Ansicht, in einem geor neten, gesitteten Staat müssen alle Staats⸗ bürger vor dem Gesetz gleichberechtigt sein. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) — Bitte, lassen Sie mich fortfahren! —, aber die Regierung eines Staats wird immer einen aristokratischen Charakter tragen; es wird immer die Re⸗ gierung eines Staats in den Händen der Männer liegen, die durch geistige Begabung sich auszeichnen, in den Kreisen derer, die durch hervorragende Bildung, durch größeren Besitz und wirtschaftliche Macht, oder durch ehrenvolle geschichtliche Ueberlieferung sich ein Recht darauf erworben haben. (Lebhafte Zurufe bei den Sozial⸗ demokraten.) Wenn Sie heute Ihren Zukunftsstaat errichteten, dann würden Sie sehr bald sehen, daß sich auch von Ihnen eine gewisse Aristokratie aussonderte, das Heft in den Händen hielte. (Sehr richtig! rechts.) Sehen Sie sich doch die Republiken an! Meine Herren, ich will keinen Namen nennen, aber wo sehen Sie die Aristokratie des Geldes einen größeren Einfluß ausüben als in den Republiken? (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Sehen Sie sich doch, bitte, die Republiken wo man nicht einmal eine Einkommensteuer einführen konnte (sehr richtig!), wo jeder Versuch, eine Einkommensteuer einzu⸗ führen, gescheitert ist, während bei uns die Einkommensteuer fast seit 100 Jahren besteht. Und sehen Sie sich weiter in den Republiken um. Wenn die Aristokratie des Reichtums im Zaum gehalten werden kann, so ist das in der Monarchie in einem viel höheren Maße der Fall wie in irgend einer Republik. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Gerade in den Republiken spielt die Geldaristokratie unter Umständen die verhängnisvollste Rolle. Ich glaube deshalb, Sie sind auf falschem Wege, wenn Sie sich immer als antimonarchisch darstellen und Ihren Anhängern diese Gesinnung einzuimpfen suchen. Gerade die Monarchie ist die ldealste Macht auch im Interesse der Arbeiter, der wirtschaftlich Schwächeren. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) 1— Meine Herren, nun komme ich auf die Kaiserlichen Erlasse zurück. Als die Kaiserlichen Erlasse ergingen, hatte die Sozialdemokratie noch nicht entfernt die Anhängerzahl und auch nicht die Vertretung hier im Reichstage wie jetzt. Wenn Sie sagen, gerade von der Monarchie hätten Sie nichts zu hoffen, so müssen Sie doch gestehen, daß die Kaiserlichen Erlasse der Ausgangspunkt der ganzen sozialpolitischen Gesetzgebung waren, und Sie können nicht leugnen, daß auf Grund der sozialpolitischen Gesetzgebung Ungeheures in Deutschland geleistet ist. Wir sind alle sterbliche Menschen mit begrenzten Kräften. Nehmen Sie mir aber das nicht übel, ich richte das an alle Parteien: wenn man wirklich alle diese Anträge, die hier gestellt sind, in der Zeit, in der Sie ihre Durchführung erwarten, auch durchführen wollte, so würde unser ganzer politischer und Verwaltungsorganismus bierzu nicht ge⸗ nügen. Wir können nur allmählich, ruhig, Schritt für Schritt vor⸗ wärts gehen, und ich glaube, wenn beute gerade von den Kaiser⸗ lichen Erlassen ausgeführt ist, sie seien eigentlich nur ein Programm, das keine Folgen gehabt habe, so leugnet man am hellen Tage die Sonne. Ich könnte Ihnen zahlreiche Aeußerungen Ihrer Redner anführen, wo sie selbst anerkannt haben, man müsse doch zugestehen, es sei ein gewisser so jal⸗ politischer Fortschritt vorhanden. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Aber dann müssen Sie doch auch offen bekennen, daß die Kaiserlichen Erlasse eine große sozialpolitische Tat waren, und Sie müssen ferner anerkennen, daß das ein bleibendes Verdienst der Monarchie ist. Es ist auch über den Crimmitschauer Fall gesprochen. Daß bei einer so großen Ausstandsbewegung, wie in Crimmitschau, auch einzelne Mißgriffe untergeordneter Polizeiorgane vorkommen, ist natürlich; diese Mißgriffe sind aber, soweit sie vorgekommen, meines Wissens auch gerichtlich reprobiert worden, und was die allgemeinen Bemerkungen anlangt von dem „Herrn im eigenen Hause“, so ist das in dem hier gedeuteten Sinne nur Schlagwort. Niemand ist unbedingter Herr im eigenen Hause. Wir alle haben uns im öffentlichen Interesse den allgemeinen Gesetzen und Verordnungen zu fügen, und die ganze sozialpolitische Gesetzgebung ist eine Beschränkung der Handlungsfreiheit des einzelnen auf geschäftlichem und wirtschaft⸗ lichem Gebiet, das erkennt jedermann an. Aber gegenüber solchen Vorgängen, wie in Crimmitschau, hat jede Regierung die Verpflichtung, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, und das, meine Herren, muß mit allen Mitteln und unter allen Umständen geschehen. Das liegt im Interesse der Arbeiter, und das liegt auch im Interesse des Friedens derjenigen, die an solchem Streik an und für sich nicht be⸗ teiligt sind. Was endlich die Dauer der Arbeitszeit betrifft, so ist Ihnen ja bekannt, daß die Dauer der Arbeitszeit der weiblichen Arbeiter Gegenstand einer besonderen Berichterstattung der Gewerbeinspektoren gewesen ist. Im Reichsamt des Innern wird eine Denkschrift über die Frage ausgearbeitet und Ihnen noch im Laufe der Tagung zu⸗ gehen; dann wird die Arbeitszeit der Frauen Gegenstand einer sehr eingehenden Prüfung im Bundesrat sein. Ich gestehe zu, es ist eine Frage, die einer sehr ernsten Erwägung bedarf. Aber ich bitte Sie dringend, die Entscheidung des Bundesrats ruhig abzuwarten und nicht jetzt sofort die Regierung so hinzustellen, als ob sie gerade mit Rück⸗ sicht auf den Crimmitschauer Streik ihre Stellung zu dieser Frage rgendwie beeinflussen lasse. 11 . Bev ” undesrat, sächsischer Geheimer Rat Dr. 8 3 iicenn es dcfschen Müserennn sf s der Crimmitschauer a.sa zum Gegenstand der heftigsten ungerechten Angriffe gemacht worden. Ich will heute darauf nicht antworten, weil dazu wahr⸗ scheinlich bei der Diskussion über den Maximalarbeitstag Gelegenheit ein wird. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Hierauf wird gegen 6 ¾ Uhr die weitere Beratung auf Dienstag 1 Uhr vertagt. v“
an,
Haus der Abgeordneten. 1 4. Sitzung vom 25. Januar “
Ddas Haus setzt die erste Beratung des Staatshaus⸗ haltdetass für das Etatsjahr 1904 fort. 8 Nach dem Abg. Freiherrn von een und Neu irch ffreikons.), über dessen Ausführungen ereits in der gestrigen d.. 2 d. Bl. berichtet worden ist, nimmt das Wort der
Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:
unseres Wahlgesetzes eingegangen.
Aenderung unserer Verwaltungsorganisation und hat daran Be⸗
merkungen geknüpft, mit deren Tendenz ich in vielen Beziehungen sehr
harmoniere: daß es erwünscht sein würde, mehr und mehr die Entscheidung
in die erste Instanz, in die Instanz der Landräte und der Bürgermeister
und Magistrate der Städte zu legen und dadurch die Mittelinstanz
zu entlasten. Die Sache ist aber nicht so einfach auszuführen, wie
sich das in einer hübsch gefaßten Rede darstellt. Vor allem müssen
wir Vorsorge treffen, daß wir nicht wieder unsere Unterinstanz zu
einem bureaukratischen Organismus gestalten; das persönliche Wirken
des Landrats muß im Interesse der Verwaltung unter allen Um⸗
ständen erhalten werden.
Wenn dann der Herr Abgeordnete sich von höheren Regierungs⸗
beamten hat sagen lassen, daß sie die Freude an ihrem Beruf mehr oder
minder verloren hätten und nur das noch täten, was eben im äußersten
Falle von ihnen verlangt würde, so bedaure ich, wenn es überhaupt
solche Beamten gibt; ich bedaure auch, wenn sie derartig gesprochen
haben, sie hätten die Freude an ihrem Beruf verloren, weil sie
glaubten, daß sie bei etwaigen Avancements nicht nach Verdienst
berücksichtigt würden. Meine Herren, Beamte, die aus Mangel an
Berufsfreudigkeit nur ebenso viel tun, daß sie nicht diszipliniert
werden, können niemals auf eine Beförderung rechnen. Im übrigen
erkläre ich aber frei heraus, daß, solange ich hier bin, niemand durch
mich eine Beförderung erfahren hat, wenn er nicht nach meiner
persönlichen Ueberzeugung und nach genauester Ueberlegung auch tüchtig
und dieser Beförderung würdig war.
Der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz ist dann, ebenso wie vor⸗
gestern der Herr Abg. Friedberg, auf eine etwaige künftige Aenderung Ich habe bereits im vorigen Jahre ecklärt, daß ich wohl bereit sein würde, in einem bestimmten Grade über kurz oder lang, habe ich wohl gesagt — eine Aenderung des Wahlgesetzes eintreten zu lassen. Das will ich auch noch heute. Wenn diese Angelegenheit in der Thronrede nicht berührt ist, so hat das sehr einfach darin seinen Grund, daß Seiner Majestät noch kein Vortrag darüber gehalten ist, daß auch das Staatsministerium Beschlüsse in dieser Beziehung noch nicht gefaßt hat. Seit zwei Jahren habe ich mich sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigt und im vorigen Jahre ein neues Wahlreglement eingebracht, das von dem Staatsministerium akzeptiert ist, und das, wie ich zu meiner Freude habe konstatieren können, im großen ganzen sehr fördernd auf die Abwickelung der Wahlen eingewirkt hat. In das Wahlgesetz selbst einzugreifen, ist sehr schwer, und zwar des halb, weil ich niemals dazu zu haben sein werde, die Grundlagen dieses Wahlgesetzes zu ändern. (Sehr gut! rechts.) Es wird ja von linksliberaler Seite vielfach verlangt, daß dieses Wahlgesetz in seinen Grundvesten erschüttert und durch ein anderes ersetzt werde. Es wird auf einen Ausspruch hinge⸗ wiesen, den der Fürst Bismarck einmal getan habe, es sei das elendeste aller Wahlgesetze. Soweit ich den Fürsten Bismarck ver⸗ stehe und gekannt habe, würde er über jedes andere Wahlgesetz bei sich bietender Gelegenheit dasselbe oder ähnliches gesagt haben. (Heiterkeit.) Denn es gibt kein Wahlgesetz, das allen Ansprüchen gerecht wird, und unter den Wahlgesetzen, die bestehen, glaube ich, keines, das so genau und richtig den Ausdruck der öffentlichen Meinung wiedergibt wie das Dreiklassenwahlsystem in Preußen. (Sehr richtig! rechts. Lachen links.) Meine Herren, das schließt natürlich nicht aus, daß auf dieser Grundlage durch die Veränderung, welche die Bepölkerungs⸗ zunahme und die Verschiebungen des Verkehrs mit sich gebracht haben, eine Aenderung des Gesetzes zweckmäßig oder notwendig wird. Aber man soll mit diesen Aenderungen außerordentlich vorsichtig sein (sehr wahr! rechts), und ich bin heute noch nicht in der Lage, dem Staatsministerium, geschweige denn Ihnen, klarzulegen, wie diese Aenderungen eintreten sollen. Ich kann nur sagen, daß aufs eifrigste diese Frage in meinem Ministerium bearbeitet wird, daß ich aber besonders deshalb nicht in der Lage war, zu einem ab⸗ schließenden Urteil zu gelangen, weil zunächst die Erfahrungen abgewartet werden mußten mit dem neuen Wahlreglement bei den letzten Wahlen, um zu beurteilen, ob trotz dieses Wahlreglements, das so weit ging, wie es ohne Aenderung des Gesetzes überhaupt möglich war, in der Ausführung des Gesetzes noch Uebelstände vor⸗ handen sind, welche bei Gelegenheit der Aenderung des Gesetzes dann auch hätten beseitigt werden müssen. Ich kann also meinerseits nur versprechen, auch ferner diese Frage ganz sorgsam zu bearbeiten. Ich freue mich, daß auch hier im Hause Gelegenheit gegeben ist, darüber zu sprechen, um aus den Aeußerungen der Herren Abgeoroneten erkennen zu können, wie die Stimmung derjenigen Kreise ist, die die eventuelle Aenderung zu beschließen haben.
Der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz ebenso wie der Herr Abg. Dr. Friedberg und der Herr Abg. Richter haben auch eine etwaige Aenderung des Gesetzes über Vereins⸗ und Versammlungs⸗ wesen besprochen. Ja, meine Herren, mit diesem Gesetz⸗ entwurf steht das ebenso! — rr b Auslegung des Gesetzes bekanntlich eine gewisse Erleichterung in der Zulassung der Frauen eintreten lassen, eine Erleichterung, deren recht⸗ liche Zulässigkeit mir selbst zweifelhaft war, die mir aber praktisch schien. Ich halte auch dafür, daß in unserer heutigen Zeit die Frau von unserem politischen Leben, d. h. vom sozialpolitischen Leben, nicht auszuschließen ist, und ich halte es für eine Anomalie des Gesetzes, daß es die Frauen ausschließt, wenn die Versammlung durch einen Verein berufen ist, daß es sie aber zuläßt, wenn nicht ein Verein, son⸗ dern eine einzelne Persönlichkeit die Versammlung beruft. (Sehr richtig! links.) Diese Anomalie muß meines Erachtens beseitigt werden.
Ich habe bereits durch eine etwas künstliche
aus diesen Aeußerungen der Presse, und deshalb habe ich sie mit Freude begrüßt. Die Sprachenfrage führt mich auch zu der von mehreren Herren Vorrednern berührten Polenfrage. Der Herr Ministerpräsident hat schon den Standpunkt der Regierung wiederholt und auch vorgestern ausdrücklich bekundet. Ich möchte auch meinerseits betonen, daß von einer Veränderung des Kurses bei der Königlichen Staatsregierung nicht die Rede ist, daß wir vielmehr mit aller Energie gegen politische Sonderbestrebungen der Polen vorgehen und die deutsche Herrschaft in Polen uns erhalten wollen. (Bravo! rechts.) Das bezieht sich auch auf Oberschlesien. In Oberschlesien liegen die Verhältnisse anders wie in den Provinzen Posen und Westpreußen. In Ober⸗ schlesien haben wir zunächst einen Großgrundbesitz lediglich in deutschen Händen, wir haben dort ferner eine katholische Geistlichkeit, deren Vertreter in ihrer überwiegenden Mehrzahl heute noch auf dem Boden deutscher Gesinnung stehen, und wir haben endlich eine ausgedehnte Gewerbetätigkeit, welche lediglich in deutschem Sinne geführt wird. Leider ist aber 8 wie ich be⸗ haupte — durch die Verquickung von Polentum und Sozialdemokratie eine solche Verhetzung in Oberschlesien eingetreten, daß die Regierung mit energischen Maßregeln vorgehen wird. Sie glaubte, abgesehen von einer Erhöhung der Dispositionsfonds der Oberpräsidenten, in diesem Jahre mit Geldforderungen an Sie noch nicht herantreten ꝛu brauchen. Sie würde sich aber nicht scheuen, im Vertrauen auf die patriotische Gesinnung des Hauses auch weitere größere Geld⸗ forderungen zu beantragen, wenn es im Interesse des Deutschtums twendig sein wird. 8 “ 8 Richter hat die Polenpolitik selbstverständlich ver⸗ urteilt. Ich möchte deshalb daran erinnern, daß von einem so großen Unternehmen ein Erfolg nach einem Jahr, selbst einem Jahrzehnt noch nicht zu erwarten ist. Der Kampf zwischen Nationalitäten vollzieht sich nicht in wenigen Jahren und in einmaligem Schlagen, sondern langsam und unaufhörlich. Es soll immer die Aufgabe der Regierung sein, daß dieser Kampf endigt durch endliches Unterliegen polnischer Gesinnung und immer weiteres Emporblühen deutscher Ge⸗ sinnung und deutscher Kraft. Herr Dr. Friedberg sowie Herr Richter sind dann auf eine Rede zurückgekommen, die ich vor einigen Monaten in Hannover gehalten habe. Ich bin beiden Herren dafür dankbar, und zwar deshalb, um auch hier ausdrücklich zu betonen, daß ich mich zu jedem Wort, das damals von mir gesprochen ist, ausdrücklich bekenne, insbesondere auch zu dem Satz, „daß bei den Wahlen in der Provinz Hannover es auf etwas mehr links oder rechts nicht ankommt, sondern auf ein Zu⸗ sammengehen der staatserhaltenden Parteien gegen alle diejenigen, welche den Bestand des Reiches, der preußischen Monarchie und der staatlichen Ordnung untergraben wollen.“ (Bravo! rechts.) Auf den einzelnen Fall, den der Abg. Friedberg berührt hat, ist es nicht angängig, hier einzugehen, weil es sich um eine Wahlangelegenheit handelt, die noch nicht einmal entschieden ist, und weil ich es mir zur Richtschnur ge⸗ macht habe — ich bin Herrn von Zedlitz dankbar für die Anerkennung dessen —, einen Druck auf die Wahlen unter allen Umständen zu unterlassen. Herr Richter hat dann auch die Worte über die Selbst⸗ verwaltung, die ich in Hannever gesprochen habe, angeführt. Es ist. in der Tat meine wahre innere Gesinnung, daß auf einer möglichst freien Selbstverwaltung und auf dem freien Ausdruck der Meinung der Selbst⸗ verwaltungskörper immer innerhalb des staatlichen Rahmens das Gedeihen der Selbstverwaltung selbst und der von ihnen vertretenen Interessen beruht. Auch glaube ich gezeigt zu haben, daß ich in der Frage der Bestätigung von Kommunalbeamten so weit gehe, wie es ein preußischer Minister nur kann. Beweis dafür ist, daß in der vorigen Session eine Beschwerde in dieser Richtung überhaupt aus diesem hohen Hause nicht an mich gerichtet ist und in dieser Session mir von dem Herrn Abg. Richter nur eine einzige Beschwerde angekündigt worden ist, von der er selbst sagt, daß er sie eben einer Zeitung entnommen habe. Meine Herren, auch meine Kenntnis zur Sache beruht nur auf der Zeitungslektüre, die mir Anlas gab, mir Bericht erstatten zu lassen. Der Bericht ist noch nicht in meinen Händen. Wie der Herr Abg. Richter bereits gesagt hat, wird ja bei der Beratung über meinen Etat der Anlaß ergeben, auf diese Frage näher einzugehen.
Der Herr Abg. Richter hat dann auch die Frage des sogenannten Scherlschen Sparsystems berührt. Da über diese Angelegenheit ein besonderer Antrag vorliegt, wird sich noch Gelegenheit bieten, aus⸗ führlicher darüber zu reden. Heute scheint mir ein Eingehen um so weniger notwendig, als das Unternehmen zur Zeit nicht zur Aus⸗ führung gelangt. (Hört, hört! links) Nur ganz kurz will ich be⸗ merken, daß selbstverständlich die Königliche Staatsregierung die An⸗ gelegenheit sorgfältig geprüft und deren Vorteile und Nachteile ein⸗ gehend erwogen hat. Die Königliche Staatsregierung ist davon aus⸗ gegangen, daß unter allen Umständen das neue System nur dann Beachtung verdiene, wenn dasselbe als ein gem einnütziges Unter⸗ nehmen eingeführt werden könnte; selbstsüchtige Interessen einzelner muüßten der Sache durchaus fernbleiben. In vollem Einverständnis mit dem Herrn Scherl ist in diesem Sinne die ganze Angelegenheit mit dem Ausschusse des Deutschen Sparkassenverbandes eingehend und ohne jede Heimlichtuerei seit mehr als sechs Monaten verhandelt worden. Man mag theoretisch darüber zweifelhaft sein, ob die Verbindung von Sparen und Geldlotterie ethisch zulässig ist, ob, wie der Herr Abg Richter sich ausdrückte, der Spartrieb durch den Spieltrieb erstickt werden wird oder ob nicht vielmehr die jedermann nun einmal in unserer unvoll⸗ kommenen Welt innewohnende Lust, dem Glückszufall die Hand in bieten, in solche Bahnen geleitet werden kann, daß dadurch der Spar⸗ sinn gestärkt wird. (Heiterkeit links.) Jedenfalls ist zur Zeit infolge
Dann fehlt auch in unserem Vereinsrecht eine Bestimmung, welche die Polizei unzweifelhaft ermächtigt, eine Versammlung zu ver⸗ hindern, daß in einer fremden, den Polizeibeamten nicht bekannten Sprache verhandelt wird. (Sehr richtig! rechts.) Eine solche Be⸗ stimmung ist eine absolute Notwendigkeit gegenüber den Erkenntnissen des höchsten Gerichtshofes, vor denen wir alle uns beugen müssen. Ich bin fest überzeugt, daß die Mitglieder dieses höchsten Gerichtshofes selbst wohl der Meinung sind, daß es ein Unglück sei, daß das Gesetz unserer Polizei diese Handhabe nicht biete. — Diese Handhabe zu be⸗ kommen, darum werde ich Sie noch im Laufe dieser Session bitten.
ravo! rechts. 8 v es ist mir sehr angenehm gewesen, daß die Ideen, die bei der Veränderung des Vereinsgesetzes überhaupt erwogen sind, auf irgend eine Weise in die Presse gekommen sind. So war Anlaß gegeben, daß alle Parteien in der Presse ihre Ansichten darüber kund⸗ gaben, und mag man ihnen nun zustimmen oder ihnen ablehnend
des freiwillen Rücktritts des Herrn Scherl die ganze Angelegenheit aufgegeben.
8 Meine Herren, ich möchte nun noch einige ganz kurze Worte cr⸗ knüpfen an die Sätze des Freiherrn von Zedlitz über die Sozial⸗ demokratie. Das Wesen der Sozialdemokratie, die Stellungnahme der Regierung zu derselben hat der Herr Reichskanzler in seinen be⸗ merkenswerten Reden im Reichstage ja so klar dargestellt und so über zeugend nachgewiesen, daß dem überhaupt nichts zuzufügen ist. Nur das möchte ich bemerken hinsichtlich des Appells, den der 5 von Zedlitz auch an die Polizei gerichtet hat, daß für den Momen!, wo cs notwendig sein wird, einzuschreiten, Sie mich auf meinem Posten
den werden. (Bravo! rechts.)
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
Meine Herren! Der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz hat soeben eirne interessante Ausführung gemach t über eine -b
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gegenüberstehen, so viel ist jedenfalls gewiß: lernen können wir immer 8
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Abg. Br wesen sein sollte, jedes Wahlrecht für das elendeste zu erklären, das halte ich für schlechthin unmöglich. Jedes Wahlrecht beruht auf Vergleichen, und daher kann es nur einen Superlativ geben, und dieser war das preußische Dreiklassenwahlsystem. Es bleibt also dabei, daß der Minister dieses unter seinen Schutz nehmen will. Aber eine Aufgabe des Hauses wird es bleiben, in jedem Jahre seine Stimme zu erheben, um eine Reform des Wahlrechts zu verlangen. Herr von Zedlitz suchte seine Ausführungen gegen die Linke des Hauses mit dem allgemeinen Grundsatz zu stüͤtzen, daß Wahrheit bitter sei; aber ich glaube, daß der Widerspruch bei den Nationalliberalen davon ausging, daß Unwahrheit noch viel bitterer sei Wer uns die Vorwürfe der Unsachlichkeit und mangelnden Objektivität macht, der muß anders auftreten als Herr von Zedlitz. Ich lege namens der Linken Verwahrung ein gegen die Art der Dis⸗ fussion, die Herr von Zedlitz heute eingeschlagen hat Sie beweist das eine, daß Herr von Zedlitz sich hierbei von Sachlichkeit und Objektivität sehr fern gehalten hat. Er hat ein Selbstbewußtsein gezeigt, das glücklicherweise in diesem Hause selten und kein Mittel zu einer Verständigung ist. Was die Stellung der Liäberalen im Reichstage anlangt, so ist zu erwidern, daß die liberalen Abgeordneten und Resenee ihre Blätter weit zahlreicher sind als die der Konservativen und der Freikonservativen zusammen. Daß eine Wahlresorm der Linken hier im Hause zugute kommen müßte, ist selbstverständlich, denn die Linke ist jetzt nicht entsprechend ihrer Bedeutung in der Bevölkerung vertreten. Bedenklich ist, daß die kleineren Wahlkreise von einer Aenderung unberührt bleiben sollen, weil sie sich auf ihre jetzige Vertretung ein Recht erworben hätten. Von einem solchen erworbenen Recht kann keine Rede sein. Herr Dr. Arendt hat sich dahin ausgesprochen, daß das Wahlgesetz so ein⸗ gerichtet werden müsse, daß die Sozialdemokraten von diesem Hause ausgeschlossen seien. Die Antwort auf eine solche Absicht ist bereits bei den Reichstagswahlen in Sachsen erteilt worden, wo 22 Sozial⸗ demokraten in 23 Wahlkreisen gewählt wurden. Gerade der Ausschluß vom Landtag hat ihnen dort bei den Reichstagswahlen wesentlich ge⸗ nützt. Bezüglich eines Ausnahmegesetzes gegen die Sozialdemokratie sollten die Konservativen und Freikonservativen das Wort der „Köl⸗ nischen Zeitung“ beherzigen, daß es ein Mittel wäre, für das gegen 3 Millionen Staatsbürger kein liberaler Mann mehr zu haben sein würde. Gegen ein solches Ausnahmegesetz würden also alle liberalen Gruppen einmütig zusammenstehen. Schon das ewige Spielen mit dem Ausnahmegesetz bringt eine unnütze Beunruhigung in das Volk. Nichts fördert die Sozialdemokratie mehr, als wenn man ihr die Gleichberechtigung vorenthält. Herr von Zedlitz mißbilligt das Drängen nach Staatshilfe und Vermehrung der Staatsausgaben. Die Linke ist von diesem Vorwurf frei. Betreffs einer Quotisierung der Einkommensteuer stimme ich dem zu, was der Abg. Richter gesagt hat. Das Drängen nach Ausgabenvermehrung würde durch sie be⸗ schränkt. Die Thesaurierungspolitik hat namentlich Herr von Miquel getrieben, aber der jetzige Finanzminister setzt die Politik seines Vorgängers fort. Für diese Politik finde ich in der deutschen Sprache kein besseres Wort als das Fremdwort „Thesaurierung“. Der Vorwurf des Finanzministers gegen den Abg. Richter, daß
dieser die neuen Schulden von 612 Millionen seit 1895 außer Berechnung gelassen habe, ist unbegründet, denn es müssen auch die für diese Summen beschafften neuen werbenden Anlagen in Rechnung gestellt werden. Und als werbende Anlage kann auch sehr wohl ein neuer Bahnhof angesehen werden, sodaß mindestens der größte Teil dieser 612 Millionen eine Vermehrung des werbenden Vermögens darstellt. Einst siel das Wort: Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser. Welcher Gegensatz dazu heute, wenn man sich jetzt auf den inneren Markt zurückziehen will! In den Ozean schifft mit tausend Masten der Herrscher, still in gerettetem Boot treibt auf das Inland der Rat. Die Aufrechterhaltung der Verbindung mit dem Weltmarkt braucht die deutsche Gewerbetätigkeit, und nur wenn diese uns erhalten bleibt, ist die Aufrechterhaltung unserer Wehrkraft und unserer Weltpolitik möglich. Wenn sich unsere Landwirtschaft alle technischen Vervollkommnungen zunutze macht, wird sie in bezug auf den Fortschritt mit der deutschen Gewerbetätigkeit gleichen Schritt halten. Wenn auch die Domänenpachten im Jahre 1903 wieder zurückgegangen sind, so ergeben doch schon die Neuverpach⸗ tungen für 1904 ein wesentlich günstigeres Bild, zum Teil schon eine Erhöhung für den Hektar. Der Rückschluß auf die Lage der Landwirtschaft kann also so sehr ungünstig nicht mehr ausfallen. Herr Bachem hat mehr vom Standpunkte der Produzenten als von dem der Konsumenten gesprochen. Der neue Zolltarif wird die Kartelle in der Bedrückung der Konsumenten nur noch fördern und stärken. Der Reichskanzler beruft sich darauf, daß er in der Kanalfrage kon⸗ stitutioneller sei als Herr Richter. Dieser Humor ist eigentlich das einzige Gute an der ganzen Sache. In einem konstitutionellen Lande wäre die Regierung bei der Ablehnung einer solchen Vorlage entweder zurückgetreten oder hätte an die Wähler appelliert. Nun kommt der Reichskanzler wieder mit der Vorlage, zwar spät, aber er kommt doch. Indessen, die Vorlage soll in zwei Teile geteilt werden, und doch stehen Stromregulierungen und Landesmeltorationen auf der einen Seite und Kanalbau auf der anderen in untrennbarem Zusammenhang. Die Vorlage wird ja angenommen werden, aber sachlich ist der Fortfall der Verbindung von Hannover nach der Elbe im höchsten Maße bedauerlich. Die Eisenbahngütertarife müssen herabgesetzt werden, und in den Personentarifen bestehen ebenfalls Verhältnisse, die eine Reform dringend erforderlich machen. Der ann, der in dieser Stunde zu Grabe getragen wird, Herr von Maybach, hatte in der letzten Zeit vor seinem Rücktritt einen umfassenden Plan zur Reform der Personentarife entworfen, aber Herr von Miquel war dagegen, und erst in den letzten Jahren hat Herr von Thielen die Geltung der Rückfahrkarten verlängern können. Diese Maßregel zeigte wiederum, wie eine verkehrsfreundliche Politik den Verkehr steigert und die Einnahme vermehrt. Möge der jetzige Minister sich ein Beispiel daran nehmen und eine Reform der Personentarife bringen. Für viele Kategorien von Eisenbahn⸗ eamten, besonders die Bahnwärter, genügt die Besoldung noch immer nicht. Ferner lassen die Pensionen der Lokomotivführer viel zu wünschen übrig. Wenn man sich nicht zu einer allgemeinen Ge⸗ haltsregulierung aufschwingen kann, so sollte man do wenigstens den ohnungsgeldzuschuß anders regeln; denn das Steigen der Miets⸗ preise schmälert dem Beamten entweder das Gehalt, oder er muß in schlechter Wohnung hausen. In der Frage der Einkommensteuer kann ich mich nicht Herrn von Zedlitz anschließen, ebensowenig der Ansicht es Grafen zu Limburg⸗Stirum über die Gebühren auf den Wasser⸗ aßen. Auf die Totalisatorfrage hat die Regierung noch nicht geant⸗ wortet. Die Totalisatorsteuer sollte nicht herabgesetzt und der Totalifator am Sonntag nicht geöffnet werden. Wenn bei der Polenpolitik der Reichskanzler sagt, daß deren Bekämpfung durch ie Polen ihre Richtigkeit beweise, so hat er sich den Beweis doch sehr leicht gemacht. Das Deutschtum wollen auch wir stärken; aber bei jeder Maßregel müssen wir fragen, ob sie diesem Zwecke dient. Es ist z. B. unter den Deutschen im Osten allgemein die Meinung ver⸗ breitet, daß das Zusammenarbeiten der Raiffeisen⸗Genossenschaften und
emel (frs. Vgg.): Daß Fürst Bismarck imstande ge⸗
Berlin, Dienstag, den 26. Januar
dxnfEAASANxRv-s Me-AEExAK.
1904.
klemmt zwischen dem ersteren einerseits und dem wirtschaftlichen Zu⸗ sammenschluß der Polen anderseits. Um dies zu verhüten, muß die Verbindung von Raiffeisen Genossenschaften und Ansiedlungs⸗ kommission gelöst werden, solange es noch Zeit ist. Die widerruf⸗ lich en Ostmarkenzulagen haben auch nur verwirrend gewirkt, sie sollten daher unwiderruflich gemacht werden.
Minister für Landwirtschaft ꝛc. von Podbielski:
Auf die längeren Ausführungen des Herrn Vorredners behalte ich mir vor, gelegentlich der Beratung meines Spezialetats zurückzu⸗ kommen. Ich befürchte freilich, daß sich meine Anschauungen über die Landwirtschaft schwer mit seinen Auffassungen werden vereinigen können; wir gehen von vollständig verschiedenen Anschauungen und Grundsätzen aus und müssen naturgemäß auch verschiedene Schluß⸗ folgerungen ziehen. Aber ich darf auf die Verhandlung vom Sonn⸗ abend zurückkommen, in welcher der preußische Herr Ministerpräsident, Reichskanzler Graf Bülow, dem Herrn Abg. Richter gegenüber aus⸗ gesprechen hat, daß ich auf seine Frage, betreffend die Landespferde⸗ zucht respektive den Totalisator, antworten würde. Da auch der Herr Vorredner diesen Punkt besonders hervorgehoben hat, wobei ihm, wie ich glaube, gewisse Unrichtigkeiten untergelaufen sind, auf die ich
regierung beziehungsweise der preußischen landwirtschaftlichen Ver⸗ waltung präzisieren. Meine Herren, es konnte der Staatsregierung nicht verschlossen bleiben, daß die Pferdezucht in den preußischen Landen von Jahr zu Jahr zurückgeht. Die Auflösung verschiedener Gestüte gab den deut⸗ lichen Beweis dafür, daß es zweifellos notwendig sei, bei Zeiten ein⸗ zugreifen. Es ist kein Zweifel: ist erst eine solche Zucht in Verfall geraten, dann gehören erheblich größere Mittel dazu, um sie wieder aufzurichten, als wenn man zu einer Zeit eingreift, bevor das wertvolle Zucht⸗ material seinem Zwecke völlig entfremdet worden ist. (Sehr richtig! rechts.) Infolgedessen möchte ich Herrn Abg. Richter darauf hin⸗ weisen, daß, wie ihm ja auch bekannt sein wird, auf Veranlassung der preußischen Gestütsverwaltung durch die Reichsregierung zwei Experten nach Frankreich entsendet worden sind, die ihre Beobachtungen in einer Schrift veröffentlicht haben. Diese Entsendung nach Frankreich war um so notwendiger, als wir bei uns einen gewissen Rückgang in der Pferdezucht zu beobachten Gelegenheit hatten, während das Gegenteil sich in Frankreich zeigte. Den Herren wird noch erinnerlich sein, daß im Anfang der 70 er Jahre Frankreich die Remontierung seiner Armee nicht aus seiner eigenen Pferdezucht zu decken vermochte, während jetzt nach den übereinstimmenden Berichten dieser entsandten Experten Frankreich nach einer so kurzen Spanne Zeit die Remontierung seiner Armee aus eigenem Matertal durchzuführen in der Lage ist. An der Hand dieser Ergebnisse mußte man zu der Schluß⸗ folgerung kommen, nachzusehen, aus welchen Ursachen dieses günstige Resultat für unser Nachbarland sich ergab. Dabei hat sich ganz deutlich für uns gezeigt, daß die erheblichen Mittel, die man in Frank⸗ reich auf die Pferdezucht verwandt hat, im höchsten Maße nutzbringend angelegt waren. Ich komme hierbei speziell schon auf einen Punkt, um zu zeigen, welche erheblichen Mittel in Frankreich disponibel waren. Aus dem Totalisatorbetrieb in Frankreich wurden allein 2 ½ Millionen Francs direkt der Gestütsverwaltung zum Ankauf und zur weiteren Ent⸗ wickelung der Gestüte gegeben, während etwa 8 bis 9 Millionen Francs für die sonstige Pferdezucht resp. zu Rennzwecken aus diesen Ein⸗ nahmen flossen. Diese Summen zeigen, welche erheblichen Mittel überhaupt dort zur Verfügung gestanden haben. Ganz anders, wie ich schon sagte, haben sich leider die Verhältnisse bei uns speziell in Preußen entwickelt, wo durch das andauernde Zurückgehen des Renn⸗ betriebes die Vollblutgestüte nicht mehr in der Lage waren, sich zu erhalten, sodaß infolgedessen in den letzten Jahren mehrere ihrer Auflösung entgegengegangen sind. Nun will ich heute hier im hohen Hause nicht näher auf die Grundfragen, die ja vielleicht gelegentlich in der Budgetkommission bei meinem Etat noch zur Erörterung kommen, eingehen, aber ich möchte sie nicht unerwähnt lassen: ist es notwendig, Vollblut zu ziehen? ist es notwendig, das Vollblut durch Rennen zu prüfen? Ich muß diese Fragen an der Hand einer hundertjährigen Erfahrung in England unbedingt bejahen und muß immer wieder aussprechen: eine gesunde Halbblutzucht ist ohne eine Vollblutzucht über⸗ haupt undenkbar. Wir kommen sonst zu einem Pferd, welches nicht das zu leisten vermag, was von ihm gefordert wird. Der Herr Abg. Richter kann versichert sein: es sind nicht die Attacken, die hier im Frieden geritten sind, die mich als den Verantwortlichen veranlaßt haben, diese Frage anzuregen, sondern es ist die Leistungsfähigkeit unserer Kavallerie im Kriege, die ich im Auge gehabt habe. Es wird mir der Herr Abgeordnete nach seiner reichen Erfahrung aus den verschiedensten Erörterungen im Reichstage zugeben, daß unsere Kavallerie jetzt ganz andere Distanzen als früher nicht nur in Kavalleriedivisionen, sondern auch vor allem in der Patrouille zurücklegen muß, sodaß wir zweifellos darauf hinwirken müssen, unter allen Umständen ein leistungsfähiges Pferd zu haben - Wie steht es nun bei uns in Preußen? Preußen hatte noch vor 10 Jahren aus dem Totalisatorbetrieb für diese Zucht⸗ und Renn⸗ zwecke eine Einnahme von rund 1 300 000 ℳ Diese Summe ist auf etwa 200 000 ℳ gesunken, also es fehlt uns mehr als eine Million Mark; dies muß sich irgendwie zum Ausdruck bringen. Der Herr Abgeordnete wird es erklärlich finden, daß in unserm Etat, was nach seiner Auffassung allerdings in einem gewissen Gegensatz zu den für das ländliche Fortbildungsschulwesen aufgewendeten Geldmitteln steht, versucht worden ist, aus Staatsmitteln die fehlenden Beträge teilweise aufzubringen. Ich persönlich bin ein Anhänger des Bestrebens, die fehlenden Mittel nicht in das Budget zu bringen, sondern zu ver⸗ suchen, daß die Vereine sie aus sich im Wege der Selbsthilfe auf⸗ bringen; aber wenn infolge von staatlichen Eingriffen die Einnahmen so weit wie jetzt gesunken sind, dann, werden Sie mir zuͤgeben, ist
er Ansiedlungskommission dem mittleren und dem kleinen Handels⸗ und Gewerbestand 9 Schaden bringt, sie werden direkt einge⸗
es unmöglich, von diesen Vereinen Geld zu fordern, welches sie nicht haben. v“ 28 8 1““
näher eingehen werde, so möchte ich kurz die Stellung der Staats⸗
Der Herr Abgeordnete ist auf die Frage des Totalisators ein⸗ gegangen. Ich befinde mich mit dem Herrn Abg. Richter in voller Uebereinstimmung, daß der größte Krebsschaden, den wir in unserem Vaterland zu beklagen haben, die Tausende von kleinen Wettbureaus sind. Die Unterdrückung dieser Wettbureaus muß die Aufgabe der Staatsregierung sein. Ich möchte den Herrn Abg. Richter darauf hinweisen, und es ist ja auch schon bei Verhandlungen des Reichstags von den Vertretern der Regierung darauf hingewiesen worden, daß, wenn man eine so hohe Steuer wie jetzt auf den Umsatz des Totalisators legt, dann naturgemäß solche Mißstände entstehen, wie wir sie alle beklagen. Ich erinnere den Herrn Abg. Richter an seine Rede, die er einst in der Zuckerfrage gehalten hat, wo er von einer ähnlichen Besteuerung und Bevorzugung gesprochen hat, und ich glaube, er wird mir auch in diesem Fall folgen und sagen müssen, daß man, wenn man die Wettbureaus unterdrückt — dafür bin ich auch — dann den Leuten, die zum Rennen gehen, zugleich die Möglichkeit geben muß, daß ihre Wetteinsätze nicht einer so hohen Steuer unterliegen wie jetzt. Das ist die einfache Folgerung nach meiner Ansicht, und ich hoffe, daß wir uns vielleicht im Reichstage noch in der Auffassung begegnen, daß dies der einzig mögliche Weg zugleich im Interesse der notwendigen Hebung der Landespferdezucht ist.
Der Herr Vorredner ist — ich weiß nicht, aus welchem Grunde — auf den Sonntag und die Einrichtung des Totalisators eingegangen. Ich habe den Herrn Abg. Broemel dahin ver⸗ standen, es wäre ganz unglaublich, daß der Sonntag zu den Rennen benutzt würde. Ich hätte nur gewünscht, er hätte die Verhältnisse im Lande sich angesehen. Er würde auch vielleicht zu einem andern Urteil kommen, wenn er Vertreter eines Berliner Wahlkreises wäre. Fragen Sie nach in Breslau, in Cöln, Frankfurt oder in Hannover! Tatsächlich sind überall im Lande Rennen am Sonntag gewesen. Man hat aus verschiedenen Gründen geglaubt, Berlin bezüglich der Zulassung von Rennen an Sonntagen eximieren zu sollen, und soweit ich weiß, ist das immer in der Berliner Presse beklagt worden. Jetzt aber findet sich ein Herr, der sagt: das will man noch für Berlin einführen! Ich bitte den Herrn Abg Broemel: gehen Sie mit dieser Erklärung in irgend eine Versammlung hinein! Die Leute werden Ihnen antworten: warum soll man denn Berlin schlechter stellen als die anderen Städte? Das höre ich so oft bei anderen Fragen von den Herren auf der linken Seite, und nun in diesem einen Fall wehren sie sich gegen eine Gleichstellung Berlins mit anderen Städten. Meine Herren, es ist manchmal mit der Moralität ein eigen Ding. Ich glaube, der Herr Abg. Broemel hätte gut getan, sich erst im Lande umzusehen, ob nicht Sonntags die Rennen überall stattfinden. Ich habe geglaubt, für die Berliner etwas Besonderes tun zu sollen, muß aber jetzt vor den Moralitäts⸗ bedenken auf jener Seite dieses hohen Hauses gewissermaßen die Segel streichen.
Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole): Jedesmal, wenn die Finanzen sich hoben, wurden neue Mittel gegen die Polen flüssig gemacht. Herr Graf Limburg⸗Stirum hat neue Maßnahmen gegen das radikale Großpolentum verlangt, Herr Richter “ Assimilierung der Be⸗ völkerung, und alle Redner des Hauses bewegen sich in diesen Bahnen, ebenso die Vertreter der Regierung. Ich muß zur Klärung der Mei⸗ nungen einiges richtig stellen. Der Ministerpräsident bezeichnete das Wasserpolnisch als eine dem Polnischen verwandte Sprache. Das ist falsch. Wasserpolnisch und Polnisch sind dasselbe. Wenn dort ein Gegensatz zwischen polnischer Sprache und Deutschtum sich entwickelt hat, so trifft alle Schuld die Königliche Staatsregierung. Denn im Kulturkampf wurden die polnischen Schulen unterdrückt; um Polnisch zu lernen und die Sprache zu erhalten, gründete man die ganze Polenpresse, die heute Propaganda macht. 1 Hatzfeldt erklaͤrte es für seinen Grundsatz, die Gegensätze zu überbrücken. Hätte er danach gehandelt, die Gegensätze wären nicht so große geworden. Es heißt immer, die Polen wollten sich von Preußen losreißen; das ist ein Phantom, das die Regierung sich selbst macht. Mit Gewalt können wir nicht loskommen, das ist doch klar. Und was sollten wir dann tun? Welcher Staat würde uns aufnehmen? Weil das aber nicht zutrifft, verlangen wir, gleich allen anderen Staatsbürgern behandelt zu werden, wie es den Intentionen Seiner Majestät des Kaisers ent⸗ spricht. Unsere Sprache muß gfeschützt und geachtet werden. Aber das Gegenteil geschieht. Der Ministerpräsident sagt, jeder kann sich der polnischen Muttersprache bedienen. Das sieht aber in der Praxis ganz anders aus. So wurde ein Lehrer entlassen, weil er sich in einer Privatunterhaltung des Polnischen bediente. Entspricht das den Intentionen des Monarchen? Bei meiner Wahl wurden die Be⸗ amten angewiesen, sie auf jede Weise zu hintertreiben; und tat einer nichts, so hieß es, du erhältst die Ostmarkenzulage nicht. So entsteht im Osten Beunruhigung, und diese findet einen vielleicht zu scharfen Ausdruck in der Presse. Aber die Polen sind die An⸗ gegeiffenen, können Sie sich über die Verteidigung wundern? Das
nsiedelungsgesetz hat keine Verschiebung der Bevölkerung zu Gunsten des Deutschtums gebracht, im Gegenteil sind gerade seitdem viele Deutsche nach Westen abgewandert. Das Streben nach Verbesserung der Lage durch Tüchtigkeit und Strebsamkeit herrscht auch unter den olen. Wenn die Regierung aber den Polen im Erwerbsleben Schwierigkeiten macht, müsen wir ihr die Schuld an den jetzigen Zuständen zuschieben. Der Hakatistenverein ist der Be⸗ rater der Regierung. Kann man sich da über den Kampf der Nationalitäten wundern? Dieser Kampf sollte verhindert, aber nicht geschürt werden. Die Regierung sollte die Kluft überbrücken, statt
e zu erweitern; sie tut aber alles, um die Gegensätze zu verschärfen. Ich erinnere an den Kampf Englands gegen die Uüsche Bevölkerung. Die Regierung gibt der deutschen Bevölkerung mit vollen Händen und lähmt damit die eigene Arbeitskraft, während die der Polen gestärkt wird. Das Ansiedelungsgesetz hat dazu geführt, daß einerseits die Verkäufer infolge der gestiegenen Güterpreise viel Geld bekamen, anderseits aber die Käufer nicht vorwärts kommen können. Man schlägt also damit nicht die Polen, sondern die Deutschen selbst. Graf Kanitz hat im Reichstag gesagt, daß diese Germanisierung der Landwirtschaft nichts genützt 22 Wir mahnen die Regierung dringend, auf diesem Wege nicht weiter zu gehen. Sonst kann man uns unsere Haltung nicht übelnehmen. Auf jeden 5 muß es uns gestattet sein, uns unserer Muttersprache in den Versammlungen zu bedienen.
Minister des Innern Freiherr von Hammerstein b
Meine Herren! Es hat mich gefreut, daß der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski hier die Polenrede gehalten hat, weil wir von ihm ge⸗ wohnt sind, daß er seine Aeußerungen in äußerst höfliche Formen
kleidet und in seinen Ausdrücken nicht so starke Pointen anwendet,