen und einem anderen zuzusetzen. Unter „erster Einrichtung für Domänen“ könne nicht verstanden werden, daß, man diese Mittel zu Arbeiter⸗ wohnungen verwende. Das widerspreche dem Geiste dieser Position. Dem Bau von Arbeiterwohnungen lege auch die Regierung eine hohe Be⸗ deutung bei, das bewiesen die hohen Summen, die dafür in den Bergwerks⸗ und Eisenbahn⸗Etat eingestellt seien. Gerade der Finanz⸗ Minister habe an dieser Frage ein sehr hohes Interesse, wie seine Etatsrede beweise; der betreffende Fonds sei bei günstiger Finanzlage fortdauernd verstärkt worden. Durch diese Bewilligung würden die Wohnungsverhältnisse bei der Domänenverwaltung außerordentlich verbessert. Der Minister bedauere außerordentlich, daß er diesmal nicht mehr thun könne; er habe aber mehr Mittel, als ursprünglich beab⸗ sichtigt, bewilligt und werde es weiter thun, sobald es die Finanzlage gestatte. Etatspositionen gegen den Willen der Regierung zu erhöhen, widerspreche dem Herkommen. 1 —
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (kons.): Auch wir bedauern, daß die Domänenverwaltung für diesen Zweck eine niedrigere Summe eingestellt hat als im vorigen Jahre. Die Bedenken gegen den Antrag Bolik sind schon dargelegt worden. Alle solche Versuche sind bisher nicht gelungen. Die Kürzung des Titels 3 würde dem Zweck desselben widersprechen. Wir können in diesem Jahre an dem Etat nichts ändern; dagegen werden wir gern der vorgeschlagenen Resolution zustimmen. Wir können wohl darau rechnen, daß die Staats⸗ regierung im nächsten Jahre wieder höhere Mittel in den Etat ein⸗ stellt. Wir sind mit Ihnen einverstanden, daß der Bau von Arbeiter⸗ wohnungen aus politischen und sozialen Gründen wünschenswerth ist; wir können aber aus etatsrechtlichen Gründen für den Zentrumsantrag nicht stimmen. 1s
Abg. Dr. Friedberg (nl.): Den von der Regierung aufgestellten Grundsatz, daß dem Verkauf von Domänen Ankäufe in gleichem Um⸗ fange entsprechen sollen, kann ich nicht theilen. Gegen den Willen der Regierung eine solche Erhöhung eines Titels vorzunehmen, würde ich etatsrechtlich für bedenklich halten. Wir hoffen, daß im nächsten Etatsjahr es möglich sein wird, höhere Mittel zu gewähren, und darum haben wir unseren Antrag eingebracht, der wohl einstimmige Annahme finden wird. Ich möchte nur fragen, ob es sich nicht durch eine Umfrage feststellen Ueße, wie groß das Bedürfniß nach Arbeiter⸗ wohnungen ist.
Abg. von Savigny zieht nunmehr den Antrag seiner Freunde zurück.
Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten von Podbielski:
Der Anregung des Herrn Abg. Dr. Friedberg vermag ich leider nicht ganz zu entsprechen. Meine Herren, wer die landwirthschaft⸗ lichen Verhältnisse kennt, wird mir zugeben, und ich glaube, auch Herr Dr. Friedberg wird mir zugeben müssen, daß durch eine Umfrage un⸗ endlich viel Wünsche rege gemacht werden. Mancher Stall würde vielleicht noch manches Jahr stehen; wenn aber gefragt wird: ist ein Bedürfniß für einen Neubau vorhanden? dann wird natürlich der Pächter sagen — ich wenigstens würde es an seiner Stelle sagen —: ich wünsche einen noch besseren Stall. Damit würde das nicht erreicht werden, was die Herren wollen: eine Einsicht in das wirklich vorhandene Bedürfniß. Es würde damit meines Erachtens nicht das klare und volle Bild dessen gegeben, was zur Zeit absolut nothwendig ist, sondern es würden nur eine Menge von Wünschen iege gemacht. Ein Stall, in dem bheute vielleicht die Kühe angebunden werden, soll zu einem Tiefstall umgebaut werden: der betreffende Pächter hat auf einer anderen Besitzung einen schönen Pferdestall gesehen und sagt nun natürlich: ich muß einen andern Pferdestall haben, und erst recht würde es mit den Wohn⸗ häusern so gehen. Kurzum, wir müssen in der Sache Maß halten, und ich meine, man soll nur das bauen, was durchaus nothwendig ist, macht man uns doch so wie so schon häufig den Vorwurf, daß wir zuviel und zu theuer bauen, und ich kann nur die Versicherung ab⸗ geben, daß wenigstens nach dem, was ich bis jett geseben habe, unsere Domänengebäude in der Summe in einem recht guten Zustande sind, wobei ich vollständig das zugebe, was Herr Dr. Hirsch ausgeführt hat, was auch meinen Wünschen voll entspricht: wir müssen für die Arbeiterwohnungen mehr sergen. Aber, wie gesagt, eine Umfrage möchte ich nicht halten, ich glaube, damit würde nicht das richtige Bild für das hohe Haus geschaffen werden.
Nach einer kurzen Erwiderung des Abg. Dr. Friedberg wird der Titel für Arbeiterwohnungen unverändert mit großer Mehrheit angenommen, ebenso der Antrag Friedberg.
Ueber den Titel „700 000 ℳ zur Erwerbung und ersten Einrichtung von Domänen und Domaänen
rundstücken“ chtet Abg. von Pappenheim und antragt, die Denkschrift üder die Veräußerungen und Er werbungen von Domänen durch Kenntnißnahme zu erledigen
Abg. Friberr von Grffa (kens.) Die tung dat einen größeren Abeil des Domänenbesites in
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usterwirtbschaf unden 5 br 2 8 M ibschaft run 2 ner . vn dem Vfaosc büse .den recht 8 zu 3 K Fi
en Staats⸗Anze
8
des bisherigen Vorgehens nicht tadeln, aber sie bitten, das bisherige Tempo zu retardieren. Die Aufrechterhaltung unwirthschaftlicher Besitzungen wünsche auch ich nicht; aber im Großen und Ganzen ist in meiner Heimathprovinz die Vertheilung des Grundbesitzes eine durchaus ge⸗ sunde. Ein zu starker Kleinbesitz ist dort um weniger gut, als ein allzu großer Grundbesitz. Es wäre bedenklich, in den östlichen Pro⸗ vinzen zu kleine Domänen zu gründen, die sich nachher nicht rentierten. Ich möchte deshalb den Minister bitten, jetzt, nachdem bereits 6 % des Domanialareals verkauft sind, iu langsamerem Tempo vorzugehen.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Podbielski:
Meine Herren! Ich verstehe ebenso wie mein Herr Amtsvo gänger die Gefühle, die den Herrn Vorredner beseelen, den Besitzstand an Domänen in der Provinz Sachsen möglichst zu erhalten; ich glaube aber auch, daß das Versprechen meines Herrn Amtsvorgängers erfüllt worden ist. Aus der mir hier vorliegenden Zusammenstellung ergiebt sich, daß im Jahre 1899 eine Domäne, im Jahre 1900 drei und im Jahre 1901 zwei Domänen in der Provinz Sachsen verkauft sind; gegenüber dem Areal von 52 000 ha an Domänen in der Provinz Sachsen sind 3145 ha verkauft worden. Ich möchte hierbei darauf hinweisen, daß betreffs einzelner Domänen, wie dem Herrn Vorredner wohl bekannt ist, zur Zeit noch Verhandlungen schweben.
Es ist die eine Domäne, von der er selbst zugegeben hat, daß sie eigentlich nicht für den Großbetrieb geeignet ist, daß sie besser von bäuerlichen Besitzern verwaltet wird. Es ist eine Gemeinde Kühn⸗ dorf im Kreise Schleusingen, wo die Bauerngemeinde diese Domäne übernimmt und unter die einzelnen Höfe vertheilt, sodaß dort potente Bauernhöfe gebildet werden können. Wir glauben, daß wir hierdurch den Bedürfnissen der dortigen Gegend besonders genügen.
Die andere Domäne ist Finerode bei Genthin. Es ist eine Do⸗ mäne, auf der kein Pächter bestehen kann, und von der mir die Be⸗ treffenden immer wieder erklärt haben — der Vertreter jener Gegenden wird es mir bestätigen —, daß ein Großbetrieb nur unter Schwierig⸗ keiten durchzuführen ist. von Bedeutung für die Gegend ist; der Verkauf erscheint angezeigt.
Die dritte Domäne ist Giebichenstein bei Halle.
daß es nicht in meiner Absicht liegt weiterzugehen.
zu übersehen vermag. 4
Anregungen, die, wie ich glaube, schon früher im Hause öfter ergangen 8 sind, in Neu⸗Vorpommern den Versuch zu machen, den dort sehr großen Besitz in Bauernhöfe umzuwandeln respektive in Theilen zu verkaufen. Aber, meine Herren, es ist doch ein Unterschied: während wir in der Provinz Sachsen wohlhabende und reiche Leute gehabt haben, die einmal eine Domäne kauften, so fehlen eben in jener 1 Gegend die Leute, die das Geld zum Ankauf solcher Besitzungen haben. Betreffs der Musterdomänen kann ich mich auf die Aus⸗ führungen berufen, die von den Vertretern der Rheinprovinz gemacht
geschaffen haben, die volle Anerkennung der Herren, die dort bekannt sind, gefunden haben, und daß das ein guter und gesunder Vorstoß war, gerade die Gegenden der Eifel aufzuschließen, jenen Bewohnern zu zeigen, wie bei einer anderen Art der Bewirthschaftung dem Boden doch noch mehr abzuringen ist als bisher. 3
Aber, meine Herren, ich möchte doch noch auf einen Punkt hin⸗
lassen —, und das ist die Frage der Vorschiebung der Domänen nach dem Osten. Wenn wir nicht die Möglichkeit haben, solche Domänen im Innern des Staats zu verkaufen, so hat die Domänenverwaltung nicht die Mittel, Domänen im Osten zu begründen. Das bekenne ich offen. Ich glaube nicht, daß die Rentengüter, die wir geschaffen haben, auf die Dauer gut weiter prosperieren können, wenn wir nicht auch in diese Gegend Domänen vorschieben, damit die Bauern sehen, wie gut gewirthschaftet wird und werden muß. 4
Ich habe gerade nach dieser Richtung hin die Ankäufe der Ansiedelungs⸗ Kommission studiert, und ich kann nur sagen: nach meiner pflichtmäßigen Ueberzeugung, meine Herren, wird es nothwendig sein, nach jenen Gegenden hin in erheblichem Maße Domänen vorzuschieben; sie werden meiner Ansicht nach die Krystallisationspunkte für die deutschen Rentengutsbesitzer bilden. Ohne die Domänen, fürchte ich, wird sonst das alles, was aufgewendet ist, nicht prosperieren können. Wir wollen Bauernstellen schaffen, wir wollen den mittleren Besitz nach jeder Richtung hin kräftigen.
Aber, meine Herren, wir wollen auch nicht vergessen: der kleinere Besitzer ist — und wenn wir noch so viel Fortbildungsschulen, noch so viel Winterschulen cinrichten, nicht in dem Maße in der Lage, wie der größere Besitzer, sich die gemachten Ferschungen und Erfindungen dienfthar zu machen. Die Herren, die sind, werden mir zugeben, daß erst der größere Besiter Beispiel für den kleineren Besitzer bildet, ihnen geigt, diese oder jene Frucht, wie eine bessere besseres Saatgut, wie cin besserer Dünger wirkt. Da ist größere Besitzeer das Vorbild für den mittleren und kleineren, balb, meine Herren, möchte ich bier im Hause betonen.
Bestrebungen meiner Berwaltung auch unterstützen, daß wir in jenen Gegenden des Ostens, wo wir so viele kleine „ auch Musterwirthschaften Krvstallisationspunkte für den landwirtdschaftlichen Betrieb in Gegenden bilden. (Bravol und Sehr richtig! rechts.)“ Abg. Bandelow 9:
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Ich habe auch in der Budgetkommission Gelegenheit gehabt, mich dahin auszusprechen, daß es mir erwünscht erscheint, entsprechend den
Ich glaube nicht, daß eine solche Domäne
Sonst kann ich Ihnen die Versicherung abgeben, meine Herren,
Ich denke, daß damit die Sache abgeschlossen ist, wenigstens soweit ich dies zur Zeit
worden sind, daß gerade in der Eifelgegend die Musterhöfe, die wir 9
weisen — und den wollen die Herren nicht ganz aus dem Auge
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